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Aktenzeichen
9 S 2423/12
Datum
28. Januar 2013
Gericht
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Gesetz
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch

Beschluss: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 28. Januar 2013

9 S 2423/12

Der Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung entfällt nicht deshalb, weil bereits eine Veröffentlichung des Ergebnisses einer Kontrolle nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch stattgefunden hat, denn mit der Fortsetzung der Veröffentlichung wird deren Prangerwirkung perpetuiert und vertieft. Die den Eingriff in Grundrechte des Betroffenen rechtfertigende Befugnisnorm des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs zur Veröffentlichung von Informationen begegnet erheblichen Bedenken im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Unions- und Verfassungsrecht. Der Senat hat Zweifel, dass die Befugnisnorm dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügt, da weder die Dauer der Veröffentlichung, noch eine Hinweispflicht der Behörde und eine Abwägung widerstreitender Interessen geregelt sind. (Quelle: LDA Brandenburg)

Interessenabwägung Veröffentlichung von Informationen

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9 S 2423/12 VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss In der Verwaltungsrechtssache - Antragsteller - - Beschwerdegegner - prozessbevollmächtigt: gegen Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Landratsamt xxxxx-xxxxxx-xxxxx, xxxxxxxxxxxxxxxx xx - xx, xxxxx xxxxxxxxxx - Antragsgegner - - Beschwerdeführer - wegen Veröffentlichung im Internet hier: Antrag nach § 123 VwGO hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Roth, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Klein und die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Göppl am 28. Januar 2013 beschlossen: Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungs- gerichts Karlsruhe vom 4. Dezember 2012 - 5 K 3056/12 - wird mit der Maß-
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-2- gabe zurückgewiesen, dass die Untersagung, das Ergebnis einer amtlichen Kontrolle des Betriebs des Antragstellers am 13. September 2012 im Inter- netauftritt des Antragsgegners weiterhin zu veröffentlichen, unwirksam wird, wenn der Antragsteller nicht bis 1. März 2013 ein gerichtliches Hauptsache- verfahren eingeleitet hat oder sich ein anhängig gemachtes Hauptsachever- fahren (durch Zurücknahme oder auf andere Weise) in der Hauptsache ohne Sachentscheidung erledigt. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Gründe I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtschutz gegen eine Veröffentli- chung von lebensmittelrechtlichen Verstößen, welche anlässlich einer Be- triebskontrolle in seiner Speisegaststätte in X. von Bediensteten des Antrags- gegners am 13.09.2012 festgestellt wurden. Die vor Ort mündlich angeordne- te Schließung der Betriebsräume zur Durchführung einer fachgerechten Rei- nigung wurde unter dem 18.09.2012 schriftlich bestätigt. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Nachdem eine Nachkontrolle am 20.09.2012 keine Beanstandungen mehr ergeben hatte, wurde der Betrieb der Gaststätte wie- der gestattet. Bereits unter dem 17.09.2012 hatte der Antragsgegner ange- kündigt, dass gemäß § 40 Abs. 1a LFGB eine Veröffentlichung der festgestell- ten Verstöße im Internet beabsichtigt sei. Hierzu nahm der anwaltlich vertre- tene Antragsteller mit Schreiben vom 05.10.2012 Stellung. Unter dem 09.10.2012 kündigte der Antragsgegner an, das Ergebnis der amtlichen Kon- trolle frühestens ab dem 18.10.2012 zu veröffentlichen. Diese Frist wurde te- lefonisch nochmals bis 22.10.2012 verlängert. Mit Schreiben vom 19.10.2012 teilte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit, sobald die Antrags- schrift für das Eilverfahren fertiggestellt sei, würde man diese dem Antrags- gegner vorab per Telefax, spätestens am 22.10.2012, zukommen lassen. In der am 22.10.2012 erfolgten Veröffentlichung auf der Homepage des XXXX- XXXX-XXXXX wurde unter Nennung des Namens, der Anschrift und des Be- treibers der Gaststätte in der Rubrik Sachverhalt/Grund der Beanstandung
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-3- angegeben: „Mängel bei der Betriebshygiene, ekelerregende Herstellungs- oder Behandlungsverfahren.“ In der Folge wurde der Eintrag um den Hinweis ergänzt: „Nachkontrolle am 20.09.2012: Mängel beseitigt“. Mit Schreiben vom 15.11.2012 forderte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers den An- tragsgegner erfolglos auf, die Eintragung zu entfernen. Am 23.11.2012 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Karlsruhe um vorläufigen Rechts- schutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 04.12.2012 hat das Verwaltungsge- richt dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, in seinem Internetauftritt das Ergebnis einer amtlichen Kontrolle des Betriebs des Antragstellers am 13.09.2012 weiterhin zu veröffentlichen. Zur Begrün- dung hat es maßgeblich darauf abgestellt, dass an der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung erhebliche Zweifel bestünden, weil § 40 Abs. 1a LFGB nach seinem Wortlaut die Benennung eines konkreten beanstandeten Lebensmit- tels erfordere, woran es vorliegend fehle. Hiergegen richtet sich die Be- schwerde des Antragsgegners, mit der er auch geltend macht, dass es an ei- nem Anordnungsgrund fehle, da es der Antragsteller versäumt habe, vorbeu- genden Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Hilfsweise beantragt er, den Antrag des Antragstellers mit der Maßgabe abzulehnen, dass die Veröffentli- chung um konkret benannte, von den Verstößen betroffene Lebensmittel er- gänzt werde. II. Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwal- tungsgericht entschieden, dass der Antragsteller im Hinblick auf seinen An- trag nach § 123 VwGO sowohl einen Anordnungsgrund wie auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO). Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO be- schränkt ist, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die Beschwerde war da- her mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen, welche die Vorläufigkeit der einstweiligen Anordnung und die Möglichkeit einer ab-
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-4- schließenden Klärung in dem - bisher nicht anhängig gemachten - Hauptsa- cheverfahren sicherstellen soll (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsge- richtsordnung, 3. Auflage 2010, Rn. 116 zu § 123). 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Der An- tragsteller begehrt bei sachdienlicher Auslegung die Unterlassung einer Inter- netveröffentlichung. An diesem Gegenstand hat sich im Beschwerdeverfahren dadurch nichts geändert, dass der Antragsgegner in Vollziehung des verwal- tungsgerichtlichen Beschlusses die Interneteintragung am 19.12.2012 einst- weilen gelöscht hat. An der Statthaftigkeit des Antrags bestehen keinen Zweifel. Der Antragsteller macht in der Hauptsache einen Unterlassungsanspruch geltend, der mit einer Leistungsklage (vgl. § 43 Abs. 2, § 111 und § 113 Abs. 4 VwGO), nicht mit einer Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 1. Alternative VwGO durchzusetzen ist. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei der Veröffentlichung des Ergebnisses der Kontrolle im Internet nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 LVwVfG handelt. Die Veröf- fentlichung dient lediglich der Information der Öffentlichkeit (vgl. BT-Drucks. 17/7374, S. 1 und 12); sie ist somit nicht auf die Herbeiführung einer Rechts- folge gerichtet, sodass ihr das Merkmal der Regelung im Sinne des § 35 Satz 1 LVwVfG fehlt (vgl. Wollenschläger, DÖV 7, 10 f.; Wehlau, in: Voit, Lebens- mittelinformation zwischen Aufklärung und Skandalisierung, 2012, S. 51 ff., 59; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, Einf. Rn. 71). Damit liegt keine Anfechtungssituation vor, für die im einstweiligen Rechtsschutz der Vorrang der Verfahren nach § 80, § 80a VwGO gemäß § 123 Abs. 5 VwGO gelten würde (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2011, Rn. 4 zu § 123). 2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund (a) und einen Anordnungsan- spruch (b) glaubhaft gemacht hat. a) Im vorliegenden Fall besteht die Gefahr, dass im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirk-
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-5- lichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Bereits der 10. Senat des beschließenden Gerichtshofs hat überzeu- gend ausgeführt, dass das Verwaltungshandeln durch amtliche Information irreversibel ist und dass daran bei Fehlinformationen auch spätere Gegendar- stellungen, Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen nichts ändern, da die faktischen Wirkungen von Information regelmäßig nicht mehr eingefangen und umfassend beseitigt werden können (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.09.2010 - 10 S 2/10 -, VBlBW 2011, 72, 73; Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 13). Eine Verbraucherinformation zu - angeblichen - Rechtsverstößen eines Unternehmens kann für dieses existenzgefährdend oder sogar existenzver- nichtend wirken. Die öffentliche Zugänglichmachung von Verbraucherinforma- tionen verdrängt außerdem, soweit es sich um personenbezogene Informatio- nen handelt, die datenschutzrechtliche Zweckbindung (§ 18 Abs. 4 Landesda- tenschutzgesetz) und ermöglicht dem Empfänger der Information deren Ver- wendung für beliebige Zwecke (vgl. VGH Bad.-Württ., a.a.O., m.w.N.). Der danach bei amtlichen Verbraucherinformationen über Rechtsverstöße von Lebensmittelunternehmen auch angesichts deren Prangerwirkung regelmäßig anzunehmende Anordnungsgrund entfällt entgegen der Auffassung des An- tragsgegners im vorliegenden Fall nicht deshalb, weil es in der Zeit vom 22.10.2012 bis zum 19.12.2012 bereits zu einer Veröffentlichung des Ergeb- nisses der Kontrolle vom 13.09.2012 gekommen ist, nachdem der Antragstel- ler - möglicherweise aus ihm zuzurechnenden Gründen - nicht rechtzeitig um vorbeugenden Rechtsschutz nachgesucht hat. Denn mit Blick auf die verfas- sungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) führt der Umstand, dass die zwischenzeitliche Veröffentlichung ein- schließlich der dadurch ausgelösten Presseberichterstattung offenbar bereits nachteilige Folgen für die Reputation seines Gaststättenbetriebs gezeitigt hat, nicht automatisch dazu, dass der Antragsteller nunmehr auch in der Zukunft die weitere Veröffentlichung und alle damit verbundenen Folgewirkungen hin- zunehmen hat. Denn mit einer Fortsetzung der Veröffentlichung wird die von ihr ausgehende Prangerwirkung perpetuiert und - auch mit Blick auf den mitt- lerweile gewachsenen Bekanntheitsgrad des erst seit dem 01.09.2012 gelten- den § 40 Abs. 1a LFGB und der entsprechenden Internetseiten - ausgeweitet
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-6- und vertieft. Dabei ist nicht auszuschließen, dass gerade die Fortdauer der Beeinträchtigung dazu führt, dass diese in eine Gefährdung der Existenz des Betriebs des Antragstellers umschlägt. In diesem Zusammenhang ist zu be- rücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht den Gerichten aufgegeben hat, wegen der Besonderheiten der Verbreitung von Informationen über das Internet - insbesondere die schnelle und praktisch permanente Verfügbarkeit der Information für jeden, der an ihr interessiert ist, einschließlich der - über Suchdienste erleichterten - Kombinierbarkeit mit anderen relevanten Informa- tionen - den mit einer Anprangerung in diesem Medium verbundenen nachtei- ligen Wirkungen für grundrechtlich geschützte Belange ein gesteigertes Au- genmerk zu widmen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09.10.2001 - 1 BvR 622/01 -, BVerfGE 104, 65, 72 f. - Schuldnerspiegel im Internet). b) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen des vorläufi- gen Rechtsschutzes - wie § 123 VwGO - gehalten, der besonderen Bedeu- tung der betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Daraus folgt die Verpflichtung, die Ver- sagung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls dann auf eine eingehende Prü- fung der Sach- und Rechtslage zu stützen, wenn diese Versagung zu schwe- ren und unzumutbaren Nachteilen führt. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht. Dann verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beispielsweise, dass sich die Gerichte auch im Verfahren des vor- läufigen Rechtsschutzes mit berechtigten Zweifeln an der Verfassungsmäßig- keit und damit Gültigkeit von entscheidungserheblichen Normen und ihrer ver- fassungskonformen Auslegung und Anwendung auseinandersetzen. Diese Anforderungen belasten die Gerichte nicht unzumutbar, weil ihnen ein ande- res Verfahren offensteht, wenn sie - beispielsweise wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit - es für untunlich halten, Rechtsfragen vertiefend zu behandeln. Sie können dann ihre Entscheidung auf der Grundlage einer
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-7- Folgenabwägung ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Haupt- sache treffen (zum Ganzen BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 25.07.1996 - 1 BvR 638/96 -, NVwZ 1997, 479, 480, m.w.N.). Ausgehend davon ergibt sich der Anordnungsanspruch des Antragstellers aufgrund einer Folgenabwägung. Mit der gegenständlichen Veröffentlichung im Internet wird ohne Zweifel in Grundrechte des Antragstellers eingegriffen, die auch vor Beeinträchtigungen durch schlichtes Verwaltungshandeln (Ver- waltungsrealakt) schützen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.01.2012 - 6 C 9/11 -, BVerwGE 141, 329, 332 Rn. 22 m.w.N.). Betroffen sind insoweit die Schutz- bereiche des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; vgl. Becker, NJW 2011, 490, 492; Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), 20 ff., 45 f.) und der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.05.2010 - L 10 P 10/10 B ER -, Juris Rn. 33; Wollenschläger, a.a.O., 37 ff.), ggf. auch des Rechts auf Wahrung von Betriebsgeheimnissen (Art. 14 Abs. 1 GG bzw. Art. 12 Abs. 1 GG; vgl. Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2009, § 6 Rn. 8 m.w.N.) oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG). Bei einer Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Fortführung der Veröffentlichung müsste der Antragsteller mit Blick auf die genannten Grundrechte schwerwiegende und ggf. existenzielle Nachteile be- fürchten. Von der deshalb grundsätzlich bereits im Eilverfahren gebotenen eingehenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung, ob ihm der in der Haupt- sache geltend zu machende Unterlassungsanspruch zusteht, nimmt der Senat indes Abstand. Denn diese Prüfung wirft vor allem im Hinblick auf die der Veröffentlichung zugrunde liegende Befugnisnorm des § 40 Abs. 1a Nr. 2 des Lebensmittel-,   Bedarfsgegenstände-      und   Futtermittelgesetzbuchs   vom 07.09.2005 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Ver- braucherinformation vom 15.03.2012, BGBl I S. 776 - LFGB - zahlreiche, zum Teil komplexe und in Rechtsprechung und Literatur kontrovers beurteilte Rechtsfragen auf, die einer vertiefenden Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen (aa). Die danach angezeigte Abwägung der ge- genläufigen Interessen im Einzelfall fällt zu Lasten des Antragsgegners aus (bb).
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-8- aa) Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch findet seine Rechtsgrund- lage in den genannten Grundrechten des Antragstellers (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.01.2012, a.a.O., 332 Rn. 22; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.11.2006 - 1 S 2321/05 -, VBlBW 2007, 340). Der Anspruch setzt voraus, dass sich die Veröffentlichung als rechtswidriger Eingriff in diese Grundrechte darstellt (vgl. BVerwG, a.a.O.). Als den Eingriff rechtfertigende Befugnisnorm kommt allein § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB in Betracht, worauf der Antragsgegner die Veröffentlichung auch ausdrücklich stützt. Allerdings begegnet die bun- desgesetzliche Regelung im Hinblick auf ihre - von den Beteiligten konträr beurteilte - Vereinbarkeit mit Unions- <im Folgenden (1)> und Verfassungs- recht <im Folgenden (2)> erheblichen Bedenken. (1) Nach § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB informiert die zuständige Behörde die Öf- fentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermit- tels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel herge- stellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsa- chen hinreichend begründete Verdacht besteht, dass 1. … 2. gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefähr- dungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist. Zweck der Vorschrift ist es, den Verbraucher unabhängig vom Vorliegen einer Gesundheitsgefahr von Amts wegen über in der Vergangenheit liegende, her- ausgehobene Verstöße gegen dem Verbraucherschutz dienende Vorschriften zu informieren. Damit zielt die Bestimmung nicht auf eine Warnung der Bevöl- kerung vor Gesundheitsgefahren ab; sie bezweckt vielmehr neben einem vor- sorgenden Gesundheitsschutz (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 LFGB) vor allem eine
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-9- Verbesserung der aktiven Information der Öffentlichkeit und damit der Trans- parenz staatlichen Handelns, um dem Verbraucher eine verlässliche Grundla- ge für eigenverantwortliche Konsumentscheidungen auf dem Markt zu bieten (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a) LFGB sowie BT-Drucks. 17/7374, S. 12, 20, 25, 27; Erlass des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucher- schutz Baden-Württemberg vom 28.08.2012, Az 36-5470.00/31-8302.25, S. 3; Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 9; ders., VerwArch 102 (2011), 20 ff., 25; Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1502). Der mit der Vorschrift ersichtlich ange- strebte „Prangereffekt“ dürfte mit Blick auf das Verhalten des/der Lebensmit- telunternehmer(s) sowohl eine spezial- wie eine generalpräventive Kompo- nente aufweisen (vgl. Niedersächs. OVG, Beschluss vom 18.01.2013 - 13 ME 267/12 -, Juris Rn. 9; vgl. auch Wollenschläger, a.a.O., 24 f.). Gegen die Vereinbarkeit der Vorschrift mit Unionsrecht sind vor allem im Schrifttum mit Blick auf Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäi- schen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Er- richtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festle- gung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 01.02.2002, S. 1, im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 178/2002) Einwände erhoben worden. Nach dieser Vorschrift unternehmen, wenn ein hinreichender Verdacht be- steht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen kann, die Behörden unbeschadet der geltenden nationalen oder Gemeinschaftsbestimmungen über den Zugang zu Dokumenten je nach Art, Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete Schrit- te, um die Öffentlichkeit über die Art des Gesundheitsrisikos aufzuklären; da- bei sind möglichst umfassend das Lebensmittel oder Futtermittel oder die Art des Lebensmittels oder Futtermittels, das möglicherweise damit verbundene Risiko und die Maßnahmen anzugeben, die getroffen wurden oder getroffen werden, um dem Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten. Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 trifft nach einer von Schoch (NVwZ 2012, 1497, 1503) als herrschende Meinung bezeichneten Auffassung eine abschließende Regelung im Sinne einer Vollharmonisierung der Regelungen
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- 10 - zur Information der Öffentlichkeit über Beanstandungen von Lebens- und Fut- termitteln, über die nationales Recht nicht hinausgehen darf. Zur Begründung wird auf den Wortlaut des Art. 10 sowie auf Art. 4 und den Erwägungsgrund 22 der VO (EG) Nr. 178/2002 und Art. 7 Verordnung (EG) Nr. 882/2004 hin- gewiesen. Hiernach verstoße die behördliche Information der Öffentlichkeit über Futtermittel und Lebensmittel unterhalb der Schwelle des Gesundheitsri- sikos gegen Unionsrecht (zum Verhältnis des Risikobegriffs in Art. 3 Nr. 9 VO (EG) Nr. 178/2002 zum Gefahrbegriff des deutschen Rechts vgl. Seemann, Behördliche Produktinformation im europäischen und deutschen Lebensmittel- recht, 2008, 39 f.). Da § 40 Abs. 1a LFGB eine Information der Öffentlichkeit unterhalb dieser Schwelle vorsehe (die Information dürfte sich regelmäßig auf zwischenzeitlich beseitigte Mängel beziehen), würde die Sperrwirkung des Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 greifen und zur Unanwendbarkeit der Vorschrift führen (vgl. Grube, LMuR 2011, 21 ff.; Becker, ZLR 2011, 391, 402; Grube/Immel, ZLR 2011, 175, 190; Voit, LMuR 2012, 9, 15 ff.; Michl/Meyer, ZLR 2012, 557, 558, 565; zu Bedenken vgl. auch VG München, Beschluss vom 03.12.2012 - M 18 E 12.5736 - Juris, Rn. 41 ff.). Nach der Gegenmeinung enthält Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 keine Aussage zum Verbraucherschutz und belässt deshalb dem nationalen Ge- setzgeber die volle Regelungskompetenz. Europarechtlich legitimiert werde die Verbraucherinformation durch Art. 8, 17 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (vgl. Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1503 ff.; Seemann, a.a.O., 171 f.; VG Regenburg, Beschluss vom 23.10.2012 - RO 5 E 12.1580 -, Juris, Rn. 63 ff.; VG München Beschluss vom 13.09.2012 - M 22 E 12.4275 -, Juris Rn. 82 ff. ; Boch, LFGB, in: Das Deutsche Bundesrecht, Mai 2012, Nr. IV K 7, § 40 Rn. 18; zum Meinungsstand vgl. auch Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 8 mit Fußnote 3). Zur Klärung der kontrovers erörterten Frage der Sperrwirkung des Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist dem Europäischen Gerichtshof vom Land- gericht München ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt worden (vgl. den Beschluss vom 05.12.2011 - 15 O 9353/09 -, LMuR 1/2012, 32; Rechtssache C-636/11 Berger). Das Ersuchen bezieht sich zwar auf § 40 Abs. 1 Nr. 4
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