H-2-LT-u-eA-Aston-Lehrer_geschwrzt

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Zentrale Abiturprüfungen im Beruflichen Gymnasium

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Berufliches Gymnasium                                      Zentralabitur Deutsch eA 2020 Themenkorridor 2 Realistische Tendenzen in der Lyrik des 19. Jahrhunderts Aufgabenart: Literarischer Text – untersuchend (eA) Louise Aston (1814 – 1871) Lied einer schlesischen Weberin (1846) Wenn's in den Bergen rastet, Der Mühlbach stärker rauscht, Der Mond in stummer Klage Durch's stille Strohdach lauscht; 5 Wenn trüb die Lampe flackert Im Winkel auf dem Schrein :       1 Dann fallen meine Hände Müd in den Schooß hinein. So hab' ich oft gesessen 10 Bis in die tiefe Nacht, Geträumt mit offnen Augen, Weiß nicht, was ich gedacht; Doch immer heißer fielen Die Thränen auf die Händ' - 15 Gedacht mag ich wohl haben: Hat's Elend gar kein End? - Gestorben ist mein Vater, - Vor Kurzem war's ein Jahr - Wie sanft und selig schlief er 20 Auf seiner Todtenbahr' !    2 Der Liebste nahm die Büchse, Zu helfen in der Noth; Nicht wieder ist er kommen, Der Förster schoß ihn todt. - 1 Schrein: Truhe oder schrankähnlicher Behälter aus Holz 2 Todtenbahr: Gestell, auf dem ein Toter zur Beerdigung getragen wird Seite 1 von 9              Literarischer Text untersuchend (eA)                      Text
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Berufliches Gymnasium                                     Zentralabitur Deutsch eA 2020 25 Es sagen oft die Leute: »Du bist so jung und schön, Und doch so bleich und traurig Sollst du in Schmerz vergehn?« - »Nicht bleich und auch nicht traurig!« 30 Wie spricht sich das geschwind Wo an dem weiten Himmel Kein Sternlein mehr ich find'! Der Fabrikant ist kommen, Sagt mir: »mein Herzenskind, 35 Wohl weiß ich, wie die Deinen In Noth und Kummer sind; Drum willst Du bei mir ruhen Der Nächte drei und vier, Sieh' dieses blanke Goldstück! 40 Sogleich gehört es Dir!« Ich wußt' nicht, was ich hörte - Sei Himmel du gerecht Und lasse mir mein Elend, Nur mache mich nicht schlecht! 45 O lasse mich nicht sinken! Fast halt' ich's nicht mehr aus, Seh' ich die kranke Mutter Und's Schwesterlein zu Haus'! Jetzt ruh'n so still sie alle, 50 Verloschen ist das Licht, Nur in der Brust das Wehe, Die Thränen sind es nicht. Kannst du, o Gott, nicht helfen, So lass' uns lieber gehn, 55 Wo drunten tief im Thale Die Trauerbirken steh'n! - 3 (287 Wörter) 3 Trauerbirke: Baum mit herabhängenden Zweigen, der häufig mit Tod und Trauer in Verbindung gebracht wird und durch seine herabhängenden Zweige einen melancholisch- traurigen Eindruck vermittelt. Seite 2 von 9             Literarischer Text untersuchend (eA)                      Text
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Berufliches Gymnasium                                        Zentralabitur Deutsch eA 2020 Textvorlagen Louise Aston: Freischärler-Reminiscenzen. Zwölf Gedichte. Leipzig 1850, S. 17 – 19. https://www.digitales-deutschesfrauenarchiv.de/akteurinnen/allgemeiner- deutscher-frauenverein-adf (zuletzt aufgerufen am 27. Januar 2020) Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen der Textvorlage. Erlaubte Hilfsmittel: Rechtschreiblexikon Auswahl- und Lesezeit: 20 Minuten Arbeitszeit: 5 Zeitstunden Aufgabenstellung: 1. Interpretieren Sie das Gedicht von Louise Aston. 2. Im §1 des „Allgemeinen deutschen            Frauenvereins “  4   heißt es im Jahr 1865: „Der Allgemeine deutsche Frauenverein hat die Aufgabe, für die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen ihrer Entfaltung entgegenstehenden Hindernissen mit vereinten Kräften zu wirken.“ Überprüfen Sie, ausgehend von der Situation der Frau im Gedicht, die Bedeutung von Fraueninteressenvertretungen historisch und heute. 4 Der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF) war der erste Frauenverein in Deutschland (gegründet 1865 in Leipzig). Ein zentrales Problem zu dieser Zeit war die überaus rasch ansteigende Frauenarmut, die auch zunehmend bürgerliche Kreise traf. Dieser Frauenarmut wollte der ADF durch eigenständige Erwerbsmöglichkeiten für Frauen entgegentreten. Der ADF hatte die mangelnde Bildungssituation als ein Hindernis für ein selbstständiges Frauenleben in der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgemacht. 1933 löste sich dieser Verein auf, da die Mitgliederinnen sich nicht der NSDAP nahen Deutschen Frauenfront unterordnen wollten. Seite 3 von 9              Literarischer Text untersuchend (eA)            Aufgabenstellung
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Berufliches Gymnasium                                    Zentralabitur Deutsch eA 2020 Unterrichtliche Voraussetzungen Die Interpretation von literarischen Texten ist Gegenstand aller drei Schuljahre des Deutschunterrichts des Beruflichen Gymnasiums. Durch die unterrichtliche Arbeit zum zweiten Themenkorridor sind die Schülerinnen und Schüler mit der Untersuchung von Inhalt, sprachlicher Gestaltung, Wirkung und Intention lyrischer Texte, insbesondere aus der Zeit des 19. Jahrhunderts, vertraut. Bezug zu den Bildungsstandards – erwartete Schülerleistung – Anforderungsbereiche Aufgabe 1: Interpretieren Sie das Gedicht von Louise Aston. Die Schülerinnen und Schüler können Inhalt, Aufbau und sprachliche Gestaltung literarischer Texte analysieren, Sinnzusammenhänge zwischen einzelnen Einheiten dieser Texte herstellen und sie als Geflechte innerer Bezüge und Abhängigkeiten erfassen (Bildungsstandards 2.4.1). Die Schülerinnen und Schüler ... verfassen eine thematische Hinführung und ordnen den Text ein: -   Angabe von Textart, Autorin, Titel und Erscheinungsort und -jahr, Thema, z. B.: Schilderung der von Leid, Verlust und Elend geprägten Situation des lyrischen Ichs, das in Folge dessen Gott um Hilfe bittet und mit Gedanken an den Tod spielt fassen den Inhalt des Textes kurz zusammen, etwa: Das lyrische Ich - beklagt empfundenes Elend, besonders begründet durch die familiäre Situation: Verlust des Vaters und des Geliebten, Verantwortung für kranke Mutter und jüngere Schwester - erhält unmoralisches Angebot eines Fabrikanten (Geld für Liebesdienste). Die Folge dessen ist Hilfegesuch des lyrischen Ichs an den Himmel/an Gott, um eigene Tugend zu wahren untersuchen die Form des Gedichts, etwa: -   Gedicht weist 7 Strophen mit jeweils 8 Versen auf Seite 4 von 9            Literarischer Text untersuchend (eA)       Erwartungshorizont
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Berufliches Gymnasium                                     Zentralabitur Deutsch eA 2020 -   Metrum: Dreihebiger Jambus mit abwechselnd weiblichen und männlichen Kadenzen -   Reimschema: Kreuzreim, wobei sich aber immer nur der 2. und 4. sowie der 6. und 8. Vers jeder Strophe reimen. Unterstreicht schwierige Situation des lyrischen Ichs, die von Leid, Ungewissheit und Hilflosigkeit geprägt ist -   Form insgesamt: Regelmäßige/ einfache Form – verweist möglicherweise auf soziale Herkunft sowie nicht zufriedenstellende Situation des lyrischen Ichs untersuchen den Inhalt des Gedichts, etwa: -   Überschrift: Lied einer schlesischen Weberin, weckt Assoziation mit Webern als Protagonisten des Weberaufstands von 1844 -   Deren Situation, etwa als Arbeiter oder Aufständische, wird im Gedicht aber nicht thematisiert -   lyrisches Ich tritt als „ich“ in Erscheinung, Titel des Gedichts legt nahe, dass Situation aus Sicht einer schlesischen Weberin dargestellt wird, ist womöglich attraktive, junge Frau -   Adressat ist Gott/der Himmel, der direkt angesprochen und um Hilfe gebeten wird Teilaspekte: -   Erschöpfung des lyrischen Ichs am Abend wird dargestellt, möglicherweise resultierend aus Arbeit in Fabrik -   Leid und Elend des lyrischen Ichs resultieren jedoch primär aus Situation als alleinstehende Frau: Weberin beklagt ihre Situation, Ausweg aus Elend scheint nicht in Sicht, Fabrikant will ihre finanzielle Lage zu eigenen Gunsten ausnutzen, unterbreitet unmoralisches Angebot -   Soziale Isolation: lyrisches Ich hat Vater und Geliebten bereits verloren, trägt Verantwortung für kranke Mutter und Schwester, ist hoffnungslos und weiß keinen Ausweg aus ihrer Lage -   Hilfegesuch an Himmel und Gott verdeutlicht Hilflosigkeit des lyrischen Ichs -   Entwicklung des lyrischen Ichs: Strophen als Stationen der immer geringer werdenden Hoffnung, dass sich an Situation etwas ändern könnte; letzte Strophe als Resümee und negative Folge: wenn Gott nicht helfen kann, soll er Tod der Weberin und ihrer Familie zulassen Seite 5 von 9             Literarischer Text untersuchend (eA)       Erwartungshorizont
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Berufliches Gymnasium                                     Zentralabitur Deutsch eA 2020 untersuchen die sprachliche Gestaltung des Gedichts, etwa: -   Bildfeld Licht/Lichtmetaphorik: Zunächst wird noch von einer Kerze gesprochen, die „trüb flackert“. Schließlich findet lyrisches Ich jedoch „kein Sternlein mehr“ und spricht abschließend davon, dass das Licht „verloschen“ sei. Deutlich wird schrittweise Aufgabe der Hoffnung auf Besserung der elenden Situation -   Wortfeld Leid/Elend: „in stummer Klage“, „Thränen“, „Elend“, „Schmerz“, „Not und Kummer“, „das Wehe“ dient der Hervorhebung der leidvollen emotionalen Lage des lyrischen Ichs -   Personifikation: „Der Mond in stummer Klage/ Durchs stille Strohdach schaut“ veranschaulicht, dass das lyrische Ich an Mitleid einer nicht menschlichen Instanz glaubt, evtl. da von menschlicher Seite keine Unterstützung erfolgt -   Hyperbel: „Doch immer heißer fielen,/ die Thränen auf die Händ‘“ unterstreicht, dass das lyrische Ich zunehmend an Situation verzweifelt -   rhetorische Frage: „Hat’s Elend gar kein End?- “, zeigt erneut Verzweiflung, Hilflosigkeit -   Inversionen: „Gestorben ist mein Vater“ und „Nicht wieder ist er kommen“ rücken Tod des Vaters bzw. Verlusts des Geliebten in den Vordergrund -   Antithetik: „jung und schön“ versus „bleich und traurig“ zeigt, dass Außenstehende elende Situation des lyrischen Ichs registrieren, die objektiv nicht mit dessen Alter und Äußerem zusammenzupassen scheint (Kontrastierung) -   Verwendung des Imperativs: In Folge des unmoralischen Angebots des Fabrikanten wendet sich das lyrische Ich hilfesuchend an den Himmel, Imperativ zeigt Entschlossenheit, Tugend nicht aufgeben zu wollen: „sei […] gerecht“, „lasse mir mein Elend“, „mache mich nicht schlecht“, „O lasse mich nicht sinken“ -   Kausalitätsbezug: „Kannst du, o Gott, nicht helfen.“, scheint hier Aussagesatz (s. Interpunktion), verdeutlicht Zweifel an Hilfe Gottes, erneute Verwendung des Imperativs: „So lass' uns lieber gehen“, zeigt, dass das lyrische Ich, wenn Hilfe durch Gott nicht möglich ist, lieber sterben möchte Seite 6 von 9             Literarischer Text untersuchend (eA)       Erwartungshorizont
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Berufliches Gymnasium                                    Zentralabitur Deutsch eA 2020 beziehen ihr Wissen über das 19. Jahrhundert mit ein, etwa: -   Epoche des Vormärz: Zeit der politischen Opposition gegen Feudalherrschaft und wirtschaftlich-sozialen Verelendung der Arbeiterklasse während der industriellen Revolution -   Weberaufstand im Jahre 1844, als schlesische Weber gegen schlechte Löhne protestierten, Gedicht zeigt jedoch entgegen vieler anderer Texte aus dieser Zeit die private, elende Situation eines Individuums -   Besonders deutlich wird die problematische Rolle der Frau, welche aufgrund prekärer sozialer und finanzieller Verhältnisse zum Objekt eines einflussreichen Mannes wird, der ihre Lage für sich auszunutzen versucht. Anforderungsbereiche I und II Aufgabe 2: Im §1 des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ heißt es im Jahr 1865: „Der Allgemeine deutsche Frauenverein hat die Aufgabe, für die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen ihrer Entfaltung entgegenstehenden Hindernissen mit vereinten Kräften zu wirken.“ Überprüfen Sie, ausgehend von der Situation der Frau im Gedicht, die Bedeutung von Fraueninteressenvertretungen historisch und heute. Die Schülerinnen und Schüler können bei der Auseinandersetzung mit Texten deren historische, kulturelle, philosophische, politische oder weltanschauliche Bezüge, auch in ihrer Relevanz für die Arbeitswelt, verdeutlichen (Bildungsstandards 2.2.2). Die Schülerinnen und Schüler … -   erläutern das Zitat zunächst in eigenen Worten. -   überprüfen, ausgehend von der Situation der Frau im Gedicht, die Bedeutung von Fraueninteressenvertretungen historisch und heute, etwa: -   Frau im Gedicht ist wegen prekärer Erwerbssituation und Lebensumstände (allein verantwortlich für kranke Mutter und Seite 7 von 9            Literarischer Text untersuchend (eA)       Erwartungshorizont
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Berufliches Gymnasium                                    Zentralabitur Deutsch eA 2020 Schwester, Vater und Geliebter tot) der sexuellen Belästigung des Fabrikanten ausgesetzt -   Fabrikant erkennt missliche Lage und nutzt ihre aus, ihr Wunsch ist es jedoch, die eigene Tugend zu wahren. Sie sieht Selbstmord als einen möglichen Ausweg aus der Situation. -   Rasant ansteigende Frauenarmut wird vom Frauenverein als zentrales Problem erkannt, eigenständige Erwerbsmöglichkeiten für Frauen sollten realisiert werden. -   Mangelnde Bildungssituation der Frauen wird als Barriere für ein unabhängiges Leben erkannt. -   Bedeutung des Frauenvereins ist mit Blick auf die Frau im Gedicht als sehr hoch einzuschätzen. -   Situation der schlesischen Weberin zeigt, dass begrenzte finanzielle Möglichkeiten Raum für Ausbeutung und Unterdrückung liefern. Bedeutung von Fraueninteressenvertretungen heute: -   Differenzen zur Situation der Frau im 19. Jahrhundert: Frauen ist Bildung inzwischen frei zugänglich, sie haben die Möglichkeit, am Arbeitsmarkt und dem öffentlichen Leben teilzunehmen. -   Bestrebungen der emanzipatorischen Bewegung des 19. Jahrhunderts haben Wirkung gezeigt. -   Deutschland hat im weltweiten Vergleich bereits hohes Maß an Gleichstellung zwischen Frau und Mann erreicht. -   Politische Bestrebungen (z. B. Elterngeld, Kinderbetreuung, Frauenquote), um Frauen bessere Chancen am Arbeitsmarkt zu verschaffen, sind existent. -   Der Anteil der erwerbstätigen Frauen steigt. -   Ungleichheiten bestehen jedoch weiterhin: Frauen sind deutlich häufiger in Teilzeit tätig, Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ausschlaggebender Faktor. -   In der Privatwirtschaft ist nur ein geringer Anteil der Führungsposten mit Frauen besetzt, trotz Initiativen wie der Frauenquote. -   Der Unterschied zwischen durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen von Männern und Frauen ist nach wie vor nachweisbar („Gender Pay Gap“). -   Notwendigkeit von Fraueninteressenvertretungen ist heute, trotz stark veränderter Situation, somit nach wie vor gegeben. Anforderungsbereiche II und III Seite 8 von 9            Literarischer Text untersuchend (eA)       Erwartungshorizont
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Berufliches Gymnasium                                 Zentralabitur Deutsch eA 2020 Bewertungskriterien für die Noten „gut“ und „ausreichend“ Die Note „gut“ verlangt - bei Schwerpunktsetzungen - die differenzierte und kompetente Erfüllung des Erwartungshorizontes, ohne jedoch auf Vollständigkeit im Detail zu drängen. Die sprachlich-stilistische Gestaltung der Arbeit muss flüssig, korrekt sowie verständlich und der Aufbau klar gegliedert sein. Für die Note „ausreichend“ genügt es, wenn unter Anwendung grundlegender Verfahren, Begriffe und Darstellungstechniken, die Fragestellungen und Sachverhalte im Ansatz treffend bearbeitet werden. Die Gedankengänge sollten nachvollziehbar entwickelt und verständlich formuliert sein. Der Aufbau muss erkennbar geordnet, der Stil verständlich und die sprachliche Gestaltung nachvollziehbar sein. Seite 9 von 9         Literarischer Text untersuchend (eA)       Erwartungshorizont
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