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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Alle relevanten Dokumente zur Doktorarbeit von Franziska Giffey

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Schlussbericht des Gremiums zur Überprüfung der Dissertation von Frau Dr. Franziska Giffey (1) Aufgabe und Gegenstand des Gremiums Die ~ufgabe des Gremiums war die Erarbeitung eines Vorschlags für das Präsidium der Fr~ien Universität Berlin auf der Grundlage des§ 34 Abs. 7 und Abs. 8 BerlHG: Das Gremium hatte zu prüfen, ob Frau Dr. Giffey ihren Doktorgrad durch Täuschung über die Eigenständigkeit der schriftlichen Dissertationsleistung erworben hat. Frau Dr. Giffey hatte die Freie Universität Berlin im Februar 2019 darum_gebeten, ein solches formelles Prüfungsverfahren einzuleiten, -)    nachdem das Magazin Der SPIEGEL über eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer Disserta- tion auf der Plattform Vroniplag berichtet hatte. Das Gremium wurde durch den Promotionsausschuss des Otto-Suhr-lnstituts eingesetzt und konstituierte sich am 9. April 2019. Es setzt sich zusammen aus vier Mitgliedern des Fachbe- reichs Politik und Sozialwissenschaft~n' (PolSoz) der FU Berl\n, darunter drei Hochschullehre- .                                 . rinnen und Hochschullehrer und ein Vertreter des akademischen Mittelbaus. Darüber hinaus gehörte.dem Gremium ein externer Hochschu llehrer an. Alle fünf Mitglieder waren stimmbe- rechtigt. Mitarbeiterinnen des Rechtsamts der Freien- Universität und der Abteilung Nach- wuchsförderung des Fachbereichs PolSoz haben die Arbeit des Gremiums beratend und un- terstützend begleitet. Keines der Mitglieder hatte zuvor die Dissertation von Frau Dr. Giffey begutachtet oder an der Kpmmission zu ihrem Promotionsverfahren mitgewirkt. Das Gre- mium ist gleichwohl im thematischen Bereich der Dissertation (insbesondere zu Fragen Euro- päischer Integration, Europäischer Öffentlichkeiti der Europäischen Kommission, der Demo- kratietheorie und zivilgesellschaftlicher Beteiligung) sehr gut ausgewiesen. Es ist somit inhalt- lich und formal geeignet, die Prüfung vorzunehmen . Gegenstand der Prüfung war die schriftliche Dissertation von Frau Dr. Giffey mit dem Titel "Europas Weg zum Bürger - Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zi- vilgesellschaft". Das Gremium hatte zu prüfen, ob angesichts der von Vroniplag als problema- tisch ausgew·iesenen Textstellen (a) der objektive Tatbestand der Täuschung über die Eigen- ständigkeit der schriftlichen Dissertationsleistung und (b) der subjektive Tatbestand der Vor- sätzlichkeit erfüllt seien. Ein weiteres Prüfkriterium war, ob (c) die als Plagiat identifizierten Stellen die Arbeit als Ganze quantitativ, qualitativ und/oder in der Gesamtschau prägen und darum die wisse·nschaftliche Eigenleistung der Promovendin substantiell beeinträchtigen: Da- von abgesehen war die wissenschaftliche Qualität der (mit "magna cum laude" bewerteten) . Dissertation ausdrücklich nicht Gegenstand der Prüfung. Das Gremium setzte sich mit der beanstandeten Arbeit auf der Grundlage der im Oktober 2009 eingereichten Fassung auseinander. Gegenstand der Ü~e-rprüfung waren insbesondere die in 1
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der öffentlich zugänglichen „kollaborativen Plagiats~okumentation" durch Vroniplag (in der Fassung vom 09.05.2019} identifizierten Mängel. In dieser Dokumentation werden auf 76 (von insgesamt 214) Seiten der Arbeit Plagiatsstellen moniert. Hierbei handelt es sich um insgesamt 119 sogenannte „Fragmente", also einzelne beanstandete Textstellen. Darunter befinden sich 11 sog. ,,herausragende Fundstellen ", die Vroniplag als besonders gravierend hervorhob. Den Mitgliedern des Gremiums wurden im laufe ihrer Arbei~ von den Rechtsanwälten von Frau Dr. Giffey (Dr. Köhler und Partner) vier Ausarbeitungen (,,vertraulich und persönlich") · zugeleitet: eine _Ausarbeitung zu den 11·,,herausragenden Fundstellen" von Vroniplag von Prof. Dr. Uwe Wesel; eine „Gutachterliche Stellun~nahme" zur Zitierweise in der Dissertation von Frau Dr. Giffey; eine Übersicht über den Verlauf des Promotionsvorhabens auf der Grundlage von Pro- tokollen, Exposes, etc.; 'J eine Zusammenstellung der Protokolle sämtlicher Forschungsinterviews, ·die Frau Dr. Giffey im Rahmen ihres Promotionsvorhabens durchgeführt hat. Vor allem durch die letzten beiden „Konvolute" hat das Gremium einen detaillierten Überblick über Verlauf und Durchführung .         des Pro_m otionsvorhabens   sowie  Über . Art  und  Umfang  der Betreuung der Doktorandin erhalten. Die Stellungnahmen der Rechtsanwälte zielen insbeson- dere darauf ab nachzuweisen, dass (a) die Mängel fn der Arbeit geringfügig sind (fehlende~ objektiver Tatbestand); dass (b) diese Mängel auf. Vorgaben der Betreuerin zur Zitierweise .   zu- . rückzuführen sirid (fehlender subjektiver Tatbestand); und dass (c) sie die wissenschaftlich e Eigenleistung der Arbeit nicht substantiell beeinträchtigen (fehlende Relevanz des Tatbe- stands). Insgesamt ist diesen Stellungnahmen zu entnehmen, dass Frau Dr. Giffey den gegen sie erho_benen Vorwürfen in vollem Umfang widerspricht. (2) Vorgehensweise bei der Prüfung · Das Gremium hat sich in einem aufwendigen Verfahren ein eigenständiges Gesamtbild der formalen Mängel der Disse rtation von Frau Dr. Giffey gemacht. Zu -diesem Zweck hat es sich eingehend mit dem Arbeitsstil und der Zitierweise der Autorin beschäftigt. Es folgte bei ihrer Arbeit weder den quantitativen Vorgaben von Vroniplag, noch den Bewertungen der elf „her- ausragenden Fundstellen" von Prof. Wesel. Das Gremiu_m machte es sich zur Aufgabe, alle 119 Fundstellen, die Vroniplag als problematisch ausgewiesen _h atte, einzeln auf der Grundlage eigener Kriterien zu prüfen. Es orientierte sich dabei -unter anderem an den neuen Leitlinien 'für ·gute wissenschaftliche Praxis, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft in diesem Jahr verabschiedet hat. Demn 9 ch ist bei der Anwendung von Zitierregeln und der Überprüfung von Plagiaten „eine die • Vielfalt der Fächerkulturen ernst nehmende, qualitativ gewichtete Textanalyse ... ge~oten" (Rixen, in Forschung~ Lehre 9/2019, S. 819). 2
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Für seine Analyse entwickelte das Gremium ein differenziertes Kategorienschema, mit Hilfe dessen jede von Vroniplag identifizierte „Fundstelle" in Bezug· auf zwei verschiedene Dimen- sionen beurteilt werden konnte. Zum einen wurden Art und Umfang der Übernahme fremder Textteile festgehalten. In diesem Zusammenhang wurden folgende Kategorien unterschieden: (1) die wörtliche Übernahme einer geschlossenen Textpassage, zumindest eines ganzen Sat- zes; (2) die Paraphrasierung von Texten mit deutlichen wörtlichen Textübernahmen, i.d. R. ganzer Satzteile; und (3) die Paraphrasierung ohne bzw: mit geringfügiger wörtlicher Textüber- nahme. Zum anderen wurde bei jeder Textstelle vermerkt, ob und auf welche Weise die Quelle für diese Textübernahmen genannt wurde. Hierbei wurde unterschieden zwischen folgenden Kategorien: (A) keine Nenn'ung der Quelle; (B) Nennung der Quelle im unmittelbaren Zusam- menhang, aber ohne Möglichkeit der eindeutigen Zuordnung; und (C) Nennung der Quelle im Kontext bei Möglichkeit eindeutiger Zuordnung. Dieses Kategorienschema ermöglicht eine höchst differenzierte Einordnung vo~ Mängeln bei Quellenangaben und Textübernahrrien in -)       der Arbeit von Frau Dr. Giffey (siehe Anlage). Das Vorgehen des Gremiums bei der Prüfung der Arbeit war zweistufig. Zunächst wurde jede von Vroniplag monierte Textstelle von jedem der Gremiumssmitglieder unabhängig geprüft und, s_o weit einschlägig, in das Kategorienschema eingeordnet. Im nächsten Schritt wurde dann jede Textstelle im Kreis des Gremiums diskutiert und Konsens üb~r die Art.des Mangels hergestellt. Das Ergebnis wurde im Protokoll festgehalten. Wichtig war bei diesem Vorgehen, dass für die Beurteilung ein·er Fundstelle der weitere Textzusammenhang bzw. Kontext der Aussage berücksichtigt wurde. Dieser umfasste mindestens den gesamten Absatz, in dem eine Fundstelle stand, SO"Vie den vorangehenden sowie den nachfolgenden Absatz. D.h., abwei- chend von der Vorgehensweise von Vroniplag war für die Einordnung einer Referenz nicht nur die direkte Wortübernahme im engeren Sinne relevant, sondern· die Übernahme von Texttei- len im Kontext des Absatzes bzw. größerer Sinneinh~iten. .                    . Die systematische Analyse der monierten Fundstellen war die Grundlage der unabhängigen .    l ..,/ Beurteilung, ob im Fall der Dissertation von Frau Dr. Giffey (a) eine objektive Täuschung vor- liegt; ob (b) eine subjektive Täuschungsabsicht zu erkennen ist; und ob die (c) als fehlerhaft ausgewiesenen Textstellen für die Bewertung der wissenschaftlichen Leistung relevant sind. Frau Dr. Giffey wurde die Möglichkeit der Stellungnahme gewährt, die sie, über die unter (1) aufgeführten vier ~usarbeitungen hinaus, nicht wahrgenommen hat. (3) Ergebnisse Zunächst ergab die Prüfung, d~ss die von Vroniplag genannte Zahl von 119 problematischen Fundstellen nicht eindeutig ist. So werden ~inzelne Monita, die sich über mehr als eine Seite erstrecken, parzelliert und für jede Seite separat gezählt. Diese Mehrfachnennung einzelner - Fundstellen führt zu einer Erh_ öhung der Gesamtzahl der potentiell fehlerhaften Textstellen. Auch erschwert d_ie „selektive", aus dem Kontext gerissene Betrachtung der Fragmente bei Vr6_niplag die Beurteilung von Fehlermustern. Ein Beispiel bildet_die wiederholte Bezugnahme 3
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in einem einzigen größeren Sinnabschnitt auf ein und dieselbe nicht oder nicht e·indeutig aus- gewiesene Quelle wie etwa Kersting (2008) auf den Seiten 45 und 46 oder Scharpf (1997, 1999) auf den Seiten 27 und 28. 3.1 Prüfung der objektiven Täuschung Von den 119 bei Vroniplag monierten Stellen konnten 39 ni~ht eindeutig im Sinne der Bewer- tungskategorien zugeordnet werden. Bei diesen Fundstellen handelt es sich meistens entwe- der um Allgemeinplätze VJie etwa generische Beschreibungen des El) Integrationsprozess (,Friedensprozess') oder der EU Institutionen (,Motor der Integration') ·oder um eine wenig auffällige Aneinanderreihung allgemein. geläufiger Ausdrücke. Diese 39 Stellen unterschied das· Gremium von einer plagiatsverdächtigen Abfolge von Fachtermini oder eigenwilligen sprachlichen Wendungen . Für die weitere Bewertung wurden folglich (nach der Zählweise von Vroniplag) 'noch 80 Textstellen herangezogen. Von diesen 80 Textstelle·n wurden insgesamt 29 von dem Gremium als geringfügige Mängel eingestuft. Hierzu zählen 19 Textstellen die den Kategorien C (Quelle im Kontext genannt, ein- deutige Zuordnung möglich) und/oder bei 10 Fundstellen der Kategorie 3 (Paraphrasierung . ohne bzw. mit geringfügiger wörtlicher Textübernahme) des Analyseschemas zugeordnet wurden . -Zu den Fehlern der 19 Textstellen der Kategorie C gehören etwa das Fehlen von Sei- tenzahlen bei Zitaten ode_r die Nennung der eigentlichen Quelle nur im näheren Satzumfeld und nicht am Ende des eigentlichen Zitats. In allen diesen Fällen handelt es sich um Formfeh- ler, die das Gremium als Bagatellen bewertete. Diese Fehler werfen eher auf die·- nicht wei_ter zu bewertende - wissenschaftliche Qualität der Arbeit efnen Schatten als auf die wissenschaft- liche Redlichkeit der Verfasserin. Bei 10 Textstellen der Kategorie 3,. bei denen Paraphrasierungen ohne bzw. mit gering- fügiger wörtlicher Textübernahmen oder Ähnlichkeit mit einschlägigen Argumenten aus nicht eindeutig referenzierten Quellen erkenf!bar waren, konnte der Vorwurf der objektiven Täu- schung nicht zureichend b~legt werden. Daher wurden diese Fälle nicht weiter berücksichtigt. Als eindeutige Fälle von Plagiaten stufte das Gremium Fundstellen ein, bei denen ganze Sätze oder noch größere Textpassagen wörtlich aus einer nicht genannten Quelle übernommen wurden (Kategorie lA). Dafür gibt es in der Dissertation von Frau Dr. Giffey vier Fälle. In einem weiteren Fall hat sie einen ganzen Satz wörtlich zitiert, die Quelle aber lediglich fm Kontext genannt, so dass eine eindeutige Zuordnung nicht möglich ist (Kategorie 18). Dies bedeutet, dass von den 80 zu beanstandenden Stellen fünf als Plagiate im eigentlichen Sinne, nämlich als wörtliche Übernahme eines ganzen Sat~es ohne Nennung der Quelle, zu beanst_      anden sind. Das Gremium hat darüber hinaus bei 22 Fundstellen deutliche Textübernahmen oder Para- phrasen ausgemacht, bei den~n keine Quelle genannt wurde (Kategorie 2A). Im Gremium be- stand· Konsens darüber, dass diese 27 Textstellen den Tatbestand der „objektiven Täuschung" e·rfüllen. Auf diese Fälle trifft die.Behauptung der Anwälte, Frau Dr. Giffey habe auf Anrat~n ihrer Betreuerin eine amerikanische und 11 eher problemorientierte Zitierweise" gewählt, nicht 4
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zu. Es gibt keine wissenschaftlich anerkannte Zitierweise, die für wörtliche Zitate etwas ande- res vorsieht als doppelte Anführungszeichen am Anfang und Ende des Zitats sowie die genaue Quellenangabe mit-Seitenzahl(en). Schwieriger war die Bewertung von 20 Fundstellen, bei denen zwar Paraphrasierungen mit deutlichen wörtlichen Textübernahmen gefunden wurden, die Quelle jedoch im Kontext ge- nannt wird (Kategorie 2B). In diesen Fällen könnte das Argument der 11 problembrientierten Zitierweise" greifen (sieh.e ausführlicher folgende Seite). Beispielhaft hierfür sind die Seiten 45 und 46. Diese Seiten stützen sich maßgeblich auf Kersting (2008), laut Vroniplag eine der zwei 11 herausragenden Quellen". Auf diesen Text wird auf diesen beiden Seiten insgesamt sechsmal verwiesen, einmal in einem direkten Zitat (S. 46 oben). Die von der Verfasserin verwendete ZitierY"eise ist problematisch, da in der Regel keine konkreten Seitenzahlen genannt werden und die Quelle häufig unspezifisch am Ende eines Absatzes gE;nannt wird. Gleichzeitig gibt die Verfasserin den Lesern aber klar zu erk~nnen, dass sie sich hier in großem Umfang auf eine )  ganz be~timmte Qu~lle (Kersting 2008) stützt. Das Gremium bewertete das Vorgehen von Frau Dr. Giffey in diesen Fällen als mangelhaftes wissenschaftliches Arbeiten. In der Gesamtbewertung des Kriteriums der objektiven Täuschung kann festgestellt werden, dass der Tatbestand des klassischen Plagiats bei fünf Fundstellen geg~ben ist und bei weiteren 22 Stellen Paraphrasen von nicht genannten Quellen vorliegen. Bei den zu beanstandenden Textstellen handelt es sich zumeist um eirizelne Sätze oder Satzfragmente. Die für gravierende Fälle von Wissenschaftsplagiaten charakteristische wörtliche Übernahme bzw. Umarbeitung von größeren Textteilen, die Übernahme von Daten bzw. Forschungsergebnissen oder die Übernahme origineller Gedanken bzw. Erkenntnissen konnten in der Arbeit von Frau ~r. Giffey nicht gefunden werden. Auch die im Falle.von Plagiate·n häufig auftretenden Brüche in der Ausdrucksform oder in der Argumentation kommen in der Arbeit von Frau Dr. Giffey nicht vor. Die beiden laut Vroniplag 11 herausragenden Quellen" (Kersting 2008; Liebert/Trenz 2008) wer- den in der Arbeit auch vielfach an einschlägigen Stellen genannt. Bei den nicht genannten ' . _)  Quellen- handelt es - sich zumeist um Handbuchartikel oder Lexikoneinträge (\/\(ikipedia). Gleichwohl bestand im Gremium Konsens darüber, dass in diesen Fällen der Tatbestand der objektiven Täuschung über die Eigenständigkeit der schriftlichen Dissertationsleistung gege- ben ist. Darüber ~inaus w_a r sich das Gremium einig, dass es sich bei den anderen zu beanstan- · den Textpassagen durchweg um Fälle mangelhaften wissenschaftlichen Arbeitens handelt. 3.2 Vorsätzlichkeit der Täuschung Mit Bezug auf die objektiv fehlerhaften Fundstellen hatte das Gremium zu klären, ob bei die- sen eine subjektive Täuschungsabsicht vorliegt. Wichtig war hier, dass hei diesem Kriter_ium ein bedingter Vorsatz ausreicht und keine nachgewiesene Täuschungsabsicht erforderlich ist. Da.von ·zu unterscheiden sind bloße Nachlässigkeiten, Ungenauigkeiten oder Flüchtigkeitsfeh- ler. Für einen Vorsatz muss der Nachweis einer klar·erkennbaren Eigeninitiative der Täuschung 5
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·erbracht werden; für einen bedingten Vorsatz kön·nen Merkmale wie eine 11 Häufung und Sys- tematik" im Vorgehen sprechen. Das Gremium hat sich in diesem Zusammenhang intensiv mit der von Frau Dr. Giffey in der Arbeit verwendeten .Zitierweise beschäftigt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine Reihe von Mängeln (insbesondere in den Fällen, in denen paraphrasiert wurde, und die Quelle entweder direkt oder indirel~t genannt wurde) darauf zurückgeführt werden kann, wie Frau Dr. Giffey eine ganz ~estimmte (,,problemorientierte, amerikanische") Zitierweise verwendet. Ihre Rec~tsanwälte führen hier an, dass die Doktorandin diese Zitierweise auf Wunsch ihrer Betreuerin in einer späten Phase ihrer Promotion übernommen habe. Davor hätte sie die in Deutschland in den Rechts- und Geisteswissenschaften gebräuchliche Zi~ierweise verwendet und präzise mit Seitenangaben gearbeitet. Das Gremium hat dazu festgestellt, dass die sog. „amerikanische Zitierweise" in der Arbeit keineswegs lege artis umgesetzt wird. Zum einen gilt auch bei der Verwendung der sog·. ,,-amerikanischen Zitierweise", dass.bei Bezügen _zu kon- ... kret~n Textstellen Seitenangc!ben erforderlich sind. Zum anderE:n verwendet Frau Dr. Giffey        ) diese_Zitierweise uneinheitlich und inkonsistent: Bei einigen Textpassagen wird am Ende des Absatz a':Jf Quellen verwiese,:i; häufig verweist die Autorin aber auch irgend~o im Absatz auf die Quelle, oder aber im vorhergehenden oder folgenden Ab~atz bei Aussagen, die nicht·not- . we_  ndigerweise in einem Sinhzusammenhang mit der zitierten Aussage stehen müssen. Ins- gesamt hat der Doktorandin zumindest die Erfahrung in der Anwendung der „pr~blemorien- tierten" Zitierweise gefehlt, die von ihr erwartet wurde. Dieses Argument trifft jedoch nich_t auf die von dem Gremium identifizierten Fälle einer ob- jektiven Täuschung zu. In diesen Fällen wurden entweder wörtliche· Textübernahmen nicht kenntlich gemacht und ~ie verwendete Quelle nicht genannt bzw. nicht eindeutig zugeordnet. · lri beiden Fällen handelt es sich um ein problematisches Fehlverhalten. Die Rechtsanwälte führen noch ein zweites Argument an, um den Vorwurf fehlerhaften Zitie- .                                             . rens zu entkräften, das der Trivialität. Sie argumentieren, dass bei allgemein·bekannten Sach-    / verhalten Quellenangaben nicht erforderlich seien. In den Sozialwissenschaften gelte dies auch für allgemeingebräuchliche Definitionen, z.B. vo~ Begriffen wie 11 Partizipation". Dieses Argument kann die Textentnahmen aus Wörterbüchern· und Lexika ohne Angabe der Quelle, U(TI  die es hier im Wesentlichen geht, jedoch keinesfalls rechtfertigen. Denn in den zu bean- standenden Textpassagen geht es nicht um allgemeingebräuchliche Definitionen, sondern um die fachspezifische Verwendung von Schlüsselbegriffen in einem Forschungsgebiet, in dem sich eine einheitliche Begriffsverwendung (noch) ni~ht durch~esetzt hat. Aus genau diesem Grun_d war es in der A~beit ja erforder!ich, der empirisc;hen Fallstudie ein sehr umfangreiches l<apitel voranzustellen, das sich mit „Begriffsklärungen" beschäftigt. Davon zu unterscheiden sind indessen Zitationen aus zweiter Hand, die in der Arbeit häufig vorkommen, die aber schwierig zu bewerten s(nd. Sie könnten als problematischer: Versuch interpretiert werden, wissenschaftliche Tiefe vorzutäuschen, wo diese nicht vorhandenen ist. 6
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Sie kö•nnten beispielsweise aber auch als in der Sache gerechtfertigte Verweise auf Primär- quellen gewertet werden, um dem Leser den weiteren wissenschaftlichen Kontext zu erläu- tern und die vertiefte Beschäftigung mit einem Thema zu erleichtern. Insgesamt bestand in dem Gremium Konsens, dass die in der Arbeit festgestellten Mängel auch ei_nen systematischen Charakter haben. Neben einigen eindeutigen Plagiaten zeichnen sich weitere besonders problematische Fälle dadurch aus, dass bei der Präsentation des For- schungsstandes wissenschaftliche Überblicksdarstellungen genutzt wurden, ohne dass ausrei- chend erkennbar wird, in welchem Umfang diese Quellen von der Verfasserin „abgeschöpft" wurden. Hier war die Unsicherheit darüber nicht auszuräumen, ob diese Systematik in allen Fällen auf einen Täuschungsvorsatz schließen lässt. 3.3 Quantitative und qualitative Relevanz der plagiierten Textstellen In einem dritten Schritt hatte das Gremium zu prüfen, ob die konstatierter:i Mängel ·für die Bewertung der wissenschaftlichen Eigenleistung relevant sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu festgestellt: ,,Die Plagiatsstellen müssen die Arbeit quantitativ, qualitativ .oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen. Eine quantitative Prägung ist zu bejahen, wenn die Anzahl der Plagiatsstellen und deren Anteil an der Arbeit angesichts des Gesamtum- fangs überhandnehmen. Derartige Passagen prägen die Arbeit qualitativ, wenn die restliche Dissertation den inhaltlichen Anforderungen an eine beachtliche wissenschaftliche Leistung nicht genügt." (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2017- 6 C 3/16-, BVerwGE 159, 148-171, Rn 44, juris). Das Gremium war bei der Diskussion der Relevanz der Beanstandungen mit den Argumenten von Vroniplag konfrontiert, ·die sich in diesem Punkt darauf stützt, dass nach ihrer Zählung in allen Kapitell"\ der Arbeit fehlerhafte Stellen seien. Hervorgehoben wird insbesondere, dass _.,, sich auch im Schlusskapitel der Arbeit, in dem es um die Präsentation der eigenen Forschungs- ergebnisse geht, Plagiatsstellen befänden. Damit soJI nach Ansicht des Gremiums die Ein- . schätzung untermauert werden, dass die Arbeit insgesamt nicht als eigenständige wissen- schaftliche Leistung gelten könne. Das Gremium hat sich ausführlich mit diesem Punkt befasst. Es befand, dass die Textstellen, die Vroniplag im Schlusskapitel ausfindig gemacht hat, mit Ausnahme von zwei Sätz.en nicht ins Gewicht fallen. Diese Textstellen wurden als nicht relevant für die Plagiatsprüfung erachtet und daher nicht oder in die Kategorien C bzw. 3 zugeordnet. Es bestand im Gremium auch l(onse~s darüber, dass sich die problemat_ischsten Stellen der' Arbeit von Frau Dr. Giffey in Kapitel 2 zum Thema: ,,Begriffsklärung und Eignungsdimensionen von Beteiligungsinstrumenten" befinden. In diesem Kapitel wird die demokratietheoretische Literatur über Europäische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft dargestellt und damit die Grundlage für Dimensionen und Indikatoren der empirischeh Fallstudie gelegt, die ganz am 7
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Ende des Kapitels vorgestellt werden. Es geht der Autorin letztlich darum, auf der Grundlage einer Literaturdiskussion Kategorien für die eigene Analyse der Beteiligungsinstrumente der EU (,,Analyseraster") zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich das Gremium mit der Frage, ob die in Kapitel 2 der Dissertation ausgewiesenen Verstöße die Qualität der wissenschaftlichen Leistung insgesamt unterminieren. Die Beantwortung dieser Frage wurde dadurch erschwert, d~ss d·as Gremium nicht über die wissenschaftliche Qualität der Arbeit insgesamt zu befinden hatte, sondern al- lein über die Plagiatsvorwürfe, d.h. über die Relevanz der ~iteraturdarstellung im zweiten Ka- pitel für die wissenschaftliche Qualität der Arbeit. Die Diskussion im Gremium zeigte indessen, dass die beiden Aspekte im konkreten Fall schwer zu trennen sind. Bei der weiteren .Diskussion des Stellenwertes von Kapitel 2 im Gesamtzusammenhang der Arbeit waren zwei Argumente gegeneinander abzuwägen. Auf der einen Seite war zu berück- sichtigen, dass die Arbeit nicht den Anspruch erhebt, ,,theoriegeleitet" in dem Sinne zu sein, dass theoretisch begründete Erwartungen (Hypothesen) für die empirische Analyse entwickelt werden. Sie hat auch nicht die Ambiti.on, selbst zur Theoriebildung beizutragen. Das Ziel des Kapitels ist ganz offensichtlich die Entwicklung einer Typologie für die anschließende empiri- sche Fallanalyse. Man kann daher argumentieren, dass der-Stellenwert dieses Kapitels für die Arbeit begrenzt ist und seine Mängel keine Auswirkungen auf die Bedeutung der wissen_schaft- lichen Leistung in_den anderen Kapiteln haben. Diese Sicht betont den empirischen Charakter _der Arbeit, die eine qualitative Einzelfallstudie auf der Basis von Leitfadeninterviews darstellt und hier ihren wesentlichen Beitrag zum Kenntnisstand der empirischen Politikforschung übe_r die EU-Politik leistet. Auf der anderen Seite 'muss bedacht werden, dass auch für Ar~eiten, die einen empirischen Beitrag leisten möchten, präzise begriffliche Klärungen, eine korrekte Bearbeitung von Primär- · und.Sekundärliteratur im entsprechenden Forschungsfeld sowie eine Begründung der eigenen Vorgehensweise durch die eigenständige Auseinandersetzung mit den grundlegenden theo-               • - ~✓ retischen Konzepten unverzichtbar sind. Diese Anforderungen erfüllt das Kapitel 2 der Arbeit von Frau Dr. Giffey jedoch nur sehr bedingt. In der Abwägung beider Positionen kommt das Gremium zu der Auffassung, dass die feh ler- haften Passagen zwar zahlreich, aber doch so punktuell sind, dass man mit Blick _   a uf die Arbeit im Ganzen nicht von einer „Überhal')dnahme" -wie von der Rechtsprechung gefordert - -spre- chen kann. Unabhängig davon, welc~e Rolle man dem zweiten Kapitel im Zusammenh~ng mit dem empirisch-analytischen Forschungs_design zuspricht, muss man der Arbeit bescheinigen, dass sie in den übrigen Teilen den inhaltlichen Anforderungen an eine eigenständige wissen- schaftliche Leistung genügt. Gerade im empirischen Teil beweist die Autorin, dass sie durchaus in der Lage ist, eigenständig wissenschaftlich zu arbeiten und bei ihrem Vorgehen die metho- dischen Standards der empirischen Politikforschung anzuwenden. Bei einer Gesamtzahl von 27 Forschungsinterviews muss diese Eigenleistung auch. als substantiell bezeichnet werden. ' 8
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Die lnterviewstudie wird selbständig durchgeführt, sie basiert überwiegend auf selbst er- schlossenen Quellen und wird in ihrer Qualität durch die Mängel in Kapitel 2 -nicht weiter be- einträchtigt. Das Gremium sah daher keinen Grund, am originellen Beitrag der Arbeit zum da- maligen Kenntnisstand in einem einschlägigen Forschungsfeld und an der selbständigen Durchführung der empirischen Fallstudie zu zweifeln. (4) Schlussfolgerung Auf der Grundlage der Prüfung ist das Gremium _einvernehmlich zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich im Fall der Dissertation von Frau Dr. Giffey um ein sanktionswürdiges wissen- schaftliches Fehlverhalten handelt. Die einzelnen P·r üfkrit~rien zeigen aber auch, dass sich die- ser Fall in wichtigen Aspekten von klassischen Plagiatsfä,llen unterscheidet. Im Einzelne·n las- sen sich die Ergebnisse der Gremiumsarbeit in drei Punkten zusammenfassen. Erstens hat das ~  Gremium festgestellt, dass die Arbeit von Frau Dr. Giffey eine größere Zahl von Textstellen enthält, die eindeutig als 11 objektive Täuschung" zu bewerten sind. Die Verteidigungsstrategie der Rechtsanwälte von Frau Dr. Giffey zu diesem Vorwurf ist nicht überzeugend. Die Gremi: umsarbeit hat aber auch gezeigt, dass die Plagiatsvorwürfe von Vroniplag in ihrem Umfang und ihrer Qualität einer kritischen Überprüfung nicht standha lten. Die Textstellen, in denen zweifelsfrei eine 11 objektive Täuschung vorliegt, sind wed.er quantitativ noc~ qualitativ so gra- vieren·d wie von Vroniplag behauptet. zweitens ist das Gremium zu dem Ergebnis gekommen, dass zumindest in den Fällen, in denen eine objektive Täuschung vorliegt, aufgrund der-Syste- matik des Vorgehens auch von einem bedingten Vorsatz ausgegangen werden kann. Drittens .kam das Gremium zu dem Ergebnis, dass trotz der festgestellten Mängel nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden kann, dass es sich bei der Dissertation von Frau Dr. Giffey um eine eigenständige wissenschaftliche Leistung handelt. Vor dem Hintergrund dieses Befundes hat das Gremium lange darüber diskutiert, ob das wis- senschaftliche Fehlverhalten eine Aberkennung des Doktortitels von Seiten der FU Berlin rechtfertigt oder ob in diesem Fall auch alternative Sanktionsmöglichkeiten angemessen wä- ren. Diese sollten einerseits berücksichtigen, dass die Arbeit von Frau Dr. Giffey, wenngleich in beschränktem Umfang; den Tatbestand objektiver Täuschung mit bedingtem Vorsatz erfüllt sowie erhebliche Mängel hinsichtlich der Standards wissenschaftlichen Arbeitens aufweist. Diese sollen andererseits in Rechnung stellen, dass diese Mängel sich auf einen begrenzten Teil der Arbeit konzentrieren und die Bedeutung der eigenständigen wissenschaftlichen Leis- tung nicht grundsätzlich in Frage steht. Im Ergebnis sch lägt das Gremium dem Präsidium der Freien Universität Berlin vor, Frau Dr. Giffey für ihr Fehlverhalten zu rügen und den Doktorgrad nicht zu entziehen. Berlin, den 14. Oktober 2019 9
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Gesamtübersicht über die Klas$ifizierung von Textstellen g_emäß des Kategorienschemas 1 - Wörtliche Textübernahme       2 - Paraphrasierun_g mit deutlichen        3 - Paraphrasierung ohne bzw. ganzer Sätze                  wörtlichen Textübernahmen                 mit geringfügiger wörtlicher Textübernah_me A                         1 A (4)                             2 A (22)                                   3 A (5) Quelle nicht genannt    03009, 04815, 08406, 21421       02521 , 02806/02820, 03425, 03613,           01117, 0631 6, 06620, 10018, 03724,04022,04105,05225, 06514,                           15305 06531 , 06624, 06712, 06931 /07002, 07201 , 07219, 07924, 10228, 20328, 20501 , 20511 , 20628, 21123 B                         1 B (1)                             2 B (20)                                   3 B (5) Quelle im Kontext                  03816                02715, 03301 , 03314, 03701 , 03717,         02508, 02901 , 05020/05101 , genannt, eindeutige                                      03801,03928, 04030, 04514,04524,                      05304,20717 Zuordnung nicht                                        04602, 04628, 05228, 05615/05701 , möglich                                           06309, 06904, 07013, 07828, 08529, 09829 C                         1 C (4)                             2 C (11 )                                  3 C (4) Quelle im Kontext      04504, 04811 , 11901, 14329     01330, 01417, 03120, 03901 , 04226,          03411 , 04720, 05126, 05214 genannt, eindeutige                                      07017/07024, 07314, 08430, 10026, Zuordnung möglich                                                    10101 , 14304 Ohne Zuordnung (39):01 615, 02426, 02528,02607, 03031 , 03223, 03428~03501 , 03721 , 04408, 04801 , 04920, 05725, 06510, 07217, 08213, 08307,08512,oa603, 08630,08809, o9002, 09126, 09301 ,·o9304, 0931 9, 09501 , 10106, 10128, 10109, 11609, 11821, ~1921 , 13607, 15922,20814, 20920, 21002, 21120
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