2016-10-14-wd-6-3000-113-16-novelle-des-augs-markiert-s-4-21-amr

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Deutscher Bundestag: WD Ausarbeitung aus 2016-10-21 Süddeutsche Zeitung Artikel "Leiharbeit kann auch mit neuem Gesetz missbraucht werden"

/ 22
PDF herunterladen
Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes Ausgewählte Einzelfragen © 2016 Deutscher Bundestag                                       WD 6 - 3000 – 113/16 Link: https://www.bundestag.de/blob/476632/9df8a3d0db7e33143290c856e509d6db/wd-6-113-16-pdf-data.pdf
1

Wissenschaftliche Dienste                Ausarbeitung                                                           Seite 2 WD 6 - 3000 – 113/16 Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes Ausgewählte Einzelfragen Aktenzeichen:                      WD 6 - 3000 – 113/16 Abschluss der Arbeit:              14. Oktober 2016 Fachbereich:                       WD 6: Arbeit und Soziales Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines sei- ner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasse- rinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeit- punkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abge- ordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, ge- schützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fach- bereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen.
2

Wissenschaftliche Dienste           Ausarbeitung                         Seite 3 WD 6 - 3000 – 113/16 Inhaltsverzeichnis 1.          Einleitung                                                 4 2.          Gleichstellungsgebot                                       4 2.1.        Grundsatz                                                  4 2.2.        Vorbehalt tariflicher Abweichungen                         4 2.2.1.      Anwendungsberechtigung                                     5 2.2.2.      Allgemeine Arbeitsbedingungen                              5 2.2.3.      Sonderregelungen für tarifliche Entgeltregelungen          5 2.3.        Mögliche Auswirkungen des Equal-Pay-Gebots                 6 2.3.1.      Statistische Daten                                         6 2.3.2.      Bewertung in der Rechtsliteratur                           6 3.          Höchstüberlassungsdauer                                    7 3.1.        Vorgesehene Regelungen des AÜG-Änderungsentwurfs vom 20. Juli 2016                                                  7 3.2.        Kritik in der Rechtsliteratur                              8 3.2.1.      Arbeitnehmerbezogenheit der Überlassungshöchstdauer        8 3.2.2.      Begrenzung auf 18 Monate                                   9 3.2.3.      Tarifdispositivität                                       10 3.2.3.1.    Ausschluss der Verbände der Zeitarbeitsbranche            10 3.2.3.2.    Eingeschränkte Bezugnahmemöglichkeit für Tarifungebundene 11 4.          Die Abgrenzung von Arbeitnehmerüberlassung zu anderen Vertragsgestaltungen                              12 4.1.        Regelungsziel und Umsetzung                               12 4.2.        Bewertung der geplanten Regelungen in der Rechtsliteratur 13 4.2.1.      Änderung § 1 Abs. 1 AÜG                                   13 4.2.2.      Einführung eines § 611a BGB                               14 4.2.3.      Neues Offenlegungsgebot                                   15 5.          Sanktionierung und Widerspruchsrecht                      16 5.1.        Ausweitung der Sanktionierung und Kritik hieran           16 5.2.        Das neue Widerspruchsrecht                                17 5.2.1.      Verfassungsrechtliche Aspekte                             17 5.2.2.      Bewertung in der Literatur                                18 6.          Kontrollen und bürokratischer Aufwand                     20 6.1.        Zuständigkeit für Kontrollen                              20 6.2.        Bürokratischer Aufwand für die Wirtschaft                 21
3

Wissenschaftliche Dienste              Ausarbeitung                                                     Seite 4 WD 6 - 3000 – 113/16 1.    Einleitung Dem Deutschen Bundestag liegt derzeit der Entwurf für eine Novellierung des Arbeitnehmerüber- 1 lassungsgesetzes (AÜG) zur Beratung vor. Die erste Beratung mit Überweisung an die Aus- schüsse hat am 22. September 2016 stattgefunden. Zum wesentlichen Inhalt des Entwurfs zählen neben einer definitorischen Abgrenzung zwischen abhängiger und selbständiger Tätigkeit die Einführung einer Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten bei einem Verleiher, die Gewährleistung gleicher Entgeltansprüche von Leiharbeitneh- mern (sog. Equal Pay) nach neun Monaten und das Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher. Gestärkt und konkretisiert werden soll schließlich auch die betriebsverfas- sungsrechtliche Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Entleihbetrieb. Erklärtes Ziel des Gesetzentwurfes ist der Begründung zufolge, „die Leiharbeit auf ihre Kernfunktion zu orientieren 2 und den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu verhindern.“ 2.    Gleichstellungsgebot 2.1. Grundsatz Bisher regelt das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die im Einsatzbetrieb für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen ein- schließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren hat. Der aktuelle § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG ist in § 8 Abs. 1 Satz 1 des Änderungsentwurfs für das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG-E) wort- gleich übernommen worden und stellt dort eine Legaldefinition für den Begriff Gleichstellungs- grundsatz dar. 2.2. Vorbehalt tariflicher Abweichungen Der Änderungsentwurf lässt in § 8 Abs. 2-5 AÜG-E ähnlich den bestehenden Regelungen in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2-4, 10 Abs. 4 Satz 2-4 AÜG weiterhin tarifliche Abweichungen vom Gleichstel- lungsgrundsatz zu. Entgegen der Regelung zu tariflichen Abweichungen bei der Höchstüberlas- sungsdauer in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG-E muss es sich bei dem Tarifvertrag nicht um einen sol- 1     Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsge- setzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016. 2     Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsge- setzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016, S. 1.
4

Wissenschaftliche Dienste                 Ausarbeitung                                                         Seite 5 WD 6 - 3000 – 113/16 chen der Leiharbeitsbranche handeln. Insoweit beabsichtigt der Regierungsentwurf bei Abwei- 3 chungen vom Gleichstellungsgrundsatz keine Änderung der aktuellen Rechtslage. In der bisheri- gen Praxis wurde von den tariflichen Gestaltungsmöglichkeiten in weitem Umfang Gebrauch ge- 4 macht. 2.2.1.        Anwendungsberechtigung Auch nach dem Änderungsentwurf erhalten im Geltungsbereich eines Tarifvertrags neben den tarifgebundenen Verleihern und Leiharbeitnehmern weiterhin die nicht tarifgebundenen Arbeit- geber und Arbeitnehmer die Möglichkeit, die Anwendung dieses Tarifvertrags auf das Arbeitsver- hältnis einzelvertraglich zu vereinbaren, § 8 Abs 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG-E. Die Festlegung 5 des Geltungsbereichs eines Tarifvertrags obliegt den jeweiligen Tarifvertragsparteien. Nur wenn der Tarifvertrag fachlich, räumlich und zeitlich einschlägig ist, können Verleiher und Leiharbeit- 6 nehmer dessen Anwendung auf ihr Arbeitsverhältnis vereinbaren. 2.2.2.        Allgemeine Arbeitsbedingungen Mit Ausnahme der Entgeltgleichheit ist der Gleichstellungsgrundsatz im Rahmen des geltenden Rechts uneingeschränkt tarifdisponibel, § 8 Abs. 2 Satz 1 AÜG-E. Wie bisher hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer im Falle tariflicher Regelungen die nach dem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren, § 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG-E. 2.2.3.        Sonderregelungen für tarifliche Entgeltregelungen Soweit durch Tarifvertrag von der Entgeltgleichheit abgewichen werden soll, gelten künftig aller- dings einige einschränkende Regelungen. Auch tariflich sollen Ausnahmen von der Entgelt- gleichheit nur in zwei Konstellationen möglich sein. Zum einen ist grundsätzlich eine tarifliche Ungleichbehandlung der Leiharbeitnehmer bezüglich des Arbeitsentgelts für die ersten neun Mo- nate einer Überlassung zulässig, § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG-E. Für bis zu 15 Monate kann tariflich dann vom Equal-Pay-Grundsatz abgewichen werden, wenn spätestens nach Ablauf dieser Zeit der Leiharbeitnehmer das tarifliche Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer der Einsatzbranche er- hält und ab der siebten Einsatzwoche eine stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt er- folgt, § 8 Abs. 4 Satz 2 AÜG-E. Dabei darf keine der abweichenden Regelungen das Mindeststun- 7 denentgelt gemäß der auf § 3a Abs. 2 AÜG beruhenden Verordnung unterschreiten, § 8 Abs. 5 3      Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsge- setzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016, S. 24. 4      Thamm, Der Referentenentwurf des BMAS vom 16.11.2015 zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze, PersV 2016, S. 89, 92.; vgl. auch Schüren/Schüren, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 4. Aufl. 2010, § 9 Rn. 150. 5      Dazu: Erfurter Kommentar/Franzen, 16. Aufl. 2016, § 4 TVG, Rn. 8 ff. 6      Schüren/Schüren, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 4. Aufl. 2010, § 9 Rn. 151. 7      Noch bis zum 31. Dezember 2016 gültig: Zweite Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmer- überlassung vom 21. März 2014.
5

Wissenschaftliche Dienste                Ausarbeitung                                                       Seite 6 WD 6 - 3000 – 113/16 AÜG-E. Anderenfalls hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer für jede Arbeitsstunde das im Ent- leihbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer der Stammbelegschaft geltende Stundenentgelt zu zahlen, § 8 Abs. 2 S. 4 AÜG-E. Da mögliche Umgehungsstrategien vermeiden werden sollen, sieht der Regierungsentwurf in § 8 Abs. 4 S. 4 AÜG-E vor, dass Einsatzzeiten eines Leiharbeitnehmers beim gleichen Entleiher ad- diert werden, sofern nicht eine Unterbrechung von wenigstens drei Monaten zwischen den Ein- 8 sätzen liegt. 2.3. Mögliche Auswirkungen des Equal-Pay-Gebots 2.3.1.         Statistische Daten Die Bundesagentur für Arbeit erhebt im Rahmen der Beschäftigungsstatistik auch Daten über die versicherungspflichtige Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung, darunter auch die Dauer beendeter Beschäftigungsverhältnisse von Leiharbeitnehmern. Daten zur jeweiligen Einsatzdauer liegen demgegenüber nicht vor. 2.3.2.         Bewertung in der Rechtsliteratur Ob der Änderungsentwurf seinem Anspruch gerecht wird und die Stellung der Leiharbeitnehmer unter dem Aspekt des Equal Pay gestärkt wird, wird in der Rechtsliteratur teilweise kritisch gese- hen. Seel kritisiert die Verknüpfung von Equal Pay mit der vorgesehenen Höchstüberlassungs- dauer von 18 Monaten und wirft die Frage auf, ob diese Regelungen im Interesse der Leiharbeit- nehmer seien. Ein Leiharbeitnehmer, der nach neun oder 15 Monaten Equal Pay erhalte, habe 9 wenig Interesse daran, in einem anderen Einsatzbetrieb wieder „bei Null“ anzufangen. Bis- sels/Falter merken an, dass es bei der stufenweisen Heranführung an Equal Pay gemäß § 8 Abs. 4 S. 2 AÜG-E weiterhin den Tarifvertragsparteien obliege festzulegen, welches Entgelt als gleich- wertig angesehen wird. Gleichwertig müsse nicht zwingend 100 Prozent des Vergleichsentgelts 10 bedeuten. Schüren/Fasholz weisen darauf hin, dass trotz der Addition der Einsatzzeiten bei nur kurzzeitigen Unterbrechungen gemäß § 8 Abs. 4 S. 4 AÜG-E legale Möglichkeiten denkbar blie- 11 ben, die dazu führten, dass Leiharbeitnehmer dauerhaft nicht vom Equal Pay profitieren. Tat- sächlich bleibt nach dem Gesetzentwurf eine Rotationslösung denkbar, wenn ein Verleiher bei- 8      Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsge- setzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016, S. 24. 9      Seel, Neue Spielregel für die Arbeitnehmerüberlassung – Eine Analyse des Referentenentwurfs des AÜG, öAT 2016, 27. 10     Bissels/Falter, Reform des Fremdpersonaleinsatzes: Ein neuer Versuch aus dem BMAS, DB 2016, 534. Vgl. auch Hamann, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze vom 17. Februar.2016, ArbuR 2016, 136 ff. 11     Vgl. Schüren/Fasholz, Inhouse-Outsourcing und der Diskussionsentwurf zum AÜG – Ein Diskussionsbeitrag, NZA 2015, 1473.
6

Wissenschaftliche Dienste                Ausarbeitung                                                          Seite 7 WD 6 - 3000 – 113/16 spielsweise zwei Leiharbeitnehmer halbjährlich wechselnd in zwei Entleiher-Betrieben ein- 12 setzt. Insoweit wird die künftige betriebliche Praxis zeigen müssen, inwieweit die Regelungen des Än- derungsentwurfs Umgehungen des Equal Pay tatsächlich verhindern. 3.     Höchstüberlassungsdauer Mit dem Gesetzentwurf soll die Funktion der Arbeitnehmerüberlassung als Instrument zur zeitli- 13 chen Deckung eines Arbeitskräftebedarfs geschärft werden. Zur Kernfunktion der Leiharbeit ge- 14 höre, dass sie vorübergehend erfolgt. Weil bisher im AÜG nicht näher konkretisiert ist, wie die Kennzeichnung der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ zu verstehen ist, ist die Aus- 15 legung dieses gesetzlichen Merkmals bisher in der Rechtsliteratur höchst umstritten. Mit dem Ziel, Rechtssicherheit zu schaffen, ist die Konkretisierung des Begriffs „vorübergehend“ in Form 16 der Einführung einer Überlassungshöchstdauer daher ein wesentlicher Teil des Gesetzentwurfs. 3.1. Vorgesehene Regelungen des AÜG-Änderungsentwurfs vom 20. Juli 2016 Der Änderungsentwurf zum AÜG sieht nun in § 1 Abs. 1 S. 4 in Verbindung mit § 1 Abs. 1b AÜG im Wesentlichen folgende Regelungen vor: -    Die Überlassung eines Leiharbeitnehmers in einen Entleihbetrieb wird auf 18 Monate be- grenzt, unabhängig davon, ob ein oder mehrere Verleiher in dieser Zeit Vertragsarbeitge- ber des Leiharbeitnehmers sind, § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG-E. -    Liegen zwischen zwei Einsätzen des Leiharbeitnehmers bei demselben Entleiher nicht mindestens drei Monate, werden die Einsatzzeiten addiert, § 1 Abs. 1b S. 2 AÜG-E. -    Per Tarifvertrag können Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine abweichende Über- lassungshöchstdauer festlegen, § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG-E. o Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags kann ein nicht tarifgebundener Ent- leiher durch eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung diese abweichenden tarifver- traglichen Regelungen für seinen Betrieb übernehmen, § 1 Abs. 1b S. 4 AÜG-E. o Wenn der Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine entspre- chende Öffnungsklausel enthält, kann in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung eine abweichende Vereinbarung zur Überlassungshöchstdauer getroffen werden, § 1 Abs. 1b S. 5 AÜG-E. 12     Vgl. auch Giesen, Reform der Leiharbeit, ZRP 2016, 130 ff., der von „Pingpong“- und „Karussell“-Gestaltungen spricht. 13     Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsge- setzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016, S. 1. 14     Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsge- setzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016, S. 15. 15     Vgl. die verkürzte, aber gute Zusammenfassung zum Meinungsstand in BAG vom 10. Juli 2013 – 7 ABR 91/11, juris-Rn. 53., BAGE 145, 355ff. 16     Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsge- setzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016, S. 20.
7

Wissenschaftliche Dienste                Ausarbeitung                                                           Seite 8 WD 6 - 3000 – 113/16 Von dieser Öffnungsklausel für Betriebs- und Dienstvereinbarungen können auch nicht tarifgebundene Entleiher in ihren Betrieben Gebrauch machen. Die Überlas- sungshöchstdauer beträgt in diesen Fällen maximal 24 Monate, wenn nicht bereits der zugrunde liegende Tarifvertrag eine andere Überlassungshöchstdauer als 18 Monate für Betriebs- oder Dienstvereinbarungen festlegt, § 1 Abs. 1b S. 6 AÜG-E. 3.2. Kritik in der Rechtsliteratur Diverse Autoren setzen sich mit dem Regelungsvorschlag des Änderungsentwurfs zur Überlas- sungshöchstdauer kritisch auseinander. Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Punkte in der Rechtsliteratur immer wieder aufgegriffen werden. 3.2.1.         Arbeitnehmerbezogenheit der Überlassungshöchstdauer Nach dem Gesetzesentwurf bezieht sich die Überlassungshöchstdauer auf die maximale Einsatz- zeit eines Leiharbeitnehmers im Betrieb des Entleihers. Damit soll unter anderem einer Verdrän- 17 gung von Stammarbeitnehmern im Einsatzbetrieb vorgebeugt werden. Diese beabsichtigte Rege- lung wird in der Rechtsliteratur teilweise kritisiert. Demnach werde die dauerhafte Besetzung 18 von Arbeitsplätzen mit Leiharbeitnehmern gerade nicht verhindert. Aus der wirtschaftlichen Perspektive sei die Substitution von Stammarbeitnehmern des Entleihbetriebs weiterhin profita- 19 bel. Indem der Leiharbeitnehmer vor dem Ablauf von 18 Monaten ausgetauscht werde, könnten Gesetzesfolgen wie die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher auf legalem Wege 20 vermieden werden. Soweit der Gesetzentwurf das Ziel verfolge, die Flexibilität der Unterneh- men zu wahren, mit Leiharbeit vorübergehenden Bedarf an Arbeitskräften bei Auftragsspitzen 21 abzudecken , könne man dieses Ziel schon hinreichend dadurch erreichen, indem man die Mög- 22 lichkeit des Einsatzes von Leiharbeitnehmern auf den vorübergehenden Bedarf begrenze. Unterstützer der vom Gesetzesentwurf vorgesehenen arbeitnehmerbezogenen Anknüpfung der 17     Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsge- setzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016, S. 15; primär auf den Schutz der Stammbelegschaft als gesetzgeberisches Ziel abzustellen, hält Franzen, Tarifdispositive Gestaltung einer Höchstüberlassungsdauer nach AÜG, ZfA 2016, 25,36, für verfassungsrechtlich bedenklich. 18     Giesen, Reform der Leiharbeit, ZRP 2016, 130 ff. 19     Hamann, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze vom 17.02.2016, ArbuR 2016, 136 ff.; Schüren/Fasholz, Inhouse-Outsourcing und der Diskussionsentwurf zum AÜG – Ein Diskussionsbeitrag, NZA 2015, 1473 ff. 20     Giesen, Reform der Leiharbeit, ZRP 2016, 130 ff.; Schüren/Fasholz, Inhouse-Outsourcing und der Diskussions- entwurf zum AÜG – Ein Diskussionsbeitrag, NZA 2015, 1473. 21     Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlas- sungsgesetzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016, S. 14. 22     Schüren/Fasholz, Inhouse-Outsourcing und der Diskussionsentwurf zum AÜG – Ein Diskussionsbeitrag, NZA 2015, 1473.
8

Wissenschaftliche Dienste                 Ausarbeitung                                                       Seite 9 WD 6 - 3000 – 113/16 Überlassungshöchstdauer weisen dagegen mit gewichtigen Argumenten auf praktische Probleme 23 in der Umsetzung einer arbeitsplatzbezogenen Anknüpfung hin. Im Ergebnis wird es nach dem Gesetzesentwurf möglich bleiben, Arbeitsplätze langfristig mit Leiharbeitnehmern zu besetzen, sofern diese spätestens nach 18 Monaten ausgetauscht werden. Ein Leiharbeitnehmer wird auch weiterhin wiederholt auf dem gleichen Arbeitsplatz des Entlei- hers eingesetzt werden können, sofern seit seinem letzten Einsatz beim Entleiher mindestens drei 24 Monate vergangen sind. Inwieweit Missbrauch dennoch durch die geplante Regelung einge- dämmt werden kann, wird die Praxis zeigen müssen. 3.2.2.        Begrenzung auf 18 Monate Ebenfalls Teilweise kritisch bewertet wird in der Literatur, dass die Höchstüberlassungsdauer auf 18 Monate festgelegt ist. Diese Zahl beruht laut Änderungsentwurf auf bestehenden tarifvertragli- chen Vereinbarungen aus der Praxis, welche „die Einsatzdauer von Leiharbeitnehmerinnern und Leiharbeitnehmern zeitlich begrenzen beziehungsweise den Arbeitgeber verpflichten, der Leihar- 25 beitskraft nach einer bestimmten Einsatzdauer einen Arbeitsvertrag anzubieten“. Tatsächlich finden sich in der Praxis solche (ähnliche) Tarifverträge. Beispielsweise sieht der Tarifvertrag „Zeitarbeit in der Metall- und Elektro-Industrie (TV LeiZ)“ vor, dass Entleiher nach 18 Monaten zu prüfen haben, ob dem Leiharbeitnehmer ein unbefristeter Arbeitsvertrag angeboten werden kann. Nach spätestens 24 Monaten besteht darüber hinaus die Pflicht, einen solchen Arbeitsver- 26 trag anzubieten. Eine Regelung, wonach der Entleiher dem Leiharbeitnehmer bei Erreichen ei- ner bestimmten Überlassungsdauer einen Arbeitsvertrag anbieten muss, sieht der Gesetzentwurf allerdings nicht vor. Stattdessen soll bei überschrittener Höchstüberlassungsdauer künftig auto- matisch ein Arbeitsverhältnis fingiert werden gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG-E. Im Gegensatz zu einer Lösung, wonach der Entleiher von sich aus einen Arbeitsvertrag anbieten müsste, hätte dies für den Leiharbeitnehmer den Nachteil, dass er sich trotz Fiktion zunächst wirksam beim Entlei- 27 her einklagen müsste, soweit dieser seine Arbeitgeberstellung nicht anerkennt. Henssler kritisiert sinngemäß, dass eine starre Überlassungshöchstgrenze die bedarfsgerechte Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung erschwere. Die Festlegung einer zeitlichen Höchstgrenze sei im europäischen Vergleich kaum verbreitet. Ein wesentlicher Anwendungsfall der Zeitarbeit sei die Vertretungskonstellation. In solchen Fällen sei es unsinnig, einen (Leih-) Arbeitnehmer 23     Vgl. Willemsen/Mehrens, Beabsichtigte Neuregelung des Fremdpersonaleinsatzes: mehr Bürokratie wagen?, NZA 2015, 897, erschienen noch dem ersten Referentenentwurf auf Basis des Koalitionsvertrags. 24     Insoweit sind ähnliche „Rotationslösungen“ wie beim Equal-Pay-Anspruch denkbar, die dazu führen, dass ein Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers zum Entleiher nie gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1b) AÜG fingiert wird. 25     Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsge- setzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016, S. 20. 26     Vgl. hierzu Gesamtmetall: https://www.gesamtmetall.de/sites/default/files/downloads/handlungsleitfaden-zeit- arbeit.pdf, zuletzt aufgerufen am 13. Oktober 2016. 27     Dies ist nach Brors, AÜG-Reform: Ist das geplante Widerspruchsrecht des Leiharbeitnehmers verfassungsrecht- lich geboten?, NZA 2016, 672 ff., derzeit gängige Praxis.
9

Wissenschaftliche Dienste                Ausarbeitung                                                      Seite 10 WD 6 - 3000 – 113/16 28 abzuberufen, obwohl der Vertretungsbedarf noch fortbesteht. Schüren/Fasholz meinen mit Blick auf das Equal Pay, dass gerade die Leiharbeitnehmer selbst schon aus finanziellen Erwä- 29 gungen kein Interesse an häufig wechselnden Einsätzen hätten. Hamann fordert, die starre Überlassungshöchstdauer mit einer flexiblen Komponente zu ergänzen, die den tatsächlichen Be- schäftigungsbedarf im Entleihbetrieb berücksichtige, und schlägt als Vorbild die Sachgrundbe- fristung nach § 14 Abs. 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes vor. Bei einem tatsächlich bloß vorübergehenden Beschäftigungsbedarf drohe auch bei Überschreitung der Überlassungshöchst- 30 dauer keine systemwidrige Substitution von Stammarbeitnehmern durch Leiharbeitnehmer. Kramer/Dreyer vertreten die Auffassung, dass der Begrenzung auf 18 Monate der Irrglaube zu- grunde liege, dass längere Überlassungen missbräuchlich seien. Die Dauer der Überlassung sei 31 kein geeigneter Maßstab für Missbrauch. 3.2.3.         Tarifdispositivität 3.2.3.1.       Ausschluss der Verbände der Zeitarbeitsbranche Die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten soll nach dem Gesetzentwurf für die Tarifvertrags- parteien der Einsatzbranche tarifdispositiv sein. Die konkrete Ausgestaltung wird vielfältig kriti- 32                       33 siert, findet aber auch Zustimmung. Als „Systembruch“ bzw. „systemfremd“ wird bezeichnet, dass die Tarifbefugnis den Verbänden der Zeitarbeitsbranche entzogen wird. Die geplanten Rege- lungen werden als erheblicher Eingriff in die verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG verbürgte 34 Tarifautonomie der Tarifparteien der Zeitarbeit eingestuft. Henssler hält dies mangels Erforder- 35 lichkeit sogar für nicht verfassungskonform. Einige Autoren sind der Meinung, dass diese Rege- lung untauglich sei, den sozialen Schutz der Leiharbeitnehmer zu verbessern, da die Organisatio- nen der Stammbelegschaften wenig Interesse hätten, die betriebliche Situation von Leiharbeitern 28     Henssler, Überregulierung statt Rechtssicherheit – der Referentenentwurf des BMAS zur Reglementierung von Leiharbeit und Werkverträgen, RdA 2016, S. 18 ff. 29     Schüren/Fasholz, Inhouse-Outsourcing und der Diskussionsentwurf zum AÜG – Ein Diskussionsbeitrag, NZA 2015, 1473, vgl. auch oben unter 3.2.1. 30     Hamann, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze vom 17.02.2016, ArbuR 2016, 136 ff. 31     Kramer/Dreyer, Mehr Tarifautonomie wagen!, AuA 2016, 204ff. 32     Schüren/Fasholz, Inhouse-Outsourcing und der Diskussionsentwurf zum AÜG – Ein Diskussionsbeitrag, NZA 2015, 1473. 33     Henssler, Überregulierung statt Rechtssicherheit – der Referentenentwurf des BMAS zur Reglementierung von Leiharbeit und Werkverträgen, RdA 2016, S. 18ff. 34     Bissels/Falter, Reform des Fremdpersonaleinsatzes: Der Regierungsentwurf ist da, DB 2016, 1444; Zimmermann, Der Referentenentwurf zur AÜG-Reform 2017, BB 2016, 53; Henssler, Überregulierung statt Rechtssicherheit – der Referentenentwurf des BMAS zur Reglementierung von Leiharbeit und Werkverträgen, RdA 2016, S. 18ff. 35     Henssler, Überregulierung statt Rechtssicherheit – der Referentenentwurf des BMAS zur Reglementierung von Leiharbeit und Werkverträgen, RdA 2016, S. 18ff.
10

Zur nächsten Seite