»Mein Kind ist doch kein Nazi!?« Ein Ratgeber für Eltern und Angehörige von Kindern und Jugendlichen aus der rechten Szene

Impressum Herausgeberin: Mobile Beratung in Thüringen für Demokratie – gegen Rechtsextremismus Brühl 23 99867 Gotha Tel.: 03621/22 86 96 Fax: 03621/22 86 98 E-Mail: mail@mobit.org www.mobit.org Redaktion: MOBIT, Martin Beck Gestaltung: S. Steinhof – rrita.de Druck: agit-Druck GmbH Adalbertstr. 7-8 10999 Berlin Gotha 2005                                gefördert durch: Die Herausgabe dieser Broschüre wurde gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms »CIVITAS –     im Rahmen von: initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern«.

Inhaltsverzeichnis 3 Mobile Beratung in Thüringen 4 Vorwort 5 Wege in die rechte Szene 9 »Das wichtigste ist, miteinander im Gespräch zu bleiben.« Interview mit einem Vater Informationen und Hintergründe 13   Die rechte Szene 16   Frauen in der rechten Szene 19   Rechte Musik 22   Kleidung und Symbolik Politisches Weltbild des Rechtsextremismus 25   Rassismus 28   Antisemitismus 31   Volksgemeinschaft 34   Nationalismus 37 Interview mit der »Elterninitiative gegen Rechts – Hilfen für Eltern von rechts- extremistisch orientierten Jugendlichen« 40 Mein Kind ist rechts! Was kann ich tun? Verhaltenstipps für Eltern und Angehörige 45 Literaturtipps 47 Anlaufstellen und Ansprechpartner Inhalt 1

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Mobile Beratung in Thüringen Für Demokratie – Gegen Rechtsextremismus Die Mobile Beratung in Thüringen für Demokratie – gegen Rechtsextre- mismus (MOBIT) besteht seit dem Jahr 2001 und ist Teil der vom Bund geförderten Projekte gegen Rechts- extremismus in den ostdeutschen Bundesländern. Finanziert durch das Bundesprogramm »CIVITAS – initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern« unterstützt MOBIT im Bundesland Thüringen Initiativen, Kommunen, Vereine, Schu- len, Jugendeinrichtungen etc. bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus. Ziel der Arbeit von MOBIT ist die Stärkung des bürgerschaftlichen, demokrati- schen Engagements in Thüringen und die konkrete Auseinanderset- zung mit allen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Darüber hinaus informiert MOBIT über aktu- elle Entwicklungen in der rechtsex- tremen Szene. 3

Vorwort »Dass man einfach nicht ernst genommen          Eltern zu ermöglichen. wurde, das war das größte Problem. Indem        Der vorhandene Bedarf bei diesem Thema man es als Jugendstreiche abgetan hat, war      wurde uns von zahlreichen Beratungsstellen, die ganze Sache vom Tisch und wurde als         sowie öffentlichen und freien Trägern be- normales jugendliches Verhalten verharm-        stätigt, allein, es gibt bis heute kein ausrei- lost.« Mit diesen Worten beschreibt der         chendes Angebot zur Qualifizierung in Vater eines zeitweise rechtsextrem orien-       diesem Bereich. Dem will MOBIT mit dem er- tierten Jugendlichen aus Thüringen seine        wähnten Projekt begegnen. ernüchternden Erfahrungen mit einer von         Die vorliegende Broschüre ist ein Anfang, mit ihm aufgesuchten Beratungsstelle. Dabei         dem die Besonderheiten des Rechtsextre- sind Eltern, denen die rechtsextreme Ori-       mismus bei Jugendlichen in den Blick ge- entierung ihrer Kinder nicht egal ist, dringend nommen und die Hintergründe dieser Ideo- auf Hilfe von außen angewiesen, geht es         logie beleuchtet werden sollen. doch vor allem darum, den Kontakt zu den        An dieser Stelle möchten wir uns bei all Kindern zu halten und gleichzeitig deutlich     denen bedanken, die dazu beigetragen inhaltlich Stellung zu beziehen. Dieser         haben, dass diese Broschüre entstehen schwierige Balanceakt verlangt den betrof-      konnte. Für die Förderung des Bundeminis- fenen Eltern einiges ab und oftmals fühlen sie  teriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju- sich mit der Situation überfordert und al-      gend im Rahmen des Förderprogramms leine gelassen.                                 »CIVITAS – initiativ gegen Rechtsextre- Die Mobile Beratung in Thüringen für Demo-      mismus in den neuen Bundesländern« bei der kratie – gegen Rechtsextremismus (MOBIT)        Finanzierung dieser Broschüre. Der EXIT-El- will mit dieser Broschüre und dem dazu-         terninitiative, die uns ihren Ratgeber Mein gehörigen Projekt mit dem Titel »Beratung für   Kind – Ein Neonazi? als Quelle für einzelne Eltern und Angehörige von Kindern und Ju-       Texte zur Verfügung stellte. Unser Dank gilt gendlichen in der rechten Szene« einen Bei-     auch dem Antifaschistischen Pressearchiv trag zur Unterstützung solcher Eltern leisten.  und Bildungszentrum (apabiz), Herrn Eitel MOBIT ist jedoch keine Elternberatungs-         von der »Elterninitiative gegen Rechts« im stelle, sondern sieht seine Aufgabe in          Landesjugendamt Rheinland-Pfalz und allen diesem Zusammenhang darin, vorhandene           Eltern, die sich gegen Rechts zu Wort melden. Beratungseinrichtungen mit der Spezifik des Rechtsextremismus vertraut zu machen, um so eine kompetente Beratung für betroffene                     Mobile Beratung in Thüringen 4

Wege in die rechte Szene Rechtsextremismus wird in der öffent- lichen Wahrnehmung häufig auf ein Problem von Jugendlichen und Her- anwachsenden reduziert. Glatzköp- fige, Springerstiefel tragende, ang- steinflößende junge Männer werden bis heute als gängiges Bild des Rechtsextremismus assoziiert. Die Bearbeitung dieses vermeintlichen Randproblems mit irregeleiteten Jugendlichen wird dann an staat- liche Stellen (Polizei und Gerichte), pädagogische Einrichtungen (Schu- le) oder die Jugendarbeit verwiesen. 5

Kein Randproblem Alle Untersuchungen zum Phänomen            ter eine relativ weite Verbreitung in der Be- Rechtsextremismus zeigen jedoch, dass eine  völkerung haben. Für Thüringen sei an solche Eingrenzung des Problems ein Trug-   dieser Stelle nur auf den Thüringen-Monitor schluss ist, mit dem die Gesellschaft sich  der Universität Jena verwiesen. selbst belügt. Rechtsextremismus kann nicht Trotz dieser generellen Feststellung hat es auf Jugendliche oder junge Erwachsene be-   seine Berechtigung, sich speziell mit dem grenzt werden, noch handelt es sich um ein  Problem rechtsextremer Jugendlicher zu be- Problem am Rande der Gesellschaft. Versteht schäftigen: Jugendliche sind die bevorzugte man unter Rechtsextremismus ein Einstel-    Zielgruppe rechtsextremer Propaganda und lungsmuster, das sich vor allem durch Auto- Aktivitäten. Jugendliche und junge Erwach- ritarismus, Rassismus, Nationalismus und    sene treten als Aktivisten der Szene vermehrt die Ausgrenzung alles »Fremden« kenn-       in Erscheinung. Jugendliche sind das Ziel zeichnen lässt, dann handelt es sich um ein einer sich insbesondere in Ostdeutschland Problem aus der Mitte der Gesellschaft.     breit machenden rechten Freizeitkultur. Jugend- Zahlreiche empirische Untersuchungen        liche und junge Erwachsene stellen schließ- zeigen, dass rechtsextreme Einstellungsmus- lich einen Großteil der rechten Gewalttäter. 6  Wege in die rechte Szene

Nur normales                                     gegenzuhalten. jugendliches Protestverhalten?                   Fragt man jugendliche Rechtsextremisten oder auch Aussteiger, was die Faszination Bis heute unterliegt die Thematisierung des      dieser Szene ausmacht, dann fallen Rechtsextremismus als gesellschaftliches         zunächst Begriffe, die unpolitisch sind: Problem einer mehr oder weniger starken Ta-      Freundschaft, Zugehörigkeit, sich aufge- buisierung. Kein Bundesland, keine Stadt,        hoben fühlen, Lebenssinn entdecken usw. keine Kommune gibt gerne zu, dass sie ein        In den seltensten Fällen beginnt der Weg Problem mit einem sich verbreiteten Rechts-      von Jugendlichen in die rechte Szene mit extremismus hat. Dieser (Nicht-)Umgang mit       der politischen Überzeugung. Freundschaft, dem Problem – wie wohl es hier in den            Clique, Freizeitgestaltung, Sicherheit, Stärke letzten Jahren deutliche Verbesserungen ge-      – das sind Angebote, die die rechte Szene Ju- geben hat – spiegelt sich auch im individu-      gendlichen macht. Diese Angebote sind je- ellen, familiären Umgang mit dem Thema           doch nicht harmlos, weil sie sich sehr Rechtsextremismus wieder. Eltern rechtsex-       schnell mit Inhalten verbinden, die den Weg tremer Jugendlicher unterliegen, wenn sich       in den Rechtsextremismus vorzeichnen. in der Orientierung ihrer Kinder nicht die       In zahlreichen Kommunen Ostdeutschlands eigene Anschauung spiegelt, einem starken        dominieren rechtsextreme Cliquen, die sich Druck: Versagen in der Erziehung, Vernach-       selbst »Kameradschaften« nennen, das Bild lässigung der Kinder – diesem oft unter-         der Öffentlichkeit. Sie nehmen die öffentli- schwelligen Verdacht setzen sich Eltern aus,     chen Plätze ein, sind in den wenigen Freizeit- wenn sie das Abdriften ihrer Kinder in die       einrichtungen präsent und können so zu rechte Szene thematisieren. Hilfe und Unter-     einem Orientierungspunkt für andere Ju- stützung ist gerade für die Eltern erforderlich, gendliche werden. Der Weg in diese Szene die sich mit dieser Entwicklung ihrer Kinder     führt zumeist über freundschaftliche Kon- nicht abfinden wollen. Vorhandene Einrich-       takte, das gemeinsame Verbringen der Frei- tungen wie Jugendamt, Erziehungsberatung         zeit. Musik ist ein zentrales Element beim usw. können hier erste Anlaufpunkte sein,        Einstieg in den Rechtsextremismus, schafft wichtig ist jedoch eine Unterstützung, die       Gemeinsamkeiten und verbindet. sich auf die Spezifik des Rechtsextremismus      Mit dem Anschluss an eine vorhanden konzentriert und hier gezielte Interven-         rechte Clique/Kameradschaft eröffnet sich für tion/Unterstützung leistet.                      Jugendliche ein neues Feld: Zugehörigkeit, Gemeinschaft, Freundschaft – all dies scheint sich hier sehr schnell zu ergeben. Dass aus Was fasziniert Jugendliche                       Freundschaft sehr schnell Kameradschaft am Rechtsextremismus                             wird, die eine hierarchische Komponente beinhaltet; dass aus Gemeinschaft sehr Falsch wäre es, die politische Dimension         schnell Gruppenzwang und Unterordnung des Rechtsextremismus bei Jugendlichen zu        wird und dass aus Zugehörigkeit auch sehr leugnen oder für unwichtig zu halten. Es         schnell Abgrenzung gegen »Ausländer«, handelt sich eben nicht nur um eine »nor-        Linke, Homosexuelle usw. wird, ist ein Prozess, male« jugendliche Protesthaltung, sondern        den die Jugendlichen registrieren, den sie um eine Orientierung, die ganz bestimmte         aber in vielen Fällen akzeptieren. Die Suche Wertvorstellungen hervorbringt. Diesen, in       nach Stärke, auch nach Überlegenheit wird ihrer Anfangsphase noch nicht verfestigten       von der rechtsextremen Ideologie aufs Beste Wertvorstellungen gilt es Alternativen ent-      bedient: Die Stärke der eigenen Nation, der Wege in die rechte Szene 7

eigenen »Rasse« hilft einem schwachen           Mit dem jährlich stattfindenden »Tag der Selbstbewusstsein über die oftmals gar nicht    Nationalen Jugend« wollen die Thüringer so rosige eigene Situation hinweg. Auch als     Kameradschaften ein Angebot vor allem für vermeintlicher Verlierer steht man so plötzlich Jugendliche schaffen, das ihren Freizeit- und auf der Seite der Starken und Sieger, allein    Erlebnisbedürfnissen entgegenkommt. Auch weil man deutsch und weiß ist.                  die ständigen Aufmärsche der rechten Die Musik der rechten Szene unterstützt         Szene in Thüringen haben die Funktion, die diese Sichtweise auf vielfältige Art und ver-   Gemeinschaft nach innen zu stärken und mittelt auf der emotionalen Ebene ein           Erlebniswelten zu schaffen. Durch die politi- starkes Gefühl der Einbindung. Von hier aus     sche Konfrontation mit den Gegnern sol- sind zahlreiche Wege innerhalb der Szene        cher Aufmärsche werden die persönlichen denkbar: Vom leicht beeinflussbaren Mit-        und politischen Identifikationen der Ein- läufer bis zum ideologisch verfestigten         zelnen oftmals noch verstärkt, womit jedoch Kader der Szene. Ohne Intervention von          auch die Distanzierung von der Gruppe außen ist es für Jugendliche nur sehr           immer schwerer wird. Der Druck von außen schwer, die Szene wieder zu verlassen. Auf der  wird nach innen weitergegeben, indem einen Seite haben sie real etwas zu verlieren   jeder, der sich aus der Gruppe lösen will, als (Sicherheit, Clique, Macht ...), auf der an-    Verräter erscheint. deren Seite besteht ein äußerst hoher Grup-     Je länger die Jugendlichen Zeit in solchen pendruck, der auf viele einschüchternd          Gruppen verbringen, umso schwerer wird wirkt.                                          ein Herauslösen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass Eltern, Freunde und An- Jugendliche als Zielgruppe rechts-              gehörige bei den ersten Anzeichen einer extremer Gruppen in Thüringen                   rechtsextremen Orientierung aufmerksam werden und versuchen, zu intervenieren. Sowohl die diversen Kameradschaften in          Dazu wird in vielen Fällen professionelle Thüringen wie auch die NPD werben sehr ge-      Hilfe nötig sein, die von allen Betroffenen zielt um Jugendliche und knüpfen dabei an       auch in Anspruch genommen werden sollte. die oben beschriebenen Bedürfnisse an. Die Kameradschaft Eisenach warb im Frühjahr 2005 an verschiedenen Schulen für sich: »Hey ihr da, mitmachen« war der Titel eines Flugblatts, mit dem die Schülerinnen und Schüler aufgefordert wurden, sich ein ei- genes Bild von der Kameradschaft zu ma- chen. Fußball, Kino, Grillabend – so sehen die Freizeitangebote aus. Auf den regel- mäßigen Treffen spreche man über Politik, das Alltagsgeschehen, die persönliche Si- tuation, man esse und trinke zusammen und hänge nicht nur ab. »Jeder der bereit ist, etwas für sein Land zu tun, ist bei uns will- kommen.« Eingeladen sind allerdings nur »deutsche Menschen«. Geschrieben ist das Ganze als ein Angebot für Jugendliche, um Anschluss und Kontakt zu finden. 8  Wege in die rechte Szene