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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Broschüre "Arabische Familienclans" der Essener Polizei

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bürgerorientiert · professionell · rechtsstaatlich ARABISCHE FAMILIENCLANS – Historie. Analyse. Ansätze zur Bekämpfung. BAO Aktionsplan CLAN www.polizei.nrw.de/essen
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Polizei Essen - BAO Aktionsplan CLAN | Inhaltsverzeichnis       2 Inhalt Themenüberblick I. Einführung                                               3/4 II. Lebenswelt arabischer Familienclans                       5 Historie und Familiengefüge                               5 Rollenverteilung                                          6 Verhältnis zur islamischen Religion                       7 Paralleljustiz, Ehrverständnis und Anspruchsdenken        8 III. Analyse                                                  9 Was wollen Clans / Was brauchen sie?                     10 Wovor haben sie Angst?                                   11 Was schwächt sie / Wo sind sie zu treffen?               12 IV. Ansätze zur Bekämpfung                                   13 V. Besonderheiten von Clans in Einsatzlagen               14/15 VI. Betrachtung Repression und Prävention nach Gruppen    16/17 VII. Zusammenfassung und Fazit                               18 VIII. Berichterstattung in den Medien                        19
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3                                                      Einführung | Polizei Essen - BAO Aktionsplan CLAN I. Einführung – Warum wir Clans verstehen sollten Kriminologin Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl            Polizeipräsident Frank Richter Um kriminelle Handlungen von arabischen Familienclans erfolgreich bekämpfen zu können, muss man verstehen, welchen Wertevorstellungen und internen Regeln die Familien folgen und was sie zum kri- minellen Handeln ermutigt. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl. Sie ist Dozentin für Kriminologie und Soziologie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW und bewertet die Handlungen krimineller Clans aus wissenschaftlicher und soziologischer Sicht. Durch ihre sachkundige Unterstützung wurde die Erstellung der Broschüre in dieser Form erst ermög- licht. In der Vergangenheit konnten durch kontinuierliche Kontrollen und intensive Ermittlungsarbeit im Rah- men der BAO Aktionsplan Clan aufschlussreiche Erfahrungen beim Kampf gegen die Clankriminalität gesammelt werden. Gemeinsame Einsatzmaßnahmen verdeutlichen, wie erfolgreich konzentriertes Vorgehen und der Schulterschluss der verantwortlichen Behörden sein kann. Sie stellen somit einen unverzichtbaren Teil der Gesamtstrategie zur wirksamen Bekämpfung dieses Phänomens dar. Auch wenn die Etablierung neuer Zusammenarbeitsformen immer mit gewissen Anstrengungen ver- bunden ist, überwiegen die Chancen und Möglichkeiten, die uns allen dadurch geboten werden. Es gilt den kriminellen Mitgliedern der Familienclans sowie der restlichen Bevölkerung zu signalisieren: Der Rechtsstaat setzt die Maßstäbe!
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Polizei Essen - BAO Aktionsplan Clan | Einführung                                                       4 Einführung – Warum wir Clans verstehen sollten Organisierte Kriminalität arabischer Familienclans zeichnet sich durch eine Bandbreite von einfachsten Delikten, bis hin zu sehr komplexen Begehungsformen aus. Um Clankriminalität bekämpfen zu können, muss man sie verstehen. Das bedeutet in erster Linie, die Clans zu verstehen und zu begreifen, wie sie strukturiert sind, wie sie funktionieren, was ihnen wichtig ist und was ihnen schadet. Gerade vorläu- fige Festnahmen und Gerichtsprozesse haben sich häufig als wenig schädlich für das Familiengefüge erwiesen. Entsprechend stellt sich die Frage nach ihren Schwachstellen und wie die unterschiedlichen Behörden diese mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln treffen können. Der umstrittene Clanbegriff umfasst in erster Linie arabisch-stämmige Familiengefüge, deren Mitglieder überproportional häufig in strafrechtlich relevante Erscheinung treten. Gleichzeitig sind anschließenden Betrachtungen zu Familienstrukturen und Wirkungsweisen übertragbar auf andere Clangefüge, insbe- sondere solche aus dem islamischen Kulturkreis. Im Nachfolgenden handelt es sich um eine notwendige Kollektivbetrachtung, die sich auf Mitglieder von Familienclans mit krimineller Neigung bezieht. Natürlich sind keineswegs alle Mitglieder, die einem Clan zuzuordnen sind, kriminell. Auf eine stetige Abgrenzung zwischen Clanmitgliedern, die kriminell in Erscheinung getreten und solchen, die es nicht sind, muss an dieser Stelle verzichtet werden. Zum einen, weil grundlegende Denkmuster häufig auch bei Familienmitgliedern verankert sind, die nicht kriminell auffällig sind und zum anderen weil auch bei Kenntnis über Kriminalität einzelner Familienmit- glieder der Rest schweigt. Zusammenhalt, interne Kontrollmechanismen und Prinzipien, die hunderte Jahre alt sind, haben nicht nur dem Staat die Intervention erschwert, sie erschweren vielen Mitgliedern ein Leben außerhalb der tradierten Familienstrukturen. Es ist selbstverständlich, dass sich alle hier niedergelegten Betrachtun- gen und Maßnahmen auf kriminelle Clanmitglieder beziehen und keine Handreichung im Sinne von ethnic profiling darstellen. Zentrale Um Clankriminalität bekämpfen zu können, muss man sie verstehen. Fragen: Das bedeutet in erster Linie, die                    Wie und nach we Clans als lernende Familiensyste-                   Regeln l                    lchen me zu begreifen, die nach bestimm-                                eben sie ten Prinzipien leben.                                                          ? Was ist i hnen wic htig? Wovor h aben sie Angst?
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5                                Lebenswelt arabischer Familienclans | Polizei Essen - BAO Aktionsplan Clan II. Lebenswelt arabischer Familienclans – Historie & Familiengefüge Historie Die ethnographische Zusammensetzung der Clans ist eher heterogen. Der geografische Ursprung dieser arabischen Großfamilien liegt in palästinensischen Gebieten und in Südost-Anatolien. Eine bedeutsame migrierte Gruppe stellen die Mhallami-Kurden dar. Deren Herkunft liegt in der Südosttürkei. Aus den dortigen 40-50 Dörfern stammt der Großteil der libanesischen Mhallami-Kurden. Die Bezeichnung der Mhallami als Kurden ist ebenfalls umstritten. Von syrischen und türkischen Kurden werden sie aufgrund der sprachlichen Abweichungen (Mhallami bezeichnet den arabischen Dialekt) nicht als Kurden gesehen. Lediglich in Beirut wurden sie von den Libanesen als Kurden bezeichnet. Diese Uneinigkeit erschwert bis heute die Zuordnung der Mhallami zu einer kulturellen Identität. In den ursprünglichen Heimatgebieten herrschten ärmliche Verhältnisse. Deswegen begann die Migration in den Libanon, vor allem in den 1940er Jahren, nach Beirut und Umgebung. Dort bekamen sie meist nicht die libanesische Staatsangehörigkeit und auch keine Sozialleistungen. Sie lebten in Ghettos, hatten jedoch eine Arbeitserlaubnis. Mit dem Bürgerkrieg im Libanon zwischen 1975 und 1990 kamen die Clans nach Deutschland, Schweden, Dänemark und einige auch in die Niederlande. In Deutschland zogen sie zunächst nach Berlin, Bremen und Essen. Heute leben sie vor allem im Ruhrgebiet sowie in einzelnen Städten in Niedersachsen. Nach wie vor ist nicht klar, wie viele Personen solche Clans in Deutschland tatsächlich zählen. Die fehlende Teilhabe und das ab 1978 geltende Arbeitsverbot für Asylbewerber in Deutschland werden noch heute als mitursächlich für die auffällige kriminelle Entwicklung von Familienmitgliedern, die den Clans zugerechnet werden, gesehen. 1985 wurde einerseits das Asylrecht weiter verschärft, andererseits sorgte das Berliner Modell der sog. Altfallregelung dafür, dass Clanmitglieder die deutsche Staatsangehö- rigkeit erhielten. In den vergangenen 20 Jahren wurde das Asylrecht stetig novelliert und angepasst. Ob- wohl das Arbeitsverbot noch heute Bestand hat, gibt es diverse Ausnahmeregelungen und Hilfestellungen durch die Jobcenter der Kommunen und der Agentur für Arbeit. Zudem sind mittlerweile die wenigsten Clanmitglieder noch von Duldungen betroffen. Familiengefüge Die Familie gilt seit vorislamischer Zeit als wichtigste soziale Einheit. Früher gab es keine Landesge- setze, Herrschaftsgebiete waren ständig umkämpft. Der herrschende Stamm, bestehend aus mehreren Clans, bestimmte die Regeln. Die Einführung des Islam brachte mehr Einheitlichkeit und ein gesetzliches, wenngleich kompliziertes Regelwerk, z.B. für den Handel. Die Familie blieb dabei die wichtigste soziale Gruppe, in der der Nachwuchs den Fortbestand sicherte. Entsprechend sind v.a. im Koran familienrecht- liche Regeln zu finden. Noch heute kultivieren die Clans ein Umlagesystem, d.h. die Kinder kümmern sich um die Eltern, so dass die Nachkommen Reichtum und das Bewahren der Tradition sichern. Eltern haben den Anspruch, dass aus den Kindern „etwas wird“. Insbesondere für die männlichen Nachkommen bedeutet das, den Status der Familie im Clangefüge zu stärken und Geld zu verdienen. Die Stärke der Familie definiert sich sehr stark durch die Anzahl ihrer Mitglieder.
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Polizei Essen - BAO Aktionsplan CLAN | Lebenswelt arabischer Familienclans                               6 Lebenswelt arabischer Familienclans – Rollenverteilung Rolle der Männer: Der Mann ist der Stammhalter und Entscheidungsträger. Er ist zuständig für die Beschaffung von Geld und Ressourcen für die Familie, sowie die Vertretung nach außen (Geschäfte, Verhandlungen, Verhei- ratung der Kinder, etc.) und dem Bewahren der Familienehre. Söhne werden nach diesem Vorbild erzo- gen. Sie sollen ihre Eltern stolz machen und erfolgreich sein. Allerdings sind relativ wenige Berufsfelder bekannt und dementsprechend angesehen (z.B. Arzt, Anwalt, Architekt, Ingenieur, Geschäftsmann). Die Anspruchshaltung der Eltern begründet die der Kinder, vor allem die der Söhne: Sie wollen nicht „anderen dienen“, sondern Ansehen für sich und die Familie. Dies führt häufig zum Ziel-Mittel-Konflikt zwischen vorhandener Qualifikationen und beruflichen Vorstellungen. Söhne verteidigen ab einem be- stimmten Zeitpunkt für gewöhnlich physisch die Ehre der Familie für den Vater. Rolle der Frauen: Frauen sind die Hüterinnen der Familie. Ihre Rolle bezieht sich auf ihre Gebärfunktion zur Gewähr- leistung des Clanerhalts und die Erziehung der Nachkommen im Sinne der Tradition. Je mehr Kinder eine Frau für den Clan gebärt, desto besser. Sobald Mütter ihre Kinder u.v.a. ihre Söhne verheiratet haben, besitzen sie die höchste Position, die eine Frau im patriarchischen Gefüge erreichen kann. Die jungen Frauen leben heute oftmals weniger tradiert als noch vor fünfzehn Jahren. Sie besitzen mehr Freiheiten, leben den Luxus der Familie stärker aus und fühlen sich dadurch entsprechend an den Clan und seine Vorgaben gebunden. Sie treten feindseliger (z.B. ersichtlich in Tumultlagen) gegenüber Au- ßenstehenden auf und werden dafür von jüngeren Männern entsprechend akzeptiert. Die Frau strebt nicht nach (beruflicher) Selbstverwirklichung, sondern nach Ansehen im Clan. Dafür kommt der Mann für alle Kosten auf. Praxis der Eheschließungen: Innerhalb der Clans wird eine strategische Verheiratung unter Verwandten (Endogamie) betrieben, die dem Sicherungsge- danken Rechnung trägt. Eheschließungen sind Bündnisse auf Vertragsbasis, die zuvor ausgehandelt werden. Eine Ehe ist somit ein familiärer Geschäftsakt, der die Macht des Clans weiter ausbauen soll. Der Vertrag wird zwischen den Vätern des Paares ausgehandelt und geschlossen, entsprechend la- den sie zu den Feierlichkeiten ein. Die Ehe muss dabei kei- neswegs standesamtlich sein, eine Zeremonie nach islami- schem Ritus und durch einen Imam (Vorbeter) reicht häufig aus und ist für die Familien als Vertragsnehmer bindend. Soll- te es dann zu einer Scheidung kommen, greift das deutsche Recht nach dem BGB nicht, stattdessen wird ein Schlichter oder ein sog. (islamischer) Friedensrichter (s.u.) herangezo- gen. Standesamtliche Ehen werden dann geschlossen, wenn dies Vorteile bringt (z.B., wenn einer der beiden Partner die deutsche Staatsbürgerschaft hat und der andere nicht, etc.).
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7                               Lebenswelt arabischer Familienclans | Polizei Essen - BAO Aktionsplan CLAN Lebenswelt arabischer Familienclans – Verhältnis zur islamischen Religion Die vorliegend betrachteten Clanstrukturen gehören einer sunnitischen Strömung im Islam an, die vor allem ein Kalifat (islamisches Herrschaftsgebiet) als ständiges Kriegsgebiet definiert und prinzipiell so- gar eine eher strenge, dogmatische Auslegung islamischer Regeln beinhaltet. Diese werden allerdings nach Bedarf interpretiert. Die islamische Religion wird somit zur Rechtfertigung unislamischer Vorge- hensweisen (Geschäfte mit Drogen und Prostitution, etc.) herangezogen. Die Religion hat somit eine zentrale, weil identitätsstiftende Bedeutung, ohne dass sie dabei strikt ge- lebt werden muss. Elemente des sunnitischen Islam stärken die patriarchale Struktur und rechtfertigen sogar genuin unislamische Praktiken, wenn sie der Gemeinschaft dienlich sein können. Die islamische Religion ist eine monotheistische, die durch den Propheten Mohammed An- fang des 7. Jhd. nach Christus gestiftet wurde. Nach dessen Tod entbrannte ein Streit um die Nachfolge, aus dem sich zunächst die Sunniten und die Schiiten gründeten. Sunniten stehen in der Tradition des von Abū Bakr (ein Schwiegervater des Propheten) gegründeten Kalifat, Schiiten schlossen sich den Vorstellungen Alīs (Schwiegersohns und Vetter Mohammeds) an, der das Imamat begründete. Das Sunnitentum macht insgesamt ca. 80 Prozent der islami- schen Glaubensanhängerschaft aus. Es ist je nach Zugehörigkeit in die hanafitische, malikiti- sche, hanbalitische und schafiitische Rechtsschule unterteilt. Die betrachteten Clans schlossen sich der sunnitischen al-Maschari-Organisation (geistiger Führer: Scheich Abdullah al-Harari (auch: al-Habaschi; deswegen auch al-Habasch- / al-Ah- bash-Gruppe) an, einem ausgebildeten Rechtsgelehrten (Mufti) der schafiitischen Schule in Äthiopien. Zentral ist die Sichtweise des permanenten Zustandes des Krieges gegenüber den Ungläubigen. Mit ihrer Praxis der Koranauslegung begründen sie jegliche (Straf-)Taten, die den Ungläubigen (Christen) schadet oder sie schwächt. Die Scharia (arab. „Weg zur Tränke“) bezeichnet ein komplexes islamisches Rechtskonstrukt, in dem keine kodifizierten Gesetzestexte (wie BGB oder StGB) existieren. Hauptquellen sind Koran und Hadithe (Überlieferungen von Taten und Aussprüchen des Propheten Mohammeds) bzw. die Sunna (Handlungsweisen des Propheten, z.T. bereits in der vorislamischen Zeit). Ist vom islamischen Kulturkreis die Rede, dann bezieht sich das vor allem auf die Herkunfts- länder. Ähnliche Tradierung und Ehrauffassungen gibt es z.B. bei den Jesiden. Das Jesiden- tum ist keine Form des Islam, unter Muslimen gelten sie als Teufelsanbeter. Sie haben die Vorstellung, dass man nur als Jeside geboren werden kann, deswegen missionieren sie nicht und schreiben die Verheiratung der Jesiden untereinander vor. Entsprechend kommt es zu Ehrgewalt (vgl. z.B. die Ermordung von Arzu Özmen) und auch Clanstrukturen sind ersichtlich, um den Fortbestand der Religion zu schützen. Jesidische sind mit muslimisch geprägten Clans unversöhnlich verfeindet.
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Polizei Essen - BAO Aktionsplan CLAN | Lebenswelt arabischer Familienclans                              8 Lebenswelt arabischer Familienclans – Paralleljustiz. Ehrverständnis. Anspruchsdenken. Paralleljustiz innerhalb eines Clans existieren eigene Regeln, die oftmals staatliche Gesetze konterka- rieren. Konflikte werden untereinander ausgetragen, selbst, wenn damit äußerste Formen von Gewalt einhergehen. Sogenannte Friedensrichter oder Schlichter sind Autoritäten, die zwar selbst ernannt, jedoch von allen anerkannt sind. Häufig stehen sie in einer Familientradition und haben das Amt von ihrem Vater oder Onkel geerbt oder sie nehmen die Position aufgrund ihres Alters und der Familienhi- erarchie ein. Es bedarf hierzu keiner einschlägigen Ausbildung, die sie qualifiziert. Sie vermitteln bei Streitigkeiten zwischen den Familien. Von ihnen abgenommene Vereinbarungen sind für die Beteiligten bindend. Die Schlichter leben davon, dass sie auch mit außenstehenden Personen in Kontakt treten und verhandeln. Sie werden auch „islamische Friedensrichter“ genannt. Dies kennzeichnet einerseits eine Rechtspraxis, die mit islamischen Grundsätzen legitimiert werden soll, zudem soll es ihre Autorität betonen. Entsprechend lassen die Schlichter zum Vertragsabschluss oder zur Einigung beispielswei- se auf den Koran schwören (z.B. bei Scheidungen, Wiedergutmachungs-Vereinbarungen nach einem Vertragsbruch, Zahlungen von Blutgeld (diya) nach Gewalttaten, usw.). Ehrverständnis Das Verständnis von Ehre stammesgeprägter Familien ist ein anderes, als in westlichen Vorstellungen. In westlichen Demokratien wird die Ehre auf das eigene Verhalten bezogen (sich ehrwürdig verhalten) und vor allem auf sein Gegenüber (jmd. die Ehre erweisen), bzw. durch das Gegenüber auf sich (Ehren erhalten). Es geht somit darum, als Individuum für seine Taten und sein Verhalten durch die Gesell- schaft geschätzt zu werden. Nach dem Verständnis im islamischen Kulturkreis wird der Mensch und vor allem der Mann mit Ehre geboren. Diese Ehre muss er verteidigen, denn sie kann – anders als im west- lichen Verständnis – durch das Verhalten anderer Person verletzt werden. Eine Ehrverletzung, egal durch wen hervorgerufen, stürzt den Mann und seine ganze Familie in die Ehrlosigkeit. Die Schwelle für eine Ehrverletzung liegt zudem recht niedrig und begründet Misstrauen und einen hohen Kontroll- bedarf untereinander. Dieses Ehrverständnis ist eher kulturell als religiös begründet. Die Ehrbarkeit ist die Basis für sämtliche Geschäftsbeziehungen innerhalb der Clans und allein deswegen sehr wichtig. Anspruchsdenken Aus dem Ehrverständnis resultiert das Anspruchsdenken, insbesondere gegenüber bzw. zum Nachteil von Personen, die nicht dem eigenen Stamm bzw. der Wertegemeinschaft angehören. Dieses Denken impliziert den Willen zur Eroberung. Jeder Clan hat den Anspruch, ein Herrschaftsgebiet zu erschlie- ßen, in dem die eigenen Regeln gelten. Für Menschen zu arbeiten, die aus dieser Perspektive keine Ehre besitzen, kommt nicht in Betracht. Wenn sie intensivere (Geschäfts-) Beziehungen zu Personen führen, die nicht aus den entsprechenden Strukturen kommen und die auch eine andere kulturelle Prä- gung haben, dann betonen sie die Ehrbarkeit dieser Personen, um ihr Verhältnis intern zu rechtfertigen. Clans funktionieren somit noch heute nach diesen Ehr-Prinzipien und bauen darauf ihre Geschäftsstra- tegien auf. Sie betrachten sich als Elite. Diese Sicht basiert sowohl auf vorislamischer Zeit, aber auch auf Grundsätzen des sunnitischen Islam, mit dem eine Aufteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige erfolgt. Grundsätze zum Schutz, Erhalt und Ausbau der eigenen Gemeinde (umma), etc. sind dabei gängig für die Legitimation von Kriminalität und Gewalt.
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9                                                            Analyse | Polizei Essen - BAO Aktionsplan CLAN III. Analyse – Merkmale kurdisch stämmiger Clans Kurdisch stämmige Clans zeichnen sich durch folgende Merkmale aus: Sie sind patriarchalisch und darwinistisch geprägt und sie haben Jahrhunderte Jahre alte Stammesstrukturen und Regelwerke kul- tiviert. Unübersichtlichkeit und Unkenntnisse von Externen sind wichtigste Schutzfaktoren. Männlichkeit: Männlichkeit als wichtiges Element von Clanstrukturen verbietet das Zeigen von Schwä- che nach außen. Entsprechend herablassend, dominant und aggressiv treten Clanmitglieder bei po- lizeilichen Maßnahmen auf. Sobald ein Mann öffentlich Angst oder Anzeichen von Demut gegenüber staatlichen Akteuren zeigt, ist seine Ehre verletzt. Ehrempfinden: Empfundene Angriffe auf die eigene Ehre müssen umgehend geahndet werden, da sie eine Gefahr für die eigene Position, schlimmstenfalls sogar das eigene Leben darstellen. Die Ehrver- letzung eines Einzelnen stellt eine Ehrverletzung der gesamten Familie dar. Beleidigungen gegen die Familie (z.B. gegen den Vater) werden als Angriff auf deren Ehre gesehen. Wer sie wahrnimmt muss handeln. Zum Teil handeln sie deswegen irrational und unüberlegt, weil sie Angst vor Ehrverlust haben. Prinzipiell kann jeder ihre Ehre angreifen. Hierarchie: Clans leben ein striktes Rollenverständnis, sowohl der Geschlechter, als auch der Hier- archie. Gerade letztere ist jedoch umkämpft, da viele Nachkommen in Konkurrenz zueinanderstehen. Sie müssen deswegen alle gleichwertige „Herrschaftsgebiete“ bekommen (z.B. eigene Unternehmen, Clubs, etc.). Je begrenzter das Gebiet und je mehr Familienmitglieder- und Generationen, desto schwie- riger gestaltet sich das (zeigt sich z.B. bei Eskalationen auf Hochzeiten). Status: Macht nach außen wird vor allem durch Luxus demonstriert. Dieser ist zum Teil allerdings Show (z.B. Autos, die deutlich billiger sind, als sie aussehen; aufwendige Brautkleider aus minderwertigem Ma- terial, gefälschte Designerware etc.). Ein Clan kann nicht mächtig sein, wenn er kein Geld mehr besitzt. Das Zeigen von (vermeintlichem) Luxus ist nicht nur Angabe, sondern für Clans notwendiges Narrativ. Auf Ehrverständnis und Geld basieren alle Machtfaktoren und Beziehungsgefüge. In diesem Kontext sind staatliche Transferleistungen für Clanmitglieder wichtig: Sie stellen ein wesentliches Element des praktizierten Kalifatgedankens dar. Entsprechend vehement treten sie auf, wenn sie ihnen genommen werden. Auch werden vermeintliche Luxusgüter präsentiert, ohne deren tatsächlichen Wert zu beziffern (z.B. aufbereitete Unfallautos, die ein Bruchteil dessen an Wert besitzen, den Clanmitglieder gegenseitig suggerieren, Leihwagen, etc.). Betrug und Hochstapelei ist innerhalb der Clans und sogar den einzelnen Familien untereinander verbreitet. Dies wird regelmäßig verschwiegen bzw. toleriert. Es zählt der Schein nach außen. Wird dieser als Betrug offenbart, schwächt das eine Familie innerhalb des Gefüges. Stärke: Vorteile der Clanmitglieder liegen in ihrem Personenpotential, ihrer Rücksichtslosigkeit und ihrem Willen zur Verteidigung unter Einsatz von Gewalt. Das Jahrhunderte Jahre alte Stammesdenken impliziert ein Kriegsdenken, das als solches vom Gegenüber aufgegriffen werden muss. Darauf basiert das Feindbild des Staates und seiner Behörden, mit dem alle Maßnahmen legitim werden. Somit liegt ihre Stärke nach außen insbesondere in ihrer von Außenstehenden empfundenen Geschlossenheit und Homogenität, die zunächst nur schwer aufzubrechen erscheint.
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Polizei Essen - BAO Aktionsplan CLAN | Denken der Clans                                                            10 CLANS – Was wollen sie / was brauchen sie? Was wollen sie?                                      Was brauchen sie? Macht / Kontrolle (über Gebiet, Freiheit, Familie, Geschäftsfelder) Geld, Reichtümer, Expansionswille Die Mitglieder brauchen das Gefühl, über Nicht-       Privilegien / eigene Rechte, Gefühl der Unantastbarkeit; Mitgliedern zu stehen    elitäres Denken Ehrbarkeit zentral für Status in der Community,      Ehre (steht über dem eigenen Leben und dem eigenen Schutz, Geschäftspartnerschaft     Willen) Machtsymbolik nach außen und Strategie zum          Luxus / Statussymbole; Darstellung via Sozialen Machterhalt für junge Generation     Netzwerken durch v.a. jüngere Clanmitglieder Männlichkeitskult: Der Mann muss Stärke zeigen; alles, was als schwach ausgelegt werden kann, ist unmännlich Freiheit vor dem Willen „Externer“, Verfügen über die eigene Zeit, Selbstbestimmung Fühlen sich gegenwärtig sicher in gelebten Sicherheit Strukturen; bei Anzeichen von Widerstand greifen sie zu illegalen (Androhung von Gewalt /           -   durch staatliche Leistungen (v.a. SGB II Begehung von Gewalttaten) und legalen                  Leistungen, Krankenversicherung) Maßnahmen (via Anwälte), sowie substantiellen              -   vor staatlichen Eingriff (durch Anwälte) Drohungen ohne Tangieren des § 241 StGB,                -   durch Abschottung / Homogenität beispielsweise durch Ansprechen von Polizisten             -   durch strategische Bündnisse mit Einzelpersonen mit vollem Namen in deren Freizeit, etc. Gleichzeitig ständiges Zurückgreifen auf      Empfinden kriminelles Vorgehen als gerecht, da Rache für strategische Opferrolle    schlechte Behandlung in Deutschland Feindbilder: Clans brauchen Feindbilder, weil sie sich ansonsten gegenseitig angreifen würden. Somit ein beispielsweise das Feindbild Polizei den Clan und gibt ihnen Sicherheit Die Clanangehörigen fühlen sich insgesamt noch recht sicher und gut aufgestellt. Polizeiliche Ope- rationen empfinden sie bislang als kleinere, lästige Einschläge. Die eingeleiteten Maßnahmen zur Beschlagnahme sind rechtliche Angelegenheiten, für die sie Anwälte beschäftigen, auf die sie sich Die Clanangehörigen verlassen.   Zudem funktioniert fühlendiesich insgesamt nochdes Grundsicherung       recht sicher und gut Sozialstaates      aufgestellt.und regelmäßig      Polizeiliche auch während eines Strafverfahrens     für sie weiter. Operationen empfinden                Gegenwärtig sie bislang          bauen sie als kleinere,     vor allem lästige      auf ihrenDie Einschläge.     Opferkult, um den Staat eingeleiteten verantwortlich   für  die von  ihnen   verübte   Kriminalität  zu machen. Maßnahmen zur Beschlagnahme sind rechtliche Angelegenheiten, für die sie Anwälte beschäftigen, auf die sie sich verlassen. Zudem funktioniert die Grundsicherung des Sozialstaates regelmäßig und auch während eines Strafverfahrens für sie weiter. Gegenwärtig bauen sie vor allem auf ihren Opferkult, um den Staat verantwortlich für die
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