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Information

Aktenzeichen
5 A 33/11
Datum
26. Juni 2013
Gericht
Verwaltungsgericht Braunschweig
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Braunschweig am 26. Juni 2013

5 A 33/11

Es besteht kein Anspruch auf Zugang zu Messergebnissen, die die beklagte Physikalisch-Technische Bundesanstalt im Rahmen von Testfahrten gewonnen hat. Das Gericht begründet dies mit dem entgegenstehenden Schutz geistigen Eigentums, und zwar insbesondere im Hinblick auf Tätigkeiten aus dem Bereich der Wissenschaft und Forschung. Die Testergebnisse fallen unter den Schutz der Wissenschaftsfreiheit. Dies gilt auch dann, wenn die Anstalt mit den Testreihen nicht ausschließlich einen wissenschaftlichen Ansatz verfolgt hat, sondern auch die Zulassung eines Messgeräts geprüft hat. (Quelle: LDA Brandenburg)

Urheberrecht

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VERWALTUNGSGERICHT BRAUNSCHWEIG Az.:    5 A 33/11                         verkündet am 26.06.2013 Hübner, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle IM NAMEN DES VOLKES URTEIL In der Verwaltungsrechtssache des A., Klägers, Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Abshoff Poststraße 8 87435 Kempten, Tel.-Nr.: 0831 - 51 11 33, Fax-Nr.: 0831 - 51 11 34 B. - Rechtsanwälte Hamm und andere Königsgraben 17 87700 Memmingen, Tel.-Nr.: 08331 925990, Fax-Nr.: 08331 9259925 gegen die Physikalisch-Technische Bundesanstalt vertreten durch den Präsidenten, Bundesallee 100, 38116 Braunschweig, - C. - Beklagte, Streitgegenstand:   Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer - auf die mündliche Verhand- lung vom 26. Juni 2013 durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht
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-2- Schlingmann-Wendenburg, den Richter am Verwaltungsgericht Brölsch, den Richter Giesel, sowie die ehrenamtlichen Richterinnen D. und E. für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages ab- wenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt. Tatbestand Der Kläger begehrt den Zugang zu Messergebnissen, die die Beklagte bei Testfahrten gewonnen hat. Vom 30. August 2010 bis zum 5. September 2010 führte die Beklagte in F. eine Test- veranstaltung durch. Thematisch behandelten die Tests Probleme, die bei Geschwin- digkeitsmessungen mit Videonachfahrsystemen auf Motorrädern in Schräglage – im Folgenden: Schräglagenproblematik – auftreten. Die Beklagte verwendete dabei das Videonachfahrsystem ProVioa 2000. Der Kläger ist als Sachverständiger für Gerichte tätig und befasst sich schwerpunktmäßig mit Unfallanalysen und Fahrzeugtechnik. Am 4. Oktober 2010 beantragte er bei der Beklagten, ihm eine Abschrift der Messergeb- nisse zukommen zu lassen. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2010 lehnte sie seinen An- trag mit der Begründung ab, die gewonnenen Testergebnisse seien Teil eines For- schungsprozesses. Es handele sich um unmittelbare Vorbereitungshandlungen für eine geplante Veröffentlichung. Am 7. und 8. September 2010 tagte der von der Vollversammlung für das Eichwesen eingesetzte Arbeitsausschuss „Geschwindigkeitsmessgeräte“ der Beklagten und be- -3-
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-3- fasste sich unter anderem mit der Schräglagenproblematik. In diesem Zusammenhang stellte ein Mitarbeiter eine Grobauswertung der Testergebnisse vor. Am 7. Oktober 2010 erließ die Beklagte die 2. Neufassung der Bauartzulassung 18.03/97.07 vom 8. Juli 1997 – im Folgenden: 2. Neufassung – für das Geschwindig- keitsmessgerät ProVioa 2000. Unter Punkt 4.1.1 der 2. Neufassung heißt es wörtlich: „Im Betrieb mit einem Motorrad dürfen Messungen mit Schräglage (auf kurvigen Stre- cken) nicht verwendet werden. Mit E-Mail vom 12. November 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut, ihm die gewonnenen Messergebnisse aus der Testveranstaltung in F. zu überlassen. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 12. November 2010 mit Bescheid vom 29. November 2010 ab. Sie verwies hierzu auf die Begründung des Bescheides vom 5. Oktober 2010. Darüber hinaus berief sie sich auf den Schutz des § 4 Informati- onsfreiheitsgesetz (IFG). Sie führte im Wesentlichen aus, erst bei der geplanten Veröf- fentlichung werde sie, im Rahmen ihres gesetzlichen Forschungsauftrages, bekannt geben, wie sie sich zu der Schräglagenproblematik entschieden habe. Bei der Erfül- lung ihrer Aufgaben sei sie der Allgemeinheit verpflichtet und könne infolgedessen vor- bereitende Erkenntnisse prinzipiell nicht vor einer allgemeinen Veröffentlichung an Drit- te weitergeben. Dies beinhalte auch, die Entscheidungsfindung darüber zu schützen, ob in den Forschungsergebnissen erfindungs- oder patentrechtlich relevante Aspekte enthalten seien, die vor einer Veröffentlichung rechtlich abgesichert werden müssten. Die genannten Gründe seien nicht mit dem Erlass der 2. Neufassung weggefallen. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2010 legte der Kläger Widerspruch gegen den Be- scheid vom 29. November 2010 ein. Er trug hierzu im Wesentlichen vor, sein Antrag berühre nicht den Prozess der Willensbildung. § 4 IFG schütze nicht die Grundlagen der Entscheidungsfindung, d.h. die Fakten und die Sachverhaltsdarstellung und nicht die Entscheidung selbst. Der Verweis auf eine Entscheidung vom 5. Oktober 2010 sei hinfällig, da die Beklagte mit der 2. Neufassung bereits entschieden habe. Mit dieser Neufassung könne das Messverfahren weiter als Messgrundlage für die Verurteilungen von Betroffenen dienen. Eine weitere Entscheidung stehe diesbezüglich nicht an. § 4 -4-
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-4- IFG sehe eine „unmittelbare Vorbereitung“ und damit eine zeitliche Einschränkung vor. Seit der Messveranstaltung in F. sei fast ein halbes Jahr vergangen und es sei nicht abzusehen, wann mit einer Veröffentlichung gerechnet werden könne. In der Arbeits- ausschusssitzung am 8. September 2010 habe eine Veröffentlichung mit einer Gro- bauswertung stattgefunden. Eine Meinungsbildung habe deshalb bereits stattfinden können, da ansonsten die 2. Neufassung der Bauartzulassung nicht zu erklären sei. Messergebnisse allein könnten keine Grundlage für erfindungs- oder patentrechtliche Ansprüche sein, dies treffe lediglich auf die Lösung eines Problems zu; eine Lösung sei jedoch nicht angefragt worden. Der Ablehnungsbescheid nehme keinen Bezug darauf, wer gegebenenfalls patentrechtliche Ansprüche geltend machen könne bzw. wer an einer Lösung interessiert sei. Obwohl die Beklagte vortrage, dass der Sachverhalt bzgl. der Schräglagenproblematik nicht abschließend geklärt sei, was die Frage nach § 25 a Eichordnung (EichO) aufwerfe, werde ein Messverfahren geeicht und zur Messung zugelassen. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers überwiegend und auch im Hinblick auf die beantragten Messergebnisse zurück. Sie wiederholte ihr Vorbringen aus dem ablehnenden Bescheid vom 29. No- vember 2010 und führte ergänzend im Wesentlichen aus, ein Anspruch des Klägers auf Informationszugang nach dem IFG würde der in Artikel 5 Absatz 3 des Grundge- setzes (GG) geschützten Wissenschaftsfreiheit zuwiderlaufen. Danach stehe ihr das Recht zu, über die Bewertung und Verbreitung ihrer mit erheblichem Aufwand generier- ten Forschungsergebnisse selbst entscheiden zu können. Die Entscheidung über eine in der Fachöffentlichkeit zu führende oder eben nicht zu führende Diskussion von For- schungsergebnissen sei nach der Rechtsprechung als zentrales Element der For- schung anzusehen. Wenn sie die Forschungsergebnisse vor einer Veröffentlichung herauszugeben hätte, werde ihr die Möglichkeit genommen, diese wissenschaftlich geordnet zu verteidigen. Es könne dann nicht ausgeschlossen werden, dass Teiler- gebnisse aus dem Zusammenhang herausgerissen und falsch dargestellt werden wür- den. Die angeforderten Unterlagen hätten keinen Bezug zur Zulassung des Gerätes Pro Vida 2000 und seien daher nicht Bestandteil der Zulassungsakte zu diesem Gerät. Die in der 2. Neufassung enthaltende Änderung betreffe nicht das Messverfahren, sondern nur dessen Anwendung in der Praxis. Es bestünden keine Fragen im Hinblick auf § 25 a EichO. Die fachlich ungeklärte Schräglagenproblematik unterfalle nach den Formulierungen in der 2. Neufassung eindeutig nicht der Bauartzulassung. Die begehr- -5-
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-5- ten Unterlagen berührten ihre Meinungsbildung. Sie seien von der beschriebenen Ent- scheidungsfindung nicht abgrenzbar. Die Besprechung am 8. September 2010 sei Teil einer vorbereitenden Maßnahme im Rahmen des Forschungsvorhabens gewesen und stelle keine Veröffentlichung von Ergebnissen dar. Es sei nicht relevant, wer gegebe- nenfalls patenrechtliche Ansprüche geltend machen könne. Es gehe darum, dass sie sich vorbehalte, Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten zum Patent anzumelden. Das Herausgabeverlangen sei auch nach § 3 Nr. 3b) IFG abzulehnen. Der Anspruch nach § 1 Absatz 1 IFG werde zwar voraussetzungslos gewährt, er werde jedoch – neben den immanenten Schranken des IFG – durch die Grundsätze der unzulässigen Rechtsaus- übung begrenzt. Davon sei etwa dann auszugehen, wenn ein Rechtsanspruch offen- sichtlich ohne nachvollziehbare Motive verfolgt werde. Am 27. Februar 2011 hat der Kläger Klage erhoben. Hierzu wiederholt er seine Ausfüh- rungen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt er im Wesentlichen vor, die Beklagte betreibe Wissenschaft nur im Rahmen ihrer Zulassungstätigkeit, was bedeu- te, dass auch die Messungen im Rahmen dieser Tätigkeit erfolgt seien. Es sei lediglich ein bereits zugelassenes Messverfahren überprüft worden. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 5 Abs. 3 GG könnten alle Daten von der Beklagten geheim gehalten werden. Die später erfolgte Veröffentlichung sei deshalb nicht als primäres Ziel einer wissen- schaftlichen Tätigkeit zu werten, sondern als ein Nebenprodukt der Zulassungstätig- keit. Bei der Interessenabwägung des Art. 5 Abs. 3 GG sei zu berücksichtigen, dass das Messgerät ProVioa 2000 bereits mehrere Jahre im Betrieb gewesen sei, bevor die Schräglagenproblematik durch einen Sachverständigen bekannt geworden sei. Er selbst habe sich auch mit diesem Problem befasst und sei zu der Auffassung gelangt, dass sich die Problematik auch bei Geradeausfahrten stelle. Diese Annahme würden auch die Messergebnisse bestätigen. Es handele sich nicht um ein allgemeines Prob- lem, da es seines Wissens kein anderes Geschwindigkeitsmessgerät für Motorräder gebe als das ProVioa. Sein Interesse an den Messergebnissen gehe dem Interesse der Beklagten, ihre Forschungsarbeiten zu veröffentlichen, vor. Nur mit den angefor- derten Messergebnissen könne gezeigt werden, dass die Erkenntnisse der Grobaus- wertung fehlerhaft seien. Sie würden zeigen, dass bei der Überprüfung entweder eine falsche Messanordnung gewählt worden sei oder gar keine Erkenntnisse zur Gerade- ausfahrt vorlägen. Dem Messverfahren werde die Zulassung nach § 25 a EichO nicht entzogen, obwohl bekannt sei, dass die Eich- und Verkehrsfehlergrenzen nicht einge- halten werden könnten. Hier sei ein im PKW verbautes System ohne weitere Prüfung -6-
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-6- auf ein Motorrad übertragen worden. Eine völlig andere Fahrdynamik sei dabei nicht beachtet worden. Für „Gemessene“ sei keine Rechtssicherheit mehr gegeben. Das Messverfahren genieße den Schutzschirm eines standardisierten Verfahrens, was die Prüfung eines Betroffenen bei Gericht erheblich einschränke. Fehlmessungen könnten möglicherweise Fehlurteile bei Gericht nach sich ziehen. Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 29. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2011 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Messergebnisse aus der Testveranstaltung in F. in der Kalenderwoche 35/2010 zur Verfügung zu stellen, Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergän- zend trägt sie im Wesentlichen vor, bei einem Zulassungsverfahren bringe der Herstel- ler ein bestimmtes Gerät zu ihr, welches dann z. B. im Hinblick auf die Messgenauig- keit und Streubreite geprüft werde. Bei der Testveranstaltung in F. habe es sich darum gehandelt, dass ein grundsätzlich bestehendes messtechnisches Problem unabhängig von einem bestimmten Gerät erkannt worden sei und einer Lösung habe zugeführt werden sollen. Ihr wissenschaftlicher Auftrag sei lediglich durch die Thematik begrenzt. Wenn sie die Messdaten vorher bekannt gäbe, vereitele dies den Erfolg einer Veröf- fentlichung, in der Praxis entstandene messtechnische Fragen zu klären und damit Rechtsicherheit zu schaffen. Es sei zu erwarten, dass die auf Fragmenten beruhende, unzutreffende Bewertung des Klägers Eingang in Gerichtsverfahren finden und zu Rechtsunsicherheit bzw. fehlerhaften Entscheidungen führen werde. Sie würde dann, ohne sich zuvor eine mit Daten belegte, abschließende Meinung bilden zu können, von Gerichten und Sachverständigen aufgefordert werden, die klägerischen Wertungen zu kommentieren oder zu bewerten. Dem Kläger bleibe es unbenommen, nachdem die geplante Veröffentlichung erschienen sei, dort enthaltene Fehler nachzuweisen. Das Motiv des Klägers, zu zeigen, dass ihre Erkenntnisse aus der Grobauswertung falsch seien, könne nicht im Wege einer Abwägung ihren berechtigten und gesetzlich ge- -7-
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-7- schützten Interessen vorgehen. Es fehle nicht an einer Unmittelbarkeit im Sinne von § 4 Absatz 1 Satz 1 IFG. Der Beratungsgegenstand lasse sich hier nicht vom Beratungs- prozess trennen und werde daher auch vom Schutzzweck des § 3 Nr. 3 b) IFG erfasst. Einer Herausgabe der begehrten Messdaten stehe auch § 6 Satz 1 IFG entgegen, weil sie zu einer Verletzung ihres Urheberrechts führen würde und damit dem Schutz geis- tigen Eigentums widerspräche. Die Beklagte sei eine Ressortforschungseinrichtung des Bundes. Nach der amtlichen Begründung des IFG solle § 6 Satz 1 IFG die wissen- schaftliche Tätigkeit von Forschungseinrichtungen schützen. Die Beklagte hat in der Zeitschrift „pvt – Polizei, Verkehr, Technik“ (pvt) einen Beitrag zur Schräglagenproblematik veröffentlicht. Der erste Teil des Artikels ist in der Ausga- be 3/2012, der zweite Teil in der Ausgabe 4/2012 erschienen. Der Kläger führt ergänzend aus, die Beklagte habe inzwischen veröffentlicht. Spätes- tens zu diesem Zeitpunkt sei die Klageerwiderung hinfällig. Bei den begehrten Mess- werten handele es sich um aneinandergereihte Zahlen, welche keinen Urheberrechts- schutz genössen. Die Beklagte habe zunächst damit geworben, dass es zu der Schräglagenproblematik patentierte Konzepte gäbe. Auf seine Nachfrage habe sie ihm dann mitgeteilt, es gäbe hierzu gar kein Patent. Er bezweifle, ob überhaupt ein Patent angemeldet worden sei. Die Auffassung der Beklagten zur Schräglagenproblematik sei fachlich erwiesenermaßen falsch. Sie verweigere es, die Messdaten herauszugeben, da ansonsten die Videomesssysteme der Polizei auf Krafträdern zum Erliegen ge- bracht werden würden. Die Polizei hätte dann bundesweit etwa 3,5 Millionen Euro um- sonst für ein Messsystem ausgegeben. Die Beklagte sei gutachterlich bei Gericht tätig und nehme in diesem Zusammenhang Stellung zu Messgeräten, die sie geprüft und zugelassen habe. Sie sei selbst an Lizenzgebühren der von ihr zugelassenen Geräte beteiligt. Sie wolle daher verhindern, dass Messdaten herausgegeben werden. Sie schaffe sich ein eigenes abgeschlossenes „Arbeitsspielfeld“ mit einem eingeforderten Anspruch auf Akzeptanz bei Gericht. Die Beklagte trägt daraufhin ergänzend vor, auf Ihrer Internetseite sei fälschlicherweise ein Patent erwähnt worden, welches noch nicht existiere. Nachdem der Kläger nachge- fragt habe, sei dieser Fehler korrigiert worden. Bei den Messdaten handele es sich um ca. 100 Millionen Einzelmesswerte. In die Veröffentlichung seien bei weitem nicht alle -8-
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-8- Rohdaten eingegangen. Zudem beabsichtige sie weitere Forschungsarbeiten zur Schräglagenproblematik. Auch wenn diese zeitlich noch nicht im Einzelnen feststün- den, sei eine weitere wissenschaftliche Nutzung der Daten beabsichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteilig- ten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Entscheidungsgründe Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger ist durch die Ablehnung des Informationszuganges nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zugang zu den begehrten Messdaten. Der Anspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ist nach § 6 Satz 1 IFG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, soweit der Schutz geistigen Eigentums entgegensteht. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die von dem Kläger begehrten Messdaten stellen geistiges Eigentum der Beklagten dar. Der Schutz geistigen Eigentums umfasst neben dem Urheberrecht und den ge- werblichen Schutzrechten auch Tätigkeiten nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, die nicht dem privatrechtlichen Regelungssystem unterfallen (Jastrow/Schlatmann, IFG, Berlin 2006, § 6 Rn. 12; a. A. wohl: Schoch, IFG, München 2009, § 6 Rn. 4, 15f.). Hierzu zäh- len alle Tätigkeiten aus dem Bereich der Wissenschaft und Forschung. Für diese – weite – Auslegung des Begriffs „geistiges Eigentum“ spricht zunächst die Begründung des Gesetzentwurfes zum IFG. Zu § 6 Satz 1 IFG heißt es dort, zum geistigen Eigen- tum gehörten insbesondere Urheber-, Marken-, Patent-, Gebrauchs- und Ge- schmacksmusterrechte (Bt-Ds. 15/4493, S. 14). Darüber hinaus wird in der Begrün- -9-
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-9- dung ausgeführt, die Tätigkeit von Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre nach Art. 5 Abs. 3 GG werde ebenfalls von Satz 1 erfasst (Bt-Ds. 15/4493, a.a.O.). Diese Formulierungen beinhalten zwei relevan- te Aspekte. Zum einen erschöpft sich das geistige Eigentum im Rahmen des § 6 Satz 1 IFG nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht abschließend in den privatrechtli- chen Schutzrechten. Durch die Wahl des Wortes „insbesondere“ im Zusammenhang mit der Aufzählung eben dieser Rechte macht er deutlich, dass neben den aufgezähl- ten auch andere Rechte als geistiges Eigentum in Betracht kommen. Des Weiteren werden Tätigkeiten nach Art. 5 Abs. 3 GG ausdrücklich – über die privatrechtlichen Schutzrechte hinaus – dem Schutz geistigen Eigentums unterstellt. Für ein solches Verständnis sprechen auch die Regelungen einiger Informationsfreiheitsgesetze auf Länderebene. Nach dem Thüringer Informationsfreiheitsgesetz (§ 2 Abs. 5 ThürIFG) und nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrein-Westfalens (§ 2 Abs. 3 IFGNRW) erstreckt sich der Geltungsbereich der Informationsfreiheit von vornherein u. a. nicht auf den Bereich von Forschung und Lehre. In den entsprechenden Gesetzesbegrün- dungen heißt es hierzu sinngemäß, die jeweiligen Vorschriften dienten dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG und hätten klarstellenden Charakter (vgl. für § 2 Abs. 5 ThürIFG: Lt-Ds. 5/4986, S. 16; für § 2 Abs. 3 IFGNRW: Lt-Ds. 13/1311, S. 10). Eine lediglich klarstellende Funktion der Vorschriften ist aber nur dann denkbar, wenn die Tätigkeiten aus dem Bereich der Wissenschaftsfreiheit auch bereits ohne ausdrückliche Regelung in den Informationsfreiheitsgesetzen allein aufgrund der Stel- lung des Grundrechts in der Normenhierarchie geeignet sind, einen Informationsan- spruch auszuschließen. Unter Berücksichtigung der Ausführungen in Bezug auf die Begründung des Gesetzentwurfes zum IFG des Bundes ist davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit – trotz fehlender gesetzlicher Klarstellung im IFG – in gleichem Maße achten wollte. Für diese Ausle- gung spricht im Übrigen der Grundsatz der größtmöglichen Grundrechtseffektivität, welcher beinhaltet, dass in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet (BVerfG, U. v. 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 –, BVerfGE 39, 1, 38; v. Münch in: v. Münch/Kunig, GG, 5. Aufl., Vorb. Art. 1-19, Rn.51). Die von der Beklagten bei der Testveranstaltung in F. gewonnenen Messergebnisse fallen in den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit. In sachlicher Hinsicht umfasst das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG jede wissenschaftliche Tätigkeit, d. h. al- - 10 -
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- 10 - les, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist (BVerfG, U. v. 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 –, BVerfGE 35, 79, 113; B. v. 01.03.1978 – 1 BvR 333/75, 174, 178, 191/71 –, BVerfGE 47, 327, 367; B. v. 11.01.1994 – 1 BvR 434/87 –, BVerfGE 90, 1, 12; BverwG, U. v. 11.12.1996 – 6 C 5/95 –, NJW 1997, 1996). Forschung dient als Unterfall der Wissenschaft der selbstständi- gen Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse (BVerfG, B. v. 20.10.1982 – 1 BvR 1467/80 –, BVerfGE 61, 210, 244). Nach diesem Maßstab ist die Beklagte bei der Testveranstaltung in F. und der Gewinn der Messergebnisse i. S. d. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG wissenschaftlich tätig gewesen. Sie trägt hierzu vor, auf dem Gebiet der Ge- schwindigkeitsmessungen mit Videonachfahrsystemen gäbe es die fachlich ungeklärte Schräglagenproblematik. In diesem Bereich forsche sie und hierzu habe sie die Test- veranstaltung durchgeführt. Die Kammer sieht keine Anhaltspunkte, an diesem Vor- bringen zu zweifeln. Forschung auf dem Gebiet des Messwesens ist ein gesetzlich zugewiesenes Betätigungsfeld der Beklagten. Nach der maßgeblichen gesetzlichen Vorschrift des § 13 Absatz 2 Nr. 1 EichG gehört es zu ihren Aufgaben, das physika- lisch-technische Messwesen wissenschaftlich zu bearbeiten, insbesondere wissen- schaftliche Forschung auf diesem Gebiet zu betreiben. Gemäß § 2 Nr. 2 der Satzung der Beklagten vom 12. März 1996 erstreckt sich ihre Tätigkeit auf die wissenschaftliche Bearbeitung des Messwesens, insbesondere der Präzisionsmesstechnik. Dass die Beklagte die Testveranstaltung nach wissenschaftlichen Methoden i. S. d. oben ge- nannten Definition durchgeführt hat, belegt auch der von Mitarbeitern der Beklagten verfasste Aufsatz über die Testfahrten und die Schräglagenproblematik in der Zeit- schrift Polizei Verkehr und Technik (pvt) in den Ausgaben 3/2012 bzw. 4/2012. Der Beitrag zeigt, dass die Beklagte bei den Testfahrten ernsthaft und planmäßig vorge- gangen ist um denkbare Lösungen für die Schräglagenproblematik zu erarbeiten. Der erste Teil stellt das Problem des Schräglageneffekts zunächst theoretisch dar. Es folgt eine Beschreibung der Versuchsaufbauten und der verwendeten Technik. Im zweiten Teil wird zunächst ausgeführt, dass verschiedene Experimente mit unterschiedlichen Schräglagen, verschiedenen Reifen, etc. durchgeführt worden sind. Im Anschluss da- ran werden die daraus resultierenden Ergebnisse herausgearbeitet und die bestehen- de Problematik beschrieben. Es folgen zwei Lösungsansätze mit denen das Problem behoben werden könnte. Unter Berücksichtigung dieser Umstände geht die Kammer nicht davon aus, dass die Beklagte die Testfahrten nur im Rahmen ihrer Zulassungstätigkeit durchgeführt hat, um - 11 -
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