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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Weisungen zu Aufenthaltstgesetz, Asylgesetz und Familiennachzug

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Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat zu § 60b des Aufenthaltsgesetzes mit Ergänzungen für den Freistaat Thüringen (jeweils in rot und durch Kursivschrift kenntlich gemacht) mit Stand vom 23. Juli 2021 0. Allgemeines Durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S.1294) wurde § 60b in das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eingefügt, der eine Duldung “für Personen mit ungeklärter Identität” einführt. Diese Anwendungshinweise sollen eine möglichst bundeseinheitliche Anwendung der Vorschrift ermöglichen und die praktische Anwendung erleichtern. Den zuständigen obersten Landesbehörden wird anheimgestellt, diese Anwendungshinweise ihren Anwendungserlassen zu Grunde zu legen. Wenn in diesen Hinweisen die Bezeichnung „Ausländer“ verwendet wird, bezieht sie sich ebenso wie im Gesetzestext des Aufenthaltsgesetzes auf Personen aller Geschlechter. Vorbemerkung zu Mitwirkungs-, Hinweis- und Anstoßpflichten § 82 AufenthG stellt eine zentrale verfahrensrechtliche Bestimmung hinsichtlich der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten sowie der behördlichen Hinweispflichten dar. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt der Ausländer einer generellen Darlegungs- und Mitwirkungspflicht. Daraus folgt insbesondere, dass der Ausländer grundsätzlich verpflichtet ist, an Handlungen mitzuwirken, die behördlicherseits von ihm verlangt werden. Er ist demnach gehalten, die geforderten Schritte tatsächlich zu unternehmen (Mitwirkungspflicht) und diese nachzuweisen. Insbesondere ist der Ausländer verpflichtet, seine Identität aufzuklären und sich bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung um die Ausstellung eines Ausweispapiers zu bemühen. Denn der Besitz eines gültigen Passes zählt zu den grundsätzlichen Obliegenheiten eines Ausländers (vgl. § 3 Abs. 1 AufenthG). Aus § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird darüber hinaus deutlich, dass ein Ausländer bei der Beschaffung von Identitätspapieren alle erforderlichen Mitwirkungshandlungen vorzunehmen hat. Daraus folgt, dass der Ausländer alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen, und damit auch die zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers, grundsätzlich ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde unverzüglich einzuleiten hat. In diesem Zusammenhang ist es einem volljährigen Ausländer regelmäßig zumutbar, sich selbstständig bei seiner Auslandsvertretung darüber zu informieren, welche Schritte er für die Erlangung entsprechender Dokumente vorzunehmen hat. Die Mitwirkungshandlungen erstrecken sich ebenso auf die Beschaffung sonstiger Urkunden und Dokumente, sofern sie dazu geeignet sind, die Ausländerbehörde bei der Geltendmachung und Durchsetzung einer Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen. Es obliegt dem Ausländer zudem, Seite 1 von 32
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sich gegebenenfalls unter Einschaltung von Mittelspersonen in seinem Heimatland um erforderliche Dokumente und Auskünfte zu bemühen, wobei es grundsätzlich auch zumutbar ist, einen Rechtsanwalt im Herkunftsstaat zu beauftragen. Hinsichtlich regelmäßig zumutbarer Mitwirkungshandlungen wird auf § 60b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG verwiesen. Gleichwohl ist auch die Ausländerbehörde verpflichtet, etwaige Ausreisehindernisse zu beseitigen. Nach § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hat die zuständige Behörde den Ausländer auf seine Pflichten hinzuweisen und ihm mitzuteilen, dass und in welchem Umfang er zur Vornahme von Handlungen verpflichtet ist (Hinweispflicht). In diesem Zusammenhang muss es für den Ausländer hinreichend erkennbar sein, welche konkreten Schritte er zu unternehmen hat. Ein bloßer Hinweis auf die bestehenden Mitwirkungspflichten oder den Gesetzeswortlaut wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Denn nur durch konkrete Hinweise ist es dem Ausländer möglich, die Beseitigung der Ausreisehindernisse zielführend in die Wege zu leiten (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 19. Dezember 2005 – 24 C 05.2856 – juris, Rn. 42) Zugleich ist die zuständige Behörde gehalten, von sich aus das Verfahren weiter zu betreiben und auf weitere, dem Antragsteller gegebenenfalls nicht bekannte Möglichkeiten aufmerksam zu machen und diese Möglichkeiten mit dem betroffenen Ausländer bei Bedarf zu erörtern (Anstoßpflicht). Insbesondere im Falle der Untätigkeit der Vertretung des Herkunftsstaates kann es die zuständige Behörde nicht allein dem Ausländer überlassen, den weiteren Fortgang des Verfahrens zu beeinflussen. Insbesondere angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und sachlichen Nähe ist die zuständige Behörde viel besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die entsprechenden Schritte in die Wege leiten zu können (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, a. a. O. Rn. 43). Sofern der Ausländer im Rahmen der Pass(-ersatzpapier)beschaffung entgegen seiner Pflichten nicht mitwirkt und die Ausländerbehörde beabsichtigt, aus der mangelnden Mitwirkung bei der Pass(-ersatzpapier)beschaffung oder der Beschaffung von Identitätsdokumenten negative aufenthaltsrechtliche Folgen zu ziehen, muss sie diese vorher gegenüber dem Betroffenen konkretisiert und aktualisiert haben (BVerwG Urteil vom 26.10.2010 — 1 C 18/09 Rn. 17 — juris; VG Leipzig Beschl. vom 4. Oktober 2018 — Az.: 3 L 880/18). Ein regelmäßiger Hinweis auf die Mitwirkungspflichten ist indes nicht erforderlich. 1. Grundtatbestand 1.1. Bei der Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ handelt es sich um einen Unterfall einer Duldung nach § 60a AufenthG, die in bestimmten Fällen ausgestellt wird, die im Grundtatbestand des § 60b Absatz 1 bezeichnet sind. 1.2. § 60b Absatz 1 AufenthG ergänzt bereits ausweislich seines Wortlauts die Regelungen in § 60a AufenthG, indem er zusätzliche Rechtsfolgen begründet. Im Übrigen bleibt § 60a AufenthG unberührt, weil die Duldung nach § 60b Absatz 1 einen Unterfall der Duldung nach § 60a AufenthG darstellt. Insbesondere werden die Beschäftigungsverbote nach § 60a Absatz 6 AufenthG somit nicht durch § 60b Absatz 5 Satz 2 AufenthG verdrängt. 1.3. Bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 60b AufenthG ist die Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ auszustellen. Seite 2 von 32
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1.4. Erste Voraussetzung der Ausstellung ist das Bestehen einer vollziehbaren Ausreisepflicht. Ausreisepflichtig ist ein Ausländer nach § 50 Absatz 1 AufenthG, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Vollziehbar ist die Ausreisepflicht, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 58 Absatz 2 AufenthG erfüllt sind. 1.5. Da es sich bei der Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ um einen Unterfall einer Duldung nach § 60a AufenthG handelt, muss für ihre Erteilung zudem mindestens einer der Duldungstatbestände des § 60a AufenthG erfüllt sein. 1.6. Als Voraussetzung der Erteilung einer Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ sieht § 60b Absatz 1 AufenthG zudem vor, dass die Abschiebung des Ausländers aus von ihm selbst zu vertretenden, in der Vorschrift näher bezeichneten Gründen nicht vollzogen werden kann. Ist diese Voraussetzung gegeben, ist stets zumindest auch der Duldungstatbestand des § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG erfüllt. Der Umstand, dass die Voraussetzungen des § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, schließt also die Anwendung des § 60b AufenthG nicht aus. Darüber hinaus müssen die Voraussetzungen erfüllt sein, die § 60b Absatz 1 in zwei Unterfällen festlegt: Der erste Unterfall besteht darin, dass der Ausländer das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Der zweite Unterfall ist gegeben, wenn der Ausländer zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 AufenthG nicht vornimmt. Bezogen auf diesen zweiten Unterfall enthält § 60b Absatz 2 und 3 Bestimmungen, die den Tatbestand konkretisieren. Für Thüringen gilt ergänzend: a) Bei minderjährigen Ausländern soll bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres von einer Anwendung des §60b AufenthG grundsätzlich abgesehen werden, da bei diesen „von ihm selbst zu vertretende Gründe“ im Sinne der Vorschrift nicht angenommen werden können. b) Bei Jugendlichen (von der Vollendung des 14. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres) ist hinsichtlich der Tabestandsmerkmale zu unterscheiden: aa) Die Tatbestandsmerkmale „eigene Täuschung über seine Identität und Staatsangehörigkeit“ und „eigene falsche Angaben“ können auch von Jugendlichen in zurechenbarer Weise verwirklicht werden. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass es auf das eigene Handeln des Jugendlichen ankommt. Handlungen der Eltern sind einem Jugendlichen in der Regel nicht zurechenbar (siehe unten 2.2.6). Bei eigenen Handlungen eines Jugendlichen ist einzelfallbezogen und unter Berücksichtigung der Reife des Jugendlichen zu prüfen, ob er die Konsequenzen seines Handelns ausreichend abschätzen konnte und es ihm als Verschulden zugerechnet werden kann. ab) Die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals der Nichtvornahme zumutbarer Handlungen zur Passbeschaffung kommt für Jugendliche nicht in Betracht. Eigene Handlungen zur Passbeschaffung werden für Jugendliche häufig schon nach dem jeweils einschlägigen Heimatrecht unmöglich sein, wodurch „von ihm zu vertretende Seite 3 von 32
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Gründe“ regelmäßig nicht vorliegen können. Darüber hinaus folgt aus dem Rechtsgedanken des § 80 Abs. 1 AufenthG, dass das Unterlassen von Handlungen zur Passbeschaffung bei Jugendlichen keinen Schuldvorwurf rechtfertigt. 1.7. Beide Unterfälle setzen voraus, dass die Abschiebung aus einem der genannten Gründe nicht vollzogen werden kann. Dabei ist zunächst auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Erteilung der Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ abzustellen. 1.8. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Erteilung einer Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ erfüllt, ist die Duldung in dieser Form zwingend zu erteilen. Ein Ermessen steht der Behörde nicht zu. 1.9. Kann die Abschiebung zusätzlich aus einem anderen Grund nicht vollzogen werden, der nicht in § 60b Absatz 1 AufenthG genannt ist, soll grundsätzlich dennoch die Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ erteilt werden. Es genügt also für die Ausstellung der Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ grundsätzlich, dass ein dafür ausreichender Grund gegeben ist. Auf andere Duldungsgründe kommt es dann grundsätzlich nicht mehr an. Für Thüringen gilt abweichend: Aufgrund der Formulierung „wenn die Abschiebung aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann“ setzt die Anwendung des § 60b Abs. 1 AufenthG voraus, dass ausschließlich die Täuschung, die falschen Angaben bzw. das Mitwirkungsversäumnis des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers kausal für das Abschiebungshindernis sein muss. Nur das persönliche Verhalten des geduldeten Ausländers führt zur Verwirklichung des Tatbestandes. Sofern eine Abschiebung schon aus anderen Gründen, wie etwa aufgrund dauerhafter, krankheitsbedingter Reiseunfähigkeit oder tatsächlich fehlender Rückführungsmöglichkeiten, bzw. aktuell geltender Rückführungserlasse für bestimmte Länder, nicht durchgeführt warden kann, ist § 60b AufenthG folglich nicht anwendbar. Erst nach Wegfall des anderen Duldungsgrundes kann bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 60b AufenthG die „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ erteilt werden. Dies gilt nicht für Ausländer ab der Stellung eines Asylantrages (§ 13 des Asylgesetzes) oder eines Asylgesuches (§ 18 des Asylgesetzes) bis zur rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrages sowie für Ausländer, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt, es sei denn, das Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 7 beruht allein auf gesundheitlichen Gründen (vgl. § 60b Absatz 2 Satz 2 AufenthG). Für Thüringen gilt ergänzend: Für Ausländer, deren Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde, gilt, dass diese im direkten Anschluss an die Aufenthaltsgestattung zunächst über ihre bestehenden Mitwirkungspflichten belehrt und ihnen Gelegenheit gegeben werden soll, den ihnen obliegenden Mitwirkungspflichten nachzukommen, bevor eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität erteilt wird. Für die Gelegenheit zur Erfüllung der Seite 4 von 32
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Mitwirkungspflichten wird ein Zeitraum von 6 Monaten ab dem Zeitpunkt der Belehrung über diese als vertretbar erachtet. Dementsprechend soll eine Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG ab dem Zeitpunkt der Belehrung regelmäßig für die Dauer von maximal 6 Monaten ausgestellt werden, innerhalb derer der Ausländer seinen Pflichten nachkommen kann. Zunächst für einen kürzeren Zeitraum erteilte Duldungen sind so zu verlängern, dass auch diesen Ausländern ein Zeitraum von 6 Monaten zur Verfügung steht, innerhalb derer der Ausländer seinen Pflichten nachkommen kann. Daüber hinaus sind gemäß Erlass des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz zur Erteilung von Duldungen bei der Durchführung eines Härtefallverfahrens vom 1. Februar 2017 während der Dauer der Durchführung eines Härtefallverfahrens nach § 23a AufenthG für die betroffenen Ausländer Duldungen auf Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen. Danach kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Das Härtefallverfahren liegt ausweislich des § 23a Abs. 1 Satz 4 AufenthG im öffentlichen Interesse. Das Ermessen, dass der Ausländerbehörde im Rahmen des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG grundsätzlich zusteht, ist in diesen Fällen eingeschränkt und deshalb stets zugunsten des Ausländers auszuüben. Gemäß Beschluss des OVG Lüneburg vom 23. Juni 2021 (Az.: 13 PA 96/21) beseitigt eine zur Durchführung des Härtefallverfahrens erteilte Duldung die von § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorausgesetzte Kausalität zwischen positivem Tun oder Unterlassen des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers und der misslingenden Aufenthaltsbeendigung und steht daher der Erteilung einer Duldung nach § 60b AufenthG entgegen. Ein Härtefallverfahren gilt dann als eingeleitet, wenn eine entsprechende Mitteilung der Geschäftsstelle der Härtefallkommission bei der Ausländerbehörde eingeht. Beendet ist das Verfahren, wenn die Ausländerbehörde eine Abschlussmitteilung oder eine Anordnung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch die Geschäftsstelle bzw. das zuständige Fachreferat zugeht. Die bestehenden Regeln für die Eintragungen der Staatsangehörigkeit in das Ausländerzentralregister bleiben unberührt. Insbesondere führt die Ausstellung einer Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ allein nicht zur Eintragung des Staatsangehörigkeitsschlüssels „998“. 2. Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit 2.1. In der ersten Variante ist unter den weiteren Voraussetzungen des § 60b Absatz 1 AufenthG (vollziehbare Ausreisepflicht; Nichtvollziehbarkeit der Abschiebung; Vertreten müssen) die Duldung „für Personen mit ungeklärter Identität“ zu erteilen, wenn eine eigene Täuschung über die Identität, eine eigene Täuschung über die Staatsangehörigkeit oder eigene falsche Angaben zur Nichtvollziehbarkeit der Abschiebung führen. Diese Seite 5 von 32
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Tatbestände stehen alternativ nebeneinander. Eine Täuschung über die Identität liegt vor, wenn falsche Angaben über identitätsbestimmende Merkmale gemacht werden, die einen Irrtum bei der Behörde auslösen. 2.1.1. Identitätsbestimmend sind alle personenbezogenen Merkmale, deren Kenntnis für die Vollziehung der Ausreisepflicht von Bedeutung sind, insbesondere Namen, frühere Namen, Geburtsdatum, Geburtsort oder -land, eine etwaige Personenkennziffer des Herkunftsstaats, sofern sie dort für Identifizierungszwecke allgemein verwendet wird, oder andere im Herkunftsstaat übliche Identifizierungsmerkmale, wie etwa Angaben zu Eltern. 2.1.2. Beurteilungsmaßstab ist entsprechend dem Normzweck die Richtigkeit derjenigen Daten, die für eine Abschiebung oder deren Vorbereitung von Bedeutung wären. 2.1.3. Weil hierfür die Aufnahmebereitschaft des Herkunftsstaats entscheidend ist und der Herkunftsstaat wegen der völkerrechtlichen Personalhoheit allein über die Festlegung der Identitätsmerkmale, vor allem des Namens, entscheidet, sind die dort festgelegten und vorliegenden Daten entscheidend. Hat ein Ausländer beispielsweise im Bundesgebiet stets einen Namen verwendet, der von dem im Herkunftsstaat geführten Namen abweicht, täuscht er zwar nicht über die Identität in einer Weise, die eine Zusammenführung von Daten innerhalb des Bundesgebietes verhindern würde. Jedoch wäre eine Identifizierung durch Stellen des Herkunftsstaats in diesem Fall nicht möglich, weshalb eine für die Anwendung des § 60b Absatz 1 AufenthG relevante Täuschungshandlung vorliegen kann. 2.1.4. Regelmäßig keine Täuschung ist die Verwendung zulässiger Varianten von Transliterationen. Herkunftsstaaten transliterieren Namen aus anderen Schriftarten unterschiedlich und häufig auch innerhalb der eigenen Verwaltung uneinheitlich, und es ist einem Ausländer aus einem Staat, der standardmäßig keine lateinische Schrift verwendet, oftmals nicht bekannt, welche Variante des Namens in lateinischer Schrift sein Herkunftsstaat in einem bestimmten Zusammenhang verwendet. Die Behörde kann aber regelmäßig die Angabe des Namens in der im Herkunftsstaat gebräuchlichen Schrift verlangen. 2.1.5. Für eine Täuschung ist tatbestandlich nicht erforderlich, dass die Behörde den unrichtigen Angaben des Ausländers Glauben schenkt. Es genügt, dass sie mangels besseren Wissens nur die gemachten Angaben verwenden kann. 2.1.6. Die Täuschungshandlung muss durch den Ausländer selbst erfolgt sein. Dabei sind vom Ausländer stammende Falschangaben, die durch Beauftragte des Ausländers (zum Beispiel Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte) weitergegeben werden, dem Ausländer zuzurechnen. Nicht dem Ausländer zuzurechnen sind insbesondere Falschangaben seiner Eltern, es sei denn, der volljährige (§ 80 Absatz 3 AufenthG) Ausländer bestätigt diese Falschangaben selbst und ist nicht ausnahmsweise selbst von den eigenen Eltern über die wahre Identität im Unklaren gelassen worden, so dass dem Ausländer nicht bewusst ist, dass er falsche Angaben macht. Ebenfalls nicht dem Ausländer zuzurechnen sind objektiv falsche Daten, die in der Behörde generiert worden sind, etwa auf Grund fehlerhafter Zuordnung von Aliaspersonalien aus Datenbankabgleichen. Auch hier beginnt aber eine Seite 6 von 32
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Zurechenbarkeit, sobald der Ausländer die falschen Daten bestätigt. 2.1.7. Bloßes Schweigen ist keine Täuschung. Ebenso liegt keine Täuschung vor, wenn ein Ausländer lediglich über eine Registrierung mit falschen Daten, die nicht von ihm selbst stammen, unterrichtet wird und sich hierzu verschweigt. 2.1.8. Die Täuschung muss gegenwärtig erfolgen („herbeiführt“). Sie ist nicht mehr gegeben, wenn der Behörde die richtigen Daten bekannt sind; in diesem Fall entfällt auch die Ursächlichkeit für das Bestehen des Abschiebungshindernisses. 2.1.9. Die Täuschung muss zumindest mitursächlich für das Unterbleiben der tatsächlichen Vollziehung einer Abschiebung sein; siehe auch Nummer 1.9. 2.2. Ähnlich wie eine Täuschung über die Identität ist auch eine Täuschung über die Staatsangehörigkeit, die für das Unterbleiben der tatsächlichen Vollziehung der Abschiebung zumindest mitursächlich ist, eine Tatbestandsvariante des § 60b Absatz 1 AufenthG. 2.2.1. Eine Täuschung über die Staatsangehörigkeit liegt vor, wenn der Ausländer selbst und bewusst 2.2.1.1.     eine andere Staatsangehörigkeit angibt, als er tatsächlich besitzt, 2.2.1.2.     trotz der Frage nach allen Staatsangehörigkeiten eine Staatsangehörigkeit verschweigt oder 2.2.1.3.     unrichtig angibt, keine Staatsangehörigkeit zu besitzen. 2.2.2. In den Fällen der Nummer 2.3.1.1 ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Falschangaben bewusst gemacht werden, weil es außerhalb der Lebenserfahrung liegt, dass jemand seine eigene Staatsangehörigkeit gar nicht kennt. In den Fällen der Nummer 2.3.1.2 muss, um eine Täuschungshandlung anzunehmen, feststehen, dass der Ausländer zum einen weiß, dass er alle Staatsangehörigkeiten und nicht nur eine anzugeben hat, und zum anderen, dass ihm das Vorhandensein einer oder mehrerer zusätzlicher Staatsangehörigkeiten auch bekannt ist. Dies muss wegen der Komplexität des Staatsangehörigkeitsrechts einiger Staaten nicht zwingend der Fall sein, wenn ein Ausländer in der Vergangenheit von der anderen Staatsangehörigkeit niemals Gebrauch gemacht hatte (sich insbesondere niemals einen Pass dieses Staates hatte ausstellen lassen oder sich sogar niemals dort aufgehalten hatte). In den Fällen der Nummer 2.3.1.3 liegt keine Täuschungshandlung in Fällen vor, in denen zwar eine Staatsangehörigkeit vorliegt, sich ein Ausländer aber als staatenlos bezeichnet, weil kein Staatsangehörigkeitsstaat ihn trotz der abweichenden Rechtslage als eigenen Staatsangehörigen in Anspruch nimmt (sogenannte faktische Staatenlosigkeit). Eine Ursächlichkeit für die Unmöglichkeit der Vollziehung der Abschiebung ist insbesondere gegeben, wenn die Einholung des Einvernehmens eines Herkunftsstaats mit einer Abschiebung, insbesondere die Beschaffung eines Passes oder Passersatzes, durch die Täuschung vereitelt wird. 2.2.3.     Ebenso liegt in den Fällen der Nummer 2.3.1.2 eine Ursächlichkeit für die Unmöglichkeit der Vollziehung der Abschiebung vor, wenn mit Bezug auf einen bekannten Herkunftsstaat – wenn auch zu Recht – ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis angenommen wird, dieses Abschiebungshindernis jedoch mit Bezug auf den verschwiegenen anderen Herkunftsstaat nicht vorliegt. Seite 7 von 32
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2.3. Für die Annahme einer Täuschung ist es nicht erforderlich, dass die Behörde die richtigen Daten kennt. Es genügt, dass feststeht, dass die vom Ausländer selbst gemachten Angaben falsch sind. Letzteres ist vor allem der Fall, wenn der Ausländer einander widersprechende Angaben gemacht hat; vgl. aber Nummer 2.2.4 und 2.3.2. 2.4. Zudem genügt es für die Annahme einer Täuschung, dass der Ausländer gegenüber verschiedenen Behörden – etwa gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Polizeibehörden, Justizbehörden und Ausländerbehörden –verschiedene Identitätsangaben verwendet, so dass bei einer Zusammenführung der Daten unterschiedliche Aliasnamen bekannt sind, von denen jeweils nicht bekannt ist, welche dieser Identitätsangaben korrekt ist. Auch wenn Behörden dann aus verwaltungspraktischen Gründen eine Version als „leitend“ festlegen, setzt sich die Täuschung fort, wenn keine gesicherte Kenntnis von der vom Herkunftsstaat festgelegten Personalien besteht und sich dies auf die Möglichkeit der Rückführung auswirkt. Auf Nummer 2.2.4 wird in diesem Zusammenhang besonders hingewiesen. 3. Sonstige eigene falsche Angaben 3.1. Sonstige falsche Angaben sind alle weiteren unrichtigen Angaben, die vom Ausländer selbst mit oder ohne Aufforderung gemacht worden sind, die für die Vollziehung einer Abschiebung erheblich sind, und die wegen ihrer Unrichtigkeit zum Unterbleiben des Vollzugs der Abschiebung führen. Für Thüringen gilt ergänzend: “Sonstige falsche Angaben” umfassen insbesondere identitätsrelevante Merkmale, wie etwa der vollständige Name, Geburtstag und –ort sowie die Staatsangehörigkeit des Ausländers. Etwaige Angaben, die zwar unrichtig sind und eine Rückführung vereiteln, jedoch keinen Bezug zur Identität oder Staatsangehörigkeit haben, fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 60b AufenthG. Zwar sind auch derartige falsche Angaben nicht zu akzeptieren und können Sanktionen nach sich ziehen (z.B. die Sanktion des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Gleichwohl kann es aber nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein, dass auch Personen mit geklärter Identität ggf. eine „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ erhalten, sofern sie falsche Angaben, wie etwa zu ihrem Gesundheitszustand, machen. 3.2. Anders als die in Nummer 2 genannten Angaben müssen die sonstigen eigenen falschen Angaben nicht auf den Zielstaat bezogen sein, damit der Tatbestand erfüllt ist. 4. Unterlassen zumutbarer Handlungen zur Passbeschaffung – Allgemeines 4.1. Die Unterlassung eigener zumutbarer Handlungen zur Passbeschaffung besteht als alternatives Tatbestandsmerkmal neben den in Nummer 2 und 3 erläuterten Täuschungshandlungen. Ist die Unterlassung zumindest mitursächlich dafür, dass die Abschiebung nicht vollzogen werden kann, und bestehen hierfür Gründe, die vom vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer zu vertreten sind, ist eine Duldung „für Seite 8 von 32
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Personen mit ungeklärter Identität“ auch dann zu erteilen, wenn der Ausländer die Behörde nicht täuscht. 4.2. Die besondere Passbeschaffungspflicht stellt eine rechtsklare, nur für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer geltende Ausfüllung der nach § 3 Absatz 1 AufenthG sowie nach § 56 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) grundsätzlich bestehenden Verpflichtung jedes sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers dar, sich einen gültigen und anerkannten Pass oder Passersatz selbst zu beschaffen. 4.3. Die in § 60b Absatz 2 Satz 1 AufenthG auf diese Weise normierte Pflicht, sich einen gültigen Pass oder Passersatz durch alle im Einzelfall zumutbaren Handlungen selbst zu beschaffen, besteht kraft Gesetzes. Sie wird somit nicht erst wirksam, wenn der Ausländer durch die Ausländerbehörde oder eine andere Stelle hierzu aufgefordert wird. Insbesondere besteht die Verpflichtung auch, wenn die Ausländerbehörde noch keinen Hinweis nach § 60b Absatz 3 Satz 2 AufenthG gegeben hat. Für Thüringen gilt ergänzend: Zwar sind die Ausführungen des BMI, wonach die in § 60b AufenthG normierte besondere Passbeschaffungspflicht bereits Kraft Gesetzes besteht und nicht erst mit einer konkreten Aufforderung des Ausländers oder eines Hinweises der Ausländerbehörde wirksam wird, zutreffend. Gleichwohl ist der Hinweis gem. § 60b Abs. 3 Satz 2 AufenthG Voraussetzung für das Eintreten der Rechtsfolgen gemäß § 60b AufenthG. Nur wenn die Ausländerbehörde auf die besondere Passbeschaffungspflicht hingewiesen hat, ist die Erteilung einer „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ mit den daran geknüpften drastischen Rechtsfolgen des § 60b Abs. 5 AufenthG zu rechtfertigen. Maßgeblich ist hierbei, dass der Ausländer zuvor mittels des zur Verfügung stehenden Hinweisblattes über seine Mitwirkungspflichten belehrt wurde und ihm Gelegenheit gegeben wurde, seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen. Andernfalls würde die Verletzung der vom Gesetzgeber zwingend vorgeschriebenen Hinweispflicht nach § 60b Abs. 3 Satz 2 AufenthG ohne Rechtsfolgen bleiben; es ist nicht davon auszugehen, dass dies beabsichtigt war. 4.4. Die besondere Passbeschaffungspflicht besteht als eigenständige Verpflichtung neben den bestehenden Mitwirkungspflichten, etwa nach § 48 AufenthG und § 15 AsylG. Dem entsprechend verdrängen die in § 60b normierten Voraussetzungen und insbesondere Ausnahmen des persönlichen Anwendungsbereichs (z.B. § 60b Absatz 2 Satz 2) nicht die dort insoweit geltenden Regelungen. Daher ist die Ausländerbehörde auch berechtigt, auf der Grundlage des § 48 AufenthG Mitwirkungshandlungen zu verlangen, selbst wenn die besondere Passbeschaffungspflicht, etwa wegen der Erfüllung des Tatbestandes des § 60b Absatz 2 Satz 2 AufenthG, bei einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer nicht oder noch nicht eingreift. § 60b AufenthG entfaltet somit gegenüber anderen Vorschriften des AufenthG keinerlei Sperrwirkung im Sinne einer Spezialnorm. Seite 9 von 32
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4.5. Die Verpflichtung nach § 60b Absatz 2 Satz 1 AufenthG bezieht sich auf ausländische, für eine Rückführung geeignete Pässe oder Passersatzpapiere. Die Beantragung eines deutschen Passersatzes (§ 4 Absatz 1 AufenthV) genügt nicht. Der Pass oder Passersatz, um den sich der Ausländer bemühen muss, muss entsprechend dem Normzweck nicht nach § 3 Absatz 1 in Verbindung mit § 71 Absatz 6 AufenthG vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat anerkannt sein, wenn er für eine Rückführung in den Ausstellerstaat ansonsten geeignet ist. 4.6. Welche Handlungen zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzes im Einzelfall zumutbar sind, ist in § 60b Absatz 3 AufenthG konkretisiert. Ergänzend kann die zu § 3 Absatz 1 AufenthG und zu § 5 AufenthV ergangene Rechtsprechung zur Auslegung herangezogen werden. 4.7. Geschuldet wird vom Ausländer nur das umfassende und nachweisliche Bemühen um die Beschaffung eines Passes oder Passersatzes, nicht der Erfolg, dass ein Pass oder Passersatz tatsächlich ausgestellt wird; ansonsten würde § 5 AufenthV leerlaufen. 5. Mitwirkung an der Ausstellung oder Verlängerung des Passes oder Passersatzes 5.1. Es gehört nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 AufenthG zu den regelmäßig zumutbaren Handlungen im Rahmen der besonderen Passbeschaffungspflicht, im darin beschriebenen Umfang an der Ausstellung oder Verlängerung des Passes mitzuwirken. Besonders in der Norm hervorgehoben werden die in den §§ 6 und 15 des deutschen Passgesetzes genannten Mitwirkungshandlungen. Hierzu zählen insbesondere, 5.1.1. einen Antrag zu stellen (§ 6 Absatz 1 Satz 1 Passgesetz), 5.1.2. dass dieser Antrag grundsätzlich persönlich zu stellen ist (§ 6 Absatz 2 Satz 2 Passgesetz) und persönlich bei der Passbehörde zu erscheinen (§ 6 Absatz 1 Satz 6 Passgesetz), 5.1.3. bei der Antragstellung gegenüber der Passbehörde alle Tatsachen anzugeben, die zur Feststellung der Personalien der antragstellenden Person und ihrer Staatsangehörigkeit erforderlich sind (§ 6 Absatz 2 Satz 1 Passgesetz), 5.1.4. entsprechende Nachweise zu erbringen (§ 6 Absatz 2 Satz 2 Passgesetz), 5.1.5. bei der Abnahme von Fingerabdrücken mitzuwirken (§ 6 Absatz 2 Satz 3 und 4 Passgesetz), 5.1.6. bei der Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen mitzuwirken beziehungsweise sie zu dulden (§ 6 Absatz 3 Passgesetz), 5.1.7. der Passbehörde des Herkunftsstaats einen vorhandenen Pass vorzulegen, wenn eine Eintragung nach dem Recht des Herkunftsstaats unzutreffend ist (§ 15 Nummer 1 Passgesetz); 5.1.8. auf Verlangen einen alten Pass beim Empfang eines neuen Passes abzugeben (§ 15 Nummer 2 Passgesetz); 5.1.9. den Verlust eines Passes und sein Wiederauffinden bei den Behörden des Herkunftsstaats anzuzeigen (§ 15 Nummer 3 Passgesetz); 5.1.10. der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit anzuzeigen (§ 15 Nummer 4 Passgesetz) und 5.1.11. der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats anzuzeigen, wenn der Antragsteller Seite 10 von 32
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