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Information

Aktenzeichen
10 S 2/10
Datum
13. September 2010
Gericht
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Gesetz
Verbraucherinformationsgesetz, Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch
Verbraucherinformationsgesetz, Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch

Urteil: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 13. September 2010

10 S 2/10

Die sachliche Zuständigkeit für die Feststellung von Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch und die Herausgabe von entsprechenden Verbraucherinformationen liegt bei den Vollzugsbehörden. Informationspflichten nach dem Verbraucherinformationsgesetz gelten grundsätzlich auch für die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter. Die Herausgabe von Informationen über Verstöße durch ein Untersuchungsamt ohne entsprechende vorherige Feststellung durch die Vollzugsbehörde stellt eine unrichtige Sachbehandlung dar, die zur Kostenfreiheit der erteilten Information führt. (Quelle: LDA Brandenburg)

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10 S 2/10 VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil In der Verwaltungsrechtssache - Kläger - - Berufungskläger - prozessbevollmächtigt: gegen Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Stuttgart, Ruppmannstraße 21, 70565 Stuttgart, Az: - Beklagter - - Berufungsbeklagter - wegen Gebühren für Verbraucherinformation hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Lernhart, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Paur und den Richter am Verwaltungsgerichtshof im Nebenamt Prof. Dr. Schoch ohne mündliche Verhandlung am 13. September 2010 für Recht erkannt:
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- 2 - Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stutt- gart vom 26. November 2009 – 4 K 2331/09 – geändert. Die Verfügung des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts Stuttgart vom 9. Dezember 2008 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20. Mai 2009 werden aufgehoben, soweit für die erteilte Verbraucherinforma- tion eine Gebühr erhoben wird. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Gebührenerhebung für eine Verbraucherinformation. Mit Schreiben vom 25.09.2008 beantragte der Kläger beim Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart die Übermittlung von Informati- onen nach dem Verbraucherinformationsgesetz zu Räucherlachs und Graved Lachs aus den Jahren 2007 und 2008. Der Kläger erbat – nach Maßgabe ei- nes dem Antrag beigefügten Formblatts – Informationen zum Verhältnis von untersuchten und davon beanstandeten Proben sowie nähere Informationen zu den hygienisch zu verbessernden Erzeugnissen, die nicht den Richt- bzw. Warnwerten der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie ent- sprechen und zu den Proben mit Listeriennachweis sowie zu den beanstan- deten Lachserzeugnissen. In dem Antragsschreiben äußerte der Kläger die Erwartung, dass allenfalls geringe Kosten entstehen werden, da sich die be- gehrten Informationen überwiegend auf beanstandete Produkte bezögen; bei anfallenden Gebühren bat der Kläger das CVUA Stuttgart „um eine vorherge- hende Begründung sowie Benachrichtigung über die Gebührenhöhe“. Mit Schreiben vom 01.10.2008 teilte das CVUA Stuttgart dem Kläger mit, dass für die beantragte Verbraucherinformation eine sehr zeitintensive Datenre- cherche und Datenzusammenstellung erforderlich sei; deshalb sei von ge- schätzten Kosten in Höhe von etwa 160 € auszugehen. Mit Schreiben vom 04.10.2008 an das CVUA Stuttgart machte der Kläger geltend, dass die be-
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- 3 - gehrte Information kostenfrei erteilt werden müsse, denn der Antrag richte sich „ausschließlich auf Beanstandungen der Lebensmittelüberwachung. Uns interessieren demnach amtlich festgestellte Gesetzesverstöße, beispielsweise wegen Verstoßes gegen das Täuschungsverbot in § 11 LFGB“. Ergänzend wurde in dem Schreiben hervorgehoben, es werde gebeten, „zunächst alle diejenigen Fragen zu beantworten, die sich entsprechend den Ihnen vorlie- genden Daten auf Beanstandungen infolge von Gesetzesverstößen gegen das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch beziehen“. Handschriftlich ist auf S. 2 des Schreibens des Klägers vom 01.10.2008 von der Sachbearbeiterin des CVUA Stuttgart vermerkt (07.10.2008), nach telefonischer Rücksprache mit dem Kläger werde der Antrag trotz eventueller Kosten aufrechterhalten; ge- gen eine Kostenerhebung werde vermutlich Widerspruch eingelegt. Mit Verfügung vom 09.12.2008 entschied das CVUA Stuttgart, die beantrag- ten Informationen teilweise herauszugeben; für die Informationserteilung wur- de eine Gebühr in Höhe von 160 € erhoben, die unter Berücksichtigung des Verwaltungsaufwands     und   bei   Beachtung   des   Kostendeckungs-    und Äquivalenzprinzips erforderlich, aber auch ausreichend sei. Mit Widerspruch vom 16.12.2008 wandte sich der Kläger gegen die Gebührenerhebung; da nur Informationen über Gesetzesverstöße beantragt worden seien, bestehe keine Kostenpflicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück. Zwar sei das CVUA Stuttgart nach dem Verbraucherinformationsgesetz eine auskunftspflichtige Stelle, Gebührenfrei- heit bestehe aber nur bei Informationen zu Gesetzesverstößen; als Untersu- chungseinrichtung der auftraggebenden Behörde stelle das CVUA Stuttgart lediglich Messergebnisse ohne weitere Bewertung zur Verfügung, über einen „Verstoß“ im Rechtssinne könnten nur die zuständigen Vollzugsbehörden in- formieren.
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- 4 - Am 18.06.2009 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erho- ben und beantragt, die Verfügung des CVUA Stuttgart vom 09.12.2008 und den    Widerspruchsbescheid     des    Regierungspräsidiums      Stuttgart vom 20.05.2009 insoweit aufzuheben, als darin eine Gebühr für die Informationen über beanstandete Proben festgesetzt wird. Zur Begründung der Klage wurde ausgeführt, das CVUA Stuttgart trete nicht nur verwaltungsintern auf, sondern berichte gegenüber der Öffentlichkeit regelmäßig über die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen, also über festgestellte Gesetzesverstöße. An der Qualifizierung einer Handlung als „Gesetzesverstoß“ ändere sich nichts da- durch, dass anstelle der Vollzugsbehörde das CVUA Stuttgart den Verstoß feststelle und bekanntgebe. Folge man indessen der Argumentation des Be- klagten, dass nur die zuständigen Vollzugsbehörden über Gesetzesverstöße gebührenfrei informieren könnten, sei das CVUA Stuttgart verpflichtet gewe- sen, den Antrag auf Informationsgewährung an die zuständige Vollzugsbe- hörde weiterzuleiten. - Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Mit Urteil vom 26.11.2009 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage ab- gewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Bei den an den Kläger herausgegebenen Informationen handele es sich nicht um Daten über Gesetzesverstöße im Sinne des Verbraucherinformationsrechts. Ver- stöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften könnten nur die zuständigen Überwachungsbehörden, d. h. in den Landkreisen die Landratsämter und in den Stadtkreisen die Gemeinden, feststellen. Das CVUA Stuttgart sei nur eine technische Fachbehörde ohne Exekutivbefugnisse, könne also z. B. Grenz- wertüberschreitungen und Belastungen mit unerwünschten Substanzen bei Lebensmitteln feststellen, die Qualifizierung als „Verstoß“ sei dem CVUA aber versagt. Der Kläger habe die ihm gegebene Information entgegengenommen und zu keinem Zeitpunkt beanstandet; die erhaltenen Informationen seien für den Kläger wertvoll und ausreichend gewesen, Einwände seien nur gegen die fehlende Qualifikation als „Verstöße“ erhoben worden. Die festgesetzte Ge- bühr sei nicht nur dem Grunde nach rechtmäßig, sondern auch der Höhe nach nicht zu beanstanden; sie sei nach dem Zeit- und Sachaufwand bemessen
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- 5 - und auch deshalb plausibel, weil das CVUA die Höhe der Gebühr dem Kläger bereits im Vorfeld mitgeteilt habe. Gegen das ihm am 10.12.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.12.2009 die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung eingelegt und am 13.01.2010 im Wesent- lichen wie folgt begründet: Daten über Verstöße im Sinne des Verbraucher- informationsgesetzes seien von den informationspflichtigen Stellen kostenfrei herauszugeben. Zu Unrecht werde vom Verwaltungsgericht mit dem Erforder- nis einer amtlichen Feststellung des Gesetzesverstoßes durch die zuständige Vollzugsbehörde ein Tatbestandsmerkmal kreiert, das das Gesetz nicht ken- ne. Da das CVUA Stuttgart nicht gesetzeskonforme Produkte beanstande, stelle es eine Normabweichung und damit einen Gesetzesverstoß fest; be- grifflich seien „Beanstandung“ und „Verstoß“ Synonyme. Halte man demge- genüber das CVUA Stuttgart zur Erteilung der beantragten Informationen über Gesetzesverstöße für nicht zuständig, habe das Untersuchungsamt die An- frage an die zuständige Verwaltungsbehörde weiterleiten müssen; diese Be- hörde hätte dann die erbetene Information kostenfrei erteilt. Das CVUA Stutt- gart könne nicht zu Lasten des Auskunftsberechtigten einen Gebührentatbe- stand dadurch schaffen, dass es, obwohl unzuständig, die erbetene Informa- tion gebe und diese auch noch als Information über „Verstöße“ bezeichne. Der Kläger beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26.11.2009 – 4 K 2331/09 – zu ändern und die Verfügung des Chemischen und Veteri- näramts Stuttgart vom 09.12.2008 sowie den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.05.2009 aufzuheben, so- weit für die erteilte Verbraucherinformation eine Gebühr erhoben wird. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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- 6 - Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt noch aus, das CVUA Stuttgart habe Informationen über von ihm festgestellte „Beanstandungen“ herausge- geben und dafür rechtmäßig Gebühren erhoben. Ob eine Beanstandung einen Verstoß gegen eine Rechtsnorm darstelle, bedürfe einer weiteren Bewertung, die allein der unteren Lebensmittelbehörde obliege. Aus den Beanstandungen des CVUA zu einem Produkt könne sich der Verstoß eines Normadressaten gegen das Lebensmittelrecht ergeben; zu entscheiden habe darüber die un- tere Lebensmittelbehörde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewech- selten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die dem Senat vorliegenden Ak- ten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart Bezug genommen. Entscheidungsgründe Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO). Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch sonst zulässige Berufung ist begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abge- wiesen. Die angefochtene Gebührenerhebung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs.1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat ausdrücklich Informationen zu Gesetzesverstößen, insbeson- dere gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, begehrt. Zur Her- ausgabe derartiger Informationen in Vollzug des Verbraucherinformationsge- setzes (VIG) vom 5.11.2007 (erlassen als Art. 1 des Gesetzes zur Neurege- lung des Rechts der Verbraucherinformation, BGBl I S. 2558) fehlt dem Che- mischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart die sachliche Zu- ständigkeit. Kosten, die – hier für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit einer Landesbehörde in Ausführung von Bundesrecht (§ 1 Abs. 1 Nr. 2
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- 7 - VwKostG) – bei richtiger Behandlung der Sache durch die Behörde nicht ent- standen wären, dürfen nicht erhoben werden (§ 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG). Mangels sachlicher Zuständigkeit zur Auskunftserteilung über „Verstöße“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG musste das CVUA Stuttgart bei richti- ger Behandlung der Sache nach § 5 Abs. 2 VIG verfahren; dies hat es zu Un- recht nicht getan. I. Das Verbraucherinformationsgesetz ist auf das CVUA Stuttgart anwendbar. Denn die Informationspflicht, die zugleich den sachlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes markiert, besteht unzweifelhaft auch für die im Rahmen der Lebensmittelkontrolle als „Untersuchungseinrichtungen“ fungierenden Chemi- schen und Veterinäruntersuchungsämter (vgl. § 21 Abs. 1 AGLMBG BW). Der Umstand, dass ein Untersuchungsamt lediglich verwaltungsintern im Auftrag einer Vollzugsbehörde gutachterlich tätig wird und fachwissenschaftliche Hilfsdienste für die Vollzugsbehörde erbringt, entbindet nicht von der Infor- mationspflicht nach dem Verbraucherinformationsgesetz (so aber Hart- wig/Memmler, ZLR 2009, 51, 59 f.; Grube/Weyland, VIG, Kommentar, 2008, § 1 RdNr. 13). Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VIG i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 2 AGVIG BW sind Untersuchungseinrichtungen ausdrücklich zu informations- pflichtigen Stellen erklärt, soweit sie für die amtliche Lebensmittelüberwa- chung tätig sind. Das trifft auf die Chemischen und Veterinäruntersuchungs- ämter zu (§ 21 Abs. 2 AGLMBG BW). Der Landesgesetzgeber hat die Einbe- ziehung der Untersuchungseinrichtungen in den Kreis der informations- pflichtigen Stellen ausdrücklich gewollt (vgl. LT-Drucks. 14/2596, S. 11). Folg- lich ist das CVUA Stuttgart an sich eine „zuständige Stelle“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VIG, so dass das Verbraucherinformationsgesetz an- wendbar ist. II. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass das CVUA Stuttgart die sachliche Zuständigkeit zur Information gerade über „Verstöße“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG) hat; diese Frage ist unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten zu be- antworten und zu verneinen.
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- 8 - 1. Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, unter welchen Vo- raussetzungen von einem „Verstoß“ im Sinne des Verbraucherinformations- rechts gesprochen werden kann. Da § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG auf Geset- zes- und sonstige Rechtsverstöße abstellt, muss jedenfalls eine Abweichung von rechtsnormativen Vorgaben vorliegen (Normabweichung). Das Geset- zesmerkmal „gegen“ legt eine Wortlautinterpretation nahe, die als „Verstoß“ jedes menschliche Verhalten erfasst, das mit lebensmittelrechtlichen Vor- schriften, insbesondere Geboten und Verboten, nicht in Einklang steht (BayVGH, Beschl. v. 22.12.2009 – G 09.1 – ZLR 2010, 219, 225; Beyer- lein/Borchert, VIG, Kommentar, 2010, § 1 RdNr. 30; Flaig, ZLR 2010, 179, 182 f.). Nach dem Gesetzeswortlaut ist jede Abweichung von lebensmittel- rechtlichen Anforderungen als „Verstoß“ zu qualifizieren; für die Auffassung, dass ein Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht sein muss (so Gru- be/Weyland, a.a.O., § 1 RdNr. 5), bietet der Gesetzeswortlaut keinen An- haltspunkt (Wustmann, in: Informationsfreiheit und Informationsrecht, Jahr- buch 2009, S. 205, 218). Die Wortlautinterpretation wird durch die systematische Gesetzesauslegung gestützt. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG bezieht in die Fälle der Normabweichung (zur Ermittlung von „Verstößen“) unmittelbar geltende Rechtsakte der Euro- päischen Gemeinschaft ein. Zu diesen Rechtsakten zählen vor allem Verord- nungen (Art. 249 Abs. 2 EGV = Art. 288 Abs. 2 AEUV). Für das Lebensmittel- recht kann im vorliegenden Zusammenhang auf die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tier- schutz (ABl. L 191 vom 28.05.2004, S. 1) zurückgegriffen werden. Nach der Legaldefinition des Art. 2 Nr. 10 VO 882/2004/EG ist unter „Verstoß“ jede „Nichteinhaltung des Futtermittel- oder Lebensmittelrechts und der Bestim- mungen über Tiergesundheit und Tierschutz“ zu verstehen. Auf diese Be- griffsbestimmung kann zwecks Erfassung von „Verstößen“ gegen das Le- bensmittelrecht zurückgegriffen werden (BayVGH, a.a.O., S. 225; Wustmann,
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- 9 - a.a.O., S. 218). In diesem Sinne ist der Antrag des Klägers auf Auskunft zu verstehen. 2. Die sachliche Zuständigkeit und damit die rechtliche Befugnis zur Informa- tion über „Verstöße“ im Rechtssinne steht nach der geltenden Zuständigkeits- ordnung den Vollzugsbehörden zu; Untersuchungsämter verfügen demgegen- über insoweit nur über begrenzte Zuständigkeiten und Informationsbefug- nisse. a) Den Untersuchungsämtern ist auf der Grundlage des § 38 Abs. 1 Satz 1 LFGB eine die Lebensmittelüberwachungsbehörden (Vollzugsbehörden) un- terstützende Aufgabe, vornehmlich in Gestalt von Lebensmittelproben und der Auswertung der Analysen, überantwortet (Wehlau, LFGB, Kommentar, 2010, § 38 RdNr. 10; vgl. auch Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB/BasisVO, Kommen- tar, 2007, § 38 RdNr. 8). Gesetzlich ist den Chemischen und Veterinärunter- suchungsämtern eine mitwirkende Funktion im Rahmen der Lebensmittel- überwachung zugewiesen; eigenverantwortlich haben die Ämter die von den zuständigen Behörden entnommenen Proben zu untersuchen und unabhängig zu begutachten (§ 21 Abs. 2 AGLMBG BW). Indem die Informationspflicht der Untersuchungseinrichtungen angeordnet ist, soweit diese für die amtliche Le- bensmittelüberwachung tätig sind (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AGVIG BW), muss der gesetzlich normierte Zuständigkeitsbereich beachtet werden (LT-Drucks. 14/2596, S. 11). Das Verdikt des „Rechtsverstoßes“ setzt eine juristische Be- wertung der Untersuchungsergebnisse voraus; dafür haben die Untersu- chungsämter keine Kompetenz, diese kommt vielmehr den Vollzugsbehörden zu (Wustmann, a.a.O., S. 219). In nahezu wörtlicher Übereinstimmung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG bestimmt § 39 Abs. 1 Satz 1 LFGB, dass die Überwa- chung der Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes, der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen und der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft zum Lebensmittelrecht Aufgabe der zuständigen Behörden ist. Dies sind allein die Lebensmittelüberwa- chungsbehörden (§ 38 Abs. 1 Satz 1 LFGB i. V. m. § 18 AGLMBG BW) und nicht (auch) die Untersuchungsämter, wobei die sachliche Zuständigkeit
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- 10 - grundsätzlich bei den unteren Lebensmittelüberwachungsbehörden liegt (§ 19 Abs. 1 AGLMBG BW). Diese klare Zuständigkeitsregelung zur „Überwachung der Einhaltung der Vorschriften“ des Lebensmittelrechts (§ 39 Abs. 1 Satz 1 LFGB) weist die Entscheidungskompetenz zur Feststellung von Normabwei- chungen und damit von „Verstößen“ gegen das Lebensmittelrecht den Voll- zugsbehörden zu. b) Diese gesetzliche Zuweisung von Kompetenzen und Befugnissen ent- spricht auch Sinn und Zweck des Verbraucherinformationsrechts und trägt den Besonderheiten des Faktors „Information“ Rechnung. Nur bei einer Kon- zentration der Informationsbefugnis zu „Verstößen“ gegen das Lebensmittel- recht bei den Vollzugsbehörden kann es einen „einheitlichen Vollzug der Ver- braucherinformationen“, wie von § 1 Abs. 1 AGVIG BW verlangt, in Bezug auf Normabweichungen geben. Allein diese Zuständigkeitsbündelung stellt im Verhältnis zwischen Überwachungsbehörden und Untersuchungseinrichtun- gen die Kongruenz von aktiver und passiver Verbraucherinformation (näher dazu Schoch, ZLR 2010, 121, 125 f.) sicher; denn die von Amts wegen erfol- gende öffentliche Information zu Verstößen gegen das Lebensmittelrecht ist den zuständigen Vollzugsbehörden – und nicht (auch) den Untersuchungs- ämtern – zugewiesen (§ 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 9 i. V. m. § 40 LFGB). Verwaltungshandeln durch „Information“ ist irreversibel; daran ändern bei Fehlinformationen auch – spätere – Gegendarstellungen, Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen nichts, da die faktischen Wirkungen von Informa- tion regelmäßig nicht (mehr) eingefangen und umfassend beseitigt werden können (Käß, WiVerw 2002, 197, 208). Eine Verbraucherinformation zu – an- geblichen – Rechtsverstößen eines Unternehmens kann für dieses existenz- gefährdend oder sogar existenzvernichtend wirken (Pache: in: Meyer/Streinz, a.a.O., § 40 RdNr. 4, mit Praxisbeispiel). Die Zugänglichmachung von Ver- braucherinformationen verdrängt außerdem, soweit es um personenbezogene Informationen geht, die datenschutzrechtliche Zweckbindung (§ 18 Abs. 4 LDSG) und ermöglicht dem Empfänger der Information deren Verwendung für
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