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Information

Aktenzeichen
BW VGH 1 S 1307.17 2017 LPG
Datum
4. August 2017
Gericht
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Gesetz
Gesetz über die Presse (Landespressegesetz) – Baden-Württemberg
Gesetz über die Presse (Landespressegesetz) – Baden-Württemberg

Beschluss: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 4. August 2017

BW VGH 1 S 1307.17 2017 LPG

1. Die Staatsanwaltschaften dürfen die Medien über strafrechtliche Verfahren unter Nennung des Namens des Beschuldigten grundsätzlich nur in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten informieren, die die Öffentlichkeit besonders berühren. 2. Wenn eine Befugnis der Staatsanwaltschaft zur Information der Medien unter Namensnennung besteht, indiziert dies - wenn nicht Umstände des Einzelfalls anderes gebieten - die Pflicht der Staatsanwaltschaft, den Medien auf Anfrage zur Person des Beschuldigten Auskunft zu geben. 3. Der Grundsatz, dass eine Nennung des Namens des Beschuldigten der Staatsanwaltschaft nur gestattet ist bei Fällen schwerer Kriminalität und bei Straftaten, die die Öffentlichkeit besonders berühren, gilt in gleicher Weise für die allgemeine Medieninformation der Staatsanwaltschaft durch Pressemitteilung wie für die Auskunftserteilung nach § 4 LPresseG auf Anfrage eines einzelnen Pressevertreters.

Nennung von Namen Beschuldigter in strafrechtlichen Ermittlungen

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Landesrecht BW Langtext Gericht:            Verwaltungsgerichtshof Ba-          Quelle: den-Württemberg 1. Senat Entscheidungs- 04.08.2017 datum:                                                  Normen:         § 4 PresseG BW, Art 5 Abs 1 GG, Aktenzeichen: 1 S 1307/17                                               Art 2 Abs 1 GG, Art 1 Abs 1 GG Dokumenttyp: Beschluss Presserechtlicher Auskunftsanspruch gegenüber der Staatsanwaltschaft bei Ermittlungsverfahren Leitsatz 1. Die Staatsanwaltschaften dürfen die Medien über strafrechtliche Verfahren unter Nennung des Namens des Beschuldigten grundsätzlich nur in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straf- taten informieren, die die Öffentlichkeit besonders berühren.(Rn.22) 2. Wenn eine Befugnis der Staatsanwaltschaft zur Information der Medien unter Namensnen- nung besteht, indiziert dies - wenn nicht Umstände des Einzelfalls anderes gebieten - die Pflicht der Staatsanwaltschaft, den Medien auf Anfrage zur Person des Beschuldigten Auskunft zu geben.(Rn.27) 3. Der Grundsatz, dass eine Nennung des Namens des Beschuldigten der Staatsanwaltschaft nur gestattet ist bei Fällen schwerer Kriminalität und bei Straftaten, die die Öffentlichkeit be- sonders berühren, gilt in gleicher Weise für die allgemeine Medieninformation der Staatsanwalt- schaft durch Pressemitteilung wie für die Auskunftserteilung nach § 4 LPresseG (juris PresseG BW) auf Anfrage eines einzelnen Pressevertreters.(Rn.28) Fundstellen ZD 2017, 538-540 (Leitsatz und Gründe) NJW 2018, 90-94 (Leitsatz und Gründe) Justiz 2018, 115-116 (Leitsatz und Gründe) VBlBW 2018, 112-115 (Leitsatz und Gründe) AfP 2018, 159-164 (Leitsatz und Gründe) weitere Fundstellen RDV 2017, 254 (Leitsatz) DÖV 2017, 921 (Leitsatz) StV 2018, 210 (Leitsatz) Verfahrensgang vorgehend VG Karlsruhe, 15. Mai 2017, Az: 1 K 982/17, Beschluss Tenor Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15. Mai 2017 - 1 K 982/17 - wird zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15. Mai 2017 - 1 K 982/17 - geän- dert. Die Anträge werden insgesamt abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. - Seite 1 von 8 -
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Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Gründe I. 1     Die Antragstellerin ist die Verlegerin einer örtlichen Zeitung. Sie begehrt im Wege des einstwei- ligen Rechtsschutzes Auskunft zu einem strafrechtlichen Verfahren. 2     Die Antragstellerin verlangte außergerichtlich - nachdem sie zunächst mit Mails vom 18. und 19.01.2017 angefragt hatte - mit Schreiben vom 24.01.2017 von der Staatsanwaltschaft N. Aus- kunft zu folgenden Fragen bezüglich eines potentiellen Ermittlungsverfahrens gegen einen N.er Rechtsanwalt: 3               „1. Können Sie uns folgende recherchierten Erkenntnisse als ermittelnde Behörde bestä- tigen? Wir haben gesicherte Informationen, dass derzeit Ermittlungen gegen einen N.er Rechtsanwalt laufen. Er soll im Verdacht stehen, mit Betäubungsmitteln in nicht gerin- ger Menge gehandelt zu haben. Bei dem BTM handelt es sich um Kokain. Der Verdäch- tige saß im Verlauf der Ermittlungen bereits zwei Wochen in Freiburg in Untersuchungs- haft. Er übt weiterhin seinen Beruf als Rechtsanwalt aus. So lange es zu keinem Urteil kommt, ist das aber auch rechtlich in Ordnung. 2. Gibt es in dem Zusammenhang auch Ermittlungen im Bereich der organisierten Krimi- nalität? 3. Hat sich der Verdächtige bereits zu den Vorwürfen geäußert? 4. Warum wurde er in U-Haft genommen und warum konnte er die U-Haft nach zwei Wo- chen wieder verlassen? 5. Gibt es in dem Zusammenhang Ermittlungen gegen weitere Personen?“ 4     Mit Schreiben vom 24.01.2017 lehnte die Staatsanwaltschaft N. die Anfrage der Antragstellerin ab. Die Staatsanwaltschaft habe im Falle von Medienanfragen stets eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den Persönlichkeitsrechten der von der Be- richterstattung Betroffenen vorzunehmen. Die Abwägung führe hier zu dem Ergebnis, dass die Persönlichkeitsrechte als vorrangig zu bewerten seien. 5     Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 01.02.2017, beim Verwaltungsgericht am 06.02.2017 eingegangen, den Erlass einer einstweili- gen Anordnung. Sie beantragte zunächst, den Antragsgegner zu verpflichten, die Staatsanwalt- schaft N. anzuweisen, der Antragstellerin Auskunft zu folgenden Fragen zu erteilen: 6               „a) Kann bestätigt werden, dass gegen Herrn ... ... ein Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes und des Handelns mit Betäubungsmitteln eingeleitet wurde? b) Kann bestätigt werden, dass gegen Herrn ... ... im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz Untersuchungshaft angeordnet wurde? c) Warum wurde Herr ... ... in Untersuchungshaft genommen und weshalb wurde er nach zwei Wochen wieder entlassen? d) Hat sich Herr ... ... bereits zu diesen Vorwürfen wegen des Verstoßes gegen das Be- täubungsmittelgesetz eingelassen? e) Gibt es im Zusammenhang der Ermittlungen gegenüber Herrn ...-... ... auch Ermittlun- gen gegenüber anderen Personen? f) Gibt es in dem Zusammenhang der Ermittlungen gegenüber Herrn ... ... auch Ermitt- lungen im Bereich der organisierten Kriminalität?“ 7     Hilfsweise beantragte die Antragstellerin die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung, die Staatsanwaltschaft N. anzuweisen, über die Auskunft gegenüber der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegenüber Herrn ... ... un- ter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. 8     ... ... wurde vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24.03.2017 beigeladen. - Seite 2 von 8 -
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9  Am 27.03.2017 veröffentlichte die Staatsanwaltschaft unter dem Titel „Staatsanwaltschaft N. erhebt gegen N.er Rechtsanwalt Anklage wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.“ eine Pressemitteilung mit im Wesentlichen folgendem Text: 10         „Die Staatsanwaltschaft N. hat gegen einen N.er Rechtsanwalt Anklage zum Landgericht N. - Strafkammer - wegen Verdachts des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erhoben. 11         Ihm liegt zur Last, im Zeitraum von Anfang Februar 2016 bis Ende Juli 2016 bei insge- samt zwei Betäubungsmittellieferanten in acht Fällen jeweils 10 Gramm Kokain erwor- ben und in weiteren sechs Fällen jeweils 20 Gramm Kokain erworben und damit nicht geringe Mengen Betäubungsmittel besessen zu haben. Ferner soll der Angeschuldig- te den Kontakt zwischen seinen beiden Betäubungsmittellieferanten hergestellt haben. Wie vom Angeschuldigten bezweckt, habe sich zwischen diesen Personen eine Lieferbe- ziehung entwickelt, in deren Folge es zu zwei Verkäufen von Betäubungsmitteln, davon in einem Fall ein Verkauf von Ecstasy-Tabletten und Marihuana in nicht geringer Menge gekommen sei. 12         Der Angeschuldigte hat sich zum Tatvorwurf eingelassen und diesen teilweise einge- räumt. 13         Wegen der besonderen Bedeutung der Sache, die sich aus der beruflichen Stellung des Angeschuldigten ergibt, hat die Staatsanwaltschaft Anklage zum Landgericht N. erho- ben, § 74 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Nr. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).“ 14 Am 29.03.2017 berichtete die von der Antragstellerin verlegte Zeitung über das genannte Er- mittlungsverfahren und ihre Auskunftsbegehren gegenüber der Staatsanwaltschaft N.. Mit Ver- fügung vom 06.04.2017 bat das Verwaltungsgericht die Antragstellerin im Hinblick auf deren ei- gene Berichterstattung und die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft um Mitteilung, ob sie das Verfahren, ggfs. mit welchen Anträgen weiterbetreiben wolle. Die Antragstellerin erklär- te daraufhin bezüglich der Fragen a) und d) den Rechtsstreit für erledigt. Der Antragsgegner schloss sich der Erledigungserklärung nicht an. Er erklärte auf Anfrage des Verwaltungsgerichts vom 06.04.2017, ob und welche Auskünfte der Antragstellerin nunmehr erteilt werden könnten, mit Schriftsatz vom 13.04.2017, Auskünfte, die die Staatsanwaltschaft N. aufgrund der gebote- nen Interessenabwägung geben wolle, seien in der erfolgten Pressemitteilung enthalten. Im Üb- rigen verbleibe es bei dem Antrag auf Abweisung des Antrags gemäß § 123 VwGO. 15 Mit Beschluss vom 15.05.2017 stellte das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Fragen a) und d) die Erledigung des Rechtsstreits fest, verurteilte den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Auskunftserteilung zu den Fragen b) und c) und wies im Übrigen den Antrag ab. Erledigung hinsichtlich der Fragen a) und d) sei eingetreten, da die Staatsanwaltschaft N. in ih- rer Pressemitteilung vom 27.03.2017 erklärt habe, dass gegen den Beigeladenen wegen des Verdachts des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, des unerlaubten Besitzes vom Be- täubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Anklage zum Landgericht N. erhoben worden sei und sich der Beigeladene zum Tatvorwurf eingelassen und diesen teilweise eingeräumt ha- be. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund seien hinsichtlich der Fragen b) und c) gege- ben. Der Anspruch ergebe sich aus § 4 Abs. 1 LPresseG. Ein überwiegendes privates Interesse stehe nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG nicht entgegen, insbesondere weil der Beigeladene bereits wieder aus der Untersuchungshaft entlassen sei und sich die Auskunft auf schon vergangene Tatsachen beschränke. Für den Antrag bezüglich Frage e) fehle das Rechtsschutzinteresse, da die Staatsanwaltschaft N. in ihrer Pressemitteilung mitgeteilt habe, dass gegen den Beigelade- nen auch Anklage wegen des Verdachts der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäu- bungsmitteln in nicht geringer Menge erhoben worden sei, und auch diesbezüglich den Tatvor- wurf unter Angabe der Zahl der Haupttäter geschildert habe. Dem Antrag zu Frage f) stehe § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPresseG entgegen, da eine Auskunft nach Aussage der Staatsanwaltschaft den Er- mittlungserfolg erheblich gefährden könne. - Seite 3 von 8 -
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16 Die Antragstellerin verfolgt mit ihrer Beschwerde ihr Begehren auf Auskunftserteilung zu den Fragen e) und f) weiter. Der Antragsgegner erstrebt mit der Beschwerde die vollständige Ableh- nung der Anträge. II. 17 Die Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet, sie ist daher zurückzuweisen. Die Be- schwerde des Antragsgegners ist begründet; auf diese Beschwerde hin ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und sind die Anträge der Antragstellerin insgesamt abzulehnen. 18 Nach den Grundsätzen über die Erteilung von Auskünften nach § 4 LPresseG (1) ist sowohl der Antrag auf Feststellung der Erledigung der Anträge zu den Fragen a) und d) unbegründet (2) als auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu den Fragen b), c), e) und f) (3). 19 1. a) Behörden sind nach § 4 Abs. 1 LPresseG verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Er- füllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Aus dieser Verpflichtung folgt ein entsprechender Auskunftsanspruch der Vertreter der Presse. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG können Auskünfte verweigert werden, soweit ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde. 20 Nicht jede Verletzung privater Interessen löst bereits die Sperrwirkung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG aus. Es muss vielmehr die Verletzung schutzwürdiger privater Interessen zu befürch- ten sein. Ob die betroffenen privaten Interessen schutzwürdig sind, ist im Wege einer umfas- senden Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den entgegen- stehenden privaten Interessen zu ermitteln. Insbesondere bedarf es der Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschütz- ten allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Geheimhaltungsinteresse) des jeweils Betroffenen so- wie - als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese umfassende Abwägung ist gerichtlich voll nachprüfbar (Senat, Urt. v. 11.09.2013 - 1 S 509/13 - VBlBW 2014, 680, mit zahlreichen Nachweisen). 21 b) Geht es um eine Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat, so ist zu berücksichti- gen, dass Straftaten zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter, die Sym- pathie mit den Opfern, die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise und Schwere von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei schweren Ge- waltverbrechen ist in der Regel ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes In- teresse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des Täters und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen (BVerfG, Urt. v. 05.06.1973 - 1 BvR 536/72 - BVerfGE 35, 202, 230 f.; Kammerbeschl. v. 10.06.2009 - 1 BvR 1107/09 - NJW 2009, 3357, 3358; BGH, Urt. v. 07.12.1999 - VI ZR 51/99 - BGHZ 143, 199, 204; Urt. v. 15.12.2009 - VI ZR 227/08 - BGHZ 183, 353; Urt. v. 08.05.2012 - VI ZR 217/08 - VersR 2012, 994). 22 Wägt man dieses Interesse mit der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts, die mit der iden- tifizierenden Berichterstattung über Verfehlungen des Betroffenen verbunden ist, ab, verdient für die tagesaktuelle Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemei- nen den Vorrang. Wer den Rechtsfrieden bricht, durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen angreift oder verletzt, muss sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteres- se der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird. Dieser Vorrang gilt jedoch nicht schrankenlos. So ist auf den unantastbaren innersten Lebensbereich Rücksicht zu neh- men. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss ferner im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens und seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen. Danach ist die Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifizierung des Täters keineswegs immer zulässig; insbesondere in Fällen der kleineren Kriminalität oder bei jugendlichen Straftä- tern wird dies nicht der Fall sein (BVerfG, Urt. v. 05.06.1973; Kammerbeschl. v. 10.06.2009; je a.a.O.). Denn die Berichterstattung unter Namensnennung ist ein schwerer Eingriff in das allge- meine Persönlichkeitsrecht (BVerfG, Urt. v. 05.06.1973, a.a.O.). Zulässig ist eine Berichterstat- tung unter Namensnennung in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten, die die Öffent- - Seite 4 von 8 -
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lichkeit besonders berühren (BGH, Urt. v. 07.12.1999, a.a.O.; OLG Karlsruhe Urt. v. 02.02.2015 - 6 U 130/14 - NJW-RR 2015, 670, 673). 23 Handelt es sich um die Berichterstattung über ein laufendes Ermittlungsverfahren oder ein noch nicht abgeschlossenes Strafverfahren, so ist im Rahmen der Abwägung zudem die zugunsten des Betroffenen sprechende, aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung zu berücksichtigen. Diese gebietet eine entsprechende Zurückhaltung, mindestens aber eine ausgewogene Berichterstattung. Außer- dem ist eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen, die durch die Medienberichterstat- tung bewirkt werden kann (BVerfG, Urt. v. 05.06.1973; Kammerbeschl. v. 10.06.2009; je a.a.O.; Kammerbeschl. v. 27.11.2008 - 1 BvQ 46/08 - NJW 2009, 350; BGH, Urt. v. 30.10.2012 - VI ZR 4/12 - VersR 2013, 63). Eine Veröffentlichung mit namentlicher Identifizierung des Beschuldig- ten ist im Ermittlungsstadium daher nur ausnahmsweise zulässig (BGH, Urt. v. 17.03.1994 - III ZR 15/93 - NJW 1994, 1950, 1952, mit zahlreichen Nachweisen). Bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch wird insoweit oftmals das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Frei- heit der Berichterstattung überwiegen. Eine individualisierende Berichterstattung über den An- geklagten eines Strafverfahrens kann allerdings dann gerechtfertigt sein, wenn sich der Betref- fende nicht beziehungsweise nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann, etwa wenn er sich in eigenverantwortlicher Weise den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen in der medialen Öffentlichkeit auch im Wege der individualisierenden Berichterstat- tung gestellt hat, aber auch dann, wenn der betreffende Verfahrensbeteiligte kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung beziehungsweise Promi- nenz auch sonst in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffent- lichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat (BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.06.2009, a.a.O.). 24 Dies findet seinen Niederschlag auch in den Richtlinien für das Strafverfahren. In diesen heißt es ausdrücklich, dass eine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten oder anderer Beteiligter zu vermeiden sei und daß dem allgemeinen Informationsinteresse der Öffentlichkeit „in der Re- gel ohne Namensnennung" entsprochen werden könne (Nr. 4a, Nr. 23 Abs. 1 RiStBV). Insoweit ist mit „besonderer Sorgfalt abzuwägen" (BGH, Urt. v. 17.03.1994, a.a.O.; OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2014 - 11 U 129/13 - NJW-RR 2015, 936, 937). 25 Dabei bedarf es stets einer Abwägung aller Gesichtspunkte im konkreten Einzelfall. Der für die in Betracht kommenden Straftaten vorgesehenen Strafrahmen und eine etwaige Qualifizierung als Verbrechen nach § 12 StGB (Mindeststrafe von einem Jahr) geben nur eine grobe Orientie- rung dafür, ob ein Fall schwerer Kriminalität vorliegt, der eine Berichterstattung unter Namens- nennung erlaubt. Maßgeblich kommt es u.a. an auf: das Vorliegen schwerster Kriminalität, das Ausmaß des Tatverdachts, das Aufsehen, das das Tagesgeschehen aufgrund spektakulärer Be- gleitumstände, besonderer Sympathien mit dem Opfer oder der Beispielhaftigkeit für Befind- lichkeiten der Gesellschaft erregt, ein gravierender Schaden, die herausgehobene Stellung des Beschuldigten, empfindliches Betroffensein der Sicherheitsinteressen der Bevölkerung, Ermög- lichung der Mitwirkung der Öffentlichkeit an der Verbrechensaufklärung (BVerfG, Kammerbe- schl. v. 10.06.2009, a.a.O.; BGH, Urt. v. 17.03.1994, a.a.O., m.w.N.; Urt. v. 15.12.2009, a.a.O.; OLG Braunschweig, Urt. v. 24.10.1974 - 1 U 55/73 - NJW 1975, 651; OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.06.2001 - 4 VAs 3/01 - NJW 2001, 3797; Löffler-Steffen, Presserecht, 6. Aufl., § 6 LPG Rn. 207). 26 c) Diese Grundsätze über die Berichterstattung der Medien über strafrechtliche Verfahren wer- den in der Rechtsprechung für die Befugnis der Staatsanwaltschaften zu Medieninformationen ebenfalls herangezogen. Danach dürfen die Staatsanwaltschaften die Medien über strafrecht- liche Verfahren unter Nennung des Namens des Beschuldigten (Angeschuldigten, Angeklag- ten) grundsätzlich nur in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten informieren, die die Öffentlichkeit besonders berühren (OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2014, a.a.O.; VG Saarlouis, Urt. v. 23.06.2003 - 1 K 129/02 - NJW 2003, 3431, 3432; Urt. v. 21.08.2008 - 1 K 920/07, juris Rn. 25). Gleiches gilt, wenn das Berichtsgeschehen der Zeitgeschichte zuzuordnen ist (OLG Hamm, Be- schl. v. 31.01.2000 - 2 Ws 282/99 -, NJW 2000, 1278; OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2014, a.a.O.); denn dann handelt es sich regelmäßig um Straftaten, die die Öffentlichkeit besonders berühren. 27 d) Wenn eine Befugnis der Staatsanwaltschaft zur Information der Medien unter Namensnen- nung besteht, indiziert dies - wenn nicht Umstände des Einzelfalls anderes gebieten - die Pflicht der Staatsanwaltschaft, den Medien auf Anfrage zur Person des Beschuldigten Auskunft zu ge- ben. Denn die die Befugnis zur Nennung des Namens begründenden Gesichtspunkte - ein Fall - Seite 5 von 8 -
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schwerer Kriminalität oder eine Straftat, die die Öffentlichkeit besonders berührt - haben auch insoweit besonderes Gewicht. 28 e) Der Grundsatz, dass eine Nennung des Namens des Beschuldigten der Staatsanwaltschaft nur gestattet ist bei Fällen schwerer Kriminalität und bei Straftaten, die die Öffentlichkeit be- sonders berühren, gilt in gleicher Weise für die allgemeine Medieninformation der Staatsanwalt- schaft durch Pressemitteilung u.ä. wie für die Auskunftserteilung nach § 4 LPresseG auf Anfra- ge eines einzelnen Pressevertreters. Zwar ist bei der Herausgabe einer Pressemitteilung unter Nennung des Namens des Beschuldigten dieser damit allgemein bekannt, während es bei der Auskunft über den Namen des Beschuldigten an einen einzelnen Pressevertreter daran gerade fehlt. Auch ist aufgrund einer solchen Einzelauskunft nicht notwendig damit zu rechnen, dass dieser Pressevertreter unter Namensnennung berichtet. Denn dieser ist selbständig zur Prüfung verpflichtet, welche Umstände er angesichts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betrof- fenen zum Gegenstand der Berichterstattung machen darf. Zudem dient die Erteilung der Aus- kunft nach § 4 LPresseG auch gerade dem Zweck, dem Pressevertreter eigene weitere Recher- chen zu ermöglichen. 29 Gleichwohl gelten für die Namensnennung bei der Erteilung einer Auskunft an einen einzelnen Pressevertreter nach § 4 LPresseG dieselben Voraussetzungen wie für die Namensnennung in einer Pressemitteilung. Denn aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes muss die Staatsan- waltschaft Informationen, wenn sie sich zu deren Veröffentlichung entschließt, grundsätzlich al- len interessierten Pressevertretern ohne Rücksicht auf sachliche oder persönliche Qualifikatio- nen in gleicher Weise zugänglich machen. Sie hat daher nach Zeitpunkt, Umfang und Inhalt ih- rer Auskünfte die Presseorgane strikt gleich zu behandeln (OVG Bremen, Urt. v. 25.10.1988 - 1 BA 32/88 - NJW 1989, 926, 927; Weberling, in: Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl., 21. Kap. Rn. 2; Löffler-Burkhardt, a.a.O., § 4 LPG Rn. 138). Folglich wäre die Staatsan- waltschaft, wenn sie einem Pressevertreter Auskunft über den Namen des Beschuldigten gege- ben hat, bei weiteren Presseanfragen - die nach einer ersten Veröffentlichung häufig zu erwar- ten sind - verpflichtet, den Namen des Beschuldigten jeweils auch nennen. Dies hätte zur Fol- ge, dass der Name des Beschuldigten bei Pressevertretern faktisch allgemein bekannt wäre. Ab- gesehen von der Bekanntmachung des Namens des Beschuldigten durch eine Einstellung der Pressemitteilung auf der Homepage der Staatsanwaltschaft, käme die Namensnennung durch Auskunftserteilung an einzelne Pressevertreter in ihren Auswirkungen auf das geschützte allge- meine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten der Namensnennung in einer allgemeinen Medi- eninformation häufig gleich. Daher haben hierfür dieselben Voraussetzungen zu gelten. 30 2. Der Antrag auf Feststellung der Erledigung der Anträge zu den Fragen a) und d) ist unbegrün- det. Denn Erledigung ist insoweit nicht eingetreten. Diese Fragen der erstinstanzlich bereits an- waltlich vertretenen Antragstellerin waren - anders als das vorgerichtliche Auskunftsbegehren - ausdrücklich darauf gerichtet, ob gegen ... ... ein Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes und des Handels mit Betäubungsmitteln eingeleitet wurde und ob dieser sich bereits zu den Vorwür- fen wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingelassen hat. Aus der Presse- mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 27.03.2017 ergibt sich in keiner Weise, ob sich das dort dargestellte Verfahren gegen ... ... richtet. Dieser Umstand ist rechtlich von entscheidender Be- deutung, da sich die Auskunftserteilung ohne und die mit Namensnennung, wie dargelegt, in ih- ren Voraussetzungen und Folgen unterscheiden. Mangels Namensnennung durch den Antrags- gegner ist der auf Auskunft unter Namensnennung gerichtete Auskunftsanspruch der Antrag- stellerin noch nicht erfüllt mit der Folge, dass keine Erledigung eingetreten ist. 31 Ob sich das in der Pressemitteilung genannte Verfahren gegen ... ... richtet, ergibt sich auch nicht aus dem Umstand der Beiladung von ... ... durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts. Denn der Beiladungsbeschluss beruht nicht auf einer Bestätigung des Namens durch den An- tragsgegner - eine solche Bestätigung liegt nicht vor -, sondern gerade darauf, dass die Antrag- stellerin zum Gegenstand ihres Antrags auf einstweilige Anordnung sechs Fragen zu (etwaigen) Ermittlungen gegen ... ... gemacht hat. Auch das Vorbringen des Antragsgegners im erstinstanz- lichen und im Beschwerdeverfahren ist soweit unergiebig. Aus dem erstinstanzlichen Schriftsatz des Antragsgegners vom 13.04.2017 mit dem Satz „Auskünfte, die die Staatsanwaltschaft N. aufgrund der gebotenen Interessenabwägung geben will, sind in der erfolgten Pressemitteilung enthalten“ lassen sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin gerade keine Rückschlüsse darauf ziehen, gegen wen sich das Verfahren richtet. Auch soweit der Antragsgegner im Schrift- satz vom 22.06.2017 ausführt, das Verwaltungsgericht sei zutreffend in Bezug auf die Frage nach Ermittlungen gegenüber anderen Personen vom Wegfall des Rechtsschutzinteresses aus- - Seite 6 von 8 -
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gegangen, da in der Pressemitteilung vom 27.03.2017 von zwei Personen die Rede sei, die an den angeschuldigten Rechtsanwalt Betäubungsmittel geliefert hätten, liegt darin keine indirek- te Bestätigung, dass sich das Verfahren gegen ... ... richte. Denn dadurch hat der Antragsgegner weiterhin inhaltlich nicht zu der Frage Auskunft gegeben, gegen wen sich das Verfahren richtet. Es handelt sich nur um die prozessuale Verteidigung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Frage e) im Beschwerdeverfahren, ohne dass der Antragsgegner seinen Standpunkt aus dem vorangegangenen Schriftsatz vom 13.06.2017, dass die auf Namensnennung gerichtete Aus- kunft nicht erteilt wurde und die Pressemitteilung keine Namensnennung enthält, aufgegeben hätte. 32 3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu den Fragen b), c), e) und f) ist unbe- gründet. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des be- stehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesent- lich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sog. Sicherungsanordnung). Einstwei- lige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Verhältnissen, um we- sentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Grün- den nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist, dass sowohl ein Anord- nungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch vorliegen. Deren tatsächliche Voraussetzungen müssen zwar nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehen, aber hinreichend wahrscheinlich („glaubhaft“) sein (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). 33 Ein Anordnungsanspruch besteht hinsichtlich der Fragen b), c), e) und f) nicht. Die Antragstel- lerin hat keinen Anspruch auf Auskunft zu den genannten Fragen unter Nennung des Namens des Angeschuldigten oder Bestätigung des von ihr genannten Namens. Aufgrund des geschütz- ten allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Angeschuldigten des Verfahrens, das Gegenstand der Pressemitteilung ist, ist es dem Antragsgegner nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG verwehrt, des- sen Namen zu nennen oder ggfs. zu bestätigen. Dies folgt aus der Gesamtabwägung dieses Per- sönlichkeitsrechts mit dem Informationsinteresse der Presse nach Art. 5 Abs. 1 GG. Das Infor- mationsinteresse der Antragstellerin hat erhebliches Gewicht. Bei dem Tatvorwurf handelt es sich nicht um Bagatellkriminalität. Die berufliche Stellung des Angeschuldigten als Rechtsanwalt lässt ein Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall erwarten. Die Antragstellerin hat sich daher im Verfahren zu Recht auf das Wächteramt der Presse berufen. Ihr Informationsinteresse hat auch deswegen besonderes Gewicht, da eine Auskunft nach § 4 Abs. 1 LPresseG die Antragstellerin in die Lage versetzt, schon erhaltene Informationen zu überprüfen und weitere Recherchen an- zustellen, insbesondere da der Auskunft amtlicher Stellen wie insbesondere der Staatsanwalt- schaft als sog. privilegierter Quelle ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden darf (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschl. v. 09.03.2010 - 1 BvR 1891/05 - NJW-RR 2010, 1195, 1197). Je- doch überwiegt im Hinblick auf die beantragte Auskunft unter Namensnennung das schutzwür- dige private Interesse des Angeschuldigten des Verfahrens, das in der Pressemitteilung darge- stellt ist. Zwar ist Gegenstand der Anklage auch der Vorwurf der Beihilfe zum unerlaubten Han- deltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist in § 29a Nr. 2 BtMG mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr bedroht, so dass es sich insoweit um ein Verbrechen handelt. Wie darge- legt, kommt es insoweit jedoch nicht auf eine schematische Betrachtung, sondern eine konkrete Abwägung aller Umstände des Einzelfalls an. Nach dem Anklagevorwurf besteht hinsichtlich der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge die vor- geworfene Tathandlung darin, dass der Angeschuldigte den Kontakt zwischen seinen beiden Be- täubungsmittellieferanten hergestellt haben soll mit der Folge, dass sich, wie von ihm bezweckt, sodann zwischen diesen Personen eine Lieferbeziehung entwickelt habe, in deren Folge es zu zwei Verkäufen von Betäubungsmitteln, davon in einem Fall ein Verkauf von Ecstasy-Tabletten und Marihuana in nicht geringer Menge gekommen sei. Bei dem Tatvorwurf handelt es sich da- her nicht um einen Fall schwerer Kriminalität. Vielmehr beschränkt sich das Handeltreiben, zu dem der Angeschuldigte Beihilfe geleistet haben soll, auf eine sehr geringfügige Anzahl von Fäl- len. Zudem ermäßigt sich für die angeklagte Beihilfe das Mindestmaß der Freiheitsstrafe von ei- nem Jahr gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB zwingend auf drei Monate. Auch im Zusammenhang mit den weiteren Vorwürfen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge handelt es sich voraussichtlich insgesamt nicht um ein Fall schwerer Kriminalität. Die Tathandlungen zu diesen weiteren Strafvorwürfen bestehen im Erwerb und Besitz von jeweils 10 g Kokain in acht Fällen - Seite 7 von 8 -
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und jeweils 20 g Kokain in sechs weiteren Fällen. Es handelt sich mithin insgesamt um ein sehr begrenztes Tatgeschehen, das das Sicherheitsinteresse der Gesellschaft nicht in erheblicher Weise betrifft. Auch die berufliche Stellung des Angeschuldigten als Rechtsanwalt verleiht dem Fall keine solche Bedeutung, dass eine Namensnennung zulässig wäre. Zwar ist der Rechtsan- walt ein Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Es ist jedoch in keiner Weise erkennbar, dass die Strafvorwürfe inhaltlichen Bezug zu der Ausübung beruflicher Pflichten durch einen Rechtsan- walt haben. Angesichts dessen hat hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeschuldig- ten erhebliches, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an seiner Identität überwiegendes Gewicht. Eine individualisierende Berichterstattung könnte zu einem Ansehensverlust für den Angeschuldigten führen, der möglicherweise nicht wiedergutzumachen wäre und ihn daher in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht empfindlich träfe. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass das Landgericht über die Zulassung der Anklage gegenwärtig noch nicht entschieden hat und daher die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung noch nicht feststeht. 34 Nicht in Betracht kommt, anstelle der beantragten einstweiligen Anordnung zu Auskünften auf die unter Namensnennung gestellten Fragen eine einstweilige Anordnung zu Auskünften in an- onymisierter Form zu erlassen. Daher sind die Anträge vollständig abzulehnen. Aufgrund des durch § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG bezweckten Schutzes auch des allgemeinen Persönlichkeits- rechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG handelt es sich bei der Auskunft unter Namens- nennung im Allgemeinen um ein „aliud“ im Verhältnis zur Auskunft in anonymisierter Form. Denn eine Auskunft unter Namensnennung hat einen in einem wesentlichen Punkt gänzlich an- deren Inhalt als eine Auskunft in anonymisierter Form. Verhielte es sich anders und wäre in ei- nem geltend gemachten Anspruch auf Auskunft unter Namensnennung stets als mit enthalte- nes „Minus“ ein Anspruch auf Auskunft in anonymisierter Form enthalten, wäre es einem Pres- seunternehmen, das mit einem Auskunftsbegehren nach § 4 LPresseG so viele Informationen wie möglich erhalten will, stets anzuraten, eine Auskunft unter Namensnennung zu begehren und durch eine erhaltene Auskunft in anonymisierter Form Rückschlüsse über den Namen des Angeschuldigten zu erhalten. Der durch § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG bezweckte Schutz auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Angeschuldigten nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG drohte damit unterlaufen zu werden. Zudem hat die bereits erstinstanzlich anwaltlich ver- tretene Antragstellerin ausdrücklich Auskunft unter Namensnennung beantragt. Hieran muss sie sich festhalten lassen. 35 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. 36 Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). © juris GmbH - Seite 8 von 8 -
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