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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Übersicht der Untersuchungsausschüsse

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LANDTAG DES SAARLANDES

10. Wahlperiode Drucksache I10f/ 85835 (ıiu/ieh‘
27.09.91

SCHRIFTLICHER BERICHT

des Untersuchungsausschusses "Biermann-Aufenthalt"

zu dem Antrag

der CDU-Landtagsfraktion und der FDP-Landtagsfraktion
auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses
gemäß Artikel 79 der Verfassung des Saarlandes

usgqegeben: 30.09.91
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Urucksache_10/685_ (10/164) Landtag des Saarlandes -_10. Wahlperinrie_-

Der Landtag des Saarlandes hat in seiner 8. Sitzung am 19. September 1990
auf Antrag der CDU-Landtagsfraktion und der FDP-Landtagsfraktion die Ein-
setzung: eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses beschlossen, der
die Aufklärung der Umstände im Zusammenhang mit der Unterbringung des
ehemaligen Generaldirektors von Carl-Zeiss-Jena, Dr. Wolfgang Biermann und
dessen Ehefrau im Hause des Wirtschaftsministers Hajo Hoffmann zum Gegen-
stand hat.

Anlaß des Untersuchungsverfahrens war die Tatsache, daß im Zusammenhang
mit der Verhaftung Dr. Biermanns bekannt wurde, daß er bereits seit
Februar 1990 im Hause des Wirtschaftsministers Hajo Hoffmann wohnte.

Das Bekanntwerden dieser Tatsache sowie die Verhaftung Dr. Biermanns
führte zunächst zu einer Befassung des Ausschusses für innere Verwaltung
und - in der Folge - in der 7. Sitzung des Landtages am 5. September 1990
zu einer aktuellen Aussprache zum Thema "Vorgänge um den Aufenthalt des
SED-Spitzenfunktionärs Wolfgang Biermann im Privathaus des Ministers Hoff-
mann".

In seinem Einsetzungsbeschiuß vom 19. September 1990 hat der Landtag des
Saarlandes folgenden Untersuchungsauftrag festgelegt:

Die ungeklärten Fragen um Hintergründe, Abläufe und Verbindungen im Zu-
sammenhang mit dem Aufenthalt des ehemaligen SED-Spitzenfunktionärs und
Generaldirektors der Firma Carl-Zeiss-Jena, Wolfgang Biermann, im Saarland
bedürfen im Interesse des Landes einer umfassenden und vollständigen Auf-
klärung.

Gemäß Artikel 79 der Verfassung des Saarlandes und der $$ 38 ff. des Ge-
setzes über den Landtag des Saarlandes wird ein Untersuchungsausschuß ein-
gesetzt.

Gegenstand der Untersuchung soll sein:

- ab wann und von wem Ministerpräsident Lafontaine, andere Mitglieder bzw.
Vertreter der Landesregierung sowie die (General-) Staatsanwaltschaft vom
Aufenthalt von Herrn Biermann im Hause Hoffmann wußten

- welche Kontakte bzw. welcher Informationsaustausch seit und wegen des
Aufenthalts von Herrn Biermann im Saarland zwischen den Behörden,
zwischen Behörden und der Landesregierung und innerhalb der Landesre-
gierung stattgefunden haben und in welchem Rahmen diese Stellen tätig
geworden sind

- welche Kontakte Herr Biermarn mit diesen Stellen hatte und mit welchem
Ergebnis

welche Umstände dazu geführt haben und wer gegebenenfalls veranlaßt
hat, daß Minister Hoffmann Herrn Biermann in seinem "Zweithaus" aufge-
nommen hat

ob und inwieweit Ministerpräsident Lafontaine, Minister Hoffmann sowie
andere Mitglieder und Vertreter der Landesregierung in den vergangenen
Jahren Kontakte zu Herrn Biermann sowie zur Firma Carl-Zeiss-Jena hatten
und mit welchen Ergebnissen bzw. Auswirkungen
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Drucksache 10/685 (10/164) Landtag des Saarlandes - 10. Wahlperiode _-

- ob und inwieweit und gegebenenfalls zu weichen Bedingungen Herr Bier-
mann als Berater für die Landesregierung tätig war

- ob und inwieweit Ministerpräsident Lafontaine, Minister Hoffmann oder
andere Mitglieder bzw. Vertreter der Landesregierung für Herrn Biermann
Kontakte zu Firmen hergestellt haben, damit dieser als Wirtschaftsberater
tätig werden konnte

- ob sich Minister Hoffmann von Redakteuren und Journalisten das Wort hat
geben lassen, Informationen über den Aufenthalt von Herrn Biermann im
Haus des Ministers zurückzuhalten

- ob der Verfassungsschutz Herrn Biermann überprüft und Erkenntnisse
über seine Person gesammelt hat und mit welchem Inhalt, und ob gegebe-
nenfalls Mitglieder der Landesregierung Kenntnis hiervon hatten

ob und gegebenenfalls weiche Erkenntnisse bei der Erfassungsstelle Salz-

gitter über Herrn Biermann vorliegen und gegebenenfalls ob und wann die
Landesregierung solche Erkenntnisse abgerufen hat.

Von den Fraktionen des saarländischen Landtages wurden folgende Abgeord-
nete als Ausschußmitglieder benannt:

Fraktion der SPD:

ordentliche Mitglieder stellvertretende Mitglieder
Dieter Gruschke Gerhard Geisen

Leo Stefan Schmitt Marlies Schwenk

Gerlinde Neumann Reiner Braun

Peter Gillo Erika Ternes

Fraktion der CDU:

ordentliche Mitglieder stellvertretende Mitglieder
Peter Müller Albrecht Feibel
Jürgen Schreier Gerd Meyer

Fraktion der FDP:

ordentliches Mitglied stelivertretendes Mitglied
Dr. Horst Rehberger Norbert Wagner

ab 5.11.1990 ab 5.11.1990

Norbert Wagner Joachim Kiefaber
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Drucksache 10/685 (10/164) Landtag des Saarlandes _- 10. Wahlperiode -

Der Abgeordnete Peter Müller wurde zum Vorsitzenden, der Abgeordnete
Dieter Gruschke zum stellvertretenden Vorsitzenden bestimmt.

Der Untersuchungsausschuß ist zu insgesamt 10 Sitzungen zusammengetreten;
hiervon dienten 8 der Beweisaufnahme bzw. der Anhörung des Betroffenen
und 2 der Beratung.

In seiner 1. Sitzung am 5. Oktober 1990 hat der Untersuchungsausschuß den
Minister für Wirtschaft, Hajo Hoffmann, als Betroffenen gemäß 5 54 Abs. 1
und 2 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes festgestellt. Am gleichen
Tag hat der Untersuchungsausschuß beschlossen, Akten beizuziehen, die mit
dem Untersuchungsauftrag im Zusammenhang stehen. Im einzelnen wurden Be-
hördenakten

- der Staatsanwaltschaft Saarbrücken und der Generalstaatsanwaltschaft,
- des Ministeriums der Justiz,

- des Ministeriums für Wirtschaft,

- der Stadt Saarbrücken,

- der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter und

- des Bundesamtes für Verfassungsschutzes

angefordert bzw. beigezogen.

Mit Beschluß vom 5. Oktober 1990 wurden folgende Beweisthemen zum Gegen-
stand der Ermittlungen des Ausschusses gemacht:

1. Ab wann und von wem Ministerpräsident Lafontaine, andere Mitglieder bzw.
Vertreter der Landesregierung sowie die (General-) Staatsanwaltschaft vom
Aufenthalt von Herrn Biermann im Hause Hoffmann wußten?

2. Weiche Kontakte bzw. welcher Informationsaustausch seit und wegen des
Aufenthalts von Herrn Biermann im Saarland zwischen den Behörden,
zwischen Behörden und der Landesregierung und innerhalb der Landesre-
gierung stattgefunden haben und in weichem Rahmen diese Stellen tätig
geworden sind?

3. Welche Kontakte Herr Biermann mit diesen Stellen hatte und mit welchem
Ergebnis?

4. Welche Umstände dazu geführt haben und wer gegebenenfalls veranlaßt
hat, daß Minister Hoffmann Herrn Biermann in seinem "Zweithaus" aufge-
nommen hat?

5. Ob und inwieweit Herr Ministerpräsident Lafontaine, Minister Hoffmann
sowie andere Mitglieder und Vertreter der Landesregierung in den vergan-
genen Jahren Kontakte zu Herrn Biermann sowie zur Firma Carl-Zeiss-Jena
hatten und mit welchen Ergebnissen bzw. Auswirkungen?

6. Ob und inwieweit und gegebenenfalls zu welchen Bedingungen Herr Bier-
mann als Berater für die Landesregierung tätig war?

7. Ob und inwieweit Ministerpräsident Lafontaine Minister Hoffmann oder
andere Mitglieder bzw. Vertreter der Landesregierung für Herrn Biermann
Kontakte zu Firmen hergestellt haben, damit dieser als Wirtschaftsberater
tätig werden konnte?
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8. Ob sich Minister Hoffmann von Redakteuren und Journalisten das Wort hat
geben lassen, Informationen über den Aufenthalt von Herrn Biermann im
Hause des Ministers zurückzuhalten?

9. Ob der Verfassungsschutz Herrn Biermann überprüft und Erkenntnisse
über seine Person gesammelt hat und mit welchem Inhalt und ob gegebe-
nenfalls Mitglieder der Landesregierung Kenntnis hiervon hatten?

Dieser Beschluß wurde am 20. Februar 1991 wie folgt ergänzt:

Es soll Beweis erhoben werden zu folgenden Fragen:

8. Ob sich Minister Hoffmann von Redakteuren und Journalisten das Wort hat
geben lassen, Informationen über den Aufenthalt von Herrn Biermann im
Hause des Ministers zurückzuhalten?

durch Vernehmung folgender Zeugen:

t) Herr Michael Jungmann, Redakteur bei der Saarbrücker Zeitung.

Eine weitere Ergänzung erfolgte in der Sitzung am 20. Februar 1991, wonach
der Zeuge Oberbürgermeister Hans-Jürgen Koebnick auch für die Beweis-
themen 1 bis 3 des Beschlusses vom 5.10.1990 befragt werden sollte.

Der Untersuchungsausschuß hat insgesamt 20 Zeugen vernommen.

Der Betroffene, Minister Hajo Hoffmann, hatte zu Beginn des Untersuchungs-
verfahrens Gelegenheit zu einer zusammenhängenden Sachdarstellung.

Komplex: Aufnahme des Ehepaares Biermann im Hause des Wirtschaftsministers

Das Ehepaar Biermann wurde am 6. Februar 1990 vom Ehepaar Hoffmann in
dem Haus in Saarbrücken, Kleine Schachtstraße 12. aufgenommen.

Der Untersuchungsausschuß kommt, was die Umstände der Aufnahme sowie die
hierfür maßgeblichen Gründe anbelangt, zu folgenden Feststellungen:

Der Zeuge Dr. Biermann gab im Verlauf seiner Vernehmung vor dem Untersu-
chungsausschuß an, sich im Dezember 1989 - nachdem er am 8. Dezember
seinen freiwilligen Rücktritt von seiner Funktion als Generaldirektor von
Carl-Zeiss-Jena erklärt hatte - dazu entschlossen zu haben, das Gebiet der
damaligen DDR zu verlassen und - auf legalem Wege - in die Bundesrepublik
Deutschland überzusiedeln.

Bei seinem Entschluß, die DDR zu verlassen und in das Gebiet der Bundes-
republik zu übersiedeln, standen seinen Angaben zufolge insbesondere sein
Gesundheitszustand sowie die politischen Verhältnisse in der damaligen DDR
im Vordergrund.
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Drucksache 10/685 (10/164) Landtag _des Saarlandes - 10. Wahlperiode -

Der Zeuge Dr. Biermann befand sich bereits seit Mitte November 1989 mit
einer schweren Erkrankung in stationärer Behandlung. Vor diesem gesund-
heitlichen Hintergrund habe er angesichts der politischen Verhältnisse keine
andere Wahl gesehen, als die DDR zu verlassen.

Der Zeuge brachte seine Motivation vor dem Untersuchungsausschuß mit den
Worten zum Ausdruck: "Wer verloren hat, hat seine Konsequenzen zu ziehen,
dies habe ich getan." Er äußerte sich in diesem Zusammenhang auch dahin-
gehend, daß er sich von dem System, von dessen Ideen er überzeugt gewesen
sei und deren Realisierung er seine Gesundheit geopfert habe, mißbraucht
und betrogen fühle, darüber hinaus empfinde er einen Mißbrauch seines Ver-
trauens. Wörtlich erklärte der Zeuge Dr. Biermann in diesem Zusammenhang:
"Ich fühle mich ... getroffen von dem Gesamtsystem, weil wir es nicht ver-
standen haben, aus einer ordentlichen Idee des Sozialismus etwas Ordentliches
zu machen, sondern verfallen sind in ein stalinistisches System, an dem auch
der Zusammenbruch erfolgt ist."

ia Ehefrau des Zeugen, die Zeugin Rosemarie Biermann, ergänzte dies noch
dahingehend, daß ihr Ehemann sich im Blick auf seine Überzeugung und sein
Engagement für die Idee außerstande gesehen habe, ein "Wendehals" zu
werden, und daß er sich nicht zuletzt auch deshalb entschlossen habe, die
DDR zu verlassen.

lie Ehefrau des Betroffenen, die Zeugin Gertrud Hoffmann, erklärte in diesem
Zusammenhang, daß der Zeuge Dr. Biermann wohl psychisch und physisch
"am Ende" gewesen sei und daß ihm die Information zugegangen sei, daß er
- wie andere Kombinatsdirektoren auch - möglicherweise in Haft genommen
werden sollte in Hinblick auf den Vorwurf der Veruntreuung sozialistischen
Eigentums. Er habe angesichts dieser Gegebenheiten die Befürchtung ge-
äußert, ein Verfahren und eine mögliche Haft gesundheitlich nicht durchzu-
stehen.

Die Ehefrau Dr. Biermanns habe ihr gegenüber einmal sogar von Selbstmord-
absichten ihres Mannes gesprochen.

Diese Gesamtsituation habe den Zeugen Biermann veranlaßt, im Dezember 1989
- zwischen den Weihnachtsfeiertagen - einen handschriftlichen Brief an den
Betroffenen, den Wirtschaftsminister Hajo Hoffmann zu schreiben, in dem er
seinen gesundheitlichen Zustand und die gesamten persönlichen Umstände dar-
gelegt und die Bitte geäußert habe, ob es möglich sei, auf legale Weise in die
Bundesrepublik, ins Saarland, überzusiedeln.

Nach Aussage des Zeugen Dr. Biermann ist der Betroffene nicht der einzige
Adressat eines derartigen "Hilferufs" gewesen. Vielmehr habe er auch andere,
insbesondere ihm aus seinen früheren geschäftlichen Kontakten bekannte Per-
sonen aus dem Bereich der Wirtschaft angeschrieben.

Die Frage, warum er sich ausgerechnet an den Betroffenen Hoffmann gewandt
habe, konnte weder vom Zeugen Dr. Biermann noch von seiner Frau konkret
beantwortet werden; sicher dürfte nach Auffassung des Untersuchungsaus-
schusses lediglich sein, daß der Betroffenen Hoffmann bzw. seine Ehefrau die
einzigen waren, die dazu bereit waren, dem Ehepaar Biermann Aufenthalt zu
gewähren. Auch die Zeugin Gertrud Hoffmann wurde danach gefragt, welche
Motivation sie sich bei Dr. Biermann vorstellen könne, das Hilfeersuchen aus-
gerechnet an ihren Mann zu richten. Die Zeugin konnte nur mutmaßen, daß
Dr. Biermann aufgrund der seit 1985 bestehenden Kontakte im politisch-
wirtschaften Bereich ihren Mann als zuverlässigen und gegebenenfalls hilfs-
bereiten Verhandlungspartner kennengelernt hatte.

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Drucksache 10/685 110/164) Landtag _des Saarlandes - 10. Wahlperiode -

Der Untersuchungsausschuß konnte in den oben erwähnten Brief des Zeugen
Dr. Biermann an den Betroffenen Hoffmann keinen Einblick nehmen, weil
dieser Brief vom Betroffenen vernichtet wurde. Die Angabe des Betroffenen,
Dr. Biermann habe ihn in dem Brief ausdrücklich darum gebeten, denselben
zu vernichten, wurde vom Zeugen Dr. Biermann ausdrücklich verneint; hin-
gegen erklärte seine Ehefrau, die Zeugin Rosemarie Biermann, sie meine sich
erinnern zu können, daß ihr Mann - mit Blick auf die Praxis der Stasi alles
abzuhören und zu kontrollieren - eine entsprechende Bitte in dem Brief ge-
äußert habe.

Anläßlich eines Aufenthaltes des Betroffenen und seiner Ehefrau in Berlin
fand am 24. Januar 1990 im West-Berlin ein Treffen mit dem Ehepaar Biermann
statt, in dessen Verlauf seitens des Zeugen Dr. Biermann dem Betroffenen die
gesamte persönliche Situation dargelegt und auch über die Vorwürfe, was die
angebliche Veruntreuung sozialistischen Eigentums anbelangt, gesprochen
wurde. Nach der übereinstimmenden Aussagen des Betroffenen und der Zeu-
gin Gertrud Hoffmann hinterließ Dr. Biermann bei beiden den Eindruck eines
Mannes, der psychisch und physisch am Ende war. Im Verlauf dieses Ge-
spräches wurde von Dr. Biermann zugesagt, sich im Falle einer Einreise in
das Saarland den Behörden, insbesondere der Staatsanwaltschaft zu stellen,
um für ein Ermittlungs- bzw. Gerichtsverfahren zur Verfügung zu stehen.
Nach Angaben des Betroffenen sowie der Zeugin Gertrud Hoffmann befürch-
tete Dr. Biermann, bei einem Ermittlungsverfahren in der DDR und einer
damit möglicherweise verbundenen Haft "unter die Räder" zu kommen.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß im Rahmen dieses Gesprächs seitens des
Ehepaares Hoffmann noch keine definitive Aussage darüber gemacht wurde, ob
eine Unterbringung überhaupt in Betracht gezogen wurde oder ob nicht.

Bei dem Ehepaar Hoffmann fand nach diesem Gespräch erst ein Entscheidungs-
prozeß statt, an dessen Ende dem Ehepaar Biermann über dessen Sohn tele-
fonisch mitgeteilt wurde, daß die Familie Hoffmann bereit sei, sie in Saar-
brücken aufzunehmen.

Die Initiative, dem aus Sicht des Ehepaares Hoffmann sich in einer extremen
- auch gesundheitlich extremen - Situation befindlichen Dr. Biermarn zu
helfen, ging nach den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses über-
wiegend von der Zeugin Hoffmann aus. Der Betroffene gab im Verlauf seiner
Anhörung an, ihm habe Dr. Biermann schlicht und einfach leid getan, er
habe gesehen, daß dieser vor seinem 2. Herzinfarkt stehe und wohl nicht mehr
lange würde durchhalten können. Letztlich seien es schlicht humanitäre Grün-
de gewesen, die ihn bzw. seine Frau zu der Entscheidung veranlaßt hätten.

Eine Rücksprache mit Mitgliedern der Landtagsfraktion oder etwa mit Kabi-
nettsmitgliedern lag dieser Entscheidung nicht zugrunde, vielmehr handelte es
sich - dies muß aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt werden - um eine
rein private Entscheidung des Ehepaares Hoffmann.

Der Betroffene äußerte in diesem Zusammenhang, daß er nicht nur vorab,
sondern auch nach der Aufnahme des Ehepaares bewußt niemanden aus dem
Kabinett oder aus der SPD-Landtagsfraktion angesprochen habe, um möglichst
wenige zusätzliche Konfliktsituationen zu erzeugen und um auch nicht von den
(Kabinetts-)Kollegen hören zu müssen "laß' doch die Finger von solchen
Sachen". Im übrigen habe er seine Kollegen auch nicht der Gefahr aussetzen
wollen, sich für sein Handeln verantwortlich fühlen zu müssen.
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Drucksache 10/685 (10/164) Landtag des Saarlandes - 10. Wahlperiode -

Bei ihrer Entscheidung für die Aufnahme des Ehepaares Biermann seien so-
wohl er als auch seine Frau davon ausgegangen, daß diese allenfalls 14 Tage
bei ihnen wohnen würden und nach dieser Zeit aufgrund neuer Kontakte sich
selbst würden weiterhelfen können. Das Ehepaar Biermann wurde - was die
Dauer des Aufenthalts im Haus Kleine Schachtstraße anbelangt - auch darauf
hingewiesen, daß dieses Haus zum Verkauf vorgesehen und hierfür ein Makler
beauftragt sei, so daß im Falle eine Verkaufs ein sofortiger Auszug erforder-
lich werden würde.

Weiterhin machte die Familie Hoffmann ihre Bereitschaft zur Aufnahme davon
abhängig, daß sich das Ehepaar Biermann eines Rechtsbeistandes bedienen
sollte, um sämtliche juristischen Formalitäten und Voraussetzungen zu erfüllen
und darüber hinaus, daß alle erforderlichen Formalitäten, was die Ausreise
anbelangt, durchgeführt werden (Ausreisevisa, vorläufige Reisepässe; das
Vorliegen eines Ausreisevisums war nach dem damals geltenden Ausreisegesetz
der DDR Voraussetzung, um den Aufenthaltsort - legal - auch in der Bundes-
republik frei wählen zu können).

Nachdem diese Voraussetzungen erfüllt waren, kam die Familie Biermann mit
dem Flug Berlin-Tegel-Saarbrücken am Dienstag, dem 6. Februar 1990, in
Saarbrücken an. Was die Einzelheiten dieser Ankunft in Saarbrücken anbe-
langt, wurden vor dem Untersuchungsausschuß unterschiedliche Darstellungen
abgegeben.

Während sowohl der Zeuge Dr. Biermann als auch seine Ehefrau erklärten, sie
seien von ihrem Sohn, der mit einem Kollegen zusammen ihr Privatfahrzeug
von West-Berlin nach Saarbrücken überführt habe, am Flughafen Ensheim ab-
geholt und zum Hause der Familie Hoffmann gebracht worden, gab die Zeugin
Gertrud Hoffmann an, die Familie Biermann mit dem Dienstfahrzeug ihres
Mannes am Flughafen abgeholt und selbst zu ihrem Haus begleitet zu haben.

Ohne Anhalt dafür zu haben, daß die Zeugen Dr. Biermann und Frau Rose-
marie Biermann bewußt die Unwahrheit gesagt haben, geht der Untersu-
chungsausschuß aufgrund der detaillierten Darstellung der Zeugin Gertrud
Hoffmann davon aus, daß das Ehepaar Biermann von der Zeugin Hoffmann am
Flughafen absprachegemäß erwartet und mit dem Dienstwagen in die Kleine
Schachtstraße gefahren wurde. Für die Richtigkeit der Aussage der Zeugin
Hoffmann spricht zum einen, daß die Zeugin erst auf entsprechendes Befragen
hin angab, daß das Ehepaar Biermann mit dem Dienstfahrzeug ihres Mannes,
gesteuert von dessen Fahrer, abgeholt worden sei und zum anderen, daß zwei
Fahrten zum Flughafen Ensheim erforderlich gewesen seien, um die insgesamt
7 Koffer des Ehepaares Biermann in die Kleine Schachtstraße zu transpor-
tieren (Gemäß 5 1 Abs. 1 der Richtlinien der Landesregierung über die Be-
schaffung, Haltung und Benutzung von Dienstfahrzeugen im Saarland - KfzR
vom 5.10.1989 GmbI 1989, 421 - stehen den Mitgliedern der Landesregierung
Dienstfahrzeuge auch zur persönlichen Benutzung unentgeltlich zur Verfü-
gung; die private Nutzung unterliegt jedoch der Steuerpfiicht). Ob die
Benutzung des Dienstfahrzeuges im vorliegenden Fall noch innerhalb der
Richtlinien der Landesregierung erfolgte, wird von den Ausschußmitgliedern
unterschiedlich bewertet.
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Drucksache 10/685 (10/164) Landtag des Saarlandes _- 10. Wahlperiode -

Komplex: Polizeiliche Meldung und Kontakte zur Generalstaatsanwaltschaft

Im Zusammenhang mit der Aufnahme Dr. Biermanns und seiner Ehefrau im
Hause des Wirtschaftsministers Hajo Hoffmann nahm bei den Ermittlungen des
Untersuchungsausschusses die Frage der polizeilichen Meldung sowie die Kon-
taktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft einen breiten Raum ein.

Der Betroffene, Minister Hoffmann, ebenso wie seine Ehefrau brachten im
Rahmen ihrer Anhörung bzw. Vernehmung zum Ausdruck, daß sie unter dem
Gesichtspunkt des eigenen Schutzes eine umfassende behördliche Information
für unabdingbar erforderlich gehalten und dies auch gegenüber dem Ehepaar
Biermann deutlich zum Ausdruck gebracht haben.

Dem Betroffenen war - seiner Einlassung vor dem Untersuchungsausschuß zu-
folge - klar, daß er mit der Aufnahme der nicht unumstrittenen Person des
Dr. Biermann ein beträchtliches Risiko auf sich nehmen würde, zumal ange-
sichts der Vorwürfe im Zusammenhang mit der angeblichen Veruntreuung von
Gegenständen der Carli-Zeiss-Stiftung-Jena, obwohl dem Betroffenen zum Zeit-
punkt der Ausreise die Existenz eines Ermittiungsverfahrens nicht bekannt
war und zu diesem Zeitpunkt wohl auch tatsächlich noch kein Haftbefehl be-
stand.

Um dem Vorwurf einer "Verdunkelung" oder einer Strafvereitelung von vorn-
herein entgegen zu treten - so der Betroffene - habe er daher von Beginn an
gegenüber Dr. Biermann auf einer polizeilichen Anmeldung bestanden und
auch darauf, daß er sich bei der Staatsanwaltschaft präsentiere.

Aus Gründen des Selbstschutzes seien sowohl er als auch seine Frau an einer
schnellen und umfassenden Information aller möglicherweise zuständigen Be-
hörden interessiert gewesen, weswegen sich auch die Zeugin Gertrud Hoff-
mann - wie noch darzustellen sein wird - über die notwendigen Verfahrens-
schritte sachkundig gemacht habe.

Für eine solche Handlungsweise habe - so der Betroffene - zum einen ge-
sprochen, daß in der unter rechtsstaatlicher Betrachtungsweise unsicheren
Situation der DDR nicht kalkulierbar gewesen sei, welche Reaktionen erfolgen
würden, zum anderen aber auch, daß ihm bewußt gewesen sei, nicht alles
über die Person Biermanns zu wissen. Von einer umfassenden behördlichen
Information war - wie bereits erwähnt - auch die Zusage gegenüber dem Ehe-
paar Biermann abhängig gemacht worden, ihnen für eine Übergangszeit Unter-
kunft zu gewähren; das Ehepaar Biermann hat, nach den insoweit überein-
stimmenden Aussagen des Betroffenen sowie der Zeugin Gertrud Hoffmann,
diesen Bedingungen auch zugestimmt.

Polizeiliche Anmeldung

Die polizeiliche Anmeldung des Ehepaars Biermann sowie die in diesem Zusam-
menhang erfolgte Eintragung einer sogenannten Meldesperre war Gegenstand
öffentlicher Diskussion.

Die Ermittlungen des Untersuchungsausschusses in diesem Zusammenhang
haben folgendes ergeben:
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Drucksache 10/685 (10/164) Landtag des Saarlandes - 10. Wahlperiode -

Die polizeiliche Meldung des Ehepaars Biermann beim Einwohner- und Meldeamt
der Stadt Saarbrücken erfolgte am 8. Februar 1990 - mithin lediglich 2 Tage
nach dem Zuzug. Die Anmeldung geschah im Beisein und - wie noch darzu-
stellen sein wird - unter Mitwirkung des Rechtsdezernenten der Stadt Saar-
brücken, Prof. Dr. Peter Bähr. Dieser hatte sich auf die telefonische Nach-
frage der Ehefrau des Betroffenen, der Zeugin Gertrud Hoffmann, hin,
welche Schritte für eine polizeiliche Meldung des Ehepaars Biermanns in die
Wege zu leiten seien - nach eigenem Bekunden - zum einen aus Hilfsbereit-
schaft gegenüber der ihm seit langem bekannten Zeugin Hoffmann und zum
anderen auch aus Interesse an der Person von Dr. Biermann bereiterklärt,
die Anmeldung selbst vorzunehmen bzw. persönlich dabei behilflich zu sein.
Demgemäß fand sich das Ehepaar Biermann am 8. Februar 1990 im dem Büro
des Zeugen Prof. Dr. Bähr ein. Bei dieser Gelegenheit wurden die vom
Zeugen Prof. Dr. Bähr bereitgehaltenen Anmeldeformulare ausgefüllt wobei
Dr. Biermann im Verlauf des Gespräches mit Prof. Dr. Bähr die Frage stellte,
welche Möglichkeiten es gebe, Dritten den Einblick in das Einwohnermeidere-
gister zu verwehren.

Dem Zeugen Dr. Biermann war seinen Angaben zufolge bekannt, daß es - wie
er es formulierte - in der Bundesrepublik die Möglichkeit gebe, "Datenschutz"
zu beantragen, um zu verhindern, daß seitens der Presse oder sonstiger
Dritter telefonische Anfragen oder gar unerwünschte Besuche stattfinden.
Letztlich sollte eine entsprechende Maßnahme, wie der Zeuge Biermann vor
dem Untersuchungsausschuß angab, auch dem Schutz der eigenen Gesundheit
dienen.

Die eigentliche Anmeldung fand in den Räumen des Einwohner- und Melde-
amtes zu den üblichen Öffnungszeiten bei dem für das Melde- und Paßwesen
zuständigen Abteilungsleiter in Begleitung des Zeugen Prof. Dr. Bähr statt.
Zugleich mit der polizeilichen Anmeldung wurden bundesrepublikanische Perso-
nalausweise und Reisepässe beantragt, da das Ehepaar Biermann lediglich vor-
läufige westdeutsche Reisepässe, ausgestellt am 20. Januar 1990 von der
Außenstelle des Bundesministeriums des Innern in Berlin, besaß.

Auf Antrag des Zeugen Dr. Biermann und auf Anweisung des Zeugen Prof.
Dr. Bähr wurde für das Ehepaar Biermann eine Auskunfts- und Übermitt-
lungssperre eingerichtet.

Die Einrichtung dieser Übermittlungssperre wurde gestützt auf die 55 7 Nr.
5, 21 Abs. 5, 6 Melderechtsrahmengesetz in Verbindung mit 55 8, Nr. 5, 34
Abs. 5, 6, 35 Abs. 3 Satz 2 Saarländisches Meldegesetz. Danach hat jeder
Einwohner gegenüber der Meldebehörde nach Maßgabe des Gesetzes ein Recht
auf Einrichtung von Übermittlungssperren, soweit er gegenüber der Meidebe-
hörde das Vorliegen von Tatsachen glaubhaft gemacht hat, die die Annahme
rechtfertigen, daß ihm oder anderen Personen hieraus eine Gefahr für Leben,
Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Belange erwach-
sen kann. Diese Auskunftssperre bewirkt, daß die nach 5 21 Abs. 1 MRRG
gegenüber jedermann mögliche und zulässige Auskunft über Vor- und Fami-
lienname, akademische Grade und Anschrift (einfache Melderegisterauskunft)
unterbleiben muß.

Nach Auskunft des Leiters des Einwohnermeideamtes, des Zeugen Traub, so-
wie des Rechtsdezernenten, des Zeugen Prof. Dr. Bähr, war es zum dama-
ligen Zeitpunkt die übliche und gängige Praxis, bei Übersiediern aus der DDR
auf entsprechenden Antrag hin eine Meideregisterauskunftssperre zu ver-
fügen, ohne von den Betroffenen eine detaillierte Darlegung der Gefahren-
situation zu verlangen.

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