Vermerk_zivil- und datenschutzrechtliche Ansprüche Topf Secret.

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11 aa. Bedeutung des Grundsatzes Der Grundsatz der Speicherbegrenzung bezieht sich seinem Wortlaut nach zwar nur auf die „Speicherung“, nicht auf andere Formen der Verarbeitung personenbezogener Daten wie etwa die hier relevante Verbreitung. Da die Speicherung jedoch Grundlage der Ver- breitung ist, ist die Speicherbegrenzung auch im vorliegenden Kontext relevant. Mit dem Grundsatz korrespondiert der Löschungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 lit. a) DSGVO. Dieser lautet: „Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu lö- schen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft: a) Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig. (…)“ bb. Erforderlichkeit der Daten über vergangene Lebensmittelkontrollen Die Privilegierung des Art. 5 Abs. 1 lit. e 2. HS DSGVO greift vorliegend nicht. Entschei- dender Maßstab für die Speicherbegrenzung ist daher, ob die Speicherung für die Zwe- cke, für die sie verarbeitet werden, noch „erforderlich“ ist. Fraglich ist, wann die Informationen über vergangene Lebensmittelkontrollen nicht mehr notwendig sind. Die Änderung der Wirklichkeit, also hier das Vorliegen neuer Kontrollberichte oder das Abstellen eines Mangels, führt nicht automatisch dazu, dass sich der Informationszweck erledigt. Denn Zweck der Verbreitung kann gerade auch die Information über vergan- gene Umstände sein. Mit diesem Argument hat etwa das LG Wiesbaden das Bestehen eines Löschanspruchs aus Art. 17 Abs. 1 lit. a DS-GVO für den Fall, dass alte (unstreitig richtige) Daten über die Bonität des Betroffenen weiterhin in einer Wirtschaftsauskunftei publiziert werden, verneint. Das LG Wiesbaden stellte in dieser Hinsicht fest:
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12 „Der Kläger kann eine Löschung auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. a DS-GVO verlangen. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Notwendigkeit der Speiche- rung der Daten nicht dadurch entfallen, dass die Forderungen inzwischen getilgt wurden. Wie bereits ausgeführt, ist für Vertragspartner der Beklagten auch der Umstand, dass der Kläger derartige Forderungen erst nach ca. 4 Jahren und einer Titulierung ausgeglichen hat, von erheblichem wirtschaftlichem Gewicht. Die Be- klagte speichert den Forderungsverlauf im Übrigen zutreffend, d.h. aus der Boni- tätsauskunft des Klägers ergibt sich, dass die Forderungen getilgt wurden. Eine vollständige Löschung wegen fehlender Notwendigkeit kann jedoch nicht verlangt werden“ (LG Wiesbaden Urt. v. 21.2.2019 – 2 O 237/18, BeckRS 2019, 11490, Rn. 14). Grundsätzlich kann also auch die Information über vergangene Umstände noch erfor- derlich sein. Der Umstand, dass Mängel gegen lebensmittelrechtliche Vorgaben abge- stellt wurden, führt nicht automatisch dazu, dass die Erforderlichkeit der Datenverarbei- tung entfällt und die Information zu löschen ist. Zur Reichweite der Verpflichtung zur aktiven Speicherbegrenzung stellt das LG Heil- bronn fest, dass sich den Vorgaben des DSGVO keine spezifischen Prüf- oder Löschfrist entnehmen lassen: „Denn die Datenschutz-Grundverordnung enthält über den Erforderlichkeitsgrund- satz in Art. 5 Abs. 1 lit. e DS-GVO hinaus keine konkreten Vorgaben zu den Prüf- und Löschfristen. Ihr ist lediglich zu entnehmen, dass der Verantwortliche die Dauer seiner Datenverarbeitung unabhängig von einem entsprechenden Verlan- gen des Betroffenen nach Art. 17 DS-GVO regelmäßig zu prüfen hat (VG Karls- ruhe, U. v. 6.7.2017 – 10 K 7698/16).“ (LG Heilbronn, Urteil vom 11.4.2019 – 13 O 140/18, Rn. 27) Im zitierten Urteil des VG Karlsruhe heißt es hierzu: „Die Datenschutzgrundverordnung enthält über den Erforderlichkeitsgrundsatz (vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. e EU-DSGVO) hinaus keine konkreten Vorgaben zu den Prüf- und Löschfristen. Ihr ist lediglich – unter anderem in Erwägungsgrund 39 – zu entnehmen, dass der Verantwortliche die Dauer seiner Datenverarbeitung un- abhängig von einem entsprechenden Verlangen des Betroffenen nach Art. 17 EU- DSGVO („Recht auf Vergessenwerden“) regelmäßig zu überprüfen hat. Hierbei kann auf typisierte Regelprüffristen für wiederkehrende Vorgänge zurückgegriffen werden, da es gerade Unternehmen, die in großem Umfang Daten verarbeiten –
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13 wie etwa Auskunfteien – nicht zuzumuten ist, jeden Einzelfall gesondert zu bewer- ten (vgl. Plath in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Art. 5 EU-DSGVO Rn. 18). Eine Überprüfung kann in bestimmten Intervallen erfolgen, so wie es beispiels- weise bislang nach § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG möglich und zulässig war (vgl. Kamlah in: Plath, a.a.O., Art. 17 EU-DSGVO Rn. 6).“ (VG Karlsruhe, Urteil vom 06. Juli 2017 – 10 K 7698/16, juris Rn. 20) Eine nach Wochen oder Jahren festgelegte Pflicht zur Prüfung, ob die Datenverarbei- tung zur Erreichung ihrer Zwecke noch erforderlich ist, lässt sich der DSGVO somit nicht entnehmen. Allerdings muss der Verantwortliche als Ausprägung seiner Rechenschafts- pflicht nach Art. 5 Abs. 2 DSGVO die von ihm gespeicherten Datenbestände „in regel- mäßigen Abständen überprüfen“ (Erwägungsgrund 39 S. 10). Diese Intervalle und die entsprechen Intervalle im Verarbeitungsverzeichnis aufführen (Art. 30 Abs. 1 S. 2 lit. f DSGVO). Bei größeren Datenbeständen muss hierbei aber nicht auf den einzelnen Da- tensatz abgestellt werden, sondern können „typisierte Regelprüffristen“ oder Löschkon- zepte festgelegt werden. Im Fall der Wirtschaftsauskunftei erachtete das LG Heilbronn eine dreijährige Frist zur Überprüfung der Erforderlichkeit der publizierten Angaben, welche in den Verhaltensre- geln für Wirtschaftsauskunfteien festgelegt war, als mit der DSGVO konform. Die deut- lich kürzere Speicherfrist von sechs Monaten, die in der Insolvenz-Internet-Bekanntma- chungsverordnung festgelegt war, sei nicht geboten, weil die Auskunft der Auskunftei nur mit einem geringen Eingriff verbunden sei, da sie nur bei Darlegung eines berech- tigten Interesses und gegen Entgelt erteilt werde. Die Insolvenz-Bekanntmachungen seien hingegen für jedermann kostenfrei und ohne größeren Aufwand durch Inter- netabruf möglich, weshalb sie auch für Nachbarn, Kollegen und Bekannte einsehbar seien. Dies erfordere bei den Insolvenz-Bekanntmachungen eine deutlich kürzere Prüf- pflicht (LG Heilbronn, Urteil vom 11.4.2019 – 13 O 140/18, Rn. 29). Der Umstand, dass Daten auf „TopfSecret“ für jedermann verfügbar sind, spricht eher dafür, dass die Erfor- derlichkeit der Informationen zur Erreichung des Informationszwecks in kürzeren Ab- ständen zu prüfen ist. Festhalten lässt sich somit, dass sich auch aus dem Grundsatz der Speicherbegrenzung keine Verpflichtung zur Löschung der Informationen ergibt, wenn inzwischen aktuellere Informationen vorliegen. Denn dies führt nicht automatisch zur Erledigung des Informa-
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14 tionszwecks. Allerdings besteht eine verfahrensrechtliche Verpflichtung, die Daten re- gelmäßig darauf hin zu überprüfen, ob sich der Zweck der Information inzwischen erle- digt hat. II. Prüfungspflichten für Hostprovider nach den Grundsätzen der Störerhaftung Nach der Rechtsprechung des BGH können Hostprovider auch dann für die Verbreitung von fremden Aussagen Dritter haften, wenn sie sich diese nicht zu eigen gemacht haben. Eine solche Störerhaftung setzt voraus, dass sie als mittelbarer Störer zu qualifizieren sind und gewisse Prüfungspflichten verletzt haben. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Hostprovider dabei zur Vermeidung einer Haf- tung als mittelbarer Störer grundsätzlich nicht verpflichtet, die von den Nutzern in das Netz gestellten Informationen vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzun- gen zu überprüfen (BGH, Urteil vom 01. März 2016 – VI ZR 34/15 –, BGHZ 209, 139- 157). Dies wird durch die entsprechenden Ausführungen des BVerfG in seiner „Recht auf Vergessen I“-Entscheidung bestätigt. Der Hostprovider ist aber dann, wenn er von einem Betroffenen auf eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts hingewiesen wird und diese Beanstandung so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer bejaht werden kann, verpflichtet, eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sach- verhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstande- ten Beitrag Verantwortlichen vorzunehmen (BGH, Urteil vom 01. März 2016 – VI ZR 34/15 –, BGHZ 209, 139-157). Auch aus den Grundsätzen zur Störerhaftung lässt sich eine aktive Prüfungspflicht somit nicht ableiten. Vielmehr bedarf es eines konkreten Hinweises des Betroffenen. III. Ergebnis Festhalten lässt sich somit, dass sich aus der DSGVO für die Verbreitung personenbe- zogener Daten keine Verpflichtung zur vorbeugenden Überprüfung der Richtigkeit und Aktualität der veröffentlichen Informationen ergibt. Allerdings muss durch entsprechende organisatorische und technische Vorkehrungen sichergestellt sein, dass Hinweisen auf
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15 Fehler bzw. aktuellere Daten nachgegangen wird und falsche Daten berichtigt bzw. äl- tere Daten durch verfügbare neuere Daten ergänzt werden. Zudem besteht eine verfah- rensrechtliche Verpflichtung, in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob die Verarbeitung der personenbezogenen Daten noch zur Erreichung des festgelegten Verwendungs- zwecks erforderlich ist. Auch aus den Grundsätzen zur Störerhaftung kann eine Verpflichtung zur vorbeugenden Prüfung einer Rechtsverletzung nicht abgeleitet werden. Auch hier leben die Prüfungs- pflichten erst bei konkreten Hinweisen der Betroffenen auf eine Verletzung ihres Persön- lichkeitsrechts auf. B. Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung wahrer Tatsachenbehauptungen Der VGH München deutet in seiner Entscheidung vom 15.4.2020 (5 CS 19.2087) zivil- rechtliche Ansprüche in Bezug auf Topf Secret an, die sich aus dem auch im Geschäfts- verkehr bestehenden Recht auf Vergessen ergeben könnten. Das Gericht führt hierzu an: „Soweit es der Antragstellerin im Verhältnis zum Beigeladenen um etwaige (künf- tige) Ergänzungen oder zeitliche Begrenzungen bei der Verwendung der Informa- tion geht, insbesondere um das auch im Geschäftsverkehr bestehende „Recht auf Vergessen“ (dazu allgemein BVerfG, B.v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 – NJW 2020, 300 Rn. 75 ff.), muss sie die entsprechenden Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg verfolgen.“ (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. April 2020 – 5 CS 19.2087 –, Rn. 28, juris) Das BVerfG hat in der vom VGH zitierten Entscheidung festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht natürlicher Personen nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein Recht auf Vergessen umfasst. Die Rechtsordnung müsse davor schützen, „dass sich eine Person frühere Positionen, Äußerungen und Handlungen unbegrenzt vor der Öf- fentlichkeit vorhalten lassen muss“, da nur dann eine „Chance zum Neubeginn in Frei- heit“ bestehe (BVerfG, Urteil vom 6.11.2019 - 1 BvR 16/13, Rn. 105). Der zeitliche As- pekt sei daher im Rahmen der Interessenabwägung, die bei der Prüfung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs nach §§ 823, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG durchzuführen ist, von erheblicher Bedeutung.
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16 Auch in der Parallelentscheidung „Recht auf Vergessen II“ wird klargestellt, dass bei der im Rahmen des datenrechtlichen Löschungsanspruchs aus §§ 29, 35 BDSG a.F. durch- zuführenden Grundrechteabwägung der Art. 7 und 8 GRCh mit den Rechten der Such- maschinenbetreiber und Inhalteanbieter und der Informationsinteressen der Öffentlich- keit der zeitliche Aspekt von erheblicher Bedeutung ist, da der Zeitablauf sowohl das Gewicht des öffentlichen Interesses als auch das der Grundrechtsbeeinträchtigung mo- difizieren kann (BVerfG, Urteil vom 6.11.2019 - 1 BvR 276/17, Rn. 131 ff.). In diesem Zusammenhang soll geklärt werden, ob und wenn ja welche Anforderungen an die Höchstfrist der Verbreitung von Daten über Lebensmittelbetriebe gelten und wel- che Ansprüche sich hieraus für die Betroffenen ableiten. I.   Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Veröffentlichung Die Relevanz der zeitlichen Distanz zu publik gemachten lebensmittelrechtlichen Ver- stößen lässt sich nur beurteilen, wenn vorab die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung ohne Berücksichtigung der zeitlichen Distanz geklärt ist. Diese soll daher vorab unter- sucht werden. Als Grundlage für etwaige Ansprüche auf Löschung von Kontrollberichten mit wahren Tatsachenbehauptungen kommen die §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG bzw. Art. 12 Abs. 1 GG oder dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht. Sowohl das Recht am eingerichteten und ausgeübten Ge- werbebetrieb als auch das Persönlichkeitsrecht von Unternehmen stellen offene Tatbe- stände dar, deren Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwä- gung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben (BGH, Urteil vom 11. März 2008 – VI ZR 7/07, juris Rn. 12 m.w.N.). Zudem könnte sich, wenn es um personenbezogene Daten geht, ein datenschutzrecht- licher Anspruch auf Löschung aus Art. 17 DSGVO ergeben. Ein solcher Anspruch kommt u.a. dann in Betracht, wenn die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden (Art. 17 Abs. 1 lit. d DSGVO). Vorliegend kommt es für die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung insbesondere darauf an, ob die Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Portalbetreibers oder Dritten erforderlich ist und die Interes- sen des Betroffen nicht überwiegen (Art. 6 Abs. 1 lit f DSGVO). Auch hier hängt das
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17 Bestehen des Anspruchs somit maßgeblich von einer umfassenden Interessenabwä- gung ab, in der die sich gegenüberstehenden Grundrechte in Ausgleich zu bringen sind. Hierbei käme es wegen der abschließenden Harmonisierung des Datenschutzrechts auf die unionsrechtlichen Grundrechte an. 1. In die Abwägung einzustellende Rechte Folgende Grundrechte sind in die Abwägung einzustellen: a. Allgemeines Persönlichkeitsrecht Seitens der betroffenen Unternehmen ist zum einen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in die Abwägung einzustellen. In der zivilrechtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Persönlichkeitsschutz auch juristischen Personen zukommen kann (vgl. etwa BGH, NJW 1974, S. 1762; BGH, NJW 1975, S. 1882; BGHZ 78, 24; 98, 94; BGH, NJW 1994, S. 1281). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Frage „für die verschiedenen Ausprägun- gen dieses Grundrechts differenziert zu beurteilen“ (BVerfGE 118, 168 (203)). Die An- wendung des Grundrechts scheidet aus, soweit der Schutz im Interesse der Menschen- würde gewährt wird, die nur natürliche Personen für sich in Anspruch nehmen können (vgl. BVerfGE 95, 220 (242); 118, 168 (203)). Sofern hingegen das allgemeine Persön- lichkeitsrecht korporativ betätigt werden kann, kommt ein grundrechtlicher Schutz juris- tischer Personen in Betracht (vgl. BVerfGE 106, 28 (42 f.); 118, 168 (203)). So genießen juristische Personen beispielsweise den Schutz des Rechts am gesprochenen Wort, so- weit es hierfür auf einen besonderen personalen Kommunikationsinhalt nicht ankommt (vgl. BVerfGE 106, 28 (43 f.); 118, 168 (203)). Ebenso können sich juristische Personen auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung berufen (vgl. BVerfGE 118, 168 (203 f.); 128, 1 (43); 147, 50 (142 Rn. 237)). Es ist zumindest denkbar, dass das Recht, von Äußerungen, die sich negativ auf das Ansehen des Betriebs in der Öffentlichkeit, verschont zu bleiben, auch korporativ aus- geübt werden kann. Eine Betroffenheit im unternehmerischen Persönlichkeitsrecht kommt somit in Betracht.
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18 b. Berufsfreiheit Zudem könnten die Unternehmen in ihrem von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Recht auf freie Berufsausübung betroffen sein. Der Schutzbereich umfasst jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient, mithin auch die Außendarstel- lung von selbständig Berufstätigen, soweit sie auf die Förderung des beruflichen Erfolgs gerichtet ist (vgl. BVerfGE 85, 248, 256; NJW-RR 2007, 1048 f.). Das Grundrecht schützt dabei zwar nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt, die für das wettbewerbliche Verhalten der Marktteil- nehmer von Bedeutung sein können, selbst wenn sich die Inhalte auf einzelne Wettbe- werbspositionen nachteilig auswirken (BVerfGE 105, 252, 265). Allerdings besteht eine Grundrechtsbindung aus Art. 12 Abs. 1 GG jedenfalls dann, wenn eine Maßnahme in ihrer Zielsetzung und ihren mittelbar-faktischen Wirkungen einem Eingriff als funktionales Äquivalent gleichkommt, da sie direkt auf die Marktbedingungen konkret individualisierter Unternehmen zielt, indem sie die Grundlagen der Entscheidun- gen am Markt zweckgerichtet beeinflusst und so die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der betroffenen Unternehmen verändert (BVerfG, Be- schluss vom 21. März 2018 – 1 BvF 1/13 –, BVerfGE 148, 40-64, Rn. 28). Das BVerwG geht davon aus, dass auch der Verbreitung von über das VIG erlangten Informationen durch Private eine mittelbar-faktische Wirkung nicht abgesprochen wer- den kann und sie als funktionales Eingriffsäquivalent an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen sind. Es führt hierzu in seiner Entscheidung vom 29.8.2019 näher aus: „Dies gilt insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in dem der antragsgebun- dene Informationszugang erklärtermaßen dem Ziel dient, mit den so erlangten In- formationen unter Einschaltung von Verbraucherschutz- und anderen Organisati- onen gezielt und kampagnenartig an die Öffentlichkeit zu gehen. Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass hierdurch ausgelöste Reaktionen für die betroffenen Unterneh- men erhebliche ökonomische Wirkungen entfalten können. Derartige Auswirkun- gen der Informationsgewährung stellen auch keinen bloßen Reflex einer nicht auf sie gerichteten gesetzlichen Regelung dar. Ähnlich wie beim Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ist es auch beim Verbraucherinformationsgesetz Zweck der Regelung, die informationellen Grundlagen für eigenverantwortliche Kaufent-
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19 scheidungen der Verbraucher zu schaffen. Die Verbraucher sollen in die Lage ver- setzt werden, als Marktteilnehmer einen entscheidenden Faktor für die Steuerung des Gesamtsystems darzustellen (BT-Drs. 16/5404 und 17/7374 S. 2). (BVerwG, Urteil vom 29.8.2019 – 7 C 29/17, juris Rn. 47) Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist es unwahrscheinlich, dass die Zivilge- richte die Betroffenheit der Berufsfreiheit verneinen würden. Vielmehr haben die Zivilge- richte auch in Bezug auf ein Ärzte-Bewertungsportal den Gewährleistungsbereich der Berufsfreiheit als berührt erachtet, weil die Veröffentlichung von Einträgen zu dem Be- troffenen diese dazu zwingt, sich in dem von dem Bewertungsportal vorgegebenen (en- gen) Rahmen einer breiten Öffentlichkeit präsentieren zu lassen sowie sich einem Ver- gleich mit anderen im Portal aufgeführten Berufstätigen (dort: Ärzten) zu stellen, und dies erhebliche Auswirkungen auf seine beruflichen Chancen und seine wirtschaftliche Existenz haben kann (BGH, Urteil vom 23.9.2014 - VI ZR 358/13, BGHZ 202, 24; BGH, Urteil vom 20.2.2018 – VI ZR 30/17 –, BGHZ 217, 340-350, Rn. 14). c. Meinungsfreiheit des Portalbetreibers Zugunsten des Portalbertreibers ist in die Abwägung das Recht auf Kommunikationsfrei- heit nach Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK einzustellen. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt auch den Kommunikationsprozess als solchen. Deshalb kann die Mitteilung einer fremden Meinung oder Tatsachenbehauptung selbst dann in den Schutzbereich des Grundrechts fallen, wenn der Mitteilende sich diese weder zu eigen macht noch sie in eine eigene Stellungnahme einbindet (vgl. BVerfG, NJW-RR 2010, 470 Rn. 58). Der Betrieb eines Portals, welches als Mittler einen Erfahrungsaustausch zwischen nicht miteinander bekannten Personen ermöglicht und sich dabei nicht auf die rein technische Verbreitung von Informationen beschränkt, ist vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst (BGH, Urteil vom 23. September 2014, VI ZR 358/13, NJW 2015, 489 ff.; BGH, Urteil vom 20. Februar 2018 – VI ZR 30/17 –, BGHZ 217, 340-350, Rn. 14).
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20 d. Meinungs- und Informationsfreiheit der Portalnutzer In die Abwägung einzustellen ist zudem die Meinungs- und Informationsfreiheit der Por- talnutzer (BGH, Urteil vom 20.2.2018 – VI ZR 30/17 juris, Rn. 14 m.w.N.). Auch das BVerfG stellt in seiner Entscheidung „Recht auf Vergessen II“ unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH fest, dass die Informationsfreiheit der Internetnutzer als relevantes Prinzip in die umfassende Interessenabwägung einzustellen ist (BVerfG, Urteil vom 6.11.2019 – 1 BvR 276/17, juris Rn. 110). 2. Interessenabwägung für ursprüngliche Veröffentlichung Zur Ermittlung der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung müssen diese widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls miteinander abgewogen werden. Abhängig vom konkreten Einzelfall wären bei der Abwägung insbesondere folgende As- pekte relevant: a. Wahre Tatsachen sind hinzunehmen Die Rechtmäßigkeit von Tatsachenbehauptungen hängt in erster Linie vom Wahrheits- gehalt ab. Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (BVerfGE 99, 185, 196). Der VGH Mannheim führt für den vorliegenden Kontext von „TopfSecret“ hierzu näher aus: „Diese zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelte Verfassungsrechtspre- chung hat längst Eingang in die Judikatur zur Beeinträchtigung der Berufsfreiheit durch öffentliche Äußerungen Privater gefunden; dabei unterliegen Privatpersonen - anders als der Staat - nicht generell einem Sachlichkeitsgebot (BVerfG-K, Be- schluss vom 28.07.2004 - 1 BvR 2566/95 - DVBl 2005, 106, 108). Die - hier unter- stellte - Veröffentlichung der Informationen über „TopfSecret“ wäre demnach - je- denfalls im Grundsatz - nicht zu beanstanden, wenn und solange sie wahrheitsge- mäß und auch sonst rechtmäßig erfolgt.“ (VGH Mannheim, Beschluss vom 13.12.2019 – 10 S 2614/19 juris, Rn. 43)
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