Informationsfreiheit gebündelt, verschlagwortet und digitalisiert.

Die Entscheidungsdatenbank setzt Rechtssprechung in den Fokus und ermöglicht fundierte Recherchen zu aktuellen und vergangenen Urteilen und Entscheidungen rundum Informationsfreiheit.

Aktives Presserecht – Argumente für Auskünfte


Oft verweigern Behörden Auskünfte auf Anfragen von Journalist*innen. Sie berufen sich dabei in der Regel auf angebliche Ausnahmen nach den jeweils gültigen Landespressegesetzen. Häufig ist Unwissen der Grund für die Auskunftsverweigerung und nicht böser Wille. Als Teil des Projektes „Fragen und Antworten - Auskunftsrechte kennen und nutzen“, einer Kooperation mit Netzwerk Recherche, stärkt die Entscheidungsdatenbank das Wissen rundum Auskunftsrechte und hilft besser argumentieren zu können. Journalist*innen können für ihre Recherchen wichtige Urteile, Bescheide und Beschlüsse kostenlos im Volltext eingesehen und durchsuchen.

Information

Aktenzeichen
HES OVG 8 A 1303/11 2012 LPG
Datum
23. Februar 2012
Gericht
Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Gesetz
Hessisches Gesetz über Freiheit und Recht der Presse - Hessisches Pressegesetz (HPresseG)
Hessisches Gesetz über Freiheit und Recht der Presse - Hessisches Pressegesetz (HPresseG)

Urteil: Hessischer Verwaltungsgerichtshof am 23. Februar 2012

HES OVG 8 A 1303/11 2012 LPG

Für die Gewichtung des öffentlichen Informationsinteresses können ein Aktualitätsverlust durch Zeitablauf und der "beabsichtigte Verwertungszweck" berücksichtigt werden. Für die Schutzwürdigkeit des Persönlichkeitsrechts spielen die betroffene Sphäre (Öffentlichkeits-, Privat- oder Intimsphäre), die Funktion und Stellung des Amtswalters in der Behörde und die Schwere und die Folgen einer zu erwartenden Persönlichkeitsbeeinträchtigung eine Rolle.

Schutz der Persönlichkeitsrechte

/ 17
PDF herunterladen
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Dokumentation: 8 A 1303/11 Urteil Rev. n. zugel. vom 23.02.2012 Sachgebiet: 024002 (Presserechts) Vorinstanz: VG Wiesbaden AZ: 5 K 700/09.WI                    erledigt am: 09.05.2011 Titel: Abi-Panne Leitsatz: 1. Die namentliche Identifizierung eines Amtswalters im Zusammenhang mit einem konkreten, in der Öffentlichkeit diskutierten behördlichen Vorgang betrifft seine "persönlichen Angelegenheiten" im Sinne des Auskunftsverweigerungsrechts des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HPresseG. 2. In einem solchen Fall hat die von der Presse zur Namensnennung aufgeforderte Behörde eine umfassende, gerichtlich uneingeschränkt überprüfbare Abwägung vorzunehmen zwischen dem durch die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Recht auf Informationsbeschaffung und dem öffentlichen Informationsinteresses einerseits und dem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Amtswalters mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung andererseits. 3. Für die Gewichtung des öffentlichen Informationsinteresses können ein Aktualitätsverlust durch Zeitablauf und der "beabsichtigte Verwertungszweck" berücksichtigt werden. 4. Für die Schutzwürdigkeit des Persönlichkeitsrechts spielen die betroffene Sphäre (Öffentlichkeits-, Privat- oder Intimsphäre), die Funktion und Stellung des Amtswalters in der Behörde und die Schwere und die Folgen einer zu erwartenden Persönlichkeitsbeeinträchtigung eine Rolle. Suchwörter: Abwägung, Amtswalter, Auskunftsverweigerungsrecht, öffentliches Informationsinteresse, Persönlichkeitsschutz, presserechtlicher Auskunftsanspruch Normen: GG Art 1 Abs 1 i.V.m. Art 2 Abs. 1, GG Art 5 Abs 1 S 2, HPresseG § 3 Abs 1 S 2 Nr 2
1

2 8. Senat                                                    Verkündet am 8 A 1303/11                                                 23. Februar 2012 VG Wiesbaden 5 K 700/09.WI                                  Uzungüney, Angestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL In dem Verwaltungsstreitverfahren 1. des Herrn A. , A-Straße, A-Stadt, 2. der Firma C., A-Straße, A-Stadt, Kläger und Berufungsbeklagte, bevollmächtigt zu 1. und 2.: Rechtsanwalt B., B-Straße, A-Stadt, gegen das Land Hessen, vertreten durch das Hessische Kultusministerium, Luisenplatz 10, 65185 Wiesbaden, Beklagten und Berufungskläger, bevollmächtigt: Rechtsanwälte Prof. Dr. E., E-Straße, E-Stadt, wegen       Presserechts/Auskunftsanspruch hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch Richter am Hess. VGH Jeuthe als Vorsitzender Richterin am Hess. VGH Bohn Richter am Hess. VGH Wanner ehrenamtliche Richterin Busch ehrenamtlicher Richter Reitz
2

3 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2012 für Recht erkannt: Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 19. Mai 2011 – 5 K 700/09.WI – abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Kläger haben die in beiden Instanzen entstandenen Kosten als Gesamtschuldner zu tragen. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand Die Kläger begehren von dem Hessischen Kultusministerium eine presserechtliche Auskunft. Der Kläger zu 1. ist Journalist und Leiter der Redaktion Frankfurt der BILD- Zeitung und die Klägerin zu 2. ist deren Verlegerin. Im März 2009 fanden die zentralen schriftlichen Abiturprüfungen in Hessen statt, wobei am Freitag, dem 27. März 2009, die Abiturklausur im Fach Mathematik mit vom Hessischen Kultusministerium landesweit vorgegebenen Aufgabenstellungen für Schülerinnen und Schüler der Grund- und Leistungskurse geschrieben wurde. Nachdem dem Ministerium am Prüfungstag morgens Fehler bekanntgeworden waren, Korrekturen die Schulen aber zu spät erreicht hatten und die Kultusministerin gegenüber Medien erklärt hatte, die Fehler sollten für die Schüler keine Nachteile haben, berichtete u. a. die BILD-Zeitung schon am Samstag über die „Super-Panne beim Mathe-Abitur“. Am Montag, dem 30. März 2009, gab die Ministerin vor dem Hessischen Landtag zu den Vorfällen Erläuterungen ab und teilte mit, dass die Mathematikklausur an dem bereits festgelegten Nachschreibetermin für kranke Schüler am 30. April 2009 wiederholt werden dürfe und die bessere Note gewertet würde. Darüber berichtete die BILD-Zeitung am 31. März 2009 u.a. wie folgt:
3

4 „Die Antwort auf die wichtigste Frage blieb sie schuldig! „Wie konnte es zur Abi- Pannen-Blamage kommen?“ Stattdessen Entschuldigungen und Eierei von Hessens Kultusministerin Dorothea Henzler (60, FDP). Und die Entscheidung: Mathe darf nachgeschrieben werden. … Minutiös erklärt sie, wer seit November die Mathematik-Klausuren gesehen, geprüft, für gut befunden hat. Kommissionen, Ausschüsse. Unzählige Fachleute! Noch 4 Tage vorher guckten Lehrkräfte über die ohnehin schweren Aufgaben. Gemerkt haben sie nix! … Konsequenzen? Organisatorisches - Köpfe sollen nicht rollen. „Ich kann keinen festmachen, jemanden herauszudeuten fällt mir schwer“, erklärt Henzler.“ Über die „Abi-Blamage“ berichtete die BILD-Zeitung in verschiedenen Artikeln, unter anderem am 3. April 2009 unter der Überschrift "Abi -Aufgaben sechsmal geprüft – trotzdem gab`s Fehler/ Wie doof sind ihre Lehrer, Frau Henzler?" und am 28. April 2009 unter der Überschrift "Ministerin Henzler hat immer noch keinen Schuldigen“. Dieser Artikel enthält folgenden fett gedruckten letzten Absatz: „Seit 4 Wochen keine korrigierten Klausuren. Kein Schuldiger. BILD verspricht: Wir haken in zwei Wochen nach. Dann sind 6 Wochen ins Land gezogen … " Nach einer offenbar telefonisch erfolgten Anfrage teilte der damalige Medienreferent des Hessischen Kultusministeriums dem Kläger zu 1. mit Schreiben vom 5. Mai 2009 mit, dass die Abituraufgaben im Fach Mathematik im Auftrag des Ministeriums von verschiedenen Kommissionen erarbeitet und geprüft worden seien. Bei der nunmehr erfolgten internen Überprüfung des Verfahrensablaufs hätten die Fehler in den Abituraufgaben weder Mitgliedern dieser Kommissionen noch Mitarbeitern des Hessischen Kultusministeriums und des Instituts für Qualitätsentwicklung zugeordnet werden können. An der öffentlichen Bekanntgabe von Informationen über einzelne Mitglieder der Kommissionen bzw. Personen, die mit dem Vorgang betraut gewesen seien, bestehe kein berechtigtes Interesse bzw. sei dies aus datenschutzrechtlichen Gründen und aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht statthaft. Daraufhin bat der Kläger zu 1. den Medienreferenten des Kultusministeriums mit Schreiben vom 7. Mai 2009 „unter Hinweis auf § 3 Landespressegesetz“ als Mitglied der Presse sowie namens und im Auftrag der Klägerin zu 2. als Verlegerin der BILD-Zeitung um „Auskunft darüber, wer der Letztunterzeichner bei der Freigabe der fehlerhaften
4

5 Mathe-Prüfung war“. Er vertrat in dem Schreiben u. a. die Auffassung, die erbetenen Auskünfte bzgl. der fehlerhaften Durchführung des zentralen Mathematik-Abiturs beträfen nicht die Privatsphäre Dritter oder deren persönliche Angelegenheiten, sondern befassten sich mit einem öffentlich-rechtlichen Vorgang. Es gehe ausschließlich um die Recherche von Informationen; ob die erteilten Auskünfte überhaupt publiziert würden, unterliege einer weiteren presserechtlichen Überprüfung. Er bitte um Auskunftserteilung bis zum 14. Mai, andernfalls um einen „rechtsmäßigen Bescheid“. Dazu nahm das Ministerium unter dem 14. Mai 2009 dahin Stellung, dass etwaige sachbezogene Anfragen beantwortet würden, sich die Anfrage des Klägers jedoch auf die Bekanntgabe persönlicher Daten einzelner Personen beziehe, die mit der Aufgabenstellung und ihrer Prüfung betraut gewesen seien. Abgesehen davon, dass die aufgetretenen Fehler nicht einzelnen Personen hätten zugeordnet werden können, sei ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Bekanntgabe der Identität der einzelnen Personen nicht erkennbar. Dann bestünde die Gefahr, dass über diese identifizierend berichtet würde, wodurch Personen, die keine politischen oder sonstigen Führungsämter innehätten, möglicherweise gegen ihren Willen in die Öffentlichkeit gezerrt würden. Für einen solchen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Mitarbeiter bestehe auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Informationsauftrags der Medien kein berechtigtes Interesse. In der vom Ministerium vorzunehmenden Abwägung überwiege der Persönlichkeitsschutz der betroffenen Mitarbeiter das diesbezügliche öffentliche Informationsinteresse, zumal über den Vorgang als solchen aufgrund der sachlichen Auskunftsbereitschaft des Hessischen Kultusministeriums detailliert berichtet werden könne. Das Ministerium berufe sich nicht auf ein generelles Geheimhaltungsinteresse, sondern gebe aus rechtlichen Gründen ausschließlich nicht die erbetene Auskunft über die Identität von beteiligten Personen. Am 8. Juni 2009 haben die Kläger bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden die vorliegende Klage erhoben, die sie unter Berufung auf § 3 Abs. 1 S. 1 des Hessischen Pressegesetzes (HPresseG) mit der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbürgten Pressefreiheit und ihrem dadurch geschützten Recht auf Verschaffung von Informationen begründet haben. Nachdem die Kläger einen in dem gerichtlichen Erörterungstermin am 4. Oktober 2010 geschlossenen Vergleich aufgrund des vereinbarten Vorbehalts widerrufen und in der
5

6 späteren mündlichen Verhandlung die Abgabe einer verbindlichen Vertraulichkeitszusage abgelehnt hatten, hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden den Beklagten mit Urteil vom 9. Mai 2011 – 5 K 700/09.WI – verpflichtet, den Klägern den Namen derjenigen Person mitzuteilen, die letztverantwortlich für die Freigabe der fehlerhaften Mathematikaufgabe in der Abiturprüfung des Landesabiturs Ende März 2009 war. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass es sich bei der Bekanntgabe des Namens eines Amtswalters um keine „persönliche Angelegenheit“ gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HPresseG handele, wenn es um die Aufgabenwahrnehmung im öffentlichen, beruflichen Bereich gehe; das zeige sich auch in der Regelung des § 5 Abs. 4 des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG), wonach der Name vom Informationszugang nicht ausgeschlossen ist, soweit er Ausdruck und Folge einer amtlichen Tätigkeit ist. Dabei differenziere das Gesetz nicht nach der Stellung des Amtswalters in der Hierarchie der Behörde. Selbst bei einer Interessenabwägung wäre dem presserechtlichen Auskunftsanspruch Vorrang einzuräumen, weil das Persönlichkeitsrecht den Einzelnen grundsätzlich nicht davor schütze, dass sein Name überhaupt bekanntgegeben werde. Es seien keine Vorschriften ersichtlich, die es geböten, personenbezogene Auskünfte stets zu verweigern. Auch datenschutzrechtliche Regelungen und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stünden der Namensbekanntgabe eines Amtsträgers nicht grundsätzlich entgegen. Die Öffentlichkeit habe demgegenüber grundsätzlich einen Anspruch auf Nennung der Namen der zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben beschäftigten Mitarbeiter, wie schon die im Internet unter Namensnennung verbreiteten Geschäftsverteilungs- und Organisationspläne der meisten Behörden zeigten. Die Freiheit der Presse zur Recherche müsse von der Freiheit der Veröffentlichung unterschieden werden. Die Pressefreiheit enthalte auch eine Verpflichtung der Presse zum angemessenen Persönlichkeitsschutz bei wahrheitsgemäßer Berichterstattung und sachgerechter Information der Öffentlichkeit. Ihr Auskunftsanspruch könne nicht mit einer bloß vermuteten Persönlichkeitsrechtsverletzung bei der späteren Berichterstattung ausgehebelt werden. Auf dieses Urteil wird wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zur weiteren Darstellung des Vorbringens der Beteiligten in erster Instanz einschließlich ihrer dort gestellten Anträge Bezug genommen.
6

7 Gegen dieses Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 7. Juni 2011, der am 9. Juni 2011 beim Verwaltungsgericht Wiesbaden eingegangen ist, die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt, die er nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 26. August 2011 mit einem am 25. August 2011 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz seiner Bevollmächtigten begründet hat. Der Beklagte ist der Auffassung, ihm stehe in dieser Sache ein Auskunftsverweigerungs- recht nach § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 HessPresseG zu, weil die Kläger Auskünfte über persönliche Angelegenheiten Einzelner verlangten, an deren öffentlicher Bekanntgabe kein rechtlich geschütztes Interesse bestehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei die behördliche Auskunftspflicht gegenüber der Presse durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Einzelpersonen begrenzt, auch soweit sie Amtsträger seien und in amtlicher Funktion gehandelt hätten. Gerate ein öffentliches Informationsinteresse mit Persönlichkeitsrechten Einzelner - wie hier - in Konflikt, sei eine Güterabwägung erforderlich und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen, ob das öffentliche Informationsinteresse ein solches Gewicht habe, dass der Schutz der Persönlichkeitsrechte dahinter zurückstehen müsse. Im Rahmen dieses Abwägungsprozesses sei hier zu berücksichtigen, dass an einer weiteren Aufklärung der Ursachen der damaligen Prüfungspanne derzeit kein erhebliches öffentliches Interesse bestehe, weil der Vorgang mittlerweile lange zurückliege und seine Folgen durch das Nachschreiben der betroffenen Abiturklausuren inzwischen behoben seien, ohne dass den betroffenen Schülerinnen und Schülern hieraus noch relevante Nachteile erwachsen seien. Demgegenüber würde nach Ansicht des Beklagten die von den Klägern angestrebte Bekanntgabe des Namens des mit den fehlerhaften Klausuraufgaben vor ihrer Weiterleitung an die Schulen zuletzt befassten Bediensteten dessen Persönlichkeitsrecht empfindlich verletzen, weil er dann Gefahr liefe, von den Klägern wahrheitswidrig als Letztverantwortlicher für die damalige Panne „an den Pranger“ gestellt zu werden, obgleich er als untergeordneter Bediensteter ohne politische oder persönliche Beziehungen zur Leitungsebene des Kultusministeriums in dem damaligen komplexen Verwaltungsverfahren bei der Erstellung der fehlerhaften Klausuraufgaben keine
7

8 entscheidende Aufgabe wahrgenommen habe. Dass dies so gewesen sei, habe der Beklagte schon in erster Instanz unter Beweisantritt dargelegt. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass schon die öffentliche Nennung des Namens einer nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person in deren durch Art.2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht eingreife. Dieses Recht solle auch gewährleisten, in selbst gewählter Anonymität bleiben zu können und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen. Das Verwaltungsgericht habe auch den Begriff der „persönlichen Angelegenheiten einzelner“ in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 HPresseG zu eng ausgelegt. Wie sich der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung entnehmen lasse, habe man mit der im Rahmen der Ausschussberatungen entwickelten Endfassung dieser Vorschrift auch einen umfassenden Schutz der Persönlichkeitsrechte öffentlich Bediensteter sicherstellen wollen. Wegen weiterer Einzelheiten des Beklagtenvorbringens im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 25. August 2011 und den weiteren Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 19. Oktober 2011 Bezug genommen. Der Beklagte beantragt, auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 19. Mai 2011 – 5 K 700/09.WI – abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass der Beklagte verurteilt wird, Auskunft über die Person des Letztunterzeichners bei der Freigabe der Mathematik-Abituraufgaben für das Zentralabitur 2009 zu erteilen. Sie verteidigen das angefochtene Urteil und insbesondere die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die von ihnen begehrte Nennung des Namens eines letztunterzeichnenden Bediensteten betreffe keine persönliche Angelegenheit Einzelner i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 HPresseG. Am öffentlichen Interesse an der Identifizierung eines für die damalige Panne letztverantwortlichen Bediensteten bestehe kein Zweifel; die Kläger verweisen dazu auf einen in der BILD-Zeitung vom 13. Mai 2011 unter der
8

9 Überschrift „BILD siegt für die Pressefreiheit!/ Abi-Fehler von 2009 – Ministerin Henzler muss Verantwortliche nennen“ erschienenen Artikel, in dem nach einer Meinungsäußerung des Verfassers und kurzer Darstellung der Vorgeschichte über das mit der vorliegenden Berufung angegriffene erstinstanzliche Urteil berichtet worden ist. Mit einem späteren Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten verweisen sie ergänzend u. a. auch auf neuere Berichterstattung in anderen Medien über das vorliegende Verfahren, so dass jedenfalls von einem neu entstandenen Interesse an der streitgegenständlichen Frage ausgegangen werden müsse. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten der Kläger vom 16. September 2011 und 14. Februar 2012 verwiesen. Nachdem eine zunächst am 19. Januar 2012 durchgeführte mündliche Verhandlung wegen der beschlossenen Durchführung einer Beweisaufnahme vertagt worden war und wegen einer Erkrankung des Vorsitzenden am vorgesehenen Termin nicht fortgesetzt werden konnte, hat der Senat in der erneuten mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2012 durch eine Zeugenvernehmung des damals im Hessischen Kultusministeriums zuständigen Abteilungsleiters F. Beweis über die Funktion und Stellung des „Letztunterzeichners“ der Mathematikarbeiten im Zentralabitur 2009 im Kultusministerium erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Terminsprotokoll verwiesen. Dem Senat liegt ein Hefter Behördenakten des Beklagten vor (Bl. 1 – 27), der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist. Entscheidungsgründe : Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Beklagten ist gemäß § 124 Abs. 1 und § 124a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 und 3 VwGO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet, denn das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, den Klägern den Namen der
9

10 letztverantwortlichen Person für die Freigabe der fehlerhaften Mathematikaufgabe in der Abiturprüfung des Landesabiturs Ende März 2009 mitzuteilen. Das Verwaltungsgericht hat zwar zutreffend den Klägern einen im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machenden presserechtlichen Auskunftsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 HPresseG zuerkannt (vgl. dazu etwa auch VG Düsseldorf, Urteil vom 15. Oktober 2008 – 1 K 3286/08 – juris Rdnrn. 19 ff.). Es hat aber dem Beklagten ein Auskunftsverweigerungsrecht zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des/der letztunterzeichnenden Bediensteten im Hessischen Kultusministerium zu Unrecht mit der vom Senat nicht geteilten Auffassung verweigert, dass die Namensbekanntgabe eines Amtswalters im Zusammenhang mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe keine „persönliche Angelegenheit“ im Sinne des Auskunftsverweigerungsrechts gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HPresseG sei und die in § 3 Abs. 1 Satz 2 HPresseG enumerativ aufgezählten Fälle für ein Auskunftsverweigerungsrecht abschließend seien. Selbst bei einer – nach Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht möglichen – Interessenabwägung gebühre dem presserechtlichen Auskunftsanspruch Vorrang, weil das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, und datenschutzrechtliche sowie sonstige Regelungen der Bekanntgabe des Namens eines Amtsträgers an die Presse nicht grundsätzlich entgegenstünden und diese bei der Entscheidung über dessen Veröffentlichung zu einem angemessenen Persönlichkeitsschutz verpflichtet sei. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Es ist schon auf einfachgesetzlicher Ebene fraglich, ob mögliche Auskunfts- verweigerungsgründe in § 3 Abs. 1 Satz 2 HPresseG abschließend aufgeführt sind oder ob nicht ergänzend etwa auch andere behördliche Geheimhaltungspflichten gemäß § 30 HVwVfG zu beachten sind. Jedenfalls aber steht auch Amtswaltern im Zusammenhang mit dienstlichen Tätigkeiten das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu, das durch die von den Klägern verlangte Namensnennung auch betroffen wäre. Anders als bei der vom Verwaltungsgericht erwähnten namentlichen Benennung von Behördenbediensteten im Zusammenhang mit den von ihnen abstrakt wahrgenommenen Funktionen oder Zuständigkeiten in veröffentlichten Geschäftsverteilungsplänen oder Organigrammen soll
10

Zur nächsten Seite

Das Projekt „Fragen und Antworten - Auskunftsrechte kennen und nutzen“ wird gefördert von: