Drucksache 18/548

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „AA und DAAD e.V.

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Deutscher Bundestag                                                                        Drucksache 18/548 18. Wahlperiode                                                                                        18.02.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Andrej Hunko, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/409 – Gefahr eines Missbrauchs von Interpol als Instrument politischer Verfolgung Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Einen zunehmenden Missbrauch der internationalen Polizeiorganisation Inter- pol als Instrument politischer Verfolgung von Oppositionellen im Exil und Flüchtlingen durch eine Reihe von Mitgliedstaaten beklagt die in London an- sässige Menschenrechtsorganisation Fair Trials International (FTI). Dies habe verheerende Auswirkungen auf die Lebensumstände der Betroffenen, die ihrer Freizügigkeit beraubt werden und mit der ständigen Angst vor einer Verhaftung leben müssen. Aus Furcht vor einer Inhaftierung könnten Betroffene jahrelang nicht ins Ausland reisen. Andere erführen von den bestehenden internationalen Haftbefehlen erst durch ihre Festnahme bei einer Grenzkontrolle. Zudem werde der Ruf der Betroffenen geschädigt, indem sie auf teilweise auch öffent- lich einsehbaren digitalen Fahndungslisten als gesuchte Kriminelle oder Terro- risten klassifiziert werden. Dies könne zum Verlust des Arbeitsplatzes, der Auf- enthaltsgenehmigung oder des Bankkontos führen. Ein seit dem Jahr 2009 existierendes Dateisystem ermöglicht es allen 190 Mit- gliedstaaten, Fahndungsaufrufe und Festnahmeersuchen (Red Notices) direkt einzustellen. Diese können von Interpol erst überprüft werden, nachdem sie so bereits Polizeibehörden weltweit zugänglich gemacht wurden. Unter den Ländern, die laut FTI Interpol zur Verfolgung politischer Dissidentinnen und von Dissidenten sowie von Flüchtlingen nutzen, werden unter anderem die Türkei, Russland und der Iran genannt (www.fairtrials.org/wp-content/uploads/ Strengthening-respect-for-human-rights-strengthening-INTERPOL4.pdf). Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström erklärte im Dezember 2013 auf die Anfrage zweier Abgeordneter des Europäischen Parlaments, der Euro- päischen Kommission seien konkrete, darunter auch von FTI genannte Fälle bekannt, „bei denen eine Reihe von Interpol-Mitgliedern angeblich politisch motivierte Ersuchen um Festnahmen gesuchter Personen gestellt haben“. Die Europäische Kommission wolle in Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaa- ten als Mitglieder von Interpol „mit Interpol die bestehenden Verfahren für die Interpol-Ausschreibungen ansprechen, einschließlich etwaiger notwendiger Maßnahmen zur weiteren Stärkung der Mechanismen zur Vermeidung politisch begründeter Ersuchen“ (www.europarl.europa.eu/sides/getAllAnswers.do? reference=E-2013-011457& language=DE). Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 13. Februar 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
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Drucksache 18/548                                             –2–                 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die Fraktion DIE LINKE. hat bereits mehrfach parlamentarische Anfragen nach der Praxis der Türkei gestellt, über Interpol Haftbefehle gegen türkische Staatsangehörige auszuschreiben, die im Rahmen politisch motivierter Pro- zesse in Abwesenheit verurteilt worden sind (Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen der Fraktion DIE LINKE. auf den Bundestagsdruck- sachen 17/1470, 17/1978 und 17/10400). Mehrfach wurden in den letzten Jah- ren selbst anerkannte Asylberechtige und Flüchtlinge in Deutschland sowie Flüchtlinge, die die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben, bei Aus- landsreisen in ein Auslieferungsverfahren und in Auslieferungshaft genom- men. Eine Auslieferung an die Türkei wurde in den den Fragestellerinnen und Fragestellern bekannt gewordenen Fällen zwar letztlich auch aufgrund interna- tionaler Proteste abgelehnt. Doch für die Betroffenen führte oft schon die Haft in einem fremden Land, verbunden mit der Angst vor einer Auslieferung an einen Verfolgerstaat, zu schweren seelischen und gesundheitlichen Beeinträch- tigungen einschließlich Retraumatisierungen. Die aufgrund von Interpol-Haftbefehlen drohende Verhaftung bei Auslands- reisen schränkt Exiloppositionelle und Asylberechtigte in ihrer Reisefreiheit und damit auch in den Möglichkeiten, ihre politische, menschenrechtliche oder journalistische Arbeit außerhalb ihres Heimatlandes fortzusetzen, erheblich ein. So besteht gegen den bei München lebenden kurdischstämmigen Schriftsteller Haydar Isik seit dem 17. Juni 2008 ein internationaler Haftbefehl (vgl. Bundes- tagsdrucksache 17/1501). Die türkische Justiz wirft Haydar Isik aufgrund sei- ner Mitgliedschaft im zwischen 1995 und 1999 bestehenden Kurdistan-Parla- ment im Exil die Unterstützung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor. Haydar Isik lebt seit dem Jahr 1974 in Deutschland. Nach dem Militärputsch im Jahr 1980 in der Türkei wurde er ausgebürgert und erhielt im Jahr 1982 die deutsche Staatsbürgerschaft. In der Türkei, die Haydar Isik seit dem Jahr 1978 nicht mehr betreten hat, wurden mehrere Strafverfahren auf- grund seiner Romane, die sich mit der kurdischen Thematik befassen, eingelei- tet. Bereits eine zufällige polizeiliche Personenkontrolle im Ausland kann heute zu Haydar Isiks Festnahme, einer mehrmonatigen Auslieferungshaft und schlimmstenfalls seiner Auslieferung an die Türkei führen. Aufgrund des Inter- pol-Haftbefehls musste Haydar Isik so seine Teilnahme an mehreren, teilweise von ihm mit organisierten Konferenzen zur kurdischen Frage im Europäischen Parlament ebenso absagen wie Einladungen zu Lesungen aus seinen Romanen im europäischen Ausland. 1. Inwieweit und durch welche Staaten sieht die Bundesregierung die von der Menschenrechtsorganisation FTI aufgezeigte Gefahr eines Missbrauchs von Interpol zur Verfolgung von Exiloppositionellen und Flüchtlingen durch internationale Fahndungsersuche und Haftbefehle? Aus Sicht der Bundesregierung kann ein politischer Missbrauch internationaler polizeilicher Personenfahndungen nicht völlig ausgeschlossen werden. Interpol hat weltweit 190 Mitgliedstaaten, die nicht ausnahmslos einen europäischen Menschenrechtsstandard aufweisen. Der Gefahr eines Missbrauchs ist sich das Generalsekretariat von Interpol (IPSG) grundsätzlich bewusst. Artikel 3 der Interpol-Statuten verbietet daher ausdrücklich den Missbrauch polizeilicher Fahndungen zu politischen Zwecken („It is strictly forbidden for the Organization to undertake any intervention or ac- tivities of a political, military, religious or racial character“). IPSG hat eine Viel- zahl von Vorkehrungen getroffen, um derartigen Missbrauch zu verhindern. Im Einzelnen wird hierzu auf die Antwort zu den Fragen 7, 8 und 9 verwiesen. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) berücksichtigt die Möglichkeit eines poli- tischen Missbrauchs von Fahndungen in der täglichen Sachbearbeitung. Jedes im BKA eingehende ausländische Interpol-Fahndungsersuchen wird vor seiner
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode                    –3–                         Drucksache 18/548 nationalen Umsetzung gemäß § 15 des Bundeskriminalamtsgesetzes (BKAG) geprüft. Diese Kontrolle schließt eine Überprüfung aller Ersuchen auf Hinweise zu einem etwaigen politischen Hintergrund der Fahndung mit ein. 2. Welche von FTI aufgelisteten Fälle waren der Bundesregierung bereits be- kannt geworden, bzw. an welchen dieser Fälle war sie selbst beteiligt? Die Bundesregierung nimmt zu möglichen laufenden Fahndungen nicht Stel- lung. 3. Inwieweit war die Problematik eines möglichen politischen Missbrauchs von Interpol durch einige Staaten zur Verfolgung von Exiloppositionellen und Flüchtlingen bereits Gegenstand von Gesprächen und Beratungen in zuständigen Gremien auf EU-Ebene? Nach Kenntnis der Bundesregierung wurde die Problematik im Rahmen eines Treffens zwischen der Europäischen Kommission, Europol, Eurojust, EAD und Präsidentschaft mit Interpol am 16. Dezember 2013 erörtert. Die Thematik soll im Rahmen von weiteren Treffen vertieft werden. a) Inwieweit sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, diese Thematik zum Gegenstand von Beratungen in den zuständigen EU-Gremien zu machen, und inwiefern gedenkt sie, eine solche Beratung anzustoßen? Die Bundesregierung steht der in der Antwort der Europäischen Kommission vom 17. Dezember 2013 (E-011457/2013) angekündigten Einbindung der EU- Mitgliedstaaten offen gegenüber. b) Wann und durch welche Regierungen wurde diese Thematik bislang zum Gesprächsgegenstand auf EU-Ebene gemacht? Nach Kenntnis der Bundesregierung wurde diese Thematik durch einzelne EU- Mitgliedstaaten bislang noch nicht zum Gesprächsgegenstand auf EU-Ebene ge- macht. c) Inwieweit wurde die Problematik nach Kenntnis der Bundesregierung innerhalb der Europäischen Kommission angesprochen? Die Bundesregierung hat keine Kenntnis, inwieweit die Problematik innerhalb der Europäischen Kommission angesprochen wurde. d) Hat die Europäische Kommission – wie von der Innenkommissarin Cecilia Malmström auf eine Anfrage von Abgeordneten des Euro- päischen Parlaments angegeben – diese Problematik bereits mit den EU- Mitgliedstaaten angesprochen, und wenn ja, welche Konsequenzen er- folgten daraus (siehe Kommissionsdokument E-011457/2013)? Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Präsidentschaft lediglich im Rah- men des „Standing Committee on operational cooperation on internal security – COSI“ am 17. Dezember 2013 den Vertretern der EU-Mitgliedstaaten über die Gespräche vom 16. Dezember 2013 berichtet. 4. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Europäischen Kommission, wonach konkrete Fälle bekannt seien, „bei denen eine Reihe
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Drucksache 18/548                                          –4–               Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode von Interpol-Mitgliedern angeblich politisch motivierte Ersuchen um Fest- nahme gesuchter Personen gestellt haben“? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 hingewiesen. 5. Inwieweit war die Problematik eines möglichen politischen Missbrauchs von Interpol durch einige Staaten zur Verfolgung von Exiloppositionellen und Flüchtlingen bereits Gegenstand von bilateralen Gesprächen und Bera- tungen der Bundesregierung mit den dieses Missbrauchs beschuldigten Staaten (bitte Staaten benennen)? Die Bundesregierung wirbt in bilateralen Gesprächen regelmäßig für die Wah- rung und den Schutz von Menschenrechten und in Fachgesprächen speziell ins- besondere für die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in der Polizeiarbeit. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 hingewiesen. 6. Inwieweit und wie gedenkt sich die Bundesregierung für eine Reform der Interpol-Mechanismen einzusetzen, um eine ungerechtfertigte Verfolgung von Exiloppositionellen, Flüchtlingen, Menschenrechtsaktivistinnen- und -aktivisten sowie Journalistinnen und Journalisten durch politisch moti- vierte internationale Haftbefehle zu verhindern? Die Bundesregierung hält die Schutzmechanismen von Interpol für effektiv und ausreichend. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 7, 8 und 9 hinge- wiesen. 7. Welche Schutzmechanismen von Interpol gegen politisch motivierten Miss- brauch internationaler Haftbefehle bestehen nach Kenntnis der Bundes- regierung? Wie in der Antwort zu Frage 1 ausgeführt, ist sich das IPSG der Gefahr des politischen Missbrauchs polizeilicher Personenfahndungen bewusst. Artikel 3 der Interpol-Statuten legt daher den Grundsatz der Neutralität von Interpol fest und verbietet Interpol, in Fällen aktiv zu werden, die von ihrer Natur her als politisch, militärisch, religiös oder rassisch zu werten sind. Das Prinzip staat- licher Souveränität und das Prinzip der Nichteinmischung in innerstaatliche An- internationalergelegenheiten bilden das wesentliche Fundament jeglicher inter- nationaler Zusammenarbeit; diese Prinzipien sind nicht spezifisch für die Inter- pol-Kooperation allein. Mit den auf der 80. Generalversammlung im November 2011 einstimmig verab- schiedeten neuen Datenschutzrichtlinien von Interpol, den „Rules on the Proces- sing of Data“ (RPD), die seit dem 1. Juli 2012 für alle 190 Mitgliedstaaten von Interpol verbindlich sind, ist es IPSG gelungen, für das polizeiliche Tätigwerden über Interpol einen hohen Datenschutzstandard weltweit durchzusetzen. Gemäß Artikel 86 der RPD prüft das IPSG jedes internationale Fahndungszirku- lar (Interpol-Notice) zur Festnahme einer Person zum Zwecke der Auslieferung (Fahndungszirkular rot, sog. Rotecke) auf Konformität mit den Interpol-Statu- ten. Zuständig für die Kontrollfunktion ist das „Office of Legal Affairs“ (OLA) beim IPSG in Lyon, das direkt dem Generalsekretär unterstellt ist. Mit der Ein- führung von I-Link (siehe im Einzelnen hierzu die Antwort zu Frage 12) hat das IPSG zudem technische Vorkehrungen getroffen, um einzelne Fahndungen iden- tifizieren zu können, die einen politischen Hintergrund aufweisen könnten und solche Ersuchen im Weiteren einer intensiven Prüfung durch das OLA zuzufüh- ren. Diese technischen Vorkehrungen bestehen in einer automatisierten Suche nach bestimmten Begriffen in Fahndungsersuchen. Ferner ist gemäß Artikel 36
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode                     –5–                       Drucksache 18/548 der Interpol-Statuten als unabhängiges Gremium die Datenschutzkontrollkom- mission, die sog. Commission for the Control of Interpolʼs Files (CCF), einge- richtet worden, die auf der Grundlage der sog. Rules relating to the Control of Information and Access to INTERPOLʼs Files (RCI) sicherstellt, dass die Ver- arbeitung personenbezogener Daten durch Interpol in Übereinstimmung mit den datenschutzrechtlichen Bestimmungen erfolgt. Zusätzlich oder anstelle der o. a. Fahndungszirkulare kann jedes Nationale Zen- tralbüro sog. Interpol-Diffusions (Fahndungsdurchgaben) etwa zur Festnahme oder Aufenthaltsermittlung verbreiten. Diese Interpol-Durchgaben können – an- ders als die sog. Rotecken – direkt von Nationalen Zentralbüros an andere Na- tionale Zentralbüros übermittelt werden, unterliegen somit keiner vorherigen Prüfung durch das CCF. Gemäß Artikel 99 der RPD hat jedoch jedes Nationale Zentralbüro vor der Übermittlung der Durchgaben sicherzustellen, dass das eigene Fahndungsersuchen im Einklang mit den Interpol-Richtlinien, insbeson- dere mit Artikel 2 und 3 der Interpol-Statuten steht. Jedes Nationale Zentralbüro von Interpol kann sich zudem an das IPSG wenden, wenn berechtigte Zweifel bestehen, ob ein Interpol- Fahndungsersuchen im Ein- klang mit Artikel 2 und 3 der Interpol- Statuten steht und damit eine Prüfung durch das IPSG und das CCF auslösen. Es bestehen somit grundsätzlich drei ineinander greifende Schutzmechanismen, nämlich Kontrolle durch die Nationalen Zentralbüros, Kontrolle durch das Inter- pol-Generalsekretariat sowie Kontrolle durch die Datenschutzkontrollkommis- sion. a) Sind diese Schutzmechanismen nach Ansicht der Bundesregierung effektiv und ausreichend? Die geschilderten Schutzmechanismen sind nach Ansicht der Bundesregierung effektiv und ausreichend. b) Wenn nein, welche Reformvorschläge hat die Bundesregierung zur Ver- besserung der Schutzmechanismen von Interpol gegen den Missbrauch ihrer Instrumente? Auf die Antwort zu Frage 7a wird hingewiesen. 8. Welche Möglichkeiten haben Betroffene nach Kenntnis der Bundesregie- rung, sich gegen einen von einem Staat zu politischen Zwecken miss- bräuchlich eingesetzten Interpol-Haftbefehl zu wehren? Für die von einer Interpol-Fahndung – sei es in Form einer Interpol-Notice (Fahndungszirkular rot) oder einer Interpol-Diffusion (Fahndungsdurchgabe) – Betroffenen besteht gemäß Artikel 18 der RPD jederzeit die Möglichkeit, sich persönlich an die CCF beim IPSG in Lyon zu wenden. Die Betroffenen können dabei sowohl Auskunft über die zu ihrer Person verbreiteten Fahndungser- suchen erlangen, als auch aus ihrer Sicht berechtigte Gründe gegen die Recht- mäßigkeit und Zulässigkeit des Fahndungsersuchens vorbringen, insbesondere wenn aus ihrer Sicht nach ihnen unter Verstoß gegen Artikel 2 und 3 der Inter- pol-Statuten aus politischen Gründen missbräuchlich gefahndet wird. a) Reichen diese Möglichkeiten nach Ansicht der Bundesregierung aus? Diese Möglichkeiten reichen nach Ansicht der Bundesregierung aus.
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Drucksache 18/548                                          –6–                Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode b) Wenn nein, welche Reformen schlägt die Bundesregierung hier vor? Auf die Antwort zu Frage 8a wird hingewiesen. 9. Welche Möglichkeiten gibt es, dass von Interpol gesuchte Personen vor ih- rer Festnahme von der Existenz eines solchen Haftbefehls erfahren kön- nen? Jede Person kann sich jederzeit mit einer sog. Petentenanfrage (Auskunft zu den gegen sie bestehenden Fahndungsersuchen und internationalen Haftbefehlen) an die dafür zuständige CCF beim IPSG in Lyon wenden. Die Kontaktdaten der CCF und nähere Informationen zu Auskunftsersuchen gegenüber Interpol sind auf der öffentlich zugänglichen Homepage von Interpol (www.interpol.com) enthalten. a) Reichen diese Möglichkeiten nach Ansicht der Bundesregierung aus? Diese Möglichkeiten reichen nach Ansicht der Bundesregierung aus. b) Wenn nein, was müsste nach Ansicht der Bundesregierung verändert werden? Auf die Antwort zu Frage 9a wird hingewiesen. 10. Welche Erkenntnisse und Erfahrungen aus anderen EU-Staaten sind der Bundesregierung bekannt, die das Problem der Interpol-Haftbefehle ge- gen Personen betreffen, die in einem EU-Staat internationalen Schutz ge- nießen? Der Bundesregierung liegen dazu keine Erkenntnisse vor. 11. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, regelmäßig Daten der Interpol-Fahndung mit den Daten von Personen abzugleichen, die in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat der EU internationalen Schutz genießen, um unbillige Härten für diese Personen durch Inhaftie- rung und eine eventuelle retraumatisierende Konfrontation mit den Behör- den ihres Verfolgerstaates im Auslieferungsverfahren zu vermeiden? Ein regelmäßiger Abgleich der Interpol-Fahndungsdateien mit den Daten der Personen, die in Deutschland oder in einem anderem Mitgliedstaat der EU inter- nationalen Schutz genießen, ist nicht möglich, da es keine gemeinsame Datei gibt, in der alle Daten von in der EU als schutzbedürftig anerkannten Personen gespeichert sind. Um sicherzustellen, dass betroffene Personen keine unbilligen Härten erfahren, existieren unterschiedliche Schutzmechanismen: Beim Generalsekretariat von Interpol in Lyon (IPSG) wird eine Prüfung durch das Office of Legal Affairs (OLA) auf der Grundlage des Artikels 3 der Interpol- Statuten durchgeführt, wonach Interpol „jede Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder ras- sischen Charakters […] strengstens untersagt“ ist. Davon unabhängig erfolgt beim Bundeskriminalamt gemäß § 15 Absatz 3 des Bundeskriminalamtsgeset- zes eine Einzelfallprüfung aller eingehenden Fahndungsersuchen ausländischer Staaten unter Einbindung des Bundesamtes für Justiz, des Auswärtigen Amtes und nachrichtlich des Bundesministeriums des Innern. Hierbei wird auch ein be- kannter Aufenthaltsstatus der gesuchten Person berücksichtigt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode                        –7–                           Drucksache 18/548 12. Was ist der Bundesregierung über ein kürzlich bei Interpol erfolgtes Up- grade auf ein neues Dateisystem „I-link“ bekannt, und worin besteht des- sen Funktionalität (statewatch, 27. November 2013)? Im Jahr 2009 erfolgte sukzessiv die Einführung eines neuen Datenverar- beitungs- und Datenverwaltungssystems im IPSG unter dem Projektnamen I-link. In einer ersten Ausbaustufe wurden die bis dahin traditionell genutzten Fahndungszirkulare der Buntecken (Notices) und Fahndungsdurchgaben (Diffu- sions) in webbasierten Formularen auf einem Portal auf der geschützten Inter- netseite des IPSG online den Interpol-Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt. Durch die dezentrale Eingabe der Fahndungsdaten in das webbasierte Formular durch den jeweiligen Mitgliedsstaat erfolgt eine automatisierte Einstellung der Fahndungsdaten in die Interpol-Personenfahndungsdatenbank eASF. Die Nut- zung der Formulare sowie die Einleitung der Interpol-Fahndungen hat jedoch unter strikter und konsequenter Beachtung der Interpol-Statuten und RPD („Ru- les on the Processing of Data“) zu erfolgen. a) Inwiefern trifft es zu, dass bislang unzusammenhängende Datensätze miteinander abgeglichen werden können? Der Abgleich von Datensätzen in den Interpol-Dateien hat sich durch die Ein- führung von I-link nicht verändert, lediglich – wie in der Antwort zu Frage 12a beschrieben – die Erfassung von Daten. b) Inwiefern trifft es zu, dass die nationalen Kontaktstellen ihre Informa- tionen nun selbst in die Informationssysteme bei Interpol einstellen können? Wie in der Antwort zu Frage 12a beschrieben, können durch die Einführung von I-link die Interpol-Mitgliedstaaten Personenfahndungsdaten durch Nutzung der webbasierten Formulare direkt in der zentralen Personenfahndungsdatenbank eASF speichern. c) Sofern dies zutrifft, müssen die eingestellten Datensätze noch von In- terpol freigeschaltet werden? Bei Nutzung von sog. Diffusions, also Fahndungsdurchgaben, die direkt an mehrere Staaten oder weltweit unter Beteiligung von IPSG versandt werden, be- dürfen die an IPSG übermittelten Fahndungsdatensätze keiner weiteren Veran- lassung durch IPSG, um in der Personenfahndungsdatenbank eASF aktiv zu sein. Eine inhaltliche Prüfung von Diffusions durch IPSG erfolgt durch die in der Antwort zu Frage 7 dargestellten Vorkehrungen. Notices können mit den er- wähnten I-link-Formularen zwar online bei IPSG beantragt werden, ein aktiver Versand und die Information der Mitgliedstaaten erfolgt jedoch nicht. Bis zu der Freischaltung durch IPSG (Veröffentlichung der Notice auf der geschützten In- ternetseite von IPSG) ist nur ein eingeschränkter Personendatensatz ohne Sach- verhaltsinformation in der Interpol-Personenfahndungsdatenbank eASF sicht- bar. 13. Wie erklärt die Bundesregierung die Zunahme der Ausschreibungen bei Interpol, die im Jahr 2001 bei 1 418 Personen gelegen haben, im Jahr 2008 mehr als doppelt soviel betrugen und nach der Einführung von „I-link“ auf 7 678 wuchsen? Der Anstieg bei der Anzahl der von IPSG herausgegebenen so genannten Rot- ecken (Fahndungszirkulare rot, Interpol-Fahndungsersuchen zur Festnahme zwecks Auslieferung) liegt nach Auffassung der Bundesregierung in der allge-
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Drucksache 18/548                                          –8–                Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode mein feststellbaren Globalisierung und der damit verbundenen stetig zunehmen- den Mobilität von Straftätern begründet. 14. Bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung Möglichkeiten zur Ausset- zung von Interpol-Haftbefehlen dritter Staaten für das Gebiet der Europä- ischen Union? Die Möglichkeit der Aussetzung von über Interpol übermittelten Haftbefehlen dritter Staaten allein für das Gebiet der EU besteht nicht. Vielmehr hat IPSG die Möglichkeit, bei Feststellung eines Verstoßes gegen die Interpol-Statuten bzw. die RPD das Fahndungsersuchen generell, also für alle 190 Interpol-Mitglied- staaten auszusetzen. Die Entscheidung zu einer Aussetzung eines Fahndungser- suchens durch IPSG hat zur Folge, dass sämtliche Daten zum Fahndungsersu- chen aus den Interpol-Datenbanken gelöscht werden und IPSG allen Mitglied- staaten insoweit die Nutzung des Interpol-Kommunikationskanals untersagt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 7 hingewiesen. a) Wenn ja, welche Möglichkeiten sind dies? Auf die Antwort zu Frage 7a wird hingewiesen. b) Wenn nein, inwieweit sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, solche Möglichkeiten zur Aussetzung von Interpol-Haftbefehlen drit- ter Staaten für das Gebiet der EU zu schaffen? Die bestehenden Möglichkeiten werden von der Bundesregierung als ausrei- chend angesehen. 15. Inwieweit sieht Bundesregierung in missbräuchlichen, politisch motivier- ten Haftbefehlen über Interpol eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit in- nerhalb der EU und der Reisefreiheit von davon betroffenen deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sowie von Personen, die über Auf- enthaltsrecht in Deutschland verfügen, und welche Maßnahmen zum Schutz der Rechte der von solchen Haftbefehlen Betroffenen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen? Um zu verhindern, dass durch missbräuchliche, politisch motivierte Haftbefehle über Interpol Grundrechte und Grundfreiheiten Betroffener, darunter die Frei- zügigkeit innerhalb der EU, beeinträchtigt werden, sind die in der Antwort zu den Fragen 1 und 7 bis 9 dargestellten Vorkehrungen vorgesehen. Auf die Ant- wort zu diesen Fragen wird verwiesen. 16. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie- rung aus der Ausschreibung des Gründers der vor allem gegen Walfang aktiven Umweltschutzorganisation Sea Shepherd Paul Watson sowie des Wikileaks-Gründers Julian Assange mit einer Red Notice? Aufgrund der aktuellen Aufenthalte von Julian Assange und Paul Watson außer- halb des Geltungsbereichs der deutschen Gesetze ist die Bundesregierung der- zeit mit den Vorgängen nicht befasst, so dass Überlegungen hierzu nicht veran- lasst sind. 17. Welche Fälle seit dem Jahr 2012 sind der Bundesregierung bekannt ge- worden, in denen Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder mit einem Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode                      –9–                           Drucksache 18/548 eines türkischen Interpol-Haftbefehls in einem anderen Staat in einem Auslieferungsverfahren waren (bitte soweit wie möglich nach Jahren, Aufenthaltsstatus, Drittstaaten und Ergebnis des jeweiligen Verfahrens auflisten)? Wie bereits in der Antwort der Bundesregierung zu Frage 7 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/1501 vom 26. April 2010 angegeben, liegen der Bundesregierung grundsätzlich keine statistischen Angaben zu der Fragestellung vor. Der Bundesregierung sind die in der nachfolgenden Aufzählung genannten Aus- lieferungsverfahren bekannt, die zu Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder mit einem Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines türkischen Interpol-Haftbefehls in einem anderen Staat durchgeführt wur- den bzw. werden. Deutsche Stellen erfahren nur im Einzelfall von den o. g. Aus- lieferungsverfahren im Ausland, etwa durch betroffene Personen, Angehörige, Anwälte, dritte Personen oder Nichtregierungsorganisationen, da die Drittstaa- ten im Falle von nichtdeutschen Staatsbürgern keine Unterrichtungspflicht nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen gegenüber der Bun- desregierung haben. Daher kann die Bundesregierung mit der folgenden Auf- zählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Fälle seit dem Jahr 2012 er- heben. Nach hiesiger Kenntnis ist in keinem der genannten Fälle eine Ausliefe- rung erfolgt: ● türkischer Staatsangehöriger, Festnahme 2012 in Polen, seit 1994 Asylstatus, 2002 eingebürgert, nach Kontakt des Generalkonsulates Krakau mit den pol- nischen Behörden entlassen, ● türkischer Staatsangehöriger, Festnahme 2012 in der Republik Moldau, Flüchtlingsstatus seit 1996 nach der Genfer Flüchtlingskonvention, nach deutscher Verbalnote mit entsprechendem Hinweis entlassen, ● türkische Staatsangehörige, Festnahme 2012 in Kroatien, rechtmäßiger Auf- enthaltstitel in Deutschland, Verbalnote durch die Deutsche Botschaft in Zagreb mit entsprechendem Hinweis an kroatische Behörden versandt, aus Haft entlassen, ● türkischer Staatsangehöriger, Festnahme 2012 in Spanien, Aufenthaltser- laubnis nach § 25 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes, anerkannter Flüchtling, Flüchtlingsausweis nach der Genfer Flüchtlingskonvention gültig bis Mitte 2014, Verbalnote durch die Deutsche Botschaft in Madrid mit Hinweis auf Flüchtlingsstatus, aus Haft entlassen, ● türkische Staatsangehörige, Festnahme 2012 in Kroatien, Niederlassungser- laubnis, anerkannter Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention, Ver- balnote der Deutschen Botschaft in Zagreb mit Hinweis auf Aufenthaltsstatus und Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention, Ent- scheidung des obersten Gerichtshofs, nicht auszuliefern, Rückkehr nach Deutschland, ● türkischer Staatsangehöriger, Festnahme 2013 in Rumänien, Asylstatus, Ver- balnote der Deutschen Botschaft in Bukarest mit Hinweis auf Flüchtlings- status und Niederlassungserlaubnis, aus Haft entlassen, Rückkehr nach Deutschland. 18. Welche Fälle seit dem Jahr 2012 sind der Bundesregierung bekannt, in de- nen aufgrund eines türkischen Interpol-Haftbefehls in einem anderen Staat anerkannte Flüchtlinge in Deutschland (vorläufig) festgenommen wurden
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Drucksache 18/548                                        – 10 –              Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode (bitte soweit wie möglich nach Jahren, Drittstaaten, Ausgang des jeweili- gen Verfahrens auflisten)? Der Bundesregierung sind seit dem Jahr 2012 insgesamt drei Auslieferungsver- fahren bekannt geworden, in denen durch deutsche Stellen über die Auslieferung von Personen an die Türkei zu entscheiden war, die in einem Drittstaat Asyl ge- nossen. In zwei Fällen, in denen den Verfolgten Asyl in Italien bzw. Kanada zu- erkannt worden war, kam es zu einer Auslieferung. In dem weiteren Fall, in wel- chem dem Verfolgten Asyl in Frankreich zuerkannt worden war, erfolgte keine Auslieferung. Bei der Auslieferung der Verfolgten an die Türkei wurde berücksichtigt, dass nach deutschem Recht sowohl eine inländische als auch eine ausländische Asylanerkennung lediglich eine Indizwirkung dahingehend entfalten, dass der Verfolgte im Falle der Auslieferung politisch verfolgt wird. Die für das Auslie- ferungsverfahren zuständigen unabhängigen Gerichte in ihrer Zulässigkeitsent- scheidung und die Bundesregierung in ihrer Bewilligungsentscheidung sind hie- ran aber nicht gebunden. Die Besonderheiten des Einzelfalls sind zu berücksich- tigen. 19. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zur Zahl und zum Aus- gang der Auslieferungsverfahren gegen (ehemalige) türkische Staatsange- hörige in der Bundesrepublik Deutschland vor, die sich auf Straftatbe- stände analog den §§ 129, 129a und 129b des Strafgesetzbuchs in den Jah- ren 2012 und 2013 beziehen? Im Jahr 2012 gingen insgesamt 15 türkische Auslieferungsersuchen mit Bezug zu Straftaten analog zu §§ 129, 129a und 129b des Strafgesetzbuchs ein. Im Jahr 2013 gingen insgesamt sieben türkische Auslieferungsersuchen mit Bezug zu Straftaten analog zu §§ 129, 129a und 129b des Strafgesetzbuchs ein. In sämtlichen Fällen wurde die Auslieferung abgelehnt. Hinzuweisen ist darauf, dass die Zahlen für das Jahr 2013 derzeit noch nicht vollständig vorliegen. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung keine weite- ren Erkenntnisse vor.
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