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Aktenzeichen
3 L 85/13
Datum
21. Februar 2013
Gericht
Verwaltungsgericht Arnsberg
Gesetz
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch

Beschluss: Verwaltungsgericht Arnsberg am 21. Februar 2013

3 L 85/13

Das Gericht geht davon aus, dass eine abschließende Beantwortung der kontrovers beurteilten Rechtsfrage, ob das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch eine ausreichende Rechtsgrundlage für die beabsichtigte Veröffentlichung von lebensmittelrechtlichen Verstößen bildet, einer umfassenden Prüfung im Hauptsachverfahren vorbehalten bleiben muss. Das Gericht zweifelt an der Vereinbarkeit der Ermächtigungsgrundlage mit Unionsrecht und Verfassungsrecht, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, da die Dauer der Veröffentlichung nicht gesetzlich geregelt und eine Pflicht zur Veröffentlichung vorgesehen ist. (Quelle: LDA Brandenburg)

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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_arnsberg/j2013/3_L_85_13_Beschluss_20130221.html Verwaltungsgericht Arnsberg, 3 L 85/13 Datum:                   21.02.2013 Gericht:                 Verwaltungsgericht Arnsberg Spruchkörper:            3. Kammer Entscheidungsart:        Beschluss Aktenzeichen:            3 L 85/13 Tenor:                   Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die in seinen Schreiben vom 14. und 29. Januar 2013 angekündigte Veröffentlichung von Informationen über die Überschreitung des festgelegten Grenzwertes für Schwefeldioxid in dem von der Antragstellerin hergestellten Produkt „H. S.       (nach Oma‘s Rezept mit frischen Zwiebeln)“ im Internet- Portal „www.M.                 -nrw.de“ vorzunehmen bzw. zu veranlassen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt. Gründe:                                                                                  1 Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.      2 Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft. Dem steht der in § 123 Abs. 5 der       3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) normierte Vorrang des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht entgegen. Bei der von dem Antragsgegner beabsichtigten Veröffentlichung im Internet handelt es nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG NRW). Sie dient vielmehr lediglich der Information der Öffentlichkeit und ist nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet, sodass ihr das Merkmal der Regelung fehlt. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist auch begründet.          4 Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nur zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gefahr oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung dient damit lediglich der Sicherung von Rechten eines Antragstellers, nicht aber ihrer Befriedigung. Sie darf grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nur für den Fall anerkannt, dass ohne eine einstweilige Anordnung ein wirksamer Rechtsschutz in der Hauptsache nicht erreicht werden kann und dies für den Antragsteller zu nahezu unerträglichen Nachteilen führen würde. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Seite 1 von 7
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_arnsberg/j2013/3_L_85_13_Beschluss_20130221.html Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) hat der Antragsteller glaubhaft zu machen, dass ihm der umstrittene und zu sichernde Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und die Regelung eines vorläufigen Zustandes nötig erscheint (Anordnungsgrund), wobei in den Fällen der Vorwegnahme der Hauptsache - wie hier - an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund strenge Anforderungen zu stellen sind. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen                    5 Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat nachvollziehbar gemacht, dass durch die Veränderung des        6 bestehenden Zustands, d. h. durch die von dem Antragsgegner alsbald beabsichtigte Internetveröffentlichung, die Verwirklichung von Rechten der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Die faktischen Wirkungen von Informationen der Öffentlichkeit durch Behörden lassen sich regelmäßig nicht mehr vollständig rückgängig machen. Auch die Möglichkeit späterer Gegendarstellungen, Richtigstellungen oder sonstiger Korrekturen ändert daran nichts. Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Januar 2013 – 9 S 2423/12 –,             7 a.a.O.; ferner VG Aachen, Beschluss vom 4. Februar 2013               – 7 L 569/12 –, zitiert nach openjur.de. Die Antragstellerin hat darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass die beabsichtigte       8 Verbraucherinformation zur Grenzwertüberschreitung durch ihr Unternehmen für sie erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen und unter Umständen sogar existenzvernichtend wirken kann. Die Kammer geht davon aus, dass bei einer Internetveröffentlichung der beabsichtigten Art nahe liegt, dass bisherige Abnehmer der Antragstellerin diese nicht mehr mit Lieferungen beauftragen. Auch ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht. Dies gilt, obwohl die Kammer        9 von der grundsätzlich bereits im Eilverfahren gebotenen eingehenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung, ob der Antragstellerin der in der Hauptsache geltend zu machende öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch zusteht, absieht. Die Gerichte sind bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen         10 des vorläufigen Rechtsschutzes – wie hier: § 123 VwGO – gehalten, der besonderen Bedeutung betroffener Grundrechte sowie den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Daraus folgt die Verpflichtung, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls dann auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, wenn diese Versagung zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führt. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht. Dann verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) beispielsweise, dass sich die Gerichte auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit berechtigten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit und damit Gültigkeit von entscheidungserheblichen Normen und ihrer verfassungskonformen Auslegung und Anwendung auseinandersetzen. Damit werden die Anforderungen für die Gerichte nicht überspannt, weil es ihnen nämlich unter bestimmten Umständen – etwa dann, wenn sie es wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit für untunlich halten, Rechtsfragen vertieft zu prüfen – freisteht, eine Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache treffen. Seite 2 von 7
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_arnsberg/j2013/3_L_85_13_Beschluss_20130221.html Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Januar 2013, a.a.O.                     11 Von dieser Berechtigung macht die Kammer hier Gebrauch. Davon ausgehend               12 ergibt sich der Anordnungsanspruch der Antragstellerin aufgrund einer Folgenabwägung. Mit der beabsichtigten Veröffentlichung im Internet wird in Grundrechte der           13 Antragstellerin eingegriffen. Betroffen sind insoweit die Schutzbereiche des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG). In Anlehnung an die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in dem               14 bereits zitierten Beschluss gemachten Ausführungen zu § 40 Abs. 1a Nr. 2 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) vertretene Auffassung geht die Kammer davon aus, dass auch die Prüfung der Frage, ob die von dem Antragsgegner beabsichtigte Veröffentlichung eine ausreichende Rechtsgrundlage in der Bestimmung des § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFGB findet, teilweise komplexe und in Rechtsprechung sowie Literatur kontrovers beurteilte Rechtsfragen aufwirft, deren abschließende Beantwortung einer umfassenden Prüfung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Als Ermächtigungsgrundlage für die beabsichtigte Veröffentlichung durch den           15 Antragsgegner kommt allein § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFGB in Betracht. Danach informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebens- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen – im Falle von Proben nach § 39 Abs. 1 Satz 2 auf der Grundlage mindestens zweier unabhängiger Untersuchungen von Stellen nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 – hinreichend begründete Verdacht besteht, dass in Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes festgelegte zulässige Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen überschritten worden sind. Hier spricht zwar alles dafür, dass die Analyse der am 2. Oktober 2012 durch das      16 Amt für Verbraucherschutz und Veterinärwesen des Kreises Paderborn genommenen Probe (Proben-Nr. 30041/2012) durch das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Ostwestfalen-Lippe einen Zusatz von Schwefeldioxid in einer den Grenzwert nach § 5 LFBG i.V.m. der Anlage 5 Teil B Liste 2 der Zusatzstoff-Zulassungsverordnung (ZZulV) von Schwefeldioxid für verarbeitete Kartoffeln (von bis zu 100 mg/kg) deutlich überschreitenden Menge (279 bzw. 282 mg/kg) ergab. Bereits im Eilverfahren durchgreifende Einwände hiergegen hat die Antragstellerin nicht erhoben. Ungeachtet dessen hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in dem             17 zitierten Beschluss vom 28. Januar 2013 gegen die Vereinbarkeit der in Rede stehende Ermächtigungsnorm des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB mit Unions- und deutschem Verfassungsrecht gravierende Einwände erhoben, die – jedenfalls zu erheblichen Teilen – auch im Hinblick auf § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFGB Geltung beanspruchen dürften. U.a. hat der Verwaltungsgerichtshof unter Heranziehung von Rechtsprechung und Literatur ausgeführt: „Zweck der Vorschrift ist es, den Verbraucher unabhängig vom Vorliegen einer          18 Gesundheitsgefahr von Amts wegen über in der Vergangenheit liegende, Seite 3 von 7
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_arnsberg/j2013/3_L_85_13_Beschluss_20130221.html herausgehobene Verstöße gegen dem Verbraucherschutz dienende Vorschriften zu informieren. Damit zielt die Bestimmung nicht auf eine Warnung der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren ab; sie bezweckt vielmehr neben einem vorsorgenden Gesundheitsschutz (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 LFGB) vor allem eine Verbesserung der aktiven Information der Öffentlichkeit und damit der Transparenz staatlichen Handelns, um dem Verbraucher eine verlässliche Grundlage für eigenverantwortliche Konsumentscheidungen auf dem Markt zu bieten ... Der mit der Vorschrift ersichtlich angestrebte ‘Prangereffekt’ dürfte mit Blick auf das 19 Verhalten des/der Lebensmittelunternehmer(s) sowohl eine spezial- wie eine generalpräventive Komponente aufweisen ... Gegen die Vereinbarkeit der Vorschrift mit Unionsrecht sind vor allem im Schrifttum 20 mit Blick auf Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 01.02.2002, S. 1, im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 178/2002) Einwände erhoben worden. Nach dieser Vorschrift unternehmen, wenn ein hinreichender Verdacht besteht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen kann, die Behörden unbeschadet der geltenden nationalen oder Gemeinschaftsbestimmungen über den Zugang zu Dokumenten je nach Art, Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete Schritte, um die Öffentlichkeit über die Art des Gesundheitsrisikos aufzuklären; dabei sind möglichst umfassend das Lebensmittel oder Futtermittel oder die Art des Lebensmittels oder Futtermittels, das möglicherweise damit verbundene Risiko und die Maßnahmen anzugeben, die getroffen wurden oder getroffen werden, um dem Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten. Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 trifft nach einer ... Auffassung eine              21 abschließende Regelung im Sinne einer Vollharmonisierung der Regelungen zur Information der Öffentlichkeit über Beanstandungen von Lebens- und Futtermitteln, über die nationales Recht nicht hinausgehen darf. Zur Begründung wird auf den Wortlaut des Art. 10 sowie auf Art. 4 und den Erwägungsgrund 22 der VO (EG) Nr. 178/2002 und Art. 7 Verordnung (EG) Nr. 882/2004 hingewiesen. Hiernach verstoße die behördliche Information der Öffentlichkeit über Futtermittel und Lebensmittel unterhalb der Schwelle des Gesundheitsrisikos gegen Unionsrecht ... Da § 40 Abs. 1a LFGB eine Information der Öffentlichkeit unterhalb dieser Schwelle vorsehe (die Information dürfte sich regelmäßig auf zwischenzeitlich beseitigte Mängel beziehen), würde die Sperrwirkung des Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 greifen und zur Unanwendbarkeit der Vorschrift führen ... Nach der Gegenmeinung enthält Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 keine                22 Aussage zum Verbraucherschutz und belässt deshalb dem nationalen Gesetzgeber die volle Regelungskompetenz. Europarechtlich legitimiert werde die Verbraucherinformation durch Art. 8, 17 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ... Zur Klärung der kontrovers erörterten Frage der Sperrwirkung des Art. 10                23 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist dem Europäischen Gerichtshof vom Landgericht München ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt worden (vgl. den Beschluss vom 05.12.2011 - 15 O 9353/09 -, LMuR 1/2012, 32; Rechtssache C-636/11 Berger). Das Ersuchen bezieht sich zwar auf § 40 Abs. 1 Nr. 4 LFGB, das dort Seite 4 von 7
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_arnsberg/j2013/3_L_85_13_Beschluss_20130221.html gegenständliche Problem der amtlichen Information unterhalb der Schwelle des gesundheitlichen Risikos stellt sich indes auch bei § 40 Abs. 1a LFGB. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht aus. (2) Darüber hinaus werden gegen die Bestimmung auch verfassungsrechtlichen            24 Bedenken erhoben ... Schließlich hat der Senat Zweifel, ob § 40 Abs. 1a LFGB dem Gebot der                 25 Verhältnismäßigkeit genügt. Dieses verlangt, dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist ... (aa) Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit fällt dabei ins Auge, dass § 40     26 Abs. 1a LFGB keine Regelung hinsichtlich der Dauer der Veröffentlichung vorsieht. Dass die vom Gesetzgeber mit der Veröffentlichungspflicht verfolgten Ziele eine zeitlich unbegrenzte Veröffentlichung von Verstößen gegen dem Verbraucherschutz dienende Vorschriften erfordern, kann ausgeschlossen werden. Als milderes Mittel dürfte insoweit durch das Gesetz selbst oder auf dessen Grundlage eine Löschungsfrist vorzusehen sein ... Die mit Blick auf diese ‘offensichtliche gesetzgeberische Lücke’ im Erlasswege in Baden-Württemberg getroffene Festlegung, wonach die Eintragungen etwaiger Verstöße nach einem Jahr zu löschen seien (vgl. Erlass des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg vom 25.07.2012, a.a.O., S. 7), ist lediglich verwaltungsintern bindend und könnte einen festzustellenden verfassungsrechtlichen Mangel des Gesetzes nicht heilen. (bb) Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass die            27 Schwere der gesetzgeberischen Grundrechtsbeschränkung bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe steht. In dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zum Rechtsgüterschutz und dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten Rechte ist es dabei zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu erreichen ... Im Zentrum der verfassungsrechtlichen Kritik an der gesetzlichen Regelung steht       28 schließlich, dass § 40 Abs. 1a LFGB eine zwingende Pflicht zur Veröffentlichung vorsieht. Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der im Normtext wie in den Materialien Ausdruck findet, muss bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Veröffentlichung erfolgen, ohne dass - etwa im Rahmen einer behördlichen Ermessensentscheidung - die für sie streitenden Interessen der Öffentlichkeit mit gegenläufigen Belangen der betroffenen Unternehmen abzuwägen sind. In der amtlichen Begründung heißt es hierzu: Die Geschehnisse im Zusammenhang mit Dioxin in Futtermitteln von Ende                 29 2010/Anfang 2011 bestätigen die bereits in der Vergangenheit insbesondere im Zusammenhang mit kennzeichnungsrechtlichen Verstößen im Bereich der Käseimitate sowie die des so genannten Analogschinkens gesammelten Erfahrungen, dass bei den Behörden vor Ort trotz der im Juli 2009 eingeführten Verbesserungen der Abwägungsklausel des bisherigen § 40 Abs. 1 S. 3 LFGB (vgl. BGBl. I S. 2205) teilweise immer noch Unklarheiten bestehen, in welchen Fällen eine Information der Öffentlichkeit angezeigt ist. Daher ist es notwendig, im Gesetz selbst durch die Schaffung eines neuen § 40 Abs. 1a klarzustellen, dass bestimmte Seite 5 von 7
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_arnsberg/j2013/3_L_85_13_Beschluss_20130221.html herausgehobene Rechtsverstöße unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 LFGB zu veröffentlichen sind. Nach dem neu eingefügten § 40 Abs. 1a muss eine Namensnennung bei Feststellung dieser enumerativ aufgeführten Rechtsverstöße nunmehr zwingend - ohne dass den zuständigen Behörden ein (gebundenes) Ermessen zusteht - erfolgen (BT-Drucks. 17/7374, S. 20; ähnlich S. 12). Die zwingende Veröffentlichungspflicht der Behörde weckt Zweifel, ob der              30 Gesetzgeber noch einen angemessenen Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse an der Information und dem grundrechtlichen Geheimhaltungsinteresse hergestellt hat ... Dies gilt vor allem deshalb, weil sich die verfassungsrechtliche Konfliktlage unterscheidet von dem Fall behördlicher Warnungen vor produktbezogenen Gesundheitsgefahren. Dort wird angesichts der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleiteten staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben dem Gesundheitsschutz des Verbrauchers in der Abwägung mit dem grundrechtlichen geschützten Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens grundsätzlich ein Vorrang zukommen. Ein entsprechendes verfassungsrechtliches Gewicht kommt dem mit § 40 Abs. 1a LFGB primär verfolgten Ziel des ‘schlichten’ Verbraucherschutzes nicht zu ... Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sind die festgestellten Mängel regelmäßig beseitigt, sodass auch von einem konkreten gesundheitlichen Risiko nicht auszugehen sein dürfte ... Deshalb bestehen mit Blick auf den gesetzlichen Ausschluss der Möglichkeit, die widerstreitenden Belange im Einzelfall abzuwägen, selbst bei Einbeziehung der generalpräventiven Wirkung der Information Bedenken, ob der wegen ihrer öffentlichen Prangerwirkung mit der Veröffentlichungspflicht verbundene schwerwiegende Grundrechtseingriff noch in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Regelung verfolgten Gemeinwohlinteressen steht ... Dies gilt umso mehr, als die Vorschrift nicht einmal Raum lässt, um besonderen Fallgestaltungen oder Härten Rechnung zu tragen und so ein bei der Preisgabe personen- und unternehmenbezogener Informationen im konkreten Einzelfall drohendes Übermaß abzuwehren ...“ Nach alledem wirft die der in Aussicht genommenen Veröffentlichung                    31 zugrundeliegende Bestimmung zahlreiche schwierige unions- und verfassungsrechtliche Fragen auf. Die zur verlässlichen Ermittlung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung in der Hauptsache notwendige Durchdringung dieser Fragen würde den Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 123 VwGO sprengen. Anderer Ansicht offensichtlich: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 4. Januar 2013 –      32 19 L 1452/12 –, zitiert nach juris. Die danach gebotene Abwägung des privaten Interesses der Antragstellerin an           33 einem Unterbleiben der Veröffentlichung und des von dem Antragsgegner wahrzunehmenden öffentlichen Interesses, zeitnah Markttransparenz im Lebensmittelbereich zu schaffen, unter Berücksichtigung der bereits erläuterten Folgen, die sich aus einer Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzantrages für die Antragstellerin ergeben könnten, führt dazu, die beabsichtigte Veröffentlichung (vorerst) zu untersagen. Dies trifft den Antragsgegner auch nicht unzumutbar schwer, denn ihm steht unabhängig von § 40 Abs. 1a LFGB eine ganze Bandbreite von Handlungsmöglichkeiten des lebensmittelrechtlichen Ordnungsrechtes zur Verfügung, um etwaigen von der Antragstellerin bzw. von deren Produkten ausgehenden Gefahren zu begegnen. Seite 6 von 7
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_arnsberg/j2013/3_L_85_13_Beschluss_20130221.html Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Januar 2013, und VG Aachen,             34 Beschluss vom 4. Februar 2013, jeweils a.a.O. Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, ob und ggf. welche Folgerungen aus        35 der von der Antragstellerin geschilderten Umstellung des Produktionsprozesses im Januar 2013 zur Herbeiführung einer deutlichen Reduzierung des Schwefeldioxidgehalts des fraglichen Produkts für die beabsichtigte Internetveröffentlichung zu ziehen wären oder wie die von der Antragstellerin eingeholte Beurteilung der sog. Gegenprobe zu bewerten sein könnte. Die Kammer weist abschließend darauf hin, dass es der Antragstellerin wegen der       36 Vorläufigkeit der einstweiligen Anordnung und der mit ihr beabsichtigten Sicherstellung der abschließenden Klärung in einem – bisher nicht anhängig gemachten – Hauptsacheverfahren obliegen dürfte, baldmöglichst ein gerichtliches Hauptsacheverfahren einzuleiten. Sollte dies innerhalb von drei Monaten nicht geschehen sein, behält sich die Kammer vor, die erlassene einstweilige Anordnung in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen oder auf entsprechenden Antrag des Antragsgegners aufzuheben. Ähnlich: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom                      37 28. Januar 2013, a.a.O.                                            38 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.                                   39 Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 des                40 Gerichtskostengesetzes (GKG). Wegen der begehrten – zeitweiligen – Vorwegnahme der Hauptsache setzt die Kammer den im Hauptsacheverfahren mangels Bezifferbarkeit möglicher wirtschaftlicher Auswirkungen der Veröffentlichung für die Antragstellerin anzusetzenden Regelstreitwert auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes an. Seite 7 von 7
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