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Information

Aktenzeichen
12 A 182/02
Datum
9. Juni 2005
Gericht
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht
Gesetz
Umweltinformationsgesetz (Bund), Informationsfreiheitsgesetz (Schleswig-Holstein), Richtlinie 2003/4/EG (Umweltinformationsrichtlinie)
Umweltinformationsgesetz (Bund), Informationsfreiheitsgesetz (Schleswig-Holstein), Richtlinie 2003/4/EG (Umweltinformationsrichtlinie)

Urteil: Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht am 9. Juni 2005

12 A 182/02

Die Betreiberin eines Kernkraftwerks hatte gegen die vom zuständigen Ministerium beabsichtigte Herausgabe von Informationen zu einem Störfall als Drittbetroffene geklagt. Das Verwaltungsgericht erkennt keine Rechtsgrundlage für den Informationszugang: Aus der Umweltinformationsrichtlinie ergibt sich trotz abgelaufener Umsetzungsfrist (zum Zeitpunkt des Urteils war ein neues Bundesumweltinformationsgesetz zwar bereits in Kraft, galt aber nicht mehr für die Landesbehörden, während ein Landesumweltinformationsgesetz noch nicht verabschiedet war) kein unmittelbarer Anspruch, wenn dieser zu Lasten Dritter gehen würde. Das Informationsfreiheitsgesetz Schleswig-Holstein wird von einer abschließenden Regelung des Atomgesetzes in Verbindung mit der Gewerbeordnung verdrängt. (Quelle: LDA Brandenburg)

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Drittbetroffenheit Interessenabwägung Konkurrierende Rechtsvorschriften Begriffsbestimmung

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Anonymisierung aktualisiert am: 16. Januar 2007 SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT Az.: 12 A 182/02 IM NAMEN DES VOLKES URTEIL In der Verwaltungsrechtssache der Firma A. und Co. oHG, A-Straße, A-Stadt Klägerin, Proz.-Bev.: Rechtsanwälte B., B-Straße, A-Stadt gegen das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein, Adolf-Westphal-Straße 4, 24143 Kiel Beklagter, Beigeladen: C., C-Straße, A-Stadt Proz.-Bev.: Rechtsanwälte D., D-Straße, A-Stadt, - - Streitgegenstand:        Streitigkeiten nach dem Umweltinformationsgesetz -2-
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-2- hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 12. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2005 durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht …., den Richter am Verwaltungsgericht …., den Richter am Verwaltungsgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … und … für Recht erkannt: Der Bescheid des Beklagten vom 28.10.2002 wird aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten und der Beigeladenen auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstat- tungsfähig. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bzw. dem Beigeladenen wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstat- tungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet. Tatbestand: Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem dem Beigelade- nen Zugang zu Informationen über einen Störfall im Atomkraftwerk Brunsbüttel vom 14.12.2001 gewährt wird. Mit Schreiben vom 22.02.2002 beantragte der Beigeladene die Aushändigung von Kopien des gesamten Schriftverkehrs zwischen der HEW und dem Ministerium für Finanzen und Energie, soweit sich dieser Schriftverkehr unmittelbar oder mittelbar auf den Störfall im KKW Brunsbüttel vom 14.12.2001 (Leitungsabriss im Deckelduschsystem) bezieht. Das Informationsbegehren wurde zeitlich auf alle Unterlagen beschränkt, die zwischen dem 14.12.2001 und 22.02.2002 erstellt worden seien. Mit Schreiben vom 20.03.2002 ersetzte der Beigeladene diesen Antrag und beantragte nunmehr die Aushändigung von Kopien des gesamten Schriftverkehrs des Energieminis- teriums mit der … … und der HEW, soweit sich dieser Schriftverkehr unmittelbar oder mittelbar auf den Störfall im AKW Brunsbüttel bezieht und zwar für alle Unterlagen, die zwischen dem 14. Dezember 2001 und dem 20. März 2002 erstellt worden seien. Der Beigeladene berief sich dabei auf das Umweltinformationsgesetz ( UIG ) und auf das In- formationsfreiheitsgesetz des Landes Schleswig-Holstein ( IFG-SH ). -3-
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-3- Mit Schreiben vom 08.04.2002 wurde die Klägerin von diesem Antrag informiert und da- rauf hingewiesen, dass ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werde, da ihre Be- lange nach §§ 11, 12 IFG-SH betroffen sein könnten. Mit Schreiben vom 18.06.2002 übersandte der Beklagte der Klägerin die von ihm zusam- mengestellten Akten, die in der Zeit zwischen 14.12.2001 und dem 20. März 2002 ent- standen seien. Dabei bezeichnete der Beklagte im Einzelnen die Gegenstände der von ihm in zehn Ordnern zusammengestellten Unterlagen. Im Ordner Band IX seien die Blät- ter 3 - 12, 50 - 64 und 92 - 99 entnommen worden, da es sich um Unterlagen handele, die den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung gemäß § 10 Abs. 5 und § 10 Abs. 3 IFG- SH beträfen. Im Band VI der Unterlagen seien Namen und solche Angaben geschwärzt worden, die Rückschlüsse auf einzelne Personen zuließen. Die Klägerin wurde aufgefor- dert, soweit sie sich auf das Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bezie- hen sollte, prüffähige Begründungen anzugeben. Mit Schreiben vom 21.06.2002 verwies die Klägerin darauf, dass der Antrag auf erhebli- che rechtliche Bedenken stoße. Diese Bedenken seien einerseits grundsätzlicher Art und beträfen die Verfassungsmäßigkeit der Informationszugangsregelungen sowie deren Unanwendbarkeit im atomrechtlichen Aufsichtsverfahren, insbesondere vor dem Hinter- grund des § 139 b GewO, andererseits enthielten die zusammengestellten Verfahrensak- ten eine Vielzahl von personenbezogenen Angaben sowie Geschäfts- und Betriebsge- heimnissen, deren Weitergabe an Dritte von vornherein unzulässig sei. Mit Schreiben vom 01.08.2002 nahm die Klägerin im Einzelnen zu dem Antrag auf Infor- mationszugang Stellung. Zunächst verwies sie darauf, dass das IFG-SH nicht anwendbar sei. Der nach dem UIG gestellte Antrag auf Informationszugang müsse sich auf Informati- onen über die Umwelt beziehen. Der Antrag begehre Einsicht in die Verwaltungsakten betreffend das Ereignis im …. vom 14.12.2001. Dabei handele es sich allein um Informa- tionen über die sicherheitstechnische Betriebsweise der Anlage. Angaben über den Be- trieb einer Anlage stellten jedoch keine Umweltinformationen für das UIG dar. Umwelt- auswirkungen habe es zu keiner Zeit gegeben und seien noch zu keiner Zeit zu befürch- ten gewesen. Der Antragsteller habe bislang nicht dargetan, welche Informationen er be- gehre oder wieweit es sich dabei um Umweltinformationen handele. Der Anspruch aus § 4 UIG gewähre den Zugang zu umweltrelevanten Zustands- und Tätigkeitsdaten, nicht je- doch auf Einsicht in komplette Verwaltungsvorgänge. Hierunter könnten beispielsweise Angaben über Emissionswerte oder technische Ausführungen einer Anlage fallen, nicht jedoch Bewertungen der Behörde oder eingeschalteter Gutachter über beispielsweise -4-
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-4- Zuverlässigkeit des Betriebspersonals. Solchen Bewertungen fehle zum Einen schon der Umweltbezug, zum Anderen handele es sich nicht um Zustands- oder Tätigkeitsbeschrei- bungen im Sinne objektiver Tatsachen. Selbst soweit ein Informationsbegehren sich auf Umweltdaten beziehe, enthalte das UIG eine Reihe von Ausschlussgründen. Sämtliche Unterlagen, die sich auf die Beratungen der Reaktorsicherheitskommission (RSK) bezögen, unterlägen nach § 4 Nr. 4 und § 14 Nr. 4 der Satzung der RSK der Ver- traulichkeit und dürften insofern nicht weitergegeben werden. Unterlagen aus der Verwal- tungsakte, die sich - auch nur mittelbar - auf Beratungen der RSK bezögen, dürften daher dem Antragsteller nicht zur Verfügung gestellt werden. Dies betreffe insbesondere die Ordner 6, 7 und 9 der Verwaltungsakte. Ein erheblicher Teil des Akteninhalts bestehe aus Unterlagen, die die Betreiberin außer- halb ihrer atomrechtlichen Pflichten an die Aufsichtsbehörde übergeben habe. Diese Ak- tenbestandteile dürften nicht ohne ihr Einverständnis an Dritte weitergegeben werden. Dies ergebe sich aus § 7 Abs. 4 UIG. Betroffen hiervon sei ein Großteil der Verwaltungs- akte, da die von der …. eingereichten Berichte und Unterlagen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf freiwilliger Basis ohne rechtliche Verpflichtung übergeben worden seien. Die Weitergabe der freiwillig überlassenen Informationen sei geeignet, die vertrauliche Zusammenarbeit zwischen der Aufsichtsbehörde und den der Aufsicht unterliegenden Unternehmen auch außerhalb rechtlich vorgegebener Informationsstrukturen nachhaltig zu gefährden. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 UIG sei der Informationszugang ausgeschlossen, soweit das Be- kanntwerden eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit verursachen könne. Der Vorfall habe sich im Sicherheitsbehälter des Kernkraftwerks ereignet. Dieser sei Teil des inneren Sicherungsbereichs der Anlage. Bei Informationen, die den inneren Sicherungs- bereich beträfen, handele es sich naturgemäß um äußerst sensible Daten, deren Weiter- gabe die Sicherheitsinteressen der Betreibergesellschaft, des Landes Schleswig-Holstein sowie der Allgemeinheit berühren können. Es handele sich grundsätzlich um Vorgänge, die nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim zu halten seien (§ 88 Abs. 2 Nr. 2 LVwG) bzw. geeignet seien, bei Bekanntwerden eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu begründen. In dem Schriftverkehr zum Ereignis vom 14.12.2001 seien eine Vielzahl von personenbe- zogenen Angaben enthalten, deren Weitergabe sich aus datenschutzrechtlichen Gründen verbiete. Es stehe der Aufschlussgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 UIG entgegen. Sämtliche Namen, gleich ob als Verfasser, Gesprächsteilnehmer, als Unterzeichner oder in anderer Art und Weise in sämtlichen Schriftstücken seien daher in vollem Umfang unkenntlich zu -5-
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-5- machen. Dies gelte in gleicher Weise für Funktionsbezeichnungen oder sonstige Anga- ben, die Rückschlüsse auf die jeweils betroffenen Personen ermöglichten. Die bislang vorgenommenen sporadische Schwärzungen seien völlig ungenügend. Die Verwaltungs- akte enthalte eine Vielzahl von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, die nach § 8 Abs. 1 Satz 3 UIG nicht unbefugt zugänglich gemacht werden dürften. Zum Teil handele es sich dabei um Geheimnisse der …, zum Teil um Geheimnisse von beauftragten Sachbeistän- den, zum Teil um Geheimnisse von vom Ministerium beauftragten Gutachtern. Die zu schützenden Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse (kerntechnisches Know-How) beträfen hier u. a. den im Betriebshandbuch beschriebenen Organisationsstrukturen und techni- schen Randbedingungen für den Betrieb der Anlage sowie die im Schriftverkehr aufge- führten Betriebs- und Prozessdaten, Ursachen und Analysen. Diese, die betrieblichen Prozesse abbildenden, Unterlagen stellten einen erheblichen wirtschaftlichen Wert dar und seien nur einem eingeschränkten Personenkreis bekannt. Informationen, die sich auf betriebliche Vorkommnisse, insbesondere Störfälle bezögen und geeignet seien, da durch eine negative Berichterstattung in der Öffentlichkeit den Unternehmenswert negativ zu beeinflussen, könnten ebenfalls Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse darstellen (Fluck, NVwZ 1994, Seiten 1052 und 1054). Dies sei hier der Fall. Mit Schreiben vom 13.08.2002 informierte der Beklagte den Antragsteller/Beigeladenen darüber, dass das Ministerium zu dem Ergebnis gelangt sei, das Informationsfreiheitsge- setz Schleswig-Holstein sei nicht einschlägig , weil das UIG des Bundes nach der Kollisi- onsnorm des Art. 31 GG vorrangig sei. Die Ansicht, dass das UIG dem IFG-SH vorgehe und für seinen Bereich abschließende Regelungen enthalte, sei unstreitig. Nach eine Vermerk vom 25.10.2002 (Beiakte Blatt 84) wurden wegen möglicher Betrof- fenheit von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen weitere Blätter den Akten entnommen. Mit Schreiben vom 28.10.2002 an die Klägerin und den Beigeladenen beschied der Be- klagte den Antrag nach dem UIG und IFG-SH vom 20.03.2002 auf Zugang zu den Infor- mationen über den Störfall im …. vom 14.12.2001 durch Kopien des Verwaltungsvor- gangs aus der Zeit vom 14.12.2001 bis 20. März 2002. Zur Begründung wurde im We- sentlichen geltend gemacht, dass der Anspruch grundsätzlich bestehe. Nicht das IFG-SH sondern das UIG sei einschlägig. Es sei zunächst erforderlich, dass der Bescheid, der einerseits den Antragsteller begünstige und andererseits die … als Beteiligte belaste, un- anfechtbar werde. Erst dann könne eine Aushändigung der Akten erfolgen. -6-
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-6- Rechtsgrundlage des Anspruchs sei § 4 Abs. 1 UIG. Der Begriff „Tätigkeit“ iSv § 3 Abs. 2 Nr. 2 UIG umfasse auch Unfälle oder Störfälle in Anlagen. Insoweit handele es sich also um Umweltinformationen. Zu den die Umwelt beeinträchtigenden Tätigkeiten zählten wei- terhin besondere Ereignisse wie Störfälle und Unfälle. Werden derartige Ereignisse den Behörden gemeldet, handele es sich bei diesen Angaben um Umweltinformationen (UIG/Schomerus § 3 Rdnr. 333). Ebenso fielen unter den Begriff Umweltinformationen auch die Aufzeichnungen über die faktische Kontroll- und Überwachungstätigkeit der Be- hörde, Aufzeichnungen über Messungen und Gespräche als schlicht hoheitlichem Han- deln, welche unter § 3 Abs. 2 Nr. 3 UIG fielen (vgl. Fluck/Theuer, § 3 Rdnr. 223). Nach Einschätzung des Ministeriums seien alle in der Verwaltungsakte zusammengetragenen Informationen solche, die grundsätzlich unter dem Begriff Information über die Umwelt fielen, und auf die somit ein Anspruch auf Auskunft bestehe. Die Regelungen der Satzung der RSK seien gegenüber dem UIG nachrangig. Die Bera- tungen der RSK fielen nicht unter den Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Nr. 1 UIG. Der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 4 UIG greife nicht ein, da die Unterlagen und Berichte aufgrund der Verpflichtungen nach dem Atomgesetz eingereicht worden seien. Der Be- trieb der Anlage gemäß § 7 AtG unterliege der staatlichen Aufsicht gemäß § 19 Abs. 1 AtG. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 AtG habe die Aufsichtsbehörde darüber zu wachen, dass nicht gegen die Vorschriften des AtG, darauf beruhenden Rechtsverordnungen, Anord- nungen und Verfügungen der Aufsichtsbehörden und Bestimmungen des Genehmi- gungsbescheides verstoßen werde und nachträgliche Anordnungen eingehalten würden. Diesen Pflichten seien die Mitarbeiter des MFE nachgekommen, indem sie durch schriftli- che An- und Nachfragen, Besprechungen, Einschaltungen und Sachverständigen des Sachverhalt des Ereignisses vom 14.12.2001 aufgeklärt hätten. Die schriftlichen Antwor- ten, Stellungnahmen, Berichte pp. der … stellten insoweit keine freiwilligen Leistungen dar. Die Verpflichtung ergebe sich aus § 9 Abs. 2 AtSMV ( Atomrechtliche Sicherheitsbe- auftragten- und Meldeverordnung ), wonach der Meldepflichtige bei meldepflichtigen Er- eignissen (ME), für deren Eintritt schadhafte Anlagenteile ursächlich sind oder in deren Verlauf Schäden an sicherheitstechnisch wichtigen Anlagenteilen auftreten, beweissi- chernde Maßnahmen zu treffen habe, die eine spätere Klärung und Nachprüfung der ge- nauen Ursachen und Folgen des ME erlauben. Der Bescheid setzt sich im Weiteren im Einzelnen mit möglicherweise einschlägigen Aus- schlussgründen auseinander ( § 7 Abs. 1 Nr. 1 UIG, § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 UIG ) und begründet die getroffene Entscheidung näher. -7-
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-7- Am 26.11.2002 hat der Beigeladene Klage erhoben - 12 A 179/02. Am 29.11.2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Ein Antrag des Beigeladenen, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die begehrten Informationen vor Unanfechtbarkeit des Bescheides zu erlangen, blieb erfolglos ( 12 B 16/03, Beschluss vom 10.11.2003, sowie OVG 4 MB 100/03, Beschluss vom 30. März 2004 ). Die Klägerin beruft sich im Wesentlichen darauf, dass ein Anspruch auf Informationszu- gang nicht bestehe. Die Freigabeentscheidung greife rechtswidrig in die Rechte der Klä- gerin ein. Der Betrieb eines Kernkraftwerkes zähle zu den sensiblen technischen Berei- chen. Die staatliche Aufgabe, die öffentliche Sicherheit zu schützen und Gefahren von der Bevölkerung abzuwenden, stehe grundsätzlich einer umfassenden Informationsweiterga- be entgegen. Grundsätzlich seien wesentliche technische Verfahren und technische Re- gelwerke geheim zu halten. Eine Begründung, warum gerade eine bestimmte Darstellung ein Betriebsgeheimnis darstelle, sei naturgemäß schwierig und von der Klägerin auch nicht zu erbringen. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass beispielsweise techni- sche Regelwerke dem Urheberschutz unterfielen. Die dem Aufbau und der Betriebsweise der Anlage zugrunde liegenden ingenieurtechnischen Beschreibungen stellten geld- und schützenswertes Know-How dar. Eine Freigabe würde unzulässig Betriebs- und Ge- schäftsgeheimnisse verletzen. Die Klägerin bestehe auf einer Schwärzung aller auch mit- telbaren Hinweise auf ihr Personal. Die Mitarbeiter arbeiteten in einem Bereich, der seit Jahren Gegenstand politischer Auseinandersetzungen sei. Eine Veröffentlichung ihrer Namen könne daher zur persönlichen Gefährdung führen. Andererseits scheide ein In- formationsinteresse der Beigeladenen gerade an den Namen der Mitarbeiter aus, soweit es hier um den Zugang zu Umweltinformationen gehe. Die Vertraulichkeit der RSK- Beratungen wäre nicht mehr gewährleistet, wenn Informationsrechte Dritter ein jederzeiti- gen Einblick ermöglichten. Die Klägerin begründet ihre Klage weiter damit, dass zwischenzeitlich das neue UIG vom 14.02.2005 in Kraft getreten sei, welches nur noch für Bundesbehörden gelte. Soweit für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes die Rechtslage z. Zt. der münd- lichen Verhandlung entscheidend sei, gebe es keine entsprechende Rechtsgrundlage für den Verwaltungsakt und er sei rechtswidrig und daher aufzuheben. Sei demgegenüber die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes entschei- dend, so sei zu berücksichtigen, dass der Bund seine Gesetzgebungskompetenz für das -8-
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-8- UIG 1994 aus verschiedenen Kompetenztiteln des Grundgesetzes abgeleitet habe. Kurze Zeit nach Erlass des UIG sei Art. 75 GG so geändert worden, dass der Bund in Rahmen- vorschriften nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Vorschriften erlassen dürfe. Seither dürfe kein übergreifendes Umweltgesetz des Bundes mehr ergehen und auch keine substantielle Änderung eines bestehenden Gesetzes erfol- gen. Damit erweise sich die Änderung des UIG von 2001 als verfassungswidrig. Demnach sei das zur Zeit der Erlasses des Verwaltungsaktes verfassungsmäßige Gesetz des UIG dasjenige in der Form von 1994. Hier fehle allerdings in § 4 die Regelung mit dem Wort- laut: „Liegt ein Ausschluss- oder Beschränkungsgrund nach den §§ 7 oder 8 vor, sind die hiervon nicht betroffenen Informationen zu übermitteln, soweit es möglich ist, die betroffe- nen Informationen auszusondern.“ Das Fehlen dieser Vorschrift bedeute, dass nach dem UIG in der Form von 1994 das Vorliegen eines Ausschlussgrundes dazu führe, dass kein Zugang zu den Restinformationen gewährt werde. Informationen aus dem Bereich der Kernenergie seien keine Informationen über die Um- welt. Das Atomgesetz sei kein Umweltschutzrecht, sondern eine Materie des Wirtschafts- rechts. In erster Linie sei das Atomgesetz ein Technikfördergesetz mit Kontrollfunktionen, es werde auch als technisches Sicherheitsgesetz angesehen. Es stelle spezifisches Ge- werbeaufsichtsrecht dar. Das Atomgesetz halte ein besonders ausgeprägtes Verfahren vor, um die erforderliche Vorsorge gegen Schäden zu gewährleisten. Damit nehme es eine Sonderstellung ein. Der sicherheitstechnische Ansatz des Atomgesetzes mache es zu einem Gesetz, das nicht mit sonstigen Umweltschutzgesetzen vergleichbar sei. Bei den streitgegenständlichen Informationen handele es sich nicht um Informationen über die Umwelt gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 UIG. Schaltpläne, Angebote von dritten Unter- nehmern an die Klägerin über die Durchführung bestimmter Arbeiten, die noch nicht ein- mal angenommen worden seien, Rohrleitungsschemata, Werkstoffidentifikationen an Spänen von den Halbschalen der Rohrleitungshalterung, Maßprüfungen des Rohrlei- tungsverlaufs, Fertigungsisometrie und isometrische Darstellung der Rohrleitungen seien keine Daten über Tätigkeiten, einschließlich solcher, von denen Belästigungen, wie bei- spielsweise Lärm, ausgingen, oder Maßnahmen, die den Zustand der Gewässer, der Luft, des Bodens, der Tier- und Pflanzenwelt und der natürlichen Lebensräume beeinträchtigen oder beeinträchtigten könnten. Die Klägerin trägt weiterhin umfassend zum Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 und § 8 Abs. 1 UIG vor. Weiter weist die Klägerin darauf hin, dass die Vorschriften des § 99 Abs. 2 VwGO hier nicht zur Anwendung gelangen könnten. § 99 Abs. 2 VwGO gelte nicht in den Fällen, in -9-
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-9- denen um Akteneinsicht gestritten werde. Im Wege seines Einsichtsrechts würde der Bei- geladene bei einer Beiziehung der Akten genau das erreichen, wogegen sich die Klägerin überhaupt wende. Damit könnte der Beigeladene das Ziel, das er vornherein verfolgte, nämlich Einsicht in sämtliche Akten zu erhalten, ohne Urteil, schon mit Hilfe eines Be- schlusses des OVG erreichen. Allein die Entscheidung des OVG gemäß § 99 Abs. 2 VwGO führte also zur Erledigung der Hauptsache. Damit würde der Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte umfassende und effektive rechtliche Schutz ad absurdum geführt. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand könne ein Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO auch noch nicht eingeleitet werden. Statthafter Antragsgegenstand sei insoweit nur allein die Fest- stellung des Gerichts, dass die Nichtvorlage der Akte oder Urkunde durch die Behörde in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren rechtswidrig gewesen sei. Die Vorlage der streitgegenständlichen Kopien seien indes noch nicht iSv § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO durch das Gericht verlangt worden und erst recht sei es noch nicht zu einer auf das Verlangen des Gerichts folgenden Weigerung gekommen. Zunächst habe also das Gericht der Hauptsache darüber zu entscheiden, ob die Unterlagen entscheidungserheblich seien und zur gebotenen vollständigen Sachaufklärung benötigt würden (vgl. BVerwG, NVwZ 2004, 105, 106). Dies bedeutet im Ergebnis, dass das Gericht der Hauptsache ohne Kenntnis der Akten nach Maßgabe des erfolgten Vortrags entscheiden müsse. Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 28.10.2002 aufzuheben. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung verweist der Beklagte darauf, dass keine Betriebs- und Geschäftsge- heimnisse offenbart werden. Die Argumentation der Klägerin zu der entsprechenden Be- gründung lasse sich in drei Aspekte zusammenfassen: 1. der Möglichkeit des Nachbaus von Komponenten aufgrund der Darstellungsinhalte, 2. Know How - Übergang von Her- stellern und Betreiber auf Konkurrenten ohne Entgelt, 3. Irrelevanz von Unterlagen, deren Erstellungsdatum vor dem Ereignis liege, weil ein Bezug zum Ereignis ME-E01/02 „Bruch der TC- Deckelsprühleitung“ bestritten werde. - 10 -
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- 10 - Zu 1: Zwar sei grundsätzlich teilweise ein Nachbau eines Rohrleitungssystems anhand der Zeichnungen und Isometrien möglich. Die Zeichnungen deckten aber nur einen Teil des TC- Deckelsprühsystems ab. Außerdem sei ein irgendwie geartetes Interesse am Nachbau dieses Rohrleitungsteils nicht erkennbar. Das Anlagenkonzept (SWR-Baulinie 69) sei insgesamt veraltet, ein Nachbauinteresse für den Einsatz in neueren Anlagen sei damit auszuschließen. Ein Nachbauinteresse für bestehende Anlagen sei zum Einen auf- grund der geringen Anzahl der noch vorhandenen vergleichbaren Baulinie 69 Anlagen und zum Anderen aufgrund der anlagenspezifischen Unterschieden auszuschließen. Zu 2: Weiteres Know How, das über die DIN und Normteile sowie die anerkannten und in Lehrbüchern beschriebenen standardisierten Verbindungs- und Fügemethoden hinausge- he, sei in den Unterlagen nicht enthalten, ein Interesse und Bedarf an einem entspre- chenden Nachbau sei ohnehin nicht vorhanden. Zu 3: Diese Unterlagen beinhalteten Aussagen über den bisher bestehenden Nachweis- stand zur Schadensvorsorge für die Anlage …. In dem in Rede stehenden Zeitraum gehe es im Rahmen des Schriftverkehrs u. a. darum, ob und wieweit die bei dem Ereignis auf- tretenden Lasten und Belastungen durch bereits geführte Nachweise abgedeckt seien. Da diese Frage von maßgeblicher Bedeutung für die sicherheitstechnische Bewertung des Ereignisses gewesen sei, seien die Unterlagen der Ereignisdokumentation zuzuordnen. Der Beklagte nimmt im Einzelnen umfassend zu den Einwendungen der Klägerin Stel- lung. Zudem verweist der Beklagte auf entsprechende Berichte und Veröffentlichungen, die zu dem Schadensfall im ….., seinem Verlauf und seinen Ursachen bereits bekannt gemacht worden seien. Auch soweit es um die Offenbarung von personenbezogenen Daten gehe, halte der Be- klagte an seiner im Bescheid niedergelegten Rechtsauffassung fest. Der Beklagte trägt weiter vor, dass er an seiner Auffassung festhalte, dass eine Vorlage der Akten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht in Betracht komme, wenn dies das Ak- teneinsichtsrecht der Beteiligten gemäß § 100 Satz 1 VwGO zur Folge hätte. Soweit der Beklagte im Bescheid die Auskunftserteilung eingeschränkt habe, würde diese Weigerung auf § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestützt, im Übrigen ergebe sie sich aus dem Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör vor Gericht gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Auch wenn der Beklagte im Bescheid weiterhin für rechtmäßig halte, müsse eine gerichtliche Prüfung in der Sache möglich sein. Der Beigeladene beantragt, - 11 -
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