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Information

Aktenzeichen
2 A 135.07
Datum
24. September 2008
Gericht
Verwaltungsgericht Berlin
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Berlin (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Berlin (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Berlin am 24. September 2008

2 A 135.07

Strittig war die Frage, ob eine Senatsverwaltung, welche die im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens erforderlichen Unterlagen an ein Stromversorgungsunternehmen zurückgereicht hatte, verpflichtet ist, im Falle eines Informationszugangsantrags wiederzubeschaffen. Die Formulierung des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes bezieht sich auf "geführte Akten", d.h. sie müssen auch tatsächlich vorhanden sein. Eine grundsätzliche Pflicht zur Wiederbeschaffung besteht nur, wenn die Akten weggegeben wurden, nachdem der Antrag auf Informationszugang gestellt wurde. Ein Anspruch auf Wiederbeschaffung von Akten, die schon zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorhanden sind, besteht nicht. Auch enthält das Informationsfreiheitsgesetz keinen Anspruch auf eine ordnungsgemäße Aktenführung. (Quelle: LDA Brandenburg)

Durchführung des Antragsverfahrens Begriffsbestimmung

VG 2 A 135.07 Verkündet am 24. September 2008

Kelm Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

VERWALTUNGSGERICHT BERLIN URTEIL

In der Verwaltungsstreitsache

des

Im Namen des Volkes

Klägers, P rozessbevollmächtigte: g e g e n

das Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz,- I Just -, Oranienstraße 106, 10969 Berlin, Beklagten,

beigeladen: die Prozessbevollmächtigte:

hat das Verwaltungsgericht Berlin, 2. Kammer, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. September 2008 durch

die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Xalter, den Richter am Verwaltungsgericht Richard, den Richter am Verwaltungsgericht Ringe, den ehrenamtlichen Richter und den ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht

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der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Gewährung von Zugang zu Informationen, die sich bei der Beigeladenen befinden. Diese ist hinsichtlich der streitbefangenen Informationen Rechtsnachfolgerin der V. AG & Co. KG. Diese beantragte im Januar 2006 bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, ihr nach der Bundestarifordnung Elektrizität die allgemeinen Stromtarife für den Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis zum 30. Juni 2007 zu genehmigen. Dem Antrag fügte sie u. a. folgende Unterlagen bei:

  • Anlage 1: Ergebnisvergleiche zwischen den Kalenderjahren 2005, 2006 und 2007,
  • Anlage 2: Ergebnisrechnungen für die Kalenderjahre 2005, 2006 und 2007,
  • Anlage 3: Schaubild Beschaffungspreisentwicklung,
  • Anlage 4: Darstellung Kostenbestandteile Berlin Klassik für die Kalenderjahre 2005, 2006 und 2007,
  • Anlage 6: Monatliche Mehrkosten für Kunden der Allgemeinen Tarife,
  • Anlage 7: Preisvergleich für Privat- und Gewerbekunden,
  • Anlage 8: Leseexemplar des Gutachtens der von der Beigeladenen in Abstimmung mit der Senatsverwaltung beauftragen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft E.

Unter dem 20. März 2006 erteilte die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen der V. AG & Co. KG die beantragte Genehmigung. Mit Anschreiben vom 23. März 2006 sandte die Senatsverwaltung die als Anlagen 1 bis 8 zum Genehmigungsantrag übersandten Unterlagen an die V. AG & Co. KG zurück.

Mit Schreiben vom 29. Juni 2006 beantragte der Kläger bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, ihm Akteneinsicht in die dort geführte Akte zur Tarifgenehmigung der Preise der V. AG & Co. KG für das Jahr 2006 zu gewähren.

Unter dem 3. Juli 2006 übersandte die Senatsverwaltung dem Kläger daraufhin Kopien, der "vollständigen Akte des Tarifgenehmigungsverfahrens für die Tarife ab 1.05.2006". Im November 2006 rügte der Kläger das Fehlen der Anlagen 1 bis 8 zum

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Genehmigungsantrag und vertrat die Auffassung, dass der Beklagte zur Wiederbeschaffung dieser Unterlagen verpflichtet sei.

Mit Schreiben der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen vom 12. Dezember 2006 verwies der Beklagte darauf, dass die Unterlagen an die V. AG & Co. KG zurückgesandt worden seien. Der Antrag des Klägers beziehe sich deshalb auf etwas Unmögliches. Eine Entscheidung über den Antrag sei ihm nicht möglich, da keine Unterlagen existierten, über die er entscheiden könne.

Mit Schreiben der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen teilte der Beklagte dem Kläger im Februar 2007 nochmals mit, dass keine Möglichkeit zur Entscheidung über die Gewährung von Einsicht in Akten gegeben sei, über die er nicht verfüge. Mit der fehlenden Verfügungsgewalt entfielen auch das Recht und die Pflicht zur Bescheidung.

Der Kläger hat am 11. Dezember 2007 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass ihm ein Anspruch auf den begehrten Informationszugang nach dem Berliner Informationsgesetz zustehe. Es bestehe eine Wiederbeschaffungspflicht des Beklagten, wie es das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bereits für den Fall entschieden habe, dass Akten oder Aktenteile nach Eingang des Antrages auf Informationszugang von der Behörde in Kenntnis der beantragten Akteneinsicht aus der Hand gegeben würden. Dies müsse auch gelten, wenn Akten entfernt würden, bevor überhaupt ein Antrag gestellt werden könne. Anderenfalls könne der Einsichtsanspruch ohne weiteres ausgehebelt werden. Vor der Genehmigungserteilung könne sich die Behörde auf § 10 IFG Bln berufen. Sende sie die Unterlagen unmittelbar nach der Entscheidung weg, so werde ein umfassendes Einsichtsrecht auf einen sehr engen zeitlichen Korridor beschränkt. Letztlich stelle das Fortsenden der Akten auch eine unzulässige Parallelaktenführung dar.

Insbesondere in den Fällen der Privatisierung öffentlicher Aufgaben wie der Stromversorgung sei eine Beschaffenspflicht für die Aufsicht führende Behörde anzuerkennen. Bediene sich die öffentliche Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben privater Unternehmen, so sei die Behörde informationsverpflichtete Stelle, die die Informationen bei der Privatperson zu beschaffen habe.

F erner ergebe sich eine Beschaffenspflicht aus der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Dokumentationspflicht der Verwaltung bzw. der Pflicht zur ordnungsgemäßen

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Aktenführung. Diese Pflichten seien verletzt, wenn die für die betreffende Sachentscheidung maßgebenden Unterlagen sich nicht bei der Behörde, sondern wieder bei dem von der Entscheidung Betroffenen befänden.

Die Beschaffung der Unterlagen sei dem Beklagten auch möglich, denn er habe gegen die Beigeladene einen Herausgabeanspruch aus dem Aufsichtsverhältnis. Auf Ausschlussgründe nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz könne sich die Beigeladene nicht berufen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihm vollständige Einsicht in die Akte des Verfahrens über die Genehmigung der allgemeinen Stromtarife der V. AG & Co. KG zum 1. Mai 2006 einschließlich der Anlagen 1 bis 4 und 6 bis 8 zum Genehmigungsantrag der V. AG & Co. KG vom 30. Januar 2006 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er meint, es bestehe keine Wiederbeschaffungspflicht, weil die fraglichen Unterlagen bei Eingang des Antrages des Klägers nicht mehr vorhanden gewesen und sie auch nicht in Kenntnis dieses Antrages entfernt worden seien. Ob auch ein "präventives" Entfernen eine Beschaffungspflicht auslöse, dürfe zumindest dann fraglich sein, wenn zwischen Erlass des Bescheides und dem Antrag auf Akteneinsicht ein längerer Zeitraum vergangen sei und die Behörde nicht mit dem Antrag auf Akteneinsicht haben rechnen müssen. Jedenfalls stehe dem Anspruch entgegen, dass die Unterlagen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthielten.

Die Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen.

Auch sie vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass eine Wiederbeschaffungspflicht hinsichtlich solcher Informationen nicht bestehe, die bereits zum Zeitpunkt des Antrages auf Informationszugang bei der Behörde nicht mehr vorhanden gewesen seien. Im Übrigen bestehe für sie keine Herausgabepflicht. Sie sei auch nicht bereit,

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die Unterlagen freiwillig herauszugeben. Bei den Unterlagen handele es sich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Die Unterlagen seien nach ihrem erklärten Willen geheim zu halten, da bei ihrer Offenlegung erhebliche Wettbewerbsnachteile drohten. Denn aus ihnen seien Umsätze, Ertragslagen, Kalkulationen, Marktstrategien etc. abzuleiten, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Unternehmens auch heute noch maßgeblich bestimmt würden. Die Unterlagen beträfen auch nicht etwa einen Monopolbereich, bei dem sie keine Wettbewerbsnachteile durch eine Veröffentlichung zu befürchten habe. Bei der Stromversorgung könnten die Kunden auf dem hart umkämpften Berliner Markt frei zwischen insgesamt 40 Anbietern wählen, die miteinander konkurrierten. Dass hier Wettbewerb bestehe, habe auch der Gesetzgeber anerkannt, indem er das Erfordernis eines Tarifgenehmigungsverfahrens aufgehoben habe. Ihr Geheimhaltungsinteresse gehe auch den Interessen der Klägerin vor. Hinzu komme, dass sie gegenüber dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen E. vertraglich verpflichtet sei, dessen Gutachten Dritten – auch nicht mittelbar – zur Verfügung zu stellen.

W egen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet. Die Ablehnung bzw. Unterlassung der begehrten Gewährung von Akteneinsicht ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf den begehrten Informationszugang gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin (Berliner Informationsfreiheitsgesetz – IFG) vom 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561), zuletzt geändert mit Gesetz vom 11. Juli 2006 (GVBl. S. 819) – im Folgenden: IFG Bln –. Hiernach hat jeder Mensch nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 IFG Bln genannten öffentlichen Stellen nach seiner Wahl ein Recht auf Einsicht in oder Auskunft über den Inhalt der von der öffentlichen Stelle geführten Akten. Öffentliche Stellen im Sinne von § 2 Abs. 1 IFG Bln sind die Behörden und die sonstigen öffentlichen Stellen (insbesondere nicht rechtsfähige Anstalten, Krankenhausbe-

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triebe, Eigenbetriebe und Gerichte) des Landes Berlin, die landesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (§ 28 des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes) und Private, die mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse betraut sind.

  1. Der Kläger gehört als eingetragener Verein zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 3 Abs. 1 Satz 2 IFG Bln). Die den Beklagten vertretende Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz ist als Behörde des Landes Berlin nach § 2 Abs. 1 Satz 1 IFG Bln eine auskunftsverpflichtete öffentliche Stelle.

  2. Bei den von der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen seinerzeit zur Genehmigung der Stromtarife ab dem 1. Mai 2006 vorgelegten Unterlagen handelt es sich jedoch nicht um "geführte Akten" im Sinne des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes.

Eine öffentliche Stelle "führt" Akten im Sinne der Vorschrift, wenn die Akten tatsächlich vorhanden sind, d. h. sie tatsächlich und dauerhaft vorliegen sowie Bestandteil der Verwaltungsvorgänge geworden sind (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2007 – 12 B 12.07 – juris, Rn. 27, m. w. N.; Urteil der Kammer vom 10. Mai 2006 – VG 2 A 56.04 –). Letzteres bestimmt sich nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Aktenführung, die der Verwaltung hinsichtlich der Entscheidung, was zu den Akten genommen wird, jedoch durchaus Spielräume eröffnen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2007, a. a. O.).

a) Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob Akten bei der öffentlichen Stelle geführt werden, ist der Zeitpunkt, in welchem der Antrag auf Informationszugang bei der öffentlichen Stelle eingeht; dies hat zur Folge, dass die öffentliche Stelle grundsätzlich die Pflicht trifft, nach diesem Zeitpunkt weggegebene Akten wiederzubeschaffen (so OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2007, a. a. O., Rn. 32).

Dagegen gewährt § 3 Abs. 1 IFG keinen Anspruch auf Informationszugang hinsichtlich solcher Akten, die schon zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrages bei der öffentlichen Stelle nicht mehr vorhanden sind. Daher besteht kein Anspruch auf Wiederbeschaffung von Akten oder Daten, über die die Behörde aus irgendwelchen Gründen, z.B. Aussonderung, Rückgabe von Beweismittelunterlagen an den Berechtigten, Diebstahl usw., zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verfügt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2007, a. a. O., Rn. 32). Dies gilt selbst dann,

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wenn die Akten – was auch hier der Fall gewesen sein dürfte (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2007, a. a. O., Rn. 29 f.) – unter Verstoß gegen die Pflicht zu einer ordnungsgemäßen Aktenführung von der öffentlichen Stelle weggegeben oder in sonstiger Weise aus ihrem Bestand entfernt wurden.

Schon der Wortlaut des § 3 Abs. 1 IFG Bln sowie der Regelungszusammenhang, in dem die Vorschrift steht, sprechen gegen das von dem Kläger vertretene weite Verständnis der Norm. § 3 Abs. 1 IFG Bln knüpft mit dem Begriff "geführte Akten" an die Gegenwart an. Das gleiche gilt für § 13 Abs. 1 Satz 1 IFG Bln, der auf die Aktenführung im Zeitpunkt der Antragstellung abstellt. Nach dem Wortlaut beider Normen kann sich der Antrag auf Informationszugang daher nur auf solche Informationen beziehen, die von der öffentlichen Stelle bei Antragstellung (noch) "geführt" werden. Nicht erfasst werden danach Akten, die die öffentliche Stelle lediglich in der Vergangenheit "führte".

Der Hinweis des Klägers auf § 10 IFG Bln greift nicht durch. Denn diese Vorschrift sperrt lediglich den Informationszugang für die Dauer eines Verwaltungsverfahrens; sie hindert den Kläger aber nicht, den Zugang bereits während des Verwaltungsverfahrens – für die Zeit nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens – zu beantragen und damit die "Schutzwirkung" des Antrages zu begründen.

Ebenso wenig ergibt sich aus dem Gesetzeszweck, dass dem Einzelnen ein Anspruch auf Zugangsverschaffung hinsichtlich solcher Informationen vermittelt werden soll, die bereits vor Eingang des Antrages auf Informationszugang unter Verstoß gegen die Pflicht zu einer ordnungsgemäßen Aktenführung fortgegeben wurden. Dies liefe vielmehr darauf hinaus, die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung mit den Mitteln des Informationsfreiheitsgesetzes durchzusetzen. Darum geht es dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz jedoch nicht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2007, a. a. O., Rn. 29).

Nach § 1 IFG Bln ist es Zweck des Gesetzes, durch ein umfassendes Informationsrecht das in Akten festgehaltene Wissen und Handeln öffentlicher Stellen unter Wahrung des Schutzes personenbezogener Daten unmittelbar der Allgemeinheit zugänglich zu machen, um über die bestehenden Informationsmöglichkeiten hinaus die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu fördern und eine Kontrolle des staatlichen Handelns zu ermöglichen. Neben der Kontrolle der Verwaltung geht es danach im Wesentlichen um die Teilhabe an dem "in Akten festgehaltenen Wissen und Han-

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deln", also um das Recht des Einzelnen, an dem Informationsbestand der Verwaltung zu partizipieren (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2007, a. a. O., Rn. 27). Zu seinen Zwecken zählt es das Gesetz dagegen nicht, den Zugang zu Wissen und Handeln zu verschaffen, das – aus was für Gründen auch immer – in den Akten nicht bzw. nicht mehr festgehalten wird. Die Pflicht der Verwaltung zu einer ordnungsgemäßen Aktenführung bzw. eine Pflicht, Akten wiederzubeschaffen, die bei ordnungsgemäßer Aktenführung noch in ihrem Bestand wären, findet im Informationsfreiheitsgesetz keine Erwähnung.

Es besteht danach kein Anhalt für die Annahme, das Informationsfreiheitsgesetz wolle der allgemeinen Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung ein hieran anknüpfendes subjektives öffentliches Recht des Einzelnen gegenüberstellen, welches unabhängig davon besteht, ob dieser bereits den Informationszugang zu einer konkreten Akte bei der öffentlichen Stelle beantragt hat. Es bleibt deshalb dabei, dass die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung vornehmlich im öffentlichen Interesse, allenfalls noch im Interesse der an dem betreffenden, von der Akte dokumentierten Verwaltungsverfahren Beteiligten besteht. Sie soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 16. März 1988 – 1 B 153/87 – NVwZ 1988, 621 f.>; s. auch BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83, 2 BvR 310/83 – NJW 1983, 2135) den Geschehensablauf wahrheitsgetreu und vollständig dokumentieren und dient damit in zweifacher Weise der Sicherung gesetzmäßigen Verwaltungshandelns. Die Dokumentation soll den Geschehensablauf so, wie er sich ereignet hat, in jeder Hinsicht nachprüfbar festhalten. Sie soll hierbei nicht lediglich den Interessen der Beteiligten oder der entscheidenden Behörde dienen, sondern auch die Grundlage für die kontinuierliche Wahrnehmung der Rechts- und Fachaufsicht und für die parlamentarische Kontrolle des Verwaltungshandelns bilden. Damit wirkt die Pflicht zur wahrheitsgetreuen und vollständigen Aktenführung zugleich auch präventiv insofern auf das Verwaltungshandeln ein, als sie die Motivation zu allseits rechtmäßigem Verwaltungshandeln stärkt und rechtswidriges Verwaltungshandeln erschwert. Diese Sicherung gesetzmäßigen Verwaltungshandelns durch wahrheitsgetreue und vollständige Aktenführung dient auch dem Schutz derjenigen Beteiligten, deren persönliche Daten in den Akten festgehalten sind und über die die Akten gegebenenfalls Nachteiliges oder Belastendes auch enthalten; sie werden durch die wahrheitsgetreue und vollständige Dokumentation des Geschehensablaufs in der dargelegten Weise vor nicht rechtmäßigem Verwaltungshandeln geschützt (BVerwG, Beschluss vom 16. März 1988, a. a. O.).

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Der Durchsetzung der Pflicht zu einer ordnungsgemäßen Aktenführung dient das Berliner Informationsfreiheitsgesetz lediglich mittelbar. Denn das gewährte Zugangsrecht ermöglicht es der Allgemeinheit – wie auch der vorliegende Fall belegt –, dass etwaige Verstöße gegen die Pflicht zu einer ordnungsgemäßen Aktenführung offen gelegt werden können und die Verwaltung dazu angehalten werden kann, ihrer Pflicht in der Zukunft hinreichend nachzukommen. Den Kontrollzwecken des Informationsfreiheitsgesetzes wird hiermit hinreichend Rechnung getragen.

Diesem Verständnis entspricht auch die Begründung des Gesetzesentwurfs. Danach hat die Schaffung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts eine wichtige rechtsstaatliche Funktion, denn der freie Zugang zu den bei Behörden "vorhandenen" Informationen ist ein wesentlicher Bestandteil öffentlicher Partizipation und Kontrolle staatlichen Handelns (Abghs-Drs 13/1623, S. 5).

b) Zu einem anderen, für den Kläger günstigeren Ergebnis gelangt man auch nicht bei Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Die Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt das Bestehen besonderer Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten voraus (vgl. z. B. BVerwGE 85, 213; BGHZ 95, 274 <287 f.>; Heinrichs, in: Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, 3 242 Rn 6, m. w. N.). An solchen fehlt es jedoch im hier interessierenden Zusammenhang, so lange ein Antrag auf Akteneinsicht nicht gestellt ist. Denn der Pflicht der Verwaltung zu einer ordnungsgemäßen Aktenführung steht – wie dargelegt – kein subjektives öffentliches Recht des Einzelnen gegenüber.

  1. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausginge, § 3 Abs. 1 IFG Bln gewähre auch einen Anspruch auf Wiederbeschaffung hinsichtlich solcher Akten, die bereits vor Antragstellung unter Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung von der öffentlichen Stelle fortgegeben worden sind, bliebe die Klage ohne Erfolg. Denn in diesem Fall stünde dem Anspruch des Klägers entgegen, dass es dem Beklagten weder tatsächlich noch rechtlich möglich ist, die fraglichen Unterlagen wiederzubeschaffen.

Die Beigeladene weigert sich, die Unterlagen an den Beklagten herauszugeben. Dem Beklagten steht kein privatrechtlicher Anspruch gegen die Beigeladene auf Herausgabe der Unterlagen zu. Ein eigentumsrechtlicher Anspruch nach § 985 BGB scheidet aus, da der Beklagte nicht Eigentümer der Unterlagen ist. Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob er je Eigentümer der Unterlagen war. Denn jedenfalls hätte er das Eigentum an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen bei objektiviertem Verständnis wieder zurück über-

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tragen, als er die Unterlagen an diese mit Anschreiben vom 23. März 2006 "zu [seiner] Entlastung" zurücksandte.

Auch ein öffentlich-rechtlicher Herausgabeanspruch besteht nicht. Aus § 69 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) in der Fassung von Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970) ergibt sich ein solcher Anspruch nicht. Denn danach kann die Regulierungsbehörde zwar von Unternehmen die Herausgabe von Unterlagen verlangen. Dies gilt jedoch nur, soweit es zur Erfüllung der ihr in diesem Gesetz übertragenen Aufgaben erforderlich ist und nur bis zur Bestandskraft ihrer Entscheidung. Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich der in Frage stehenden Unterlagen offensichtlich nicht vor.

Ebenso wenig kann – entgegen der von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung – § 12 Abs. 3 Satz 3 der Bundestarifordnung Elektrizität vom 9. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3317) mit späteren Änderungen einen entsprechenden Anspruch vermitteln. Denn die Bundestarifordnung Elektrizität ist durch Art. 5 Abs. 3 des oben genannten Gesetzes vom 7. Juli 2005 mit Wirkung zum 1. Juli 2007 aufgehoben worden. Zudem war nach besagter Vorschrift ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen nur insoweit verpflichtet, der Behörde weitere Unterlagen zur Verfügung zu stellen, als sie für die Beurteilung des Antrages auf Erteilung der Tarifgenehmigung von Bedeutung sein konnten. Auch hieran fehlte es im vorliegenden Fall, weil es nicht um die Erteilung einer Genehmigung, sondern um Akteneinsicht geht.

Andere Rechtsgrundlagen, die dem Beklagten einen Anspruch vermitteln könnten, sind nicht ersichtlich. Zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen besteht kein Rechtsverhältnis, aus dem sich ein Herausgabeanspruch – etwa als vertragliche Nebenpflicht – ergeben könnte. Insbesondere bedient sich der Beklagte der Beigeladenen nicht zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, mag die Beigeladene auch im Bereich der Daseinsvorsorge tätig sein (s. hierzu zum UIG, Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 2 UIG Rn. 26, 29; Schrader, ZUR 2004, 130, 131 f.). Die Beigeladene ist lediglich einer von mehreren Stromanbietern auf dem Markt und wird dabei nicht im Rahmen eines besonderen Kooperationsverhältnisses für den Beklagten tätig.

  1. Hat die Klage bereits aus vorstehenden Gründe keinen Erfolg, so bedarf keiner Entscheidung, ob einem Anspruch des Klägers ganz oder zum Teil zudem der Ausschlussgrund nach § 7 Satz 1 IFG entgegensteht.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO; die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruhen auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 i. V. m. § 709 Satz 2 ZPO.

Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die Auslegung des § 3 Abs. 1 IFG und die Frage der Zugriffsmöglichkeiten öffentlicher Stellen auf die Unterlagen Dritter grundsätzliche Bedeutung hat.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu.

Die Berufung ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).

F ür das Berufungsverfahren besteht Vertretungszwang. Danach muss sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum

Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Xalter Ringe Richard

Ri/Neu. Ausgefertigt

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Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

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