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Aktives Presserecht – Argumente für Auskünfte


Oft verweigern Behörden Auskünfte auf Anfragen von Journalist*innen. Sie berufen sich dabei in der Regel auf angebliche Ausnahmen nach den jeweils gültigen Landespressegesetzen. Häufig ist Unwissen der Grund für die Auskunftsverweigerung und nicht böser Wille. Als Teil des Projektes „Fragen und Antworten - Auskunftsrechte kennen und nutzen“, einer Kooperation mit Netzwerk Recherche, stärkt die Entscheidungsdatenbank das Wissen rundum Auskunftsrechte und hilft besser argumentieren zu können. Journalist*innen können für ihre Recherchen wichtige Urteile, Bescheide und Beschlüsse kostenlos im Volltext eingesehen und durchsuchen.

Information

Aktenzeichen
BUND BVfG 1 BvR 586/62 1966 Art 5
Datum
5. August 1966
Gericht
Bundesverfassungsgericht
Gesetz
Art. 5 Grundgesetz
Art. 5 Grundgesetz

Urteil: Bundesverfassungsgericht am 5. August 1966

BUND BVfG 1 BvR 586/62 1966 Art 5

Der Funktion der freien Presse im demokratischen Staat entspricht ihre Rechtsstellung nach der Verfassung. Das Grundgesetz gewährleistet in Art. 5 die Pressefreiheit. Wird damit zunächst - entsprechend der systematischen Stellung der Bestimmung und ihrem traditionellen Verständnis - ein subjektives Grundrecht für die im Pressewesen tätigen Personen und Unternehmen gewährt, das seinen Trägern Freiheit gegenüber staatlichem Zwang verbürgt und ihnen in gewissen Zusammenhängen eine bevorzugte Rechtsstellung sichert, so hat die Bestimmung zugleich auch eine objektiv-rechtliche Seite. Sie garantiert das Institut "Freie Presse". Der Staat ist - unabhängig von subjektiven Berechtigungen Einzelner - verpflichtet, in seiner Rechtsordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen. Freie Gründung von Presseorganen, freier Zugang zu den Presseberufen, Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden sind prinzipielle Folgerungen daraus; doch ließe sich etwa auch an eine Pflicht des Staates denken, Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen könnten.

Artikel 5 Grundgesetz Spiegel Urteil Auskunftspflichten und Auskunftsanspruch als Folge aus der Grundgesetzlichen Pressefreiheit Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden

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6/6/2014                                                          DFR - BVerfGE 20, 162 - Spiegel BVerfGE 20, 162 - Spiegel Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von Durchsuchungen in Presseräumen. Teilurteil des Ersten Senats vom 5. August 1966 auf die mündliche Verhandlung vom 25., 26. und 27. Januar 1966 -- 1 BvR 586/62, 610/63 und 512/64 -- in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Spiegel-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co KG, gesetzlich vertreten durch die Rudolf Augstein GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin, diese vertreten durch den Geschäftsführer A. - ... gegen 1. a) den Antrag der Bundesanwaltschaft auf Erlaß des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses gegen den Herausgeber Rudolf Augstein vom 23. Oktober 1962; b) die Anträge der Bundesanwaltschaft auf Erlaß von Haftbefehlen gegen den Herausgeber Rudolf Augstein vom 23. Oktober 1962, den Verlagsdirektor Hans Detlev Becker vom 2. November 1962, den Chefredakteur Claus Jacobi vom 27. Oktober 1962, den Stellvertretenden Chefredakteur Conrad Ahlers vom 23. Oktober 1962, den Redakteur Hans Schmelz vom 27. Oktober 1962; 2. die vorläufige Festnahme des Chefredakteurs Claus Jacobi, des Chefredakteurs Johannes K. Engel, des Stellvertretenden Chefredakteurs Hans Diter Jaene; 3. die Haftbefehle der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshoft gegen den Herausgeber Rudolf Augstein vom 23. Oktober 1962, den Verlagsdirektor Hans Detlev Becker vom 2. November 1962, den Chefredakteur Claus Jacobi vom 27. Oktober 1962, den Stellvertretenden Chefredakteur Conrad Ahlers vom 23. Oktober 1962, den Redakteur Hans Schmelz vom 27. Oktober 1962; 4. a) den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshoft gegen Rudolf Augstein vom 23. Oktober 1962 - 6 BJs 469/62 -; b) die Beschlagnahmebestätigungsbeschlüsse der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gegen Rudolf Augstein, Hans Dieter Jaene und Hans Schmelz vom 23. November 1962 und gegen Rudolf Augstein u. a. vom 25. November 1962 - 6 BJs 469/62 -; c) die Beschlüsse des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. November 1962 und vom 7. Dezember 1962 - 6 BJs 469/62 -; vom 31. Oktober 1963 - 3 StB 12/63 - und vom 4. August 1964 - 3 StB 12/63 -; 5. a) die Weitergabe der freigegebenen Schriftstücke Nr. 8, 251 252, 649, 236, 635, 749 = 193 der Hamburger Beschlagnahmeliste an andere Behörden durch die Bundesanwaltschaft und b) die Weigerung der Ermittlungsorgane, die nach den Beschlüssen des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 4. August 1964 - 3 StB 12/63 -, 14. Oktober 1964 - 6 BJs 469/62 - und 6. August 1965 - 6 StE 4/64 - noch beschlagnahmten Unterlagen des Spiegel-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co herauszugeben sowie die von den beschlagnahmten Unterlagen angefertigten Abschriften, Fotokopien etc. zu vernichten. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Gründe: A. http://sorminiserv.unibe.ch:8080/tools/ainfo.exe?Command=ShowPrintText&Name=bv020162                  1/37
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6/6/2014                                                          DFR - BVerfGE 20, 162 - Spiegel 1. Die Beschwerdeführerin betreibt in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft einen Verlag, in dem sie als einziges Presseerzeugnis das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" herausgibt, das wöchentlich in Hamburg erscheint und Anfang Oktober 1962 eine Auflage von rund 500 000 Stück hatte. Herausgeber des Nachrichtenmagazins ist Rudolf Augstein, der zugleich der Geschäftsführer der einzigen Komplementärin der Beschwerdeführerin ist. Der Geschäftsbetrieb der Beschwerdeführerin befindet sich in Hamburg; in Bonn unterhält sie eine Nebenredaktion. Am 10. Oktober 1962 erschien in Nr. 41 dieses Nachrichtenmagazins ein Artikel "Bedingt abwehrbereit", der die militärische Situation der Bundesrepublik und der NATO sowie militärische und strategische Probleme und Zukunftspläne erörterte. Von dem Ergebnis der NATO-Übung "Fallex 62" ausgehend, legte er dar, daß die Bundeswehr nach dem damaligen Stand nur "bedingt abwehrbereit" sei. Der Artikel polemisierte gegen eine Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen und setzte sich entgegen der Ansicht des damaligen Bundesverteidigungsministers Strauß für eine stärkere Ausrüstung mit herkömmlichen Waffen ein. Er führte dabei Einzelheiten nicht nur zum Ablauf der Fallex- Übung und zum gegenwärtigen Rüstungsstand, sondern auch zur militärischen Planung der NATO- und der Bundeswehrführung an. In diesem Zusammenhang wurden in dem Artikel auch Bilder von neuen Waffen veröffentlicht. Der Verfasser dieses Artikels ist wie üblich nicht genannt. Im Impressum ist als verantwortlicher Redakteur für den Bereich der Bundeswehr Conrad Ahlers angegeben, der zugleich stellvertretender Chefredakteur ist. Bereits am selben oder am folgenden Tage leitete der Generalbundesanwalt gegen den Herausgeber und einige Redakteure des Nachrichtenmagazins ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats ein. Er erbat ein Gutachten vom Bundesverteidigungsministerium, das der in diesem Ministerium tätige damalige Oberregierungsrat Dr. W. erstattete. Nach dem Eingang des Gutachtens und nach eingehenden Vorbesprechungen mit dem Gutachter und dem damaligen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium H. erwirkte der Generalbundesanwalt am 23. Oktober 1962 richterliche Durchsuchungsbefehle und Haftbefehle gegen Augstein und Ahlers. Der Durchsuchungsbefehl gegen Augstein hat folgenden Wortlaut: "In dem Ermittlungsverfahren gegen den Verlagsleiter Rudolf Augstein, Hamburg 1, Speersort 1, wegen Verdachts des Landesverrats wird auf Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof die Durchsuchung der Person, der Wohnung und der sonstigen Räume des Beschuldigten sowie sämtlicher Geschäftsräume in Hamburg und Bonn und seines Archivs und die Beschlagnahme der bei dieser Durchsuchung vorgefundenen Beweismittel und Gegenstände, die der Einziehung unterliegen, angeordnet. Die Durchsuchung ist auch zur Nachtzeit zulässig - §§ 94, 98, 102, 104, 105, 168a StPO -. Der Beschuldigte ist eines Verbrechens nach § 100 Abs. 1 StGB dringend verdächtig. Er ist ferner verdächtig, sich nach § 333 StGB strafbar gemacht zu haben, da die von ihm verratenen Staatsgeheimnisse von Beamten oder Mitgliedern der bewaffneten Macht stammen dürften, die von ihm oder seinen Beauftragten durch Geldgeschenk e oder die Gewährung anderer Vorteile zur Verletzung ihrer Amts- und Dienstpflichten bestimmt worden sind. Die angeordnete Durchsuchung ist erforderlich, da zu vermuten ist, daß sie zur Auffindung von Beweismitteln führen wird, die für die Untersuchung von Bedeutung sind oder der Einziehung unterliegen." Nach dem Haftbefehl ist der Herausgeber des Nachrichtenmagazins dringend verdächtig, am 8. Oktober 1962 in Hamburg und an anderen Orten der Bundesrepublik Staatsgeheimnisse verraten zu haben - Verbrechen nach § 100 Abs. 1 StGB. Der Haftbefehl ist wie folgt begründet: "Der Beschuldigte ist Herausgeber des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Mit seinem Wissen und Wollen sind in der am 8. Ok tober 1962 ausgelieferten Nr. 41/16. Jahrgang in der Titelgeschichte "Bundeswehr" (Seite 32 ff.) Tatsachen aus dem Bereich der Bundeswehr und der Nato öffentlich bek annt gemacht worden, deren Geheimhaltung vor einer fremden Regierung für das Wohl der http://sorminiserv.unibe.ch:8080/tools/ainfo.exe?Command=ShowPrintText&Name=bv020162                               2/37
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6/6/2014                                                          DFR - BVerfGE 20, 162 - Spiegel Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium Dr. W., die Bundesanwälte Dr. Wa. und Dr. K., der Oberlandesgerichtsrat Dr. B., der Regierungskriminalrat in der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts Sch. und der Oberstaatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft B. Im Einverständnis mit allen Beteiligten wurde die mündliche Verhandlung auf die Hauptanträge der Beschwerdeführerin beschränkt. B. 1. Als Kommanditgesellschaft kann die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erheben (BVerfGE 4, 7 [12, 17]; 10, 89 [99]) und die Verletzung des Grundrechts der Pressefreiheit rügen. 2. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie die Feststellung begehrt, daß die Anträge des Generalbundesanwalts auf Erlaß des Durchsuchungsbefehls und der Haftbefehle Grundrechte der Beschwerdeführerin verletzt hätten. Anträge der Staatsanwaltschaft sind interne Vorgänge des Ermittlungsverfahrens, die erst dann zu einer Grundrechtsverletzung führen können, wenn ihnen der Richter stattgibt. Lehnt der Richter die Anträge ab, so ist der Betroffene nicht beschwert. Aber auch wenn der Richter solchen Anträgen stattgibt, wird die behauptete Grundrechtsverletzung nicht schon durch die Anträge der Staatsanwaltschaft, sondern erst durch die Beschlüsse des Ermittlungsrichters bewirkt, der den gesamten dem Antrag zugrunde liegenden Vorgang in eigener Verantwortung zu prüfen hat. Ferner sind unzulässig die Anträge der Beschwerdeführerin, die sich gegen die vorläufige Festnahme und Verhaftung von Verlags- und Redaktionsangehörigen richten. Durch diese Akte sind in erster Linie die Festgenommenen und Verhafteten persönlich betroffen; sie hätten gegebenenfalls im eigenen Namen Verfassungsbeschwerde erheben können. Die Beschwerdeführerin kann nicht die Verletzung von Rechten ihrer Angestellten geltend machen, auch nicht soweit diese Gesellschafter und Organe der Beschwerdeführerin sind. Denkbar wäre es, daß durch die Festnahme oder Verhaftung des gesamten Führungsstabes die Beschwerdeführerin an der Herausgabe ihrer Zeitschrift gehindert und insofern in eigenen Grundrechten getroffen würde. Die vorläufigen Festnahmen müssen dabei außer Betracht bleiben, da sie nur wenige Stunden dauerten und die Betroffenen nur unwesentlich in ihrer Arbeit für die Beschwerdeführerin behinderten. Die Verhaftung des Herausgebers, des Verlagsdirektors und dreier Redakteure war in Anbetracht des umfangreichen Arbeitsstabes der Beschwerdeführerin nicht so einschneidend, daß ihr die Weiterarbeit unmöglich gemacht oder diese in unzumutbarer Weise beeinträchtigt worden wäre. Dies ist auch nicht substantiiert dargelegt worden. Deshalb kann dahinstehen, ob der Beschwerdeführerin nach einfachem Recht ein selbständiges Rechtsmittel gegeben war, das vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde hätte erschöpft werden müssen und ob die Verfassungsbeschwerde insoweit fristgemäß erhoben ist. 3. Dagegen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, soweit sie sich gegen den Erlaß des Durchsuchungsbefehls, die Beschlagnahmebeschlüsse des Ermittlungsrichters und die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs richtet. Obwohl die Durchsuchung abgeschlossen ist, besteht noch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin an der verfassungsrechtlichen                      Überprüfung           des         Durchsuchungsbefehls und der Beschlagnahmebeschlüsse (BVerfGE 9, 89 [93 f.]). Außerdem besteht noch eine aktuelle Beschwer, weil ein Teil des beschlagnahmten Materials noch nicht an die Beschwerdeführerin zurückgegeben ist. Das Rechtsschutzinteresse ist auch nicht dadurch fortgefallen, daß die Beschwerdeführerin inzwischen, kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist, eine Amtshaftungsklage wegen des ihr http://sorminiserv.unibe.ch:8080/tools/ainfo.exe?Command=ShowPrintText&Name=bv020162                               6/37
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