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D LK HT 1 Seite 1 von 6 Name: _______________________ Abiturprüfung 2019 Deutsch, Leistungskurs Aufgabenstellung: 1. Analysieren Sie den folgenden Auszug aus Eugen Ruges Rede „Versuch über eine aus- sterbende Sprache“. Erläutern Sie dabei die wesentlichen Aussagen und untersuchen Sie, wie Ruge das Thema als Schriftsteller entfaltet und welche Wirkungsmöglichkeiten der Rede sich daraus ergeben. (45 Punkte) 2. Erläutern Sie Ruges Bemerkung, Englisch sei „eine Eintrittskarte in die Gesellschaft“ (Z. 110 f.). Nehmen Sie unter Bezug auf den Redeauszug und auf eigene Kenntnisse und Erfahrungen abwägend Stellung zu der Frage, inwiefern in Deutschland lebende Migran- tinnen und Migranten Deutsch lernen sollten oder ob Englisch den Vorrang haben sollte. Berücksichtigen Sie dabei auch die ästhetisch-literarische Dimension von Sprache. (27 Punkte) Materialgrundlage: • Eugen Ruge: Versuch über eine aussterbende Sprache. Dresdner Reden 2018. 25. Februar 2018 Zitiert nach: http://www.staatsschauspiel-dresden.de/download/9261/dresdner_rede_ eugen_ruge_25022018.pdf (Zugriff 01.02.2019) Zugelassene Hilfsmittel: • Wörterbuch zur deutschen Rechtschreibung Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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D LK HT 1 Seite 2 von 6 Name: _______________________ Der Schriftsteller, Drehbuchautor und Dokumentarfilmer Eugen Ruge hielt die folgende Rede am 25.02.2018 im Rahmen einer traditionsreichen Veranstaltungsreihe in Dresden. Seit 1992 haben im Schauspielhaus Dresden bekannte Persönlichkeiten aus Kunst, Literatur, Politik und Wissenschaft über vielfältige Themen gesprochen und mit dem Publikum diskutiert. Eugen Ruge (* 1954) Versuch über eine aussterbende Sprache (Dresdner Reden 2018, Textauszug) 5 10 15 20 25 30 Yimas ist eine Sprache in Papua-Neuguinea. Sie wird noch von etwa 300 Personen in einem Seitental des Karawari gesprochen. Die Gemeinschaft der Yimas-Sprechenden hat irgend- wann beschlossen, ihren Kindern nicht mehr ihre Sprache weiterzugeben, sondern sie von Anfang an das melanesische Pidgin zu lehren, eine reduzierte Behelfssprache, in der die Han- dels- und Wirtschaftsbeziehungen mit den umgebenden Völkern abgewickelt werden. Ihre Sprecher lassen die Sprache bewusst sterben, weil sie – vermutlich zu Recht – davon ausge- hen, dass sie dadurch die Chancen der nachfolgenden Generation im ökonomischen Wett- bewerb erhöhen. […] Sehr geehrte Damen und Herren, als das Staatsschauspiel Dresden und die Sächsische Zei- tung, denen ich hiermit für die Einladung danke, anfragten, ob ich bereit sei, an dieser Stelle zu sprechen, verspürte ich zunächst wenig Neigung dazu. […] Dass ich mich dennoch auf diese Rede eingelassen habe, hat mit Zufall zu tun und, ja, mit Aberglauben. Buchstäblich am Morgen, nachdem ich die E-Mail mit der Einladung zu dieser Rede bekommen hatte, hörte ich nämlich im Radio die erstaunliche Meldung, dass die deut- sche Sprache in zweihundert bis dreihundert Jahren aussterben wird. Genauer gesagt, ich schnappte diese Nachricht im Vorübergehen auf, ganz unfreiwillig. Sie müssen wissen, dass ich morgens versuche, mich so wenig wie möglich ablenken zu lassen. […] An diesem Morgen fiel es mir schwer. Hatte ich etwas missverstanden? Oder war ich wirk- lich dabei, einen Text zu verfassen in einer Sprache, die es in zweihundert oder dreihundert Jahren nicht mehr geben wird? Die Frage kann man mir als Eitelkeit auslegen. Erwarte ich etwa, dass ich in zweihundert oder dreihundert Jahren noch gelesen werde? Falls man in zwei- hundert oder dreihundert Jahren noch liest. Ich habe, schrecklicher Verstoß gegen die mir selbst auferlegte Arbeitsdisziplin, rasch im Netz geblättert: Büchner wurde vor zweihundertvier Jahren geboren. Schiller schrieb seine Räuber vor zweihundertsiebenunddreißig Jahren, Goethe seinen Werther vor zweihundert- vierundvierzig. Wir lesen sie noch alle, und ich kann nicht sagen, dass sie auf mich beson- ders fern wirken. Sollte es möglich sein, fragte ich mich an diesem Morgen, dass die deut- sche Literatur, einschließlich meines bescheidenen Werks, in zweihundert bis dreihundert Jahren als tote Bibliothek in den lichtgeschützten Kellern irgendeines Instituts herumstehen und, wie die Sprache der Yimas, nur noch für einzelne Experten entzifferbar sein würde? […] Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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D LK HT 1 Seite 3 von 6 Name: _______________________ 35 40 45 50 55 60 Irgendwann war meine Konzentration dann vollständig dahin, und ich habe die Homepage vom Deutschlandfunk aufgerufen. Tatsächlich stieß ich rasch auf das gesuchte Thema, das hier ausführlicher dargestellt war als in den Acht-Uhr-Nachrichten. Konkret handelte es sich um die Wiedergabe eines Gesprächs mit dem Linguisten Wolfgang Klein, immerhin Vizeprä- sident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, ehemals Direktor des Max-Planck- Instituts für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen, also nicht gerade jemand, den man der Hysterie oder der politisch manipulativen Spekulationen verdächtigt. Tatsächlich endete das Gespräch mit folgenden Worten: 1 … von den 7000 Sprachen (die es auf der Welt gibt – E. R. ) verschwinden immer mehr, weil die Sprecher entweder aussterben oder sich anderen Sprachen zuwenden. Das Deutsche hat schätzungsweise 100 Millionen Sprecher, da ist das nicht unmittelbar bedroht, aber es geht als internationale Sprache schon ganz, ganz deutlich zurück, und es würde mich nicht wun- dern, wenn das Deutsche in, sagen wir mal, zwei-, dreihundert Jahren eine ausgestorbene Sprache wäre. Das also war der Augenblick, da ich mich entschied, diese Rede zu halten. Wenn ich auch nach wie vor glaube, dass Schriftsteller nicht über alles und jedes sprechen müssen, war ich doch zumindest in diesem Augenblick überzeugt, dass ich als jemand, dessen Medium die deutsche Sprache ist, der damit arbeitet und davon lebt, berechtigt sei, darüber zu sprechen; dass man mir meine Sorge um diese Sprache vielleicht verzeihen würde, ohne mich zu ver- 2 dächtigen, dass ich die „verlorenen Ostgebiete“ zurückhaben will. […] Die Nachricht vom bevorstehenden Untergang der deutschen Sprache hatte sich, ohne dass ich darüber nachgedacht hätte, verbunden mit dem Unbehagen am Überhandnehmen des Eng- lischen in unserem Sprachraum. Natürlich kenne ich dieses Unbehagen seit langem. Oft habe ich mich schon über Anglizis- men mokiert. Allerdings kamen mir meine Beschwerden auch manchmal ein wenig altbacken vor. Ich verdächtigte mich insgeheim der Befangenheit, denn natürlich habe ich immer das Gefühl, nicht gut genug Englisch zu sprechen. Natürlich bin ich ein bisschen neidisch auf die jungen Leute, die ihr Englisch irgendwie im Schlaf zu lernen scheinen. […] Auch in den Theatern der Hauptstadt spricht man ja inzwischen viel Englisch. Kürzlich, nachdem ich schon angefangen hatte, an dieser Rede zu schreiben, ist es mir allerdings pas- siert, dass ich in einem großen Berliner Theater eine Eintrittskarte kaufte, um hinterher festzu- 3 stellen, dass das Stück (ein Repertoirestück , kein Gastspiel) komplett auf Englisch gespielt wird – mit Simultanübersetzung per Kopfhörer. Zum Glück reichte mein Englisch aus, um 1 2 3 E. R.: Abkürzung für Eugen Ruge „verlorenen Ostgebiete“: Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie, die in den Grenzen von 1937 zum Deutschen Reich gehörten und seit 1945 zu Polen oder Russland gehören. Anspielung Ruges darauf, dass es als Ausweis einer reaktionären Haltung gilt, die Ostgebiete „zurückzufordern“. Repertoirestück: Schauspiel, das im Gegensatz zum Gastspiel einer auswärtigen Theatergruppe Bestandteil des regulären Spielplans eines bestimmten Theaters ist. Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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D LK HT 1 Seite 4 von 6 Name: _______________________ 65 70 75 80 85 90 95 100 das – übrigens ausgezeichnete – Stück bis in seine Einzelheiten auch ohne Kopfhörer zu ver- folgen, was ich hier zugegebenermaßen mit Stolz anmerke. Sprachen zu können ist eine wun- derbare Sache. Englisch zu sprechen ist ein Zeichen von Zugehörigkeit. […] Deutsche Großunternehmen führen Englisch längst als Verkehrssprache ein; selbst der Geschäftsführer einer Kuchen- und Keksfabrik berichtete mir kürzlich, dass man anfängt, interne Veranstaltungen auf Englisch durchzuführen. Die Belegschaften kleiner, neugegrün- 4 deter Unternehmen, die um die Mittagszeit in kleinen Grüppchen durch Prenzlauer Berg ziehen, sprechen untereinander fast immer Englisch. Selbst deutsche Germanisten begin- nen inzwischen, Texte über die deutsche Sprache auf Englisch zu verfassen: for the sake of 5 competitiveness . […] Sprachen ändern sich. Sprachen bereichern einander. Schon immer, seit ihrem Bestehen, war die deutsche Sprache dem Einfluss anderer Sprachen ausgesetzt. Ich würde noch weiter gehen: Sie ist im Grunde entstanden aus dem Zusammenfließen, ja aus dem Zusammenprall des Lateinischen mit den großen germanischen Dialekten. […] Nur spreche ich hier nicht vom Wandel, sondern vom Aussterben – ein Phänomen, das allerdings ebenso real ist wie der Wandel. Achtzig Prozent aller – noch – existierenden Spra- chen sind bedroht, sagen die Linguisten. Und etwa jede Woche stirbt eine. […] Übrigens geht es auch nicht eigentlich um das Aussterben. Die deutsche Sprache ist, etwa im Hinblick auf den Wortschatz, reicher als je zuvor, wie der letzte Bericht über den Zustand der deutschen Sprache beweist. Wenn eine Sprache tatsächlich außer Gebrauch gerät, sagt der Sprachwissenschaftler Wolfgang Klein, dann liegt das so gut wie nie daran, dass die Bevölkerung ausstirbt, sondern daran, dass sie von den Sprechern als weniger nützlich und daher als entbehrlich angesehen wird; deshalb wird sie aufgegeben. Fragen wir also: Gibt es eine Tendenz bei den Deutschen, ihre Sprache als weniger nütz- lich anzusehen? Als ökonomisch weniger brauchbar? Als weniger geeignet für den globalen Wettbewerb? Alexander Graf Lambsdorff erklärte 2014 in einem Beitrag für die WELT den Zusammen- hang zwischen Sprache und Ökonomie. […] Die Mehrzahl hochqualifizierter Fachkräfte, und das alles zitiere ich wörtlich, spricht Englisch, nicht Deutsch. Deshalb muss Englisch in Deutschland Verwaltungssprache werden, mittelfristig vielleicht sogar Amtssprache. Eng- lisch ist heute lingua franca, die globale Verkehrssprache. Sie wird in Europa, Asien und Lateinamerika flächendeckend unterrichtet. Schon deshalb ist sie die praktikabelste Lösung. Alles folgerichtig. Was kann man dagegen einwenden? Fast noch weiter geht Günther Oettinger, eine Zeit lang EU-Kommissar für Digitalisierung und Wirtschaft, heute EU-Kommissar für Haushalt und Personal. Er formulierte schon 2005 in einem Fernsehfilm von Harald Wötzel, was er von der ökonomischen Brauchbarkeit der 4 5 Prenzlauer Berg: bekannter und beliebter Stadtteil von Berlin for … competitiveness: hier etwa „der Wettbewerbsfähigkeit zuliebe“ Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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D LK HT 1 Seite 5 von 6 Name: _______________________ 105 110 115 120 125 130 deutschen Sprache hält, nämlich nichts. Die zukünftige Arbeitssprache in Deutschland – ein Begriff von Oettinger – werde Englisch sein. Er gewährt der deutschen Sprache immerhin eine Art Gnadenbrot. Originalton Oettinger: Deutsch bleibt die Sprache der Familie, der Frei- zeit, die Sprache, in der man Privates liest, aber – Englisch wird die Arbeitssprache. Mit großem Recht fragt der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant: Wenn Englisch die Arbeitssprache ist – warum sollen Migranten dann Deutsch lernen? Eine Familiensprache haben sie schon, sie brauchen keine zweite. 6 Schon heute sind Englischkenntnisse ein Distinktionsmerkmal . Schon heute kann kein Akademiker ohne Englisch auskommen – und Akademiker gibt es, wie wir wissen, immer mehr. Schon heute ist Englisch eine Tür zum Arbeitsmarkt, eine Eintrittskarte in die Gesell- schaft. Wer kein Englisch kann, ist mit einem Makel behaftet; er ist, wenn nicht heute, dann 7 morgen, ein Sonderling mit Tendenz zum geistigen Prekariat – was übrigens einer von vie- len Gründen dafür sein mag, dass viele Ostdeutsche sich abgehängt oder ausgeschlossen füh- len, auch wenn sie materiell nicht prekär gestellt sind: Sie sprechen nicht – oder nicht ausrei- chend – Englisch. Und je wichtiger das Englische wird, desto mehr gerät das Deutsche unter Druck, und desto mächtiger wird wiederum das Englische. Es ist ein Prozess, der sich selbst beschleunigt, eine Kettenreaktion. Wenn Sie in einer staatlichen Institution anweisen, dass alle E-Mails in zwei Sprachen geschrieben werden, werden sie selbstverständlich bald nur noch in Englisch ge- schrieben. Wenn wir heute Englischunterricht ab der ersten Klasse einführen, dann werden ehrgeizige Eltern ihre Kinder schon im Kindergarten Englisch lernen lassen. Und Kinder von Eltern, die selbst schon im Kindergarten Englisch gelernt haben, werden anfangen, mit ihren Kindern zu Hause Englisch zu sprechen, um die Chancen der nachfolgenden Generation im ökonomischen Wettbewerb zu erhöhen. Glauben Sie wirklich, dass es noch dreihundert Jahre dauern wird, bis das Deutsche aus- stirbt? Meine Damen und Herren, wer noch immer über den Titel dieser Rede lächelt, dem ist – was erlaubt wäre – die deutsche Sprache gleichgültig. […] Je länger ich über die Chancen der deutschen Sprache in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung nachdenke, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass sie unter- gehen wird. Alles spricht gegen sie: das unerbittliche Gesetz des Nutzens, man kann es Kapi- talismus nennen; unsere blinde Verehrung für die US-amerikanische Kultur; die Katastrophe des Nazismus, der diese Sprache entstellt und verwundet hat und nicht aufhört, sie zu entstel- len und sie zu verwunden; das Internet mit seinen Reinigungsphantasien und Schmutzkam- 6 7 Distinktionsmerkmal: ein Merkmal, das einen wesentlichen Unterschied ausmacht. Prekariat: (soziologischer) Begriff für soziale Gruppierungen, die aufgrund ihrer Lebensumstände sozial abgestiegen sind bzw. von einem sozialen Abstieg bedroht sind. Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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D LK HT 1 Seite 6 von 6 Name: _______________________ 135 140 pagnen; aber vor allem die mangelnde Zuneigung ihrer Sprecher, der jungen noch weniger als der alten. Was war das jetzt also? Ein Abgesang? Eine vorgezogene Trauerrede? […] Vielleicht nehmen Sie diese Rede als das: als eine Einladung, diese Sprache im Bewusstsein ihrer Vergänglichkeit zu betrachten; sich auf diese Weise an ihr zu erfreuen. Vielleicht lesen Sie dieses oder jenes Buch mit noch größerem Genuss. Vielleicht hängen Sie in einer Mußestunde, falls es das in Ihrem Leben noch gibt, einer Wendung nach, schlagen ein Herkunftswörterbuch auf (gibt’s auch im Internet) oder blättern mal wieder in einem Ihrer schon gelesenen Lieblingsbücher. Lassen Sie sich Zeit, alles verschwindet. Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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Ministerium für Schule und Bildung NRW D LK HT 1 Seite 1 von 9 Unterlagen für die Lehrkraft Abiturprüfung 2019 Deutsch, Leistungskurs 1. Aufgabenart Analyse eines Sachtextes mit weiterführendem Schreibauftrag 2. 1 Aufgabenstellung 1. Analysieren Sie den folgenden Auszug aus Eugen Ruges Rede „Versuch über eine aus- sterbende Sprache“. Erläutern Sie dabei die wesentlichen Aussagen und untersuchen Sie, wie Ruge das Thema als Schriftsteller entfaltet und welche Wirkungsmöglichkeiten der Rede sich daraus ergeben. (45 Punkte) 2. Erläutern Sie Ruges Bemerkung, Englisch sei „eine Eintrittskarte in die Gesellschaft“ (Z. 110 f.). Nehmen Sie unter Bezug auf den Redeauszug und auf eigene Kenntnisse und Erfahrungen abwägend Stellung zu der Frage, inwiefern in Deutschland lebende Migran- tinnen und Migranten Deutsch lernen sollten oder ob Englisch den Vorrang haben sollte. Berücksichtigen Sie dabei auch die ästhetisch-literarische Dimension von Sprache. (27 Punkte) 3. Materialgrundlage • Eugen Ruge: Versuch über eine aussterbende Sprache. Dresdner Reden 2018. 25. Februar 2018 Zitiert nach: http://www.staatsschauspiel-dresden.de/download/9261/dresdner_rede_ eugen_ruge_25022018.pdf (Zugriff 01.02.2019) 4. Bezüge zum Kernlehrplan und zu den Vorgaben 2019 Die Aufgaben weisen vielfältige Bezüge zu den Kompetenzerwartungen und Inhaltsfeldern des Kernlehrplans bzw. zu den in den Vorgaben ausgewiesenen Fokussierungen auf. Im Folgenden wird auf Bezüge von zentraler Bedeutung hingewiesen. 1. Inhaltsfelder und inhaltliche Schwerpunkte Inhaltsfeld Sprache • sprachgeschichtlicher Wandel – Mehrsprachigkeit Inhaltsfeld Texte • komplexe, auch längere Sachtexte 1 Die Aufgabenstellung deckt inhaltlich alle drei Anforderungsbereiche ab. Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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Ministerium für Schule und Bildung NRW D LK HT 1 Seite 2 von 9 Inhaltsfeld Kommunikation • rhetorisch ausgestaltete Kommunikation in funktionalen Zusammenhängen 2. Medien/Materialien • entfällt 5. Zugelassene Hilfsmittel • Wörterbuch zur deutschen Rechtschreibung 6. Vorgaben für die Bewertung der Schülerleistungen Teilleistungen – Kriterien a) inhaltliche Leistung Teilaufgabe 1 Anforderungen Der Prüfling maximal erreichbare Punktzahl 1 formuliert eine aufgabenbezogene Einleitung, die zentrale Angaben aufnimmt: Autor, Titel, Textsorte, Ort und Zeit der Veröffentlichung. 2 2 erläutert Anlass der Rede, Thema und Redesituation, etwa: • Rede auf Einladung des Staatsschauspiels Dresden, • Thema: Entwicklung und Gefährdung der deutschen Sprache durch die zunehmende Dominanz des Englischen in einer globalisierten und digitalisierten Welt, • öffentliche Veranstaltung, allerdings kulturaffines Publikum als zu erwartender Adressatenkreis, • Einlassen auf das Thema trotz einer gewissen Skepsis und aus scheinbar zufälligem Anlass (Hören eines Radiobeitrags), • Engagement aufgrund der eigenen Profession und des persönlichen Interesses an Sprache und Literatur. 6 3 erschließt den Gedankengang des Textes im Hinblick auf die wesentlichen Aussagen des Verfassers, etwa: • Hinführung zum Thema: Yimas als Beispiel für das bewusste Aussterben-Lassen einer Sprache, • Beunruhigung des Autors über die Nachricht, dass die deutsche Sprache vom Aus- sterben bedroht sei, • Unbehagen über den zunehmenden Einfluss des Englischen im deutschen Sprach- raum, beispielhaft erläutert an der Berliner Szene und am Theater, • Hervorhebung der Bedeutung des Englischen als Verkehrssprache in Unternehmen, • Zuspitzung der Problemstellung: Aussterben einer Sprache als Ergebnis einer ab- nehmenden Wertschätzung der Sprache, nicht als Folge etwa eines sich verringern- den Wortschatzes, • Frage nach der Nützlichkeit und Brauchbarkeit der deutschen Sprache in der Wirt- schaft, • Ausblick: zunehmende Bedeutung des Englischen als Arbeitssprache, mögliche Reduzierung der Verwendung der deutschen Sprache auf den privaten Bereich, • Redeschluss: Plädoyer für das bewusste Sich-Einlassen auf die deutsche Sprache angesichts des prognostizierten Untergangs der deutschen Sprache. 8 Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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Ministerium für Schule und Bildung NRW D LK HT 1 Seite 3 von 9 4 erläutert Ruges Überlegungen, etwa im Hinblick auf folgende Aspekte: • Englisch als Lingua franca vor dem Hintergrund von Globalisierung und Digita- lisierung: – zunehmender Gebrauch des Englischen in der Berliner Kulturszene, in Restau- rants und vor allem als Verkehrssprache in vielen Unternehmen, – Einfluss des Englischen in der Erziehung, in Kitas und Schulen, – Herausstellen der Bedeutung des Englischen als „gesellschaftliches Muss“, als Ausdruck der Zugehörigkeit und sozialen Stellung, – Orientierung der Deutschen an Amerika und der amerikanischen Kultur, – Englisch als Verständigungsmittel auch in Deutschland: gemeinsame Sprache von Einheimischen und Menschen mit Migrationsgeschichte, • mögliche negative Konnotationen der deutschen Sprache wegen der Ideologisie- rung durch die Nationalsozialisten und deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart, • fehlende emotionale Bindung an die deutsche Sprache, vor allem bei der jungen Generation, trotz der Bedeutung des Deutschen als Literatursprache und seiner lebendigen Entwicklung im Hinblick auf die Erweiterung des Wortschatzes, • Ruges (provokantes) Fazit aus den Beobachtungen: Eindruck der Unaufhaltsam- keit der Bestandsgefährdung des Deutschen trotz des Hinweises auf die Verant- wortung der Sprecherinnen und Sprecher für das Bewahren. 7 Angestrebt ist hier keine vollständige Darstellung der beispielhaft genannten Aspekte, sondern eine differenzierte Schwerpunktsetzung durch den Prüfling, die allerdings mehrere Gesichtspunkte aufgreift. 5 untersucht den Text im Hinblick auf die rhetorisch-sprachliche Gestaltung, etwa: • sentenzhaftes Sprechen in kurzen, einprägsamen Sätzen zur Unterstreichung all- gemeingültiger Einsichten, • Verwendung von für eine Redesituation typischen Stilmitteln wie Parallelismen und Anaphern, • Benutzung von „Und-Fügungen“ zur Verstärkung der Aussage („Globalisierung und Digitalisierung“, „klug und witzig“, „zu entstellen und zu verwunden“), • wiederholte Verwendung hypotaktischen Satzbaus („Wenn […], dann“ und „je […], desto“, auch in Verbindung mit Einschränkungen „sondern, aber, auch wenn“- Fügungen), • Adverbien zur Akzentuierung der zeitlichen Dimension: z. B. Gegenwart („heute“) und Zukunft („morgen“). 7 6 untersucht, wie Ruge das Thema als Schriftsteller entfaltet, etwa: • erzählender Gestus: – anekdotenhaftes Einbetten von Sachverhalten und Begründungen in Geschich- ten und biografische Bezüge, – direkte Leseransprache, Einbeziehen der Zuhörenden bzw. Lesenden durch direkte Fragen, – Selbstironie als Mittel der kritischen Selbstreflexion und zur Unterstreichung der Grundsätzlichkeit der Problematik, • Einschübe und Ich-Botschaften zur Verdeutlichung der persönlichen Betroffen- heit, aber auch zur Herstellung von Vertraulichkeit zwischen dem Sprechenden und dem Zuhörenden, z. B. Reaktion des Autors auf die Radiomeldung zum Aus- sterben der deutschen Sprache: – persönliche Wertungen, die die Position des Verfassers deutlich werden lassen, – offene Fragen und rhetorische Fragen als Ausdruck der Verunsicherung und als Anregung zur Reflexion, • Hinzuziehen wissenschaftlicher und politischer Autoritäten zur Unterstreichung der These von der Gefährdung der deutschen Sprache, aber gleichzeitig innere Distanzierung von deren Position: – Provokation der Lesenden/Hörenden vor allem durch den Schlusssatz; ggf. Deu- tung des Redeschlusses als ironisierende Bemerkung mit dem Anspruch, den Widerstand der Lesenden/Hörenden hervorzurufen. 8 Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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Ministerium für Schule und Bildung NRW D LK HT 1 Seite 4 von 9 Angestrebt ist hier keine vollständige Darstellung der beispielhaft genannten Aspekte, sondern eine differenzierte Schwerpunktsetzung durch den Prüfling, die allerdings mehrere Gesichtspunkte aufgreift. 7 untersucht, welche Wirkungsmöglichkeiten sich aus Ruges Entfaltung des Themas ergeben, etwa: • Herausforderung zur Positionierung der Hörenden/Lesenden durch: – die indirekte Appellstruktur: Eintreten für den Erhalt der deutschen Sprache aufgrund ihrer Kultur bewahrenden Funktion, – den erzählenden Gestus, durch den anhand von Beispielen, Assoziationen und persönlichen Kommentierungen das Leserinteresse geweckt wird, nicht aber durch eine stringente Argumentation, – das wiederholte Behaupten eines notwendigen und nicht-steuerbaren Unter- gangs der deutschen Sprache, • Erzeugen einer besonderen Aufmerksamkeit für das Thema durch: – Beobachtungen zur Sprachentwicklung, die in besonderer Weise zur Reflexion über Sprache anregen, – die unaufgelöste Spannung zwischen der Untergangsprognose und der Hervor- hebung der Bedeutung der Sprache, verstehbar auch als Leserprovokation, – den Hinweis auf den Einfluss der Sprachgemeinschaft auf den Erhalt einer Sprache, – das Betonen der selbstbezüglichen Züge des Untergangsszenarios beim Redner: mögliche Vergänglichkeit auch von Ruges Werk, • insgesamt unterschiedliche Wirkungsmöglichkeiten der Rede aufgrund der Unein- deutigkeit von Ruges Position, etwa: – Verständnis des Untergangsszenarios für die deutsche Sprache als Ironie, – Übernahme der Position des unausweichlichen Untergangs der deutschen Spra- che, – bewusstes Eintreten für die deutsche Sprache im Sinne des Schlussappells, – Notwendigkeit des Erhalts der bestehenden literarischen Werke in deutscher Sprache, – Unentschlossenheit bei den Lesenden aufgrund der noch nicht absehbaren wei- teren Entwicklung im Sprachgebrauch. 7 Angestrebt ist hier keine vollständige Darstellung der beispielhaft genannten Aspekte, sondern eine abwägende Schwerpunktsetzung durch den Prüfling, die allerdings mehrere Gesichtspunkte aufgreift. 8 erfüllt ein weiteres aufgabenbezogenes Kriterium. (6) Teilaufgabe 2 Anforderungen Der Prüfling maximal erreichbare Punktzahl 1 formuliert eine aufgabenbezogene Überleitung, etwa zur Bedeutung der deutschen Sprache in einer globalisierten Welt sowie im kulturellen Kontext und/oder zum wei- teren methodischen Vorgehen. 2 2 erläutert das Zitat, etwa: • zunehmende Bedeutung des Englischen, sowohl als Arbeitssprache als auch in der Gesellschaft, • Beherrschen der englischen Sprache als Zugangsvoraussetzung für gesellschaft- liche Teilhabe, nicht nur für Akademiker, • Stärkung der Position des Vorrangs des Englischen in der Arbeitswelt durch die Darlegung der Position des EU-Kommissars Günther Oettinger, 3 Abiturprüfung 2019 – Nur für den Dienstgebrauch!
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