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Information

Aktenzeichen
7 L 569/12
Datum
4. Februar 2013
Gericht
Verwaltungsgericht Aachen
Gesetz
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch

Beschluss: Verwaltungsgericht Aachen am 4. Februar 2013

7 L 569/12

Es bestehen verfassungsrechtliche Bedenken an der hinreichenden Bestimmtheit des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs bezüglich der Schwelle des Einschreitens durch die Behörde, der Gewichtung eines Verstoßes und der Höhe des zu verhängenden Bußgeldes. Der Senat hat Zweifel an der Verhältnismäßigkeit eines Grundrechtseingriffs durch das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. (Quelle: LDA Brandenburg)

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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2013/7_L_569_12beschluss20130204.html Verwaltungsgericht Aachen, 7 L 569/12 Datum:                       04.02.2013 Gericht:                     Verwaltungsgericht Aachen Spruchkörper:                7. Kammer Entscheidungsart:            Beschluss Aktenzeichen:                7 L 569/12 Tenor:                       1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die in ihrem Anhörungsschreiben vom 16. Oktober 2012 aufgelisteten Verstöße der Antragstellerin im Internet-Portal www.lebensmitteltransparenz-nrw.de zu veröffentlichen. 2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. 3. Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt. Gründe:                                                                                      1 I.                                                                                           2 Die Antragstellerin, die im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin Bäckereifilialen       3 betreibt, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine beabsichtigte Veröffentlichung von lebensmittel- und hygienerechtlichen Verstößen, welche anlässlich einer Betriebskontrolle ihrer zentralen Produktionsstätte am 4. Oktober 2012 festgestellt wurden. Das Protokoll der Kontrolle weist 135 Beanstandungen auf. Mit Anhörungsschreiben vom 16. Oktober 2012 kündigte die Antragsgegnerin der Antragstellerin an, auf der Grundlage des § 40 Abs. 1a LFGB die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Unternehmens über den Vorfall zu informieren. Die Information der Öffentlichkeit solle über eine zeitnahe Eintragung der Informationen in das Internet-Portal www.lebensmitteltransparenz-nrw.de erfolgen. Die Antragstellerin hat am 14. November 2012 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.        4 Zur Begründung trägt sie vor, ausweislich des Kontrollberichtes vom 18. Okto-ber 2012 über die von der Antragsgegnerin durchgeführte Nachkontrolle sei festgestellt worden, dass die am 4. Oktober 2012 gerügten Hygienemängel sämtlich behoben worden seien. Die beabsichtigte Information der Öffentlichkeit im Internet würde für sie eine Existenzvernichtung zur Folge haben. Die geplante Maßnahme stelle einen rechtswidrigen Eingriff in den durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Die als Rechtsgrundlage für die beabsichtigte Veröffentlichung angeführte und zum 1. September 2012 in Kraft getretene Bestimmung des § 40 Abs. 1a LFGB sei sowohl verfassungs- als auch europarechtswidrig. Insbesondere gehe die in Rede stehende Norm über die maßgebliche Bestimmung des Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 hinaus. Danach sei eine Information der Öffentlichkeit nur dann erlaubt, wenn ein hinreichender Verdacht bestehe, dass ein Lebensmittel oder 1 von 8
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2013/7_L_569_12beschluss20130204.html Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen könne. Gemäß der Umsetzung der vorgenannten europarechtlichen Norm durch § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB sei eine Information der Öffentlichkeit aber bereits dann vorgesehen, wenn der hinreichend begründete Verdacht bestehe, dass gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschungen oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden sei und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350,00 EUR zu erwarten sei. Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,                                                  5 der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, die in deren     6 Anhörungsschreiben vom 16. Oktober 2012 aufgelisteten Verstöße im Internet-Portal www.lebensmitteltransparenz-nrw.de zu veröffentlichen. Die Antragsgegnerin beantragt,                                                            7 den Antrag abzulehnen.                                                                    8 Bei der Betriebskontrolle am 4. Oktober 2012 seien erhebliche Verstöße gegen              9 Vorschriften des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches festgestellt worden, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen sowie der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienten. Der Tatbestand des § 40 Abs. 1a LFGB für eine Information der Öffentlichkeit sei mithin gegeben. Angesichts der Fülle der Verstöße, die bei der planmäßigen Routinekontrolle festgestellt worden seien, sei ihre Prognose nicht zu beanstanden, dass ein Bußgeld in Höhe von mindestens 350,00 EUR zu erwarten sei. Die in Rede stehende Norm des § 40 Abs. 1a LFGB sei auch mit Europarecht vereinbar. Durch diese Norm sollten lediglich Mindeststandards für die Informationstätigkeit von Behörden festgelegt werden. Des Weiteren sei § 40 Abs. 1a LFGB nicht grundgesetzwidrig und insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Soweit in der einschlägigen Rechtsprechung darauf hingewiesen werde, dass § 40 Abs. 1a LFGB nicht die Veröffentlichung aller erheblichen Verstöße gegen lebensmittel- und hygienerechtliche Vorschriften erlaube, sondern nur solche, die sich auf Lebensmittel oder Futtermittel beziehen, werde die Antragsgegnerin diesem Gesichtspunkt bei der Veröffentlichung Rechnung tragen. II.                                                                                      10 Der Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen            11 Anordnung zu untersagen, auf der Internetplattform www.lebensmitteltransparenz-nrw.de in ihrer zentralen Produktionsstätte festgestellte lebensmittel- und hygiene-rechtliche Verstöße zu veröffentlichen, ist statthaft und auch sonst zulässig. Dem steht der in § 123 Abs. 5 VwGO normierte Vorrang des Verfahrens nach § 80 Abs. 5     12 Satz 1 VwGO nicht entgegen. Die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Veröffentlichung von lebensmittel- und hygienerechtlichen Verstößen der Antragstellerin ist als Realakt zu qualifizieren, deren Verhinderung in der Hauptsache mit einer allgemeinen Leistungsklage auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruches und nicht mit einer Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO durchzusetzen ist. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist auch begründet.          13 Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige             14 2 von 8
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2013/7_L_569_12beschluss20130204.html Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (so genannte Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (so genannte Regelungsanordnung). Danach sind die Voraussetzungen für den Erlass der erstrebten einstweiligen Anordnung       15 gegeben. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch, wie es gemäß § 920 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 123 Abs. 3 VwGO erforderlich ist, glaubhaft gemacht. Von dem erforderlichen Anordnungsgrund, d. h. der Dringlichkeit der begehrten               16 gerichtlichen Entscheidung, ist auszugehen, weil durch die Veränderung des bestehenden Zustands, d. h. durch die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Internetveröffentlichung, die Verwirklichung von Rechten der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Auch spätere Gegendarstellungen, Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen ändern nichts daran, dass die faktischen Wirkungen von Informationen der Öffentlichkeit durch Behörden regelmäßig nicht mehr eingefangen und umfassend beseitigt werden können. Vgl. hierzu u.a.: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Januar 2013 - 9 S 2423/12        17 -, nachrichtlich in juris. Eine Verbraucherinformation zu Rechtsverstößen eines Unternehmens kann zudem für            18 dieses existenzgefährdend und sogar existenzvernichtend wirken. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der geltend        19 gemachte Anordnungsanspruch der Antragstellerin ergibt sich aufgrund einer Folgenabwägung. Zwar ist ein Verwaltungsgericht grundsätzlich bereits in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO zu einer eingehenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung verpflichtet, ob dem jeweiligen Antragsteller der in der Hauptsache geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht. Aber von einer derartigen Prüfung nimmt die beschließende Kammer Abstand. Bei einer Versagung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes müsste die Antragstellerin schwerwiegende Grundrechtseingriffe verbunden mit existenziellen Nachteilen befürchten. Betroffen sind insoweit die Schutzbereiche des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung, der Berufsausübungsfreiheit und insbesondere das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Im Anschluss an die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 28. Januar 2013 - 9 S 2423/12 - vertretene Auffassung geht auch die beschließende Kammer davon aus, dass die Prüfung der Frage, ob die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Veröffentlichung eine ausreichende Rechtsgrundlage in der Bestimmung des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB findet, zum Teil komplexe und in Rechtsprechung und Literatur kontrovers beurteilte Rechtsfragen aufwirft, deren Beantwortung einer vertiefenden Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss, und die deshalb angezeigte Abwägung der gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen zu Lasten der Antragsgegnerin ausfällt. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch der Antragstellerin setzt voraus, dass sich      20 die von der Antragsgegnerin geplante Veröffentlichung als rechtswidriger Eingriff in die 3 von 8
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2013/7_L_569_12beschluss20130204.html oben bezeichneten Grundrechtspositionen der Antragstellerin darstellt. Als Ermächtigungsgrundlage für die Veröffentlichung kommt allein die von der Antragsgegnerin angeführte Norm des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB in Betracht. Nach § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter    21 Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebens- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen hinreichend begründete Verdacht besteht, dass 1. ...                                                                                     22 2. gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz        23 der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350,00 EUR zu erwarten ist. Zwar spricht manches dafür, dass die Antragstellerin mit den von der Antragsgegnerin       24 festgestellten Verstößen in nicht nur unerheblichem Ausmaß gegen Vorschriften verstieß, die den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher gewährleisten sollen. Aber gleichwohl ist in den Blick zu nehmen, wie der Verwaltungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 28. Januar 2013 - 9 S 2423/12 -, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, ausgeführt hat, dass gegen die Vereinbarkeit der in Rede stehende Ermächtigungsnorm des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB mit Unions- und deutschem Verfassungsrecht erhebliche Einwände erhoben werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat hierzu in seiner bereits zuvor zitierten Entscheidung vom   25 28. Januar 2013 unter anderem ausgeführt: "Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 trifft nach einer von Schoch (NVwZ 2012, 1497,       26 1503) als herrschende Meinung bezeichneten Auffassung eine abschließende Regelung im Sinne einer Vollharmonisierung der Regelungen zur Information der Öffentlichkeit über Beanstandungen von Lebens- und Futtermitteln, über die nationales Recht nicht hinausgehen darf. Zur Begründung wird auf den Wortlaut des Art. 10 sowie auf Art. 4 und den Erwägungsgrund 22 der VO (EG) Nr. 178/2002 und Art. 7 Verordnung (EG) Nr. 882/2004 hingewiesen. Hiernach verstoße die behördliche Information der Öffentlichkeit über Futtermittel und Lebensmittel unterhalb der Schwelle des Gesundheitsrisikos gegen Unionsrecht (zum Verhältnis des Risikobegriffs in Art. 3 Nr. 9 VO (EG) Nr. 178/2002 zum Gefahrbegriff des deutschen Rechts vgl. Seemann, Behördliche Produktinformation im europäischen und deutschen Lebensmittelrecht, 2008, 39 f.). Da § 40 Abs. 1a LFGB eine Information der Öffentlichkeit unterhalb dieser Schwelle vorsehe (die Information dürfte sich regelmäßig auf zwischenzeitlich beseitigte Mängel beziehen), würde die Sperrwirkung des Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 greifen und zur Unanwendbarkeit der Vorschrift führen (vgl. Grube, LMuR2011, 21 ff.; Becker, ZLR2011, 391, 402; Grube/lmmel, ZLR 2011, 175, 190; Voit, LMuR 2012, 9, 15 ff.; Michl/Meyer, ZLR 2012, 557, 558, 565; zu Bedenken vgl. auch VG München, Beschluss vom 03.12.2012 - M 18 E 12.5736 - Juris, Rn. 41 ff.). Nach der Gegenmeinung enthält Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 keine Aussage           27 zum Verbraucherschutz und belässt deshalb dem nationalen Gesetzgeber die volle Regelungskompetenz. Europarechtlich legitimiert werde die Verbraucherinformation durch Art. 8, 17 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (vgl. Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1503 ff.; Seemann, a.a.O., 171 f.; VG Regenburg, Beschluss vom 23.10.2012 - RO 5 E 12.1580 -, 4 von 8
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2013/7_L_569_12beschluss20130204.html Juris, Rn. 63 ff.; VG München Beschluss vom 13.09.2012 - M 22 E 12.4275 -, Juris Rn. 82 ff. ; Boch, LFGB, in: Das Deutsche Bundesrecht, Mai 2012, Nr. IV K 7, § 40 Rn. 18; zum Meinungsstand vgl. auch Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 8 mit Fußnote 3). Zur Klärung der kontrovers erörterten Frage der Sperrwirkung des Art. 10 Verordnung       28 (EG) Nr. 178/2002 ist dem Europäischen Gerichtshof vom Landgericht München ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt worden (vgl. den Beschluss vom 05.12.2011 - 15 O 9353/09 -, LMuR 1/2012, 32; Rechtssache C-636/11 Berger). Das Ersuchen bezieht sich zwar auf § 40 Abs. 1 Nr. 4 LFGB, das dort gegenständliche Problem der amtlichen Information unterhalb der Schwelle des gesundheitlichen Risikos stellt sich indes auch bei § 40 Abs. 1a LFGB. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht aus. (2) Darüber hinaus werden gegen die Bestimmung auch verfassungsrechtlichen                29 Bedenken erhoben. (a) Insoweit wird bezweifelt, ob die Regelung den rechtstaatlichen Geboten der            30 Normenklarheit und Bestimmtheit noch gerecht wird. § 40 Abs. 1a LFGB setzt tatbestandlich voraus, dass in nicht nur unerheblichem Ausmaß     31 oder wiederholt gegen sonstige Vorschriften verstoßen wurde und dass ein Bußgeld von mindestens 350,-- EUR zu erwarten ist. Insbesondere die Anknüpfung an ein zu erwartendes Bußgeld in bestimmter Höhe wirft die Frage auf, ob damit die Einschreitschwelle noch hinreichend präzise und für den Betroffenen erkennbar beschrieben wurde (zu den Anforderungen etwa bei Eingriffen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vgl. BVerfG, Urteile vom 11.03.2008 - 1 BvR 2074/05 u. a. -, BVerfGE 120, 378, 401 ff., 407 ff., und vom 13.06.2007 - 1 BvR 1550/03 u. a. -, BVerfGE 118, 168, 186 ff.; BVerwG, Urteil vom 25.01.2012, a.a.O., 341 Rn. 39). Bedenken unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit werden darauf             32 gestützt, dass es für die von der Behörde anzustellende Prognose über die Verhängung eines Bußgelds in bestimmter Höhe an einem objektiven und transparenten Maßstab - etwa in Gestalt eines Bußgeldkatalogs - fehle, um zumindest über einen Rahmen für die Zuordnung festgestellter Verstöße zur Höhe des Bußgelds zu verfügen (vgl. Grube/lmmel, ZLR 2011, 175, 192; Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 298 ff.; VG München Beschluss vom 03.12.2012 - M 18 E 12.5736 -, Juris). Die daraus folgende Gefahr einer stark unterschiedlichen Gewichtung der Verstöße und damit einer uneinheitlichen Veröffentlichungspraxis der zahlreichen Behörden werde dadurch verstärkt, dass die Prognose über das Gewicht eines Verstoßes noch durch den Umstand erschwert werde, dass die Bußgeldhöhe auch von subjektiven Faktoren bzw. persönlichen Umständen abhängt (z. B. vorsätzliche oder fahrlässige Begehung, Schuldeinsicht, wiederholte Begehung, Einkommen des Betroffenen usw.; vgl. VG München, a.a.O., Rn. 46; Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 298 f.). Nicht zuletzt mit Blick darauf, dass die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit und die Festsetzung der Höhe grundsätzlich im Ermessen der Bußgeldbehörde steht, stellt sich die Frage, ob die Bestimmung der Einschreitschwelle hier nicht zu weitgehend der freien, für den Bürger nicht vorhersehbaren Entscheidung der Exekutive überlassen wird (vgl. Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 299; Grube/lmmel, ZLR 2011, 644, 648 f.). (b) Schließlich hat der Senat Zweifel, ob § 40 Abs. 1a LFGB dem Gebot der                 33 Verhältnismäßigkeit genügt. Dieses verlangt, dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist (BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 - 1 BvR 370/07 -, BVerfGE 120, 274, 318 f.; Urteil vom 11.03.2008, a.a.O., S. 427). (aa) Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit fällt dabei ins Auge, dass § 40 Abs. 1a 34 5 von 8
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2013/7_L_569_12beschluss20130204.html LFGB keine Regelung hinsichtlich der Dauer der Veröffentlichung vorsieht. Dass die vom Gesetzgeber mit der Veröffentlichungspflicht verfolgten Ziele eine zeitlich unbegrenzte Veröffentlichung von Verstößen gegen dem Verbraucherschutz dienende Vorschriften erfordern, kann ausgeschlossen werden. Als milderes Mittel dürfte insoweit durch das Gesetz selbst oder auf dessen Grundlage eine Löschungsfrist vorzusehen sein (vgl. BayVGH, Beschluss vom 09.01.2012 - 12 CE 11.2700 -, Juris Rn. 41 - zur Veröffentlichung von Berichten der Heimaufsicht; Wollenschläger, a.a.O., 47). Die mit Blick auf diese "offensichtliche gesetzgeberische Lücke" im Erlasswege in Baden- Württemberg getroffene Festlegung, wonach die Eintragungen etwaiger Verstöße nach einem Jahr zu löschen seien (vgl. Erlass des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg vom 25.07.2012, a.a.O., S. 7), ist lediglich verwaltungsintern bindend und könnte einen festzustellenden verfassungsrechtlichen Mangel des Gesetzes nicht heilen. (bb) Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass die Schwere der        35 gesetzgeberischen Grundrechtsbeschränkung bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe steht. In dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zum Rechtsgüterschutz und dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten Rechte ist es dabei zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu erreichen. Dies kann dazu führen, dass Grundrechtseingriffe einer bestimmten Eingriffsintensität erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürfen. Entsprechende Eingriffsschwellen sind durch eine gesetzliche Regelung zu gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 11.03.2008, a.a.O., 428 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 25.01.2012, a.a.O., 343 f. Rn. 47 ; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.07.2003 -1 S 377/02-, VBIBW2004, 20, 25). Hiervon ausgehend wird im Schrifttum eingewandt, Berichte aus der Praxis ließen - auch        36 angesichts von Bußgeldtatbeständen, deren Höchstgrenze bei 50.000,-- EUR liege - ein Bußgeld in Höhe von 350,-- EUR eher als "Bagatelle" erscheinen. Deshalb stelle sich die Frage, ob die relativ niedrige Eingriffsschwelle für eine Veröffentlichungspflicht angesichts der aus der Prangerwirkung folgenden Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung noch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genüge (vgl. Grube/lmmel, ZLR 2012, 109, 117; Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 299; Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1502). Ferner wird darauf hingewiesen, dass die festgestellten Verstöße im Zeitpunkt der Veröffentlichung regelmäßig bereits abgeschlossen und die entsprechenden Mängel behoben sind (vgl. Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 307). Zu den Vorkehrungen, die geboten sind, um das Ausmaß des Grundrechtseingriffs im Interesse des betroffenen Betriebs zu begrenzen, dürfte daher auch die Normierung einer Pflicht der Behörde gehören, in die Veröffentlichung unverzüglich auch den Hinweis auf die Tatsache und den Zeitpunkt der Mängelbeseitigung aufzunehmen (zur Hinweispflicht vgl. auch Niedersächs. OVG, Beschluss vom 18.01.2013, a.a.O., Rn. 9). Im Zentrum der verfassungsrechtlichen Kritik an der gesetzlichen Regelung steht               37 schließlich, dass § 40 Abs. 1a LFGB eine zwingende Pflicht zur Veröffentlichung vorsieht. Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der im Normtext wie in den Materialien Ausdruck findet, muss bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Veröffentlichung erfolgen, ohne dass - etwa im Rahmen einer behördlichen Ermessensentscheidung - die für sie streitenden Interessen der Öffentlichkeit mit gegenläufigen Belangen der betroffenen Unternehmen abzuwägen sind. In der amtlichen Begründung heißt es hierzu: Die Geschehnisse im Zusammenhang mit Dioxin in Futtermitteln von Ende 2010/Anfang             38 2011 bestätigen die bereits in der Vergangenheit insbesondere im Zusammenhang mit 6 von 8
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2013/7_L_569_12beschluss20130204.html kennzeichnungsrechtlichen Verstößen im Bereich der Käseimitate sowie die des so genannten Analogschinkens gesammelten Erfahrungen, dass bei den Behörden vor Ort trotz der im Juli 2009 eingeführten Verbesserungen der Abwägungsklausel des bisherigen § 40 Abs. 1 S. 3 LFGB (vgl. BGBI. l S. 2205) teilweise immer noch Unklarheiten bestehen, in welchen Fällen eine Information der Öffentlichkeit angezeigt ist. Daher ist es notwendig, im Gesetz selbst durch die Schaffung eines neuen § 40 Abs. 1 a klarzustellen, dass bestimmte herausgehobene Rechtsverstöße unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 LFGB zu veröffentlichen sind. Nach dem neu eingefügten § 40 Abs. 1 a muss eine Namensnennung bei Feststellung dieser enumerativ aufgeführten Rechtsverstöße nunmehr zwingend - ohne dass den zuständigen Behörden ein (gebundenes) Ermessen zusteht - erfolgen (BT-Drucks. 17/7374, S. 20; ähnlich S. 12). Die zwingende Veröffentlichungspflicht der Behörde weckt Zweifel, ob der Gesetzgeber        39 noch einen angemessenen Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse an der Information und dem grundrechtlichen Geheimhaltungsinteresse hergestellt hat (vgl. Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1501 f.; Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 307 f.; Becker, ZLR 2011, 391, 416 f.; VG München, Beschluss vom 03.12.2012, a.a.O., Rn. 47). Dies gilt vor allem deshalb, weil sich die verfassungsrechtliche Konfliktlage unterscheidet von dem Fall behördlicher Warnungen vor produktbezogenen Gesundheitsgefahren. Dort wird angesichts der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleiteten staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben dem Gesundheitsschutz des Verbrauchers in der Abwägung mit dem grundrechtlichen geschützten Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens grundsätzlich ein Vorrang zukommen. Ein entsprechendes verfassungsrechtliches Gewicht kommt dem mit § 40 Abs. 1a LFGB primär verfolgten Ziel des "schlichten" Verbraucherschutzes nicht zu (zur Verbraucherinformation als eigenständigem Instrument des Verbraucherschutzes Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), 20 ff., 24 ff.). Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sind die festgestellten Mängel regelmäßig beseitigt, sodass auch von einem konkreten gesundheitlichen Risiko nicht auszugehen sein dürfte (vgl. Wollenschläger, DÖV 2003, 7, 14). Deshalb bestehen mit Blick auf den gesetzlichen Ausschluss der Möglichkeit, die widerstreitenden Belange im Einzelfall abzuwägen, selbst bei Einbeziehung der generalpräventiven Wirkung der Information Bedenken, ob der wegen ihrer öffentlichen Prangerwirkung mit der Veröffentlichungspflicht verbundene schwerwiegende Grundrechtseingriff noch in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Regelung verfolgten Gemeinwohlinteressen steht (vgl. Joh/Krämer/Teufer/Unland, ZLR 2012, 420, 429 f., 444; Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 307 f.; Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1501 f.). Dies gilt umso mehr, als die Vorschrift nicht einmal Raum lässt, um besonderen Fallgestaltungen oder Härten Rechnung zu tragen und so ein bei der Preisgabe personen- und unternehmenbezogener Informationen im konkreten Einzelfall drohendes Übermaß abzuwehren (a.A. offenbar Niedersächs. OVG, Beschluss vom 18.01.2013, a.a.O., Juris Rn. 8)." Angesichts dieser vom Verwaltungsgerichthof für das Land Baden-Württemberg                  40 aufgezeigten komplexen Rechtslage führt unter Berücksichtigung der Folgen, die sich aus einer Versagung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes ergeben können, die danach gebotene Abwägung des privaten Interesses der Antragstellerin an einem Unterbleiben der Veröffentlichung und des von der Antragsgegnerin wahrzunehmenden öffentlichen Interesses, zeitnah Markttransparenz im Lebensmittelbereich zu schaffen, dazu, die in Rede stehende Veröffentlichung (vorerst) zu untersagen. Zumal der Antragsgegnerin die komplette Palette des lebensmittelrechtlichen Ordnungsrechtes zur Verfügung steht, um von der Antragstellerin bzw. von deren Produkten eventuell ausgehenden Gefahren zu begegnen und Streitgegenstand letztlich nur das Herstellen von Markttransparenz ist. Vor diesem Hintergrund bedarf die Frage keiner Beantwortung, ob die beabsichtigte           41 7 von 8
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2013/7_L_569_12beschluss20130204.html Veröffentlichung auch deshalb als rechtswidrig einzustufen ist, weil deren Ankündigung das Lebensmittel oder die Gruppe von Lebensmitteln, die von den festgestellten betroffen sind, nicht benennt, vgl. insoweit unter anderem VG Regensburg, Beschluss vom 20. Dezember 2012 - RO 5        42 E 12.1798 -, VG Würzburg, Beschluss vom 12. Dezember 2012 - W & E 12.994 - sowie VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2012 - 4 K 3720/12 -, jeweils juris, und die Antragsgegnerin diesem von der Rechtsprechung angemahnten Erfordernis            43 anscheinend erst mit der Veröffentlichung selbst nachkommen will. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. In           44 Anlehnung an Nr. 25.2 und Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges der Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) hat die Kammer den Auffangwert von 5.000,- EUR angesetzt und von einer Reduzierung des Betrages im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgesehen. 8 von 8
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