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Aktives Presserecht – Argumente für Auskünfte


Oft verweigern Behörden Auskünfte auf Anfragen von Journalist*innen. Sie berufen sich dabei in der Regel auf angebliche Ausnahmen nach den jeweils gültigen Landespressegesetzen. Häufig ist Unwissen der Grund für die Auskunftsverweigerung und nicht böser Wille. Als Teil des Projektes „Fragen und Antworten - Auskunftsrechte kennen und nutzen“, einer Kooperation mit Netzwerk Recherche, stärkt die Entscheidungsdatenbank das Wissen rundum Auskunftsrechte und hilft besser argumentieren zu können. Journalist*innen können für ihre Recherchen wichtige Urteile, Bescheide und Beschlüsse kostenlos im Volltext eingesehen und durchsuchen.

Information

Aktenzeichen
5 V 2340 19
Datum
17. Dezember 2019
Gericht
Verwaltungsgericht Bremen
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Der Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen 5 V 2340/19 Beschluss In der Verwaltungsrechtssache – Antragstellerin – Prozessbevollmächtigte: gegen die Freie Hansestadt Bremen, vertreten durch die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, Contrescarpe 72, 28195 Bremen – Antragsgegnerin – Prozessbevollmächtigte: beigeladen: hat das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 5. Kammer - durch die Richterinnen Dr. Jörgensen, Dr. Koch und Dr. Zsinka am 17. Dezember 2019 beschlossen: Der Antrag wird abgelehnt.
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2 Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt. Der Streitwert wird zum Zwecke der Kostenberechnung auf 5.000 € festgesetzt. Gründe I. Die Antragstellerin wendet sich gegen die (beabsichtigte) Informationserteilung an den Beigeladenen nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG). Sie betreibt in Bremen ein Restaurant unter der Marke                               r“. Mit E-Mail vom 24.01.2019 beantragte der Beigeladene über die von foodwatch e.V. und FragDenStaat (Open Knowledge Foundation e.V.) betriebene Internetplattform „Topf Secret“ (www.topf-secret.de) bei der Antragsgegnerin die Herausgabe folgender Informationen über den Betrieb der Antragstellerin: „1. Wann haben die letzten beiden lebensmittelrechtlichen Betriebsüberprüfungen in fol- gendem Betrieb stattgefunden: 2. Kam es hierbei zu Beanstandungen? Falls ja, beantrage ich hiermit die Herausgabe des entsprechenden Kontrollberichts an mich.“ Zur Einreichung einer Anfrage über die Internetplattform „Topf Secret“ wird ein Restaurant oder ein Lebensmittelbetrieb in einer Straßenkarte ausgewählt oder es wird nach einem konkreten Betrieb gesucht. Im nächsten Schritt trägt der Anfragende seinen Namen und seine E-Mail- sowie Postadresse ein. Die vorformulierte Anfrage wird automatisch per E- Mail an die zuständige Behörde gesandt. Die Anfragenden haben die Möglichkeit, die Informationen auf der Internetplattform zu veröffentlichen. Mit  Schreiben     vom    15.02.2019     wurde  die    Antragstellerin zur  beabsichtigten Informationsgewährung an den Beigeladenen angehört. Mit Bescheid der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz vom 25.04.2019 wurde dem Beigeladenen mitgeteilt, dass ihm der beantragte Zugang zu
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3 Informationen über die Betriebsstätte der Antragstellerin gewährt werde durch Übersendung der Kontrollberichte des Lebensmittelüberwachungs-, Tierschutz- und Veterinärdienstes des Landes Bremen nach Ablauf des 13.05.2019, sofern die Antragstellerin nicht von ihrem Recht Gebrauch mache, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Gegen den Bescheid vom 25.04.2019 hatte die Antragstellerin am 07.05.2019 Klage erhoben und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Nach einem gerichtlichen   Hinweis,  dass    die   Senatorin   für Wissenschaft,     Gesundheit   und Verbraucherschutz nicht die für den Erlass des Bescheides sachlich zuständige Behörde sei, sondern der Lebensmittelüberwachungs-, Tierschutz- und Veterinärdienst des Landes Bremen (LMTVet), bei dem die betreffenden Informationen vorhanden seien, hob die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz den Bescheid vom 25.04.2019 am 20.08.2019 auf. Die Verfahren wurden daraufhin für erledigt erklärt. Der LMTVet teilte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 25.09.2019 mit, dass ihm der beantragte Zugang zu Informationen über die Betriebsstätte der Antragstellerin gewährt werde durch Übersendung der Kontrollberichte nach Ablauf des 11.10.2019, sofern die Antragstellerin nicht von ihrem Recht Gebrauch mache, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Mit Schreiben vom 25.09.2019 wurde der Antragstellerin der gegenüber dem Beigeladenen ergangene Bescheid bekanntgegeben. Dagegen legte sie Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides mit der Begründung, dass mit der Information der Öffentlichkeit eine gravierende Beeinträchtigung ihrer unternehmerischen Grundrechte     einherginge. Im     Falle der Herausgabe der streitgegenständlichen Kontrollberichte an den Beigeladenen würden vollendete Tatsachen geschaffen. Den Antrag lehnte die Antragsgegnerin ab. Die Antragstellerin hat am 11.10.2019 beim Verwaltungsgericht Bremen die Gewährung vorläufigen    Rechtsschutzes     beantragt.   Zur   Begründung     führt  sie  aus,    die Auskunftserteilung verletze sie in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs.1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG. Jedenfalls habe sie ein Recht darauf, dass im Wege staatlichen Handelns ausschließlich schlüssige und verständliche Daten an Dritte weitergegeben würden, die ein zutreffendes Bild zeichneten und nicht geeignet seien, ihren Ruf zu schädigen. Darüber hinaus sei sie in dem durch Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG geschützten Recht auf Vertraulichkeit kommerzieller und betrieblicher Informationen betroffen. Der interne, bilaterale Dialog zwischen ihr und
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4 der lebensmittelrechtlichen Überwachungsbehörde genieße grundsätzlich den Schutz der Vertraulichkeit. Ihr Aussetzungsinteresse überwiege auch deshalb, weil eine einmal gewährte     Information  nicht   mehr     „zurückgeholt“  werden   könne.  Aufgrund    der Antragstellung über die von foodwatch e.V. bereitgestellte Internetplattform „Topf Secret“ drohe eine weltweite und zeitlich nicht eingrenzbare Veröffentlichung der begehrten Auskünfte im Internet, die nicht revidiert werden könne. Das widerspreche der auf eine rein bilaterale Informationsvermittlung zwischen einem privaten Verbraucher und der Überwachungsbehörde          angelegten        Konzeption     des    VIG.    Durch      die Informationsgewährung verliere die Antragsgegnerin endgültig die Hoheit über die Dokumentation amtlicher Feststellungen. Die in den fraglichen Kontrollberichten getroffenen Feststellungen ließen zudem keinen Rückschluss darauf zu, ob „nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG festgestellt worden seien. Es fehle an der Benennung von Anforderungen, gegen die verstoßen worden sei. Darüber hinaus müssten die Informationen ein korrektes und ganzheitliches Bild der betrieblichen Situation ermöglichen. Aus Gründen der Rechtssicherheit bedürfe es eines bestandskräftigen Verwaltungsakts bzw. eines rechtskräftigen Bußgeldbescheids, in dem die Frage der mangelnden Rechtskonformität abschließend geklärt werde. Die Herausgabe der Kontrollberichte sei außerdem unverhältnismäßig und nicht geeignet, den Auskunftsersuchenden sachgerecht zu informieren. Amtliche Kontrollberichte würden nicht zur Veröffentlichung, sondern zur Dokumentation von Feststellungen im Rahmen amtlicher Kontrollen angefertigt. Die Inhalte seien für ein Fachpublikum vorgesehen. Die Weitergabe skizzenhafter Dokumentationen ließe eine eigenständige und sachgerechte Bewertung der betrieblichen Situation durch den in der Regel lebensmittelrechtlichen Laien nicht zu. Angemessen sei allenfalls eine Informationsvermittlung, die dem tatsächlichen privaten Informationsinteresse des privaten Auskunftssuchenden Rechnung trage, beispielsweise durch ein persönliches Gespräch der Behörde mit dem Verbraucher. Eine Pflicht zur Veröffentlichung relevanter Hygieneverstöße     und   sonstiger    lebensmittelrechtlicher  Abweichungen    durch   die zuständigen Behörden bestehe bereits aufgrund der Vorschrift des § 40 Abs. 1a Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB); die Verbraucherplattform „Topf Secret“ werde nicht benötigt. Lediglich wenn die in den Kontrollberichten dokumentierten amtlichen Feststellungen die Information der Öffentlichkeit durch die Behörden im Sinne von § 40 Abs. 1a LFGB rechtfertigen würden, käme eine Herausgabe der Kontrollberichte in Betracht. Die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 21.03.2018 (1 BvF1/13) zur Verfassungskonformität von § 40 Abs. 1a LFGB aufgestellten Maßstäbe – insbesondere die zeitliche Befristung der Information („Löschungsfrist“) – müssten auch für eine Informationserteilung nach dem VIG gelten. Art und Umfang der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs seien darüber hinaus offensichtlich rechtsmissbräuchlich. Die von den
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5 genannten Nichtregierungsorganisationen bereitgestellte Infrastruktur zur massenhaften Generierung von Anträgen nach dem VIG diene allein der eigenen Kampagnenführung, hinter ihr stehe kein echtes Informationsinteresse eines Verbrauchers. Der Antrag des Beigeladenen hätte auf Grund der massenhaft über die Internetplattform „Topf Secret“ gestellten Anträge nach dem VIG gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 4 VIG abgelehnt werden müssen. Mit der Gewährung der begehrten Informationen erfolge ferner eine unzulässige Übertragung von hoheitlichen Handlungsbefugnissen auf private Stellen. Dies verstoße gegen das in Art. 20 GG verankerte Demokratieprinzip. Bei der Veröffentlichung behördlicherseits getroffener Feststellungen handele es sich um eine kraft Gesetzes dem Staat zugewiesene Aufgabe, die nur unter den Voraussetzungen von §§ 40 Abs. 1a LFGB, 6 Abs. 1 Satz 3 VIG erfolge. Das VIG stelle keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage dar, um privaten Stellen die letztverbindliche Hoheit über die unbefristete und uneingeschränkte Verbreitung von amtlichen Feststellungen einzuräumen. In Bezug auf die Auslegung des VIG seien zahlreiche Rechtsfragen offen. Die gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 1 VwGO spreche bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens dafür, dem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuzumessen. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei begründet, da es sich bei der Anfrage über die Internetplattform „Topf Secret“ um einen Fall des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG handele, bei dem die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels nicht ausgeschlossen sei. Bei den Kontrollberichten     handele      es   sich    um   die      Auswertung     von     amtlichen „Überwachungsmaßnahmen“ im Rahmen der Lebensmittelkontrolle, hingegen nicht um festgestellte „nicht zulässige Abweichungen von den Anforderungen“ des LFGB oder des Produktsicherheitsgesetzes. Auch der äußerst hilfsweise gestellte Antrag sei begründet. Sofern die Antragsgegnerin die anfragende Person nicht unter Zwangsgeldandrohung darauf hinweise, dass die Veröffentlichung der Kontrollberichte auf der Internetplattform „Topf Secret“ nicht rechtens sei, stelle dies einen Eingriff in ihren durch Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten, eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung des von ihr am 04.10.2019 erhobenen Widerspruchs gegen den Auskunftsbescheid der Antragsgegnerin vom 25.09.2019 anzuordnen, hilfsweise festzustellen, dass ihr Widerspruch vom 04.10.2019 gegen den Auskunftsbescheid      der   Antragsgegnerin        vom     25.09.2019 aufschiebende Wirkung hat, äußerst hilfsweise
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6 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Beigeladenen die Kontrollberichte bzw. die darin enthaltenen Informationen nicht oder nur verbunden mit der Untersagung der Veröffentlichung unter Zwangsgeldandrohung zu übersenden. Die Antragsgegnerin beantragt (vom Gericht zusammengefasst), die Anträge abzulehnen. Rechtsgrundlage für die Gewährung des Informationszugangs sei § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Die im Rahmen der Betriebskontrollen festgestellten Mängel verstießen gegen lebensmittelhygienische Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 und somit gegen einen    unmittelbar  geltenden     Rechtsakt   der   Europäischen    Gemeinschaft      im Anwendungsbereich des Lebensmittelrechts (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c) VIG). „Nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen“ seien konkrete Rechtsverstöße; vom Informationszugang umfasst seien auch die behördlichen Reaktionen darauf. Der Begriff der „Überwachungsmaßnahmen“ in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG habe hingegen keinen Bezug zu einem konkreten Einzelfall. Die in den Kontrollberichten aufgeführten Beanstandungen seien von der zuständigen Behörde festgestellt worden. Die Berichte würden neben einer Auflistung von Beanstandungen auch rechtliche Subsumtionen der Kontrollergebnisse beinhalten. Dies ergebe sich insbesondere aus den aufgeführten Handlungsanweisungen, die eine fachliche und rechtliche Bewertung der festgestellten Mängel voraussetzten. Die Benennung der verletzten Vorschriften sei nicht erforderlich und würde die Anforderungen an die Feststellung i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VIG überspannen. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 29.08.2019 – 7 C 29.17 – ausgesprochen, dass eine nicht zulässige Abweichung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG nicht durch Verwaltungsakt festgestellt werden müsse. Ausreichend sei, dass die zuständige Behörde die Abweichung unter Würdigung des Sachverhalts und der einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend aktenkundig festgestellt habe. Das VIG untersage weiterhin nicht die Veröffentlichung über ein Online-Portal. Sie habe dem Auskunftsersuchenden       im    Rahmen    einer    gebundenen     Entscheidung      einen Informationszugang      zu     gewähren,    sofern    gesetzliche   Ausschluss-       oder Beschränkungsgründe nicht vorlägen. Eine Rechtsgrundlage zur Regelung der weiteren Verwendung der überlassenen Daten sehe das VIG nicht vor. Die Verhinderung einer Veröffentlichung über das Internet stelle keinen Grund für die Ablehnung des Auskunftsantrags dar. § 6 Abs. 1 Satz 3 VIG regele vielmehr, dass informationspflichtige Stellen Informationen auch über das Internet öffentlich zugänglich machen könnten. Sinn und Zweck des VIG sei es, die Informationsrechte der Verbraucher als wesentlichen
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7 Baustein einer modernen Verbraucherpolitik zu stärken. Es entspreche dem Leitbild eines mündigen Verbrauchers, diesem die bei der Behörde vorhandenen Daten ungefiltert zugänglich zu machen. Missbräuchlich gestellte Anträge seien zwar nach § 4 Abs. 4 VIG abzulehnen, die Antragstellerin könne sich auf diese Regelung jedoch nicht berufen. Die Regelung bezwecke lediglich den Schutz einer funktionierenden Verwaltung, dem von der Verbraucherinformation betroffenen Lebensmittelunternehmer vermittle sie hingegen kein subjektives Abwehrrecht. Der Antrag auf Herausgabe von Informationen hätte nicht gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 4 VIG abgelehnt werden müssen. Durch die Bearbeitung des Antrags sowie der seit Mitte Januar gestellten gleichlautenden Anträge weiterer Auskunftssuchender sehe sie sich nicht in der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben beeinträchtigt. Im Übrigen sei die Norm des § 4 Abs. 3 Nr. 4 VIG bereits auf Grund ihrer Einschränkung durch das Wort „soweit“ restriktiv auszulegen. Der Ablehnungsgrund sei lediglich bei Ausforschungs- und Globalanfragen zu Zwecken, die mit dem VIG nicht vereinbar seien, gegeben. Der gestellte Auskunftsantrag widerspreche zudem nicht offensichtlich dem Gesetzeszweck des VIG. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sei das Auskunftsbegehren selbst und nicht, ob die Organisation foodwatch e.V. auf ihrer Internetplattform eigene Ziele verfolge. Die durch das VIG bereitgestellten Instrumente der Informationsgewährung aufgrund von antragsabhängigen Auskunftsansprüchen einerseits und der Befugnis zur Information der Öffentlichkeit von Amts wegen andererseits würden selbstständig neben den Instrumenten der behördlichen Produktwarnung nach § 40 Abs. 1a LFGB stehen. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber neben § 40 Abs. 1a LFGB auch die Möglichkeit der Veröffentlichung im Internet durch den privaten Auskunftsersuchenden habe zulassen wollen, insbesondere, weil einer privaten Veröffentlichung eine geringere Wirkung auf das Marktgeschehen zukomme. § 5 Abs. 4 S. 1 VIG sei nicht verfassungswidrig. In § 5 Abs. 4 S. 2 VIG seien Sicherungsmaßnahmen für den einstweiligen Rechtsschutz eines Dritten vorgesehen. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und der Gerichtsakte Bezug genommen. II. Der Antrag hat keinen Erfolg. 1. Der Antrag ist statthaft und zulässig.
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8 a) Er ist nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 2 Nr. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft. Der von der Antragstellerin erhobene Widerspruch gegen den an den Beigeladenen gerichteten Bescheid vom 25.09.2019 hat gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG keine aufschiebende Wirkung, weil der Beigeladene einen Antrag auf Informationszugang nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG gestellt hat, nicht jedoch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG (a. A.: VG Stade, Beschl . v. 01.04.2019 – 6 B 380/19 –, juris). Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG hat jeder nach Maßgabe des VIG Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über Überwachungsmaßnahmen oder andere behördliche Tätigkeiten oder Maßnahmen zum Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern einschließlich der Auswertungen dieser Tätigkeiten und Maßnahmen (…), die bei einer Stelle im Sinne des Absatzes 2 unabhängig von der Art ihrer Speicherung vorhanden sind. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG regelt damit nur allgemeine, vom Einzelfall losgelöste Sachverhalte (Heinicke in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, beck-online, Stand November 2018, § 2 Rn. 56). Konkrete Rechtsverstöße und die behördliche Reaktion hierauf sind unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG zu subsumieren (ebenso zur Vorgängerregelung: VG Wiesbaden, Urt. v. 12.07.2012 – 1 K 910/11.WI –, juris Rn. 16). Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wurde vom Gesetzgeber ausdrücklich für die Einzelauskünfte    vorgesehen,    um    Verzögerungen       der    Auskunftserteilung durch Rechtsbehelfe betroffener Unternehmen einzudämmen (BT-Drs. 17/7374, S. 18). Ein solcher Fall der Einzelauskunft liegt hier vor (s. ausführlich unter 2. b) cc)). b) Die Antragstellerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Adressat des angegriffenen Bescheides ist zwar nicht sie, sondern der Beigeladene, jedoch kann die Antragstellerin als Drittbetroffene geltend machen, durch die Auskunftserteilung möglicherweise in ihren Rechten verletzt zu sein. Es ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass die Auskunftserteilung sie in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG oder ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG jeweils i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2018 – 1 BvF 1/13 –, juris Rn. 26; BayVGH, Urt. v. 16.02.2017 – 20 BV 15.2208 –, juris Rn. 19 m.w.N.). Darüber hinaus sieht § 3 Satz 1 Nr. 2 VIG auch den Schutz privater Belange vor. Hiernach entfällt der Anspruch auf Informationsgewährung, wenn die dort abschließend aufgezählten Belange berührt werden (ausführlich zum Kreis der Anspruchsberechtigten: BVerwG, Urt. v. 29.08.2019 – 7 C 29.17 –, juris Rn. 11). 2. Der Antrag ist unbegründet. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wobei es eine eigene Abwägungsentscheidung trifft. Hierbei
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9 ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Maßgebliches Kriterium bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt grundsätzlich     das    private   Aussetzungsinteresse   das    gegenläufige   öffentliche Vollziehungsinteresse. Stellt sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig dar, bedarf es in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung durch die Behörde angeordnet wurde, auch bei Vorliegen eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung. Lässt sich hingegen bei summarischer Überprüfung eine Offensichtlichkeitsbeurteilung nicht treffen, kommt es entscheidend auf eine Abwägung zwischen den für eine sofortige Vollziehung sprechenden Interessen einerseits und dem Interesse des Betroffenen an einer Aussetzung der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren andererseits an. Bei der Abwägung fällt der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker ins Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Exekutive Unabänderliches bewirkt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.05.2015 – 2 BvR 869/15 –, juris Rn. 12). Geltung und Inhalt dieser Leitlinien sind nicht davon abhängig, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsaktes einer gesetzlichen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entspringt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 –, juris Rn. 19). Allerdings ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO zu beachten, dass der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 –, juris Rn. 21). Hat sich schon der Gesetzgeber für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte - neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten    Fall   von    der   gesetzgeberischen   Grundentscheidung    ausnahmsweise abzuweichen ist (BVerfG, ebd., juris Rn. 22). Gerade für Fälle wie den vorliegenden hat sich der Gesetzgeber mit der Frage der sofortigen Vollziehung auseinandergesetzt. Aus § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG ergibt sich, dass bei Informationen über unzulässige Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG dem Interesse der Öffentlichkeit an einer wirksamen, d.h. zeitnahen Information grundsätzlich
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10 der Vorrang gegenüber den privaten Belangen der betroffenen Unternehmen, einstweilen von der Informationsherausgabe verschont zu bleiben, zukommt. Grund für diese mit der Neufassung des VIG 2012 eingeführte Regelung war die erhebliche Kritik in der Öffentlichkeit daran, dass sich die Auskunftserteilung durch Rechtsbehelfe betroffener Unternehmen um teilweise mehr als ein Jahr verzögern konnte. Die erteilten Informationen waren nach einem derart langen Zeitraum für die Verbraucher häufig weitgehend wertlos. Andererseits war zu berücksichtigen, dass Verwaltungshandeln durch Information grundsätzlich irreversibel ist, da eine von der Behörde herausgegebene Information nachträglich nicht mehr "zurückgeholt" werden kann. Bei einer Abwägung dieser widerstreitenden Interessen hielt es der Gesetzgeber für sachgerecht, die sofortige Vollziehbarkeit (lediglich) bei Informationen über Rechtsverstöße im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG gesetzlich anzuordnen, da er für diesen Fall von einem überragenden Interesse der Öffentlichkeit an einer schnellen Information ausging (vgl. BT-Drs. 17/7374, S. 18). Die wirksame, das heißt zeitnahe Information über solche Tatsachen liegt nicht nur im Interesse des konkreten Verbrauchers, sondern auch im öffentlichen Interesse (zur gesetzlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG auch HambOVG, Beschl. v. 06.06.2019, – 20 E 1882/19 –, juris Rn. 20 f.). Vor diesem Hintergrund geht die Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Der angegriffene Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung als formell (a)) und materiell (b)) rechtmäßig. Besondere Umstände des Einzelfalls, die ausnahmsweise das Überwiegen des Aussetzungsinteresses der Antragstellerin begründen könnten, liegen nicht vor (3.). a) Der Bescheid vom 25.09.2019 ist formell rechtmäßig. Der LMTVet des Landes Bremen ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG i.V.m. § 2 Abs. 2 VIG sachlich zuständig für die Informationsgewährung. Auskunft erteilt nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG die Stelle im Sinne des § 2 Abs. 2 VIG, bei der die entsprechenden Informationen „vorhanden“ sind. Dies ist der LMTVet, der die Daten als Vollzugsbehörde auf Grund der Kontrollen erhoben hat und bei dem die relevanten Informationen daher im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG vorhanden sind. Davon geht nunmehr auch die Antragsgegnerin aus. Den früheren Bescheid der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz vom 25.04.2019 auf Informationsgewährung hat sie mit Bescheid vom 20.08.2019 aufgehoben. Auch die Anforderungen an das Verfahren sind gewahrt. Die Antragstellerin, deren rechtliche Interessen durch den Informationszugang berührt werden, ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG am 15.02.2019 angehört worden. Einer erneuten Anhörung durch die Antragsgegnerin bedurfte es gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VIG nicht.
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