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Aktives Presserecht – Argumente für Auskünfte


Oft verweigern Behörden Auskünfte auf Anfragen von Journalist*innen. Sie berufen sich dabei in der Regel auf angebliche Ausnahmen nach den jeweils gültigen Landespressegesetzen. Häufig ist Unwissen der Grund für die Auskunftsverweigerung und nicht böser Wille. Als Teil des Projektes „Fragen und Antworten - Auskunftsrechte kennen und nutzen“, einer Kooperation mit Netzwerk Recherche, stärkt die Entscheidungsdatenbank das Wissen rundum Auskunftsrechte und hilft besser argumentieren zu können. Journalist*innen können für ihre Recherchen wichtige Urteile, Bescheide und Beschlüsse kostenlos im Volltext eingesehen und durchsuchen.

Information

Aktenzeichen
BUND BVwG 6 A 2.12 2013 LPG
Datum
20. Februar 2013
Gericht
Bundesverwaltungsgericht
Gesetz
Berliner Pressegesetz
Berliner Pressegesetz

Urteil: Bundesverwaltungsgericht am 20. Februar 2013

BUND BVwG 6 A 2.12 2013 LPG

Die Landespressegesetze begründen keine Auskunftsansprüche der Presse gegen den Bundesnachrichtendienst

Geheimdienste

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BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL BVerwG 6 A 2.12 Verkündet am 20. Februar 2013 Zweigler als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In der Verwaltungsstreitsache
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-2- hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich, Dr. Möller, Hahn und Prof. Dr. Hecker für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gründe: I 1 Der Kläger ist Chefreporter der Bild-Zeitung. Mit Schreiben an die Beklagte vom 17. November 2010 beantragte er „unter Verweis auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch und Art. 5 Abs. 1 GG direkt“ Auskunft dazu, wie viele haupt- amtliche und wie viele inoffizielle Mitarbeiter der BND bzw. die Organisation Gehlen in den Jahren 1950, 1955, 1960, 1970, 1980 hatte und wie viele davon ehemalige Mitglieder der NSDAP, der SS, der Gestapo oder Angehörige der Abteilung „Fremde Heere Ost“ gewesen seien. 2 Mit Schreiben vom 21. Dezember 2010 teilte ihm die Beklagte daraufhin mit, die Bearbeitung der Anträge werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen. 3 Mit der am 22. Februar 2011 beim Bundesverwaltungsgericht eingegangenen Untätigkeitsklage verfolgt der Kläger sein Auskunftsbegehren weiter. Zur Be- gründung trägt er vor, ihm stehe der begehrte Auskunftsanspruch aus § 4
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-3- Abs. 1 BlnPrG zu. Nach dieser Rechtsvorschrift sei die Beklagte als Bundesbe- hörde - auch in Anbetracht einer landesgesetzlichen Norm - passivlegitimiert. Der Bundesnachrichtendienst (BND) habe seinen Sitz in Berlin und Pullach. Darüber hinaus habe er - der Kläger - nach der Rechtsprechung des Bundes- verwaltungsgerichts einen verfassungsunmittelbaren Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf die begehrte Auskunft. Auch das Bundesverfassungsge- richt habe einen Auskunfts- und Informationsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitet. Darüber hinaus habe er als Vertreter der Presse einen Anspruch aus Art. 10 EMRK auf die begehrte Auskunft. Als Journalist habe er eine Funk- tion als „public watchdog“ und werde durch die Auskunftsverweigerung in sei- nem Recht beschränkt, sich selbst und die Öffentlichkeit angemessen zu infor- mieren. 4 Die Debatte über vorbelastete BND-Mitarbeiter habe sofort nach Gründung der Organisation Gehlen begonnen und dauere an. Sie sei wichtig, um geschehe- nes Unrecht aufzuarbeiten und den Opfern Genugtuung zu verschaffen. Sie sei auch wichtig, um künftigem Unrecht vorzubeugen. Die Presse sei in diesem Zusammenhang ein wichtiger Katalysator. Der beklagte Nachrichtendienst sei nicht bereit, auch nur Zahlen zu nennen oder weitere Einzelheiten in Verbin- dung mit den vorbelasteten Personen zu offenbaren. Damit sei jeglicher Mei- nungsäußerung über diese Personen, ihre Vergangenheit, ihre Entscheidungen und ggf. ihre Opfer der Boden entzogen. Damit unterliege die Freiheit der Mei- nungsäußerung einer faktischen Zensur. Sämtliche gewünschten Informationen lägen bei dem beklagten Dienst aufbereitet vor. Jedenfalls könnten die vorhan- denen Personalakten ohne unzumutbaren Aufwand mit Hilfe moderner Büro- technik elektronisch erfasst und ausgewertet werden. 5 Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Auskunft zu ge- ben zu folgenden Fragen a) Wie viele hauptamtliche Mitarbeiter hatte der BND bzw. die Organisation Gehlen in den Jahren 1950, 1955, 1960, 1970, 1980?
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-4- b) Wie viele nachrichtendienstliche Verbindungen hatte der BND bzw. die Organisation Gehlen in den Jahren 1950, 1955, 1960, 1970, 1980? c) Wie viele der hauptamtlichen Mitarbeiter in den genann- ten Jahren waren aa) ehemalige Mitglieder der NSDAP? bb) ehemalige Mitglieder der SS? cc) ehemalige Mitglieder der Gestapo? dd) ehemalige Angehörige der Abteilung „Fremde Heere Ost“? d) Wie viele der ehemaligen nachrichtendienstlichen Ver- bindungen in den genannten Jahren waren aa) ehemalige Mitglieder der NSDAP? bb) ehemalige Mitglieder der SS? cc) ehemalige Mitglieder der Gestapo? dd) ehemalige Angehörige der Abteilung „Fremde Heere Ost“? 6 Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. 7 Die Beklagte bringt vor, ein Anspruch des Klägers auf Beantwortung der unter 2. a) bis d) der Klageschrift gestellten Fragen aus § 4 Abs. 1 BlnPrG bzw. § 4 Abs. 1 BayPrG bestehe nicht. Entgegen der Behauptung des Klägers ließen die Fragen sich nicht einfach beantworten. Die begehrten Informationen lägen we- der EDV-technisch aufbereitet beim Bundesnachrichtendienst vor, noch ließen sie sich unter Zuhilfenahme des Arbeitsberichts „Org. 85“ sowie dazu gehöriger Karteikarten und Akten beantworten. Hinsichtlich des Antrags zu 2. a) sei herausgefunden worden, dass dem Bundesnachrichtendienst für das Jahr 1964 etwa 5 200 Planstellen und Stellen zugewiesen gewesen seien, für 1970 etwa 6 800 und für das Jahr 1980 etwa 6 500. Hinsichtlich des Antrags zu 2. b) und d) werde angemerkt, dass die vom Kläger vorgegebene Kategorie „inoffizielle Mitarbeiter“ beim Bundesnachrichtendienst nicht gebraucht worden sei. Eine Beantwortung der Frage in dieser Form sei bereits faktisch unmöglich. Eine et- waige Mitgliedschaft in Organisationen des NS-Regimes sei nicht zentral er- fasst worden; deshalb stehe kein zentraler Aktenbestand zur Verfügung, in dem solche Zahlen leicht ablesbar seien.
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-5- 8  Die vom Kläger begehrten Informationen könnten auch nicht mit einem noch vertretbaren Verwaltungsaufwand eruiert werden. Der Kläger begehre die An- gabe von absoluten Zahlengrößen. Diese könnten aber weder auf der Grundla- ge des Abschlussberichts „Org. 85“ erstellt werden noch mit Hilfe des Berichts über die Kassation von 253 Personalakten, weil es sich dabei jeweils nur um kleine Ausschnitte des Gesamtpersonals gehandelt habe. Zur Darstellung eines Personalprofils des Bundesnachrichtendienstes bzw. der Organisation Gehlen im Sinne des Klageantrags müsse eine Gesamtschau der im Archiv vorhande- nen Akten erfolgen, die zum Teil archivarisch noch gar nicht erschlossen seien; die begehrten Informationen lägen zur Zeit nur fragmentarisch vor. Die Zurver- fügungstellung der begehrten Informationen würde einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, zu dem der Bundesnachrichtendienst nicht verpflichtet sei. 9  Der Bundesnachrichtendienst habe zur Aufarbeitung seiner Entstehungs- und Frühgeschichte eine unabhängige Historiker-Kommission (UHK) eingesetzt, deren Forschungsauftrag auch das Personalprofil des Bundesnachrichtendiens- tes und der Organisation Gehlen von 1945 bis 1968 umfasse. Diese werde un- terstützt durch eine vom Bundesnachrichtendienst eingesetzte Forschungs- und Arbeitsgruppe „Geschichte des BND“. Das Projekt sei auf einen Zeitraum von vier Jahren angelegt. Die Ergebnisse würden der Öffentlichkeit in den kommen- den Jahren in Form von Publikationen und über verschiedene wissenschaftliche Veranstaltungen zugänglich gemacht. Empirisch belastbare Zahlen würden vo- raussichtlich erst gegen Ende des Gesamtprojekts vorliegen. 10 Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren. Nach sei- ner Auffassung können Bundesbehörden weder auf der Grundlage der Landes- pressegesetze noch aus Art. 5 Abs. 1 GG zur Erteilung von Auskünften ver- pflichtet werden. Die Landespressegesetze entfalteten für Bundesbehörden keine Bindungswirkung. Es handele sich bei der Erfüllung von Auskunftsbegeh- ren nämlich um Gesetzesvollzug. Gemäß Art. 83 ff. GG sei der Vollzug von Landesgesetzen durch den Bund ausgeschlossen.
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-6- 11 Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung den Auszug aus einem Schriftstück überreicht, das die Zahlen von Mitarbeitern und nachrichtendienst- lichen Verbindungen in den Jahren 1950, 1955, 1960, 1970 und 1980 enthält. 12 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. II 13 Die auf Auskunft vom Bundesnachrichtendienst gerichtete Klage ist zulässig (1.), aber unbegründet. (2.). 14 1. a) Über die Klage hat erstinstanzlich das Bundesverwaltungsgericht zu ent- scheiden, denn ihr liegen Vorgänge im Geschäftsbereich des Bundesnachrich- tendienstes zu Grunde (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO). 15 b) Das Begehren ist in der Form der allgemeinen Leistungsklage statthaft. Es ist auf ein tatsächliches Handeln der Beklagten gerichtet. Anders als bei Aus- kunftsklagen nach § 7 BNDG i.V.m. § 15 BVerfSchG geht der Erteilung der Auskunft keine davon gesonderte und als Verwaltungsakt zu qualifizierende „Entscheidung“ des Behördenleiters oder einer von ihm beauftragten Person (§ 15 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG) voraus (Urteil vom 28. November 2007 - 6 A 2.07 - Buchholz 402.71 BNDG Nr. 1 = BVerwGE 130, 29 Rn. 13). 16 c) Die Klage hat sich nicht teilweise erledigt. Zwar hat die Beklagte in der münd- lichen Verhandlung die Zahlen von hauptamtlichen Mitarbeitern und Nachrich- tendienstlichen Verbindungen in den Jahren 1950, 1955, 1960, 1970 und 1980 offengelegt. Der Anspruch des Klägers ist aber auf eine Auskunft über die Durchsetzung des Bundesnachrichtendienstes mit Mitarbeitern nationalsozialis- tischen Hintergrunds gerichtet. Sein Auskunftsanspruch ist als einheitlicher An- spruch gemeint. Die Zahlen der Mitglieder in nationalsozialistischen Organisa- tionen und der Abteilung „Fremde Heere Ost“ sollen im Verhältnis zu der auch angefragten Gesamtzahl hauptamtlicher Mitarbeiter und Nachrichtendienstlicher
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-7- Verbindungen das Ausmaß der Durchsetzung mit Mitarbeitern nationalsozialis- tischen Hintergrunds widerspiegeln. Insoweit ist der Auskunftsanspruch unteil- bar und einer Erfüllung und damit Erledigung durch Benennung einzelner Zah- len nicht zugänglich. 17 2. Die Klage ist unbegründet. Die Landespressegesetze begründen keine Aus- kunftsansprüche der Presse gegen den Bundesnachrichtendienst; deshalb kann der Kläger sein Begehren nicht auf § 4 Abs. 1 BlnPrG stützen. Die Ge- setzgebungskompetenz zur Regelung derartiger Presseauskünfte liegt beim Bund (a). Solange der Bund von seiner gesetzlichen Regelungskompetenz kei- nen Gebrauch macht, folgt ein Auskunftsanspruch der Presse unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Allerdings erfüllt das konkrete Begehren des Klägers die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht (b). Das Auskunftsbegeh- ren kann nicht auf Art. 10 EMRK (c) oder Art. 19 IPpbR gestützt werden. 18 a) Die Länder können durch ihre Pressegesetze den Bundesnachrichtendienst nicht zu Auskünften gegenüber der Presse verpflichten. Für eine solche Rege- lung fehlt ihnen die Gesetzgebungskompetenz. Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungs- befugnisse verleiht (Art. 70 Abs. 1 GG). Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwi- schen Bund und Ländern bemisst sich nach den Vorschriften des Grundgeset- zes über die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 70 Abs. 2 GG). Mangels einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Sachgebiet „Presserecht“ haben die Länder zwar die Befugnis, presserechtliche Regelungen zu treffen (aa). Diese Befugnis umfasst aber nicht alle Regelungen, die die Presse berühren, sondern stößt dort an Grenzen, wo sie auf eine vor- rangige anderweitige Gesetzgebungskompetenz trifft. Die Regelung von Aus- kunftsansprüchen gegenüber der Presse folgt aus anderen Kompetenztiteln, die - soweit der Bundesnachrichtendienst betroffen ist - ausschließlich dem Bund zustehen (bb). 19 aa) Das Presserecht ist als Materie weder im Katalog der ausschließlichen Ge- setzgebung des Bundes (Art. 73 GG) noch der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 GG) aufgeführt. Die Entwürfe des Grundgesetzes bis zur 3. Lesung im
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-8- Hauptausschuss (10. Februar 1949) sahen im Anschluss an Art. 7 Nr. 6 der Weimarer Reichsverfassung und an Art. 4 Nr. 16 der Reichsverfassung von 1871 eine konkurrierende Kompetenz des Bundes für das Presserecht vor (vgl. den Abdruck der Materialien in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts Neue Folge Band 1 <1951>, 1 <557 ff.>). Diese Kompetenz wurde jedoch auf Veranlassung der Alliierten (vgl. Memorandum vom 2. März 1949) beseitigt und durch die Rahmenkompetenz des Art. 75 Nr. 2 GG ersetzt (Nachweise in: BVerfG, Be- schluss vom 4. Juni 1957 - 2 BvL 17/56 u.a. - BVerfGE 7, 29 <40>). Das Bun- desverfassungsgericht geht in seiner Rechtsprechung aber davon aus, dass die Zuständigkeitskataloge der deutschen bundesstaatlichen Verfassungen eine besondere Materie „Presserecht“ kennen (BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1957 a.a.O. S. 38 unter Hinweis auf Art. 4 Nr. 16 RVerf. von 1871, Art. 7 Nr. 6 WeimRVerf. und Art. 75 Nr. 2 GG). Dabei sei es ohne Bedeutung, dass die Ab- grenzung des Rechtsgebietes „Presserecht“ in verschiedener Hinsicht zweifel- haft und umstritten sei (BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1957 a.a.O.). 20 Die Länder sind demnach entsprechend dem Grundsatz des Art. 70 Abs. 1 GG für gesetzliche Regelungen auf dem Gebiet des Pressewesens zuständig (BVerfG, Beschluss vom 28. November 1973 - 2 BvL 42/71 - BVerfGE 36, 193 <201>). Diese Zuständigkeit muss jedoch diejenigen Grenzen beachten, die sich aus vorrangigen anderweitigen Kompetenzen ergeben. Dies hat bereits in der Vergangenheit zu Abgrenzungsfragen geführt, wenn Teile der Vollregelung Bezüge zu mehreren Sachgebieten aufwiesen. Dieser Umstand enthebt jedoch nicht von der Notwendigkeit, die Materie entweder dem einen oder dem ande- ren Kompetenzbereich zuzuweisen: eine „Doppelzuständigkeit“, auf deren Grundlage Bund und Länder ein und denselben Gegenstand in unterschiedli- cher Weise regeln könnten, ist dem System der verfassungsrechtlichen Kompe- tenznormen fremd und wäre mit ihrer Abgrenzungsfunktion (vgl. Art. 70 Abs. 2 GG) auch nicht vereinbar (BVerfG, Beschluss vom 28. November 1973 a.a.O. S. 202 f.). Diese Beurteilung entspricht schließlich auch dem Bedürfnis nach Rechtseinheit. Ein anderes Ergebnis widerspräche dem Gebot sachgemäßer und funktionsgerechter Auslegung der Kompetenzvorschriften (BVerfG, Be- schluss vom 28. November 1973 a.a.O. S. 209).
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-9- 21 Nachdem der Bund von der Kompetenz zur Rahmengesetzgebung für die all- gemeinen Rechtsverhältnisse der Presse (Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG a.F.) bis zu ihrer Aufhebung (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034) keinen Gebrauch gemacht hatte, haben die Bundeslän- der ab 1959 nach einem als Muster dienenden Modellentwurf neue, in den we- sentlichen Punkten übereinstimmende Landespressegesetze geschaffen, die in den Jahren 1964 bis 1966 in Kraft traten (Löffler/Ricker, Handbuch des Presse- rechts, 5. Aufl. 2005, Kapitel 4 Rn. 35). Die Länder haben in ihren Landespres- segesetzen sogenannte Vollregelungen getroffen, durch die nicht nur das Ord- nungsrecht der Presse (z.B. Impressumsvorschrift), sondern auch das Recht der Gegendarstellung, der Pressebeschlagnahme, der Presse-Verjährung, der öffentlichen Aufgabe der Presse und ihres Informationsanspruchs gegenüber den Behörden normiert worden sind (Löffler/Ricker, a.a.O. Kapitel 2 Rn. 3 m.w.N.). Teile dieser Vollregelungen wurzelten in anderen Materien als dem Presserecht und haben dementsprechend schon zu früheren Zeitpunkten ver- fassungsrechtliche Einschränkungen erfahren. So verlieh den Ländern die un- eingeschränkte Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet des Pressewe- sens zwar die Befugnis, die Verjährung von Pressedelikten zu regeln (BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1957 a.a.O.), nicht aber diejenige, das Zeugnisverweige- rungsrecht der Presse im Strafverfahren zu normieren; denn bei letzterem han- delt es sich nicht um einen Gegenstand des Presserechts, sondern um eine Materie, die Teil des gerichtlichen Verfahrens ist und darum gemäß Art. 74 Nr. 1 GG in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fällt (BVerfG, Be- schluss vom 28. November 1973 a.a.O. S. 196). Ebenso wenig waren sie zu- ständig für Regelungen über pressebezogene Beschlagnahmen im Strafverfah- ren (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 1978 - 2 BvL 2/78 - BVerfGE 48, 367 <372 f.>). Ihre Kompetenz zur Regelung der Presseauskünfte durch Landesbe- hörden folgt nicht aus der Gesetzesmaterie „Presserecht“, sondern als Annex zu der jeweiligen Sachkompetenz, beispielsweise in den Bereichen „Schule“, „Hochschulen“, „Justiz“, „Polizei“; die Bestimmungen über die Auskunftspflich- ten von Landesbehörden hätten daher statt in den Pressegesetzen auch in an- deren - verwaltungs- oder organisationsrechtlichen - Gesetzen der Länder auf- genommen werden können.
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- 10 - 22 bb) Dem Bund steht die ausschließliche Kompetenz für die Gesetzgebung in auswärtigen Angelegenheiten sowie in Angelegenheiten der Verteidigung zu (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG). Zu dieser Materie gehört auch der gesetzliche Auftrag an den Bundesnachrichtendienst zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland mit außen- und sicherheitspolitischer Relevanz (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 u.a. - BVerfGE 100, 313 <368 ff.>; BVerwG, Ur- teil vom 23. Januar 2008 - BVerwG 6 A 1.07 - BVerwGE 130, 180 Rn. 33 = Buchholz 402.9 G 10 Nr. 2). Die Kompetenz zur Regelung der Sachmaterie „Bundesnachrichtendienst“ schließt als Annex die Befugnis ein, Voraussetzun- gen und Grenzen zu regeln, unter denen der Öffentlichkeit einschließlich der Presse Informationen zu erteilen sind oder erteilt werden dürfen. Landespres- segesetzliche Auskunftsvorschriften wie § 4 BlnPrG bzw. § 4 BayPrG sind vor diesem Hintergrund verfassungskonform dahin auszulegen, dass der Bundes- nachrichtendienst nicht zu den von ihnen verpflichteten „Behörden“ zählt. 23  (1) Kennzeichnend für die Annexkompetenz ist ihr dienender, im Verhältnis zur geschriebenen materiellen Kompetenz, zu der sie hinzutritt, akzessorischer Charakter. Sie deckt den Erlass von Vorschriften, die in einem funktionellen Zusammenhang zur geschriebenen Kompetenzmaterie stehen (vgl. Rozek, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Rn. 48; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 38; Heintzen, in: BK, Grundgesetz, Stand: Dezember 2003, Art. 70 Rn. 120; Uhle, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: November 2012, Art. 70 Rn. 71; jeweils m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hebt in seiner Rechtsprechung insbesondere darauf ab, ob ein „notwendiger Zusammenhang zu der in der Zuständigkeit des Bundes liegenden Materie“ besteht oder die An- nexregelungen „für den wirksamen Vollzug der Bestimmungen erforderlich sind“ (BVerfG, Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834, 1588/02 - BVerfGE 109, 190 <215>; ähnlich Beschluss vom 9. Dezember 1987 - 2 BvL 16/84 - BVerfGE 77, 288 <299>). 24  (2) Die Annexkompetenz des Bundes zum Erlass von Regelungen über die Erteilung von Presseauskünften durch den Bundesnachrichtendienst begründet sich aus dem Umstand, dass die öffentliche Zugänglichkeit der dort vorhande-
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