Tätigkeit des Vermittlungsausschusses
- 16 - 16.12.2003 lu-bo MP Christian Wulff (NI): Ich mache eine Vorbemerkung: Hier läuft ein Band mit; anhand des Wortprotokolls kann sich jeder ein Urteil über die Wortbeiträge bilden. In Bezug auf das, was wir heute Nacht vor uns haben, nämlich Hartz IV, sagen uns alle Experten, dass in der Ministerialbürokratie des BMWA natürlich der Versuch gemacht wird, Vorstellungen, die man dort seit Monaten verfolgt, möglichst stark umzusetzen. (Zuruf des Abg. Ludwig Stiegler) - Herr Stiegler, darf ich sagen, was Herr Clement gerade gesagt hat: "Leck mich am Arsch!" - Ich muss Ihnen sagen: Es ist wirklich gut gewesen, was hier abgelaufen ist. Weder einem Ministerpräsidenten noch sonst jemandem hier im Vermittlungs- ausschuss ist zuzumuten, dass ein Bundesminister auf diese Art und Weise mit diesem Gremium umgeht. Ich ziehe meine Wortmeldung zurück, und ich ziehe meine Schlüsse aus dem, was hier abgelaufen ist. Herr Müntefering hat gesagt, ich hätte geschlafen. Herr Clement erklärte: "Wir haben uns damals anders benommen." - Gerade sagte er: "Leck mich am Arsch!" und verließ den Saal. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Mit mir kommen Sie heute Abend zu keinen Ergebnissen. (Abg. Wilhelm Schmidt (Salzgitter): Das war doch das Ziel der Veranstaltung! Wer herausgeht, kommt auch wieder herein! - Weitere Zurufe) Vors. Bgm Dr. Henning Scherf (HB): Wir müssen jetzt aufpassen, dass das nicht in die Brüche geht. Dies wäre nach der großen Anstrengung vorher bitterschade. Ich unterstelle, dass niemand einen anderen beleidigt. Wenn sich jemand nicht kontrollieren kann, nimmt er das nachher zurück. PStS'n Dr. Barbara Hendricks (BMF): Herr Kollege Huber, ich werde die Zahlen, was die Steuerschätzung von November 2003 anbelangt, gerne nachtragen. Ich muss die Unterlagen von meinen Fachleuten draußen holen; das will ich gerne tun. Ich darf wiederholen: Der Auftrag, der mir am Sonntag übermittelt worden ist, war: Verringerung der Gesamtentlastung 2004 von 22,8 Milliarden Euro um 7,8 Milliarden Euro - das sind die von Ihnen genannten 7,8 Milliarden Euro - auf 15 Milliarden Euro. - Infolgedessen musste überschlägig gerechnet werden: Welchen Tarif braucht man, damit man eine Entlastung von 15 Milliarden Euro darstellen kann? (Zuruf des StM Erwin Huber (BY))

- 17 - 16.12.2003 lu-bo - Nein! Genau dies habe ich vorgelesen: Verringerung der Gesamtentlastung 2004 von 22,8 Milliarden Euro um 7,8 Milliarden Euro auf 15 Milliarden Euro. - Sodann habe ich vorgelesen: Eine solche Verringerung der Entlastung lässt sich mit einem Eingangssatz von 16 v. H. statt 15 v. H. und einem Höchstsatz von 45 v. H. statt 42 v. H. darstellen. Der Grundfreibetrag wird entsprechend dem Eingangssteuertarif 2005 auf 7 664 Euro erhöht. - Nachdem ich dies formuliert hatte, standen die Herren Ministerpräsidenten Stoiber und Milbradt auf und sagten: "Jawohl, so machen wir das." - Nach nochmaliger Unterbrechung ist man in den Vermittlungsausschuss zurückgegangen und hat diesen Tarif beschlossen. (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Nein, eine Entlastung von 7,8!) - Ja. (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Das steht in allen Zeitungen! Halbierung von 15,6 auf 7,8!) - Um 7,8 auf 15! (Abg. Wilhelm Schmidt (Salzgitter): Die Zeitung ist nicht der Maßstab!) Sie können schlechterdings nicht erwarten, dass man um halb zwei in der Nacht etwas anderes tun kann, als die gewollte Entlastungssumme, nämlich 15 Milliarden Euro, mit einem passenden Tarif zu versehen. Ich habe gesagt: "lässt sich darstellen." - Entschuldigung, ich bin noch nicht fertig! (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Aber Frau Hendricks, ich bitte Sie! Die öffentliche Diskussion drehte sich nie um die zweite Stufe der Steuerreform! Sie war abgehakt! Es ging nur um die dritte Stufe! Ob Sie die zweite Stufe mit hineinrechnen, ist mir völlig egal!) - Meine Aufgabe war die Verringerung der Gesamtentlastung auf 15 Milliarden Euro. (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Wer hat Ihnen diesen Auftrag erteilt? Ich habe Ihnen den Auftrag nicht erteilt!) Vors. Bgm Dr. Henning Scherf (HB): Herr Milbradt, lassen Sie Frau Hendricks bitte ausreden! PStS'n Dr. Barbara Hendricks (BMF): Herr Milbradt, mir ist der Auftrag übermittelt worden; ich habe ihn vorgetragen. Weder Sie noch jemand anders hat gesagt: Das war nicht der Auftrag. Erstellen Sie bitte eine neue Rechnung! - Ich habe vielmehr geantwortet, und niemand hat den Auftrag bestritten. Im Gegenteil, nachdem

- 18 - 16.12.2003 lu-bo ich gesagt habe, die 15 Milliarden Gesamtentlastung seien mit diesem Tarif darstellbar, haben Sie und Herr Ministerpräsident Stoiber sofort eingeschlagen mit Formulierungen wie: "Jawohl, so machen wir das! Das kriegen wir so hin!" (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Richtig!) - Ja. (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Aber nicht bezogen auf die 15! Das wissen Sie doch auch!) - Auf 15! (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Auf 7,8!) - Herr Kollege Milbradt, vielleicht waren Sie nicht mehr ganz aufmerksam. (MP Christian Wulff (NI): Was wir uns hier bieten lassen müssen, ist das Allerletzte!) Ich musste doch eine Gesamtentlastung von 15 Milliarden Euro darstellen. (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Nein, Entschuldigung, ich habe Ihnen den Auftrag von 15 nicht gegeben!) Ich will etwas hinzufügen - - (Zuruf des MP Christian Wulff (NI)) Vors. Bgm Dr. Henning Scherf (HB): Herr Wulff, nun lassen Sie sie doch ausreden! PStS'n Dr. Barbara Hendricks (BMF): Ich habe zu niemandem gesagt, dass er nicht ganz dicht sei. (MP Christian Wulff (NI): Wie diskutieren wir hier eigentlich miteinander?) Vors. Bgm Dr. Henning Scherf (HB): Lassen Sie sie bitte ausreden! PStS'n Dr. Barbara Hendricks (BMF): Herr Kollege Wulff, ich darf noch einmal sagen: Sie waren zu diesem Zeitpunkt nicht im Raum. Ich habe erklärt: Eine Gesamt- entlastung von 15 Milliarden lässt sich mit diesem Tarif darstellen. (Zurufe)

- 19 - 16.12.2003 lu-bo Niemand hat daraufhin bestritten, dass eine Gesamtentlastung von 15 Milliarden dargestellt werden sollte. (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Entschuldigung, das bestreite ich! - Zuruf des MP Christian Wulff (NI)) Vors. Bgm Dr. Henning Scherf (HB): Barbara Hendricks hat das Wort. (MP Peer Steinbrück (NW): Können wir bitte den Wortmeldungen ent- sprechend vorgehen!) PStS'n Dr. Barbara Hendricks (BMF): Niemand hat bestritten, dass von - - (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Doch! Ich bestreite es!) - Aber nicht in dieser Nacht, sondern anschließend ist genau dieser Tarif beschlossen worden. (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Es ist doch nicht über 15 Milliarden Euro geredet worden!) - Doch! (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Ach!) - Doch! Ich habe es vorgelesen. Ich weiß genau, was ich vorgelesen habe. (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Sie haben vorgelesen: 7,8 Reduzierung! - Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt (Salzgitter): Herr Milbradt, das nutzt nichts!) - Herr Kollege Milbradt, ich darf noch einmal wiederholen, was ich vorgelesen habe: Verringerung der Gesamtentlastung 2004 von 22,8 Milliarden Euro um 7,8 Milliarden Euro auf 15 Milliarden Euro. - Keiner der anwesenden Herren hat widersprochen, sondern als ich gesagt habe, mit welchem Tarif diese Gesamtentlastung darstellbar sei, haben Sie und Herr Ministerpräsident Stoiber gleichsam eingeschlagen und gesagt: "Jawohl, so machen wir es!" Ich will einen Punkt hinzufügen, der in den Wortbeiträgen meiner Vorredner eine Rolle gespielt hat. Soeben hat Herr Ministerpräsident Wulff die Frage gestellt: Muss der Bundeskanzler dann zurücktreten? (Vereinzelt Lachen)

- 20 - 16.12.2003 lu-bo Der Herr Bundeskanzler hat - das dürfte Herr Kollege Steinbrück bestätigen, der an allen Sitzungen teilgenommen hat, auch an den Sitzungen, in denen ich nicht anwesend war; ich bin nur kurz in die Runde hineingegangen, um das mitzuteilen, was ich soeben dargestellt habe - zu keinem Zeitpunkt etwa eine vollständige Entlastung der Länder für das Jahr 2004 in Aussicht gestellt, sondern er hat den Ländern von Beginn an die hälftige Teilung der zusätzlichen Privatisierungsmittel zugesagt, also jeweils 2,65 Milliarden Euro für den Bund und die Länder. Zu keinem Zeitpunkt ist den Ländern eine völlige "Glattstellung" von Seiten des Bundes versprochen worden. (MP Christian Wulff (NI): Das behauptet niemand!) - Dann hat Ihre Forderung, ein paar hundert Millionen nachzuschieben, offenbar keine Basis. (Zurufe) Vors. Bgm Dr. Henning Scherf (HB): Ich weiß schon seit meiner Schulzeit: Wer sich zur Geschäftsordnung meldet, wird vorgezogen. Darum ist jetzt Herr Kauder an der Reihe. Abg. Volker Kauder: Damit sich die Wogen glätten, will ich zwei Dinge sagen: Erstens. Frau Staatssekretärin, wir unterstellen Ihnen nicht, dass Sie falsch gerechnet haben. Aber wir verlangen Aufklärung darüber, was tatsächlich Ihr Auftrag war. Sie wissen, ich habe Temperament; aber ich bemühe mich darum, mein Temperament im Vermittlungsausschuss auf ein Niveau zu senken, das gewährleistet, dass wir gemeinsam zu Ergebnissen kommen. Es ist unerträglich, wenn Sie von der Regierungsbank aus bei jeder Antwort einen Ministerpräsidenten nach dem anderen - von uns reden wir nicht - mit Qualitäts- merkmalen versehen nach dem Motto, er habe nicht durchgeblickt, er habe am frühen Morgen wohl nicht mehr richtig aufpassen können, er habe geschlafen, und wenn der Herr Bundesminister ruft: "Leck mich am Arsch!" - Ich habe Herrn Clement darum gebeten, das zurückzunehmen. Sie bitte ich darum, in Zukunft, wie es sich für ein Mitglied der Bundesregierung gehört, sachlich zu antworten und Ihren Emotionen nicht freien Lauf zu lassen. Nur so viel zum Geschäftsordnungsverfahren! Zweitens will ich, wenn ich darf, eine Nachricht darüber weitergeben, was sich wirklich abgespielt hat. Ich hoffe nicht, dass Sie dann auch zu der Qualifizierung kommen, dass die Parteivorsitzenden Arschlöcher sind, um es so zu formulieren. Die Vorsitzende hat mir berichtet, was dort gelaufen ist. Sie hat mir erstens gesagt: Man ist

- 21 - 16.12.2003 lu-bo von einem Entlastungsvolumen von 7,8 Milliarden Euro ausgegangen. Auf dieser Grundlage sollte der Tarif berechnet werden. - Sie hat zweitens gesagt: Bitte keine Schnellschüsse! Wenn Sie es heute Nacht nicht hinbekommen, dann kann man es auch noch morgen früh berechnen und darüber reden. - Daraufhin ist gesagt worden: Das bekommen wir hin. - Sie haben die Zahlen vorgelegt, und alle sind davon ausge- gangen, dass es sich um das Entlastungsvolumen von 7,8 Milliarden Euro handelte. Herr Kollege Thiele, der den gesamten Abend anwesend war, hat in sein Berichts- heft geschrieben - - (Abg. Carl-Ludwig Thiele: 4.15 Uhr tagte die Arbeitsgruppe "Steuern"! Vorher war Vermittlungsausschuss!) - Zuvor saßen wir alle im Vermittlungsausschuss beieinander. Dort ist ausweislich seines handgeschriebenen Protokolls von einem Entlastungsvolumen von 7,8 Milliarden Euro gesprochen worden. Ich selbst war ebenfalls anwesend; auch ich bin von einer Summe von 7,8 Milliarden Euro ausgegangen, als hier verhandelt wurde. Auf der Basis von 7,8 Milliarden Euro wurde dann aufgeteilt, wer was bekommt. Das war unsere Einschätzung der Lage. Das, was in allen Zeitungen steht, ist nicht von uns herausgegeben worden. Es muss von anderer Seite - vermutlich aus dem Ministerium; das ist keine Kritik, es ist okay - mitgeteilt worden sein, dass es sich um ein Entlastungsvolumen von 7,8 Milliarden Euro handelt. Das war die Arbeitsgrundlage. Lassen Sie uns darüber reden! Sie können es nicht bestätigen, weil Sie, wie Sie selber gesagt haben, nicht dabei waren. Aber drei Kollegen haben es mitverfolgt. Ich kann nur wiederholen: Die Vorsitzende hat mir gesagt, es gehe um ein Entlastungsvolumen von 7,8 Milliarden Euro. Wenn es nicht erreicht worden ist und man nicht bereit ist, erneut darüber zu reden, müssen wir klären, was wir nun tun sollen. Die Vorsitzende hat ausdrücklich gesagt - das kann nicht bestritten werden -: 7,8 Milliarden Euro! Wenn Sie es nicht hinbekommen, keine Schnellschüsse! Dann berechnen wir den Tarif über Nacht noch einmal, treffen uns am kommenden Morgen und klären, welcher Tarif bei 7,8 Milliarden Euro hinzubekommen ist. - Das ist die Aussage von Frau Merkel. Diese Aussage hat sie mir gegenüber bestätigt. Sie ist also zutreffend. Meine Bitte: Auf dieser Grundlage sollten wir jetzt miteinander reden, statt uns gegenseitig zu beleidigen. Dann kommen wir auch zu Ergebnissen. BM Wolfgang Clement (BMWA): Bitte nehmen Sie meine persönliche Erklärung entgegen. Ich wollte natürlich niemanden beleidigen. Ich habe diese Bemerkung auch nicht an die Adresse von Ministerpräsident Wulff gerichtet. Wenn dies so verstanden

- 22 - 16.12.2003 lu-bo worden ist, bitte ich das zu entschuldigen. Ansonsten beschränke ich mich in Zukunft auf die Bemerkung, dass ich die Form der Diskussion, die hier stattfindet, für bedrückend halte. - Vielen Dank. (Abg. Volker Kauder: Okay!) MP Peer Steinbrück (NW): So viel zu einem Geschäftsordnungsantrag meines Vorvorredners! Ich muss nicht das bestätigen, was schon Gegenstand meiner Ausführungen gewesen ist. Der Auftrag an Frau Hendricks, den ich im Lichte unserer Diskussion weitervermittelt habe - ich habe ihn auch in dem Raum definiert; mehrere Kollegen waren anwesend, Herr Wulff und Herr Milbradt -, lautete: Wie sehen die Steuersätze bei 15 Milliarden Euro aus? Zweitens bestätige ich das, was die Staatssekretärin gesagt hat: Der Bundeskanzler hat an keiner Stelle auch nur den leisesten Hinweis darauf gegeben, dass den Ländern aus diesen Rechenaktivitäten der Anspruch auf vollständige Abdeckung der ihnen zuzuordnenden Steuermindereinnahmen zusteht. Viel wichtiger als die Wahrheitsfindung ist für mich die Beantwortung der Frage: Wohin soll das führen? Was bringt uns das außer der Aufarbeitung einer nächtlichen Sitzung? Wenn ich Herrn Milbradt und Herrn Wulff richtig verstanden habe, soll es gegebenenfalls zu einer neuen Verteilung der Veräußerungserlöse des Bundes, d. h. aus Ihrer Sicht zu einer Korrektur dessen kommen, was am Sonntag verabredet worden ist. Wenn die Antwort der A-Seite lautet, dass dort kein Spielraum vorhanden ist, dann ist die Diskussion ziemlich schnell am Ende. Ich glaube, ich darf in Abstimmung mit der A-Seite erklären, dass sie nicht daran denkt, dieses Zahlengerüst erneut zu verändern. Darauf müssen Sie sich jetzt einstellen. (Abg. Volker Kauder: Dann bitte ich um Unterbrechung der Sitzung!) Das heißt: Wir müssen jetzt keine lange Diskussion darüber führen, wie es im Einzelnen gewesen ist, wer was gesagt hat. Wenn die Diskussion in Ihren Augen das Ziel und den Zweck hat, die bisher zugeordneten Summen neu zu verteilen, dann lautet die Antwort unserer Seite: Dies wird mit uns nicht möglich sein. Vors. Bgm Dr. Henning Scherf (HB): Herr Kauder hat die Bitte geäußert, die Sitzung sofort zu unterbrechen und die Rednerliste nicht abzuarbeiten. Mir liegen noch acht Wortmeldungen vor.

- 23 - 16.12.2003 lu-bo (MP Prof. Dr. Georg Milbradt (SN): Wir bräuchten die Zahlen, damit wir die Rechnung nachvollziehen können! - PStS'n Dr. Barbara Hendricks (BMF): Ich würde sie Ihnen gern im Anschluss geben!) Herr Kauder, Sie bitten um Unterbrechung der Sitzung. Es wiederholt sich. (Abg. Volker Kauder: Wir hätten aber gerne noch eine Antwort auf die Frage von Herrn Huber!) Abg. Ortwin Runde: Herr Vorsitzender! Ich muss eines feststellen: Geschäfts- ordnungsanträge gehen vor. Das, was Herr Kauder vorhin gemacht hat, kenne ich aus meiner Studentenzeit als Vortäuschung eines Geschäftsordnungsantrages, um sich in der Rednerliste vorzumogeln. Vors. Bgm Dr. Henning Scherf (HB): Lieber alter Freund Ortwin Runde, er hat jedenfalls bewirkt, dass die Beleidigungen aufhören und wir wieder einander zuhören. Ich finde, das war eine Hilfe; denn es ging hoch her. Das musste beendet werden, und das hat er geschafft. Alles andere ist mir nicht so wichtig. Wir wollen uns doch nicht den ganzen Abend beschimpfen. (Abg. Volker Kauder: Wir können die Rednerliste abarbeiten, bevor wir die Sitzung unterbrechen!) - Herr Kauder zieht seinen Wunsch, die Sitzung sofort zu unterbrechen, zurück. Es geht weiter mit Thilo Sarrazin. Dann ist übrigens Ortwin Runde an der Reihe. S Dr. Thilo Sarrazin (BE): Ich möchte darauf eingehen, was von Herrn Milbradt gesagt wurde. Herr Milbradt, Sie bezogen sich auf die Solidarpaktverhandlungen im März 1993. Ich bin neben Ihnen vielleicht noch der Einzige hier im Saale, der damals dabei gewesen ist. Dies ist nicht vergleichbar. Damals ist der Bundesfinanzminister in einem großen politischen Streit um die Tragung der Kosten, der parteiübergreifend war und nicht im Vermittlungsausschuss lief, in eine komplizierte Verhandlungs- situation gekommen. Das war etwas vollständig anderes, hiermit überhaupt nicht Vergleichbares, was Sie übrigens ganz genau wissen. Zu der Aussage: "Dann machen wir eben nicht weiter!" - Ich habe einmal kurz gerechnet. Wenn man die 1,2 Milliarden zu Grunde legt, wird das Land Sachsen dadurch mit rund 43 Millionen belastet. Durch das Paket insgesamt wird es mit 300 Millionen begünstigt, und zwar aus den steuerlichen Elementen, ohne Hartz IV

- 24 - 16.12.2003 zi-bo und Ähnliches. Mit anderen Worten: Die Drohung, alles platzen zu lassen, ist im Interesse Ihres Landes unter Umständen etwas leer. Abg. Ortwin Runde: Ich habe, wie viele andere, nicht das Vergnügen oder die Pflicht gehabt, bei der Elefantenrunde dabei zu sein. Ich habe mir aber genau notiert, was vom Bundeskanzler und ergänzend von den Parteivorsitzenden als Ergebnis hier vorgetragen worden ist. Ergebnis ist eindeutig gewesen: Grundfreibetrag, Tarif 16/46 (PStS'n Dr. Barbara Hendricks (BMF): 45! - MP Peter Müller (SL): Mit 46 hätten wir schon einen Teil des Problems gelöst!) - 45! 46 wäre besser gewesen, dann hätten wir es ja hinbekommen - und die 5,3 Milliarden hälftig verteilt. Was Ausgangspositionen ursprünglich gewesen sein mögen - zwei Drittel von 22,8 oder die Hälfte der Vorziehungsstufe von 15,6 auf 2004 -, ist eine ganz andere Frage. Das sind Ausgangspositionen und Interpretations- positionen gewesen. Jedenfalls ist hier klar gesagt worden - das waren ja auch die späteren Aufträge an die Arbeitsgruppen noch im frischen Bewusstsein der Vereinbarung -, das mit Grundfreibetrag 16/45 und den übrigen Finanzierungs- regelungen, was das Tragen angeht, auch zu finalisieren. Herr Milbradt, wenn Sie sich einmal ansehen, in welchem Umfang eine Refinanzierung dieser Steuerentlastung bei den Ländern stattfindet - mit 98,8 % -, dann muss man auch die Kirche im Dorf lassen. StM Dr. Christean Wagner (HE): Herr Vorsitzender, Sie haben vorhin mit liebens- würdigem Unterton darauf hinwiesen, dass ich mich zu Wort gemeldet habe, obwohl ich an den bisherigen Verhandlungen des Vermittlungsausschusses nicht teil- genommen habe. Ich will deshalb mit völliger Unbefangenheit auf etwas hinweisen und daran eine Frage anknüpfen. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom heutigen Tage steht wortwörtlich: Der Vermittlungsausschuss hatte in der Nacht zum Montag beschlossen, die dritte Steuerreformstufe nur zur Hälfte vorzuziehen. Damit werden die Bürger zusätzlich um 7,8 Milliarden Euro entlastet. Der Einkommen- steuersatz sinkt am 1. Januar auf 16 %, der Spitzensteuersatz auf 45 %. Zur Finanzierung sind Privatisierungserlöse von 5,3 Milliarden Euro geplant, die zur Hälfte an die Länder gehen werden.

- 25 - 16.12.2003 zi-bo Das kann ich Ihnen aus der heutigen bundesweiten Presse dutzendfach fast wortwörtlich wieder zitieren. Zweitens. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat mich genau so informiert, bevor ich dies in der Zeitung gelesen habe. Jetzt erfahre ich zu meiner großen Überraschung, dass wir auf der Grundlage der genannten Tarife von 16 und 45 % eine Entlastung nicht von 7,8 sondern von 9 Milliarden haben. Frau Staats- sekretärin, es ist nicht etwa die Unionsseite gewesen, die die bundesweite Presse einseitig und ausschließlich informiert hat, es waren sicherlich beide Seiten. Das ist doch der Punkt, wo die B-Seite plausibel, wie ich finde, und zu Recht nachfragt, wie dieser Dissens zu Stande kommt. Da müssen Sie etwas zur Verlautbarungspolitik Ihrer eigenen Regierung sagen. Abg. Franz Müntefering: Was wir bisher in der Diskussion zumindest schon hin- bekommen haben, ist die Aussage von Herrn Kauder, dass wir heute um 24 Uhr fertig sein wollen. Das ist wichtig. Es ist festzuhalten, dass wir auch fertig sein müssen. Jetzt zur Sache! Ich finde, wir machen es uns an dieser Stelle unnötig schwer. Man rufe sich in Erinnerung, wie es gelaufen ist: Es ging darum, Herr Milbradt und Herr Wulff, dass Sie, als wir zusammensaßen, die Erwartung hatten, dass der Bund den Ländern auch den weitergehenden Anteil gibt. Wir haben gesagt: Dazu gibt es kein Geld. Wir halbieren die Privatisierungserlöse von 5,3, nämlich 2,65. - Sie haben erwidert: Das reicht aber nicht, der Bund muss mehr geben. - Wir haben gesagt: Das geht nicht. - Daraufhin kam die Idee, wir müssten so weit heruntergehen, dass man es finanzieren kann. Die Formel hieß aber nicht, Herr Müller, "halb", sondern "herunter", damit man es finanzieren kann. Daraus entstanden 15 Milliarden. Frau Hendricks ist beauftragt worden, auf der Basis 15 Milliarden zu rechnen. Dann ging es darum, ob man 16/44 machen kann. Frau Hendricks hat gesagt: Das kann man heute Nacht schlecht feststellen, das sind 4 bis 6 Milliarden. - Wir haben gesagt: Das reicht nicht. - Nächster Vorschlag: 16/45. Frau Hendricks ist mit der entsprechenden Nachricht zurückgekommen. Bei Ihnen und bei uns war die Botschaft: Das ist es! Das machen wir! - Niemand hat in jener Situation gesagt: Das ist völlig passgenau, auf den Cent genau die Entlastung. - Alle hatten das Gefühl: Es sind 25, vielleicht auch 26 %, jedenfalls in dieser Größenordnung. Es ist dann nicht darüber gesprochen worden, ob das passgenau ist und bis ins letzte Eck stimmt, Herr Milbradt. Wir haben gesagt, dass es sozial gestaltet sein muss, mit den Konsequenzen, die sich für unten ergeben haben.
