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Information
- Aktenzeichen
- 2 K 164.17
- ECLI
ECLI:DE:VGBE:2020:0520.2K164.17.00
- Datum
- 20. Mai 2020
- Gericht
- Verwaltungsgericht Berlin
Tenor
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundeskanzleramts vom 17. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 14. September 2017 verpflichtet, dem Kläger Zugang zu gewähren zu
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der Teilnehmerliste der 72. Kabinettsitzung vom 2. September 2015,
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den Kursivausschnitten zu den Tagesordnungspunkten 4 und 6 des Kabinettprotokolls zur 72. Kabinettsitzung vom 2. September 2015,
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Beginn und Ende sowie Umfang des Protokolls zu den Tagesordnungspunkten 4 und 6 des Kabinettprotokolls zur 72. Kabinettsitzung vom 2. September 2015,
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der Vorlage an die Bundeskanzlerin vom 2. September 2015 (Aktenzeichen 5... ), soweit im Sachverhalt Erläuterungen zu den weiteren regulären Schritten im europäischen Gesetzgebungsprozess enthalten sind,
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dem Vermerk des Bundeskanzleramts vom 4. September 2015 zur Vorbereitung des Koalitionsausschusses am 6. September 2015 (Aktenzeichen 1... ).
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 5/7 und die Beklagte zu 2/7.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Kläger begehrt Zugang zu Informationen im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise im Herbst 2015.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 25. September 2015, ihm auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu allen beim Bundeskanzleramt vorhandenen amtlichen Informationen zu gewähren, auf deren Grundlage die Entscheidung vom 4. September 2015 über die Zustimmung zur Einreise von Flüchtlingen aus Ungarn zur Bereinigung einer akuten Notlage bei gleichzeitiger Fortgeltung des Dubliner Abkommens vorbereitet und getroffen wurde. Das Bundeskanzleramt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. Dezember 2015 mit der Begründung ab, im Aktenbestand des Bundeskanzleramts könnten keine einschlägigen Dokumente oder Informationen im Sinne des Antrags des Klägers aufgefunden werden. Seine hiergegen gerichteten Klagen zu den Aktenzeichen V...und V...hat der Kläger im August 2016 und April 2017 zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2016, konkretisiert mit Schreiben vom 13. März 2017, beantragte der Kläger, ihm auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu allen beim Bundeskanzleramt vorhandenen amtlichen Informationen aus der Zeit vom 28. August 2015, 0.00 Uhr bis zum 7. September 2015, 24.00 Uhr zu gewähren, die sich auf Fragen der Flüchtlings- bzw. Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedstaaten – insbesondere zur damaligen Situation der Flüchtlinge in Ungarn und zu deren möglicher Einreise in die Bundesrepublik Deutschland – beziehen, und in denen die Wörter „Flüchtling“, „Flüchtlinge“, „Migrant“, „Migrantin“, „Migranten“, „Migrantinnen“, „Einwanderer“, „Einwanderin“, „Einwanderinnen“, „Asylant“, „Asylantin“, „Asylanten“, „Asylantinnen“, „Asylbewerber“, „Asylbewerberin“, „Asylbewerberinnen“, „Balkanroute“, „Balkan-Route“, „Grenze“, „Grenzübertritt“, „Grenzkontrolle“, „Einreise“, „Einwanderung“ oder „Dublin III“ vorkommen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid des Bundeskanzleramts vom 17. Mai 2017 ab und führte zur Begründung aus, dem Antrag stehe die Bestandskraft des Bescheids vom 8. Dezember 2015 entgegen. Sein erneuter Antrag diene offensichtlich dem Ziel, die Aussage zu überprüfen, dass zur Entscheidung vom 4. September 2015 keine amtlichen Informationen im Bundeskanzleramt vorhanden seien. Damit habe der erneute Antrag denselben Streitgegenstand wie sein bestandskräftig abgelehnter Antrag. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 14. Juni 2017 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2017 zurück. Selbst wenn die Behauptung des Klägers zuträfe, sein erneuter Antrag diene nicht der Überprüfung des Bescheids vom 8. Dezember 2015, sei dieser unzulässig, weil er nicht auf Zugang zu konkret bestimmbaren Informationen gerichtet sei.
Der Kläger hat am 26. September 2017 die vorliegende Klage erhoben. In Folge eines gerichtlichen Hinweises zur Zulässigkeit der Klage hat die Beklagte sieben Dokumente ermittelt, die vom Antrag des Klägers auf Informationszugang erfasst werden.
Zur Begründung der Klage trägt der Kläger vor: Die Beklagte werde bei ihren Ausführungen zu den von ihr geltend gemachten Ausschlussgründen kaum konkret; sie erschöpften sich weitgehend in abstrakten Ausführungen zur Rechtslage. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, weshalb die Gewährung von Zugang zu den von ihm begehrten Informationen nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben könnte.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich zuletzt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2017 zu verpflichten, ihm Zugang zu allen beim Bundeskanzleramt vorhandenen amtlichen Informationen aus der Zeit vom 28. August 2015, 0.00 Uhr bis zum 7. September 2015, 24.00 Uhr zu gewähren, die sich auf Fragen der Flüchtlings- bzw. Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedstaaten – insbesondere zur damaligen Situation der Flüchtlinge in Ungarn und zu deren möglicher Einreise in die Bundesrepublik Deutschland – beziehen, und in denen die Wörter „Flüchtling“, „Flüchtlinge“, „Migrant“, „Migrantin“, „Migranten“, „Migrantinnen“, „Einwanderer“, „Einwanderin“, „Einwanderinnen“, „Asylant“, „Asylantin“, „Asylanten“, „Asylantinnen“, „Asylbewerber“, „Asylbewerberin“, „Asylbewerberinnen“, „Balkanroute“, „Balkan-Route“, „Grenze“, „Grenzübertritt“, „Grenzkontrolle“, „Einreise“, „Einwanderung“ oder „Dublin III“ vorkommen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre Bescheide vom 17. Mai und 14. September 2017. Hilfsweise führt sie aus, dem Zugang zum Kabinettprotokoll der 72. Sitzung vom 2. September 2015 (Dokument 1) stünden der Schutz innerbehördlicher Beratungen sowie seine Einstufung als Verschlusssache VS-Geheim entgegen. Seine Bekanntgabe verletze den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Die Offenlegung einer Vorlage an die Bundeskanzlerin vom 2. September 2015, die ihrer Vorabinformation über die Pläne der Europäischen Kommission über die Erstellung einer EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten diente (Dokument 2), werde durch den Schutz der notwendigen Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen und innerbehördlicher Beratungen ausgeschlossen. Die als Anlage beigefügte „Asylgeschäftsstatistik für den Monat Juli 2015“ sei ebenso wie die gemeinsame Stellungnahme der Visegrad-Staaten vom 4. September 2015 (Dokument 3) und der FAZ-Artikel „Frieden kann man nicht essen“ vom 2. September 2015 (Dokument 4) öffentlich zugänglich. Das Dokument 5 beinhalte einen Vermerk über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem schweizerischen Regierungschef anlässlich eines offiziellen Besuchs in der Schweiz und sei als VS-NfD eingestuft. Seine Bekanntgabe könne nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben. Die Dokumente 6 und 7 beträfen jeweils einen Vermerk vom 4. September 2015 zur Vorbereitung des Koalitionsausschusses am 6. September 2015. Im Vermerk würden ein möglicher gesetzlicher Änderungsbedarf sowie offene Punkte zwischen A- und B-Seite dargestellt. Dem Informationszugang stehe der Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung entgegen.
Mit Beschluss vom 18. Mai 2020 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten und die beigezogenen Gerichtsakten V...und V...verwiesen; diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung über die Klage (§101 Abs.2 VwGO).
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2018 ist rechtswidrig, soweit er den Informationszugang zu den aus dem Tenor ersichtlichen Dokumenten ablehnt, und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er hat einen Anspruch auf Zugang zu diesen Unterlagen (§113 Abs.5 Satz1 VwGO). Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
I. Der Zulässigkeit der Klage steht weder die von der Beklagten geltende gemachte Unbestimmtheit des Klageantrags (dazu 1) noch die Bestandskraft des vorangegangenen Bescheids des Bundeskanzleramts vom 8. Dezember 2015 entgegen (dazu 2).
- Dem Bestimmtheitserfordernis des §82 Abs.1 Satz1 und 2 VwGO ist Rechnung getragen, wenn das Ziel der Klage aus der Klageerhebung, der Klagebegründung oder den im Verfahren abgegebenen Erklärungen hinreichend erkennbar ist. Der Gedanke, wonach ein unbezifferter Klageantrag zulässig ist, wenn die Unmöglichkeit, den Klageantrag hinreichend zu bestimmen, durch außerhalb der Klägersphäre liegende Umstände verursacht ist, ist grundsätzlich auch auf den Informationszugangsanspruch zu übertragen. Der Annahme hinreichender Bestimmtheit des Antrags steht nach allgemeiner Auffassung nicht entgegen, dass der Antragsteller eines Informationszugangsantrags die begehrten Informationen nicht im Einzelnen benennen, sondern nur die Verwaltungsvorgänge bezeichnen kann, auf die sich sein Informationsbegehren bezieht. Es reicht daher grundsätzlich, wenn der Antragsteller seinen Antrag in einem ersten Schritt darauf richtet davon Kenntnis zu erlangen, dass und welche Informationen vorliegen, von deren Inhalt er sodann in einem zweiten Schritt im Wege der Akteneinsicht oder Auskunftserteilung Kenntnis erlangen kann. Für den ersten Schritt genügt es, wenn der Antragsteller dafür die Verwaltungsvorgänge bezeichnet, auf die sein Zugangsbegehren gerichtet ist (vgl. zum UIG: BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 2019 – BVerwG 6 A 2.17 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Gemessen hieran ist der von der Beklagten beanstandete Antrag hinreichend bestimmt. Er bezieht sich auf bestimmtes Thema in einem eng begrenzten Zeitraum. Anhand des von dem Kläger formulierten Themas der Flüchtlings- und Asylpolitik der Bundesrepublik, der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedstaaten und den von ihm benannten Schlagwörtern war es der Beklagten auch möglich, in ihrem Aktenbestand sieben Dokumente zu ermitteln. Einer weiteren Konkretisierung auf einen bestimmten Lebenssachverhalt – wie von der Beklagten im Widerspruchsbescheid gefordert – bedurfte es daher nicht.
- Voraussetzung für das Vorliegen des von der Beklagten geltend gemachten Prozesshindernisses ist die Identität der Streitgegenstände. Sie kommt in Betracht, wenn unter Berufung auf denselben Lebenssachverhalt im Kern dasselbe Rechtsschutzziel wie im Vorprozess angestrebt wird, mag auch die Fassung der Anträge variieren (vgl. Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, §121 Rn. 21 m.w.N.). Eine Identität der Streitgegenstände liegt hinsichtlich der von der Beklagten im Klageverfahren ermittelten Dokumente nicht vor. Der Bescheid vom 8. Dezember 2015 bezog sich auf den Antrag des Klägers vom 25. September 2015, ihm auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu allen beim Bundeskanzleramt vorhandenen amtlichen Informationen zu gewähren, auf deren Grundlage die Entscheidung vom 4. September 2015 über die Zustimmung zur Einreise von Flüchtlingen aus Ungarn zur Bereinigung einer akuten Notlage bei gleichzeitiger Fortgeltung des Dubliner Abkommens vorbereitet und getroffen wurde. Die Beklagte hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, im Aktenbestand hätten keine einschlägigen Dokumente oder Informationen im Sinne des Antrags aufgefunden werden können.
II. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist §1 Abs.1 Satz1 des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG). Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Die Voraussetzungen des §1 Abs.1 Satz1 IFG liegen vor. Der Kläger ist als natürliche Person „jeder“ und damit anspruchsberechtigt. Das Bundeskanzleramt ist eine Behörde des Bundes. Bei den von der Beklagten ermittelten sieben Dokumenten handelt es sich um amtliche Informationen im Sinne des §2 Nr.1 Satz1 IFG, denn sie dienen amtlichen Zwecken des Bundeskanzleramts. Die Beklagte beruft sich jedoch überwiegend mit Erfolg auf Ausschlussgründe.
- Das Kabinettprotokoll der 72. Sitzung vom 2. September 2015 (Dokument 1) besteht aus dem eigentlichen Protokoll und zwei Anlagen, nämlich einer Liste mit den in der Sitzung ohne Aussprache beschlossenen Kabinettvorlagen (sog. TOP-1-Liste) sowie einer Liste mit den kursiv gedruckten Teilen des Kurzprotokolls (sog. Kursivausschnitte), die die Beratungsergebnisse der Kabinettsitzung wiedergeben. Das eigentliche Protokoll enthält neben formalen Angaben eine Liste der Teilnehmer mit Namen und Funktionsbezeichnungen, die Tagesordnung und eine Darstellung des Verlaufs der Kabinettsitzung zu den einzelnen Tagesordnungspunkten (sog. Verlaufsprotokoll). Es ist – ohne die beiden Anlagen – als Verschlusssache (VS-Geheim) eingestuft. Von dem klägerischen Antrag werden nach den unbestrittenen Angaben der Beklagten die Tagesordnungspunkte 4 („Entwurf einer weiterentwickelten Demografiestrategie der Bundesregierung „Jedes Alter zählt – Für mehr Wohlstand und Lebensqualität aller Generationen““) und 6 (europarechtliche Fragen) erfasst.
Ein Anspruch des Klägers ist hinsichtlich des Verlaufsprotokolls (dazu a) ausgeschlossen, während ihm Zugang zu der Teilnehmerliste zu gewähren ist (dazu b). Die Beklagte verweigert darüber hinaus zu Unrecht auch Angaben über Beginn und Ende der Tagesordnungspunkte 4 und 6 und ihres Umfangs im Kabinettprotokoll (dazu c) sowie zu den sog. Kursivausschnitten zu den beiden Tagesordnungspunkten (dazu d).
a) Nach §3 Nr.3 Buchst. b IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es Zweck dieser Regelung, die „notwendige Vertraulichkeit“ behördlicher Beratungen zu wahren. Dem Schutz der Beratung unterfällt nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung als solcher; ausgenommen sind das Beratungsergebnis und der Beratungsgegenstand (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – BVerwG 7 C 19.17 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Der Versagungsgrund des §3 Nr.3 Buchst. b IFG verwirklicht – soweit seine tatbestandlichen Voraussetzungen reichen – einfachgesetzlich auch den verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung; der Gesetzgeber erkennt ihn als ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Ausschlussgrund gegenüber einem Informationszugang des Bürgers an, um zu verhindern, dass der Schutz der Regierung, den diese im Verhältnis der Verfassungsorgane genießt, unterlaufen wird (BT-Drs. 15/4493 S.12). Der aus dem Gewaltenteilungsprinzip folgende Schutz eines nicht ausforschbaren exekutiven Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereichs dient der Wahrung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung. Zu diesem Bereich gehört die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht (vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 2 BvE 5/11 – BVerfGE 137, 185 Rn. 136 f. m.w.N.). Dieser funktionsbezogene Schutz bezieht sich in erster Linie auf laufende Verfahren, bei denen im Falle der Kenntnisnahme Dritter ein Einfluss auf die anstehende Entscheidung im Sinne eines „Mitregierens Dritter“ möglich wäre. Er ist hierauf jedoch nicht beschränkt. Nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles kann es Konstellationen geben, in denen auch der Zugang zu Unterlagen über abgeschlossene Vorgänge zu versagen ist. Bei abgeschlossenen Vorgängen fällt als funktioneller Belang nicht mehr die Entscheidungsautonomie der Regierung ins Gewicht, sondern vor allem die Freiheit und Offenheit der Willensbildung innerhalb der Regierung, die durch „einengende Vorwirkungen“ einer nachträglichen Publizität beeinträchtigt werden kann. Unter diesem Aspekt sind Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen, die Aufschluss über den Prozess der Willensbildung geben, umso schutzwürdiger, je näher sie der gubernativen Entscheidung stehen (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 18 m.w.N.).
§3 Nr.3 Buchst. b IFG ist, wie der Verzicht auf eine Abwägungsklausel zeigt, als absoluter Ausschlussgrund ausgestaltet. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, ist der Informationszugang zwingend ausgeschlossen; für eine Relativierung des öffentlichen Belangs durch eine Abwägung mit einem gegenläufigen Interesse an der Offenbarung der begehrten amtlichen Informationen ist kein Raum (vgl. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Vorb §§3 bis 6 Rn. 53). Dies schließt es aus, im Rahmen von §3 Nr.3 Buchst. b IFG unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbereichsschutz eine Interessenabwägung vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 19 f.).
Die Darlegungslast für das Vorliegen des Ausschlussgrundes des §3 Nr.3 Buchst. b IFG liegt bei der informationspflichtigen Behörde. Sie muss Tatsachen vorbringen, aus denen sich nachvollziehbar eine Beeinträchtigung des Schutzgutes ergeben kann, und darlegen, dass nachteilige Auswirkungen auf den (künftigen) behördlichen Entscheidungsprozess zu erwarten sind. Entsprechendes gilt für den Einwand, der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung stehe einer Offenlegung von Unterlagen entgegen. Während bei laufenden Vorgängen grundsätzlich der Hinweis auf die in dieser Situation gebotene Wahrung der Entscheidungsautonomie der Regierung genügt, kommt es bei abgeschlossenen Vorgängen zu einer Umkehr der Argumentationslast, die mit pauschalen Verweisen nicht erfüllt wird. Vielmehr muss nachvollziehbar dargelegt werden, aus welchem Grund die angeforderten Unterlagen dem exekutiven Kernbereich zuzuordnen sind und warum sie selbst nach Abschluss des Vorgangs nicht herausgegeben werden können. Die Begründungsanforderungen richten sich auch nach der Nähe der Unterlagen zum innersten Bereich der Willensbildung der Bundesregierung (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 23 m.w.N.).
Daran gemessen hat die Beklagte nachvollziehbar dargetan, dass bei einem Zugang des Klägers zum Verlaufsprotokoll wegen einengender Vorwirkungen eine konkrete und ernsthafte Gefährdung des Beratungsprozesses im Kabinett und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung wahrscheinlich sind. Dies folgt nach dem maßgeblichen Kriterium der Nähe zur gubernativen Entscheidung bereits daraus, dass der Antrag auf den „Kernbereich des Kernbereichs“ zielt. Die Kabinettsitzung ist der genuine Raum der Bundesregierung für Beratungen. Deren in §22 Abs.3 Satz1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg) vom 11. Mai 1951 (GMBl S.137), zuletzt geändert durch Beschluss vom 22. Oktober 2002 (GMBl S.848), bestimmte Vertraulichkeit ist eine wesentliche Rahmenbedingung für die Funktionsfähigkeit der Regierung. Sie garantiert und schützt einen unbefangenen und freien Meinungsaustausch der Kabinettsmitglieder. Dazu gehört auch die Möglichkeit, vorläufige und noch nicht ausgereifte oder pointierte Argumente in die Entscheidungsfindung einzubringen, die wegen anderer Überzeugungen oder mit Rücksicht auf eine Konsensfindung wieder verworfen werden. Die im Verlaufsprotokoll vermerkten Wortbeiträge dokumentieren diesen Beratungsvorgang und Entscheidungsprozess im Kabinett. Vor diesem Hintergrund ist evident, dass eine Offenlegung des Verlaufsprotokolls die Funktionsfähigkeit der Regierung beeinträchtigen kann, weil die Kabinettsmitglieder sich nicht mehr offen und unbefangen äußern würden, wenn sie damit rechnen müssten, dass das Verlaufsprotokoll nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens öffentlich zugänglich wäre. Für die Schutzwürdigkeit des Verlaufsprotokolls kommt es weder auf den konkreten Beratungsgegenstand bzw. dessen politische Brisanz noch – vorbehaltlich archivrechtlicher Fristen – den Zeitablauf seit der Beschlussfassung durch das Kabinett oder die fehlende Schutzwürdigkeit der Kabinettsmitglieder als „exponierte Spitzenpolitiker“ an. Ebenso wenig relevant ist die personelle Teilkontinuität (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 24 f.).
b) Nach §3 Nr.4 IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang unter anderem dann nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift oder durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht unterliegt. §3 Nr.4 IFG überlässt als Rezeptionsnorm den besonderen Geheimnisschutz den in Bezug genommenen Spezialvorschriften. Was nach diesen Vorschriften geheim gehalten werden muss, bleibt auch unter der Geltung des Informationsfreiheitsgesetzes geheim (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2016 – BVerwG 7 C 3.15 – juris Rn. 14). Eine solche bereichsspezifische Vertraulichkeitspflicht ergibt sich hier weder aus §22 Abs.3 GOBReg noch aus der Einstufung der Teilnehmerliste als Verschlusssache (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 29 ff.).
c) Die Beklagte begründet ihre Weigerung, die Angaben über Beginn und Ende der Sitzung, den Beginn der einzelnen Tagesordnungspunkte und den Umfang des Protokolls offenzulegen, damit, dass sie Rückschlüsse darauf ermöglichten, ob die Beratungen eher konsensual oder kontrovers verliefen und ob es Wortmeldungen gab oder nicht. Daraus könnten fälschliche Rückschlüsse über das von der Bundesregierung den einzelnen Vorhaben zugemessene Gewicht gezogen werden. Schließlich könnten die Zeitangaben auf Intensität sowie Art und Weise der Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung hindeuten. Das Bekanntwerden von Hinweisen auf Zeit und Umfang sei geeignet, Spekulationen über den Inhalt der Beratungen und die Beratungsatmosphäre geradezu herauszufordern. Dies würde die Beratungen innerhalb der Bundesregierung wesentlich erschweren. Es bestünde die Gefahr, dass die Beratungen nicht auf das nach inhaltlichen Gesichtspunkten sachlich angemessene und notwendige Maß beschränkt, sondern künftig (auch) unter dem Aspekt einer möglichst großen Öffentlichkeitswirksamkeit geführt würden.
Diese Darlegungen der Beklagten genügen nicht, um den von ihr geltend gemachten Ausschlussgrund des §3 Nr.3 Buchst. b IFG annehmen zu können. Ohne Kenntnis des Inhalts der Beratungen auf der Grundlage des Verlaufsprotokolls wären die von der Beklagten angeführten vermeintlichen Rückschlüsse rein spekulativ. Die Annahme, bei Offenlegung der Angaben über Beginn und Ende der Sitzung, den Beginn der einzelnen Tagesordnungspunkte und den Umfang des Protokolls bestünde die Gefahr, dass Beratungen künftig (auch) unter dem Aspekt einer möglichst großen Öffentlichkeitswirksamkeit geführt würden, ist fernliegend.
d) Die Kursivausschnitte, die lediglich das Beratungsergebnis widergeben, sind nicht von §3 Nr.3 Buchst. b IFG geschützt. Die Beklagte hat hierauf bezogen auch keinen Ausschlussgrund geltend gemacht.
- Die Vorlage an die Bundeskanzlerin vom 2. September 2015 (Dokument 2) diente nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten der Vorabinformation der Bundeskanzlerin über die Pläne der Europäischen Kommission, eine EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten zu erstellen. Sie besteht aus zwei Seiten, enthält als Anlage die Asylgeschäftsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für den Monat Juli 2015 (S.2 des BAMF-Monatsberichts vom 9. August 2015) und gliedert sich in Votum, Sachverhalt und Bewertung. Das Votum enthält eine Empfehlung der Fachebene. Der Sachverhalt besteht aus vier Abschnitten mit insgesamt 21 Zeilen. Dort wird nach dem Vortrag der Beklagten dargestellt, dass die Europäische Kommission entsprechend den Vorgaben des Europäischen Rats vom Juni 2016 zeitnah gedenkt, einen Verordnungsvorschlag über eine Liste sicherer Herkunftsstaaten vorzulegen. Eine Woche vor der Veröffentlichung der Initiative werden interne Überlegungen dazu angestellt, welchen geographischen Zuschnitt der Kommissionsvorschlag möglicherweise haben könnte. Erläutert werden sodann die weiteren regulären Schritte im europäischen Gesetzgebungsprozess. Basierend auf der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlichten Asylstatistik vom Juli 2015 in der Anlage werden die zehn wichtigsten Herkunftsländer der Asylantragsteller von Januar bis Juli 2015 im Verhältnis zu den Anerkennungsquoten dargestellt. Die Bewertung besteht aus drei Abschnitten mit insgesamt 18 Zeilen. In ihr werden Möglichkeiten erörtert, wie sich die Bundesregierung bei den Beratungen über den Lösungsvorschlag positionieren könnte.
Der Anspruch des Klägers auf Zugang zu dem Votum, der Bewertung und weiten Teilen des Sachverhalts ist ausgeschlossen (dazu a). Die Beklagte kann sich dagegen hinsichtlich der im Sachverhalt enthaltenen Erläuterungen der weiteren regulären Schritte im europäischen Gesetzgebungsprozess nicht mit Erfolg auf Ausschlussgründe berufen (dazu b). Zu Recht hat sie die Offenlegung der Anlage „Asylgeschäftsstatistik für den Monat Juli 2015“ abgelehnt (dazu c).
a) Der Anspruch auf Informationszugang besteht gem. §3 Nr.3 Buchst. a IFG nicht, wenn und solange die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen beeinträchtigt wird. Nach der amtlichen Begründung (BT-Drs. 15/4493 S.10) soll diese Bestimmung die internationale Verhandlungsfähigkeit der Bundesregierung sicherstellen. Bei europäischen und internationalen Verhandlungen müsse die Bundesregierung in der Lage sein, deutsche Interessen so wirksam wie möglich zu vertreten und flexibel auf unvorhersehbare Verhandlungsabläufe zu reagieren. Zu diesem Zweck sei es in der Praxis oft notwendig, mehrere Verhandlungslinien aufzubauen und Rückfallpositionen zu erarbeiten. Würden entsprechende Informationen im Vorfeld bekannt, könne dies die Verhandlungsposition der Bundesregierung schwächen. Geschützt werden soll somit gerade nicht der Verhandlungsgegenstand etwa mit dem Ziel, alle an Verhandlungen beteiligten Parteien gleichermaßen vor der Möglichkeit öffentlicher Einflussnahme zu bewahren, sondern geschützt werden soll die Position der Bundesrepublik mit dem Ziel, dass diese ihre Interessen und Ziele möglichst effektiv vertreten kann. Dazu zählt, wie aus dem Begriff „Rückfallposition“ deutlich wird, auch die Möglichkeit, Informationen nicht von Anfang an offenzulegen, sondern sie je nach Bedarf später in die Verhandlungen einspeisen zu können. Wenn auch der Wortlaut der amtlichen Begründung damit vordergründig nur auf das vorläufige Zurückhalten von Informationen abstellt, rechtfertigt es der bezweckte Schutz der gesamten Verhandlungsposition gleichwohl, ein Zurückhalten von Informationen auf Dauer als geschützt anzusehen (VG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2015 – VG 2 K 247.12 – juris Rn. 24).
Der Schutz aus internationalen Verhandlungen herauszuhaltender Informationen durch §3 Nr.3 Buchst. a IFG scheitert nicht daran, dass wie bei der Parallelvorschrift des §3 Nr.3 Buchst. b IFG nur der eigentliche Vorgang der Entscheidungsfindung, d.h. die Besprechung, Beratschlagung und Abwägung, mithin der eigentliche Vorgang des Überlegens, nicht jedoch die Tatsachengrundlagen und die Grundlagen der Willensbildung, geschützt wäre (vgl. dazu VG Berlin, Urteil vom 9. Juni 2011 – VG 2 K 46.11 – juris Rn. 22). Während dort vor allem die offene Meinungsbildung und ein freier Meinungsaustausch im Beratungsvorgang geschützt werden soll (BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2011 – BVerwG 7 B 14.11 – juris Rn. 5), bezieht sich der Schutz hier gerade darauf, wie die Bundesrepublik in internationale Verhandlungen hineingeht, also auch auf das Vorbereiten der Verhandlungsstrategie (VG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2015, a.a.O., juris Rn. 25).
Das Gericht ist in der Prüfung, ob dieser Ausschlussgrund vorliegt, grundsätzlich nicht beschränkt. Anders als im Falle des Ausschlussgrundes des §3 Nr.1 Buchst. a IFG - nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen - ist es hier nicht gerechtfertigt, der informationspflichtigen Stelle einen Beurteilungsspielraum in der Frage einzuräumen, wann eine Beeinträchtigung vorliegt. Etwas anderes kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn es um die Einschätzung möglicher Haltungen von Verhandlungspartnern bei zukünftigen internationalen Verhandlungen ginge (VG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2015, a.a.O., juris Rn. 26).
Angesichts des gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen freiem Informationszugang und Versagungsgründen obliegt es der Beklagten als anspruchsverpflichtete Behörde, das Vorliegen von Ausnahmen vom Informationszugang darzulegen. Erforderlich ist eine einzelfallbezogene, hinreichend substantiierte und konkrete Darlegung, aus welchen Gründen öffentliche oder private Schutzbelange gemäß §§3 bis 6 IFG dem geltend gemachten Anspruch auf Informationsgewährung entgegenstehen. Hinsichtlich des hier in Rede stehenden Ausschlussgrundes bedarf es einer Prognose, ob das Bekanntwerden der betreffenden Information sich auf die internationale Verhandlung behindernd oder hemmend auswirken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 – BVerwG 7 C 34.17 – juris Rn. 20).
Nach diesen Maßgaben hat die Beklagte hinreichend dargelegt, dass das Votum, die Bewertung und weite Teile des Sachverhalts nicht offenzulegen sind. Dabei kann offenbleiben, ob die internationalen Verhandlungen noch andauern. Eine EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten existiert bis heute nicht. Ein Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erstellung einer gemeinsamen EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten für die Zwecke der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und zur Änderung der Richtlinie 2013/32/EU vom 9. September 2015 wurde am 21. Juni 2019 zurückgezogen (2019/C 210/07). Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass mit dieser Rücknahme die Verhandlungen ihren Abschluss gefunden hätten, genügte der Vortrag der Beklagten den Darlegungsanforderungen der nachteiligen Auswirkungen.
Die Beklagte hat nachvollziehbar ausgeführt, dass die Annahmen des Sachverhalts – in Anbetracht des Zeitpunkts des Verfassens einer Woche vor Vorlage der Verordnungsinitiative durch die Europäische Kommission – auf internen Hypothesen basierten, die sich aus einer Zusammenschau diverser – teils auch vertraulicher – Hinweise und eigenen Überlegungen im Vorbereitungsstadium des Verordnungsvorschlags speisten. Sie hat ergänzend vorgetragen, der Bundesregierung würden in der kritischen Vorbereitungsphase auf eine neue Gesetzesinitiative Informationen und Einflussmöglichkeiten genommen, wäre die Bundesregierung verpflichtet, derlei Überlegungen offenzulegen: Beeinträchtigt würden sowohl die eigenen Vorbereitungen als auch frühzeitige Informations- und Austauschmöglichkeiten mit Dritten. Die Verhandlungsfähigkeit der Bundesregierung wäre auch geschwächt, wenn grundlegende Erwägungen zur Positionierung aus der Bewertung der Vorlage vor Abschluss der Beratungen herausgegeben werden müssten. Zum Zeitpunkt ihres Schriftsatzes vom 5. März 2018 dauerten die Beratungen im Rat der EU über eine mögliche EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten an. Die Verhandlungen auf europäischer Ebene hätten sich schwierig gestaltet, denn das Thema sei sehr umstritten und die Meinungsspanne breit, was auch in der Dauer des Beratungsprozesses zum Ausdruck komme. Die Bundesregierung messe dem Thema hohe Bedeutung zu. Die politische Brisanz zeige sich ferner daran, dass das Thema innenpolitisch höchst umstritten sei. Beispielsweise habe es divergierende Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat für die nationale Einstufung der Westbalkanstaaten gegeben. Ein Bekanntwerden bestimmter Länderschwerpunkte könnte Gegenforderungen anderer Mitgliedstaaten oder der Europäischen Kommission provozieren und die Verständigung mit anderen Mitgliedstaaten erschweren. Ebenso könnte ein Bekanntwerden interner Einstufungen in den jeweiligen Herkunftsstaaten ggf. auch einen kurzfristigen Pull-Effekt auslösen, um einer solchen Regelung zuvorzukommen. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
b) Demgegenüber hat die Beklagte nicht dargelegt, weshalb der Offenlegung der Erläuterungen der weiteren regulären Schritte im europäischen Gesetzgebungsprozess, die sich nach ihrem Vortrag ebenfalls im Sachverhalt der Vorlage finden, der Ausschlussgrund des §3 Nr.3 Buchst. a IFG entgegenstehen sollte.
Ein weitergehender Ausschluss des Informationszugangs ergibt sich auch nicht – wie von der Beklagten geltend gemacht – aus §3 Nr.3 Buchst. b IFG. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein der Umstand, dass ein Dokument sich unmittelbar auf das Vorfeld einer Kabinettentscheidung bezieht, für sich genommen nicht belegt, dass im Falle der nachträglichen Publizität die Funktionsfähigkeit der Regierung gefährdet ist. Vielmehr ist die Kabinettvorlage im Hinblick auf die spätere Entscheidung im Kabinett eine bloße Entscheidungsgrundlage, die grundsätzlich keinen Rückschluss auf den Beratungsvorgang im Kabinett selbst erlaubt. Die politische Willensbildung der Regierung als solche, zu der auch der ressortübergreifende und -interne Abstimmungsprozess gehört, ist nicht umfassend einer nachträglichen Kontrolle entzogen ist, vielmehr bedarf es einer Würdigung der jeweiligen Umstände (BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 - BVerwG 7 C 19.15 - juris Rn. 20 m.w.N.).
c) Die Beklagte hat die Offenlegung der Anlage „Asylgeschäftsstatistik für den Monat Juli 2015“ frei von Rechtsfehlern gem. §9 Abs.3 IFG abgelehnt, weil diese vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlicht wurde und der Kläger sie sich daher in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann. Ermessensfehler sind hierbei nicht ersichtlich.
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Die gemeinsame Stellungnahme der Visegrad-Staaten vom 4. September 2015, die einer E-Mail der Botschaft in Prag vom 4. September 2015 als Anlage beigefügt war (Dokument 3), und der FAZ-Artikel „Frieden kann man nicht essen“ vom 2. September 2015 (Dokument 4) sind online abrufbar. Die Beklagte hat den Informationszugang ebenfalls ermessensfehlerfrei unter Berufung auf §9 Abs.3 IFG abgelehnt.
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Die Beklagte hat den Informationszugang zu dem Vermerk über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem schweizerischen Regierungschef anlässlich eines offiziellen Besuchs in der Schweiz (Dokument 5) zu Recht unter Berufung auf §3 Nr.1 Buchst. a IFG abgelehnt.
Gemäß §3 Nr.1 Buchst. a IFG besteht kein Anspruch auf Informationszugang, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29. Oktober 2009 – BVerwG 7 C 22.08 – juris), der die Kammer folgt, schützt der Ausschlussgrund des §3 Nr.1 Buchst. a IFG die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland und das diplomatische Vertrauensverhältnis zu ausländischen Staaten sowie zu zwischen- und überstaatlichen Organisationen, etwa der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 15/4493 S.9). Zu den internationalen Beziehungen gehören die Beziehungen der Bundesrepublik zu einem anderen ausländischen Staat. Für die Regelung dieser auswärtigen Beziehungen räumt das Grundgesetz der Bundesregierung einen prinzipiell weit bemessenen Spielraum eigener Gestaltung ein. Innerhalb dieses Spielraums bestimmt die Bundesregierung die außenpolitischen Ziele und die zu ihrer Erreichung verfolgte Strategie (VG Berlin, Urteil vom 18. Juli 2017 – VG 2 K 260.16 – juris Rn. 26).
Welche Ziele die Bundesregierung mit Hilfe welcher Strategie verfolgen will, entzieht sich mangels hierfür bestehender rechtlicher Kriterien weithin einer gerichtlichen Kontrolle. Ob ein Nachteil für die Beziehungen der Bundesrepublik zu einem auswärtigen Staat eintreten kann, hängt wiederum davon ab, welche außenpolitischen Ziele die Bundesrepublik im Verhältnis zu diesem Staat verfolgt. Nur mit Blick auf diese Ziele und die insoweit verfolgte außenpolitische Strategie kann die Frage beantwortet werden, ob sich die Bekanntgabe von Informationen auf die auswärtigen Belange nachteilig auswirken kann. Nachteil ist, was den außenpolitischen Zielen und der zu ihrer Erreichung verfolgten außenpolitischen Strategie abträglich ist. Wann eine Auswirkung auf die Beziehungen zu einem ausländischen Staat ein solches Gewicht hat, dass sie in diesem Sinne als Nachteil anzusehen ist, hängt ebenfalls von der Einschätzung der Bundesregierung ab. Nur die Bundesregierung kann bestimmen, ob eine von ihr erwartete oder befürchtete Einwirkung auf die auswärtigen Beziehungen mit Blick auf die insoweit verfolgten Ziele hingenommen werden kann oder vermieden werden soll (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009, a.a.O., juris Rn. 14 f.).
Was den Grad der Gewissheit anlangt, lässt die Vorschrift des §3 Nr.1 Buchst. a IFG damit die Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen ausreichen. Eher fernliegende Befürchtungen scheiden hingegen aus. Der mögliche Eintritt von Nachteilen für die internationalen Beziehungen kann nur Gegenstand einer plausiblen und nachvollziehbaren Prognose sein, die ihrerseits nur in engen Grenzen verwaltungsgerichtlich überprüfbar ist. Ob und wie sich das Bekanntwerden von Informationen auf die außenpolitischen Ziele auswirkt, hängt von auf die Zukunft bezogenen Beurteilungen ab, die notwendig mit einem gewissen Maß an Unsicherheit verbunden sind. Das Gericht kann insoweit nur nachprüfen, ob die Behörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ihre Prognose einleuchtend begründet hat und keine offensichtlich fehlerhafte, insbesondere in sich widersprüchliche Einschätzung getroffen hat (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009, a.a.O., juris Rn. 19 f.).
Nach diesen Maßgaben ist der Informationszugang zu dem Gesprächsvermerk ausgeschlossen. Die Beklagte hat ihren Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Sie hat hierzu ausgeführt, die Versagung sei zur Wahrung der international üblichen Vertraulichkeit über die Inhalte der geführten Gespräche und zur Wahrung der freundschaftlichen Beziehungen mit der Schweiz erfolgt. Eine Offenlegung des Gesprächsvermerks würde die bilateralen Beziehungen zur Schweiz schwer belasten. Es sei internationaler Brauch und werde stets und ohne Ausnahme erwartet, dass die Gesprächsinhalte von Unterredungen zwischen Regierungsvertretern vertraulich behandelt würden. Ohne Wahrung der Vertraulichkeit wäre der offene Austausch der Bundesregierung mit außenpolitischen Partnern künftig nicht mehr möglich. Müssten Gesprächspartner befürchten, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nicht als verlässlicher Gesprächspartner an die international übliche und erwartete Vertraulichkeit hielte, stünde dies unbefangenen Gesprächen und einem offenen Gedankenaustausch entgegen. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
- Die Beklagte kann sich hinsichtlich der Dokumente 6 und 7 nicht mit Erfolg auf den Ausschlussgrund des §3 Nr.3 Buchst. b IFG berufen. Bei diesen Dokumenten handelt es sich um eine interne E-Mail des Bundeskanzleramts, mit der ein Vermerk vom 4. September 2015 zur Vorbereitung des Koalitionsausschusses am 6. September 2015 versandt wurde. Im Vermerk werden nach den unbestrittenen Ausführungen der Beklagten ein möglicher gesetzlicher Änderungsbedarf sowie offene Punkte zwischen A-(SPD-) und B-(Unions-)Seite dargestellt. Er gliedert sich in zwei Abschnitte: „I. Votum“ („Kenntnisnahme“) sowie „II. Sachverhalt und Bewertung“. Abschnitt II. besteht aus elf Unterabschnitten und insgesamt 170 Zeilen. Dort werde detailliert dargestellt, welcher mögliche gesetzliche Änderungsbedarf in der Asyl- und Flüchtlingspolitik gesehen werde, wie die Position der A- und B-Seite bzw. der A- und B-Länder zu den einzelnen Punkten sei und welche Kompromisslinien möglich erscheinen würden. Betrachtet würden zudem (ebenfalls unter Darstellung der A-/B-Positionen) verfassungsrechtliche Fragen, denkbare Maßnahmen auf EU-Ebene und personelle Maßnahmen sowie finanzielle Forderungen.Die Würdigung der Einzelfallumstände (s. II. 2. b) zu Dokument 2) ergibt vorliegend, dass der Vorbereitungsvermerk für den Koalitionsausschuss nicht einer nachträglichen Kontrolle entzogen ist.
Die Beklagte hat ausgeführt, dass es sich bei den Inhalten des Dokuments zum Teil um noch laufende Beratungen, zum Teil um bereits abgeschlossene Vorgänge handelt. Mehrere der in dem Dokument genannten Vorschläge seien bis heute nicht umgesetzt und nach wie vor Teil der aktuellen flüchtlingspolitischen Debatte. Die Verhandlungsfähigkeit des Bundeskanzleramts würde entscheidend geschwächt, wenn seine grundlegenden Einschätzungen zu diesen flüchtlingspolitischen Vorschlägen und möglichen Kompromisslinien offengelegt würden. Zudem würde die Herausgabe – auch soweit sie bereits abgeschlossene Vorgänge betrifft – konkrete Rückschlüsse auf den Willensbildungsprozess der Bundesregierung im Vorfeld des „Asylpakets I“ ermöglichen. Die freie und offene Willensbildung und die Kompromissfindung innerhalb der Bundesregierung wären gefährdet, wenn die Mitglieder der Bundesregierung damit rechnen müssten, dass Positionen und Kompromisslinien zu jedem flüchtlingspolitischen Einzelpunkt öffentlich gemacht würden. Gleiches gelte für die Mitglieder von Landesregierungen, da das Dokument auch divergierende Positionen (und mögliche Kompromisslinien) zwischen Bund und Ländern darstelle.
Dieser Vortrag der Beklagten reicht für die Annahme eines Ablehnungsgrundes nicht aus. Gegen die Einbeziehung in den Schutzbereich des §3 Nr.3 Buchst. b IFG spricht bereits, dass der Koalitionsausschuss nur eine teilweise Personenidentität mit dem Kabinett aufweist, dessen Beratungen dem Informationszugang auch nach Abschluss bestimmter Gesetzgebungsverfahren entzogen sind. Als parteipolitisch besetztes Gremium einer Regierungskoalition besteht er neben Regierungsmitgliedern auch aus Vertretern der Fraktionen sowie der die Regierung tragenden Parteien und lässt somit nicht zwingend Rückschlüsse auf die Beratungen des Kabinetts zu.
Dazu kommt, dass der interne Vermerk des Bundeskanzleramts lediglich der Vorbereitung des Koalitionsausschusses diente und insoweit mit Vorlagen an den Minister im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzgebungsverfahren vergleichbar ist. Bei der gesetzesvorbereitenden Tätigkeit der Regierungsbehörden ist die Wahrscheinlichkeit von negativen Vorwirkungen einer möglichen späteren Publizität nicht ohne Berücksichtigung normativ abgestützter Verhaltenserwartungen an die Beteiligten einzuschätzen. Diesen Erwartungen liegt das Bild einer effizienten und – ungeachtet der Verfolgung politischer Präferenzen – auf die sachangemessene Bewältigung der anstehenden Aufgaben bezogenen Ministerialbürokratie zugrunde, die sich durch profunde Sachkenntnis und legistisches Wissen auszeichnet und beides in die Vorbereitung eines Gesetzesvorhabens einzubringen versteht. Hiernach entspricht es einer ordnungsgemäß agierenden Ministerialverwaltung, komplexe Entscheidungsprozesse schriftlich vorzubereiten und zu dokumentieren, was die Bereitschaft der Mitglieder der Regierung und der Arbeitsebene einschließe, ihre jeweiligen Auffassungen (ab-) zu bilden, auch wenn diese später im Entscheidungsprozess wieder aufgegeben werden. Eine nachträgliche Offenlegung solcher gegebenenfalls kontroverser Erörterungen und Positionierung offenbart dann lediglich einen Ausschnitt aus der Genese eines Gesetzentwurfes, der das Ansehen einer Ministerialverwaltung in einem demokratischen Staat nicht zu beeinträchtigen geeignet ist (BVerwG, Urteil vom 30. März 2017, a.a.O., juris Rn. 18). Danach ist die von der Beklagten geltend gemachte Gefährdung der freien und offenen Willensbildung und der Kompromissfindung innerhalb der Bunderegierung zu pauschal und liefe damit auf eine unzulässige Bereichsausnahme hinaus.
Die Kostenentscheidung beruht auf §155 Abs.1 Satz1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §167 VwGO i.V.m. §708 Nr.11, §711, §709 Satz2 ZPO.
BeschlussDer Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Zugang zu Informationen im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise im Herbst 2015.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 25. September 2015, ihm auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu allen beim Bundeskanzleramt vorhandenen amtlichen Informationen zu gewähren, auf deren Grundlage die Entscheidung vom 4. September 2015 über die Zustimmung zur Einreise von Flüchtlingen aus Ungarn zur Bereinigung einer akuten Notlage bei gleichzeitiger Fortgeltung des Dubliner Abkommens vorbereitet und getroffen wurde. Das Bundeskanzleramt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. Dezember 2015 mit der Begründung ab, im Aktenbestand des Bundeskanzleramts könnten keine einschlägigen Dokumente oder Informationen im Sinne des Antrags des Klägers aufgefunden werden. Seine hiergegen gerichteten Klagen zu den Aktenzeichen V...und V...hat der Kläger im August 2016 und April 2017 zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2016, konkretisiert mit Schreiben vom 13. März 2017, beantragte der Kläger, ihm auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu allen beim Bundeskanzleramt vorhandenen amtlichen Informationen aus der Zeit vom 28. August 2015, 0.00 Uhr bis zum 7. September 2015, 24.00 Uhr zu gewähren, die sich auf Fragen der Flüchtlings- bzw. Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedstaaten – insbesondere zur damaligen Situation der Flüchtlinge in Ungarn und zu deren möglicher Einreise in die Bundesrepublik Deutschland – beziehen, und in denen die Wörter „Flüchtling“, „Flüchtlinge“, „Migrant“, „Migrantin“, „Migranten“, „Migrantinnen“, „Einwanderer“, „Einwanderin“, „Einwanderinnen“, „Asylant“, „Asylantin“, „Asylanten“, „Asylantinnen“, „Asylbewerber“, „Asylbewerberin“, „Asylbewerberinnen“, „Balkanroute“, „Balkan-Route“, „Grenze“, „Grenzübertritt“, „Grenzkontrolle“, „Einreise“, „Einwanderung“ oder „Dublin III“ vorkommen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid des Bundeskanzleramts vom 17. Mai 2017 ab und führte zur Begründung aus, dem Antrag stehe die Bestandskraft des Bescheids vom 8. Dezember 2015 entgegen. Sein erneuter Antrag diene offensichtlich dem Ziel, die Aussage zu überprüfen, dass zur Entscheidung vom 4. September 2015 keine amtlichen Informationen im Bundeskanzleramt vorhanden seien. Damit habe der erneute Antrag denselben Streitgegenstand wie sein bestandskräftig abgelehnter Antrag. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 14. Juni 2017 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2017 zurück. Selbst wenn die Behauptung des Klägers zuträfe, sein erneuter Antrag diene nicht der Überprüfung des Bescheids vom 8. Dezember 2015, sei dieser unzulässig, weil er nicht auf Zugang zu konkret bestimmbaren Informationen gerichtet sei.
Der Kläger hat am 26. September 2017 die vorliegende Klage erhoben. In Folge eines gerichtlichen Hinweises zur Zulässigkeit der Klage hat die Beklagte sieben Dokumente ermittelt, die vom Antrag des Klägers auf Informationszugang erfasst werden.
Zur Begründung der Klage trägt der Kläger vor: Die Beklagte werde bei ihren Ausführungen zu den von ihr geltend gemachten Ausschlussgründen kaum konkret; sie erschöpften sich weitgehend in abstrakten Ausführungen zur Rechtslage. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, weshalb die Gewährung von Zugang zu den von ihm begehrten Informationen nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben könnte.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich zuletzt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2017 zu verpflichten, ihm Zugang zu allen beim Bundeskanzleramt vorhandenen amtlichen Informationen aus der Zeit vom 28. August 2015, 0.00 Uhr bis zum 7. September 2015, 24.00 Uhr zu gewähren, die sich auf Fragen der Flüchtlings- bzw. Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedstaaten – insbesondere zur damaligen Situation der Flüchtlinge in Ungarn und zu deren möglicher Einreise in die Bundesrepublik Deutschland – beziehen, und in denen die Wörter „Flüchtling“, „Flüchtlinge“, „Migrant“, „Migrantin“, „Migranten“, „Migrantinnen“, „Einwanderer“, „Einwanderin“, „Einwanderinnen“, „Asylant“, „Asylantin“, „Asylanten“, „Asylantinnen“, „Asylbewerber“, „Asylbewerberin“, „Asylbewerberinnen“, „Balkanroute“, „Balkan-Route“, „Grenze“, „Grenzübertritt“, „Grenzkontrolle“, „Einreise“, „Einwanderung“ oder „Dublin III“ vorkommen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre Bescheide vom 17. Mai und 14. September 2017. Hilfsweise führt sie aus, dem Zugang zum Kabinettprotokoll der 72. Sitzung vom 2. September 2015 (Dokument 1) stünden der Schutz innerbehördlicher Beratungen sowie seine Einstufung als Verschlusssache VS-Geheim entgegen. Seine Bekanntgabe verletze den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Die Offenlegung einer Vorlage an die Bundeskanzlerin vom 2. September 2015, die ihrer Vorabinformation über die Pläne der Europäischen Kommission über die Erstellung einer EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten diente (Dokument 2), werde durch den Schutz der notwendigen Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen und innerbehördlicher Beratungen ausgeschlossen. Die als Anlage beigefügte „Asylgeschäftsstatistik für den Monat Juli 2015“ sei ebenso wie die gemeinsame Stellungnahme der Visegrad-Staaten vom 4. September 2015 (Dokument 3) und der FAZ-Artikel „Frieden kann man nicht essen“ vom 2. September 2015 (Dokument 4) öffentlich zugänglich. Das Dokument 5 beinhalte einen Vermerk über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem schweizerischen Regierungschef anlässlich eines offiziellen Besuchs in der Schweiz und sei als VS-NfD eingestuft. Seine Bekanntgabe könne nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben. Die Dokumente 6 und 7 beträfen jeweils einen Vermerk vom 4. September 2015 zur Vorbereitung des Koalitionsausschusses am 6. September 2015. Im Vermerk würden ein möglicher gesetzlicher Änderungsbedarf sowie offene Punkte zwischen A- und B-Seite dargestellt. Dem Informationszugang stehe der Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung entgegen.
Mit Beschluss vom 18. Mai 2020 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten und die beigezogenen Gerichtsakten V...und V...verwiesen; diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung über die Klage (§101 Abs.2 VwGO).
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2018 ist rechtswidrig, soweit er den Informationszugang zu den aus dem Tenor ersichtlichen Dokumenten ablehnt, und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er hat einen Anspruch auf Zugang zu diesen Unterlagen (§113 Abs.5 Satz1 VwGO). Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
I. Der Zulässigkeit der Klage steht weder die von der Beklagten geltende gemachte Unbestimmtheit des Klageantrags (dazu 1) noch die Bestandskraft des vorangegangenen Bescheids des Bundeskanzleramts vom 8. Dezember 2015 entgegen (dazu 2).
- Dem Bestimmtheitserfordernis des §82 Abs.1 Satz1 und 2 VwGO ist Rechnung getragen, wenn das Ziel der Klage aus der Klageerhebung, der Klagebegründung oder den im Verfahren abgegebenen Erklärungen hinreichend erkennbar ist. Der Gedanke, wonach ein unbezifferter Klageantrag zulässig ist, wenn die Unmöglichkeit, den Klageantrag hinreichend zu bestimmen, durch außerhalb der Klägersphäre liegende Umstände verursacht ist, ist grundsätzlich auch auf den Informationszugangsanspruch zu übertragen. Der Annahme hinreichender Bestimmtheit des Antrags steht nach allgemeiner Auffassung nicht entgegen, dass der Antragsteller eines Informationszugangsantrags die begehrten Informationen nicht im Einzelnen benennen, sondern nur die Verwaltungsvorgänge bezeichnen kann, auf die sich sein Informationsbegehren bezieht. Es reicht daher grundsätzlich, wenn der Antragsteller seinen Antrag in einem ersten Schritt darauf richtet davon Kenntnis zu erlangen, dass und welche Informationen vorliegen, von deren Inhalt er sodann in einem zweiten Schritt im Wege der Akteneinsicht oder Auskunftserteilung Kenntnis erlangen kann. Für den ersten Schritt genügt es, wenn der Antragsteller dafür die Verwaltungsvorgänge bezeichnet, auf die sein Zugangsbegehren gerichtet ist (vgl. zum UIG: BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 2019 – BVerwG 6 A 2.17 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Gemessen hieran ist der von der Beklagten beanstandete Antrag hinreichend bestimmt. Er bezieht sich auf bestimmtes Thema in einem eng begrenzten Zeitraum. Anhand des von dem Kläger formulierten Themas der Flüchtlings- und Asylpolitik der Bundesrepublik, der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedstaaten und den von ihm benannten Schlagwörtern war es der Beklagten auch möglich, in ihrem Aktenbestand sieben Dokumente zu ermitteln. Einer weiteren Konkretisierung auf einen bestimmten Lebenssachverhalt – wie von der Beklagten im Widerspruchsbescheid gefordert – bedurfte es daher nicht.
- Voraussetzung für das Vorliegen des von der Beklagten geltend gemachten Prozesshindernisses ist die Identität der Streitgegenstände. Sie kommt in Betracht, wenn unter Berufung auf denselben Lebenssachverhalt im Kern dasselbe Rechtsschutzziel wie im Vorprozess angestrebt wird, mag auch die Fassung der Anträge variieren (vgl. Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, §121 Rn. 21 m.w.N.). Eine Identität der Streitgegenstände liegt hinsichtlich der von der Beklagten im Klageverfahren ermittelten Dokumente nicht vor. Der Bescheid vom 8. Dezember 2015 bezog sich auf den Antrag des Klägers vom 25. September 2015, ihm auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu allen beim Bundeskanzleramt vorhandenen amtlichen Informationen zu gewähren, auf deren Grundlage die Entscheidung vom 4. September 2015 über die Zustimmung zur Einreise von Flüchtlingen aus Ungarn zur Bereinigung einer akuten Notlage bei gleichzeitiger Fortgeltung des Dubliner Abkommens vorbereitet und getroffen wurde. Die Beklagte hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, im Aktenbestand hätten keine einschlägigen Dokumente oder Informationen im Sinne des Antrags aufgefunden werden können.
II. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist §1 Abs.1 Satz1 des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG). Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Die Voraussetzungen des §1 Abs.1 Satz1 IFG liegen vor. Der Kläger ist als natürliche Person „jeder“ und damit anspruchsberechtigt. Das Bundeskanzleramt ist eine Behörde des Bundes. Bei den von der Beklagten ermittelten sieben Dokumenten handelt es sich um amtliche Informationen im Sinne des §2 Nr.1 Satz1 IFG, denn sie dienen amtlichen Zwecken des Bundeskanzleramts. Die Beklagte beruft sich jedoch überwiegend mit Erfolg auf Ausschlussgründe.
- Das Kabinettprotokoll der 72. Sitzung vom 2. September 2015 (Dokument 1) besteht aus dem eigentlichen Protokoll und zwei Anlagen, nämlich einer Liste mit den in der Sitzung ohne Aussprache beschlossenen Kabinettvorlagen (sog. TOP-1-Liste) sowie einer Liste mit den kursiv gedruckten Teilen des Kurzprotokolls (sog. Kursivausschnitte), die die Beratungsergebnisse der Kabinettsitzung wiedergeben. Das eigentliche Protokoll enthält neben formalen Angaben eine Liste der Teilnehmer mit Namen und Funktionsbezeichnungen, die Tagesordnung und eine Darstellung des Verlaufs der Kabinettsitzung zu den einzelnen Tagesordnungspunkten (sog. Verlaufsprotokoll). Es ist – ohne die beiden Anlagen – als Verschlusssache (VS-Geheim) eingestuft. Von dem klägerischen Antrag werden nach den unbestrittenen Angaben der Beklagten die Tagesordnungspunkte 4 („Entwurf einer weiterentwickelten Demografiestrategie der Bundesregierung „Jedes Alter zählt – Für mehr Wohlstand und Lebensqualität aller Generationen““) und 6 (europarechtliche Fragen) erfasst.
Ein Anspruch des Klägers ist hinsichtlich des Verlaufsprotokolls (dazu a) ausgeschlossen, während ihm Zugang zu der Teilnehmerliste zu gewähren ist (dazu b). Die Beklagte verweigert darüber hinaus zu Unrecht auch Angaben über Beginn und Ende der Tagesordnungspunkte 4 und 6 und ihres Umfangs im Kabinettprotokoll (dazu c) sowie zu den sog. Kursivausschnitten zu den beiden Tagesordnungspunkten (dazu d).
a) Nach §3 Nr.3 Buchst. b IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es Zweck dieser Regelung, die „notwendige Vertraulichkeit“ behördlicher Beratungen zu wahren. Dem Schutz der Beratung unterfällt nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung als solcher; ausgenommen sind das Beratungsergebnis und der Beratungsgegenstand (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – BVerwG 7 C 19.17 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Der Versagungsgrund des §3 Nr.3 Buchst. b IFG verwirklicht – soweit seine tatbestandlichen Voraussetzungen reichen – einfachgesetzlich auch den verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung; der Gesetzgeber erkennt ihn als ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Ausschlussgrund gegenüber einem Informationszugang des Bürgers an, um zu verhindern, dass der Schutz der Regierung, den diese im Verhältnis der Verfassungsorgane genießt, unterlaufen wird (BT-Drs. 15/4493 S.12). Der aus dem Gewaltenteilungsprinzip folgende Schutz eines nicht ausforschbaren exekutiven Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereichs dient der Wahrung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung. Zu diesem Bereich gehört die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht (vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 2 BvE 5/11 – BVerfGE 137, 185 Rn. 136 f. m.w.N.). Dieser funktionsbezogene Schutz bezieht sich in erster Linie auf laufende Verfahren, bei denen im Falle der Kenntnisnahme Dritter ein Einfluss auf die anstehende Entscheidung im Sinne eines „Mitregierens Dritter“ möglich wäre. Er ist hierauf jedoch nicht beschränkt. Nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles kann es Konstellationen geben, in denen auch der Zugang zu Unterlagen über abgeschlossene Vorgänge zu versagen ist. Bei abgeschlossenen Vorgängen fällt als funktioneller Belang nicht mehr die Entscheidungsautonomie der Regierung ins Gewicht, sondern vor allem die Freiheit und Offenheit der Willensbildung innerhalb der Regierung, die durch „einengende Vorwirkungen“ einer nachträglichen Publizität beeinträchtigt werden kann. Unter diesem Aspekt sind Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen, die Aufschluss über den Prozess der Willensbildung geben, umso schutzwürdiger, je näher sie der gubernativen Entscheidung stehen (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 18 m.w.N.).
§3 Nr.3 Buchst. b IFG ist, wie der Verzicht auf eine Abwägungsklausel zeigt, als absoluter Ausschlussgrund ausgestaltet. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, ist der Informationszugang zwingend ausgeschlossen; für eine Relativierung des öffentlichen Belangs durch eine Abwägung mit einem gegenläufigen Interesse an der Offenbarung der begehrten amtlichen Informationen ist kein Raum (vgl. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Vorb §§3 bis 6 Rn. 53). Dies schließt es aus, im Rahmen von §3 Nr.3 Buchst. b IFG unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbereichsschutz eine Interessenabwägung vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 19 f.).
Die Darlegungslast für das Vorliegen des Ausschlussgrundes des §3 Nr.3 Buchst. b IFG liegt bei der informationspflichtigen Behörde. Sie muss Tatsachen vorbringen, aus denen sich nachvollziehbar eine Beeinträchtigung des Schutzgutes ergeben kann, und darlegen, dass nachteilige Auswirkungen auf den (künftigen) behördlichen Entscheidungsprozess zu erwarten sind. Entsprechendes gilt für den Einwand, der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung stehe einer Offenlegung von Unterlagen entgegen. Während bei laufenden Vorgängen grundsätzlich der Hinweis auf die in dieser Situation gebotene Wahrung der Entscheidungsautonomie der Regierung genügt, kommt es bei abgeschlossenen Vorgängen zu einer Umkehr der Argumentationslast, die mit pauschalen Verweisen nicht erfüllt wird. Vielmehr muss nachvollziehbar dargelegt werden, aus welchem Grund die angeforderten Unterlagen dem exekutiven Kernbereich zuzuordnen sind und warum sie selbst nach Abschluss des Vorgangs nicht herausgegeben werden können. Die Begründungsanforderungen richten sich auch nach der Nähe der Unterlagen zum innersten Bereich der Willensbildung der Bundesregierung (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 23 m.w.N.).
Daran gemessen hat die Beklagte nachvollziehbar dargetan, dass bei einem Zugang des Klägers zum Verlaufsprotokoll wegen einengender Vorwirkungen eine konkrete und ernsthafte Gefährdung des Beratungsprozesses im Kabinett und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung wahrscheinlich sind. Dies folgt nach dem maßgeblichen Kriterium der Nähe zur gubernativen Entscheidung bereits daraus, dass der Antrag auf den „Kernbereich des Kernbereichs“ zielt. Die Kabinettsitzung ist der genuine Raum der Bundesregierung für Beratungen. Deren in §22 Abs.3 Satz1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg) vom 11. Mai 1951 (GMBl S.137), zuletzt geändert durch Beschluss vom 22. Oktober 2002 (GMBl S.848), bestimmte Vertraulichkeit ist eine wesentliche Rahmenbedingung für die Funktionsfähigkeit der Regierung. Sie garantiert und schützt einen unbefangenen und freien Meinungsaustausch der Kabinettsmitglieder. Dazu gehört auch die Möglichkeit, vorläufige und noch nicht ausgereifte oder pointierte Argumente in die Entscheidungsfindung einzubringen, die wegen anderer Überzeugungen oder mit Rücksicht auf eine Konsensfindung wieder verworfen werden. Die im Verlaufsprotokoll vermerkten Wortbeiträge dokumentieren diesen Beratungsvorgang und Entscheidungsprozess im Kabinett. Vor diesem Hintergrund ist evident, dass eine Offenlegung des Verlaufsprotokolls die Funktionsfähigkeit der Regierung beeinträchtigen kann, weil die Kabinettsmitglieder sich nicht mehr offen und unbefangen äußern würden, wenn sie damit rechnen müssten, dass das Verlaufsprotokoll nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens öffentlich zugänglich wäre. Für die Schutzwürdigkeit des Verlaufsprotokolls kommt es weder auf den konkreten Beratungsgegenstand bzw. dessen politische Brisanz noch – vorbehaltlich archivrechtlicher Fristen – den Zeitablauf seit der Beschlussfassung durch das Kabinett oder die fehlende Schutzwürdigkeit der Kabinettsmitglieder als „exponierte Spitzenpolitiker“ an. Ebenso wenig relevant ist die personelle Teilkontinuität (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 24 f.).
b) Nach §3 Nr.4 IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang unter anderem dann nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift oder durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht unterliegt. §3 Nr.4 IFG überlässt als Rezeptionsnorm den besonderen Geheimnisschutz den in Bezug genommenen Spezialvorschriften. Was nach diesen Vorschriften geheim gehalten werden muss, bleibt auch unter der Geltung des Informationsfreiheitsgesetzes geheim (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2016 – BVerwG 7 C 3.15 – juris Rn. 14). Eine solche bereichsspezifische Vertraulichkeitspflicht ergibt sich hier weder aus §22 Abs.3 GOBReg noch aus der Einstufung der Teilnehmerliste als Verschlusssache (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 29 ff.).
c) Die Beklagte begründet ihre Weigerung, die Angaben über Beginn und Ende der Sitzung, den Beginn der einzelnen Tagesordnungspunkte und den Umfang des Protokolls offenzulegen, damit, dass sie Rückschlüsse darauf ermöglichten, ob die Beratungen eher konsensual oder kontrovers verliefen und ob es Wortmeldungen gab oder nicht. Daraus könnten fälschliche Rückschlüsse über das von der Bundesregierung den einzelnen Vorhaben zugemessene Gewicht gezogen werden. Schließlich könnten die Zeitangaben auf Intensität sowie Art und Weise der Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung hindeuten. Das Bekanntwerden von Hinweisen auf Zeit und Umfang sei geeignet, Spekulationen über den Inhalt der Beratungen und die Beratungsatmosphäre geradezu herauszufordern. Dies würde die Beratungen innerhalb der Bundesregierung wesentlich erschweren. Es bestünde die Gefahr, dass die Beratungen nicht auf das nach inhaltlichen Gesichtspunkten sachlich angemessene und notwendige Maß beschränkt, sondern künftig (auch) unter dem Aspekt einer möglichst großen Öffentlichkeitswirksamkeit geführt würden.
Diese Darlegungen der Beklagten genügen nicht, um den von ihr geltend gemachten Ausschlussgrund des §3 Nr.3 Buchst. b IFG annehmen zu können. Ohne Kenntnis des Inhalts der Beratungen auf der Grundlage des Verlaufsprotokolls wären die von der Beklagten angeführten vermeintlichen Rückschlüsse rein spekulativ. Die Annahme, bei Offenlegung der Angaben über Beginn und Ende der Sitzung, den Beginn der einzelnen Tagesordnungspunkte und den Umfang des Protokolls bestünde die Gefahr, dass Beratungen künftig (auch) unter dem Aspekt einer möglichst großen Öffentlichkeitswirksamkeit geführt würden, ist fernliegend.
d) Die Kursivausschnitte, die lediglich das Beratungsergebnis widergeben, sind nicht von §3 Nr.3 Buchst. b IFG geschützt. Die Beklagte hat hierauf bezogen auch keinen Ausschlussgrund geltend gemacht.
- Die Vorlage an die Bundeskanzlerin vom 2. September 2015 (Dokument 2) diente nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten der Vorabinformation der Bundeskanzlerin über die Pläne der Europäischen Kommission, eine EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten zu erstellen. Sie besteht aus zwei Seiten, enthält als Anlage die Asylgeschäftsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für den Monat Juli 2015 (S.2 des BAMF-Monatsberichts vom 9. August 2015) und gliedert sich in Votum, Sachverhalt und Bewertung. Das Votum enthält eine Empfehlung der Fachebene. Der Sachverhalt besteht aus vier Abschnitten mit insgesamt 21 Zeilen. Dort wird nach dem Vortrag der Beklagten dargestellt, dass die Europäische Kommission entsprechend den Vorgaben des Europäischen Rats vom Juni 2016 zeitnah gedenkt, einen Verordnungsvorschlag über eine Liste sicherer Herkunftsstaaten vorzulegen. Eine Woche vor der Veröffentlichung der Initiative werden interne Überlegungen dazu angestellt, welchen geographischen Zuschnitt der Kommissionsvorschlag möglicherweise haben könnte. Erläutert werden sodann die weiteren regulären Schritte im europäischen Gesetzgebungsprozess. Basierend auf der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlichten Asylstatistik vom Juli 2015 in der Anlage werden die zehn wichtigsten Herkunftsländer der Asylantragsteller von Januar bis Juli 2015 im Verhältnis zu den Anerkennungsquoten dargestellt. Die Bewertung besteht aus drei Abschnitten mit insgesamt 18 Zeilen. In ihr werden Möglichkeiten erörtert, wie sich die Bundesregierung bei den Beratungen über den Lösungsvorschlag positionieren könnte.
Der Anspruch des Klägers auf Zugang zu dem Votum, der Bewertung und weiten Teilen des Sachverhalts ist ausgeschlossen (dazu a). Die Beklagte kann sich dagegen hinsichtlich der im Sachverhalt enthaltenen Erläuterungen der weiteren regulären Schritte im europäischen Gesetzgebungsprozess nicht mit Erfolg auf Ausschlussgründe berufen (dazu b). Zu Recht hat sie die Offenlegung der Anlage „Asylgeschäftsstatistik für den Monat Juli 2015“ abgelehnt (dazu c).
a) Der Anspruch auf Informationszugang besteht gem. §3 Nr.3 Buchst. a IFG nicht, wenn und solange die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen beeinträchtigt wird. Nach der amtlichen Begründung (BT-Drs. 15/4493 S.10) soll diese Bestimmung die internationale Verhandlungsfähigkeit der Bundesregierung sicherstellen. Bei europäischen und internationalen Verhandlungen müsse die Bundesregierung in der Lage sein, deutsche Interessen so wirksam wie möglich zu vertreten und flexibel auf unvorhersehbare Verhandlungsabläufe zu reagieren. Zu diesem Zweck sei es in der Praxis oft notwendig, mehrere Verhandlungslinien aufzubauen und Rückfallpositionen zu erarbeiten. Würden entsprechende Informationen im Vorfeld bekannt, könne dies die Verhandlungsposition der Bundesregierung schwächen. Geschützt werden soll somit gerade nicht der Verhandlungsgegenstand etwa mit dem Ziel, alle an Verhandlungen beteiligten Parteien gleichermaßen vor der Möglichkeit öffentlicher Einflussnahme zu bewahren, sondern geschützt werden soll die Position der Bundesrepublik mit dem Ziel, dass diese ihre Interessen und Ziele möglichst effektiv vertreten kann. Dazu zählt, wie aus dem Begriff „Rückfallposition“ deutlich wird, auch die Möglichkeit, Informationen nicht von Anfang an offenzulegen, sondern sie je nach Bedarf später in die Verhandlungen einspeisen zu können. Wenn auch der Wortlaut der amtlichen Begründung damit vordergründig nur auf das vorläufige Zurückhalten von Informationen abstellt, rechtfertigt es der bezweckte Schutz der gesamten Verhandlungsposition gleichwohl, ein Zurückhalten von Informationen auf Dauer als geschützt anzusehen (VG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2015 – VG 2 K 247.12 – juris Rn. 24).
Der Schutz aus internationalen Verhandlungen herauszuhaltender Informationen durch §3 Nr.3 Buchst. a IFG scheitert nicht daran, dass wie bei der Parallelvorschrift des §3 Nr.3 Buchst. b IFG nur der eigentliche Vorgang der Entscheidungsfindung, d.h. die Besprechung, Beratschlagung und Abwägung, mithin der eigentliche Vorgang des Überlegens, nicht jedoch die Tatsachengrundlagen und die Grundlagen der Willensbildung, geschützt wäre (vgl. dazu VG Berlin, Urteil vom 9. Juni 2011 – VG 2 K 46.11 – juris Rn. 22). Während dort vor allem die offene Meinungsbildung und ein freier Meinungsaustausch im Beratungsvorgang geschützt werden soll (BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2011 – BVerwG 7 B 14.11 – juris Rn. 5), bezieht sich der Schutz hier gerade darauf, wie die Bundesrepublik in internationale Verhandlungen hineingeht, also auch auf das Vorbereiten der Verhandlungsstrategie (VG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2015, a.a.O., juris Rn. 25).
Das Gericht ist in der Prüfung, ob dieser Ausschlussgrund vorliegt, grundsätzlich nicht beschränkt. Anders als im Falle des Ausschlussgrundes des §3 Nr.1 Buchst. a IFG - nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen - ist es hier nicht gerechtfertigt, der informationspflichtigen Stelle einen Beurteilungsspielraum in der Frage einzuräumen, wann eine Beeinträchtigung vorliegt. Etwas anderes kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn es um die Einschätzung möglicher Haltungen von Verhandlungspartnern bei zukünftigen internationalen Verhandlungen ginge (VG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2015, a.a.O., juris Rn. 26).
Angesichts des gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen freiem Informationszugang und Versagungsgründen obliegt es der Beklagten als anspruchsverpflichtete Behörde, das Vorliegen von Ausnahmen vom Informationszugang darzulegen. Erforderlich ist eine einzelfallbezogene, hinreichend substantiierte und konkrete Darlegung, aus welchen Gründen öffentliche oder private Schutzbelange gemäß §§3 bis 6 IFG dem geltend gemachten Anspruch auf Informationsgewährung entgegenstehen. Hinsichtlich des hier in Rede stehenden Ausschlussgrundes bedarf es einer Prognose, ob das Bekanntwerden der betreffenden Information sich auf die internationale Verhandlung behindernd oder hemmend auswirken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 – BVerwG 7 C 34.17 – juris Rn. 20).
Nach diesen Maßgaben hat die Beklagte hinreichend dargelegt, dass das Votum, die Bewertung und weite Teile des Sachverhalts nicht offenzulegen sind. Dabei kann offenbleiben, ob die internationalen Verhandlungen noch andauern. Eine EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten existiert bis heute nicht. Ein Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erstellung einer gemeinsamen EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten für die Zwecke der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und zur Änderung der Richtlinie 2013/32/EU vom 9. September 2015 wurde am 21. Juni 2019 zurückgezogen (2019/C 210/07). Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass mit dieser Rücknahme die Verhandlungen ihren Abschluss gefunden hätten, genügte der Vortrag der Beklagten den Darlegungsanforderungen der nachteiligen Auswirkungen.
Die Beklagte hat nachvollziehbar ausgeführt, dass die Annahmen des Sachverhalts – in Anbetracht des Zeitpunkts des Verfassens einer Woche vor Vorlage der Verordnungsinitiative durch die Europäische Kommission – auf internen Hypothesen basierten, die sich aus einer Zusammenschau diverser – teils auch vertraulicher – Hinweise und eigenen Überlegungen im Vorbereitungsstadium des Verordnungsvorschlags speisten. Sie hat ergänzend vorgetragen, der Bundesregierung würden in der kritischen Vorbereitungsphase auf eine neue Gesetzesinitiative Informationen und Einflussmöglichkeiten genommen, wäre die Bundesregierung verpflichtet, derlei Überlegungen offenzulegen: Beeinträchtigt würden sowohl die eigenen Vorbereitungen als auch frühzeitige Informations- und Austauschmöglichkeiten mit Dritten. Die Verhandlungsfähigkeit der Bundesregierung wäre auch geschwächt, wenn grundlegende Erwägungen zur Positionierung aus der Bewertung der Vorlage vor Abschluss der Beratungen herausgegeben werden müssten. Zum Zeitpunkt ihres Schriftsatzes vom 5. März 2018 dauerten die Beratungen im Rat der EU über eine mögliche EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten an. Die Verhandlungen auf europäischer Ebene hätten sich schwierig gestaltet, denn das Thema sei sehr umstritten und die Meinungsspanne breit, was auch in der Dauer des Beratungsprozesses zum Ausdruck komme. Die Bundesregierung messe dem Thema hohe Bedeutung zu. Die politische Brisanz zeige sich ferner daran, dass das Thema innenpolitisch höchst umstritten sei. Beispielsweise habe es divergierende Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat für die nationale Einstufung der Westbalkanstaaten gegeben. Ein Bekanntwerden bestimmter Länderschwerpunkte könnte Gegenforderungen anderer Mitgliedstaaten oder der Europäischen Kommission provozieren und die Verständigung mit anderen Mitgliedstaaten erschweren. Ebenso könnte ein Bekanntwerden interner Einstufungen in den jeweiligen Herkunftsstaaten ggf. auch einen kurzfristigen Pull-Effekt auslösen, um einer solchen Regelung zuvorzukommen. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
b) Demgegenüber hat die Beklagte nicht dargelegt, weshalb der Offenlegung der Erläuterungen der weiteren regulären Schritte im europäischen Gesetzgebungsprozess, die sich nach ihrem Vortrag ebenfalls im Sachverhalt der Vorlage finden, der Ausschlussgrund des §3 Nr.3 Buchst. a IFG entgegenstehen sollte.
Ein weitergehender Ausschluss des Informationszugangs ergibt sich auch nicht – wie von der Beklagten geltend gemacht – aus §3 Nr.3 Buchst. b IFG. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein der Umstand, dass ein Dokument sich unmittelbar auf das Vorfeld einer Kabinettentscheidung bezieht, für sich genommen nicht belegt, dass im Falle der nachträglichen Publizität die Funktionsfähigkeit der Regierung gefährdet ist. Vielmehr ist die Kabinettvorlage im Hinblick auf die spätere Entscheidung im Kabinett eine bloße Entscheidungsgrundlage, die grundsätzlich keinen Rückschluss auf den Beratungsvorgang im Kabinett selbst erlaubt. Die politische Willensbildung der Regierung als solche, zu der auch der ressortübergreifende und -interne Abstimmungsprozess gehört, ist nicht umfassend einer nachträglichen Kontrolle entzogen ist, vielmehr bedarf es einer Würdigung der jeweiligen Umstände (BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 - BVerwG 7 C 19.15 - juris Rn. 20 m.w.N.).
c) Die Beklagte hat die Offenlegung der Anlage „Asylgeschäftsstatistik für den Monat Juli 2015“ frei von Rechtsfehlern gem. §9 Abs.3 IFG abgelehnt, weil diese vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlicht wurde und der Kläger sie sich daher in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann. Ermessensfehler sind hierbei nicht ersichtlich.
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Die gemeinsame Stellungnahme der Visegrad-Staaten vom 4. September 2015, die einer E-Mail der Botschaft in Prag vom 4. September 2015 als Anlage beigefügt war (Dokument 3), und der FAZ-Artikel „Frieden kann man nicht essen“ vom 2. September 2015 (Dokument 4) sind online abrufbar. Die Beklagte hat den Informationszugang ebenfalls ermessensfehlerfrei unter Berufung auf §9 Abs.3 IFG abgelehnt.
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Die Beklagte hat den Informationszugang zu dem Vermerk über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem schweizerischen Regierungschef anlässlich eines offiziellen Besuchs in der Schweiz (Dokument 5) zu Recht unter Berufung auf §3 Nr.1 Buchst. a IFG abgelehnt.
Gemäß §3 Nr.1 Buchst. a IFG besteht kein Anspruch auf Informationszugang, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29. Oktober 2009 – BVerwG 7 C 22.08 – juris), der die Kammer folgt, schützt der Ausschlussgrund des §3 Nr.1 Buchst. a IFG die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland und das diplomatische Vertrauensverhältnis zu ausländischen Staaten sowie zu zwischen- und überstaatlichen Organisationen, etwa der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 15/4493 S.9). Zu den internationalen Beziehungen gehören die Beziehungen der Bundesrepublik zu einem anderen ausländischen Staat. Für die Regelung dieser auswärtigen Beziehungen räumt das Grundgesetz der Bundesregierung einen prinzipiell weit bemessenen Spielraum eigener Gestaltung ein. Innerhalb dieses Spielraums bestimmt die Bundesregierung die außenpolitischen Ziele und die zu ihrer Erreichung verfolgte Strategie (VG Berlin, Urteil vom 18. Juli 2017 – VG 2 K 260.16 – juris Rn. 26).
Welche Ziele die Bundesregierung mit Hilfe welcher Strategie verfolgen will, entzieht sich mangels hierfür bestehender rechtlicher Kriterien weithin einer gerichtlichen Kontrolle. Ob ein Nachteil für die Beziehungen der Bundesrepublik zu einem auswärtigen Staat eintreten kann, hängt wiederum davon ab, welche außenpolitischen Ziele die Bundesrepublik im Verhältnis zu diesem Staat verfolgt. Nur mit Blick auf diese Ziele und die insoweit verfolgte außenpolitische Strategie kann die Frage beantwortet werden, ob sich die Bekanntgabe von Informationen auf die auswärtigen Belange nachteilig auswirken kann. Nachteil ist, was den außenpolitischen Zielen und der zu ihrer Erreichung verfolgten außenpolitischen Strategie abträglich ist. Wann eine Auswirkung auf die Beziehungen zu einem ausländischen Staat ein solches Gewicht hat, dass sie in diesem Sinne als Nachteil anzusehen ist, hängt ebenfalls von der Einschätzung der Bundesregierung ab. Nur die Bundesregierung kann bestimmen, ob eine von ihr erwartete oder befürchtete Einwirkung auf die auswärtigen Beziehungen mit Blick auf die insoweit verfolgten Ziele hingenommen werden kann oder vermieden werden soll (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009, a.a.O., juris Rn. 14 f.).
Was den Grad der Gewissheit anlangt, lässt die Vorschrift des §3 Nr.1 Buchst. a IFG damit die Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen ausreichen. Eher fernliegende Befürchtungen scheiden hingegen aus. Der mögliche Eintritt von Nachteilen für die internationalen Beziehungen kann nur Gegenstand einer plausiblen und nachvollziehbaren Prognose sein, die ihrerseits nur in engen Grenzen verwaltungsgerichtlich überprüfbar ist. Ob und wie sich das Bekanntwerden von Informationen auf die außenpolitischen Ziele auswirkt, hängt von auf die Zukunft bezogenen Beurteilungen ab, die notwendig mit einem gewissen Maß an Unsicherheit verbunden sind. Das Gericht kann insoweit nur nachprüfen, ob die Behörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ihre Prognose einleuchtend begründet hat und keine offensichtlich fehlerhafte, insbesondere in sich widersprüchliche Einschätzung getroffen hat (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009, a.a.O., juris Rn. 19 f.).
Nach diesen Maßgaben ist der Informationszugang zu dem Gesprächsvermerk ausgeschlossen. Die Beklagte hat ihren Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Sie hat hierzu ausgeführt, die Versagung sei zur Wahrung der international üblichen Vertraulichkeit über die Inhalte der geführten Gespräche und zur Wahrung der freundschaftlichen Beziehungen mit der Schweiz erfolgt. Eine Offenlegung des Gesprächsvermerks würde die bilateralen Beziehungen zur Schweiz schwer belasten. Es sei internationaler Brauch und werde stets und ohne Ausnahme erwartet, dass die Gesprächsinhalte von Unterredungen zwischen Regierungsvertretern vertraulich behandelt würden. Ohne Wahrung der Vertraulichkeit wäre der offene Austausch der Bundesregierung mit außenpolitischen Partnern künftig nicht mehr möglich. Müssten Gesprächspartner befürchten, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nicht als verlässlicher Gesprächspartner an die international übliche und erwartete Vertraulichkeit hielte, stünde dies unbefangenen Gesprächen und einem offenen Gedankenaustausch entgegen. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
- Die Beklagte kann sich hinsichtlich der Dokumente 6 und 7 nicht mit Erfolg auf den Ausschlussgrund des §3 Nr.3 Buchst. b IFG berufen. Bei diesen Dokumenten handelt es sich um eine interne E-Mail des Bundeskanzleramts, mit der ein Vermerk vom 4. September 2015 zur Vorbereitung des Koalitionsausschusses am 6. September 2015 versandt wurde. Im Vermerk werden nach den unbestrittenen Ausführungen der Beklagten ein möglicher gesetzlicher Änderungsbedarf sowie offene Punkte zwischen A-(SPD-) und B-(Unions-)Seite dargestellt. Er gliedert sich in zwei Abschnitte: „I. Votum“ („Kenntnisnahme“) sowie „II. Sachverhalt und Bewertung“. Abschnitt II. besteht aus elf Unterabschnitten und insgesamt 170 Zeilen. Dort werde detailliert dargestellt, welcher mögliche gesetzliche Änderungsbedarf in der Asyl- und Flüchtlingspolitik gesehen werde, wie die Position der A- und B-Seite bzw. der A- und B-Länder zu den einzelnen Punkten sei und welche Kompromisslinien möglich erscheinen würden. Betrachtet würden zudem (ebenfalls unter Darstellung der A-/B-Positionen) verfassungsrechtliche Fragen, denkbare Maßnahmen auf EU-Ebene und personelle Maßnahmen sowie finanzielle Forderungen.Die Würdigung der Einzelfallumstände (s. II. 2. b) zu Dokument 2) ergibt vorliegend, dass der Vorbereitungsvermerk für den Koalitionsausschuss nicht einer nachträglichen Kontrolle entzogen ist.
Die Beklagte hat ausgeführt, dass es sich bei den Inhalten des Dokuments zum Teil um noch laufende Beratungen, zum Teil um bereits abgeschlossene Vorgänge handelt. Mehrere der in dem Dokument genannten Vorschläge seien bis heute nicht umgesetzt und nach wie vor Teil der aktuellen flüchtlingspolitischen Debatte. Die Verhandlungsfähigkeit des Bundeskanzleramts würde entscheidend geschwächt, wenn seine grundlegenden Einschätzungen zu diesen flüchtlingspolitischen Vorschlägen und möglichen Kompromisslinien offengelegt würden. Zudem würde die Herausgabe – auch soweit sie bereits abgeschlossene Vorgänge betrifft – konkrete Rückschlüsse auf den Willensbildungsprozess der Bundesregierung im Vorfeld des „Asylpakets I“ ermöglichen. Die freie und offene Willensbildung und die Kompromissfindung innerhalb der Bundesregierung wären gefährdet, wenn die Mitglieder der Bundesregierung damit rechnen müssten, dass Positionen und Kompromisslinien zu jedem flüchtlingspolitischen Einzelpunkt öffentlich gemacht würden. Gleiches gelte für die Mitglieder von Landesregierungen, da das Dokument auch divergierende Positionen (und mögliche Kompromisslinien) zwischen Bund und Ländern darstelle.
Dieser Vortrag der Beklagten reicht für die Annahme eines Ablehnungsgrundes nicht aus. Gegen die Einbeziehung in den Schutzbereich des §3 Nr.3 Buchst. b IFG spricht bereits, dass der Koalitionsausschuss nur eine teilweise Personenidentität mit dem Kabinett aufweist, dessen Beratungen dem Informationszugang auch nach Abschluss bestimmter Gesetzgebungsverfahren entzogen sind. Als parteipolitisch besetztes Gremium einer Regierungskoalition besteht er neben Regierungsmitgliedern auch aus Vertretern der Fraktionen sowie der die Regierung tragenden Parteien und lässt somit nicht zwingend Rückschlüsse auf die Beratungen des Kabinetts zu.
Dazu kommt, dass der interne Vermerk des Bundeskanzleramts lediglich der Vorbereitung des Koalitionsausschusses diente und insoweit mit Vorlagen an den Minister im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzgebungsverfahren vergleichbar ist. Bei der gesetzesvorbereitenden Tätigkeit der Regierungsbehörden ist die Wahrscheinlichkeit von negativen Vorwirkungen einer möglichen späteren Publizität nicht ohne Berücksichtigung normativ abgestützter Verhaltenserwartungen an die Beteiligten einzuschätzen. Diesen Erwartungen liegt das Bild einer effizienten und – ungeachtet der Verfolgung politischer Präferenzen – auf die sachangemessene Bewältigung der anstehenden Aufgaben bezogenen Ministerialbürokratie zugrunde, die sich durch profunde Sachkenntnis und legistisches Wissen auszeichnet und beides in die Vorbereitung eines Gesetzesvorhabens einzubringen versteht. Hiernach entspricht es einer ordnungsgemäß agierenden Ministerialverwaltung, komplexe Entscheidungsprozesse schriftlich vorzubereiten und zu dokumentieren, was die Bereitschaft der Mitglieder der Regierung und der Arbeitsebene einschließe, ihre jeweiligen Auffassungen (ab-) zu bilden, auch wenn diese später im Entscheidungsprozess wieder aufgegeben werden. Eine nachträgliche Offenlegung solcher gegebenenfalls kontroverser Erörterungen und Positionierung offenbart dann lediglich einen Ausschnitt aus der Genese eines Gesetzentwurfes, der das Ansehen einer Ministerialverwaltung in einem demokratischen Staat nicht zu beeinträchtigen geeignet ist (BVerwG, Urteil vom 30. März 2017, a.a.O., juris Rn. 18). Danach ist die von der Beklagten geltend gemachte Gefährdung der freien und offenen Willensbildung und der Kompromissfindung innerhalb der Bunderegierung zu pauschal und liefe damit auf eine unzulässige Bereichsausnahme hinaus.
Die Kostenentscheidung beruht auf §155 Abs.1 Satz1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §167 VwGO i.V.m. §708 Nr.11, §711, §709 Satz2 ZPO.
BeschlussDer Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Entscheidungsgründe
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung über die Klage (§101 Abs.2 VwGO).
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2018 ist rechtswidrig, soweit er den Informationszugang zu den aus dem Tenor ersichtlichen Dokumenten ablehnt, und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er hat einen Anspruch auf Zugang zu diesen Unterlagen (§113 Abs.5 Satz1 VwGO). Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
I. Der Zulässigkeit der Klage steht weder die von der Beklagten geltende gemachte Unbestimmtheit des Klageantrags (dazu 1) noch die Bestandskraft des vorangegangenen Bescheids des Bundeskanzleramts vom 8. Dezember 2015 entgegen (dazu 2).
- Dem Bestimmtheitserfordernis des §82 Abs.1 Satz1 und 2 VwGO ist Rechnung getragen, wenn das Ziel der Klage aus der Klageerhebung, der Klagebegründung oder den im Verfahren abgegebenen Erklärungen hinreichend erkennbar ist. Der Gedanke, wonach ein unbezifferter Klageantrag zulässig ist, wenn die Unmöglichkeit, den Klageantrag hinreichend zu bestimmen, durch außerhalb der Klägersphäre liegende Umstände verursacht ist, ist grundsätzlich auch auf den Informationszugangsanspruch zu übertragen. Der Annahme hinreichender Bestimmtheit des Antrags steht nach allgemeiner Auffassung nicht entgegen, dass der Antragsteller eines Informationszugangsantrags die begehrten Informationen nicht im Einzelnen benennen, sondern nur die Verwaltungsvorgänge bezeichnen kann, auf die sich sein Informationsbegehren bezieht. Es reicht daher grundsätzlich, wenn der Antragsteller seinen Antrag in einem ersten Schritt darauf richtet davon Kenntnis zu erlangen, dass und welche Informationen vorliegen, von deren Inhalt er sodann in einem zweiten Schritt im Wege der Akteneinsicht oder Auskunftserteilung Kenntnis erlangen kann. Für den ersten Schritt genügt es, wenn der Antragsteller dafür die Verwaltungsvorgänge bezeichnet, auf die sein Zugangsbegehren gerichtet ist (vgl. zum UIG: BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 2019 – BVerwG 6 A 2.17 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Gemessen hieran ist der von der Beklagten beanstandete Antrag hinreichend bestimmt. Er bezieht sich auf bestimmtes Thema in einem eng begrenzten Zeitraum. Anhand des von dem Kläger formulierten Themas der Flüchtlings- und Asylpolitik der Bundesrepublik, der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedstaaten und den von ihm benannten Schlagwörtern war es der Beklagten auch möglich, in ihrem Aktenbestand sieben Dokumente zu ermitteln. Einer weiteren Konkretisierung auf einen bestimmten Lebenssachverhalt – wie von der Beklagten im Widerspruchsbescheid gefordert – bedurfte es daher nicht.
- Voraussetzung für das Vorliegen des von der Beklagten geltend gemachten Prozesshindernisses ist die Identität der Streitgegenstände. Sie kommt in Betracht, wenn unter Berufung auf denselben Lebenssachverhalt im Kern dasselbe Rechtsschutzziel wie im Vorprozess angestrebt wird, mag auch die Fassung der Anträge variieren (vgl. Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, §121 Rn. 21 m.w.N.). Eine Identität der Streitgegenstände liegt hinsichtlich der von der Beklagten im Klageverfahren ermittelten Dokumente nicht vor. Der Bescheid vom 8. Dezember 2015 bezog sich auf den Antrag des Klägers vom 25. September 2015, ihm auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu allen beim Bundeskanzleramt vorhandenen amtlichen Informationen zu gewähren, auf deren Grundlage die Entscheidung vom 4. September 2015 über die Zustimmung zur Einreise von Flüchtlingen aus Ungarn zur Bereinigung einer akuten Notlage bei gleichzeitiger Fortgeltung des Dubliner Abkommens vorbereitet und getroffen wurde. Die Beklagte hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, im Aktenbestand hätten keine einschlägigen Dokumente oder Informationen im Sinne des Antrags aufgefunden werden können.
II. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist §1 Abs.1 Satz1 des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG). Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Die Voraussetzungen des §1 Abs.1 Satz1 IFG liegen vor. Der Kläger ist als natürliche Person „jeder“ und damit anspruchsberechtigt. Das Bundeskanzleramt ist eine Behörde des Bundes. Bei den von der Beklagten ermittelten sieben Dokumenten handelt es sich um amtliche Informationen im Sinne des §2 Nr.1 Satz1 IFG, denn sie dienen amtlichen Zwecken des Bundeskanzleramts. Die Beklagte beruft sich jedoch überwiegend mit Erfolg auf Ausschlussgründe.
- Das Kabinettprotokoll der 72. Sitzung vom 2. September 2015 (Dokument 1) besteht aus dem eigentlichen Protokoll und zwei Anlagen, nämlich einer Liste mit den in der Sitzung ohne Aussprache beschlossenen Kabinettvorlagen (sog. TOP-1-Liste) sowie einer Liste mit den kursiv gedruckten Teilen des Kurzprotokolls (sog. Kursivausschnitte), die die Beratungsergebnisse der Kabinettsitzung wiedergeben. Das eigentliche Protokoll enthält neben formalen Angaben eine Liste der Teilnehmer mit Namen und Funktionsbezeichnungen, die Tagesordnung und eine Darstellung des Verlaufs der Kabinettsitzung zu den einzelnen Tagesordnungspunkten (sog. Verlaufsprotokoll). Es ist – ohne die beiden Anlagen – als Verschlusssache (VS-Geheim) eingestuft. Von dem klägerischen Antrag werden nach den unbestrittenen Angaben der Beklagten die Tagesordnungspunkte 4 („Entwurf einer weiterentwickelten Demografiestrategie der Bundesregierung „Jedes Alter zählt – Für mehr Wohlstand und Lebensqualität aller Generationen““) und 6 (europarechtliche Fragen) erfasst.
Ein Anspruch des Klägers ist hinsichtlich des Verlaufsprotokolls (dazu a) ausgeschlossen, während ihm Zugang zu der Teilnehmerliste zu gewähren ist (dazu b). Die Beklagte verweigert darüber hinaus zu Unrecht auch Angaben über Beginn und Ende der Tagesordnungspunkte 4 und 6 und ihres Umfangs im Kabinettprotokoll (dazu c) sowie zu den sog. Kursivausschnitten zu den beiden Tagesordnungspunkten (dazu d).
a) Nach §3 Nr.3 Buchst. b IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es Zweck dieser Regelung, die „notwendige Vertraulichkeit“ behördlicher Beratungen zu wahren. Dem Schutz der Beratung unterfällt nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung als solcher; ausgenommen sind das Beratungsergebnis und der Beratungsgegenstand (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – BVerwG 7 C 19.17 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Der Versagungsgrund des §3 Nr.3 Buchst. b IFG verwirklicht – soweit seine tatbestandlichen Voraussetzungen reichen – einfachgesetzlich auch den verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung; der Gesetzgeber erkennt ihn als ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Ausschlussgrund gegenüber einem Informationszugang des Bürgers an, um zu verhindern, dass der Schutz der Regierung, den diese im Verhältnis der Verfassungsorgane genießt, unterlaufen wird (BT-Drs. 15/4493 S.12). Der aus dem Gewaltenteilungsprinzip folgende Schutz eines nicht ausforschbaren exekutiven Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereichs dient der Wahrung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung. Zu diesem Bereich gehört die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht (vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 2 BvE 5/11 – BVerfGE 137, 185 Rn. 136 f. m.w.N.). Dieser funktionsbezogene Schutz bezieht sich in erster Linie auf laufende Verfahren, bei denen im Falle der Kenntnisnahme Dritter ein Einfluss auf die anstehende Entscheidung im Sinne eines „Mitregierens Dritter“ möglich wäre. Er ist hierauf jedoch nicht beschränkt. Nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles kann es Konstellationen geben, in denen auch der Zugang zu Unterlagen über abgeschlossene Vorgänge zu versagen ist. Bei abgeschlossenen Vorgängen fällt als funktioneller Belang nicht mehr die Entscheidungsautonomie der Regierung ins Gewicht, sondern vor allem die Freiheit und Offenheit der Willensbildung innerhalb der Regierung, die durch „einengende Vorwirkungen“ einer nachträglichen Publizität beeinträchtigt werden kann. Unter diesem Aspekt sind Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen, die Aufschluss über den Prozess der Willensbildung geben, umso schutzwürdiger, je näher sie der gubernativen Entscheidung stehen (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 18 m.w.N.).
§3 Nr.3 Buchst. b IFG ist, wie der Verzicht auf eine Abwägungsklausel zeigt, als absoluter Ausschlussgrund ausgestaltet. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, ist der Informationszugang zwingend ausgeschlossen; für eine Relativierung des öffentlichen Belangs durch eine Abwägung mit einem gegenläufigen Interesse an der Offenbarung der begehrten amtlichen Informationen ist kein Raum (vgl. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Vorb §§3 bis 6 Rn. 53). Dies schließt es aus, im Rahmen von §3 Nr.3 Buchst. b IFG unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbereichsschutz eine Interessenabwägung vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 19 f.).
Die Darlegungslast für das Vorliegen des Ausschlussgrundes des §3 Nr.3 Buchst. b IFG liegt bei der informationspflichtigen Behörde. Sie muss Tatsachen vorbringen, aus denen sich nachvollziehbar eine Beeinträchtigung des Schutzgutes ergeben kann, und darlegen, dass nachteilige Auswirkungen auf den (künftigen) behördlichen Entscheidungsprozess zu erwarten sind. Entsprechendes gilt für den Einwand, der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung stehe einer Offenlegung von Unterlagen entgegen. Während bei laufenden Vorgängen grundsätzlich der Hinweis auf die in dieser Situation gebotene Wahrung der Entscheidungsautonomie der Regierung genügt, kommt es bei abgeschlossenen Vorgängen zu einer Umkehr der Argumentationslast, die mit pauschalen Verweisen nicht erfüllt wird. Vielmehr muss nachvollziehbar dargelegt werden, aus welchem Grund die angeforderten Unterlagen dem exekutiven Kernbereich zuzuordnen sind und warum sie selbst nach Abschluss des Vorgangs nicht herausgegeben werden können. Die Begründungsanforderungen richten sich auch nach der Nähe der Unterlagen zum innersten Bereich der Willensbildung der Bundesregierung (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 23 m.w.N.).
Daran gemessen hat die Beklagte nachvollziehbar dargetan, dass bei einem Zugang des Klägers zum Verlaufsprotokoll wegen einengender Vorwirkungen eine konkrete und ernsthafte Gefährdung des Beratungsprozesses im Kabinett und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung wahrscheinlich sind. Dies folgt nach dem maßgeblichen Kriterium der Nähe zur gubernativen Entscheidung bereits daraus, dass der Antrag auf den „Kernbereich des Kernbereichs“ zielt. Die Kabinettsitzung ist der genuine Raum der Bundesregierung für Beratungen. Deren in §22 Abs.3 Satz1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg) vom 11. Mai 1951 (GMBl S.137), zuletzt geändert durch Beschluss vom 22. Oktober 2002 (GMBl S.848), bestimmte Vertraulichkeit ist eine wesentliche Rahmenbedingung für die Funktionsfähigkeit der Regierung. Sie garantiert und schützt einen unbefangenen und freien Meinungsaustausch der Kabinettsmitglieder. Dazu gehört auch die Möglichkeit, vorläufige und noch nicht ausgereifte oder pointierte Argumente in die Entscheidungsfindung einzubringen, die wegen anderer Überzeugungen oder mit Rücksicht auf eine Konsensfindung wieder verworfen werden. Die im Verlaufsprotokoll vermerkten Wortbeiträge dokumentieren diesen Beratungsvorgang und Entscheidungsprozess im Kabinett. Vor diesem Hintergrund ist evident, dass eine Offenlegung des Verlaufsprotokolls die Funktionsfähigkeit der Regierung beeinträchtigen kann, weil die Kabinettsmitglieder sich nicht mehr offen und unbefangen äußern würden, wenn sie damit rechnen müssten, dass das Verlaufsprotokoll nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens öffentlich zugänglich wäre. Für die Schutzwürdigkeit des Verlaufsprotokolls kommt es weder auf den konkreten Beratungsgegenstand bzw. dessen politische Brisanz noch – vorbehaltlich archivrechtlicher Fristen – den Zeitablauf seit der Beschlussfassung durch das Kabinett oder die fehlende Schutzwürdigkeit der Kabinettsmitglieder als „exponierte Spitzenpolitiker“ an. Ebenso wenig relevant ist die personelle Teilkontinuität (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 24 f.).
b) Nach §3 Nr.4 IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang unter anderem dann nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift oder durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht unterliegt. §3 Nr.4 IFG überlässt als Rezeptionsnorm den besonderen Geheimnisschutz den in Bezug genommenen Spezialvorschriften. Was nach diesen Vorschriften geheim gehalten werden muss, bleibt auch unter der Geltung des Informationsfreiheitsgesetzes geheim (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2016 – BVerwG 7 C 3.15 – juris Rn. 14). Eine solche bereichsspezifische Vertraulichkeitspflicht ergibt sich hier weder aus §22 Abs.3 GOBReg noch aus der Einstufung der Teilnehmerliste als Verschlusssache (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018, a.a.O., juris Rn. 29 ff.).
c) Die Beklagte begründet ihre Weigerung, die Angaben über Beginn und Ende der Sitzung, den Beginn der einzelnen Tagesordnungspunkte und den Umfang des Protokolls offenzulegen, damit, dass sie Rückschlüsse darauf ermöglichten, ob die Beratungen eher konsensual oder kontrovers verliefen und ob es Wortmeldungen gab oder nicht. Daraus könnten fälschliche Rückschlüsse über das von der Bundesregierung den einzelnen Vorhaben zugemessene Gewicht gezogen werden. Schließlich könnten die Zeitangaben auf Intensität sowie Art und Weise der Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung hindeuten. Das Bekanntwerden von Hinweisen auf Zeit und Umfang sei geeignet, Spekulationen über den Inhalt der Beratungen und die Beratungsatmosphäre geradezu herauszufordern. Dies würde die Beratungen innerhalb der Bundesregierung wesentlich erschweren. Es bestünde die Gefahr, dass die Beratungen nicht auf das nach inhaltlichen Gesichtspunkten sachlich angemessene und notwendige Maß beschränkt, sondern künftig (auch) unter dem Aspekt einer möglichst großen Öffentlichkeitswirksamkeit geführt würden.
Diese Darlegungen der Beklagten genügen nicht, um den von ihr geltend gemachten Ausschlussgrund des §3 Nr.3 Buchst. b IFG annehmen zu können. Ohne Kenntnis des Inhalts der Beratungen auf der Grundlage des Verlaufsprotokolls wären die von der Beklagten angeführten vermeintlichen Rückschlüsse rein spekulativ. Die Annahme, bei Offenlegung der Angaben über Beginn und Ende der Sitzung, den Beginn der einzelnen Tagesordnungspunkte und den Umfang des Protokolls bestünde die Gefahr, dass Beratungen künftig (auch) unter dem Aspekt einer möglichst großen Öffentlichkeitswirksamkeit geführt würden, ist fernliegend.
d) Die Kursivausschnitte, die lediglich das Beratungsergebnis widergeben, sind nicht von §3 Nr.3 Buchst. b IFG geschützt. Die Beklagte hat hierauf bezogen auch keinen Ausschlussgrund geltend gemacht.
- Die Vorlage an die Bundeskanzlerin vom 2. September 2015 (Dokument 2) diente nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten der Vorabinformation der Bundeskanzlerin über die Pläne der Europäischen Kommission, eine EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten zu erstellen. Sie besteht aus zwei Seiten, enthält als Anlage die Asylgeschäftsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für den Monat Juli 2015 (S.2 des BAMF-Monatsberichts vom 9. August 2015) und gliedert sich in Votum, Sachverhalt und Bewertung. Das Votum enthält eine Empfehlung der Fachebene. Der Sachverhalt besteht aus vier Abschnitten mit insgesamt 21 Zeilen. Dort wird nach dem Vortrag der Beklagten dargestellt, dass die Europäische Kommission entsprechend den Vorgaben des Europäischen Rats vom Juni 2016 zeitnah gedenkt, einen Verordnungsvorschlag über eine Liste sicherer Herkunftsstaaten vorzulegen. Eine Woche vor der Veröffentlichung der Initiative werden interne Überlegungen dazu angestellt, welchen geographischen Zuschnitt der Kommissionsvorschlag möglicherweise haben könnte. Erläutert werden sodann die weiteren regulären Schritte im europäischen Gesetzgebungsprozess. Basierend auf der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlichten Asylstatistik vom Juli 2015 in der Anlage werden die zehn wichtigsten Herkunftsländer der Asylantragsteller von Januar bis Juli 2015 im Verhältnis zu den Anerkennungsquoten dargestellt. Die Bewertung besteht aus drei Abschnitten mit insgesamt 18 Zeilen. In ihr werden Möglichkeiten erörtert, wie sich die Bundesregierung bei den Beratungen über den Lösungsvorschlag positionieren könnte.
Der Anspruch des Klägers auf Zugang zu dem Votum, der Bewertung und weiten Teilen des Sachverhalts ist ausgeschlossen (dazu a). Die Beklagte kann sich dagegen hinsichtlich der im Sachverhalt enthaltenen Erläuterungen der weiteren regulären Schritte im europäischen Gesetzgebungsprozess nicht mit Erfolg auf Ausschlussgründe berufen (dazu b). Zu Recht hat sie die Offenlegung der Anlage „Asylgeschäftsstatistik für den Monat Juli 2015“ abgelehnt (dazu c).
a) Der Anspruch auf Informationszugang besteht gem. §3 Nr.3 Buchst. a IFG nicht, wenn und solange die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen beeinträchtigt wird. Nach der amtlichen Begründung (BT-Drs. 15/4493 S.10) soll diese Bestimmung die internationale Verhandlungsfähigkeit der Bundesregierung sicherstellen. Bei europäischen und internationalen Verhandlungen müsse die Bundesregierung in der Lage sein, deutsche Interessen so wirksam wie möglich zu vertreten und flexibel auf unvorhersehbare Verhandlungsabläufe zu reagieren. Zu diesem Zweck sei es in der Praxis oft notwendig, mehrere Verhandlungslinien aufzubauen und Rückfallpositionen zu erarbeiten. Würden entsprechende Informationen im Vorfeld bekannt, könne dies die Verhandlungsposition der Bundesregierung schwächen. Geschützt werden soll somit gerade nicht der Verhandlungsgegenstand etwa mit dem Ziel, alle an Verhandlungen beteiligten Parteien gleichermaßen vor der Möglichkeit öffentlicher Einflussnahme zu bewahren, sondern geschützt werden soll die Position der Bundesrepublik mit dem Ziel, dass diese ihre Interessen und Ziele möglichst effektiv vertreten kann. Dazu zählt, wie aus dem Begriff „Rückfallposition“ deutlich wird, auch die Möglichkeit, Informationen nicht von Anfang an offenzulegen, sondern sie je nach Bedarf später in die Verhandlungen einspeisen zu können. Wenn auch der Wortlaut der amtlichen Begründung damit vordergründig nur auf das vorläufige Zurückhalten von Informationen abstellt, rechtfertigt es der bezweckte Schutz der gesamten Verhandlungsposition gleichwohl, ein Zurückhalten von Informationen auf Dauer als geschützt anzusehen (VG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2015 – VG 2 K 247.12 – juris Rn. 24).
Der Schutz aus internationalen Verhandlungen herauszuhaltender Informationen durch §3 Nr.3 Buchst. a IFG scheitert nicht daran, dass wie bei der Parallelvorschrift des §3 Nr.3 Buchst. b IFG nur der eigentliche Vorgang der Entscheidungsfindung, d.h. die Besprechung, Beratschlagung und Abwägung, mithin der eigentliche Vorgang des Überlegens, nicht jedoch die Tatsachengrundlagen und die Grundlagen der Willensbildung, geschützt wäre (vgl. dazu VG Berlin, Urteil vom 9. Juni 2011 – VG 2 K 46.11 – juris Rn. 22). Während dort vor allem die offene Meinungsbildung und ein freier Meinungsaustausch im Beratungsvorgang geschützt werden soll (BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2011 – BVerwG 7 B 14.11 – juris Rn. 5), bezieht sich der Schutz hier gerade darauf, wie die Bundesrepublik in internationale Verhandlungen hineingeht, also auch auf das Vorbereiten der Verhandlungsstrategie (VG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2015, a.a.O., juris Rn. 25).
Das Gericht ist in der Prüfung, ob dieser Ausschlussgrund vorliegt, grundsätzlich nicht beschränkt. Anders als im Falle des Ausschlussgrundes des §3 Nr.1 Buchst. a IFG - nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen - ist es hier nicht gerechtfertigt, der informationspflichtigen Stelle einen Beurteilungsspielraum in der Frage einzuräumen, wann eine Beeinträchtigung vorliegt. Etwas anderes kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn es um die Einschätzung möglicher Haltungen von Verhandlungspartnern bei zukünftigen internationalen Verhandlungen ginge (VG Berlin, Urteil vom 7. Mai 2015, a.a.O., juris Rn. 26).
Angesichts des gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen freiem Informationszugang und Versagungsgründen obliegt es der Beklagten als anspruchsverpflichtete Behörde, das Vorliegen von Ausnahmen vom Informationszugang darzulegen. Erforderlich ist eine einzelfallbezogene, hinreichend substantiierte und konkrete Darlegung, aus welchen Gründen öffentliche oder private Schutzbelange gemäß §§3 bis 6 IFG dem geltend gemachten Anspruch auf Informationsgewährung entgegenstehen. Hinsichtlich des hier in Rede stehenden Ausschlussgrundes bedarf es einer Prognose, ob das Bekanntwerden der betreffenden Information sich auf die internationale Verhandlung behindernd oder hemmend auswirken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 – BVerwG 7 C 34.17 – juris Rn. 20).
Nach diesen Maßgaben hat die Beklagte hinreichend dargelegt, dass das Votum, die Bewertung und weite Teile des Sachverhalts nicht offenzulegen sind. Dabei kann offenbleiben, ob die internationalen Verhandlungen noch andauern. Eine EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten existiert bis heute nicht. Ein Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erstellung einer gemeinsamen EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten für die Zwecke der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und zur Änderung der Richtlinie 2013/32/EU vom 9. September 2015 wurde am 21. Juni 2019 zurückgezogen (2019/C 210/07). Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass mit dieser Rücknahme die Verhandlungen ihren Abschluss gefunden hätten, genügte der Vortrag der Beklagten den Darlegungsanforderungen der nachteiligen Auswirkungen.
Die Beklagte hat nachvollziehbar ausgeführt, dass die Annahmen des Sachverhalts – in Anbetracht des Zeitpunkts des Verfassens einer Woche vor Vorlage der Verordnungsinitiative durch die Europäische Kommission – auf internen Hypothesen basierten, die sich aus einer Zusammenschau diverser – teils auch vertraulicher – Hinweise und eigenen Überlegungen im Vorbereitungsstadium des Verordnungsvorschlags speisten. Sie hat ergänzend vorgetragen, der Bundesregierung würden in der kritischen Vorbereitungsphase auf eine neue Gesetzesinitiative Informationen und Einflussmöglichkeiten genommen, wäre die Bundesregierung verpflichtet, derlei Überlegungen offenzulegen: Beeinträchtigt würden sowohl die eigenen Vorbereitungen als auch frühzeitige Informations- und Austauschmöglichkeiten mit Dritten. Die Verhandlungsfähigkeit der Bundesregierung wäre auch geschwächt, wenn grundlegende Erwägungen zur Positionierung aus der Bewertung der Vorlage vor Abschluss der Beratungen herausgegeben werden müssten. Zum Zeitpunkt ihres Schriftsatzes vom 5. März 2018 dauerten die Beratungen im Rat der EU über eine mögliche EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten an. Die Verhandlungen auf europäischer Ebene hätten sich schwierig gestaltet, denn das Thema sei sehr umstritten und die Meinungsspanne breit, was auch in der Dauer des Beratungsprozesses zum Ausdruck komme. Die Bundesregierung messe dem Thema hohe Bedeutung zu. Die politische Brisanz zeige sich ferner daran, dass das Thema innenpolitisch höchst umstritten sei. Beispielsweise habe es divergierende Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat für die nationale Einstufung der Westbalkanstaaten gegeben. Ein Bekanntwerden bestimmter Länderschwerpunkte könnte Gegenforderungen anderer Mitgliedstaaten oder der Europäischen Kommission provozieren und die Verständigung mit anderen Mitgliedstaaten erschweren. Ebenso könnte ein Bekanntwerden interner Einstufungen in den jeweiligen Herkunftsstaaten ggf. auch einen kurzfristigen Pull-Effekt auslösen, um einer solchen Regelung zuvorzukommen. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
b) Demgegenüber hat die Beklagte nicht dargelegt, weshalb der Offenlegung der Erläuterungen der weiteren regulären Schritte im europäischen Gesetzgebungsprozess, die sich nach ihrem Vortrag ebenfalls im Sachverhalt der Vorlage finden, der Ausschlussgrund des §3 Nr.3 Buchst. a IFG entgegenstehen sollte.
Ein weitergehender Ausschluss des Informationszugangs ergibt sich auch nicht – wie von der Beklagten geltend gemacht – aus §3 Nr.3 Buchst. b IFG. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein der Umstand, dass ein Dokument sich unmittelbar auf das Vorfeld einer Kabinettentscheidung bezieht, für sich genommen nicht belegt, dass im Falle der nachträglichen Publizität die Funktionsfähigkeit der Regierung gefährdet ist. Vielmehr ist die Kabinettvorlage im Hinblick auf die spätere Entscheidung im Kabinett eine bloße Entscheidungsgrundlage, die grundsätzlich keinen Rückschluss auf den Beratungsvorgang im Kabinett selbst erlaubt. Die politische Willensbildung der Regierung als solche, zu der auch der ressortübergreifende und -interne Abstimmungsprozess gehört, ist nicht umfassend einer nachträglichen Kontrolle entzogen ist, vielmehr bedarf es einer Würdigung der jeweiligen Umstände (BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 - BVerwG 7 C 19.15 - juris Rn. 20 m.w.N.).
c) Die Beklagte hat die Offenlegung der Anlage „Asylgeschäftsstatistik für den Monat Juli 2015“ frei von Rechtsfehlern gem. §9 Abs.3 IFG abgelehnt, weil diese vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlicht wurde und der Kläger sie sich daher in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann. Ermessensfehler sind hierbei nicht ersichtlich.
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Die gemeinsame Stellungnahme der Visegrad-Staaten vom 4. September 2015, die einer E-Mail der Botschaft in Prag vom 4. September 2015 als Anlage beigefügt war (Dokument 3), und der FAZ-Artikel „Frieden kann man nicht essen“ vom 2. September 2015 (Dokument 4) sind online abrufbar. Die Beklagte hat den Informationszugang ebenfalls ermessensfehlerfrei unter Berufung auf §9 Abs.3 IFG abgelehnt.
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Die Beklagte hat den Informationszugang zu dem Vermerk über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem schweizerischen Regierungschef anlässlich eines offiziellen Besuchs in der Schweiz (Dokument 5) zu Recht unter Berufung auf §3 Nr.1 Buchst. a IFG abgelehnt.
Gemäß §3 Nr.1 Buchst. a IFG besteht kein Anspruch auf Informationszugang, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29. Oktober 2009 – BVerwG 7 C 22.08 – juris), der die Kammer folgt, schützt der Ausschlussgrund des §3 Nr.1 Buchst. a IFG die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland und das diplomatische Vertrauensverhältnis zu ausländischen Staaten sowie zu zwischen- und überstaatlichen Organisationen, etwa der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 15/4493 S.9). Zu den internationalen Beziehungen gehören die Beziehungen der Bundesrepublik zu einem anderen ausländischen Staat. Für die Regelung dieser auswärtigen Beziehungen räumt das Grundgesetz der Bundesregierung einen prinzipiell weit bemessenen Spielraum eigener Gestaltung ein. Innerhalb dieses Spielraums bestimmt die Bundesregierung die außenpolitischen Ziele und die zu ihrer Erreichung verfolgte Strategie (VG Berlin, Urteil vom 18. Juli 2017 – VG 2 K 260.16 – juris Rn. 26).
Welche Ziele die Bundesregierung mit Hilfe welcher Strategie verfolgen will, entzieht sich mangels hierfür bestehender rechtlicher Kriterien weithin einer gerichtlichen Kontrolle. Ob ein Nachteil für die Beziehungen der Bundesrepublik zu einem auswärtigen Staat eintreten kann, hängt wiederum davon ab, welche außenpolitischen Ziele die Bundesrepublik im Verhältnis zu diesem Staat verfolgt. Nur mit Blick auf diese Ziele und die insoweit verfolgte außenpolitische Strategie kann die Frage beantwortet werden, ob sich die Bekanntgabe von Informationen auf die auswärtigen Belange nachteilig auswirken kann. Nachteil ist, was den außenpolitischen Zielen und der zu ihrer Erreichung verfolgten außenpolitischen Strategie abträglich ist. Wann eine Auswirkung auf die Beziehungen zu einem ausländischen Staat ein solches Gewicht hat, dass sie in diesem Sinne als Nachteil anzusehen ist, hängt ebenfalls von der Einschätzung der Bundesregierung ab. Nur die Bundesregierung kann bestimmen, ob eine von ihr erwartete oder befürchtete Einwirkung auf die auswärtigen Beziehungen mit Blick auf die insoweit verfolgten Ziele hingenommen werden kann oder vermieden werden soll (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009, a.a.O., juris Rn. 14 f.).
Was den Grad der Gewissheit anlangt, lässt die Vorschrift des §3 Nr.1 Buchst. a IFG damit die Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen ausreichen. Eher fernliegende Befürchtungen scheiden hingegen aus. Der mögliche Eintritt von Nachteilen für die internationalen Beziehungen kann nur Gegenstand einer plausiblen und nachvollziehbaren Prognose sein, die ihrerseits nur in engen Grenzen verwaltungsgerichtlich überprüfbar ist. Ob und wie sich das Bekanntwerden von Informationen auf die außenpolitischen Ziele auswirkt, hängt von auf die Zukunft bezogenen Beurteilungen ab, die notwendig mit einem gewissen Maß an Unsicherheit verbunden sind. Das Gericht kann insoweit nur nachprüfen, ob die Behörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ihre Prognose einleuchtend begründet hat und keine offensichtlich fehlerhafte, insbesondere in sich widersprüchliche Einschätzung getroffen hat (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009, a.a.O., juris Rn. 19 f.).
Nach diesen Maßgaben ist der Informationszugang zu dem Gesprächsvermerk ausgeschlossen. Die Beklagte hat ihren Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Sie hat hierzu ausgeführt, die Versagung sei zur Wahrung der international üblichen Vertraulichkeit über die Inhalte der geführten Gespräche und zur Wahrung der freundschaftlichen Beziehungen mit der Schweiz erfolgt. Eine Offenlegung des Gesprächsvermerks würde die bilateralen Beziehungen zur Schweiz schwer belasten. Es sei internationaler Brauch und werde stets und ohne Ausnahme erwartet, dass die Gesprächsinhalte von Unterredungen zwischen Regierungsvertretern vertraulich behandelt würden. Ohne Wahrung der Vertraulichkeit wäre der offene Austausch der Bundesregierung mit außenpolitischen Partnern künftig nicht mehr möglich. Müssten Gesprächspartner befürchten, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nicht als verlässlicher Gesprächspartner an die international übliche und erwartete Vertraulichkeit hielte, stünde dies unbefangenen Gesprächen und einem offenen Gedankenaustausch entgegen. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
- Die Beklagte kann sich hinsichtlich der Dokumente 6 und 7 nicht mit Erfolg auf den Ausschlussgrund des §3 Nr.3 Buchst. b IFG berufen. Bei diesen Dokumenten handelt es sich um eine interne E-Mail des Bundeskanzleramts, mit der ein Vermerk vom 4. September 2015 zur Vorbereitung des Koalitionsausschusses am 6. September 2015 versandt wurde. Im Vermerk werden nach den unbestrittenen Ausführungen der Beklagten ein möglicher gesetzlicher Änderungsbedarf sowie offene Punkte zwischen A-(SPD-) und B-(Unions-)Seite dargestellt. Er gliedert sich in zwei Abschnitte: „I. Votum“ („Kenntnisnahme“) sowie „II. Sachverhalt und Bewertung“. Abschnitt II. besteht aus elf Unterabschnitten und insgesamt 170 Zeilen. Dort werde detailliert dargestellt, welcher mögliche gesetzliche Änderungsbedarf in der Asyl- und Flüchtlingspolitik gesehen werde, wie die Position der A- und B-Seite bzw. der A- und B-Länder zu den einzelnen Punkten sei und welche Kompromisslinien möglich erscheinen würden. Betrachtet würden zudem (ebenfalls unter Darstellung der A-/B-Positionen) verfassungsrechtliche Fragen, denkbare Maßnahmen auf EU-Ebene und personelle Maßnahmen sowie finanzielle Forderungen.Die Würdigung der Einzelfallumstände (s. II. 2. b) zu Dokument 2) ergibt vorliegend, dass der Vorbereitungsvermerk für den Koalitionsausschuss nicht einer nachträglichen Kontrolle entzogen ist.
Die Beklagte hat ausgeführt, dass es sich bei den Inhalten des Dokuments zum Teil um noch laufende Beratungen, zum Teil um bereits abgeschlossene Vorgänge handelt. Mehrere der in dem Dokument genannten Vorschläge seien bis heute nicht umgesetzt und nach wie vor Teil der aktuellen flüchtlingspolitischen Debatte. Die Verhandlungsfähigkeit des Bundeskanzleramts würde entscheidend geschwächt, wenn seine grundlegenden Einschätzungen zu diesen flüchtlingspolitischen Vorschlägen und möglichen Kompromisslinien offengelegt würden. Zudem würde die Herausgabe – auch soweit sie bereits abgeschlossene Vorgänge betrifft – konkrete Rückschlüsse auf den Willensbildungsprozess der Bundesregierung im Vorfeld des „Asylpakets I“ ermöglichen. Die freie und offene Willensbildung und die Kompromissfindung innerhalb der Bundesregierung wären gefährdet, wenn die Mitglieder der Bundesregierung damit rechnen müssten, dass Positionen und Kompromisslinien zu jedem flüchtlingspolitischen Einzelpunkt öffentlich gemacht würden. Gleiches gelte für die Mitglieder von Landesregierungen, da das Dokument auch divergierende Positionen (und mögliche Kompromisslinien) zwischen Bund und Ländern darstelle.
Dieser Vortrag der Beklagten reicht für die Annahme eines Ablehnungsgrundes nicht aus. Gegen die Einbeziehung in den Schutzbereich des §3 Nr.3 Buchst. b IFG spricht bereits, dass der Koalitionsausschuss nur eine teilweise Personenidentität mit dem Kabinett aufweist, dessen Beratungen dem Informationszugang auch nach Abschluss bestimmter Gesetzgebungsverfahren entzogen sind. Als parteipolitisch besetztes Gremium einer Regierungskoalition besteht er neben Regierungsmitgliedern auch aus Vertretern der Fraktionen sowie der die Regierung tragenden Parteien und lässt somit nicht zwingend Rückschlüsse auf die Beratungen des Kabinetts zu.
Dazu kommt, dass der interne Vermerk des Bundeskanzleramts lediglich der Vorbereitung des Koalitionsausschusses diente und insoweit mit Vorlagen an den Minister im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzgebungsverfahren vergleichbar ist. Bei der gesetzesvorbereitenden Tätigkeit der Regierungsbehörden ist die Wahrscheinlichkeit von negativen Vorwirkungen einer möglichen späteren Publizität nicht ohne Berücksichtigung normativ abgestützter Verhaltenserwartungen an die Beteiligten einzuschätzen. Diesen Erwartungen liegt das Bild einer effizienten und – ungeachtet der Verfolgung politischer Präferenzen – auf die sachangemessene Bewältigung der anstehenden Aufgaben bezogenen Ministerialbürokratie zugrunde, die sich durch profunde Sachkenntnis und legistisches Wissen auszeichnet und beides in die Vorbereitung eines Gesetzesvorhabens einzubringen versteht. Hiernach entspricht es einer ordnungsgemäß agierenden Ministerialverwaltung, komplexe Entscheidungsprozesse schriftlich vorzubereiten und zu dokumentieren, was die Bereitschaft der Mitglieder der Regierung und der Arbeitsebene einschließe, ihre jeweiligen Auffassungen (ab-) zu bilden, auch wenn diese später im Entscheidungsprozess wieder aufgegeben werden. Eine nachträgliche Offenlegung solcher gegebenenfalls kontroverser Erörterungen und Positionierung offenbart dann lediglich einen Ausschnitt aus der Genese eines Gesetzentwurfes, der das Ansehen einer Ministerialverwaltung in einem demokratischen Staat nicht zu beeinträchtigen geeignet ist (BVerwG, Urteil vom 30. März 2017, a.a.O., juris Rn. 18). Danach ist die von der Beklagten geltend gemachte Gefährdung der freien und offenen Willensbildung und der Kompromissfindung innerhalb der Bunderegierung zu pauschal und liefe damit auf eine unzulässige Bereichsausnahme hinaus.
Die Kostenentscheidung beruht auf §155 Abs.1 Satz1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §167 VwGO i.V.m. §708 Nr.11, §711, §709 Satz2 ZPO.
BeschlussDer Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
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