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Information

Aktenzeichen
4 L 139/98
Datum
15. September 1998
Gericht
Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein
Gesetz
Umweltinformationsgesetz Bund (UIG)
Umweltinformationsgesetz Bund (UIG)

Urteil: Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein am 15. September 1998

4 L 139/98

Der Ausnahmetatbetand des Umweltinformationsgesetzes zum Schutz der Vertraulichkeit behördlicher Beratungen ist eng auszulegen; die für die Beratung notwendigen Sachinformationen (hier eine Vorauswahlliste naturschutzrechtlicher Prüfgebiete) fallen nicht darunter. Das Urteil enthält ausführliche Erläuterungen zur Eingrenzung des Beratungsbegriffs; das Urteil Vorinstanz wird geändert. (Quelle: LDA Brandenburg)

Begriffsbestimmung Beratungsgeheimnis (behördlicher Entscheidungsprozess)

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Anonymisierung aktualisiert am: 12. März 2005

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05, April oong  eingen.:

 

Verkündet am: 15. September 1998
..., Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der

Geschäftsstelle:

Aktenzeichen: 4 L 139/98
(3 A 180/96)

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

des ...,

Klägers und Berufungsklägers,
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwältin ...,
gegen

das Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein, Hamburger Chaus-
see 25, 24220 Flintbek,

Beklagten und Berufungsbeklagten,

wegen

Umweltinformation

hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig auf die
mündliche Verhandlung vom 15. September 1998 durch den Vizepräsidenten des Oberver-
waltungsgerichts ..., die Richter am Oberverwaltungsgericht ... und ... sowie die ehrenamtli-
chen Richterinnen ... und ... für Recht erkannt:
1

-2-

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer - vom 08. Mai 1998
(Az.: 3 A 180/96) geändert:

Der Bescheid des Rechtsvorgängers des Beklagten vom 18. April
1995 und der Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 1995 werden auf-
gehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Zugang zu der im Rah-
men des Verfahrens nach Art. 4 Abs. 1 und 2 FFH-Richtlinie erstell-
ten Liste über Prüfgebiete nach Maßgabe der FFH- und Vogelschutz-
richtlinie - inklusive der darin enthaltenen Umweltinformationen über
die FFH-Schutzwürdigkeitsprüfung der Wakenitz-Niederung (nördlich
des Ratzeburger Sees) sowie einer kartographischen Darstellung die-
.ses Gebietes - zu verschaffen, die der Rechtsvorgänger der Beklagten
dem damaligen Ministerium für Natur und Umwelt Ende 1994 über-
mittelt hat.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Be-
klagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren, ihm eine Vorauswahlliste naturschutzrechtli-
cher Prüfgebiete Schleswig-Holsteins zugänglich zu machen, die das damalige Landesamt für
Naturschutz und Landschaftspflege nach Maßgabe der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie
(Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräu-
me sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABL.EG 1992, Nr. L 206, S. 7) und der Vo-
gelschutzrichtlinie (VRL Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 02.04.1979 über die Erhal-
tung der wildlebenden Vogelarten, ABlL.EG 1979, Nr. L 103, S. 1, zuletzt geändert ABI.EG
1994, Nr. L 164, S. 9) erstellt und Ende 1994 an das damalige Ministerium für Natur und
Umwelt übermittelt hatte. Insbesondere begehrt der Kläger den Zugang zu den in der Liste
enthaltenen Informationen über das Gebiet der Wakenitz-Niederung (nördlich des Ratzebur-

ger Sees) einschließlich der kartographischen Darstellung dieses Gebietes.

Die Landesregierung hatte im Mai 1995 beschlossen, der Bundesregierung entsprechend
Art.4 Abs. I der FFH-Richtlinie in einem ersten Schritt Gebiete vorzuschlagen, die in der
Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten ... (FDP) (LT-Drucksache 13/2817 vom
2

-3-

01.06.1995) genannt waren. Diese Liste wurde nach Angaben des Beklagten am 29. Juli 1996
dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit übermittelt und von
dort aus am 13. Oktober 1997 an die EU-Kommission weitergeleitet. Über die in der Land-
tagsdrucksache genannten 96 Gebiete hinaus wurden durch das damalige Landesamt für Na-
turschutz und Landschaftspflege bzw. werden vom jetzigen Beklagten im Rahmen der natur-
schutzfachlichen Prüfungsaufgaben auch weitere noch nicht als Naturschutzgebiete ausgewie-
senen Flächen in Schleswig-Holstein auf ihre Schutzwürdigkeit nach der FFH- und der Vo-
gelschutzrichtlinie geprüft. Nach Angaben des Beklagten hatte dessen Rechtsvorgänger, das
damalige Landesamt für Natur und Landschaftspflege, dem damaligen Ministerium für Natur
und Umwelt Ende 1994 ein Zwischenergebnis übermittelt. In diesem Zwischenergebnis wur-
de eine vorläufige Einschätzung der Schutzwürdigkeit bestimmter Gebiete in Schleswig-
Holstein getroffen. Dieses Zwischenergebnis wurde in der Folgezeit mehrfach modifiziert und
hat in der modifizierten Form Eingang in den Entwurf des Landschaftsprogramms gefunden.
Nach Angaben des Beklagten stellen die im Entwurf des Landschaftsprogramms ausgewiese-
nen Prüfgebiete das vorläufige Endergebnis der Vorprüfung auf Landesebene dar.

Der Kläger stellte mit Schreiben vom 22. Februar 1995 beim Rechtsvorgänger des Beklagten
den Antrag, ihm eine Kopie der Liste über die naturschutzfachliche Vorauswahl von FFH-
Gebieten mit den jeweiligen Informationen über die Gebiete und ggf. einer kartographischen
Darstellung der Gebiete zu übersenden. Der Kläger stützte sein Begehren auf das am 08. Juli
1994 verabschiedete und am 16. Juli 1994 in Kraft getretene Umweltinformationsgesetz
- UIG - (BGBl. 11994, S. 1490).

Mit Bescheid vom 18. April 1995 lehnte der Rechtsvorgänger des Beklagten den Antrag des
Klägers mit der Begründung ab, die von diesem begehrte Liste sei zum einen noch nicht fer-
tiggestellt und unterfalle im übrigen dem Ausschlußtatbestand des $ 7 Abs. 1 Nr. 1 UIG, weil
sie als Teil eines innerbehördlichen und noch nicht abgeschlossenen Willensbildungsprozes-

ses eine vertrauliche Beratungsgrundlage von Behörden darstelle.

In seinem mit Schreiben vom 26. Mai 1995 hiergegen eingelegten Widerspruch trat der Klä-
ger den Ansichten des Beklagten entgegen. Zum einen liege die naturschutzrechtliche Vor-
auswahlliste schon seit Juli 1994 in abgeschlossener Form vor und könne - zumindest bezo-
gen auf die bereits fertiggestellten Informationen - nicht unter Berufung auf eine etwaige
Nichtfertigstellung zurückgehalten werden. Zum anderen unterfalle sein Begehren nicht dem

Ausschlußgrund des $ 7 Abs. 1 Nr. 1 UIG. Dieser schütze nur die Vertraulichkeit der Bera-
3

-4-

tungen, nicht die der zugrundeliegenden Beratungsgegenstände. Um solche Beratungsge-

genstände aber handele es sich bei den vom Kläger begehrten Sachinformationen.

Der Rechtsvorgänger des Beklagten wies den Widerspruch mit Bescheid vom 15. Juni 1995
zurück. Das Landesamt sei als obere Naturschutzbehörde im Rahmen des Verfahrens zur
Ausweisung der FFH-Gebiete nach Art. 4 Abs. 2 bis 4 der FFH-Richtlinie für das damalige
Ministerium für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein gutachterlich tätig gewe-
sen. Teil dieses Verfahrens sei die Übermittlung der Gebietsliste an die EU-Kommission nach
Art. 4 Abs. 1 der FFH-Richtlinie. Hiermit werde die Entscheidung der EU-Kommission nach
Art. 4 Abs. 2 der FFH-Richtlinie vorbereitet, die ihrerseits wiederum Grundlage für den Erlaß
einer Schutzverordnung nach nationalem Recht sei. Diese Tätigkeit im Rahmen der Vorbe-
reitung einer vom Umweltministerium zu erlassenden Rechtsverordnung falle unter den
Ausschlußtatbestand des $3 Abs. 1 Satz2 Nr. 1 UIG. Durch das vorzeitige Bekanntwerden
gesetzgeberischer Vorüberlegungen könne das beabsichtigte Ziel der Gesetz- oder Verord-
nungsgebung beeinträchtigt oder verfehlt werden. Daher bestehe ein Anspruch auf Informati-
onszugang nicht, wenn die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden i.S.d. $7 Abs. 1
Nr. 1 UIG berührt werde. Der Grundsatz der Vertraulichkeit von Beratungen werde in diesem
Falle verletzt, weil die gutachterlichen Stellungnahmen des Rechtsvorgängers des Beklagten
Teil des innerbehördlichen noch nicht abgeschlossenen Willensbildungsprozesses seien und
zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und Effektivität exekutiven Handelns dem normierten

Schutz vertraulicher innerbehördlicher Vorgänge unterlägen.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid, dem Kläger zugestellt am 17. Juni 1995, erhob dieser
am 11. Juli 1995 Klage, die er im wesentlichen mit seinem Vorbringen aus dem Verwaltungs-
verfahren stützte. Insbesondere sei der Rechtsvorgänger des Beklagten keine oberste Landes-
behörde und könne sich daher nicht auf den Schutz des $ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UIG berufen.
Auch sei es nach nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen nicht zwingend vorge-
geben, die FFH-Gebiete im Rahmen des Art. 4 FFH-Richtlinie durch Rechtsverordnungen
auszuweisen. Darüber hinaus greife auch der vom Beklagten herangezogene Ausschlußtat-
bestand des $ 7 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. UIG nicht ein, da die Vertraulichkeit der Beratungen von
Behörden nicht berührt sei. Sinn und Zweck des UIG sei es, Verwaltungstransparenz herzu-
stellen. Der Ausnahmetatbestand dürfe daher nur innerhalb bestimmter Schranken angewen-
det werden. Insbesondere beziehe sich der Begriff der „Beratungen“ allein auf die Beratungs-
vorgänge, nicht aber auf die diesen zugrundeliegenden Beratungsgegenstände. Die vom Be-

klagten erarbeiteten Gutachten seien als Sachıinformationen alleın Grundlage, nicht aber Be-
4

-5-

standteil des Willensbildungsprozesses gewesen und könnten daher nicht vom Informations-

anspruch ausgenommen werden.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

den Bescheid des Rechtsvorgängers des Beklagten vom 18. April
1995 und den Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 1995 aufzuheben
und den Beklagten zu verpflichten,

a) ihm die Ende 1994 durch das damalige Landesamt für Naturschutz
und Landschaftspflege an das damalige Ministerium für Natur und
Umwelt übermittelte Liste über Prüfgebiete hinsichtlich der FFH-
und Vogelschutzrichtlinie zugänglich zu machen,

weiterhin,

b) ihm die „Informationen über die Gebiete einschließlich einer karto-
graphischen Darstellung“ im Sinne der FFH-Richtlinie für den Be-
reich der Wakenitz-Niederung (nördlich des Ratzeburger Sees) zu-
gänglich zu machen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Landesamt hat sich zur Begründung auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide bezogen
und ergänzend vorgetragen, es seien neben den Ausschlußtatbeständen des $ 3 Abs. I Satz 2
Nr. 1 und $7 Abs. 1 Nr. 1 UIG auch die des $ 7 Abs. 1 Nr. 3 2. Alt. i.V.m. $3 Abs.2 Nr. 3
und $7 Abs. 2 UIG einschlägig. Zum einen sei die Vertraulichkeit der Beratungen von Be-
hörden berührt, zum anderen handele es sich bei den vom Kläger begehrten Informationen um
verwaltungsinterne Mitteilungen und um noch nicht abgeschlossene Schriftstücke oder Daten.
Daher sei der Anspruch aus $4 UIG schon deshalb nicht erfüllt, da dieser sich nur auf vor-
handene - mithin fertiggestellte -Informationen beziehe. Darüber hinaus sei durch das Be-
kanntwerden der Umweltinformationen der Erfolg behördlicher umweltschützender Maßnah-
men, nämlich die weitere unbeeinträchtigte Benennung von FFH-Gebieten durch das Lan-
desamt, gefährdet. Im übrigen sei das vom Beklagten angefertigte Gutachten hinsichtlich der
Schutzwürdigkeit des Bereichs der Wakeniıtz-Niederung (nördlich des Ratzeburger Sees) im
Sinne der FFH-Richtlinie und der Vorgelschutzrichtlinie in das vor dem Bundesverwaltungs-
gericht anhängige Verfahren zur A 20 durch das verfahrensführende Ministerum für Wirt-
schaft, Technologie und Verkehr eingeführt worden.
5

-6-

Durch Urteil vom 08. Mai 1998 hat die 3. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Verwal-
tungsgerichts der Klage hinsichtlich des Klagantrags zu 1. stattgegeben. Bezüglich des Klag-
antrags zu 2. hat das Verwaltungsgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, die vom
Kläger beantragte Umweltinformation über die FFH-Schutzwürdigkeit der Wakenitz-
Niederung (nördlich des Ratzeburger Sees) berühre die Vertraulichkeit der Beratungen von
Behörden gemäß $ 7 Abs. 1 Nr. 13. Alt. UIG.

Unter Anfechtung des klagabweisenden Teils des verwaltungsgerichtlichen Urteils, das dem
Kläger am 09. Mai 1998 zugestellt worden ist, hat dieser mit Schriftsatz vom 04, Juni 1998
- beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht eingegangen am 08. Juni 1998 - die
Zulassung der Berufung beantragt. Zur Begründung des Zulassungsantrags hat der Kläger
sich im wesentlichen auf die bereits in der ersten Instanz vorgebrachte Argumentation ge-

stützt.

Durch Beschluß vom 20. Juli 198 hat der Senat die Berufung gemäß $ 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO unter dem Gesichtspunkt zugelassen, daß die im Zusammenhang mit $7 Abs. 1 Nr. 1
UIG zu klärenden Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung haben.

Mit Schriftsatz vom 19. August 1998, eingegangen am 20. August 1998, begründet der Klä-
ger seine Berufung. Im wesentlichen bezieht sich der Kläger auf seine Argumentation im
erstinstanzlichen Verfahren und seine Ausführungen im Antrag auf Zulassung der Berufung.
Insbesondere ist er der Auffassung, der Anspruchsausschlußgrund des $ 7 Abs. 1 Nr. 1 3.Alt.
UIG sei schon deshalb nicht gegeben, weil es sich bei den begehrten Umweltinformationen
um „rein praktische naturschutzfachliche Informationen“ handele, die nicht unter den Begriff
der „Beratung“ im Sinne der benannten Vorschrift fielen. Darüber hinaus fehle es aber jeden-
falls an einem für die Vertraulichkeit behördlicher Beratungen notwendigen Beratungsge-
genstand von herausgehobener Bedeutung. Weder das zum Zeitpunkt der mündlichen Ver-
handlung im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängige Ge-
richtsverfahren des BUND Schleswig-Holstein hinsichtlich der Ostseeautobahn A 20 noch
etwaige an die Erstellung der begehrten Liste von FFH-Richtlinien-Prüfgebieten anschließen-
de weitere Beratungen und Abstimmungen hinsichtlich der Wakenitz-Niederung zwischen
dem Beklagten und dem Ministerium für Umwelt, Natur und Forsten seien ausreichende An-
satzpunkte, um eine solche herausgehobene Bedeutung des Beratungsgegenstandes zu be-

gründen.
6

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils des Schleswig-
Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 08. Mai 1998 (Az.:

3 A 180/96) den Bescheid des Rechtsvorgängers des Beklagten vom
18. April 1995 und den Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 1995 auf-
zuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Zugang zu
der im Rahmen des Verfahrens nach Art. 4 Abs. 1 und 2 FFH-
Richtlinie erstellten Liste über Prüfgebiete nach Maßgabe der FFH-
und Vogelschutzrichtlinie - inklusive der Umweltinformationen über
die FFH-Schutzwürdigkeitsprüfung der Wakenitz-Niederung (nördlich
des Ratzeburger Sees) sowie einer kartographischen Darstellung die-
ses Gebietes - zu verschaffen, die der Rechtsvorgänger des Beklagten
dem damaligen Ministerium für Natur und Umwelt Ende 1994 über-
mittelt hat.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung im wesentlichen auf seine Ausführungen im Bescheid vom
18. April 1995, im Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 1995, auf sein Vorbringen im erstin-
stanzlichen Verfahren sowie auf das verwaltungsgerichtliche Urteil. Vor diesem Hintergrund
ist der Beklagte der Ansicht, dem Kläger fehle bezogen auf die begehrten Informationen über
den Bereich der Wakenitz-Niederung das Rechtsschutzbedürfnis. Dem Kläger stehe deshalb
kein Anspruch auf die begehrten Informationen zu, da der Ausschlußgrund des $7 Abs. 1
Nr. 1 UIG greife. Die Bekanntgabe der Daten und der dazugehörigen Bewertungen des Be-
klagten über die Schutzwürdigkeit der Wakenitz-Niederung könne die weiteren unbefangenen
planerischen Abwägungen im Geschäftsbereich des Ministeriums für Umwelt, Natur und
Forsten beeinträchtigen. Zum einen sei das Verfahren zur Ausweisung der Wakenitz-
Niederung als Naturschutzgebiet noch nicht abgeschlossen, da die inhaltlich Ausgestaltung
der Schutzverordnung in der Landesregierung umstritten sei. Zum anderen stehe auch die
weitere Planung der Bundesautobahn A 20 noch aus. Erst in Kürze beginne das Planfeststel-
lungsverfahren hinsichtlich des zweiten Planungsabschnittes der A 20, der u.a auch die Que-
rung der streitgegenständlichen Wakenitz-Niederung zum Gegenstand habe.

Die Verwaltungsvorgänge des Verfahrens haben dem Gericht bei Beratung und Entscheidung
vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden; wegen
weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im übrıgen wird auf
den Akteninhalt sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen er-

gänzend Bezug genommen.
7

-8-

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage

mit Urteil vom 08. März 1998 zu Unrecht teilweise abgewiesen.

Die Klage ist zulässig. Die dem klägerischen Begehren entsprechende Klageart ist die Ver-
pflichtungsklage (vgl. $ 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO). Der Kläger erstrebt nämlich nicht nur die
Erteilung einer Auskunft, sondern auch den Erlaß eines Verwaltungsakts i.S.d. $ 106 Abs. 1
LVwG @ 835 Satz 1 VwVfG). Denn die beanspruchte Tätigkeit des Beklagten erschöpft sich
nicht in der Übersendung einer fachbehördlich erstellten Liste naturschutzrechtlicher Prüfge-
biete, worin ein bloß tatsächliches Handeln zu erblicken wäre. Vielmehr geht dem Realakt des
Übersendens die rechtliche Prüfung voraus, ob und in welchem Umfang dem Begehren ent-
sprochen werden soll. Die aus dieser Prüfung resultierende Entscheidung, die dem Kläger ge-
genüber in Form eines Verwaltungsakts ergeht ($ 5 Abs. 2 Satz 1 UIG verwendet den Begriff
„bescheiden“), bildet den rechtlichen Schwerpunkt des vom Kläger begehrten Verwaltungs-
handelns (vgl. Senat, Beschl. v. 10.07.1996 - 4 L 222/95 -, ZUR 1997, 43; BVerwG, Urt. v.
25.02.1969 - 1 C 65/67 -, BVerwGE 31, 301 [306 £.]). Die Klagebefugnis 1.S.d. $42 Abs. 2
VwGO folgt aus $4 Abs. 1 UIG, der unter bestimmten Voraussetzungen jeder natürlichen o-
der juristischen Person einen Anspruch auf Zugang zu Informationen über die Umwelt ge-
währt. Auch das gemäß $ 68 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO erforderliche Widerspruchsverfah-
ren hat der Kläger erfolglos durchgeführt. Insbesondere erfolgte der Widerspruch des Klägers
fristgerecht 1.S.d. $$ 70 Abs. 1 Satz 1, 58 Abs.2 VwGO. Da dem Ausgangsbescheid des
Rechtsvorgängers des Beklagten keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, wurde die Wi-
derspruchsfrist des $ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach Maßgabe des $ 58 Abs. 1 VwGO nicht in
Lauf gesetzt; es galt die Jahresfrist des $58 Abs. 2 VwGO seit Zustellung des Ausgangsbe-
scheides. Zudem erhob der Kläger auch innerhalb der Klagefrist von einem Monat ab Zustel-
lung des Widerspruchsbescheides ($ 74 Abs. 2 1.V.m. $ 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) Klage vor
dem Verwaltungsgericht.

Die Klage ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch in vollem Umfang be-
gründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zugang zu den begehrten Umweltinformationen
zu, so daß die ablehnenden Bescheide rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten

verletzen (vgl. $ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
8

-9-

Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist $ 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung
der EG-Richtlinie 90/313 vom 08. Juli 1993 (Umweltinformationsgesetz [UIG]; BGBl. I
1994, S. 1490). Mit $ 4 Abs. 1 UIG wurde Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie des Rates vom 07. Juni
1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (90/313/EWG) in deutsches
Recht umgesetzt. Danach hat jeder Bürger Anspruch auf freien Zugang zu Informationen über
die Umwelt, die - u.a. - bei einer Behörde vorhanden sind. Diese Voraussetzungen sind hier

gegeben.

Der Antrag des Klägers vom 22. Februar 1995 war zulässig. Er war i.S.d. $5 UIG hinrei-
chend bestimmt und spezifiziert. Insbesondere war er auch gegenüber der nach $$ 9 Abs. 1
Satz 1,3 Abs. 1,2 Nr. 1 UIG zuständigen Behörde, dem Rechtsvorgänger des Beklagten (dem
damaligen Landesamt für Naturschutz und Landschaftspflege), gestellt. Insoweit kann sich
der Beklagte auch nicht darauf berufen, er sei keine „Behörde“ 1.S.d. $3 Abs. I UIG. An-
spruchsverpflichtet ist nach dieser Vorschrift zunächst jede Stelle i1.S.v. $1 Abs. 4 VwVfG,
„die Aufgaben des Umweltschutzes wahrzunehmen hat“. Eine solche „auf nationaler, regio-
naler oder lokaler Ebene im konkreten Fall mit Aufgaben des Umweltschutzes betraute Stelle
der öffentlichen Verwaltung‘ (vgl. insoweit auch Art. 2 Buchstabe b der Umweltinformati-
onsrichtlinie) ist das beklagte Landesamt für Natur und Umwelt im vorliegenden Fall, da das
Landesamt mit der Vorauswahl im Rahmen der naturschutzfachlichen Ausweisung nach
Maßgabe der FFH-Richtlinie relevanter Prüf- und Schutzgebiete in Schleswig-Holstein, mit-
hin mit konkreten Aufgaben des Umweltschutzes, befaßt war (vgl. zu den Anforderungen Se-
nat, Urt. v. 17.12.1997 -4L 213/95 -). Nach $3 Abs. 1 Satz2 Nr. 1 UIG sind u.a. vom Be-
hördenbegriff des UIG lediglich die obersten Landesbehörden ausgenommen, soweit sie im
Rahmen der Gesetzgebung oder beim Erlaß von Rechtsverordnungen tätig werden. Zu den o-
bersten Landesbehörden (vgl. 85 Abs. 1 LVwG) gehört der Beklagte nicht. Wie das Verwal-
tungsgericht zutreffend ausführt, ist das beklagte Landesamt Landesoberbehörde 1.S.v. $ 6
LVwG ım Geschäftsbereich der Ministerin oder des Ministers für Natur und Umwelt (vgl. $ 1
der Landesverordnung über die Errichtung des Landesamtes für Natur und Umwelt des Lan-
des Schleswig-Holstein v. 30.10.1995; GVOBI. S. 351). Die begehrten Informationen in Form
einer Liste über Prüfgebiete auf der Grundlage der Schutzwürdigkeitsanforderungen der FFH-
und der Vogelschutzrichtlinie waren zudem beim Beklagten vorhanden (8$ 2 Nr. 1, 9 Abs. 1
Satz 1 UIG) und - wie sich aus den Angaben des Vertreters des beklagten Landesamtes in der
mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ergibt - zumindest seit Ende 1994 auch

in dem vom Kläger gewünschten Umfang vollständig zusammengestellt.
9

-10--

Die vom Kläger erbetene Liste über die naturschutzrechtlichen Prüfgebiete in Schleswig-
Holstein und insbesondere auch das Schützwürdigkeitsgutachten über das Prüfgebiet der Wa-
kenitz-Niederung nördlich des Ratzeburger Sees sind Informationen über die Umwelt 1.S.d.
$3 Abs.2 UIG und zwar in der Form von Daten sowohl über den Zustand der Tier- und
Pflanzenwelt und der natürlichen Lebensräume (Nr. 1 der Vorschrift) als auch über umwelt-
schützenden Tätigkeiten oder Maßnahmen (Nr. 3 der Vorschrift). Dabei ist es unerheblich, ob
es sich - wie der Kläger angibt - bei den begehrten Informationen um „rein naturschutzrechtli-
che Prüfgebiete“ handelt, oder ob sich - wie der Beklagte darlegt - aus der Zusammenstellung
auf der erstrebten Liste ggf. auch Einschätzungen, Wertungen oder Begutachtungen seitens
des Landesamtes ergeben. Denn nach dem weiten Umweltinformationsbegriff des Art. 2
Buchstabe a der Richtlinie, auf den die Umsetzung in $ 3 Abs. 2 UIG zurückgeht, kann „von
einer Information über die Umwelt im Sinne der Richtlinie (...) bereits dann gesprochen wer-
den, wenn eine Stellungnahme der Verwaltung eine Handlung darstellt, die den Zustand eines
der von der Richtlinie erfaßten Umweltbereiche (...) schützen kann“ (EuGH, Urt. v.
17.06.1998 - C-321/96 - 1 6, 7, Rdn. 19 bis 21, Schl-H.Anz. 1998, 243 £., 244). Danach unter-
fallen nicht nur objektive Tatsachen oder reine Tatsachenmitteilungen, sondern auch subjekti-
ve Einschätzungen und Wertungen, die in Schrift, Bild oder auf sonstigen Informationsträgern
niedergelegt sind, dem Begriff der Umweltinformation in $3 Abs. 2 UIG, solange ein um-
weltschützender Bezug in Form der „direkte[n] Verbesserung der Umwelt [als] Ziel“ (BT-
Drucksache 12/138, S. 12, BR-Drucksache 797/93, S. 29) vorhanden ist. Der Umstand, daß
sich die begehrten Informationen u.U. als Bewertungen darstellen, nımmt sie nicht schon vom
Informationsgegenstand aus (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 10.07.1996 -4L 222/95 -, ZUR
1997, 43 £., EuGH, Urt. v. 17.06.1998 a.a.O., I 6, 7, Rdn. 19 bis 21 [behördliche Stellung-
nahmen als Informationen über die Umwelt]; so auch Fluck/Theuer, UIG, $3 Rdn. 169;
Schomerus/Schrader/Wegener, UIG, $ 3 Rdn. 59, 100; Vahldiek, ZUR 1997, 144 [145 £.]).

Dem klägerischen Begehren stehen auch keine Gründe entgegen, die gemäß $$ 7 und 8 UIG
den Informationsanspruch ausschließen oder beschränken können. Insbesondere berührt der
Informationsanspruch nicht die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden 1.S5.d. $ 7 Abs. 1
Nr. 1 3. Alt. UIG. Denn die seitens des Klägers begehrten Informationen über naturschutz-
rechtliche Auswahlgebiete - u.a. auch bezogen auf die Wakenitz-Niederung nördlich des Rat-
zeburger Sees -, die vom Rechtsvorgänger des Beklagten in Form einer Liste weitergeleitet
wurden, unterfallen schon deshalb nicht dem Schutz der Vertraulichkeit behördlicher Bera-
tungen im Sinne der genannten Vorschrift, weil sie keine behördlichen „Beratungen“ darstel-

len.
10

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