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Information

Aktenzeichen
1 S 2.04
Datum
12. Februar 2004
Gericht
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Berlin (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Berlin (IFG)

Beschluss: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 12. Februar 2004

1 S 2.04

Das Gericht erläutert den Verfahrensablauf zum Umgang mit Akten, in denen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vorhanden sind (Verwaltungsakt mit Drittwirkung). Bezieht sich ein Akteneinsichtsbegehren auf Akten (hier Bauakten), die auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten, so kommt die Verpflichtung zur Gewährung der Einsicht grundsätzlich nur hinsichtlich der übrigen Aktenbestandteile in Betracht. Der Kläger beabsichtigt die Verwendung der Informationen in einem Zivilprozess und muss befürchten, dass dieser abgeschlossen sein wird, bevor über die verwaltungsgerichtliche Klage entschieden ist. Das Gericht bejaht daher die Eilbedürftigkeit; eine einstweilige Anordnung ist trotz Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache gerechtfertigt. (Quelle: LDA Brandenburg)

Durchführung des Antragsverfahrens Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Drittbetroffenheit Aussonderungen Interessenabwägung

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OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN BESCHLUSS

Aktenzeichen: OVG 15 2.04 VG 23 A 93.03

In der Verwaltungsstreitsache Land Berlin, vertreten durch

Antragsgegner und Beschwerdeführer, gegen

Antragsteller und Beschwerdegegner, - Verfahrensbevollmächtigte:

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monj& und die Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler und Fieting am 12. Februar 2004 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. November 2003 mit Ausnahme der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Akteneinsicht in diejenigen Teile der Bau- akten des Bauvorhabens Sporthalle für Artisten, E Straße in Berlin, zu gewähren, die nicht die ursprüngliche Vergabe, sondern die Durchführung und Abwicklung des Bauvorhabens betreffen und keine Preis- oder Kalkulationsgrundlagen anderer an dem Bauvorhaben beteiligter Unternehmen als der Firma W GmbH & Co. KG offenlegen. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosterides Verfahrens werden dem Antragsteller zu 1/3 und dem Antragsgegner zu 2/3 auferlegt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2 000 EUR festgesetzt. Gründe

Der Kläger ist Rechtsanwalt und Prozessbevollmächtigter der W: GmbH & Co. KG in einem vor dem Landgericht Berlin gegen den Antragsgegner anhängigen Rechtsstreit. Gegenstand der zivilgerichtlichen Klage sind Werklohnforderungen der W GmbH & Co, KG über ca. 445 000 EUR für Bauleistungen im Rahmen des Bauvorhabens "Neubau einer Sporthalle für Artisten", E 'Straße in Berlin. Mit Bescheid vom 2. Mai 2003, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 2. September 2003, lehnte der Antragsgegner den vom Antragsteller unter Hinweis auf das Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin vom 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) - IFG -

im eigenen Namen gestellten Antrag auf Akteneinsicht in die Bauakten des bezeichneten Bauprojekts ab. Die vom Antragsteller hiergegen erhobene Klage ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin anhängig (VG 23 A 162.03). Mit Beschluss vom 14. November 2003 hat das Verwaltungsgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Akteneinsicht "in die Bauakten zur Durchführung und Abwicklung des Bauvorhabens Sporthalle für Artisten, E' Straße in Berlin", zu gewähren.

Zur Begründung seiner gegen den Beschluss gerichteten Beschwerde macht der Antragsgegner im Wesentlichen geltend: Die angefochtene Entscheidung verstoßRe gegen $ 7 Satz 1 IFG, denn die undifferenzierte und vollumfängliche Verpflichtung zur Gewährung der Akteneinsicht begründe die Gefahr, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der am Bauprojekt "Sporthalle für Artisten" beteiligten Unternehmen offenbart würden, deren Geheimhaltungsinteresse das Offenbarungsinteresse des Antragstellers überwögen. Darüber hinaus fehle es an einem die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Anordnungsgrund.

Die zulässige Beschwerde ist nur teilweise begründet. Gemäß 8 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht nur die nach Maßgabe des 8 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO zur Begründung der Beschwerde dargelegten Gründe. Diese rechtfertigen eine Einschränkung der vom Verwaltungsgericht erlassenen Regelungsanordnung nur insoweit, als diese die Verpflichtung des Antragsgegners umfasst, dem Antragsteller Einsicht auch in diejenigen Aktenbestandteile zu gewähren, die Preis- und Kalkulationsgrundlagen anderer Firmen als der W. GmbH & Co. KG, die insoweit ihr Einverständnis erklärt hat, enthalten.

  1. Die Beschwerde rechtfertigt es nicht, den Antrag auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung ($ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) in vollem Umfang zurückzuweisen.

a. Gemessen am Beschwerdevorbringen ist dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch nicht von vornherein abzusprechen. Gemäß 8 3 Abs. 1 Satz 1 IFG hat jeder Mensch nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber näher bezeichneten

öffentlichen Stellen nach seiner Wahl ein Recht auf Einsicht in und Auskunft über den Inhalt der von der öffentlichen Stelle geführten Akten. Ob der Zweck des Gesetzes, über die bestehenden Informationsmöglichkeiten hinaus die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu fördern und eine Kontrolle des staatlichen Handelns zu ermöglichen (vgl. $ 1 IFG), die Inanspruchnahme des Informationsrechts zum Zwecke anwaltlicher Tätigkeit ausschließt, wogegen allerdings sprechen könnte, dass das Gesetz vom jeweiligen Antragsteller weder den Nachweis eines berechtigten Interesses noch auch nur die Angabe eines Verwendungszwecks fordert (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, Abghs.-Drs. 13/1623, S. 5; vgl. auch Stellungnahme des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit - BinBDI - vom 6. Mai 2002 zur Auswertung der landesweiten Umfrage zum IFG durch SeniInn, S. 3 [veröffentlicht im Internet unter www.informationsfreiheit.de]), bedarf hier keiner näheren Erörterung, weil der Antragsgegner diesen Aspekt zweitinstanzlich nicht mehr geltend macht. Gleiches gilt für die ebenfalls nur erstinstanzlich erhobenen Einwände des Antragsgegners, $ 9 IFG stehe der Akteneinsicht während des laufenden Zivilrechtsstreits entgegen; insoweit sei der Antragsteller auf die in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Akteneinsichtsrechte beschränkt.

Dagegen beruft sich die Beschwerde auf die in $ 7 Satz 1 IFG geregelte Be-: schränkung des Akteneinsichtsrechts. Danach besteht das Recht auf Akteneinsicht oder Aktenauskunft nicht, soweit dadurch ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart wird und den Betroffenen durch die Offenbarung ein nicht nur unwesentlicher wirtschaftlicher Schaden entstehen kann, es sei denn, das Informationsinteresse überwiegt das schutzwürdige Interesse der Betroffenen an der Geheimhaltung. Hierzu führt der Antragsgegner an, die in den Bauakten enthaltenen Vergabe-, Vertrags- und Abrechnungsunterlagen würden "den zentralen und geheimhaltungsbedürftigen Inhalt eines jeden einzelnen an der Bauausführung des Projekts beteiligten Unternehmens" darstellen. Denn hierin seien die kalkulatorischen Bestandteile enthalten, die für das Erwirtschaften eines Gewinnes erforderlich seien, und den "Kern der Eigenständigkeit eines Unternehmens im Verhältnis zu seinen Konkurrenten und Wettbewerbern" verkörperten.

Zwar ist der Beschwerde einzuräumen, dass die Preis- und Kalkulationsgrundlagen der am Vergabeverfahren bzw. an der späteren Bauausführung beteiligten Unternehmen unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses im Sinne von 8 7 Satz 1 IFG fallen, weil das Bestehen im wirtschaftlichen Wettbewerb wesentlich von der Geheimhaltung dieser Grundlage abhängt (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Januar 2003 - 14 PS 1/02 -, NVwZ 2003, 629). Sie vernachlässigt jedoch, dass die Bauakten, auf die sich das Einsichtsbegehren des Antragstellers bezieht, jedenfalls nicht ausschließlich Geschäftsgeheimnisse im Sinne von 8 7 Satz 1 IFG beinhalten. Soweit der Antragsgegner geltend macht, im Bereich der Vergabe-, Vertrags- und Abrechnungsunterlagen sei dies doch "nahezu" der Fall, verkennt er, dass sich das Akteneinsichtsbegehren des Antragstellers nur auf die die Ausführung und Abwicklung des Bauprojekts, nicht aber auf die die ursprüngliche Auftragsvergabe betreffenden Bauakten bezieht. Über diese - im Kontext des im Hintergrund stehenden Zivilrechtsstreits nachvollziehbare - Begrenzung des Antragsbegehrens geht übrigens auch die Beschlussformel des Verwaltungsgerichts nicht hinaus, denn sie bezieht sich ebenfalls nur auf die Bauakten "zur Durchführung und Abwicklung des Bauvorhabens". Der in der erstinstanzlichen Antragsformulierung enthaltene Klammerzusatz "(nicht jedoch der ursprünglichen Vergabe)" diente lediglich der Klarstellung und ist allein aus diesem Grunde auch in die Beschlussformel des Senats sinngemäß mit aufgenommen worden.

Enthalten aber nur Teile der Akten Geschäftsgeheimnisse, so regelt & 12 Satz 1 IFG, dass das Recht auf Akteneinsicht dann hinsichtlich der anderen Aktenteile besteht. Das schließt es aus, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung schon deshalb in vollem Umfang zurückzuweisen, weil die betreffenden Akten "auch" Geschäftsgeheimnisse beinhalten. Vielmehr sind die geheimhaltungsbedürftigen Aktenteile unkenntlich zu machen oder abzutrennen, wobei die Separierung auch durch Ablichtung der nicht geheimhaltungsbedürftigen Aktenteile erfolgen kann (8 12 Satz 2 IFG).

b. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt auch nicht deshalb in vollem Umfang erfolglos, weil es an einem die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Anordnungsgrund fehlte. Das Verwaltungsgericht hat

nicht verkannt, dass die von ihm erlassene Regelungsanordnung nicht für die vom Antragsteller im Zivilprozess vertretene Baufirma, sondern für ihn selbst zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheinen muss ($ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Das Interesse des Antragstellers an der Akteneinsicht besteht darin, im Rahmen des anhängigen Zivilprozesses (13.0.422/3) die Firma W GmbH & Co. anwaltlich zu beraten und zu vertreten. Er muss befürchten, dass dieser Zivilprozess abgeschlossen sein wird, bevor über die verwaltungsgerichtliche Klage (VG 23 A 162.03) entschieden ist. Das rechtfertigt auch die durch die Art des Antragsbegehrens naturbedingte Vorwegnahme der Hauptsache. Da der Senat, wie eingangs ausgeführt, davon auszugehen hat, dass der Antragsteller grundsätzlich ein eigenes Akteneinsichtsrecht nach 8 3 Abs. 1 IFG geltend machen kann, lässt sich der Anordnungsgrund auch nicht mit der Erwägung des Antragsgegners verneinen, der Antragsteller könne gegenüber seiner Mandantin beanspruchen, dass diese ihm die für die Rechtsberatung und Prozessführung notwendige Tatsachenkenntnis vermittle, zumal seine Mandantin die Bauakten ebenso wenig kennt.

  1. Allerdings kann der Antragsgegner auch nicht uneingeschränkt verpflichtet werden, dem Antragsteller Einsicht in die die Durchführung und Abwicklung des Bauprojekts betreffenden Bauakten zu gewähren. Denn es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich Preis- und Kalkulationsgrundlagen einzelner Unternehmen, mithin Geschäftsgeheimnisse im Sinne von $ 7 Satz 1 IFG, auch in diesen Akten befinden. Würde die vom Antragsteller begehrte Regelungsanordnung ohne die aus der Beschlussformel ersichtliche Einschränkung mit der Begründung erlassen, der Antragsgegner habe nach wie vor nicht substanziiert, welche Teile der die Ausführung und Abwicklung des Bauvorhabens betreffenden Bauakten solche Geschäftsgeheimnisse enthalten, könnte dies zu einer Rechtsverletzung derjenigen Firmen führen, deren Geschäftsgeheimnisse offenbart würden.

Statt dessen sieht das Gesetz folgendes Verfahren vor: Sollte sich das Akteneinsichtsbegehren des Antragstellers, von dem anzunehmen ist, dass es sich auf die für den Zivilrechtsstreits letztlich relevanten und in Kooperation mit dem Antragsgegner zu ermittelnden Akten (vgl. 8 13 Abs. 1 Satz 2 IFG) konkretisieren

wird, auch auf Aktenbestandteile beziehen, die konkrete Geschäftsgeheimnisse enthalten, so hätte der Antragsgegner gemäß 8 7 Satz 1 IFG eine Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen und dem konkreten Informationsinteresse des Antragstellers vorzunehmen. Würde er dabei zu dem Ergebnis gelangen, dass der Offenbarung des Geschäftsgeheimnisses keine schutzwürdigen Belange des Betroffenen entgegenstehen oder dass derartige Belange durch das Informationsinteresse des Antragstellers überwogen werden, so hätte er dem Betroffenen gemäß 8 14 Abs. 2 Satz 1 IFG eine zweiwöchige Gelegenheit zur Äußerung einzuräumen. Die abschließende Entscheidung über die Gewährung der Einsichtnahme in den Geschäftsgeheimnisse enthaltenden Teil der Akte wäre dem Betroffenen gemäß 14 Abs. 2 Satz 2 und 5 IFG mit der Möglichkeit des Widerspruchs bekannt zu geben. Schließlich dürfte die Akteneinsicht nach $ 14 Abs. 2 Satz 4 IFG erst nach Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung gegenüber dem Betroffenen oder zwei Wochen nach Anordnung der sofortigen Vollziehung, die auch den Betroffenen bekannt zu geben ist, erteilt werden (vgl. zum Verfahrensablauf auch Haaß, GE 2000, 1086, 1089). Im Rahmen dieses Verfahrens bestünde sowohl für den Antragsteller als auch für den jeweils Betroffenen die Möglichkeit, erforderlichenfalls um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen (88 123, 80 a VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf $ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Beschwerdewertes ergibt sich aus 88 13 Abs. 1, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß 8 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Monje Seiler Fieting

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