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Information

Aktenzeichen
14 K 79.12
Datum
28. November 2012
Gericht
Verwaltungsgericht Berlin
Gesetz
Verbraucherinformationsgesetz (VIG)
Verbraucherinformationsgesetz (VIG)

Urteil: Verwaltungsgericht Berlin am 28. November 2012

14 K 79.12

Das Bezirksamt wird verpflichtet, die Bewertung eines Cafés in der Liste der kontrollierten Gaststätten und Schankwirtschaften im Internet beseitigen zu lassen. Die Internetveröffentlichung lässt einen Bezug auf konkrete Erzeugnisse der Gaststätte vermissen. Nicht jeder Minuspunkt der Bewertung stellt einen lebensmittelrechtlichen Verstoß dar; das Bezirksamt setzt den Leser der Liste vielmehr dem unzutreffenden Eindruck aus, die Minuspunkte bezögen sich auf festgestellte Hygienemängel. Die Veröffentlichung liegt somit außerhalb des Anwendungsbereichs der entsprechenden Vorschrift des Verbraucherinformationsgesetzes. Auch die Regelung zur Produktwarnung auf der Grundlage des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs verlangt die Benennung des konkret bemängelten Lebensmittels. Der Aufrechterhaltung der den Kläger belastenden Internetveröffentlichung fehlt die Rechtsgrundlage. (Quelle: LDA Brandenburg)

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VG 14 K 79.12 Verkündet am 28. November 2012 Benkendorf Justizbeschäftigte als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle VERWALTUNGSGERICHT BERLIN URTEIL Im Namen des Volkes In der Verwaltungsstreitsache Klägers, Prozessbevollmächtigte: gegen das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin, - Rechtsamt -, John-F.-Kennedy-Platz, 10825 Berlin, Beklagten, hat das Verwaltungsgericht Berlin, 14. Kammer, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2012 durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Citron-Piorkowski, die Richterin am Landgericht Dr. Kriegel, den Richter am Verwaltungsgericht Diefenbach, den ehrenamtlichen Richter und die ehrenamtliche Richterin für Recht erkannt: -2-
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-2- Der Beklagte wird verurteilt, die Erwähnung des „Cafe L_____“ in Berlin Tem- pelhof-Schöneberg in der Liste der kontrollierten Gaststätten und Schankwirt- schaften im Internet beseitigen zu lassen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleis- tung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Tatbestand Der Kläger betreibt in verschiedenen Berliner Bezirken Speisegaststätten unter dem Namen Café L_____. Mit der vorliegenden Klage will er erreichen, dass die Erwäh- nung seines im Bezirk Tempelhof-Schöneberg von Berlin gelegenen Betriebes in der im Internet zugänglichen „Liste der kontrollierten Gaststätten und Schankwirt- schaften“, derzeit geführt von der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucher- schutz, beseitigt wird. Als „Cafe L_____“ ist seine Gaststätte dort mit der „aktuellen Bewertung: zufriedenstellend“ unter Erwähnung einer Minuspunkte-Zahl von 34 und dem 4. August 2011 als Datum der Bewertung erfasst. Diese Angaben gehen zurück auf eine Mitteilung des Bezirks Tempelhof-Schöneberg von Berlin, der den Betrieb am 3. August 2011 zur Überprüfung der Einhaltung lebensmittelrechtlicher Vorschrif- ten von einem Mitarbeiter des Fachbereichs Veterinär- und Lebensmittelaufsicht hat- te aufsuchen lassen. Dem nur in Teilen vorliegenden Verwaltungsvorgang des Bezirksamtes, das sich außerstande gesehen hat, den eigentlichen Vorgang seines Veterinär- und Lebens- mittelaufsichtsamtes beizubringen, lässt sich entnehmen, dass einige Zeit vorher die Beprobung von in dem genannten Betrieb aufgeschlagener Sahne durch das Lan- deslabor Berlin-Brandenburg unter dem Geschäftszeichen L 211/09229 stattgefun- den hatte. In der Beurteilung hieß es, die vorliegende Probe Schlagsahne sei nach dem Ergebnis der sensorischen Untersuchungen unauffällig, habe jedoch nach dem Ergebnis der mikrobiologischen Untersuchung nicht den Anforderungen entsprochen. Die Beurteilung erfolge nach den von der Fachgruppe Lebensmittelmikrobiologie und -hygiene der deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) empfoh- lenen Richt- und Warnwerten zur Beurteilung von aufgeschlagener Sahne. Der dorti- -3-
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-3- ge Richtwert für die Konzentration an Pseudomonaden, gemessen in Kolonie bilden- den Einheiten - KBE - pro Gramm, sei überschritten: Gemessen worden seien 4,0 x 4                                     3 10 KBE/g, der Richtwert laute 1,0 x 10 KBE/g. Außerdem sei der Richtwert für die 3 Konzentration an Enterobacteriaceae - 1,0 x 10 KBE/g - erreicht. Richtwertüber- schreitungen würden Schwachstellen im Herstellungsprozess und die Notwendigkeit anzeigen, die Wirksamkeit der vorbeugenden Maßnahmen zu überprüfen und Maß- nahmen zur Verbesserung der Hygienesituation einzuleiten. Aus Sachverständigen- sicht sollten sie einen Hinweis oder eine Belehrung, die Entnahme von Nachproben oder eine außerplanmäßige Betriebskontrolle zur Folge haben. Am 4. August 2011 wurde dem Kläger ein Anhörungsschreiben „gemäß § 4 Abs. 1 Verbraucherinformationsgesetz (VIG)“ übersandt, in dem behauptet wurde, ihm sei bei der amtlichen Kontrolle am 3. August 2011 ein „Protokoll zur Betriebsüberprü- fung“ betreffend die Beanstandungen ausgehändigt worden. Weiter hieß es, die Risi- kobewertung habe anlässlich der genannten Kontrolle den Punktwert 35 und die Be- wertung „Zufrieden stellend“ ergeben. Es sei beabsichtigt, gemäß § 5 Abs. 1 VIG über die Kontrolle eine Veröffentlichung im Internet vorzunehmen. Der Punktwert und die sich daraus ergebende Bewertung würden mit den Betriebsdaten (Betriebs- bezeichnung und Standort) im Internet veröffentlicht. Um prüfen zu können, ob Aus- schluss- oder Beschränkungsgründe vorlägen, werde dem Kläger Gelegenheit gege- ben, innerhalb eines Monats nach Erhalt dieses Schreibens schriftlich hierzu Stel- lung zu nehmen. Sollte innerhalb der genannten Frist keine Stellung genommen oder die Veröffentlichung der Informationen abgelehnt werden, entscheide die Behörde gemäß § 4 Abs. 1 VIG unter Abwägung der Interessen. Nachdem der Verfasser des Anschreibens vom 4. August 2011 dem Kläger gegen- über am 24. August 2011 telefonisch eingeräumt hatte, dass gar kein „Protokoll zur Betriebsüberprüfung“ existierte, wurde am selben Tage ein „Betriebskontrollbericht“ verfertigt und dem Kläger übersandt. Der Text dieses Berichts lautet wie: „Folgendes wurde festgestellt: Kontrollpunkte und Verstöße Nr. Kontrollbereich Verstoßart/Bemerkung 1. Tresenbereich    technische Mängel . Die Schlagsahnemaschine ist nicht allseitig umschlos- sen. Der Deckel schließt nicht konform mit der Maschi- ne. 2.                   . Mängel bei der Ausbildung und Schulung des Personals -4-
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-4- 3.                   . Belehrungen konnten nicht vorgelegt werden. 4. Gewerbebetrieb: Konzeptionelle Mängel . Erdhaltige LM sind gesondert zu kühlen. . Beginnender Schwarzschimmel am Kühlaggregat. . Ein HACCP-Konzept konnte nicht vorgelegt werden. Bei den genannten Feststellungen handelt es sich um Verstöße gegen le- bensmittelrechtliche Vorschriften, siehe EU-VO Nr. 852/2004.“ Ein Auszug des Gutachtens betreffend die Schlagsahne war dem Schreiben als An- lage beigefügt. Mit Schreiben vom 2. September 2011, das spätestens am 6. September 2011 beim Beklagten einging, erklärte der Kläger ausdrücklich, mit der Veröffentlichung dieser Bewertung nicht einverstanden zu sein. Aufgrund des Fehlens eines Protokolls vom 3. August 2011 sei die Bewertung für ihn nicht nachvollziehbar. Zu dem Gedächtnis- protokoll vom 24. August 2011 nehme er ohne Anerkennung eines Rechtsgrundes wie folgt Stellung: Zu Nr. 1 (Deckel schließt nicht konform mit der Schlagsahnemaschine): „Woraus ergibt sich aus dem geschilderten Sachverhalt eine konkrete Gefahr? Zu Nr. 2 (Mängel bei der Ausbildung und Schulung des Personals) „Was wussten meine Mitarbeiter konkret nicht?“ Zu Nr. 3 (Belehrungen konnten nicht vorgelegt werden): „Die roten Karten haben die Mitarbeiter vor Ort zu haben, sie werden einmal jährlich durch Herrn H_____, meinen Geschäftsführer belehrt. Eine Hygieneschulung findet einmal jährlich durch die Firma Ecolab statt.“ Zu Nr. 4: - Gesonderte Kühlung erdhaltiger Ware: „Was heißt das? Ein gesonderter Kühlschrank oder getrennt von anderen Lebensmitteln, wie bei mir der Fall?“ - Beginnender Schwarzschimmel: „Wie wurde das sichergestellt?“ - HACCP-Konzept: „Lieferscheine extern gelieferter Ware (Obst und Gemüse, weiße Ware) gehen in die Buchhaltungszentrale. Der interne Lieferverkehr wird erfasst über tägliche Bestellformulare (Muster beigefügt), daraus ist auch die Rückverfolgbarkeit zu ersehen. Die Bestellformulare liegen in den einzelnen Filialen, offenbar war die Frage danach für meine Mitarbeiter nicht verständlich genug formuliert.“ Zum „Prüfergebnis Schlagsahne“ erklärte der Kläger, es gebe keine gesetzlichen Anforderungen, die Schlagsahne erfüllen müsse. Das Labor beziehe sich auf die Empfehlungen eines Instituts, die nicht bindend seien. Eine konkrete Gefahr sei von der Schlagsahne nicht ausgegangen, auch sei nicht feststellbar, ob der Zustand der Sahne nicht schon bei Anlieferung bestanden habe. Nachproben seien nicht ange- ordnet worden, die Sahne sei in Geruch und Geschmack unauffällig gewesen. -5-
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-5- Schließlich wandte der Kläger ein, eine Veröffentlichung unter der verkürzten Über- schrift „Hygienekontrollergebnis“ sei sinnverfälschend. Den hygienischen Zustand im Betrieb könne der Verbraucher nicht aus Angaben entnehmen, bei denen organisato- rische Bewertungspunkte mit hygienischen Aspekten intransparent vermengt wür- den. Abschließend bat er um die Mitteilung des Bewertungsschemas sowie der be- wertungsrelevanten Kriterien. Ohne zwischenzeitliche Verlautbarung einer entsprechenden Entscheidung gegen- über dem Kläger veranlasste das Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt des Be- klagten, dass die erwähnte Bewertung der Gaststätte im November 2011 in die der- zeit bei der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz geführte bezirks- übergreifende „Liste der kontrollierten Gaststätten und Schankwirtschaften“ auf der Webseite „www.berlin.de“ mit der Note „zufriedenstellend“ und der Punkteanzahl 34 aufgenommen wurde. Mit seiner am 21. März 2012 erhobenen Klage will der Kläger die Löschung dieser nach wie vor existenten Internetmitteilung erreichen. Er macht hierfür einen Anspruch auf Unterlassung und nachfolgende Beseitigung aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch entsprechend §§ 1004, 906 BGB geltend. Als mit amtlicher Autorität ausgestattetes, auf eine kon- krete Einrichtung bezogenes und veröffentlichtes Werturteil beeinflusse die Bewer- tung unmittelbar seine Chancen am Markt, berühre seinen Ruf als Gastronom und beeinträchtige ihn daher in seiner grundrechtlich geschützten Freiheit. Zu verweisen sei dabei auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 1985 zur Arz- neimittel-Transparenzliste. Die Information der Öffentlichkeit über die hier vorge- nommene Gaststätten-Bewertung stelle einen mittelbaren Eingriff in seine Berufs- freiheit dar. Wegen der auf den Gastronomiebetrieb zukommenden gravierenden ökonomischen Konsequenzen aus der Veröffentlichung einer Note, die nicht „sehr gut“ ausgefallen sei, komme diese einer Verkaufsbeschränkung gleich, d. h. einem intensiven Betroffensein in einem grundrechtlich geschützten Bereich. Auf das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) könne sich der Beklagte zur Rechtfer- tigung dieses Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit im Ergebnis nicht stützen. Denn bei der hier zugänglich gemachten Bewertung des Betriebes mit der Note „zu- friedenstellend“ und „34 Punkten“ handele es sich nicht um Informationen im Sinne dieses Gesetzes. Nach der Definition des Begriffs „Information“ im VIG gehe es um objektive Feststellungen der überwachenden Behörden über Verstöße gegen le- bensmittelrechtliche Vorschriften. Subjektive Bewertungen, das heißt die Vergabe von Noten bzw. Punkten für lebensmittelverarbeitende Betriebe durch die Behörde, -6-
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-6- seien hiervon nicht erfasst - die Note „zufriedenstellend“ oder gar die Note „sehr gut“ sei kein Datum über einen Verstoß gegen eine lebensmittelrechtliche Vorschrift. Für den mündigen Verbraucher sei eine für einen Betrieb erteilte Schulnote wie z. B. die Note „zufriedenstellend“ oder die Vergabe einer bestimmten Punktzahl nicht transpa- rent, da - abgesehen von der Subjektivität dieser Bewertung - völlig unklar sei, wo denn etwaige Mängel in dem Betrieb lägen bzw. welche lebensmittelrechtlichen Vor- schriften verletzt seien. Transparenz könne nur durch die Mitteilung der konkreten Verstöße hergestellt werden. Denn nur dann könne der mündige Verbraucher beur- teilen, ob ihn z. B. die Nichtvorlage von Belehrungen und eines HACCP-Konzepts durch Mitarbeiter des Betriebs oder die Schlagsahnemaschine, deren Deckel nicht ganz konform mit der Maschine schließe (ohne dass dies Auswirkungen auf die Qua- lität der Schlagsahne habe), vom Besuch dieses Betriebes abhalten sollten. Die hier publizierte Note tauge lediglich dazu, bei dem Verbraucher ein mulmiges Gefühl zu hinterlassen. Sie sei daher nicht geeignet, die Transparenz zu erhöhen und auf Missstände hinzuweisen. Unabhängig davon genügten die Vorschriften des VIG ohnehin nicht dem verfas- sungsrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatz, da sie nicht regelten, über welchen Zeit- raum die Bewertung abgerufen werden könne, dass die Behörde zu einer Nachkont- rolle verpflichtet sei, ob bei einer nachfolgenden Kontrolle die alten Bewertungen wieder gelöscht werden könnten und in welcher Art und Weise die Darstellung der zu veröffentlichenden Informationen zu erfolgen habe. Schließlich führe die Veröffentlichung zu einer Ungleichbehandlung und Wettbe- werbsverzerrung. Hinzu komme, dass derzeit lediglich ein geringer Prozentsatz an Betrieben überhaupt bewertet sei. Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die Erwähnung des „Cafe L_____“ in der Liste der kontrollierten Gaststätten und Schankwirtschaften im Internet beseitigen zu lassen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er macht geltend, die Veröffentlichung der in Rede stehenden Bewertungen im Inter- net sei rechtmäßig erfolgt und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Kon- -7-
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-7- trolle am 3. August 2011 sei anhand eines Beispielmodells zur risikoorientierten Be- urteilung von Betrieben durchgeführt worden. Dies werde von der allgemeinen Ver- waltungsvorschrift über Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung der Einhaltung lebensmittelrechtlicher, weinrechtlicher, futtermittelrechtlicher und tabakrechtlicher Vorschriften (AVV Rahmen-Überwachung - AVV RÜb) empfohlen. In dem der Kontrolle vorausgegangenen Gutachten „Schlagsahne“ seien mit der Fest- stellung von Pseudomonaden, die zwar nicht als Gefahr für den Menschen, aber als Indikator für Problemlagen anzusehen seien, und von Enterobacteriaceae erhebliche hygienische Mängel konstatiert worden, die sich bei der Betriebskontrolle auch be- stätigt hätten. Der Verzehr der Schlagsahne sei allerdings für die Besucher der Gaststätte nicht mit einem Gesundheitsrisiko verbunden gewesen. Im VIG komme der Wunsch des Gesetzgebers nach der Veröffentlichung der Kont- rollergebnisse und somit ein prioritäres Interesse des Verbrauchers zum Ausdruck. Die Abwägung dieses Verbraucherinteresses mit den Interessen des Klägers habe vorliegend kein Veröffentlichungshindernis ergeben. Mit Schriftsatz vom 5. November 2012 hat der Beklagte ein am 4. August 2011 aus- gefülltes Datenblatt „Risikobeurteilung - FB: LM“ übersandt. Danach erfolgte die Punktevergabe nach den Hauptmerkmalen II - bisheriges Ver- halten des Lebensmittelunternehmers -, III - Verlässlichkeit der Eigenkontrollen - sowie IV - Hygienemanagement. Unter II 1. - „Einhaltung LM-rechtlicher Bestimmungen“ lautet die Werteingabe 1 Punkt - gut - und als Bemerkung heißt es „Schlagsahne beanstandet“. Die Rückverfolgbarkeit wird mit zwei Mängelpunkten als nur zufriedenstellend bewer- tet, „keine Lieferscheine“. Die Mitarbeiterschulung erhielt 6 Mängelpunkte, wurde als ausreichend betrachtet und mit „keine Schulungsnachweise“ begründet. Ebenfalls 6 Mängelpunkte erhielt in der Kategorie III das HACCP-Verfahren, wurde dabei aber als zufriedenstellend bewertet und zur Begründung hieß es „ohne HACCP“. Das Stichwort „Untersuchung von Produkten“ erhielt 3 Mängelpunkte, wurde mit „ausreichend“ benotet und mit „nicht nachweisbar“ begründet. Unter IV - Hygienemanagement - wurde die Personalhygiene mit 3 Mängelpunkten als „gut“ bewertet, die Produktionshygiene mit 10 Mängelpunkten als „ausreichend“; zur Begründung heißt es in beiden Fällen: „ohne Handschuhe“. -8-
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-8- Wegen der weiteren Einzelheiten und des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte verwiesen. Der bruchstückhafte Verwaltungsvorgang des Beklag- ten hat während der mündlichen Verhandlung vorgelegen. Entscheidungsgründe Die zulässige Klage ist begründet. I. Der Kläger verfolgt sein Begehren auf Beseitigung der Internetveröffentlichung zu Recht im Wege der allgemeinen Leistungsklage und nicht der - ein Vorverfahren vo- raussetzenden - Verpflichtungsklage. Der Beklagte hat der Internetveröffentlichung keinen Verwaltungsakt vorgeschaltet, sondern eine Abwägung entgegenstehender Belange nur angekündigt, ohne anschließend eine Entscheidung gegenüber dem Kläger zu artikulieren. Er hat die Eintragung im Wege des sog. Realakts veranlasst (siehe auch VG Karlsruhe, Beschluss vom 7. November 2012 - 2 K 2430/12 - betref- fend die Ankündigung einer Veröffentlichung, Rdnrn. 5 ff., 7), so dass auch deren Beseitigung als „actus contrarius“ lediglich einen Realakt voraussetzt. Der Bezirk ist als Urheber und Verantwortlicher der Internetauskunft der richtige Beklagtenvertreter für das vorliegende Begehren. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, die als Betreiberin der Internetseite firmiert, ist hierzu nicht etwa aus eigenem Recht legitimiert, sondern allein deshalb, weil die Bezirke ihr zu- arbeiten und die Veröffentlichung initiieren. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 6 des Gesundheitsdienstegesetzes (GDG) fällt der gesundheitliche Verbraucherschutz, u. a. der Schutz der Bevölkerung im Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (vgl. Buchst. a und § 15 Abs. 1 GDG), in die Zuständigkeit des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Nach § 2 Abs. 4 GDG obliegt die Wahrnehmung der Aufgaben nach § 1, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, allen Bezirksämtern. Die Frage, ob sich die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz überhaupt dem gesundheitlichen Verbraucherschutz widmen darf oder ob dieser, wie in § 2 Abs. 1 Nr. 1 GDG vorgesehen, der für das Gesundheitswesen zuständigen Se- natsverwaltung obliegt, soweit es um Aufgaben auf Senatsebene geht, kann deshalb dahinstehen. -9-
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-9- II. Der Kläger kann vom Beklagten verlangen, die Löschung seines im Bezirk Tem- pelhof-Schöneberg von Berlin gelegenen Betriebes in der im Internet zugänglichen „Liste der kontrollierten Gaststätten und Schankwirtschaften“ zu veranlassen, weil die dortige Verlautbarung rechtswidrig ist und ihn in seiner durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes geschützten freien unternehmerischen Betätigung ver- letzt. Ihm steht deshalb der allgemeine öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch analog §§ 1004, 906 BGB i. V. m. der Abwehrfunktion der Grundrechte zu, nach dem jeder Bürger von einem Hoheitsträger Unterlassung eines unmittelbar bevorstehen- den oder noch andauernden rechtswidrigen Eingriffs in seine subjektiven öffentlichen Rechte verlangen kann (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 9. Januar 2012 - 12 CE 11.2685, Rdnrn. 16 f. m. w. N.). Die Internetverlautbarung stellt einen Akt staatlicher Lenkung dar, beeinflusst unmit- telbar die Chancen des Klägers am Markt und berührt seinen Ruf als Gastronom. Für diesen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist eine gesetzliche Grundlage erfor- derlich (dazu nachfolgend 1.), die dem Beklagten nicht zur Seite steht (dazu nach- folgend unter 2.). 1. Die Mitteilung suggeriert einen tatsächlichen Befund - das Feststellen von 34 so- genannten Minuspunkten - und kombiniert diesen mit einem vergleichsweise negati- ven Werturteil - der Note „zufriedenstellend“, die zwei Ränge unterhalb der Bestnote „sehr gut“ liegt. In den allgemeinen Hinweisen, die der unter dem Schlagwort „Sicher essen in Berlin“ firmierenden Liste vorangestellt sind, heißt es: „Wird die Hygiene beanstandet, gibt es Minuspunkte …“. Dies lässt den Verbraucher annehmen, dass mit der Anzahl der Minuspunkte das Sicherheitsrisiko für den Verzehr von Speisen steigt, den Minuspunkten also eine Warnfunktion zukommt. Hierfür bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. a) Allerdings führt nicht etwa jede im Ergebnis wettbewerbsrelevante staatliche In- formation bereits zu einer Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzer- rung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt, beeinträchtigen marktbezogene Informationen des Staa- tes den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber nicht (vgl. - zu sog. Glykolwarnung - BVerfG, Urteil vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91, Leitsatz 1 und Rdnr. 49 bei juris). Art. 12 Abs. 1 GG schützt Marktteilnehmer nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener In- formationen am Markt, die Rechtsordnung zielt auf Markttransparenz (BVerfG, - 10 -
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- 10 - a. a. O., Orientierungssatz 1 c, Buchst. aa). Insofern ist nicht für jede wettbewerbsre- levante staatliche Information eine spezifische gesetzliche Grundlage im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erforderlich, vielmehr wird insbesondere der Aufgabe der Staatsleitung auch die Ermächtigung zum Informationshandeln zugeordnet (BVerfG, a. a. O., juris, Rdnr. 51, sowie BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - Psychosekte, Osho-Bewegung -, juris, Rdnr. 76). b) Auf diese Freistellung von gesetzgeberischen Vorgaben kann sich der Beklagte jedoch nicht berufen. Zum einen ist der Bereich staatlicher Information im Lebensmittelsektor inzwischen mit dem Verbraucherinformationsgesetz, auf das sich der Beklagte im Übrigen selbst bezieht, sowie mit § 40 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelge- setzbuchs - LFGB - vom Gesetzgeber im Einzelnen geregelt worden. Dabei geht mit der Ermächtigung der Verwaltung zu bestimmten belastenden Handlungen die den Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit konkretisierende Gewährleistung für den Bürger einher, jenseits dieser gesetzlichen Grundlagen nicht durch Informa- tionsakte belastet zu werden: Seine Berufsausübungsfreiheit ist durch den Rahmen auch dieser Gesetze mit Relevanz für Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht in den genannten Entscheidungen ohnehin jeweils betont, dass die staatliche Informationstätigkeit dann eine Beein- trächtigung im Gewährleistungsbereich des Grundrechts sein kann, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnahme ist, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre. Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs könnten die besonderen Bindungen der Rechtsordnung nicht umgangen werden; vielmehr müssten die für Grundrechtseingriffe maßgeben- den rechtlichen Anforderungen erfüllt sein (vgl. die sog. Glykolentscheidung, juris, a. a. O., Rdnr. 62, sowie die sog. Osho-Entscheidung, a. a. O., juris, Rdnr. 76). So liegt der Fall hier: Mit der Information über - angebliche - Hygienemängel geht es nicht um Krisenbewältigung in unvorhergesehenen Fällen, sondern um administrati- ve Maßnahmen des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes, die auf eine Behand- lung einer Vielzahl konkreter Einzelfälle und die Beseitigung daraus resultierender Nachteile zielen. Die Veröffentlichungen haben Wirkungen, die denen eines ord- nungsrechtlichen Instruments entsprechen: Der betroffene Gastronom wird an den „elektronischen Pranger“ gestellt, was deutlich belastender ist als eine ordnungsbe- hördliche Aufforderung zur Beseitigung der monierten Mängel, so dass die Veröffent- lichung nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Grundrechtseingriff zu qualifizieren ist (so auch - zur Veröffentlichung von Prüfbe- - 11 -
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