20150123-Regelstudienzeiten

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes zu den Themen Studium und Volksbegehren

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ABGEORDNETENHAUS VON BERLIN – WISSENSCHAFTLICHER PARLAMENTSDIENST –                       Berlin, den 23. Januar 2015 Gutachten über die Folgen einer Streichung des Begriffs „Regelstudienzeit“ aus dem Berliner Hochschulgesetz I. Auftrag Der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin hat aufgrund einer entsprechenden Bitte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion den Wissenschaftlichen Parlamentsdienst mit der Erstellung eines Gutachtens über die Folgen einer ersatzlosen Streichung des Begriffs „Regelstudienzeit“ aus dem Berliner Hochschulgesetz beauftragt. Folgende Fragen sollen erörtert werden: 1. Welche Rechtsfolgen hätte eine ersatzlose Streichung der „Regelstudienzeit“ als Be- griff insbesondere aus dem Abschnitt 3 des Berliner Hochschulgesetzes? 2. Welche Auswirkungen hätte eine solche Streichung insbesondere auf a. die Kapazitätsermittlung und -festsetzung sowie die Festsetzung von Zulassungs- zahlen? b. die Verpflichtung von Hochschulen, für ein studierbares Studium zu sorgen? c. die Verpflichtung von Studierenden, im Regelfall in Vollzeit zu studieren? d. die Hochschulverträge und die durch sie geregelte Mittelverteilung an die Berliner Hochschulen? e. die Förderung von Studierenden nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz? Die Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes sind urheberrechtlich ge- schützt. Die weitere Verarbeitung, Verbreitung oder Veröffentlichung – auch auszugs- weise – ist nur unter Angabe der Quelle zulässig. Jede Form der kommerziellen Nutzung ist untersagt. Seite 1 von 12
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3. Welche rechtlichen Alternativen zur Streichung gibt es, um die negativen Auswirkun- gen des Kriteriums „Regelstudienzeit“ als definierenden Begriff im Berliner Hoch- schulgesetz und weiteren Rechtskontexten in Berlin auf Studierende (insbesondere im- plizit angenommene Verpflichtung zum Vollzeitstudium, Androhung der Zwangsex- matrikulation, sowie: Anreiz für Hochschulen, Studierende jenseits der Regelstudien- zeit zu exmatrikulieren) abzuschaffen? II. Gutachten A. Zu den Fragen 1 und 2 – Rechtsfolgen einer Streichung der Regelstudienzeit aus dem Berliner Hochschulgesetz 1. Zum Begriff und zur Funktion der Regelstudienzeit 1 Das Hochschulrahmengesetz (HRG) enthält zum Begriff und zur Bedeutung der Regelstudienzeit in § 10 Abs. 2 HRG folgende Aussagen: (2) In den Prüfungsordnungen sind die Studienzeiten vorzusehen, in denen ein berufs- qualifizierender Abschluss erworben werden kann (Regelstudienzeit). Die Regelstudien- zeit schließt Zeiten einer in den Studiengang eingeordneten berufspraktischen Tätigkeit, praktische Studiensemester und Prüfungszeiten ein. Die Regelstudienzeit ist maßgebend für die Gestaltung der Studiengänge durch die Hochschule, für die Sicherstellung des Lehrangebots, für die Gestaltung des Prüfungsverfahrens sowie für die Ermittlung und Festsetzung der Ausbildungskapazitäten (§ 29 Abs. 1) und die Berechnung von Studenten- zahlen bei der Hochschulplanung. Der Gesetzgeber hat die Einführung der Regelstudienzeiten damit begründet, die Pla- nung des Lehrangebots in Studienordnungen und Studienplänen einerseits und die Kapa- zitätsermittlung im Zulassungswesen und in der Hochschulplanung andererseits kämen ohne einen Orientierungsrahmen für die Studiendauer in den einzelnen Studiengängen nicht aus; auf diesen Größen müsse auch eine optimale Nutzung der kostspieligen Hoch- 1 In der Fassung vom 19. Januar 1999 (BGBl. I S. 18), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. April 2007 (BGBl. I S. 506). Seite 2 von 12
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2 schuleinrichtungen gründen. Von der Rechtsprechung werden die Regelstudienzeiten als 3 ein Instrument zur Verkürzung der Studiendauer betrachtet. Als Regelstudienzeit bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss sieht § 11 Satz 1 HRG bei Fachhochschulstudiengängen vier Jahre und bei anderen Studiengängen vier- einhalb Jahre vor; darüber hinausgehende Regelstudienzeiten dürfen nur in besonders be- gründeten Fällen festgesetzt werden. Für Bachelorstudiengänge beträgt die Regelstudien- zeit gemäß § 19 Abs. 2 HRG mindestens drei und höchstens vier Jahre, für Masterstudien- gänge gemäß § 19 Abs. 3 HRG mindestens ein und höchstens zwei Jahre, für konsekutive Studiengänge gemäß § 19 Abs. 4 HRG insgesamt höchstens fünf Jahre. Das Berliner 4 Hochschulgesetz (BerlHG) enthält in § 23 Abs. 2 bis 4 der BerlHG entsprechende Rege- lungen für Bachelor- und Masterstudiengänge. Gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BerlHG müssen die Hochschulen des Landes Berlin Prüfungsordnungen erlassen, in denen die fachspezi- fische Regelstudienzeit festgesetzt wird. 2. Die Kompetenz des Berliner Gesetzgebers zum Verzicht auf Regelstudienzeiten Fraglich erscheint, ob der Berliner Gesetzgeber die Kompetenz hat, den Begriff der Regelstudienzeit aus dem Hochschulrecht des Landes Berlin zu streichen. Die Regel- studienzeit im Sinne des § 10 Abs. 2 HRG stellt eine bundesrechtliche, verbindliche Vor- gabe für das Hochschulrecht der Länder dar. Zwar hat der Bund gegenwärtig keine Befugnis mehr für eine Rahmengesetzgebung auf dem Gebiet des Hochschulrechts, da 5 Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a des Grundgesetzes , der dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz zur Regelung der allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens einräumte, im Zuge der 6 Föderalismusreform aufgehoben worden ist. Das Hochschulrahmengesetz gilt aber nach Maßgabe von Art. 125a Abs. 1 GG trotz der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes fort. In Bezug auf Gesetzgebungsmaterien, für die das Bundesrecht insoweit weiter gilt, können die Länder gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG neue Regelungen treffen. Sie 2 BT-Drs. 7/1328, S. 42. 3 VGH Mannheim, NJW 1976, S. 1706; Bay VGH, DVBl. 1989, S. 105, 109; vgl. auch BVerwG, NVwZ-RR 1990, S. 79, 80. 4 Gesetz über die Hochschulen im Land Berlin in der Fassung vom 26. Juli 2011 (GVBl. S. 378). 5 Vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478). 6 Durch Gesetz vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034). Seite 3 von 12
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müssen dabei aber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zumindest ab- 7 grenzbare Teilbereiche regeln und dürfen nicht lediglich einzelne Vorschriften ersetzen. Es ist fraglich, welche Folgerungen sich hieraus für Materien aus dem Bereich der Rahmengesetzgebung ziehen lassen, bei der die Länder bereits nach der früheren Rechts- lage berufen waren, den bundesrechtlich vorgegebenen Rahmen mit eigenen Gesetzen auszufüllen. Jedenfalls haben die Regelstudienzeiten nach der jetzigen Rechtslage eine so umfassende Bedeutung für die Ordnung des Studiums, dass ein Verzicht auf sie allein aus praktischen Erwägungen umfassende Neuregelungen durch den Berliner Gesetzgeber erforderlich machen dürfte. 3. Auswirkungen auf die Kapazitätsermittlung und Kapazitätsfestsetzung sowie auf die Festsetzung von Zulassungszahlen Die Regelstudienzeit ist gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 HRG maßgebend für die Ermittlung und Festsetzung der Ausbildungskapazitäten und die Berechnung von Studentenzahlen bei der Hochschulplanung. Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 HRG ist bei der Berechnung der Aus- bildungskapazitäten die für den jeweiligen Studiengang festgesetzte Regelstudienzeit zu- grunde zu legen. Man geht hierbei von der Fiktion aus, dass alle Studierenden ihr Studium in der Regelstudienzeit tatsächlich beenden können. Die Überschreitung von Regel- studienzeiten durch bereits zugelassene Studierende hat daher keinen Einfluss auf die 8 Festsetzung der Zulassungszahlen. Es soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers kein Studienplatzbewerber abgewiesen werden, weil bereits zugelassene Bewerber die vorge- 9 sehenen Studienzeiten überschreiten. Die Regelstudienzeit ist in diesem Zusammenhang Indikator für die studentische Nachfrage nach Lehrleistungen pro Studiengang, da das 10 Studiendeputat in Abhängigkeit von der Regeldauer des Studiengangs steht. Die Berech- nung der Studentenzahlen bei der Hochschulplanung, die ebenfalls von den Regelstudien- zeiten ausgeht, erfolgt fiktiv, also nicht auf der Grundlage einer Prognose über die tatsäch- 11 lichen Zahlen. 7 BVerfGE 111, 10, 30 zu Art. 125a Abs. 2. 8 Epping, in: Hailbronner/Geis (Hrsg.), Hochschulrecht in Bund und Länder, Kommentar, Stand 2014, § 10 Rn. 27; vgl. Reich, Hochschulrahmengesetz, Kommentar, 11. Aufl. 2012, § 10 Rn. 11; OVG Münster, Wissenschaftsrecht 1976, S. 265. 9 Großkreutz, in: Hailbronner/Geis (Fn. 8), § 29 Rn. 7; Reich (Fn. 8), § 29 Rn. 3. 10 Großkreutz (Fn. 9), § 29 Rn. 7. 11 Reich (Fn. 8), § 10 Rn. 12. Seite 4 von 12
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Aus den Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes folgt, dass die Regelstudienzeiten für die Vorschriften zur Hochschulzulassung auf Landesebene von maßgeblicher Bedeutung sind. Die Zulassungszahlen gemäß § 2 Abs. 1 der Berliner Kapazitäts- 12 verordnung (KapVO) orientieren sich an den einzelnen Studiengängen. Ein Studiengang 13 im Sinne der Hochschulzulassungsverordnung (BerlHZVO) ist ein Studium, das (neben anderen Kriterien) innerhalb einer bestimmten Regelstudienzeit erfolgt. Vor der Festsetzung der Zulassungszahl ist gemäß § 3 Abs. 1 KapVO zu prüfen, ob die Möglichkeiten zur Nutzung der Ausbildungskapazität ausgeschöpft worden sind. Die Ausbildungskapazität ergibt sich durch Multiplikation der Aufnahmekapazität mit der 14 Regelstudienzeit. Ein Verzicht auf die Festsetzung von Regelstudienzeiten würde dazu führen, dass neue Maßstäbe für die Bestimmung von Studiengängen und Ausbildungskapazitäten gefunden werden müssten. 4. Auswirkungen auf die Verpflichtung der Hochschulen, für ein studierbares Studium zu sorgen Eine Verpflichtung der Hochschulen, für ein studierbares Studium zu sorgen, ergibt sich aus § 21 Abs. 2 und § 22 Abs. 2 Nr. 2 BerlHG. Nach § 21 Abs. 2 BerlHG gewähr- leisten die Hochschulen, dass die Studierenden die in § 21 Abs. 1 BerlHG enthaltenen Studienziele im Rahmen der jeweils vorgegebenen Regelstudienzeiten erreichen können. Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 2 BerlHG haben die Hochschulen Studiengänge und Prüfungen so zu organisieren und einzurichten, dass sämtliche Studien- und Prüfungsleistungen inner- halb der Regelstudienzeit erbracht werden können. Diese Regelungen haben zur Folge, dass der jeweilige Studieninhalt von den Hochschulen nicht beliebig ausgedehnt werden darf, sondern sich in einem Umfang halten muss, der in der Regelstudienzeit zu bewäl- tigen ist. Ein Ausufern des Studienumfangs wird dadurch im Interesse der Studierenden 15 begrenzt. 12 Verordnung über die Kapazitätsermittlung, die Curricularnormwerte und die Festsetzung von Zulassungszahlen vom 10. Mai 1994 (GVBl. S. 186), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Mai 2003 (GVBl. S. 181). 13 Verordnung zur Regelung der Zulassung in zulassungsbeschränkten Studiengängen durch die Hochschulen des Landes Berlin vom 4. April 2012 (GVBl. S. 111), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Juni 2013 (GVBl. S. 198). 14 Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 2003, § 2 Kap VO Rn. 2. 15 Epping (Fn. 8), § 10 Rn. 17; Reich (Fn. 8), § 10 Rn. 8 (S. 164); vgl. Lindner, in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht, 2. Aufl. 2011, S. 568. Seite 5 von 12
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Ein Verzicht auf Regelstudienzeiten und die damit verbundene Begrenzung der Studien- und Prüfungsleistungen könnte daher theoretisch zur Folge haben, dass die Hochschulen den jeweiligen Studienumfang um weitere Studieninhalte erweitern, deren Vermittlung sie für die berufliche und wissenschaftliche Ausbildung der Hochschulab- solventen für sinnvoll ansehen; dies wiederum könnte eine Überforderung der Studierenden zur Folge haben. 5. Auswirkungen auf die Verpflichtung der Studierenden, im Regelfall in Vollzeit zu studieren Ein Vollzeitstudium wird vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich eingefordert. Weder das Hochschulrahmengesetz noch das Berliner Hochschulgesetz enthalten Vorschriften, die eine subjektive Pflicht der Studierenden zu einem solchen Studium festsetzen. Allerdings setzt die Regelstudienzeit praktisch ein Vollzeitstudium voraus. Hierbei widmet sich der Student im Wesentlichen seinem Studium und geht nicht einer Erwerbstätigkeit oder einer 16 persönlichen Verpflichtung nach. Die Regelstudienzeit ist darauf ausgerichtet, dass ein normal befähigter Studierender, der sich zeitlich voll auf sein Studium konzentriert, den von ihm gewählten Studiengang im Rahmen der Regelstudienzeit abschließen kann. Das Leitbild des Vollzeitstudiums liegt offensichtlich auch § 9 Abs. 3 BerlHG zugrunde, wo- nach alle Studierenden verpflichtet sind, das Studium an den Studien- und Prüfungsord- nungen (die gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 BerlHG die fachspezifische Regelstudienzeit be- 17 stimmen) zu orientieren. Dementsprechend gehen die Hochschulen grundsätzlich davon aus, dass die an ihnen eingeschriebenen Studierenden ein Vollzeitstudium betreiben. So erklärt § 9 Abs. 1 der Allgemeinen Satzung für Studien- und Prüfungsangelegenheiten der 18 Humboldt-Universität ausdrücklich: „Das Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin ist regelmäßig ein Vollzeitstudium.“ Dabei ist aber zu beachten, dass das Voll- zeitstudium nur ein Orientierungsmodell für die Ausrichtung des Studiums darstellt. Eine konkrete Pflicht zum Vollzeitstudium wird für den einzelnen Studierenden hierdurch nicht 19 rechtsverbindlich vorgeschrieben. 16 Reich (Fn. 8), § 11 Rn. 1. 17 Vgl. auch § 22 Abs. 5 BerlHG, in dem der Gesetzgeber in Abgrenzung zu dem offenbar als Ausnahme angesehenen Teilzeitstudium den Begriff des „Vollzeitstudiengangs“ verwendet. 18 Amtl. Mitteilungsblatt der HU 2007, Nr. 1, S. 5. 19 Reich (Fn. 8), § 10 Rn. 7; Rottmann/Jedding, in: Nolden/Rottmann/Brinktrine/Kurz (Hrsg.), Sächsisches Hochschulgesetz, Kommentar, 2011, S. 173; Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 348. Seite 6 von 12
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Als Ergänzung zum Modell des Vollzeitstudiums sieht das Berliner Hochschulgesetz auch die Möglichkeit eines Teilzeitstudiums vor. Gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 BerlHG haben die Hochschulen Studiengänge so zu organisieren und einzurichten, dass ein Teil- zeitstudium möglich wird. § 22 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 bis 7 BerlHG enthält Fälle, in denen ein solches Studium zulässig ist. Es handelt sich hierbei jeweils um die Berücksichtigung besonderer Lebensumstände, die ein Vollzeitstudium schwierig oder unmöglich machen. Daneben sollen die Hochschulen gemäß § 22 Abs. 5 BerlHG Teilzeitstudiengänge ein- richten, die ein Studium neben dem Beruf ermöglichen. Bei einem Verzicht auf Regelstudienzeiten entfiele der zeitliche Rahmen für Studien- gänge. Der Begriff „Studiengang“ würde sich damit inhaltlich verändern. Das Studium könnte dann zeitlich weiter gestreckt werden und müsste daher nicht mehr notwendigerweise als Vollzeitstudium betrieben werden. Allerdings wären hierdurch Entwicklungen möglich, die bei stark nachgefragten Studienfächern zu einer Überfüllung der jeweiligen Studiengänge führen könnten. 6. Auswirkungen auf die Hochschulverträge Eine Prüfung anhand der zwischen dem Land Berlin und der Freien Universität Berlin sowie der Humboldt-Universität zu Berlin für die Jahre 2014 bis 2017 geschlossenen Verträge ergibt Folgendes: Ein Wegfall der Regelstudienzeiten würde das leistungsbasierte Finanzierungssystem gemäß § 1 Abs. 1 der Verträge berühren. Denn bei den Eckpunkten der leistungsbasierten Hochschulfinanzierung wird man als Indikator auch die Anzahl der Studierenden inner- halb der Regelstudienzeit berücksichtigen müssen. Ferner ist die Regelstudienzeit ein Fak- tor bei der Kapazitätsplanung der Hochschulen (vgl. II. A. 3. des Gutachtens). Ihr Wegfall würde daher die Verpflichtung zur Haltung der Aufnahmekapazität aus § 5 Abs. 1 der Verträge tangieren. Diese Auswirkungen könnten eine neue Auslegung der Verträge ge- mäß § 23 notwendig machen. Eventuell könnte eine Anpassung an die veränderte Situati- 20 on entsprechend den Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB ) an- gebracht sein. 20 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 S. 738), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Juli 2014 (BGBl. I S. 1218). Seite 7 von 12
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7. Auswirkungen auf die Förderung der Studierenden nach dem Bundesausbildungs- förderungsgesetz 21 Nach § 15a Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) entspricht die Förderungshöchstdauer der Regelstudienzeit gemäß § 10 Abs. 2 HRG oder einer ver- gleichbaren Festsetzung. Die Möglichkeit vergleichbarer Festsetzungen betrifft gegenwärtig ausländische Hochschulen oder private Einrichtungen, die keine 22 Hochschulen im Sinne des Hochschulrahmengesetzes sind.           Eine Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus wird in den Fällen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 BAföG für eine angemessene Zeit geleistet. Eine Streichung der Regelstudienzeit hätte zur Folge, dass der Berliner Gesetzgeber eine andere Festsetzung der Studiendauer im Sinne des § 15a Abs. 1 BAföG treffen müsste, da ansonsten das Berufsausbildungsförderungsgesetz auf die Studierenden in Berlin nicht angewendet werden könnte. 8. Auswirkungen auf die Akkreditierung von Studiengängen Es bestehen ländergemeinsame Strukturvorgaben für die Akkreditierung von 23 Bachelor- und Masterstudiengängen. Gemäß A. 1. 3 dieser Vorgaben betragen die Regelstudienzeiten für ein Vollzeitstudium sechs, sieben oder acht Semester für die Bachelorstudiengänge und vier, drei oder zwei Semester für die Masterstudiengänge. Bei konsekutiven Studiengängen beträgt die Gesamtregelstudienzeit im Vollzeitstudium fünf Jahre (zehn Semester). Die Strukturvorgaben, also auch die Vorgaben über die Regelstudienzeiten, sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer 24 Stiftung „Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland“                den Akkreditierungsagenturen verbindlich vorzugeben. Die Berücksichtigung dieser Vorgaben ist Teil der Vereinbarung, die die Stiftung gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes mit den einzelnen Akkreditierungsagenturen schließt. Würden die Berliner Hochschulen 21 Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung in der Fassung vom 7. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1952, 2012 S. 197), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2475). 22 Ramsauer/Stallbaum, BAföG, Kommentar, 5. Aufl. 2014, § 15a Rn. 7. 23 Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10. Oktober 2003 in der Fassung vom 4. Feb- ruar 2010; vgl. hierzu May/Mülke, in: Hailbronner/Geis (Fn. 8), § 19 Rn. 21; Herrmann, in: Knopp/Peine (Hrsg.), Brandenburgisches Hochschulgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2012, § 17 Rn. 19. 24 Vom 15. Februar 2005 (GVBl. NRW S. 45), geändert durch Gesetz vom 13. März 2008 (GVBl. NRW S. 195). Seite 8 von 12
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Studiengänge ohne die Angabe von Regelstudienzeiten zur Akkreditierung einreichen, könnte dies wegen der Nichtbeachtung der Strukturvorgabe aus A. 1. 3 des KMK- Beschlusses zu erheblichen Schwierigkeiten führen. B. Zu Frage 3 – Vermeidung der negativen Auswirkungen von Regelstudienzeiten Die Einführung von Regelstudienzeiten war eine Reaktion der Hochschulpolitik auf 25 die stark angestiegene Zahl der Studierenden. Die gesetzlichen Regelungen über Regelstudienzeiten erfolgten in Umsetzung der entsprechenden hochschulpolitischen Ziel- setzungen. Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung, die diese Vorgaben für Stu- dierende und Hochschulen haben, müsste ihre Änderung und eine Korrektur ihrer Auswirkungen ebenfalls im Rahmen einer hochschulpolitischen Neuorientierung angestrebt werden. Neue rechtliche Regelungen wären dann die Folge von entsprechenden politischen Entscheidungen. Das vorliegende Gutachten kann jedoch solche Entscheidungen nicht ersetzen. Daher können im Folgenden lediglich einige Anmerkungen zu den in Frage 3 angesprochenen Auswirkungen auf die Studierenden gemacht werden. 1. Vollzeitstudium Gesetzgeber und Hochschulen gehen davon aus, dass grundsätzlich ein Vollzeitstu- dium durchgeführt wird (vgl. II. A. 5. des Gutachtens). Eine rechtliche Verpflichtung der Studierenden zu einem solchen Studium resultiert daraus nicht. Ein großer Teil der Stu- dierenden wird aber ein Vollzeitstudium absolvieren. Man kann nicht zwingend an- nehmen, dass dies von allen als Problem empfunden wird. Viele Studierende werden es durchaus als sinnvoll ansehen, ihre gesamte Zeit dem Studium zu widmen, um dadurch ihre Ausbildung zügig abschließen und eine Berufstätigkeit aufnehmen zu können. Eine Alternative zum Vollzeitstudium stellt das Teilzeitstudium gemäß § 22 Abs. 4 und 5 BerlHG dar. § 22 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 bis 5 BerlHG enthält die Fälle, in denen die Hochschulen den Studierenden ein solches Studium ermöglichen müssen. § 22 Abs. 5 BerlHG, der die Möglichkeit eines Teilzeitstudiums neben dem Beruf betrifft, ist dagegen eine Soll-Vorschrift. Bei einer solchen Vorschrift sind die Behörden im Regelfall zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet und dürfen nur in Ausnahmefällen davon 25 Vgl. Roellecke, in: Kewenig/Pestel/Roellecke, Regelstudienzeit und Studienreform, 1979, S. 18. Seite 9 von 12
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26 absehen.     Überträgt man diese Erwägungen auf die gesetzliche Regelung zum Teilzeitstudium in § 22 Abs. 5 BerlHG, wären die Hochschulen nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich verpflichtet, Studiengänge einzurichten, die ein Studium neben dem Beruf ermöglichen. Will der Gesetzgeber die Option eines Teilzeitstudiums noch zusätzlich erweitern, so kann er entsprechende Ergänzungen im Berliner Hochschulgesetz vornehmen. Bei einer Entscheidung über eine solche Neuregelung müsste allerdings der zusätzliche finanzielle und organisatorische Aufwand der Hochschulen hinreichend berücksichtigt werden. Auch wäre zu prüfen, ob tatsächlich ein entsprechender Bedarf besteht. 2. Exmatrikulation Ein Bezug der Überschreitung von Regelstudienzeiten zur Exmatrikulation besteht durch § 15 Satz 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 3 BerlHG. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BerlHG kann die Rahmenstudien- oder Prüfungsordnung einer Hochschule vorsehen, dass Studierende an einer Studienfachberatung teilnehmen müssen, wenn sie nach Ablauf der halben Regelstudienzeit weniger als ein Drittel der zu erbringenden Leistungspunkte er- reicht haben. Kommt als Ergebnis der Beratung keine Vereinbarung über den weiteren Studienverlauf zustande, kann der Studierende gemäß § 28 Abs. 3 Satz 4 BerlHG ver- pflichtet werden, innerhalb einer festzulegenden Frist bestimmte Studien- und Prüfungs- leistungen zu erbringen. Studierende, die der Pflicht zur Teilnahme an einer Studienfach- beratung nicht nachgekommen sind, werden gemäß § 15 Satz 3 Nr. 1 a BerlHG exmatri- kuliert. Das gleiche gilt gemäß § 15 Satz 3 Nr. 1 b BerlHG für Studierende, die die An- forderungen aus einer Studienvereinbarung oder einer Verpflichtung gemäß § 28 Abs. 3 Satz 4 BerlHG bis zum festgelegten Zeitpunkt zu weniger als einem Drittel erfüllt haben. Innerhalb des Regelungszusammenhangs, der gemäß den §§ 15 Satz 3 Nr. 1, 28 Abs. 3 BerlHG die Voraussetzungen für eine Exmatrikulation behandelt, stellt die Überschrei- tung der Regelstudienzeit somit nur ein einzelnes Element dar. Sie lässt sich als Teil eines Kausalverlaufs betrachten, der unter Umständen mit der Exmatrikulation endet, aber von dem Betroffenen auch zu seinen Gunsten gesteuert werden kann. Daher ist es nicht zu- treffend, die Exmatrikulation als zwangsläufige Folge einer Überschreitung der Regel- studienzeit anzusehen. 26 Vgl. BVerwGE 49, 16, 23; 90, 88, 93. Seite 10 von 12
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