Informationsfreiheit gebündelt, verschlagwortet und digitalisiert.

Die Entscheidungsdatenbank setzt Rechtssprechung in den Fokus und ermöglicht fundierte Recherchen zu aktuellen und vergangenen Urteilen und Entscheidungen rundum Informationsfreiheit.

Aktives Presserecht – Argumente für Auskünfte


Oft verweigern Behörden Auskünfte auf Anfragen von Journalist*innen. Sie berufen sich dabei in der Regel auf angebliche Ausnahmen nach den jeweils gültigen Landespressegesetzen. Häufig ist Unwissen der Grund für die Auskunftsverweigerung und nicht böser Wille. Als Teil des Projektes „Fragen und Antworten - Auskunftsrechte kennen und nutzen“, einer Kooperation mit Netzwerk Recherche, stärkt die Entscheidungsdatenbank das Wissen rundum Auskunftsrechte und hilft besser argumentieren zu können. Journalist*innen können für ihre Recherchen wichtige Urteile, Bescheide und Beschlüsse kostenlos im Volltext eingesehen und durchsuchen.

Information

Aktenzeichen
4 V 1330 19
Datum
11. Juli 2019
Gericht
Verwaltungsgericht Bremen
/ 6
PDF herunterladen
Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Az.: 4 V 1330/19 Beschluss In der Verwaltungsrechtssache Antragstellers, Prozessbevollmächtigter: - gegen die Freie Hansestadt Bremen, vertreten durch den Wahlbereichsleiter für den Wahlbereich Bremerhaven, Hinrich-Schmalfeldt-Straße, 27576 Bremerhaven, Antragsgegnerin, Prozessbevollmächtigte: hat das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 4. Kammer - durch Richter Stahnke, Richter Ziemann und Richterin Justus am 11. Juli 2019 beschlossen: Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller. -2-
1

-2- Der      Streitwert    wird       zum       Zwecke        der Kostenberechnung auf 5.000,00 Euro festgesetzt. Gründe I. Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes Einsichtnahme in die Stimmzettel der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft am 26.05.2019 im Wahlbereich Bremerhaven. Der Antragsteller nahm als Kandidat auf der Liste der CDU im Wahlbereich Bremerhaven an der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft am 26.05.2019 teil. Er besetzte den Listenplat     und erhielt         persönliche Stimmen, womit er den Einzug in die Bremische Bürgerschaft verpasste. Der CDU-Kandidat vor ihm auf Listenplatz            zog mit persönlichen Stimmen über die Personenwahl in die Bremische Bürgerschaft ein. Von den 81.372 in der Stadt Bremerhaven Wahlberechtigten beteiligten sich 42.757 Wähler an der Wahl. 41.529 der abgegebenen Stimmzettel wurden als gültig, 1.228 Stimmzettel als ungültig gewertet. Am    13.03.2019    beantragte   der  Antragsteller    beim   „Stadtwahlleiter“   der   Stadt Bremerhaven Akteneinsicht „in die 1.228 ungültigen Stimmzettel zur Bürgerschaftswahl am 26.05.2019 (Stadt Bremerhaven)“. Diesen Antrag lehnte (ausweislich des Briefkopfs) „der Wahlbereichsleiter für den Wahlbereich Bremerhaven / der Stadtwahlleiter“ mit Schreiben vom 19.06.2019 ab. Der Antragsteller hat am 01.07.2019 den vorliegenden Eilantrag gestellt. Er habe den Einzug in die Bürgerschaft über die Personenwahl nur knapp verpasst, wie der Vergleich zu dem CDU-Kandidaten auf dem Listenplatz vor ihm, der über die Personenwahl einen Sitz erhalten habe, zeige. Die knappe Differenz von 144 Stimmen zwischen ihm und dem anderen Kandidaten werde weiter relativiert, da nach dem Wahlsystem für die Bürgerschaftswahl im Land Bremen ein Stimmzettel bis zu fünf Stimmen für einen Kandidaten enthalten könne. Bei einer Neuauszählung im Rahmen der Wahl im Jahr 2015 habe er, der Antragsteller, auch noch 40 Stimmen mehr als die ursprünglich gezählten 832 Stimmen erhalten. Rechne man diese Fehlerquote auf die in diesem Jahr erhaltenen Stimmen hoch, zeige sich, dass die Überprüfung eine hohe Mandatsrelevanz habe. Die Einsicht in die Stimmzettel sei dringlich, da die Frist für einen Einspruch gegen die Wahl vom 26.05.2019 in Kürze ablaufe. -3-
2

-3- Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen. Der Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen habe im Jahr 2016 entschieden, dass es kein Akteneinsichtsrecht in Stimmzettel bei der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft gebe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. II. 1. Der Antrag ist als Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig. Ihm fehlt es insbesondere nicht am Rechtsschutzbedürfnis, soweit der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren Einsicht in sämtliche Stimmzettel begehrt, während er vorgerichtlich lediglich die Einsichtnahme in die als ungültig gewerteten Stimmzettel begehrt hat. Denn der Wahlbereichsleiter hat die Einsichtnahme außergerichtlich mit dem Hinweis abgelehnt, dass ein Recht auf Einsichtnahme in die Stimmzettel der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft nicht bestehe. Diese nicht nur auf ungültige Stimmzettel bezogene Begründung lässt erkennen, dass auch eine Einsicht in die als gültig gewerteten Stimmzettel nicht gewährt worden wäre. Insofern liegt bezogen auf den gesamten     gerichtlichen   Streitgegenstand    ein   streitiges   Rechtsverhältnis   i.S.v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vor und eine Verpflichtung des Antragstellers, einen weiteren Antrag beim Wahlleiter auch auf Einsicht in die gültigen Stimmzettel zu stellen, wäre nach der ersten pauschalen Ablehnung bloße Förmelei, deren Ergebnis bereits im Voraus feststünde. 2. Die Antragsgegnerin ist passivlegitimiert. Über den Antrag auf Einsicht in die Stimmzettel hatte der Wahlbereichsleiter für den Wahlbereich als Behörde des Landes Bremen zu entscheiden (vgl. Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 1 B 135/15 –, Rn. 7, juris). Das Schreiben des Wahlleiters vom 19.06.2019, mit dem das Einsichtsgesuch abgelehnt wurde, trägt zwar die Überschrift    „Seestadt    Bremerhaven“.     Jedoch     finden     sich   daneben    beide Amtsbezeichnungen des Wahlleiters. Die Kammer geht daher davon aus, dass der Wahlbereichsleiter     bei  der   Ablehnung     des  Antrags     in   seiner  Funktion    als Wahlbereichsleiter für den Wahlbereich Bremerhaven handelte. Die Kammer hat das Rubrum demensprechend auf Antrag des Antragstellers berichtigt. 3. Der Antrag ist unbegründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. a. Der Anspruch auf Einsicht in die Stimmzettel ergibt sich nicht aus dem Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Bremen (vom 16.05.2006 -4-
3

-4- (Brem.GBl. S. 263, zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.03.2019 (Brem.GBl. S. 55) – BremIFG). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BremIFG hat jedermann nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Landes, der Gemeinden oder der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts und deren Vereinigungen einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BremIFG gilt das Gesetz auch für sonstige Organe und Einrichtungen des Landes und der Gemeinden, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Die von dem Antragsteller begehrte Einsicht in die Stimmzettel betrifft die Kontrolle der Tätigkeit der Wahlvorstände. Die Tätigkeit von Wahlvorständen ist funktional nicht als Verwaltungstätigkeit    anzusehen.    Wahlvorstände      stellen eine spezifische   Form bürgerschaftlicher   Selbstorganisation    dar.    Das     Wahlgesetz  enthält  spezielle Bestimmungen über ihre Konstituierung (vgl. § 11 BremWahlG). Die Mitglieder von Wahlvorständen, die ihre Tätigkeit ehrenamtlich ausüben (§ 13 Abs. 1 BremWahlG), sind allein dem Gesetz unterworfen, unterliegen also keinen Weisungen. Wahlvorstände werden deshalb als „eine Art Selbstverwaltungsorgan der Aktivbürger“ bezeichnet, woraus die Schlussfolgerung gezogen wird, dass ihre Tätigkeit keine funktionale Verwaltungsqualität besitzt und mithin auch § 1 Abs. 1 BremIFG keine Anwendung findet (zweifelnd bereits: Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 24. August 2011 – 1 B 198/11 –, Rn. 11; a. A. noch VG Bremen, Beschluss vom 05. Juli 2007 – 2 V 1731/07 –, Rn. 9 ff.; offengelassen in: VG Bremen, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 V 1164/15 –, Rn. 13, jeweils juris). b. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus dem Anspruch des Antragstellers auf pflichtgemäße Entscheidung über seinen Antrag auf Einsicht in die Stimmzettel durch den Wahlbereichsleiter (vgl. hierzu: Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 1 B 135/15 –, Rn. 3; Beschluss vom 24. August 2011 – 1 B 198/11 –, Rn. 14 ff., jeweils juris). aa. Der Einsicht Dritter stehen wahlrechtliche Vorschriften und Wahlgrundsätze grundsätzlich nicht entgegen (ausführlich: Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 24. August 2011 – 1 B 198/11 –, Rn. 15 ff.; zweifelnd: Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen, Urteil vom 13. September 2016 – St 2/16 –, Rn. 68, jeweils juris), weshalb der Wahlleiter über einen entsprechenden Antrag nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Sofern der Antragsteller ein -5-
4

-5- berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme geltend machen kann, ist die Einsicht sowohl in die Wahlniederschriften nebst Anlagen als auch in die Stimmzettel in der Regel zu gewähren (Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, a.a.O, Rn. 27; Beschluss vom 16. Juli 2015 – 1 B 135/15 –, Rn. 3, jeweils juris). bb. Die Verweigerung der Einsicht durch den Wahlbereichsleiter lässt vorliegend jedoch Ermessensfehler nicht erkennen. Dem Antragsteller fehlt es an einem berechtigten Interesse für die Einsicht in die Stimmzettel. Der Antragsteller hat im außergerichtlichen und im gerichtlichen Verfahren sein Interesse an der Einsicht darauf gestützt, dass er den Einzug in die Bremische Bürgerschaft im Wege der Personenwahl nur knapp verpasst habe. Die Nachzählung bzw. Überprüfung der Stimmzettel solle der Vorbereitung eines Einspruchs gegen die Wahl zur Einleitung des Wahlprüfungsverfahrens nach § 38 BremWahlG dienen. Dies begründet kein berechtigtes Interesse, da der Antragsteller durch die Einsicht in die Stimmzettel und dem nachfolgend durch das Aufzeigen etwaiger Zählfehler sein Ziel, ein Wahlprüfungsverfahren einzuleiten, nicht erreichen könnte. Der Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen hat in seinem Urteil vom 13.09.2016 (St 2 /16) ausgeführt, dass das bremische Wahlgesetz im Vorfeld des Wahlprüfungsverfahrens durchgeführte Nachzählungen, die nicht von den zuständigen Wahlprüfungsorganen angeordnet worden sind, nicht vorsehe (Rn. 66 ff., juris). Auf durch eine solche „private“ Nachzählung gefundene Zählfehler, auch in mandatsrelevanter Anzahl, könne ein Einspruch nicht gestützt werden, da durch die möglicherweise subjektive Auswahl der gerügten Fehler der Zweck des Wahlprüfungsverfahrens, eine dem Wählerwillen entsprechende Zusammensetzung des Parlaments zu gewährleisten, nicht erreicht werde. Die Zulassung einer potentiellen Vielzahl privater Nachzählungen widerspräche nicht nur dem objektiven Charakter des Wahlprüfungsverfahrens, das als spezielles Rechtsschutzverfahren mit Ausschließlichkeitsanspruch ausgestaltet sei. Hierdurch könne außerdem die Integrität der Wahlunterlagen gefährden werden, was ein im Wege der gerichtlichen Beweisaufnahme im Wahlprüfungsverfahren durchzuführende Nachzählungen unmöglich machen könne (a. a. O., Rn 68). Dem schließt sich die Kammer ausdrücklich an. 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. -6-
5

-6- Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss ist - abgesehen von der Streitwertfestsetzung - die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen statthaft. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieses Beschlusses bei dem Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, (Tag-/Nachtbriefkasten Justizzentrum Am Wall im Eingangsbereich) einzulegen und innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses zu begründen. Die Beschwerde muss von einem Rechtsanwalt oder einem sonst nach § 67 Abs. 4 VwGO zur Vertretung berechtigten Bevollmächtigten eingelegt werden. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, einzureichen. Die Beschwerde muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt oder das Verwaltungsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt hat oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, (Tag-/Nachtbriefkasten Justizzentrum Am Wall im Eingangsbereich) einzulegen. Stahnke                                     Ziemann                                    Justus
6

Das Projekt „Fragen und Antworten - Auskunftsrechte kennen und nutzen“ wird gefördert von: