anlage-21

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „IFG: Stiftung Klima- und Umweltschutz

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Dr. Heinz Brili                                               ███████ ▎
Wiss. Direktor a. D.                                          ██████████                       ▎
                                                              ████████
                                                              ████████████
                       I    9109999397434
                                                     u/ n !

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                                                                                      j. r




Die Ministerpräsidentin
                                                                Qcas
                                                   ’L;;n       1t^
des Landes Mecklenburg-Vorpommern                                                 }
Frau Manuela Schwesig                               Einnf.:
- persönlich -                                                        0
                                                   □
                                                    [■“) ‘vr. ^In !—j
Schlossstraße 2-4                                                           ÜNIdlg.
                                                                                 Af


19053 Schwerin                                                 Uv.Abj.OiS Ll/.'.v.V, n

                                                              07.01.2021

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Schwesig
mit großem Interesse las ich in der FAZ vom 07.01.2021 die Meldung, dass das
Land Mecklenburg-Vorpommern eine landeseigene Stiftung für die Fertigstellung
der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 plant.
Mit dem Thema „Pipeline-Projekte“ habe ich mich im Rahmen meiner
wissenschaftlichen Arbeit wiederholt auseinandergesetzt. Zuletzt in dem Beitrag
„Pipeline-Projekte im Interessenspektrum der Staaten. Die geopolitische Dimension
im euro-atlantischen Raum“ für die ÖMZ 6/2020.
Wie politisch der Erdgashandel schon immer war, weise ich in meiner Analyse im
Zusammenspiel von Förder-, Transit- und Verbraucher-Staaten unter Einbeziehung
der Interessen der Welt- und Großmächte in Vergangenheit und Gegenwart nach.
Hierbei spielt die gewachsene deutsch-russische Gaspartnerschaft eine besondere
Rolle.
Vielleicht g bt Ihnen, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, meine Analyse die eine
oder andere Anregung für die operative Politik.
Mit freundlichen Grüßen



Anlage
1

P ip e lin e -P ro je k te im In te re s s e n ­
                       s p e k tru m d e r S ta a te n

                       Die geopolitische Dimension im euro-atlantischen Raum




                       Heinz Brill


                                    ach dem Verständnis des ehemaligen Prä­                                              O ie B e d e u tu n g v o n E rd g a s
                                    sidenten der Bundesakademie für Sicher­                                         fü r d ie E n e rg ie v e rs o rg u n g u n d
                                    heitspolitik, Admiral Dieter Wellershoff,
                                                                                                                              z e n tra le L a g e rs tä tte n kjihgfedcbaZYXW
                       ist „die wichtigste Voraussetzung für eine zentrale
                       Entscheidungsvorbereitung in der Sicherheitspolitik das                                                 Erdgas gehört zu den fossilen Energieträgern und
                       ganzheitliche Verständnis der Sicherheitspolitik bei den                                           gewinnt bei der internationalen Energieversorgung im­
                       Führungseliten“.” Nicht neu, aber seit geraumer Zeit zu                                            mer mehr an Bedeutung. Nach einer Einschätzung des
                       den klassischen Sicherheitsrisiken verstärkt hinzugekom­                                           ehemaligen Vorstandschefs von E.ON Ruhrgas, Bernhard
                       men ist das Problem der inter- bzw. transkontinentalen                                             Reutersberg, „wird Erdgas eine Schlüsselposition beim
                       „Eneigiesicherheif ‘ durch „Ferngasleitungen“ und deren                                            Übergang auf eine COj-ärmere Energieversorgung und
                       Transit für den europäischen Markt. Insbesondere seit                                              einen nachhaltigen Energiemix einnehmen“.^* Ebenso
                       Russland und die Ukraine um Gaspreise streiten und die                                             argumentiert Mario Mehren, Chef des Energieriesen
                       EU nach realistischen Alternativen sucht, bestimmen                                                 Wintershall.^’ Erdgas gilt als Brücke ins Zeitalter der
                       transkontinentale Erdgas-Pipelines die nationale wie                                               emeuerbaren Energien. Gaskraftwerke produzieren etwa
                       internationale Diskussion.                                                                         50% weniger COj als Kohlekraftwerke. Gehandelt wird
                                                                                                                                          rnsoop®' Erdgas nicht wie Öl auf dem Welt­
                                                                                                                                                   markt, sondern in großregionalen
                                                                                                                                                   Erdgasmärkten: dem europäischen,
                                                                                                                                                   dem nordamerikanischen, dem asia­
                                                                                                                                           lAiOXll tischen und dem südamerikanischen
                                                                                                                                       •*»
                                                                                                                                            •••• Markt. Die Regionalisierung der
                                                                                                                                                   Erdgasmärkte wird zwar weiterhin
                                                                                                                                                   Bestand haben, sie wird aber wegen
                                                                                                                                                   des wachsenden Handels mit Flüs­
                                                                                                                                                   siggas weniger ausgeprägt sein. Die
                                                                                                                                                   bekannten Kapazitäten der öl- und
                                                                                                                                                   Gasprognosen weisen zwar durch­
                                                                                                                                                   gehend positive Trends auf, doch die
                                                                                                                                                   entdeckten Vorkommen, onshore und
                                                                                                                                                   offshore, liegen meist in Gebieten, die
                                                                                                                                                   nahezu unzugänglich oder politisch
                                                                                                                                                   umstritten sind. So ist z.B. die Arktis
                                                                                                                                                   infolge des Klimawandels nicht nur
                                                                                                                                                   in den Fokus der Anrainerstaaten,
                                                                                                                                                   sondern globaler Interessen gerückt^’
                                                                                                                                                   Jahrzehntelang zeigten sogenannte
    D ie w e s tlic h e S a n k tio n s p o litik v e ra n la s s te R u s s la n d d a z u , la n g fris tig e G a s lie fe rv e rträ g e
    m it C h in a a b z u s c h lie ß e n u n d s o m it u n a b h ä n g ig e r v o n E u ro p a z u w e rd e n (B ild : G a z p ro m
                                                                                                                                                   „Tortendiagramme“, dass über die
    V o rs ta n d s v o rs itz e n d e r A le x e i M ille r, d e r ru s s is c h e P rä s id e n t W la d im ir P u tin u n d d e r c h in e ­    Hälfte der Erdgasmengen, die sich
    s is c h e V iz e m in is te rp rä s id e n t Z h a n g G a o li b e im S p a te n s tic h fü r d e n B a u d e r G a s P ip e lin e           gewinnen ließen, auf Russland, Iran
    „ K ra ft S ib irie n s “, 1 .9 .2 0 1 4 ).                                                                                                    und die Golf-Region konzentriert

I                      720                                                                                                                                             ÖMZ 6/2020
2

waren. Während Russland -        Abb.r                              E rd g a s . G r ö ß te F ö r d e r lä n d e r u n d R e s e r v e n d e r W e lt
nach wie vor - über die größten
Erdgasreserven verfugt, setzten
sich die USA aufgrund neuer
Fördermethoden an die Spitze der
Erdgas-Förderländer.NMLKJIHGFEDCBA

       A u s w irk u n g e n
    d e r E n e rg ie w e n d e
      in d e n U S A a u f
   G e o ö k o n o m ie u n d
          G e o p o litik

     Es stellt sich die Frage: Wud                                                                                                                                           5

 Fracking die geoökonomische
 Weltkarte verändern? Besonders
 in den USA und Kanada hat diese
                                                                                                                                                                             I
 Technik zu einer wahren Schie­
 fergasrevolution geführt. Seit
 2009 sind die USA vor Russland
 größter Gasproduzent der Welt
 Inzwischen sind die USA von
 einem Gasimporteur zu einem
 Gasexporteur geworden. „Was
 derzeit in den USA geschehe,
 besitze das Potenzial“, so der
 Exxon-Mobil-Chef Rex Tiller-
 son, „die Geschichte der Energie
 entscheidend zu verändern“.’*
 In den USA gilt Fracking als
 Erfolgsrezept Zwar gibt es auch
 Kritiker und Studien, die auf die
 Risiken des Frackings hinwei-
 sen. Es gibt aber genauso viele
Gegenstudien, die behaupten,
dass Fracking sicher ist - wenn
man es richtig macht.” Nach
Auffassung von Experten hat der
Öl- und Gasboom in den USA
weitreichende Konsequenzen
auch für die Geopolitik und die
Neuordnung der Weltenergie­
                                       OuefJ“’ löct.fef-PuWizisüK                                                                               Re<l^t«n ÖMZ •   -He WaliT
märkte. Bemerkenswert an die­
sem revolutionären Vorgang war
die Reaktion in den Medien. Treffend schreiben Michael                  starkem Einfluss auf Europa“.** Denn in der Tat ist Russ­
Gassmann und Nils Kreimeier in ihrem Beitrag „Stille                    land für die europäische Energieversorgung aufabsehbare
Reserven“ für die Zeitschrift „Capital“: „Die Nachricht                 Zeit der Dreh- und Angelpunkt Bezeichnend für diese
ging fast unter, sie sah aus wie eine kleine Fußnote in der             Einschätzung war das Panel „Die Geo-Ökonomie großer
Geschichte zweier ewiger Rivalen: Mitte Jänner 2010 gab                 Infiastruktur-Projekte“ im Jahre 2016 auf dem Weltwirt­
das amerikanische Energieministerium bekannt, dass die                  schaftsforum in Sankt Petersburg.’* Lediglich Norwegens
USA im vetgangenen Jahr (2009) Russland als weltgröß­                   Energiereserven können in Europa mit denen Russlands
ten Erdgasproduzenten abgelöst haben. “7)                               konkurrieren. Die Ressourcen des Landes bieten Russland
                                                                        die Basis, den Großmachtstatus nicht nur zu behaupten,
    R u s s la n d - d ie E n e rg ie g ro ß m a c h t                  sondern auch als eigenständiger Pol in einer multipo­
                      in E u ra s ie n                                  laren Welt akzeptiert zu werden. Bereits während seiner
    Russland ist nach Einschätzung zahlreicher Experten                 Petersburger Zeit räsonierte Putin, wie er den russischen
eine globale ,3nergiegroßmacht“. Der mit Abstand größte                 Ressourcenreichtum innen- und außenpolitisch geltend
Flächenstaat der Erde verfügt über die größten Erdgas­                  machen könnte: Innenpolitisch stellte sich die Frage,
reserven. Geopolitiker wie Herbert Kremp bezeichnen                     wie mit Hilfe der Energie Wohlstand und Integration in
Russland gar als „planetarischen Energie-Hegemon mit                    der ,4^öderation“ besser miteinander vereinbart werden


ÖMZ 6/2020                                                                                                                                     721
3

B rill: P ip e ü n e -P ra je k te im In te re s s e n s p e k tru m d e r S ta a te n




A b b .2    E u r o p ä is c h e E r d g a s im p o r te 2 0 1 6 / 2 0 1 7   kjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA
                                                                                       Z u r G e o p o litik d e s P ip e lin e b a u s

                                                                                         Eine Pipeline bezeichnet eine Fernleitung für den
                                                                                     Rohrleistungstransport.Pipelines können auf dem
                                                                                     Landweg oder auf dem Meeresboden über weite Entfer­
                                                                                     nungen verlegt werden. Die „OlTshore-Pipelines“ werden
                                                                                     auf Spezialschiffen zusatnmengeschweiflt und mit Beton
                                                                                     beschwert, damit sie absinken. So wie die Algerien-
                                                                                     Sizilien-Pipeline oder die Nord Stream-Pipelines 1 und 2.
                                                                                         Uber die politischen Motive und die opaativen Aas­
                                                                                     wirkungen des Pipelinebaas vertritt der nrssische Regie-
                                                                                     rungschefWladimir Putin die Meinung: .Jedes Projekt ist
                                                                                     möglich, wenn Sie die nötigen Ressourcen haben, um die
                                                                                     Pipeline zu itillea Falls das nicht gesichert ist, gibt es kein
                                                                                     ProjdcL Zudem müssen Sie nieht nur einen potenziellen
                                                                                     Maikt haben, sortdem unterschriebene Verträge mit Ab-
                                                                                     ndimon. Erst dann werden PipeliiKS auch gebaut“.'^^ In
                                                                                     der politischen Praxis haben Putins Petersburger geoöko-
                                                                                     nomische Ideen Wirkung gezeigt Keine Frage: Pipelines
                                                                                     zur Erietgievetsoigung sind heute auffast alloi Kontinenten
                                                                                     zu einem Markenzeichen moderner Geopolitik geworden;
                                                                                     denn Geopolitik ist das Studium der Beziehungen von
                                                                                     Raum, Macht (in diesem Fall „Eneigie“) und Zeit

                                                                                         B e s te h e n d e P ip e lin e -P ro je k te d e r
                                                                                         e u ro p ä is c h e n E n e rg ie v e rs o rg u n g
                                                                                         Seit Jahrzehnten spielt Russland in der europäischen
                                                                                     Eneigieversoigung eine zentrale Rolle. Das Erdgas, das
können, und außenpolitisch galt es, den geopolitischen                               Russland nach Ost- und Westeuropa exportiert, wird im
Wiederaufstieg Russlands zu einer energiepolitischen                                 Raum Westsibirien gefördert. Zwei Pipelines fuhren von
Supermacht zu ermöglichen.                                                           dort über die osteuropäischen Transitländer nach Deutsch­
    Nach Gasprom-Chef Alexej Miller ist „Gasprom ein                                 land. Die parallel verlaufenden Trassen „Dnrschba I“
staatliches Unternehmen, bei dem mehr als die Hälfte                                 und „Dnischba 11“ haben seit ihrer Inbetriebnahme ihre
der Aktien dem Staat gehören. Weil der Staat der Mehr­                               Bezeichnungen mehrfach geändert
heitseigner ist, bestimmt er die strategischen Ziele: die                                Die nördliche Pipeline, auch nördlicher Korridor
Diversifizierung unserer Märkte, unserer Transportwege                               genannt, gebaut in den 1970er-Jahren, v«'läuft über Weiß­
und unserer Produkte. Andere Aufgaben hat uns der Staat                              russland und Polen. Sie ist ca. 3.000 km lang.
nicht gestellt“.'“' Und an anderer Stelle sagt Miller ,JMach                             Weiter südlich fließt das Gas durch den ca. 3.4(X) km
unseren Prognosen wird der Gasverbrauch in Europa                                    langen zentralen Korridor in Leitungen aus den 1980er-
weiter wachsea die europäische Erdgasproduktion aber                                 und 1990er-Jahren über die Ukraine, die Slowakei und
stark sinken. Für mich ist klar: Der Gasmaikt hat eine                               Tschechien.'^
große Zukunft.' ■II)                                                                     Das erste Projekt wurde auch „Trasse der Freund­
    Die Sanktionspolitik des Westens im Ringen um                                    schaft“ genannt Die DDR und andere Osfölockstaaten, die
Einflussnahme auf die Ukraine haben Moskau dazu                                      .freiwillige“ zumBau der Pipeline in die Sowjetuniai ent­
veranlasst, mit einer weiteren Macht Absatzmärkte zu                                 sandt hatten, wollten mit dem Namen ,T)ruschba-Trasse“
erschheßen: Neben Europa schloss Russland langfristige                               ihre enge Beziehung zur Sowjetunion zum Ausdruck britr-
Gaslieferungsvertr^e mit China. Bereits Anfeng Dezem­                                gen. Bei ,J>ruschba“ handelt es sich um ein weitiäufiges
ber 2019 konnte der russische Präsident Putin das erste                              Netz von Leitungen das unter Federführung der Sowjet-
Teilstück der Gaspipeline .JGaft Sibiriens“ für eröffnet                             unitMi zur Energieversorgung der Ostblockstaaten gebaut
eiklärea'-’ Ab 2023 soll das etwa 3.000 Kilometer lange                              wurde. Aber auch westliche Staaten partizipierten an dem
Bauwerk China mit Erdgas versoigea Präsident Putin                                   ,J)ruschba-Projekt“. So kooperierte die Bundesrepublik
sprach von einem „w ahriiäft historischen Ereignis“. Die                             Deutschland mit der Sowjetunion seit 1973. Grundlage
Pipeline verläuft von der Lagtastätte Kowyktinskoje bis an                           dafür war der Erdgas-Röhren-Vertrag von 1970. Er sah
die russisch-chinesische Grmze bei Blagoweschtschensk.                               vor, dass die damalige Sowjetunitxi drei Mrd. Kubikmeter
Der Bau hatte 2014 begonnen, nachdem der russische                                   Erdgas pro Jahr in die Bundesrepublik Deutschland Ueferte
Konzern Gasprom einen Liefervertrag mit dem chine­                                   und im Gegenzug 1,2 Mio. Tonnen R^iren erhielt. Bis
sischen Konzern CNPC über 30 Jahre geschlossen hatte.                                zum Bau von Nord-Stream deckte Deutschland seinen
Durch die Pipeline .JCraft Sibiriens“ will sich (Jasprom                             Erdgasbedarf zu knapp 40% aus russischen Lagerstätten,
unabhängiger von Europa machen und eine weitere Option                               davon flössen ca. vier Fünftel über die Ukraine-Pipeline
demonstrieren.                                                                       und der Rest über Weißrussland.

                                                                                                                                  ?2 2
4

D a s N o rd S tre a m -P ip e iin e -P ro je k t            der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 voraussichtlich bis
                                                                2021 verzögern.
                    (O s ts e e -P ip e lin e ) kjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA

    über keine Gas-Pipeline wurde so viel debattiert                                   D ie g e w a c h s e n e d e u ts c h -ru s s is c h e
wie über die Ostsee-Pipelines 1 und 2. Ein wesentlicher                                                  G a s p a rtn e rs c h a ft
Grund dafür; Die Ostsee-Pipeline ist ein Bauprojekt                                     Während die Nord Stream 1-Pipeline von der EU
der Superlative. Im Dezanber 2000 erklärte die EU die                               grundsätzliche Unterstützung fand, ist um Nmd Stream
Offshore-Pipeline als Teil der transeuropäischen Energie­                           2 ein intonationaler Streit cntbraimt. Es vergeht kaum ein
netze (TEN-E) mit dem Ziel, sie solle einen signifikanten                           Tag, an dem nicht über Nord Stream 2 berichtet wird, ln
Beitrag zur Energieverstitgung Europas leisten, ln der                              der Regel sind es kritische Kommentare, bei daien das
Folgezeit trieben insbesondere Moskau und Berlin dieses                             deutsche und westeuropäische Interesse kaum hervoige-
gigantische Projekt voran. Für Deutschland ist die Pipeline                         hoben wird. Dies, obwohl die Eigenproduktion von Gas
von geoökonomischer Bedeutung. Denn sie verbindet                                   in Westeuropa in den kommenden Jahren sinken und der
E)eutschland erstmals mit den riesigen Gasvorkommen                                 Importbedarf steigen wird. Allein für Deutschland erhöht
Russlands.'** Durch diese Direktverbittdung werden die                              sich der Bedarf an Erdgas erheblich. Derm bis zum Jahr
bisherigen Risiken auf den Transitrauten vermindert                                 2022 sollen die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet
    Am 8. September 2005 Unterzeichneten das mssische                               werden imd bis 2038 der Kohleausstieg geschafft sein.
Unternehmen Gasprom und die deutschen Konzerne                                      Um die, jGimabilanz“ zu verbessern, setzt Deutschland
E.ON und Wintershall im Beisein von Präsident Wla­                                  bis dahin verstärict auf Erdgas als ,3rückentechnologie“.
dimir Putin und des deutschen Bundeskanzlers Gerhard                                    Die Deutsch-Russische Außenhandelskammer (AHK
Schröder in Berlin eine deutsch-russische Grundsatzver­                             Russland) hat im Rahmen ihrer traditionellen Russland­
einbarung zum Bau der Ostseepipeline. Am 8. November                                konferenz in Berlin im Februar 2019 ein Positionspapier
2011 wurde der erste Strang von Nord Stream 1 eröffnet                              zum Nord Stream 2-Projekt vorgestellt. Im Punkt 9 der
Nach Fertigstellung des zweiten Stranges im Herbst                                  „politischen Dimension“ des Positionspapiers betont die
2012 kann die Leitung 55 Mrd Kubikmeter Gas pro Jahr                                AHK die Bedeutung der im Bau befindlichen Pipeline
transportieren. EU-Kommissionspräsident Barroso lobte                               für die deutsche und europäische Versorgungssicherheit
in Stralsund Nord Stream als ein „wahrhaft europäisches                             und fordert die planmäßige Umsetzung des 9-Milliarden-
Projekt“ und ein gutes Beispiel fiir die Zusammenarbeit im                          Projekts. Zugleich warnt sie: „Deutsche und europäische
Ostseeraum. „Wenn es ein sich wirtschaftlich rechnendes                             Finnen und Verbraucher dürfen nicht zur Geisel geopoli-
Projekt ist, ist das ok.“'’*                                                        tischer Auseinandersetzungen werden. Deutschland darf
                                                                                    sich in Fragen seiner Energieversorgung und Energiesi­
P ro je k td e ta ils z u N o rd S tre a m 1 u n d 2                                cherheit nicht dem Einfluss anderer Mächte urrterwerten,
  • Offshore-Erc^spipeline durch die Ostsee von WVborg                              sei es Russland oder seien es die USA“.'** Der Vorwurf
     (Russland) nach Lubmin nahe Greifswald,                                        einseitiger Abhängigkeit oder gar eine Geisel Russlands
  • Länge: 1.224 Kilometer, zwei parallele Leitungssträn­                           zu sein, wie von US-Seite immer wieder kritisiert werde.
     ge auf dem Meeresboden,
  • Gesamtkapazität: 55 Mrd. Kubik­
     meter Erdgas pro Jahr (27,5 Mrd.
     Kubikmeter pro Pipelinestrang).
     Im Herbst 2015 beschließen Gas-
manager aus Russland und der EU
den Bau der „Schwester-Leitung“
Nord Stream 2. .^n dem Konsortium
beteiligen sich unter Führung von Gas­
prom die BASF-Tochtergesellschaft
Wintershall Dea, der österreichische
Versorger OMV, Uniper, Royal Dutch
Shell und die französische Energie.
Die Kosten werden auf ca. 10 Mrd.
EUR veranschlagt. Nord Stream 2
knüpft weitgehend an die Erfahrungen
und das technische Konzept von Nord
Stream 1 an. hn Endzustand soll sich die
K^razität von Nord Stream 1 und 2 auf
110 Mrd. Kubikmeter Gas im Jahr ver­
doppeln. Das Gas wird in Deutschland
angelandet und ist zum Verbrauch auch         D e r B a u d e r d e u ts c h -ru s s is c h e n G a s p ip e lin e N o rd S tre a m 2 is t u m s tritte n . D ie U S A
ffir andere Staaten in Europa bestimmt.       z ä N e n z u d e n g rö ß te n K ritik e m d e s P ro je k ts u n d b e le g te n e s m it S a n k tio n e n w e g e n
Was die Fertigstellung betrifft, werden       d e r B e fü rc h tu n g , d a s s v o r a lle m D e u ts c h la n d , a b e r a u c h d e r R e s t E u ro p a s , z u r G e is e l
die Sanktionen der USA gegen den Bau          g e o p o litis c h e r A u s e in a n d e rs e tz u n g e n w e rd e n k ö n n te .



                                                                                                                                                                  7-23
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B rill: P ip e lin e -P ro je k te im In te re s s e n s p e k tru m d e r S ta a te n kjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA




treffe iticht zu. Allenfalls könne von gegenseitiger Abhän­     durch die Ausschließliche dänische Wirtschaftszone
gigkeit gesprochen werden. Zudem hält der Ostausschuss          zugestimmt.
der deutschen Wirtschaft den Bau von Nord Stream 2 für              Fragt man danach, warum es erst beim dritten Rou­
eine Voraussetzung, um die Preise für die Endverbrau­           tenvorschlag zu dieser Einigung gekommai ist, so kommt
cher und die europiäische Industrie stabil zu halten."** Die    eine Analyse zu dem Ergebnis:,J)er dritte Korridor wurde
deutsche und europäische Politik ist daher gut beraten,         letztlich und ironischerweise nur möglich, weil Dänemark
strategisch weiterhin auf eine sicheiheitspolitische und        und Polen“’" sich wenige Tage zuvor aufdie Streckenfüh­
geoökonomische ,JCooperations-Achse“ mit Russland zu            rung des ,3altic-Pipe“-Piojekts geeinigt hatten, das Polen
setzen, unabhängig von den Möglichkeiten einer ,4Diver-         mit norwegischem Gas versorgen soll. Dafür mussten
sifizierung“ und der jeweiligen Tagespolitik.                   Territorialfiagen in der Ostsee geklärt werden, die voriier
     Nord Stream 2 hat aber iticht nur Befiirworter! Aus        eine Planung der Nord Stream 2-Leitung in dem Bereich
diesem Grund soll im Folgenden auf die Interessen der           verhindert hatten.“*
Transitstaatenund Gegenpositionen der Hauptakteure von              Fazit: Dänemark gehört vorübergehend zu den Haupt­
Nord Stream 2 im Einzelnen eingegangen werden. Denn             akteuren, die einer Einigung im Nord Stream 2-Prozess
zwischen den Erdgasförderstaaten und den Erdgasabneh­           im Wege standen. Es gilt in Berlin als offenes Geheimnis,
merstaaten sind die Erdgastransitstaaten als Bindeghed          dass politische Gründe die dänische Verzögerungstaktik
von besonderem Interesse.                                       begründeten.

                  N o rd S tre a m 2                                  D a s „ B a ltic P ip e lin e “ -P ro je k t:
  im In te re s s e n s p e k tru m d e r S ta a te n                 N o rw e g e n - D ä n e m a rk - P o le n
     Als grenzüberschreitendes Projekt unterliegt Nord              Polen ist in Vernetzungen mit den USA und der EU-
Stream internationalem Recht und dem nationalen Recht           Kommission seit langer Zeit einer der entschiedensten
jener Staaten, durch deren Küstenlinie bzw. Ausschließ­         Gegner der Gasleitung „Nord Stream 2“. Jetzt nehmen die
liche Wirtschaftszone (AWZ) sie verläuft. Konkret ver­          Pläne Polens für eine eigene Ostseegasleitung Gestalt an.“*
läuft die Ostsee-Pipeline durch die AWZ von Russland,           Mit dem wiederbelebten Projekt einer „Baltic Pipe“ (2009
Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland. Damit             gescheitert unter der Bezeichnung „Skanled“) planen pol­
sind diese Staaten an derjeweiligen Planung zu beteiligen.      nische und dänische Konzerne eine weitere Erdgaspipeline
In Anrainerstaaten wie Schweden und Finnland, durch             im Ostseeraum. Beide Trassen werden sich nach jetzigem
deren Gebiet die Pipeline führt, wurden v.a. Fragen der         Stand in dänischen Gewässern kreuzen. Brisant: Polen und
militärischen Sicherheit und des Umweltschutzes geltend          Dänemark gehören in der EU zu den schärfsten Kritikern
gemacht. Aus den vorgebrachten Gründen musste die               von Nord Stream 2.^^**
Nord Stream AG mehrere Umweltverträglichkeitsstudien                Über die Baltic Pipe soll Gas aus norwegischen
durchführen und den Trassenverlauf mehrfach ändern.             Feldern über Dänemark nach Polen fließen. Damit wtird
Zuletzt mussten Territorialfragen zwischen Dänemark             Dänemark zum Transitland. Die Baltic-Pipe-lnvestoren,
und Polen geklärt werden, die in unmittelbarem Zusam­           der dänische Energiekonzem Energinet und der pol­
menhang mit der Streckenfühmng von Nord Stream 2                nische Gas-Übertragungsnetzbetreiber Gaz-System,
 standen. Denn nach dem Völkerrecht muss der Bau der            sehen die Vorteile des Baltic-Pipe-Projektes darin, dass
Ostsee-Pipeline von Stuten gebilhgt werden, deren ma­           ihre Trasse - anders als Nord Stream - eine Verbindung
ritime Wirtschaftszonoi berührt sind.                           zwischen EU-Mitgliedstaaten herstellt. ,JDie EU-Kom-
                                                                mission bezuschusst das Projekt mit einem dreistelligen
 D ä n is c h e In te re s s e n k o n flik te : „ N o rd
                                                       It
                                                                MiUionenbetrag. Die Leitung sei entscheidend für die
   S tre a m 2 “ c o n tra „ B a ltic P ip e lin e              Versoigungssicherheit und das Zusammenwachsen der
    Dänemark war das letzte Land, dessen Genehmigung            Märkte, begründete die Kommission den Förderbe­
für den Verlauf der Gasleitung Nord Stream 2 noch aus­          seheid“.“* Die Baltie Pipe, die deutsche Hoheitsgewässer
stand. Zuvor hatten schon Russland, Finnland, Schweden          umgehen kann, soll pro Jahr nmd 10 Mrd. Kubikmeter
und Deutschland die nötigen Genehmigungen erteilt.              Gas liefern, ein Fünftel der Kapazität von Nord Stream
Die dänische Regierung hatte das Projekt Nord Stream            2. Die Nord Stream 2 AG gibt sich gelassen. Aufgrund
2 von der Planung an wesentlich kritischer bewertet als         der prognostizierten Versorgungslücke fiir Erdgas werde
die Vorgängerleitung Nord Stream 1. Dies zeigt sich u.a.        jeder Lieferweg im Interesse der Versoigungssicherheit
in der von der Nord Stream 2 AG vorgeschlagenen Rou­            Europas benötigt. Dies schließe Nord Stream 2 wie auch
tenplanung. Erst nachdem die Nord Stream 2 AG mehr              die Baltic Pipe mit ein.“'
als 1 'A Jahre auf den Bescheid ihres dritten Antrages auf
eine Streckenführung in dänischen Gewässern gew’artet              P o le n s P o s itio n im P ip e lin e -S tre it
hatte, teilte die dänische Energieverwaltung am 30. Ok­            Polen sieht das deutsch-russische Erdgasgeschäft
tober 2019 mit, dass die Pipeline in einer Länge von 147        weitgehend unter politischen Motiven. Die direkte Ostsee-
Kilometern aufdem dänischen Kontinentalsockel südöst­           Pipeline (Nord Stream 1), die Russland mit Deutschland
lich der Insel Bomholm verlaufen kann “* Die dänische           verbindet, und die kurz vor der Vollendung befindliche
Behörde hatte damit nicht der von der Nord Stream 2 AG          Pipeline (Nord Stream 2) ist in Polen ein ,JPoMtikum“.
vorgeschlagenen Route, die über dänisches Hoheitsgebiet         Immer wtieder wird von der polnischen Politik vor einer
fiihrt, sondern einer um acht Kilometer längeren Route          Destabilisiaung Europas durch das Pipelineprojekt Nord

                                                                                                              7 2^
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Stream gewarnt „Das ist kein Wirtschaftsprojekt das                                               T ra n s itla n d U k ra in e u n d d e r
müssen wir in aller Deutlichkeit sagen, es ist ein politisches                           p e rm a n e n te G a s -S tre it m it R u s s la n d
Projekt“, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am
4. Juli 2018 im Europaparlament in Straßburg. Die EU                                        Die Ukraine war lange Zeit das wichtigste Transitlarxl
brauche das Projekt nicht Die Gasleitung biete Russland                                tur die Lieferung russischen Erdgases auf den lukrativen
„unglaubliche Einflussmöglichkeiten“, nicht nur wirt­                                  mittel- und westeurcqräischen Markt*” Ca. 80% des Gases
schaftlich, sondern auch politisch.^ Und im Jahre 2006                                 wurden über den ukrainischen Transit bezogen, der Rest
scheute Polens Außenminister Radoslaw Sikorski auch                                    über die weißrussischen Pipelines. Allerdings galt die Uk­
nicht davor zurück, den Bau von Nord Siream 1 mit dem                                  raine bereits zu Begiim des sich abzeichnenden Konflikts
Ribbentiop-Molotow-Pakt zu vergleichen.                                                mit Russlaixl aus voschiedenen Gründen (Zahlungspro­
     Den politischen Eliten fallt es schwer, den Verlust der                           bleme u.a.) als „unsicheres Transitland“. Nach dem „Gas-
Einflussnahme auf Enetgieheferungen von Russland nach                                  Streit“ im Jänner 2(X)9 (mit Lieferstopp) hatten sich Kiew
Europa zu tolerieren. Bereits nach Unterzeichnung des                                  und Moskau aufeinen zehn Jahre angelegten Vratrag über
ersten Nord Stream-At4c«nmens plädierte Polen in Ver-                                  die Lieferung von russischem Gas an die Ukraine imd die
hatxilungen mit Brüssel und Washington (unter Einschluss                               Durchleitung von Gas für west- und südosteurcqräische
der Ukraine und Georgiens) für eine „Enetgie-NATO“.                                    Abnehmer geeinigt. Dieser Vertrag lief Ende 2019 aus.
Darüber hinaus versucht Polen, mit Projekten wie ,3altic                               Zuletzt wurde der Eigenbedarfder Ukraine an Gas nahezu
Pipe“, Flössi^as-Atrfcommen mit Katar, Algerien”’ und mit                              komplett aus dem Westen gedeckt Russisches Gas wurde
cino- Ölleitung,JSchwaizes Meer-Ostsee“ (Odessa-Danzig)                                nur noch durchgeleitet.’“ Zugleich bemühte sich die Uk­
die Abhängigkeit von Russland zu veningem oder Russland                                raine u.a. mit chinesischer Hilfe, eigene Gasquellen zu
zu umgehoi. Hierbei spielen die besonderoi Beziehungen                                 erschließen. Nach intensiven Verhandlungen in Berlin und
Polens zur Ukraine und zu den baltischen Staaten eirte                                 Minsk unter Vermittlung Deutschlands und der EU haben
besondere Rolle. Bereits als Beitrittskandidat zur NATO                                die russische Firma Gasprom und die ukrainiscbe Naftogas
trat Polen für die Sicherhritsirrteressen dieser Staaten ein                           am 31.12.2019 einen neuen Vertrag über den Gastransit
     Fazit: Seit den Mitgliedschaften in der EU und NATO                               durch die Ukraine geschlossen - einen Tag vm Ablauf
versucht Polen aufgrund seiner historischen Vergangenheit                              des alten Vertrages. Damit ist der Gastiansit durch die
der russischen Politik Einhalt zu gebieten. Ehe polnische                              Ukraine weiterhin gesichat.^^^ Man einigte sich auf eine
Russland-Politik unterläuft aber oft die pragmatische                                  einvemehmliche Lösung, die sich auf die Liefermenge,
Politik westeuropäischer Schlüsselstaaten gegenüber                                    den Zeitraum, den Preis und die Beilegung eines Rechts­
Russland, die auf Sicherheit und i^miomische Stabilität                                streits, in dem Kiew von Moskau Schadenersatz wegen zu
ausgerichtet ist                                                                       hoher Preise gefordert hatte. Aufgrund der massiven Kritik
7

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an Nord Stream 2 hatte die deutsche Bundeskanzlerin             Folge: Aufgrund ihrer geopolitischen Lage ist die Türkei
Merkel betont, ohne Klarheit über den Gastransit durch          fast an allen Pipelme-Projekten beteiligt, ob amenkanisch,
die Ukraine „sei das Projekt nicht möglich“. Aus diesem         europäisch oder russisch. Für EU-Europa von besonde­
Grund verlangte Merkel vom russischen Präsidenten Putin         rem Interesse ist die Wandlung des Projekts von ,jSouth
Zusagen, dass nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2             Stream“ zu „Turkstream“.
signifikante Gasmengen weiterhin durch das ukrainische                                                                i4
                                                                  V o n „ S o u th S tre a m z u T u rk s tre a m
Netz Richtung Westen fließen.“'
    Fazit: Der Konflikt zwischen Russland und der Uk­               South Stream galt lange Zeit als Pendant zu Nord
raine stellte währoid der letzten Jahre wiederholt eine         Stream und als Konkurrenzunternehmen zu, J^abucco“.
sichere Energieversorgung einzelner EU-Staaten in Frage.        Das Projekt musste im Jahre 2014 von Gasprom aufgege­
Aufgrund des neuen Vertrages ist eine Zwischenlösung            ben wa-den, weil die EU-Kommission von Gasprom die
gefunden worden. Künftig w ird die Ukraine aber durch           Einhaltung der EU-Regeln gefordert hatte, die besagen:
die neuen Vetsotgungsroucen Nord Stream 1 und 2, Tuik-          „Gasliefeiung und Pipelinebetreiber dürfen nicht identisch
stream imd Flüssiggaszufiihr aus aller Welt ihre bisherige      sein. Und die Pipeline müsse dritten Lieferanten ebenfalls
Rolle als Transitland Nr. 1 in Europa verlieren.                offenstehen.“ Neben den politisch-rechtlichen Gründen
                                                                machte Gasprom auch wirtschaftliche Gründe für das
T ü rk e i - a u fs te ig e n d e s T ra n s itla n d fü r
                                                                Scheitern geltend. Auch nach dem Scheitern von South
           S ü d - u n d S ü d o s te u ro p a                  Stream hielt Russland an seinem Interesse, Gas über die
    Die geopolitische Lage der Türkei wird von da: tür-         Türkei zu liefern, fest. Noch im Jahre 2014 legten Moskau
kischai Regierung geschickt als Trumpf im euiasischen           und Ankara als Ersatz für das gescheiterte Projekt South
Energiepoker ausgespielL Ein Blick auf die Landkarte            Stream als Altemativmodell „Turkstream“ vor.
erklärt die besondere geopolitische Lage der Türkei und             Das Gesamtprojekt Turkstream sieht den Bau einer
warum sie so wichtig für die westliche Energieversor­           Pipeline von der südrussischen Küstenstadt Anapa durchs
gung ist. Die Türkei liegt mitten in der „Energie-Ellipse“      Schwarze Meer bis nach Kiyiköy im europäischen Teil
(Naher Osten/Zentralasien), in der ein Großteil der welt­       der Türkei vor.^> Der „Offshore-Abschnitt“ der Pipeline
weiten Gas- und Ölreserven lagern. Die Trassen von den          wird mit 910 km und der LarKlabschnitt auf türkischem
wichtigsten Förderländem zu den wichtigsten Verbrau-            Territorium mit 180 km angegeben. Eine Leitung ist fiir
cherlärKlem führen zwangsläufig über die Türkei, wenn           die Gasversorgung des türkischen Marktes bestimmt. Mit
man Russlarrd und Iran umgehen will. Mit jeder weiteren         der zweiten Leitung soll Gas nach Süd- und Südosteu­
Pipeline stärkt die Türkei ihre Position als Energiekorridor.   ropa geliefert werden. Jede Leitung wird eine Kapazität




                                                                                                         '?3£.
8

von 15,75 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr haben. Wre                M e g a p ro je k t „ S o u th e rn G a s C o rrid o r
die russische Zeitung ,JCommersant“ berichtete,^" soU                                                       U
                                                                               A d v is o ry C o u n c il
Gasprom sich entschieden haben, Turkstream über Land
                                                                         („ S ü d lic h e r G a s k o rrid o r“ )
nach Bulgarien, Serbien, Ungarn und die Slowakei weiter­
zuführen. Überraschenderweise handelt es sich bei der nun       E in n e u e s P ro je k t d e r „ E U -E n e rg ie s tra te g ie “ kjihgfedcbaZYXWVUTSR
vorgeschlagenen Strecke um fest dieselbe Routenfuhrung              Der „Southern Gas Corridor Advisory Council“ ist
wie bei South Stream.                                           eine gemeinsame Initiative der EU und Aserbaidschans.
    Am 8. Jätmer 2020 koimte Karin Senz vom ARD-                Es ist ein ca. 3.500 km langes Pipeline-Projekt, mit dem
Studio Istanbul berichten, dass „die Präsidenten Russ­          Er dgas vom Gasfeld Shah Deniz 2 im Kaspischen Meer
lands und der Türkei, Wladimir Putin und Recep Tayyip           über Aserbaidschan, Georgien, die Türkei, Griechenland
Erdogan, die Gaspipeline Turkstream eröffnet haben. Das         und Albanien nach ItaUen transportiert werden soll. Der
mssisch-türkische Erdgas-Pipeline-Projekt Turkstream            südliche Gaskotridor besteht aus drei Pipelines: Südkau­
bezeichnete Erdogan als .ftistorisches Projekt für beide        kasuspipeline, Transanatolische Pipeline (TANAP) und
Länder.“**' Die konsequente Beibehaltung russischer             Transadriatische Pipeline (TAP). Ab 2020 sollen über den
Gas-Strategie stammt vom Gasprom-ChefAlexej Miller.             südlichen Gaskorridor zehn Mrd. Kubikmeter Erdgas pro
In einem Interview setzte er voll auf die Türkei als neue       Jahr nach Europa geliefert werden.^'^ Für die EU entsteht
Drehscheibe für russisches Gas.*" Und die EU-Kommis­            durch das Projekt eine weitere alternative Erdgasquelle.
sion konfrontierte er mit den neuen Pipeline-Projekten          So sprach die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini
,JDie EU sehe sich nach dem Boykott von South Stream            beim Treffen des „Southern Gas Corridor Advisory
künftig dem neuen, mächtigen Transitland Türkei gegen­          Council” im Februar (2016) in Baku vom südlichen
über. Als strategischer Parmer Russlands werde die Türkei       Gaskorridor als „einem wesentlichen Bestandteil der
in Europa 50 Mrd. Kubikmeter Gas verteilen können.              EU-Strategie zur Energiesicherheit“
Dieses ,Gasventil* könne die Türkei im geopolitischen
                                                                N e u in d ie E U -P la n u n g a u fg e n o m m e n
Machtpoker mit der EU einsetzen.“ Er ergänzte: „Während                                                         ((
Deutschland für den Norden Europas das wichtigste Ver­               w u rd e d a s „ E a s tm e d -P ro je k t
teilungszentrum für russische Gaslieferangen sei, werde             Das Projekt wTorde zu Jahresbeginn 2020 zwischen Is­
die Türkei künftig diese Stellung im Süden einnehmen.“          rael, Zypern und Griechenland abgeschlossen und soll mit
     Anders als in Deutschland, wo es um das Für und            einer noch zu bauenden Pipeline ab 2025 vom östlichen
Wider der Gasleitung „Nord Stream 2“ eine rege Debatte          Mittelmeer über Italien Erdgas in das europäische Netz
gibt, hegt man nach Einschätzung von Michael Martens**'         einspeisen. Sie wird von der EU und den USA unterstützt,
in Ankara zumindest öffentlich solche Sorgen nicht.             aber ohne Mitwirkung und Beteiligung der Türkei wird
Vielmehr sei es das erklärte Ziel türkischer Politik, für       das Projekt kaum realisiert werden können.^^^
die Energieversorgung Europas ein immer wichtigerer
                                                                   N o rd S tre a m 2 im S p a n n u n g s fe ld
Transitstaat zu werden - und Turkstream soll ein zen­
traler Baustein dieser Strategie sein. Allerdings stellt sich     z w is c h e n E U -P o litik u n d E U -R e c h t
von dritter Seite die pohtische Frage, ob die USA bei                Grundlegende Ablehnung gegen Nord Stream 2 kam
der geplanten Erweiterung von Turkstream in Richtung            von Planungsbeginn an von der EU-Kommission. Das
Südosteuropa gewillt sind - wie bei Nord Stream -, den          , Jhrojekt verstoße gegen die Prinzipien der EU-Energie-
zusätzlichen Ausbau mit Sanktionen zu erschweren oder           union“, wiederholte der zuständige Vizepräsident der EU-
gar zu verhindern.                                              Kommission, Maro§ Sefcovic, bei fast jeder Gelegenheit:
                                                                „Wir wollen unsere Enetgieversorgung unabhängiger von
       »f   N a b u c c o “ : D a s g e s c h e ite rte
                                                                einzelnen Lieferanten machen, nicht abhängiger“. Auch
              P ip e lin e -P ro je k t d e r E U               den wirtschaftlichen Sirm stellte die Kommission in Frage.
    ,)Mabucco“ wurde jahrelang als eines von mehreren           Mit diesen und ähnlichen Argumenten versuchte Maros
„vorrangigen Vorhaben von europäischem Interesse“               SefÖovic den Bau von Nord Stream 2 zu veihindem.'“^
einer künftigen gemeinsamen Energiepolitik bezeiehnet                Schon 2015 und 2017 wollte die EU-Kommission
Die Vorbereitungen und ersten Verhandlungen fiir das            das Projekt stoppen. Zuerst woUte sie EU-Recht extra-
Nabucco-Pipeline-Projekt haben im Jahre 2002 in Wen             territorial anwenden, um Nord Stream 2 zu verhindern.''^'
stattgefunden. Es war als eines der größten Infrastruktur-      Das wurde vom Juristischen Dienst der EU-Kommission
voihaben der EU konzipiert. Im Jahre 2013 vtTtrde das           in einem Gutachten deutUch zurückgewiesen."*’ Anfeng
von der EU massiv unterstützte Pipeline-Projekt, das            März 2018 veröffentlichten verschiedene Medien aus dem
Erdgas aus dem Kaspischen Raum (Aserbaidschan) über             Gutachten des Juristischen Dienstes der EU-Kommission,
die Türkei und den Balkan nach Österreich transportieren        „dass die Kommission mit ihrem Versuch, Nord Stream 2
sollte, um die Abhängigkeit von russischen Gasimporten          zu verhindern, gegen internationales Recht verstoße. Die
zu verringern, offiziell als gescheitert erklärt.*" Selbst      EU habe nicht die Kompetenz, das bestehende Recht auf
das ,Jlabucco-West-Projekt“ wurde vom Konsortium                Pipelines auszudehnen, die ausschließliche Wirtschafts­
verw orfen. Im Kern brachten Kosten und fehlende Liefer­        zone von EU-Mitgliedsländem zu durchqueren - das
verträge das Russland umgehende Projekt zum Scheitern.          gelte auch für Meere, in diesem Fall die Ostsee.“'*" Das
Stattdessen e±ielt die „Trans-Adriatio-Pipeline (TAP)“          vertrauliche Dokument wurde vom Portal, J'olitico“ ins
den Zuschlag.'*"                                                Internet gestellt Der EU-Rat bestätigte, dass es echt ist.''*'
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B rill: P ip e lin e -P ro je k te im In te re s s e n s p e k tru m d e r S ta a te n




D a s „ N a b u c c o “-P ip e lin e -P ro je k t d e r E U h a tte z u m Z ie l, R u s s la n d a ls G a s lie fe ra n t z u u m g e h e n , u n d g a lt ja h re la n g a ls v o rra n g ig e s
V o rh a b e n v o n e u ro p ä is c h e m In te re s s e , s c h e ite rte a b e r a n h o h e n K o s te n u n d fe h le n d e n L ie fe rv e rträ g e n < B ild ; U n te rz e ic h n u n g
d e r R e g ie ru n g s v e re in b a ru n g z u m N a b u c c o -P ro je k t, 1 3 .7 .2 0 0 9 , A n k a ra ).   kjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA
                    SefCoviö zeigte sich „überrascht“ von der Einschätzung                                        nomisch fragwürdige Projekte wie das „Nabucco-Projekt“
                    des Juristischen Dienstes. Letztlich habe der aber nur                                        oder die „Baltic Pipe“, sondern auch das Megaprojekt
                    beratende Funktion. Dann wollte die EU-Kommission                                             „Southern Gas Corridor“. Das Nord Stream 2-Projekt
                    von den EU-Staaten ein MandaL um mit Russland über                                            hingegen benötigt keine finanzielle Unterstützung der EU.
                    die Leitung zu verhandeln. Das wurde ihr versagt. Erst im                                          Jürgen Trittin, der als ehemaliger deutscher Umwelt­
                    dritten Anlaufhaben Deutschland imd Frankreich, das sich                                      minister der „Grünen“ gegen Nord Stream 1 gekämpft
                    vorübeigehend aufdie Seite der „Nord Stream 2-Gegnet“                                         hatte, hält die Argumente gegen Nord Stream 2 lür nicht
                    schlug, einen „Formelkompromiss“ gefiinden und damit                                          stichhaltig und die „europäische Politik (geradezu) erra­
                    den offenen Konflikt auf EU-Ebene beigelegt. Danach                                           tisch. Wir haben ein Gasnetz geschaffen“, so sein Plädoyer,
                    wird das Land, dessen Territorium an die Importleitung                                        „auf das viele zugreifen können - mit Pipelines und auch
                    angrenzL zuständig für die Regulierung. Es muss sich                                          Flüssiggas-Terminals. Dc t Gasmarkt ist hquide, und keiner
                    dabei mit andren EU-Staaten abstimmen. Damit behält                                           kann opresst werdea Die Kommission versucht nun, das
                    Deutschland im Namen und Auftrag der EU die Leitungs­                                         privat finanzierte Nord-Stream-2-Projekt auszubremsea
                    funktion über die Gasleitung Nord Stream 2.^*                                                 zum Teü mit Mitteln jenseits des Völkerrechts.“”*
                         Die neuen Pipeline-Regeln der EU im Pipeline-Streit                                           Ebenso erhoben acht deutsche Mitglieder des EU-
                    sehen vor, dass Pipelines von einem Drittstaat in die EU                                      Parlaments und des Deutschen Bundestages schwere
                    denselben Auflageu unterliegen wie Leitungen innerhalb                                        Vorwürfe gegen die Entscheidung der EU-Kommission in
                    der EU. So darfu.a. Besitz und Betrieb nicht in einer Hand                                    dcar ,Thpeline-Frage“. ln einem goncinsaincn Positiewspa-
                    sein. Außerdem müssen Betreiber Konkurrenten Zugang                                           pier eridären sie:, J)er Ruf nach europäischai Lösungen
                    gewähren. Für bereits bestehende Leitungen und Projekte                                       darf aber nicht dazu führen, dass die EU-Kommission
                    sollen aber unter strengen Auflagen Ausnahmen möglich                                         ihre Kompetenzen nach Belieben ausweitet und so durch
                    sein. Darauf hatte v.a. Deutschland gedrungen, um Nord                                        die Hintertür versucht, den nationalen Enagiembc von
                    Stream 2 vor dem Aus zu retten.^“'                                                            Mitgliedstaaten zu beeinflussen. Daher ist der jüngste
                                                                                                                  Vorstoß der EU-Kommission, die Bestiminungen in der
                         D e r E U -K o m p ro m is s in d e r K ritik
                                                                                                                  Gasbinneiunaiktrichtlinie auf Drittstaaten auszudehnea
                        Die von der deutschen Bundesregierung vertretene                                          nicht nur rechtlich fi:t^würdig, sondern auch politisch
                    Pohtik in der Nord Stream 2-Frage wurde von zahlreichen                                       falsch. Sie schafft neue Unsicherheiten aufdem Gasmarkt
                    deutschen Politikern unterstützt und die neuen Regeln                                         und wäre de 6cto eine Lex Nord Stream 2.“”'
                    im Pipeline-Streit eina- heftigen Kritik unterzogen. Denn                                          Fazit: Die EU verfügt über keine gemeinsame eu­
                    wenn die bisherige Gas-Richtlinie zur Nord Stream                                             ropäische Energie-Außenpolitik. Der europäische Ener­
                    2-Richtlinie werde, sei das ein offensichüicher Verstoß                                       giemarkt befindet sich vielmehr in einem Spatmungsfeld
                    gegen EU-Verträge., JDenn diese garantieren den Mi^ied-                                       z\\'ischen Europäisierung und nationaler Eigenständigkeit.
                    staaten schließlich ihre Verantwortung für den nationalen                                     Aber eine Gas-Solidarität in der EU gibt es sehr» jetzt! In
                    Eneigiemix.“’** Zu den Zielen der EU gehört dabei auch                                        diesem Rahmen ist das Nord Stream 2-Projekt ein wicb-
                    eine Vielfalt der Lieferquellen und Versorgungsrouten.                                        tiger Beitrag zur deutschen und europäischen Euergiesi-
                    Deshalb unterstützte bzw. unterstützt die EU nicht nur öko­                                   cheiheit Die EU-Staaten haben ihre Energieversorgung
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