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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Unterlagen zu Corona vor dem 26.01.2020

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AKTUELLE DATEN UND INFORMATIONEN ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH 3 Epidemiologisches 2020 Bulletin 16. Januar 2020 Evaluation der Varizellen-Impfempfehlung durch die STIKO
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Epidemiologisches Bulletin 3 | 2020 16. Januar 2020 2 Inhalt Evaluation der Varizellen-Impfempfehlung durch die STIKO, 2019 3 Die Varizellen-Impfung wird in Deutschland gut umgesetzt und hat zu einem großen Rückgang der Erkran- kungszahlen und Krankenhausbehandlungen mit Varizellen geführt. Während der größte Effekt bei den geimpften Kohorten zu verzeichnen ist, treten auch indirekte Effekte des Gemeinschaftsschutzes bei nicht geimpften Bevölkerungsgruppen auf. Bisher kam es nicht zu einem Anstieg der Inzidenzen im Erwachse- nenalter. Auch eine Zunahme von Herpes-zoster-Fällen durch die Varizellen-Impfung kann nicht bestätigt werden. Die hohe Wirksamkeit der Impfung insbesondere nach 2 Impfdosen sowie ein lang anhaltender Impfschutz sind gut durch Studiendaten belegt. Wie die STIKO ausführt, sieht sie in der Aufrechterhaltung hoher Varizellen-Impfquoten bzw. der Verbesserung der Impfquoten in den Regionen, in denen die 80 %ige Durchimpfung der Kinder mit 2 Varizellen-Impfstoffdosen noch nicht erreicht ist, eine hohe Priorität. Fehlen- de Varizellen-Impfungen sollten jederzeit, spätestens jedoch bei Jugendlichen nachgeholt werden. Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten 16 Erkrankungen durch ein neuartiges Coronavirus (2019-nCoV) in Wuhan, China 19 Zur aktuellen Situation bei ARE/Influenza in der 2. KW 2020 20 Impressum Herausgeber Robert Koch-Institut Nordufer 20, 13353 Berlin Telefon 030 18754 – 0 Redaktion Dr. med. Jamela Seedat Telefon: 030 18754 – 23 24 E-Mail: SeedatJ@rki.de Redaktionsassistenz: Francesca Smolinski Telefon: 030 18754 – 24 55 E-Mail: EpiBull@rki.de Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung) Allgmeine Hinweise/Nachdruck Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung: www.rki.de/epidbull Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. ISSN 2569-5266 Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
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Epidemiologisches Bulletin 3 | 2020 16. Januar 2020 3 Evaluation der Varizellen-Impfempfehlung durch die Ständige Impfkommission (STIKO), 2019 Vorbemerkung Die Varizellen-Impfung ist seit 2004 von der Ständi- gen Impfkommission (STIKO) als Standardimpfung im Kindesalter empfohlen. Im Jahr 2009 sprach die STIKO die Empfehlung zur zweimaligen Impfung aus, wobei die erste Impfung vorzugsweise im Alter von 11 – 14 Monaten und die zweite im Alter von 15 – 23 Monaten erfolgen soll. Zu den Aufgaben der STIKO gehört neben der Erstellung evidenzbasierter Empfehlungen auch die kontinuierliche Evaluation dieser Empfehlungen. Zur Umsetzung und zu den epidemiologischen Effekten der Varizellen-Impfung nahm die STIKO erstmals im Jahr 2012/13 Stellung. Dabei wurde die bestehende Datenlage zusammen- gefasst und bewertet und es wurden Fragen zu Effek- ten der Impfung aufgeworfen, die auf Basis der dama- ligen Datenlage noch nicht beantwortet werden konn- 1 ten. Aus diesem Grund wurde ein erneuter Evaluati- onsbericht auf der Grundlage einer kontinuierlichen Überwachung der Epidemiologie der Varizellen und des Herpes zoster nach einem Zeitraum von mindes- tens weiteren fünf Jahren als notwendig angesehen. Im Folgenden soll ausgehend vom Stand der Umset- zung der Impfempfehlung auf die in der Evaluation von 2012/13 offen gebliebenen Fragen detailliert ein- gegangen werden. Dabei werden die Varizellen-Impf- quoten in Deutschland sowie aktuell verfügbare Daten aus nationalen und internationalen Studien zur Epide- miologie der Varizellen und des Herpes zoster nach Einführung der Varizellen-Impfung berücksichtigt. Stand der Umsetzung der Varizellen- Impfempfehlung Die Effekte der Varizellen-Impfung auf Bevölke- rungsebene wurden ab 2005 in Form einer Senti- nel-Studie mit Hilfe niedergelassener Ärzte in der Arbeitsgemeinschaft Varizellen (AGV) untersucht. Dabei zeigten sich sowohl eine Zunahme von ver- abreichten Varizellen-Impfungen als auch ein Rückgang der Erkrankungshäufigkeit bei Kindern und ein Rückgang der Varizellen-assoziierten Kom- 2,3 plikationen. Auf diese ersten Erfolge bei der Errei- chung der Impfziele wurde bereits in der ersten 1 Evaluation hingewiesen. Zur Impfinanspruchnahme liegen Daten aus den Schuleingangsuntersuchungen (seit 2007 aus eini- gen und seit 2012 aus allen Bundesländern) und seit 2004 aus einem Projekt mit Abrechnungs- daten aus allen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV-Impfsurveillance) vor. Beide Datenquellen zei- gen einen generellen Anstieg der Impfquoten so- wohl für die einmalige als auch für die zweimalige 4–8 Varizellen-Impfung. Mit Hilfe der verfügbaren Daten aus der KV-Impfsurveillance wurden Impfquoten für alle Geburtskohorten seit der Varizellen-Impfempfeh- lung 2004 berechnet. Nach diesen Daten hatte z. B. weniger als die Hälfte der 2012 geborenen Kinder bis zum Alter von 12 Monaten die erste Varizel- len-Impfung erhalten, 87,7 % bis zum Alter von 24 Monaten und 91,3 % bis zum Alter von 36 Monaten. Die zweite Impfung hatten in derselben Geburtsko- horte 66,0 % der Kinder bis zum Alter von 24 Mo- 6 naten und 80,1 % bis 36 Monate bekommen. Mit Hilfe dieser Daten wurde außerdem untersucht, in- wieweit die geänderte Impfempfehlung 2011 zur ge- trennten Gabe von Impfstoffen gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) und gegen Varizellen (V) bei erster Impfung Auswirkungen auf die Impf- inanspruchnahme hat. Dabei wurde bei der Geburts- kohorte 2011, die zuerst von der geänderten Impf- empfehlung betroffen war, ein leichter Rückgang der Impfquote festgestellt, der durch spätere Impfungen in dieser Kohorte wieder gestoppt wurde und in den 6 nachfolgenden Kohorten nicht mehr auftrat. Nach Daten der Schuleingangsuntersuchungen 2012 hatten 78,2 % der Kinder eine im Impfpass do- kumentierte erste Varizellen-Impfung und 67,6 % 9 auch die zweite Impfung bekommen. Im Jahr 2017 waren dies bereits 87,3 % bzw. 83,7 % der Kinder 8,9 mit Impfpass. Bei Schuleingang 2017 waren aller- dings die Impfquoten erstmals im Vergleich zum Vorjahr wieder abgesunken (um 0,5 Prozentpunkte für die erste und um 0,6 Prozentpunkte für die zweite Impfung). Zu beachten ist, dass rund 8 % der Kinder bei diesen Erhebungen keinen Impfpass vorlegen konnten und die Impfquoten auf Basis
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Epidemiologisches Bulletin Impfquote in % 100 100 3 | 2020 16. Januar 2020 1. Varizellenimpfung 2. Varizellenimpfung 1. Varizellen-Impfung 2. Varizellen-Impfung 80 80 60 60 40 40 20 20 00 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Jahr der Schuleingangsuntersuchung Abb. 1 | Impfquoten zum Schuleingang nach erster und zweiter Varizellen-Impfung für Deutschland. Die Fehlerbalken geben jeweils die Spanne zwischen dem Bundesland mit kleinstem und größtem Wert an dieser Daten darum wahrscheinlich eine leichte Überschätzung darstellen (s. Abb. 1). Sowohl in den Daten der KV-Impfsurveillance als auch in den Schuleingangsuntersuchungen finden sich große regionale Unterschiede der Impfquoten. Zum Schuleingang 2012 lag die Spannweite zwi- schen dem Bundesland mit niedrigster (jeweils Bre- men) und höchster (jeweils Mecklenburg-Vorpom- mern) Impfquote zwischen 55,2 % und 94,0 % für die erste Impfung und zwischen 42,6 % und 90,1 % für die zweite Impfung. Diese Unterschiede haben sich bis 2017 etwas verringert (niedrigste Werte in Fälle pro Praxis & Jahr geimpft geimpft ungeimpft ungeimpft 4 Bremen mit 75,0 %/69,8 % für erste/zweite Imp- fung und höchste Werte in Mecklenburg-Vorpom- mern mit 95,1 %/91,3 %). Auch die Impfquoten in Bay- ern und Sachsen liegen unter dem Bundesdurch- schnitt, wie auch mit Daten der KV-Impfsurveillance 6 gezeigt wurde. In Sachsen bestand für die zweite Imp- fung bis zum Jahr 2015 eine andere Altersempfehlung (4 – 6 Jahre) durch die Sächsische Impfkommission, die sich offenbar nicht nur auf eine niedrigere Inan- spruchnahme der zweiten Impfung, sondern auch der ersten Impfung im Kleinkindalter ausgewirkt hatte. Epidemiologie der Varizellen in Deutschland Gemäß den Ergebnissen aus der Sentinel-Studie ging die Gesamtzahl der Erkrankungsfälle an Vari- zellen pro Meldepraxis und Jahr von 3,6 im Jahr 2005 auf 0,3 im Jahr 2017 beständig zurück (s. Abb. 2). Die Meldungen von Varizellen bei Geimpften stiegen von 0,02 Fällen pro Praxis im Jahr 2005 auf 0,1 im Jahr 2008 an und gingen zeitgleich nach der Empfehlung der zweiten Varizellen-Impfung wie- der auf 0,04 bis 2017 zurück. Der prozentuale An- teil der geimpften unter allen im Sentinel gemelde- ten Varizellen-Fällen stieg von 0,7 % im Jahr 2005 auf 15 % im Jahr 2017 an, was vor dem Hintergrund steigender Impfquoten und sinkender Fallzahlen auch plausibel ist. % Fälle % geimpfte geimpfte Fälle Anteil geimpfter Fälle 4,0 40,0% 3,5 3,0 30,0% 2,5 2,0 20,0% 1,5 1,0 10,0% 0,5 0,0 0,0% 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Jahr Abb. 2 | Varizellen-Fälle pro Praxis und Jahr nach Ungeimpften und Geimpften und Anteil der Geimpften an allen Fällen im AGV-Sentinel (AGV – Arbeitsgemeinschaft Varizellen)
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Epidemiologisches Bulletin 3 | 2020 16. Januar 2020 Median2014 2014-2017 Median – 2017 5 2018 2018 Bundesländer MV SL ST BB RP NI HE NW TH SH HH BW BY BE HB SN D 0 10 20 30 40 50 60 Fälle pro 100.000 Einwohner Abb. 3 | Varizellen-Inzidenzen nach Bundesland, 2018 und Median der Vorjahre MV: Mecklenburg-Vorpommern; SL: Saarland; ST: Sachsen-Anhalt; BB: Brandenburg; RP: Rheinland-Pfalz; NI: Niedersachsen; HE: Hessen; NW: Nordrhein-Westfalen; TH: Thüringen; SH: Schleswig-Holstein; HH: Hamburg; BW: Baden-Württemberg; BY: Bayern; BE: Berlin; HB: Bremen; SN: Sachsen; D: Deutschland Seit Ende März 2013 besteht eine bundesweite Mel- depflicht für Varizellen nach dem Infektionsschutz- gesetz (IfSG), aus der seit 2014 Daten ausgewertet werden. Die bundesweite Inzidenz der Varizellen lag nach diesen Daten für das Jahr 2018 bei 24,7 Erkran- kungen pro 100.000 Einwohner. Dieser Wert war leicht niedriger als der Median der Vorjahresinziden- zen 2014 – 2017 von 27,6. Auch in den meisten Bun- desländern waren die Inzidenzen im Jahr 2018 nied- riger als im Median der Vorjahre; die Ausnahme bil- deten Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Thüringen, wo 2018 leicht höhere Inzidenzen als in den Vorjahren gemeldet wurden. Zwischen den Bun- desländern bestanden große Inzidenzunterschiede. Die niedrigste Inzidenz war 2018 in Mecklen- burg-Vorpommern mit 9,7/100.000 und die höchste 10 in Sachsen mit 43,3 festgestellt worden (s. Abb. 3). Die regionalen Inzidenzunterschiede scheinen zwar vor dem Hintergrund der regional unterschied- lichen Impfquoten plausibel. So lagen z. B. in den Bundesländern Bremen und Sachsen mit den jeweils niedrigsten Impfquoten zum Schuleingang die Vari- zellen-Inzidenzen seit 2014 immer weit über dem Bundesdurchschnitt und in Mecklenburg-Vorpom- mern und dem Saarland (höchste Impfquoten) je- weils weit darunter. Es bleibt aber zu prüfen, welche Rolle auch ein unterschiedliches Meldeverhalten in den Bundesländern spielt. Die Untererfassung von Varizellen-Fällen kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sehr präzise eingeschätzt werden. 71 % der nach IfSG übermittelten Erkrankungsfälle betrafen Kinder im Alter von 0 – 9 Jahren, bei denen die Inzidenzen je nach Alter zwischen 150/100.000 (2-Jährige) und 235/100.000 (4-Jährige) lagen. Bei den 10- bis 19-Jährigen lag die Inzidenz zwischen 20 und 80 pro 100.000, bei 20- bis 39-Jährigen zwischen 5 und 8 pro 100.000, bei den 40- bis 49-Jährigen unter 4 und ab einem Alter von 50 Jahren unter 2/100.000. Geschlechtsspezifische Inzidenzunterschiede waren in allen Altersgruppen nur gering ausgeprägt, wobei die Gesamtinzidenz bei Jungen und Männern leicht über der bei Mädchen und Frauen lag. Die Einführung der Meldepflicht ca. 10 Jahre nach Impfempfehlung kam zwar zu spät, um den deutli- chen Rückgang der Varizellen-Inzidenzen zu bele- gen, der sich bereits in den ersten Jahren nach Impf- empfehlung gezeigt hatte. Sie dient nun aber zur weiteren Trendbeobachtung insbesondere hinsicht- lich der altersspezifischen Varizellen-Inzidenzen.
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Epidemiologisches Bulletin 3 | 2020 16. Januar 2020 Kommt es zu einer Verschiebung der Krankheitslast in höhere Altersgruppen? In einer auf Wunsch der STIKO vom Robert Koch-Ins- titut (RKI) in Auftrag gegebenen Modellierungsstu- die wurde versucht, die dynamische Transmission von Varizella-Zoster-Virus (VZV) in der deutschen Bevölkerung über einen Zeitraum von 100 Jahren abzubilden. Ziel war es, die Effekte der Varizel- len-Impfung auf die Varizellen-Inzidenz, auf die langfristige Altersverteilung der Varizellen-Fälle und auf die Inzidenz des Herpes zoster im zeitlichen Verlauf darzustellen. Im Modell kam es hinsichtlich der altersspezifischen Varizellen-Inzidenzen zu ei- nem starken Rückgang (um etwa 90 %) bei Kindern unter 10 Jahren. Dagegen verdoppelten sich die niedrigen Anfangsinzidenzen bei den Erwachsenen nahezu, vorwiegend aufgrund von Durchbruchsin- fektionen. Diese traten im Modell wegen der Annah- me eines kontinuierlich nachlassenden Impfschut- zes und fehlender Auffrischung der Immunität durch fehlenden Kontakt mit dem Varizella-Zos- 11,12 ter-Wildvirus von erkrankten Personen auf. Die STIKO hatte zu den Ergebnissen der Model- 13 lierung ausführlich Stellung genommen. Die bis zum Abschluss der Sentinelerhebung im Jahr 2017 fortgeführten empirischen Auswertungen der Sentineldaten der AGV (2005 – 2017) sowie der Meldedaten aus den östlichen Bundesländern (2002/2009 – 2018) geben weiterhin keinen An- haltspunkt für eine Altersverschiebung der Varizel- 5 len-Inzidenzen. Im Sentinel zeigte sich in allen Altersgruppen ein Rückgang der Meldeinzidenz (s. Abb. 4). Die Befürchtung, dass es durch die Varizellen-Imp- fung von Kindern zu einer Verschiebung der Krank- heitslast in höhere Altersgruppen mit einem größeren Risiko für einen komplizierten Krankheitsverlauf kommen könnte, resultiert aus zwei Überlegungen: Erstens führt ein erfolgreiches Kinderimpfprogramm zu einer Reduzierung der Erregerzirkulation, was Un- geimpfte dann vermehrt erst jenseits des Kindesalters zum ersten Mal in Kontakt mit dem Virus bringen könnte. Zweitens könnte ein Nachlassen des Impf- schutzes bei geimpften Kindern dazu führen, dass sie als Adoleszente oder junge Erwachsene über keinen ausreichenden Schutz vor Varizellen mehr verfügen. Bis zur Evaluation 2012/13 wurde kein Anhaltspunkt für eine Altersverschiebung der Varizellen-Inziden- zen in Deutschland gesehen. Allerdings war der Be- obachtungszeitraum seit Impfempfehlung (insbe- sondere nach Empfehlung der zweiten Impfung) erst kurz, an der Sentinelstudie waren anfangs über- wiegend Pädiater beteiligt und die Daten schienen für altersspezifische Inzidenzberechnungen bei Er- wachsenen zu ungenau. Es wurde darum zum einen die Meldepflicht für Varizellen (erste Ergebnisse siehe oben) gefordert und zum zweiten angeregt, potenzielle altersspezifische Effekte der Varizel- len-Impfung mit Hilfe der mathematischen Model- lierung zu untersuchen. Meldeinzidenzänderung 1,0 <1J < 1 J. 6 1-4J 15-19J 19 J. 1 – 4 J.5-9J5 – 9 10-14J J. 10 – 14 J. 15 –20+J 20+ J. 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Jahr Abb. 4 | Änderung der altersspezifischen Varizellen-Meldeinzidenzen im Sentinel der Arbeitsgemeinschaft Varizellen im Vergleich zu 2005
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Epidemiologisches Bulletin 3 | 2020 16. Januar 2020 Er war im Beobachtungszeitraum von 2005 – 2017 in den von der Impfempfehlung erfassten Alters- gruppen am größten (Rückgang bei den 1- bis 4-Jäh- rigen um 96 %, bei den 5- bis 9-Jährigen um 89 %). Der Rückgang der Erkrankungshäufigkeit im Senti- nel bei Säuglingen im ersten Lebensjahr sowie bei älteren Kindern und Jugendlichen, die alle jeweils nicht von der Impfempfehlung direkt betroffen sind, wurde als Anhaltspunkt für die Ausbildung ei- nes Gemeinschaftsschutzes interpretiert. Im Ge- gensatz zu den Altersgruppen jünger als 15 Jahre ist bei den 15- bis 19-Jährigen seit etwa 2011 und bei den Erwachsenen seit 2014 die Konsultationsinzidenz der Varizellen nicht weiter zurückgegangen. Bei den 15- bis 19-Jährigen stieg die Inzidenz 2016 sogar wie- der leicht an, lag jedoch immer noch 50 % unter dem Vorimpfniveau. Zu beachten sind hierbei aller- dings die insgesamt nur sehr kleinen Fallzahlen in dieser Altersgruppe. So wurden bei den 15- bis 19-Jährigen zwischen 37 (2011) und 60 (2016) Vari- zellen-Fälle pro Jahr aus Sentinelpraxen gemeldet, es lagen damit die jährlichen Meldeinzidenzen zwi- schen 0,06 (2011) und 0,09 (2016) Varizellen-Fällen pro Praxis. Zum Vergleich wurden z. B. bei den 2014 2014 Fälle pro 100.000 350 350 2015 2017 20152016 2016 2018 2017 7 5- bis 9-Jährigen 2.257 (2011) bzw. 1.017 (2016) Fälle gemeldet und eine jährliche Meldeinzidenz von 3,59 bzw. 1,53 Fällen pro Sentinelpraxis registriert. In einer Studie, die Seroprävalenzdaten mehrerer europäischer Länder auswertete, waren mit Hilfe mathematisch-statistischer Modelle länderspezifi- sche Schwellenwerte für den Grad der Durchimp- fung berechnet worden, ab dem Effekte des Gemein- schaftsschutzes in einem Land erwartet werden kön- nen. Dieser Schwellwert betrug für Deutschland ca. 14,15 80 %. Diese Impfquoten werden in Deutschland mittlerweile erreicht. Mit Hilfe der KV-Daten ließ sich ein bestehender Gemeinschaftsschutz ebenfalls belegen: So war das Erkrankungsrisiko für un- geimpfte Kinder in einer Region mit niedrigen Impf- quoten deutlich höher als im übrigen Bundesgebiet 15 mit insgesamt höheren Impfquoten. Die altersspezifischen Inzidenzen der Melde- pflichtdaten nach IfSG liefern bisher ebenfalls keinen Anhaltspunkt für eine Zunahme von Vari- zellen-Erkrankungen in den Erwachsenenalters- gruppen (s. Abb. 5). 2018 300 300 250 250 200 200 150 150 100 100 50 50 00 0 1 Fälle pro 100.000 35 35 2 3 4 5–9 2014 2014 2015 2017 201520162016 2018 2018 2017 10 – 14 Altersgruppen in Jahren 50+ Altersgruppen in Jahren 30 30 25 25 20 20 15 15 10 10 55 0 0 15 – 19 20 – 24 25 – 29 30 – 39 40 – 49 Abb. 5 | Altersspezifische Varizellen-Inzidenzen nach IfSG-Meldungen
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Epidemiologisches Bulletin 3 | 2020 16. Januar 2020 Jedoch fällt auch in diesen Daten in den Altersgrup- pen zwischen 10 und 49 Jahren ein vorübergehen- der Inzidenzanstieg zwischen den Jahren 2014 und 2016 auf, für den es bisher keine zufriedenstellende Erklärung gibt. Eine zunehmend bessere Umset- zung der Meldepflicht hätte sich auch in den jünge- ren Altersgruppen in steigenden Inzidenzen nieder- schlagen müssen. Allerdings könnte sich bei den Kindern auch der Rückgang der Erkrankungshäu- figkeit insgesamt stärker ausgewirkt haben als die verbesserte Umsetzung der Meldepflicht. Außer- dem spielen in dieser Altersgruppe noch häufiger Ausbrüche in Kitas und Schulen eine Rolle und füh- ren zu schwankenden Fallzahlen. Inwieweit die jährlichen Inzidenzunterschiede unterschiedliches Meldeverhalten, natürliche Schwankungen oder epidemiologische Unterschiede wiedergeben, wird gegenwärtig in einem Surveillanceprojekt unter- sucht. Hier werden altersspezifische Varizellen-In- zidenzen aus drei Datenquellen retrospektiv vergli- chen um daraus Trendberechnungen zu ermögli- chen: Es handelt sich dabei um Daten des AGV-Sen- tinels (2005 – 2017), IfSG-Meldedaten 2014 – 2018 und Abrechnungsdaten zu Konsultationen bei nie- dergelassenen Ärzten mit kodierter Varizellen-Dia- gnose aus der KV-Impfsurveillance (2010 – 2017). Ziel des Projektes ist es, die Zuverlässigkeit der IfSG-Daten als Standard-Datenquelle für die Be- stimmung altersspezifischer Inzidenzen und den Grad der Untererfassung zu bewerten. Mit den Er- gebnissen ist im ersten Halbjahr 2020 zu rechnen. Da nach dem IfSG auch der Tod an Varizellen mel- depflichtig ist, liegen Meldedaten zu Sterbefällen vor: Von 2014 – 2018 wurden insgesamt neun Fälle (zwischen null und drei Fällen pro Jahr) als verstor- ben übermittelt. Es handelte sich ausschließlich um Erwachsene, die bis auf zwei Personen (30 und 45 Jahre) alle älter als 55 Jahre waren und zum Teil an multiplen Grunderkrankungen litten. Die USA sind das Land mit den längsten Erfahrun- gen mit einem Varizellen-Impfprogramm. Hier steht die Varizellen-Impfung aller Kinder bereits seit 1995 im Impfkalender – zunächst mit einer Impfung bei 1-Jährigen Kindern (empfohlenes Impfalter 12 – 18 Monate). Seit 2006 wird die zweite Impfung allen 4- bis 6-jährigen Kindern empfohlen. Nachdem in den ersten Jahren nach Einführung des Impfprogramms bereits ein starker Rückgang der Varizellen-Erkran- 8 kungen zu verzeichnen war (zwischen 1995 und 2000 Rückgang der Fallzahlen je nach Surveillance- Region um 71 – 84 %), gingen zwischen den Jahren 2005/06 und 2013/14 die altersspezifischen Varizel- len-Inzidenzen noch einmal in allen Altersgruppen zurück: um 76,8 % bei < 1-Jährigen, um 48 % bei 1- bis 4-Jährigen, 89,3 % bei 5- bis 9-Jährigen, 84,8 % bei 10- bis 14-Jährigen, 35,0 % bei 15- bis 19-Jährigen 16,17 und 25,0 % bei Personen ≥ 20 Jahren. Alle Länder mit einem Varizellen-Impfprogramm be- richten über einen schnellen Rückgang der Inziden- zen bei Kindern. Ein Inzidenzrückgang bei Erwach- senen wurde darüber hinaus bei Hospitalisierungen wegen Varizellen u. a. aus Kanada, Italien und Aus- 18–20 tralien berichtet. In Deutschland wurde dagegen ein starker Rückgang der Hospitalisierungsinziden- zen nach 2004 nur bei Kindern < 10 Jahren beobach- tet. In der Altersgruppe 10 – 49 Jahre blieben zwi- schen 1995 und 2012 die Hospitalisierungsinziden- zen unverändert bei knapp über 1 pro 100.000 Ein- wohner. In der Altersgruppe 50 Jahre und älter waren die Hospitalisierungsinzidenzen über den gesamten Zeitraum kontinuierlich angestiegen, jedoch auf ei- nem Niveau von unter 1 Fall pro 100.000 Einwohner. Nach Einführung der Varizellen-Impfung bei Kin- dern 2004 hatten sich somit die bestehenden Trends der Varizellen-Hospitalisierungsinzidenzen bei den 21 Erwachsenen nicht geändert. Anhand der vorliegenden nationalen und internati- onalen Surveillance-Daten ergibt sich damit weiter- hin kein Anhaltspunkt für einen Anstieg der Vari- zellen-Inzidenz bei Erwachsenen. Das wird auch in einem kürzlich publizierten systematischen Review bestätigt. Hier wird in Zusammenfassung der Stu- dienlage festgestellt, dass sich die Altersverschie- bung der Varizellen-Fälle nicht bestätigt hat, son- dern ein genereller Inzidenzrückgang zu verzeich- nen ist. Darüber hinaus zeigt sich ein indirekter Schutz durch die Impfung in einem Rückgang der Inzidenz in den Bevölkerungsgruppen, für die eine Lebendimpfung nicht möglich ist, wie Säuglinge 22 und immungeschwächte Personen. Die Surveillancedaten aus Deutschland werden weiterhin fortlaufend bewertet. Es erschient ange- zeigt, mit Hilfe der aktuellen Surveillancedaten sowie mit neueren Studienergebnissen zur Wirksamkeit der Impfung und zur Dauer des Impfschutzes (s. nächster Abschnitt) die Parameterschätzungen und Annahmen
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Epidemiologisches Bulletin 3 | 2020 16. Januar 2020 für das mathematische Modell zu aktualisieren und auf dieser Grundlage die Modellierung zu den Effek- ten der Varizellen-Impfung erneut durchzuführen. Wie wirksam ist die Impfung und wie lange hält der Impfschutz nach zwei Impfdosen an? In der Evaluation 2012/13 war der Zeitraum seit Emp- fehlung der zweimaligen Varizellen-Impfung für Trendanalysen aus den Surveillancedaten für Deutschland noch zu kurz. Nach Vorliegen der Mo- dellergebnisse über den möglichen Impact der Va- rizellen-Impfung auf die Epidemiologie der Varizel- len und des Herpes zoster in Deutschland (s. o.) hatte die STIKO in ihrer Stellungnahme gefordert, dass neben der Inzidenzerfassung durch die Melde- pflicht nach dem IfSG auch die Impfeffektivität in Deutschland sowie die Häufigkeit und Schwere von Durchbruchserkrankungen systematisch erfasst und bewertet werden. Daraufhin wurden die Sentineldaten sowohl hin- sichtlich der laboruntersuchten Durchbruchser- krankungen (definiert als Varizellen-Erkrankung ab 42 Tage nach Impfung) als auch hinsichtlich der zu- sätzlichen Wirksamkeit der zweiten Impfung ausge- wertet. Außerdem wurden mit Hilfe der Daten aus der KV-Impfsurveillance die Impfeffektivität nach einer und zwei Impfdosen sowie die Dauer des Impfschutzes berechnet. Im Sentinel waren von April 2005 bis März 2014 unter den insgesamt gemeldeten 111.456 Varizellen-Erkran- kungen 4.789 Erkrankungen bei Geimpften; von die- sen waren 3.881 Personen einmal und 908 Personen zweimal vor der Erkrankung gegen Varizellen geimpft worden. Von 932 Personen (649 einmal geimpft; 283 zweimal geimpft) mit Varizellen-Durchbruchserkran- kungen wurden Pustelabstriche im RKI mittels PCR untersucht. Bei insgesamt 62,3 % der Untersuchten wurde Varizella-Zoster-Virus (VZV) nachgewiesen. Die Nachweisrate unterschied sich deutlich zwischen einmal und zweimal Geimpften: Während bei 70 % der zweimal Geimpften kein VZV in der PCR nachge- wiesen wurde, war dies nur bei 23 % der einmal Geimpften der Fall. Als mögliche Erklärung für die hohe Rate negativer PCR-Ergebnisse wurde in Be- tracht gezogen, dass es sich a) nicht um Varizellen, sondern andere exanthematische Erkrankungen ge- 9 handelt haben könnte und dass b) das VZV nur über einen so kurzen Zeitraum vorhanden war, dass der Abstrich zu spät kam; die Patienten waren damit aber wohl auch kaum bzw. nur über einen kurzen Zeit- raum ansteckend. Es wurde daraus gefolgert, dass Va- rizellen bei Geimpften – insbesondere nach zweima- liger Impfung – zur Bestätigung der klinischen Ver- 23 dachtsdiagnose eine Laboruntersuchung benötigen. Ähnliche Beobachtungen wurden in den USA ge- macht, wo in Ausbruchsuntersuchungen in Schu- len negative PCR-Testergebnisse bei trotz Impfung 24 erkrankten Schülern vorlagen. Die Sentineldaten wurden außerdem für die Be- rechnung der Impfeffektivität bei einmal und zwei- mal geimpften Kindern nach der Screeningmetho- de genutzt, bei der der Anteil der Geimpften unter den Erkrankten mit dem Anteil der Geimpften in der Bevölkerung verglichen wird. In die Analyse gingen der Anteil der geimpften 1- bis 4-Jährigen Kinder unter den Erkrankten 1- bis 4-Jährigen aus den Sentinelmeldungen 2009 – 2014 und der Anteil der Geimpften unter allen Kindern der jeweiligen Altersgruppe (Impfquote) aus dem selben Zeitraum aus KV-Daten ein. Die Impfeffektivität nach einma- liger Impfung lag in dieser Studie bei 86,6 % (95 % KI: 85,2 % – 87,9 %) und nach zweimaliger Impfung bei 97,3 % (95 % KI: 97,0 % – 97,6 %). In den quar- talsweisen Berechnungen zeigte die Impfeffektivität nach zwei Impfungen nur geringe Schwankungen und lag – mit einer Ausnahme (91,3 %, 95 % KI: 85,7 % – 94,8 % im 3. Quartal 2013) – beständig über 95 %. Es wurde festgestellt, dass die Schutzwirkung gegen Varizellen nach zwei Impfungen im Ver- gleich zu einer Impfung um 84,6 % höher ist (in- krementelle Impfeffektivität). Aus den Ergebnissen wurde gefolgert, dass die Empfehlung der frühen zweiten Impfung in Deutschland nicht die Impfef- 25 fektivität beeinträchtigt. Mit Hilfe der KV-Daten wurde ebenfalls die Impfef- fektivität nach einer und nach zwei Impfungen so- wie die Dauer des Impfschutzes berechnet (s. Tab. 1). Auch danach war die Impfeffektivität nach zwei Impfungen deutlich höher als nach einer Impfung. Die Auswertungen bestätigten außerdem die hohe Schutzwirkung der Impfung gegenüber Komplikati- onen der Varizellen-Erkrankung bereits nach einer Impfung. Es wurde zudem gezeigt, dass die Wirk-
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Epidemiologisches Bulletin 3 | 2020 Impfeffektivität 16. Januar 2020 10 1. Impfung (95 % KI) 2. Impfung (95 % KI) Gegen jegliche Varizellen-Erkrankung 81,9 % (81,4 % – 82,5 %) 94,4 % (94,2 % – 94,6 %) Gegen Varizellen ohne Komplikationen 65,3 % (64,2 % – 66,4 %) 89,3 % (89,0 % – 89,7 %) Gegen Varizellen mit Komplikationen 98,2 % (98,0 % – 98,5 %) 99,5 % (99,4 % – 99,5 %) 1. Varizellen-Impfung im Zeitraum < 28 Tage nach MMR-Impfung 32,2 % (10,4 % – 48,6 %) (•28 Tage nach 1. Impfung) 92,8 % (84,8 % – 96,6 %) 1. Varizellen-Impfung simultan oder •28 Tage 80,9 % (80,2 % – 81,5 %) 94,1 % (93,9 % – 94,3 %) nach MMR-Impfung Tab. 1 | Effektivität der Varizellen-Impfung, Daten der KV-Impfsurveillance 2006 – 2015 samkeit der Impfung eingeschränkt bleibt, wenn der Mindestabstand von vier Wochen zur MMR-Impfung nicht eingehalten wird (gilt nicht bei gleichzeitiger Gabe mit der MMR-Impfung). Außerdem wurde die Dauer des Impfschutzes untersucht und festgestellt, dass der Impfschutz nach zwei Impfungen über min- 15 destens acht Jahre unvermindert (> 92 %) anhält. Die internationaIe Studienlage zur Wirksamkeit der Impfung und Dauer des Impfschutzes hat sich seit der Evaluation von 2012/13 weiter verbessert. Aus mehreren Ländern liegen indessen Anwen- dungserfahrungen mit Varizellen-Impfempfehlun- gen vor. Eine Zusammenfassung der weltweiten Er- fahrungen mit der Varizellen-Impfung wurde vom ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) in einer internationalen Arbeitsgruppe er- arbeitet und im Jahr 2015 publiziert: www.ecdc.eu- ropa.eu/sites/default/files/media/en/publications/ Publications/Varicella-Guidance-2015.pdf Des Weiteren wurde in einem systematischen Review eine Meta-Analyse publizierter Studiendaten zur impfstoffspezifischen und dosisabhängigen Wirk- samkeit der Varizellen-Impfung vorgenommen. Dar- in wurde zusammenfassend festgestellt, dass unab- hängig vom verwendeten Impfstoff eine Varizel- len-Impfdosis nur eine moderate Wirksamkeit bezüg- lich der Verhinderung von Varizellen-Fällen jeglichen Schweregrades aufweist, jedoch schon sehr wirksam vor schweren Verläufen der Varizellen-Erkrankung schützt. Die zweite Impfdosis verbessert die Wirk- samkeit gegenüber Varizellen-Erkrankungen jegli- chen Schweregrades, da sie die Infektion mit dem 26 Wildvirus besser verhindert. Die Persistenz VZV-spezifischer Antikörper nach Impfung wurde in einer Phase 3 Follow-up-Studie zur Wirksamkeit und Schutzdauer von Varizel- len-Kombinations- und monovalenten Impfstoffen der Firma GSK untersucht. Die Ergebnisse zeigten über den Beobachtungszeitraum von sechs Jahren eine konstant hohe Seropositivrate bei Geimpften, die im Vergleich zur ungeimpften Kontrollgruppe erwartungsgemäß höher lag. Dabei wird von einer höheren Rate Seropositiver und höheren VZV-Anti- körperkonzentrationen bei zweimal Geimpften im 27 Vergleich zu einmal Geimpften berichtet. Nach IfSG-Meldedaten nahm der Anteil der Geimpften unter den Erkrankten von 14 % (2014) auf 17 % (2018) leicht zu, was auf einen Anstieg des Anteils zweimal Geimpfter zurückzuführen war: Von 2014 – 2016 waren jeweils 5 % der Fälle mit be- kanntem Impfstatus und auswertbaren Angaben zur Anzahl und zum Zeitpunkt der Impfung voll- ständig, d. h. mindestens zweimal geimpft. Im Jahr 2017 waren dies 7 % und 8 % im Jahr 2018. Dieser relative Anstieg ist vor dem Hintergrund gestiege- ner Impfquoten und niedrigerer Inzidenzen im Vergleich zu den Vorjahren plausibel und deutet nicht auf einen nachlassenden Impfschutz hin. Die Fälle waren in der Regel ausschließlich kli- nisch diagnostiziert (keine Laborbestätigungen) und es lagen keine Angaben zum Schweregrad der Erkrankung vor. Auch aus diesen Ergebnissen lässt sich ein dringender Bedarf für Laboruntersuchun- gen bei geimpften Patienten mit Verdacht auf Varizellen zur Bestätigung der klinischen Ver- dachtsdiagnose ableiten. Welche Auswirkung hat die Varizellen- Impfung auf die Inzidenz von Herpes zoster? Ein negativer Einfluss der Varizellen-Impfung auf die Inzidenz von Herpes zoster wurde in Modellie- rungsstudien gefunden, die als wesentliche Annahme 28 die sog. Boosting-Hypothese einbezogen hatten. Danach sorgt der wiederholte Kontakt zum Varizella- Zoster-Virus (VZV) für eine Auffrischung der Im- munität, die die Virus-Reaktivierung zum Herpes
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