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Aktives Presserecht – Argumente für Auskünfte


Oft verweigern Behörden Auskünfte auf Anfragen von Journalist*innen. Sie berufen sich dabei in der Regel auf angebliche Ausnahmen nach den jeweils gültigen Landespressegesetzen. Häufig ist Unwissen der Grund für die Auskunftsverweigerung und nicht böser Wille. Als Teil des Projektes „Fragen und Antworten - Auskunftsrechte kennen und nutzen“, einer Kooperation mit Netzwerk Recherche, stärkt die Entscheidungsdatenbank das Wissen rundum Auskunftsrechte und hilft besser argumentieren zu können. Journalist*innen können für ihre Recherchen wichtige Urteile, Bescheide und Beschlüsse kostenlos im Volltext eingesehen und durchsuchen.

Information

Aktenzeichen
BW VGH 1 S 509/13 2013 LPG
Datum
11. September 2013
Gericht
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Gesetz
Art. 5 Grundgesetz
Art. 5 Grundgesetz

Urteil: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 11. September 2013

BW VGH 1 S 509/13 2013 LPG

Die Verweigerung einer Presseauskunft nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG setzt voraus, dass die Verletzung schutzwürdiger privater Interessen zu befürchten ist. Ob die betroffenen privaten Interessen schutzwürdig sind, ist im Wege einer umfassenden Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den entgegenstehenden privaten Interessen zu ermitteln. Entscheidend ist dabei, wie hoch das öffentliche Informationsinteresse an der begehrten Auskunft zu bewerten und wie stark der Eingriff in private Rechte durch die Offenlegung der begehrten Informationen im Einzelfall zu gewichten ist. Überdies stehen zumindest die verantwortlichen Personen, die u. a. auch als Redner bei den „Wügida“-Demonstrationen auftreten, bereits im Licht der Öffentlichkeit, so dass die Bekanntgabe ihrer Namen darüber hinaus nicht zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung führt. Dem gegenüber besteht aktuell ein überragendes öffentliches Interesse an der Berichterstattung über die sogenannten „Pegida“-Demonstrationen. Dieses relativ neue Phänomen beherrschte in den vergangenen Wochen und Monaten die bundesweite und regionale Berichterstattung in allen Medien sowie die öffentliche Diskussion. Zur journalistischen Auseinandersetzung und fundierten Darstellung der Hintergründe und Motive der Bewegung zählt es auch, sich mit den verantwortlichen Persönlichkeiten, die hinter „Pegida“ bzw. „Wügida“ stehen, auseinanderzusetzen. Gemäß Art. 3 Abs. 2 BayPrG hat die Presse und damit der Antragsteller die Pflicht zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung. Die Auskunftserteilung ermöglicht insoweit erst eine sachgerechte Berichterstattung auf objektiver Grundlage.

Schutz personenbezogener Daten

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Dieser stehe als Organ der Rechtspflege ebenso im öffentlichen Leben wie ein Richter, insbesondere wenn er vom Gericht ausgewählt werde, um eine notwendige Verteidigung zu übernehmen. In diesem Rahmen handele er nicht als Privatperson, so dass auch kein privates Interesse verletzt sein könne. Ein öffentliches Interesse an der Geheimhaltung seiner Person bestehe ersichtlich ebenfalls nicht. Umgekehrt bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den Namen eines Anwalts bekanntzumachen, der es angemessen finde, dass ein jugendlicher Ersttäter wegen Delikten, die, würde sie ein Erwachsener begehen, im Höchstfalle mit fünf beziehungsweise zwei beziehungsweise einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe verurteilt werde. Das gleiche gelte für die Nennung beziehungsweise Bekanntmachung der Namen der anderen am Urteil Mitwirkenden. 5       Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Verwaltungsrechtsweg sei nicht gegeben, da nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens für eine Entscheidung über die Übersendung des Strafurteils gemäß § 478 Abs. 1 Satz 1 StPO die Staatsanwaltschaft ... sachlich zuständig sei. Im Übrigen bestehe der geltend gemachte Anspruch auch sachlich nicht. 6       Mit Beschluss vom 21.03.2011 erklärte das Verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht ... Auf die Beschwerde des Klägers hat der Senat den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufgehoben und den Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt (Senatsbeschluss vom 16.06.2011 - 1 S 1137/11 -). 7       Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 18.04.2012 die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klage sei als Verpflichtungsklage statthaft und ohne Durchführung eines Vorverfahrens nach § 75 Satz 1 VwGO zulässig. Das Begehren des Klägers sei an § 4 LPresseG zu messen. Dem stehe nicht entgegen, dass Auskünfte der gewünschten Art auch nach § 475 Abs. 1 StPO erteilt werden könnten. Der Kläger stütze sein Begehren ausdrücklich auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch. Es gebe kein Vorrangverhältnis zwischen beiden Vorschriften. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Auskunft, da durch diese ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG). Die Abwägung zwischen dem Interesse des Klägers als einem Repräsentanten der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich hervorgehobenen Presse und dem ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten des strafgerichtlichen Verfahrens habe in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zur Ablehnung der erbetenen Auskünfte führen können. Zwar sei nicht zu verkennen, dass dem Persönlichkeitsschutz der betroffenen Personen - Schöffen, Pflichtverteidiger, Vertreter der Staatsanwaltschaft, Urkundsbeamter - im vorliegenden Zusammenhang kein gravierendes Gewicht zukomme, da es sich - mit Ausnahme der Schöffen - durchweg um Personen handele, die in Ausübung beruflicher Funktionen in der Öffentlichkeit tätig gewesen seien. Jedoch sei auch öffentliches Verhalten von Personen schutzwürdig. Dem Kläger gehe es ersichtlich um die Veröffentlichung der Namen der Schöffen und des Verteidigers, um deren Verantwortung für das in seinen Augen ungerechtfertigte Strafurteil herauszustellen. In der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zu seinen diesbezüglichen Absichten befragt, habe er zwar keine Angaben machen wollen, weil er die Frage im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG für unzulässig halte. Dieser Standpunkt sei zwar insoweit berechtigt, als die auskunftspflichtige Behörde ihre Entscheidung grundsätzlich nicht davon abhängig machen dürfe, welche presserelevante Verwendung der Berechtigte beabsichtige, insbesondere dürfe nicht nach dem wissenschaftlichen Niveau des Auskunft begehrenden Presseorgans unterschieden werden. Jedoch übersehe der Kläger dabei, dass die Verwendungsabsicht eine Rolle bei der Abwägung zwischen den der Öffentlichkeit dienenden Interessen der Presse und dem Persönlichkeitsschutz der Betroffenen zu spielen http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2014&nr=17311&Blank=1                   3/21
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Die Veröffentlichung würde daher nicht der wissenschaftlichen Diskussion dienen und auch nicht wegen ihres gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Gehalts erfolgen, sondern würde eher der Darstellung einer - in seinen Augen - persönlichen Fehlleistung der maßgeblichen Verfahrensbeteiligten, insbesondere wohl des Pflichtverteidigers dienen. Das Gericht verkenne nicht, dass auch an einer solchen Darstellung unter Umständen ein erhebliches Interesse bestehen könne und dass an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik als Beitrag zur Meinungsbildung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürften. Das Gericht vermöge solche Umstände aber im vorliegenden Fall nicht zu erkennen, insbesondere dürfte es sich um kein die Öffentlichkeit wesentlich berührendes Thema handeln. Das strafgerichtliche Verfahren habe für sich genommen keine besondere Bedeutung gehabt, die es über ein örtliches Interesse hinaus für die Öffentlichkeit interessant gemacht hätte; jedenfalls sei es in keiner der einschlägigen Fachmedien veröffentlicht worden. Die Verurteilung habe bereits zum Zeitpunkt des Ersuchens zehn Monate zurück gelegen und sei nunmehr schon bald drei Jahre her. Auch sei nicht bekannt, dass die Beteiligten oder einer von ihnen bereits in früheren Verfahren durch vergleichbares „Fehlverhalten" aufgefallen wäre, ungeachtet der Frage, ob sich die Umstände der Verurteilung aus den abgekürzten Gründen des Urteils überhaupt hinreichend sicher erschließen ließen, um ein solches Verdikt zu rechtfertigen. Der Kläger könne auch nicht mit dem Einwand gehört werden, dass die Namen der Betroffenen auch für jeden, der an der Hauptverhandlung teilgenommen habe, bekannt geworden seien, da diese grundsätzlich öffentlich sei. Ungeachtet der Tatsache, dass Letzteres gerade vorliegend möglicherweise nicht der Fall gewesen sei (vgl. §§ 48 Abs. 1, 109 Abs. 1 S. 4 JGG), verkenne er dabei auch die grundsätzlichen Unterschiede zwischen der Verwendung von personenbezogenen Daten durch Vertreter der Presse - und damit durch Private - und durch Behörden, die insoweit den besonderen Bindungen des Datenschutzes unterlägen. Die somit im Ermessen der Behörde liegende Verweigerung der begehrten Auskunft sei auch insoweit nicht zu beanstanden; Ermessensfehler seien nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich. Eines Rückgriffs auf Verfassungsrecht bedürfe es angesichts der positiv-rechtlichen Regelung in § 4 LPresseG, gegen dessen Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch der Kläger keine Bedenken erhoben habe, nicht. 8       Mit der vom Senat durch Beschluss vom 06.03.2013 zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung bringt er vor, das Auskunftsbegehren eines Presseorgans bedürfe keiner gesonderten Begründung, um zu einem Überwiegen des Auskunftsinteresses der Presse gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Verfahrensbeteiligten zu kommen. Der Kläger habe das aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitete und nur gemäß Art. 5 Abs. 2 GG einschränkbare Recht, die für die Wahrnehmung seiner Grundrechte erforderlichen Informationen ohne Mitteilung darüber zu erhalten, wofür er diese Informationen im Einzelnen benötige. Würde ein Anspruch auf Zugang zu Informationen davon abhängig gemacht, dass das Presseorgan zunächst darlege, für welchen Zweck es die angeforderte Information benötige, würde zumindest mittelbar Zensur ausgeübt. Indem das erstinstanzliche Gericht unter Hinweis auf das Verfassungsrecht der Beteiligten auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte dem allgemeinen Informationsrecht der Presse nur dann gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen ein Übergewicht einräume, wenn dargelegt werde, weshalb die Auskunft benötigt werde, schmälere es nicht nur das Verfassungsrecht der Presse, sondern verkehre auch die grundsätzliche Gewichtung der divergierenden Verfassungsgüter. Denn wie in § 4 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 LPresseG zutreffend normiert werde, bestehe das Informationsrecht der Presse grundsätzlich ohne Weiteres. Dass die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten verletzt würden, genüge zur Auskunftsverweigerung nur dann, wenn diese überhaupt schutzwürdig seien. Dies setze eine Beurteilung des Gewichts der jeweils betroffenen Rechtsgüter voraus. Diese Beurteilung sei nicht davon abhängig, dass die Presse ihren http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2014&nr=17311&Blank=1                      4/21
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Vorliegend hätten die an der Findung des Strafurteils Beteiligten sämtlich nicht nur in ihrer beruflichen bzw. hinsichtlich der Schöffen in ihrer ehrenamtlichen Eigenschaft gehandelt, sondern - einschließlich des Pflichtverteidigers - unmittelbar im staatlichen Auftrag. Der Vorsitzende urteile im Namen des Volkes und sei schon deshalb eine Person der Öffentlichkeit, die ihr dieses Amt anvertraut habe. Geheimgerichte seien in der Bundesrepublik Deutschland nicht statthaft. Die Schöffen würden in einem gesonderten Verfahren als Vertreter der Öffentlichkeit gewählt und fungierten als deren Wächter. Wenn Richter und Schöffen nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.07.2000 - 1 BvQ 17/00 - die Beeinträchtigung durch Filmaufnahmen des öffentlich-rechtlichen Deutschen Fernsehens hinzunehmen hätten, dann erst recht diejenige, die durch eine nur namentliche Benennung in einer Fachzeitschrift eintreten könne. Die Protokollbeamtin habe keinen Grund, ihren Namen zu verheimlichen, da sie für die Entscheidung in keiner Weise verantwortlich sei. Ein Anwalt habe kein schützenswertes Interesse daran, dass ein etwaiges Fehlverhalten geheim bleibe. Diesem eher geringen privaten Interesse stehe auf Seiten des Klägers mit dem Auskunftsrecht der Presse ein gewichtiges Verfassungsrecht gegenüber, das keiner besonderen Rechtfertigung bedürfe. Eine genaue und gründliche Berichterstattung setze voraus, dass der Presse keine ihr für ihre Zwecke als bedeutsam erscheinenden und ausdrücklich nachgefragten Informationen vorenthalten würden oder ihr die Möglichkeit verwehrt werde, zielgerichtet zu recherchieren. Daher stehe der Pflicht der Presse zur genauen Berichterstattung das Recht gegenüber, die für ihre Recherche erforderlichen Informationen zu erhalten. Denn anderenfalls könne die Presse nicht durch direkt an die Beteiligten gerichtete Nachfragen diesen Gelegenheit zu einer Stellungnahme geben und wäre hierdurch möglicherweise gehindert, objektiv berichten zu können. Aus dem Urteil lasse sich beispielsweise nicht entnehmen, welchen Antrag der Pflichtverteidiger gestellt hatte. Auch zu allen weiteren Fragen, die der Fall aufgeworfen habe, könnte der Kläger nicht mit dem Verteidiger Rücksprache nehmen oder diesen wenigstens zur Stellungnahme auffordern. Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dem Kläger gehe es um eine Veröffentlichung der Namen der Beteiligten, um diese bloßzustellen, nicht aber, um durch eine Veröffentlichung der Entscheidung die wissenschaftliche Diskussion zu befruchten oder um ihres gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Gehalts wegen, verkenne die Notwendigkeit, die Namen der Beteiligten zur Möglichkeit einer Stellungnahme zu erhalten. Zudem gehe es auch um grundsätzliche berufspolitische Fragen. Immerhin sei dem Pflichtverteidiger vom Verwaltungsgericht Stuttgart ein „nicht nachvollziehbares Verhalten" zugeschrieben worden, das gemäß § 113 BRAO zu einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme führen könne. Es liege weder im allgemeinen noch im besonderen Interesse der Rechtspflege, nicht gebührend auf Anwälte einwirken zu können, die ihre allein gegenüber dem Mandanten bestehenden Pflichten nicht sorgfältig wahrnähmen. Das Wächteramt der Presse erstrecke sich auch auf solche Belange. Im Übrigen verbiete sich die Annahme des erstinstanzlichen Gerichts, es sei auch kein öffentliches Interesse an der Bekanntgabe der Namen der Beteiligten erkennbar, weil das Strafurteil des Amtsgerichts ... in keinem der einschlägigen Fachmedien veröffentlich worden und auch nicht bekannt sei, dass die Beteiligten bereits in früheren Verfahren durch ein vergleichbares Verhalten aufgefallen wären, schon denklogisch. Denn wenn die Namen nicht bekannt seien, fehle jede Möglichkeit, anhand der Feststellung des Namens der Beteiligten vergleichbare Fälle überhaupt nur zu erkennen. Der Anspruch des Klägers folge auch aus Art. 10 EMRK. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei es nicht Sache der nationalen Instanzen, über die Form der Informationsweitergabe an die Presse zu entscheiden. Art. 8 EMRK stehe dem nicht entgegen, da in Deutschland kein Gesetz existiere, gegen das die Übersendung des Urteils in der begehrten Form verstoßen könne. 9       In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger mitgeteilt, dass das streitige Urteil des Amtsgerichts ... in den ANA-ZAR 2010, S. 32 unter Nennung der Namen der Berufsrichterin und des http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2014&nr=17311&Blank=1                   5/21
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3/10/2014                                                                     1 S 509/13 Pflichtverteidigers besprochen worden ist. Den im Beitrag genannten Namen des Pflichtverteidigers habe er von dem Rechtsanwalt erfahren, der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den verurteilten Afghanen vertreten habe. Die Beteiligten erklärten den Auskunftsanspruch bezüglich des Namens der Berufsrichterin übereinstimmend für erledigt. 10      Der Kläger beantragt, 11         das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18.04.2012 - 1 K 57/12 - zu ändern, festzustellen, dass die Entscheidung des Direktors des Amtsgerichts ... vom 25.05.2010 rechtswidrig war, soweit keine Auskunft über den Namen des Pflichtverteidigers erteilt worden ist, und den Beklagten unter Aufhebung der Entscheidung des Direktors des Amtsgerichts ... vom 25.05.2010 zu verpflichten, dem Kläger Auskunft über die Namen der an dem beim Amtsgericht ... durchgeführten Strafverfahren - ... - beteiligten Personen zu erteilen durch Übersendung einer - mit Ausnahme der persönlichen Angaben des Verurteilten, der Berufsrichterin und des Pflichtverteidigers - nicht anonymisierten Abschrift des Urteils vom 02.07.2009. 12      Der Beklagte beantragt, 13         die Berufung zurückzuweisen. 14      Er verteidigt das angefochtene Urteil. Zutreffend habe das Verwaltungsgericht im Einzelnen begründet, dass die Abwägung zwischen dem Interesse des Klägers als einem Repräsentanten der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich geschützten Presse und dem ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten des strafgerichtlichen Verfahrens dazu führe, dass die begehrten Auskünfte nicht zu erteilen seien. Soweit der Kläger darauf abstelle, mit dem Pflichtverteidiger des in dem streitgegenständlichen Strafverfahren Verurteilten nicht in einen Diskurs treten und mit dessen Hilfe den Sachverhalt nicht weiter aufklären zu können, weil ihm dessen Name nicht mitgeteilt worden sei, erscheine diese Begründung vorgeschoben, zumal dem auch die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht entgegenstünde. Naheliegender erscheine die aus der weiteren Begründung ersichtliche Motivation des Klägers, den Pflichtverteidiger bei der Rechtsanwaltskammer anzeigen zu wollen, weil er sich während seiner Verteidigung pflichtwidrig verhalten habe. Auch insoweit vermöge die Argumentation des Klägers nicht zu überzeugen. Es wäre ihm ohne weiteres möglich, etwaiges Fehlverhalten eines Rechtsanwalts auch ohne Kenntnis des Namens zur Anzeige zu bringen, zumal die zuständige Rechtsanwaltskammer bei der Schilderung des Sachverhalts die Identität des Anwalts unschwer ermitteln könnte. 15      Dem Senat liegen der Verwaltungsvorgang des Beklagten und die Akte des Verwaltungsgerichts vor. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte auf die Aufforderung des Senats, die vollständige Verwaltungsakte vorzulegen, die insbesondere das dem Kläger übersandte, anonymisierte Urteil des Amtsgerichts ... vom 02.07.2009 - ... - enthält, unter anderem eine Kopie dieses Urteils in nicht anonymisierter Form vorgelegt. Der Senat hat diese Kopie unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.03.2004 - 6 B 71.03 - juris als nicht angeforderte Akte an den Beklagten zurückgesandt. Entscheidungsgründe 16      Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. I. 17      Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2014&nr=17311&Blank=1                     6/21
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In der Abwägung ist nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen vor allem zu berücksichtigen, zu welchem Zweck die mit der Auskunft begehrten Daten verwendet werden sollen, ob eine Berichterstattung die Betroffenen nur in ihrer Sozialsphäre berühren würde, ob mit der Berichterstattung eine Prangerwirkung verbunden wäre und ob die Na-mensnennung einen eigenen Informationswert hat (6). Nach diesen Maßstäben überwog im vorliegenden Fall das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Pflichtverteidigers das Informationsinteresse des Klägers (7). Die begehrte Auskunft hat der Beklagte ermessensfehlerfrei verweigert (8). 26      (1) Nicht jede Verletzung privater Interessen löst bereits die Sperrwirkung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG aus. Es muss vielmehr die Verletzung schutzwürdiger privater Interessen zu befürchten sein. Ob die betroffenen privaten Interessen schutzwürdig sind, ist im Wege einer umfassenden Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den entgegenstehenden privaten Interessen zu ermitteln (vgl. Senatsbeschluss vom 10.05.2011 - 1 S 570/11 - NVwZ 2011, 958 <959>, m.w.N.; HessVGH, Urt. v. 23.02.2012 - 8 A 1303/11 - ESVGH 62, 182 = juris Rn. 37, m.w.N; OVG NRW, Beschl. v. 27.06.2012 - 5 B 1463/11 - DVBl. 2012, 1137 = juris Rn. 40 f., m.w.N.). Insbesondere bedarf es der Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Geheimhaltungsinteresse) des jeweils Betroffenen (vgl. BGH, Urt. v. 15.04.1980 - VI ZR 76/79 - NJW 1980, 1790 <1791>; Urt. v. 17.03.1994 - III ZR 15/93 - NJW 1994, 1950 <1951>) sowie - als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 27.06.2012, a.a.O., Rn. 42; BGH, Urt. v. 23.06.2009 - VI ZR 196/08 - BGHZ 181, 328 = juris Rn. 27 f.). Diese umfassende Abwägung ist gerichtlich voll nachprüfbar (vgl. HessVGH, Urt. v. 23.02.2012, a.a.O.; ebenso BVerwG, Urt. v. 23.06.2004 - 3 C 41.03 - BVerwGE 121, 115 <137>, zu § 32 StUG; ebenso BGH, Urt. v. 17.03.1994, a.a.O., für den Amtshaftungsprozess wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung durch eine Presseinformation der Staatsanwaltschaft; a.A. OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.06.2001 - 4 VAs 3/01 - NJW 2001, 3797 <3798>, und OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.08.1980 - 3 VAs 9/80 - Justiz 1980, 451, jeweils für die Überprüfung einer Presseauskunft über ein Ermittlungsverfahren nach §§ 23 ff. EGGVG). 27      Bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite dieser Grundrechte sind sowohl die Europäische Menschenrechtskonvention als auch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Auslegungshilfen (vgl. ausdrücklich für die Abwägung zwischen Presseberichterstattung über Strafverfahren und Persönlichkeitsrecht des Angeklagten: BGH, Urt. v. 19.03.2013 - VI ZR 93/12 - NJW 2013, 1681). Die Grundrechte sind auch als Ausprägung der Menschenrechte zu verstehen und haben diese als Mindeststandard in sich aufgenommen.Die Heranziehung der EMRK als Auslegungshilfe zielt nicht auf eine schematische Parallelisierung einzelner verfassungsrechtlicher Begriffe, sondern dient der Vermeidung von Völkerrechtsverletzungen. Eine Harmonisierung des innerstaatlichen Rechts mit der Konvention ist nicht zwingend. Die völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes darf nicht dazu führen, dass der Grundrechtsschutz nach dem Grundgesetz eingeschränkt wird. Dieses Rezeptionshemmnis kann vor allem in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen relevant werden, in denen das "Mehr" an Freiheit für den einen Grundrechtsträger zugleich ein "Weniger" für einen anderen bedeutet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307 <317 ff.>; Beschl. v. 26.02.2008 - 1 BvR 1602/07 u.a. - BVerfGE 120, 180 <200 f.>; Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. - BVerfGE 128, 326 <371>). 28      (2) Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist nach dem Grundgesetz ein Wesenselement des freiheitlichen Staates. Sie ist - neben Hörfunk und Fernsehen - ein wichtiger Faktor für die Bildung der öffentlichen Meinung, die ihrerseits als das Ergebnis einer in freier http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2014&nr=17311&Blank=1                   8/21
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Rspr., vgl. nur BVerfG, Urt. v. 05.08.1966 - 1 BvR 586/62 u.a. - BVerfGE 20, 162 <174 f.>; Beschl. v. 06.02.1979 - 2 BvR 154/78 - BVerfGE 50, 234 <240>, m.w.N.). 29      Die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgte Pressefreiheit gewährleistet nicht nur die Freiheit der Verbreitung von Nachrichten und Meinungen; sie schützt vielmehr auch den gesamten Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu der insbesondere die Beschaffung von Informationen gehört. Die verfassungsrechtlich verbürgte Pressefreiheit umschließt insbesondere das Recht der im Pressewesen tätigen Personen, sich über Vorgänge in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung zu informieren und hierüber zu berichten (st. Rspr., vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 06.02.1979, a.a.O., m.w.N.). Der Schutz der Pressefreiheit kann nicht von einer - an welchen Maßstäben auch immer ausgerichteten - Bewertung des einzelnen Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Die Pressefreiheit ist nicht auf die "seriöse" Presse beschränkt (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.02.1973 - 1 BvR 112/65 - BVerfGE 34, 269 <283 f.>, m.w.N.). Auch Form sowie Art und Weise der Presseveröffentlichung unterfallen grundsätzlich dem Selbstbestimmungsrecht der Presse, so dass im Einzelfall Schärfen und Überspitzungen des öffentlichen Meinungskampfs hinzunehmen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 - 1 BvR 426/80 - NJW 1982, 2655 <2656>). 30      Die Presse wird durch die in Art. 10 EMRK gewährleistete Freiheit der Meinungsäußerung in vergleichbarer Weise geschützt. Sie hat nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine wesentliche Aufgabe in einer demokratischen Gesellschaft, sie nimmt die Rolle eines „öffentlichen Wachhundes“ ein. Wenn die Presse auch gewisse Grenzen nicht überschreiten darf, insbesondere hinsichtlich des guten Rufs und der Rechte anderer sowie einer geordneten Rechtspflege, ist es doch ihre Aufgabe, Informationen und Ideen über alle Fragen öffentlichen Interesses mitzuteilen (vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004 - 59320/00 [Caroline von Hannover/Deutschland] - NJW 2004, 2647, Nr. 58; Urt. v. 10.01.2012 - 34702/07 [Standard Verlags GmbH/ Öster-reich Nr. 3] - NJW 2013, 768, Nr. 31; Heer-Reißmann/Dörr/Schüller-Keber, in: Dörr/Kreile/Cole, Handbuch Medienrecht, 2008, S. 26 f., m.w.N.). Die Freiheit der Meinungsäußerung gilt auch für Meinungsäußerungen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen; sie schützt auch die Art und Weise der Äußerungen (vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, a.a.O., Nr. 58; Urt. v. 21.06.2012 - 34124/06 [Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG/Schweiz] - NJW 2013, 765, Nr. 51, 64). 31      (3) Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG und die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung. Diesem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonders hoher Rang zu. Das gilt insbesondere für seinen Menschenwürdekern. Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend umschrieben. Zu den anerkannten Inhalten gehören das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre. Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Person insbesondere vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.06.2007 - 1 BvR 1783/05 - BVerfGE 119, 1 <24>, m.w.N.). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet auch das Recht, in gewählter Anonymität zu bleiben und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen (vgl. BVerfG, Urt. v. 05.06.1973 - 1 BvR 536/72 - BVerfGE 35, 202 <220>). 32      Es steht jedoch nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem ab-soluten Schutz der http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2014&nr=17311&Blank=1                    9/21
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BVerfG, Urt. v. 05.06.1973, a.a.O., S. 220; Beschl. v. 14.09.1989 - 2 BvR 1062/87 - BVerfGE 80, 367 <373 f.>; Beschl. v. 06.05.1997 - 1 BvR 409/90 - BVerfGE 96, 56 <61>; Beschl. v. 13.06.2007, a.a.O., S. 29 f.; BGH, Urt. v. 13.11.1990 - VI ZR 104/90 - NJW 1991, 1532 <1533>; Urt. v. 23.06.2009, a.a.O., Rn. 29 f.; Urt. v. 19.03.2013, a.a.O., S. 1681 f.; je m.w.N.; kritisch Fechner, Medienrecht, 8. Aufl., Rn. 212). 33      Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Befugnis jedes Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen (vgl. nur BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1 <41 ff.>; Beschl. v. 09.03.1988 - 1 BvL 49/86 - BVerfGE 78, 77 <84>). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob und wann sowie innerhalb welcher Grenzen seine persönlichen Daten in die Öffentlichkeit gebracht werden. Es schützt generell vor staatlicher Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten einschließlich staatlicher Datenübermittlung. Dabei sind unter personenbezogenen Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zu verstehen, also alle Informationen über eine natürliche Person, unabhängig davon, welcher Aspekt der Person angesprochen wird (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, a.a.O.; Urt. v. 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89 - BVerfGE 84, 239 <279 f.>: Kammerbeschl. v. 14.12.2000 - 2 BvR 1741/99 u.a. - BVerfGE 103, 21 <33>; BVerwG, Urt. v. 09.03.2005 - 6 C 3.04 - NJW 2005, 2330, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 23.07.2010 - 1 S 501/10 - VBlBW 2011, 64 <65>). 34      Träger des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sind auch Amtsträger, und zwar nicht nur für Informationen mit privatem, sondern auch für solche mit amtsbezogenem Inhalt. Ein Amtsträger genießt in amtlicher Eigenschaft wie auch als Privatperson das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Denn auch amts- und funktionsbezogene Informationen können erhebliche Auswirkungen auf die Privatsphäre haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.06.2004, a.a.O., S. 125 f.; HessVGH, Urt. v. 23.02.2012, a.a.O., Rn. 31 ff.; OVG NRW, Beschl. v. 27.06.2012, a.a.O.; Rn. 42; a.A. VG Wiesbaden, Urt. v. 09.05.2011 - 5 K 700.09.WI - juris Rn. 21 ff.). 35      Ein weitergehender Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergibt sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Der Begriff des Privatlebens umfasst Elemente der Identität einer Person wie ihren Namen oder das Recht am eigenen Bild. Zur Privatsphäre gehört auch die körperliche und geistige Integrität einer Person. Art. 8 EMRK will vorrangig das Recht des Einzelnen schützen, seine Persönlichkeit in seinen Beziehungen zu seinen Mitmenschen ohne Einmischung von außen zu entwickeln. Der Schutz des Privatlebens ist von grundlegender Bedeutung für die Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden. Er geht über den intimen Kreis der Familie hinaus und hat auch eine soziale Dimension. Jede Person, selbst wenn sie in der Öffentlichkeit bekannt ist, muss „eine berechtigte Erwartung” auf Schutz und Achtung ihres Privatlebens haben können (vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, a.a.O., Nr. 50, 69; Urt. v. 16.04. 2009 - 34438/04 [Egeland u. Hanseid/Norwegen] - NJW-RR 2010, 1487, Nr. 59; Urt. v. 10.01.2012, a.a.O., Nr. 36). 36      (4) Die Auskunft über die Namen der an dem streitigen Strafverfahren Beteiligten - mit Ausnahme des Namens des Verurteilten - berührt diese in ihrer Sozialsphäre. Das Gewicht ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der vorzunehmenden Abwägung wird von vornherein dadurch gemindert, dass nach § 169 GVG Gerichtsverhandlungen, soweit keine Ausnahmen vorgesehen sind, für jedermann zugänglich http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2014&nr=17311&Blank=1                   10/21
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