WD 2 -142/06 Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika 1985 - 2005

Auswärtiges, Völkerrecht, Verteidigung, Menschenrechte

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Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika 1985 - 2005 - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag                     WD 2 -142/06
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Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika Ausarbeitung WD 2 -142/06 Abschluss der Arbeit: 9. August 2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag.
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Inhaltsverzeichnis                                                Seite 1.         Einleitung                                                   4 2.         Struktur- und Entwicklungsprobleme in Lateinamerika          6 3.         Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit Deutschlands mit Lateinamerika                                            9 3.1.       Lateinamerika                                                9 3.2.       Zentralamerika                                              11 3.3.       Indigene Bevölkerungsgruppen                                11 3.4.       Finanzieller Umfang der Zusammenarbeit im Überblick         13 4.         Maßnahmen               und          Projekte       der Entwicklungszusammenarbeit                                  15 4.1.       Zusammenarbeit mit den Staaten im Einzelnen                 17 4.1.1.     Argentinien                                                 17 4.1.2.     Bolivien                                                    18 4.1.3.     Brasilien,                                                  19 4.1.4.     Chile                                                       20 4.1.5.     Costa Rica,                                                 21 4.1.6.     Dominikanische Republik                                     22 4.1.7.     Ecuador                                                     23 4.1.8.     .El Salvador,                                               24 4.1.9.     Guatemala                                                   25 4.1.10.    Haiti                                                       27 4.1.11.    Honduras                                                    28 4.1.12.    Kolumbien                                                   29 4.1.13.    Mexiko                                                      30 4.1.14.    Nicaragua                                                   31
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4.1.15. Paraguay                                         32 4.1.16. Peru                                             33 4.1.17. Uruguay                                          34 4.2.    Evaluierungen                                    34 5.      Literaturverzeichnis                             37 6.      Weiterführende Links zur Lateinamerika-Forschung 39
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-4- 1.            Einleitung 1 Die 37 Staaten , die zu Lateinamerika gezählt werden, „bilden keineswegs eine einheit- liche Region, sondern bestenfalls einen Kulturraum mit gemeinsamen historischen Er- fahrungen.“ (Grabbendorf 2003) Lateinamerikawissenschaftler betonen die Notwendig- keit, trotz vorhandener regionaler und subregionaler Gemeinsamkeiten bei sozioökono- mischen, soziokulturellen und politischen Merkmalen, „auch die nicht minder relevan- ten Unterschiede zwischen den einzelnen Gesellschaften“ zu berücksichtigen: „Gerade auf der politischen Ebene zeigt sich immer wieder, dass jeder Versuch, die latein- oder auch nur die südamerikanischen Länder über einen Kamm zu scheren, früher oder spä- ter von der Wirklichkeit eingeholt wird. … Lateinamerika ist aber mehr als die Ge- schichte und Entwicklung seiner Teileinheiten, Lateinamerika ist ebenso die Entwick- lung seiner Position in der Welt, in den UN, zu anderen Regionen und die Beziehungen der Länder der Region untereinander. Dazu gehören insbesondere auch die Versuche lateinamerikanischer und subregionaler Integration. Es sind im Wesentlichen die inter- nationalen und intralateinamerikanischen Bezüge, die einen politischen Begriff Latein- amerika zu konstituieren vermögen. Auf einer bestimmten Abstraktionsebene der Ana- lyse bildet Lateinamerika eine Einheit, ein Subsystem, das mit bestimmten Problemen konfrontiert ist, die alle seine Teileinheiten betreffen.“ (Nohlen, Thibaut 1992: 15ff.) Ziel der deutschen Entwicklungspolitik ist es, zur Verbesserung der ökonomischen, so- zialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in den Partnerländern beizutragen. Im 2 Bezug auf Lateinamerika richtet sich die Zusammenarbeit – mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung in den einzelnen Ländern und im Verlauf der jeweiligen Zusam- menarbeit – auf folgende Bereiche:     Bekämpfung der Armut,     Umwelt- und Ressourcenschutz,     Konsolidierung der Demokratie / Modernisierung von Staat und Gesellschaft. 1    Dies sind: Mexiko (auf dem nördlichen Teil des amerikanischen Kontinents), in Zentralamerika die Staaten Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama, in der Karibik die Do- minikanische Republik, Kuba, Puerto Rico, Haiti, Jamaika, Trinidad und Tobago, Bahamas, Turks- und Caicosinseln, Virgin Islands, St. Kitts und Nevis, Antigua und Barbuda, Guadeloupe, Martini- que, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Barbados, Grenada, in Südamerika die Staaten Ar- gentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Französisch-Guyana, Guyana, Kolumbien, Paraguay, Peru, Surinam, Uruguay, Venezuela. 2    Entwicklungszusammenarbeit besteht mit 15 bzw. 16 Staaten Lateinamerikas: GTZ und KfW führen Projekte (Stand: 2006) durch in Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Haiti, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Nicaragua, Pa- raguay, Peru; die KfW arbeitet außerdem noch mit Uruguay sowie mit der BCIE - Banco Centro- americano de Integración Económico und der CAF - Corporación Andina de Fomento.
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-5- Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit, die eingebettet ist in traditionell enge Be- ziehungen Deutschlands zu Lateinamerika in den Bereichen Wirtschaft, Forschung, Technologie, Bildung sowie Kultur, strebt den Abbau der strukturellen Entwicklungs- probleme und der wachsenden sozialen Ungleichheiten in der Region durch das Eintre- 3 ten für soziale Gerechtigkeit, die Förderung demokratischer Systeme einschließlich einer Modernisierung der öffentlichen Verwaltung und der Reform des Justizwesens sowie der Entwicklung des Finanzsystems an. Eine weiteres Aufgabenfeld liegt in der Verbesserung der sozialen Infrastruktur. Dem Umweltschutz und dem nachhaltigen Management der natürlichen Ressourcen kommt aufgrund der globalen Bedeutung der 4 Ökosysteme Lateinamerikas, die mit ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit zur Regulierung des Weltklimas beitragen, ein hoher Stellenwert zu. Eine umfassende Darstellung der Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit Lateinamerika muss daher die Analyse der regionalen Struktur- und Entwicklungsprobleme jeweils mit Länderstudien verbinden, um die nationalen Diffe- renzierungen und Ausprägungen der Entwicklungsprobleme sowie die entsprechenden 5 entwicklungspolitischen Ansätze und Maßnahmen beschreiben zu können. Neben den regionalen Unterschieden gibt es auch innerhalb einzelner Länder große soziale und ökonomische Unterschiede. Da eine solche umfassende Analyse im Rahmen einer Aus- 6 arbeitung der Wissenschaftlichen Dienste nicht möglich ist, basiert die vorliegende Darstellung – im Sinne der von Nohlen/Thienaut konstruierten Abstraktionsebene – auf Grundsatzpapieren und Überblicksarbeiten zur Entwicklungszusammenarbeit mit La- 7 teinamerika , wobei einzelne Projekte – erfolgreiche sowie weniger gelungene – bei den jeweiligen Länderdarstellungen unter Punkt 4 kurz dargestellt werden. 3    Mittlerweile konnten sich zwar in fast allen Staaten Demokratien durchsetzen, doch gibt es in vielen Staaten nach wie vor Defizite bei der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit. Zudem ist das De- mokratieverständnis der Bevölkerung wenig ausgeprägt. Eine erfolgreiche Modernisierung von Staat und Gesellschaft in Lateinamerika hängt aber davon ab, inwieweit die Bürger daran partizipieren können. (GTZ (2005). Lateinamerika und Karibik. http://www.gtz.de/de/aktuell/573.htm. 4    Trotz fortschreitender Umweltzerstörung gibt es in Lateinamerika, mehr als in anderen Kontinenten, noch große Gebiete, die wenig von Menschen beeinflusst sind. 5    Die entwicklungstheoretischen Diskussionen in Lateinamerika und Deutschland und ihre Auswir- kungen auf die konzeptionelle Ausgestaltung der Entwicklungszusammenarbeit kann hier 6    Aufgrund des hohen Zeitaufwandes bzw. des zur Verfügung stehenden Zeitrahmens. 7    Dies sind die Lateinamerika-Konzepte und die entwicklungspolitischen Berichte der Bundesregie- rung sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen, die sich im Überblick mit der Entwicklungszu- sammenarbeit mit Lateinamerika befassen. Weiterführende Informationen lassen sich ermitteln über die Datenbank "Deutschsprachige Lateinamerika-Forschung". Sie ist ein Teilprojekt der von der DFG geförderten Virtuellen Fachbibliothek Iberoamerika. Das Nachschlagewerk "Deutschsprachige Lateinamerika-Forschung" wurde dafür im Wege einer umfangreichen Fragebogenaktion aktualisiert und umfasst jetzt über 1.000 Personen mit einer schwerpunktmäßigen und längerfristigen, wissen- schaftlichen     oder    wissenschaftsrelevanten     Beschäftigung   mit     den    Lateinamerika. (http://webapp.rrz.uni-hamburg.de/~ilas/dlaf/impressum.php?css=cibera&lang=de).
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-6- 2.            Struktur- und Entwicklungsprobleme in Lateinamerika Lateinamerika gehörte in den 60er Jahren zu den expandierenden Regionen der Welt. Vor allem Brasilien und Mexiko hatten lange Zeit hohe Wachstumsraten. Sie galten als Schwellenländer. Auch andere Staaten Lateinamerikas wie Venezuela, Ecuador und Peru schienen sich aufgrund ihrer Ressourcenausstattung (u. a. Öl) gut zu entwickeln. In den 80er Jahren gab es jedoch Rückschläge: 1982 brach die Schuldenkrise (beginnend mit der Zahlungsunfähigkeit Mexikos gegenüber den USA) aus, die dann den ganzen Kontinent erfasste und in eine schwere wirtschaftliche Krise mündete. Externe Kredite konnten nicht mehr oder nur noch um den hohen Preis drastisch sinkender Importe und Investitionen bedient werden. Die Folge waren Rezession und zunehmende Arbeitslo- sigkeit. Die 80er Jahre werden daher auch als „verlorene Dekade“ für Lateinamerika bezeichnet. Ende der 80er Jahre begann eine Phase politischer und ökonomischer Neuorientierung, die sich in einem Wandel hin zu demokratischen Systemen und der Öffnung der Märkte 8 zum Weltmarkt äußerte. In den 90er Jahren zeigten sich Erfolge dieser Neuorientierung in Form von stabileren Volkswirtschaften, die als wieder investitionswürdig galten. En- de der 90er Jahre kam es dann wieder zu Währungs- und Finanzkrisen, die zu einer Zu- nahme der Armut in den Ländern führte: In den letzten Jahren hat sich das Interesse an Lateinamerika insgesamt wieder erhöht aufgrund der dort vorhandenen Bodenschätze und Rohstoffe sowie aufgrund der Tatsa- che, dass einige Staaten wie Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Mexiko und Ve- nezuela zu den fortgeschrittenen Entwicklungsländern (den sog. Schwellenländern) ge- zählt werden. 1999 konstituierte sich der MERCOSUR durch Unterzeichnung des Ver- trages von Asunción, mittels dessen ein Binnenmarkt mehr als 250 Millionen Menschen (Stand 2006) geschaffen worden ist. Ihm gehören die Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela an; assoziierte Staaten sind Bolivien, Chile, Ekua- dor, Kolumbien und Peru. 2001 wurde eine Freihandelszone zwischen den USA und Mexiko gegründet. Hinsichtlich der notwendigen regionalen Differenzierung weist Grabendorff darauf hin, dass Mexiko, Zentralamerika und die Karibik wirtschaftlich de facto immer enger mit 8    Wegen der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Situation in vielen zentral- und südameri- kanischen Ländern während der 70er und 80er Jahre waren die Beziehungen zwischen Europa (EU bzw. die einzelnen Mitgliedssaaten) auf einem Tiefpunkt angelangt. Erst seit politischen und wirt- schaftlichen Veränderungen Ende der 80er Jahre nimmt Lateinamerika in den Beziehungen wieder einen größeren Stellenwert ein. Die Gründe hierfür lagen – nach den beiden großen Ölkrisen in den 70er Jahre – in seinem Rohstoffreichtum sowie in der Demokratisierung vieler Länder seit Beginn der 80er Jahre und dem Beitritt Spaniens und Portugals zur EU.1986. Anfang der 90er Jahre kommt es schließlich durch das Ende des Ost-West-Konfliktes und die Ratifizierung des EU-Vertrags von Maastricht 1992 zu einer neue Ära in den Beziehungen.
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-7- den USA und Kanada verbunden sind. Seit 1994 hat vor allem das Freihandelsabkom- men Nordamerikas (NAFTA) zu diesem Integrationsprozess beigetragen. Südamerika hingegen zerfällt immer mehr in zwei Regionen, die trotz vieler Gemeinsamkeiten in der Entwicklungsproblematik hinsichtlich ihrer Zukunftsaussichten erhebliche Unter- schiede aufweisen: „Die Andenregion von Venezuela über Kolumbien, Ecuador, Boli- vien und Peru befindet sich aus unterschiedlichen nationalen Gründen im Zustand weit- gehender Desintegration. Der Zerfall von staatlicher Autorität, die sozialen und politi- schen Folgen von Drogen- und Guerillakriegen und die Stärkung des politischen Ein- flusses der lange unterdrückten indianischen Minder- bzw. Mehrheiten gehen Hand in Hand mit einer zunehmenden Irrelevanz politischer Parteien und traditioneller Herr- schaftsstrukturen. … Der Cono Sur, also die Staaten Argentinien, Brasilien, Chile, Pa- raguay und Uruguay, galt als die Region mit dem höchsten Entwicklungsstand und Durchschnittseinkommen in Lateinamerika, die in der neunziger Jahren durch die Schaffung der Wirtschaftsgemeinschaft MERCOSUR große Fortschritte erreicht hatte. Finanz- und politische Krisen haben aber auch dort zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Rückschlägen geführt. …Noch vor wenigen Jahren war die Einschätzung der Zukunftschancen Lateinamerikas wesentlich positiver. Die Überwindung von jahrzehn- telanger Militärdiktatur und Unterdrückung, die darauf folgende Demokratisierung so- wie die Liberalisierung der Wirtschaft und zeitweilig überdurchschnittliche Wachstums- raten schienen einen neuen Aufbruch zu signalisieren. Nur zwei Staaten der Region, Kuba und Haiti, blieben ohne funktionierende Demokratie. … Die jüngeren Entwick- lungen in Ecuador, Guatemala, Kolumbien und Venezuela haben nicht nur die Frage nach der unterschiedlichen Ausprägung der Demokratie, sondern vor allem nach der Regierbarkeit dieser Länder überhaupt aufkommen lassen. Korruption und Kriminalität haben in einigen Ländern ein unvorstellbares Ausmaß angenommen. Die großen Reformen Ende der achtziger und während der neunziger Jahre waren als Aufbruch in eine neue wirtschaftliche Zukunft gedacht. Dennoch haben sich in den ver- gangenen 30 Jahren die Auslandsinvestitionen in Lateinamerika halbiert; die Auslands- verschuldung hat sich auf 720 Milliarden US-Dollar verdoppelt, so dass allein ein Drit- tel aller Exporteinnahmen jährlich für den externen Schuldendienst aufgewendet werden muss. Viele Lateinamerikaner stellen sich die Frage, inwieweit der wirtschaftliche Fort- schritt diejenigen ausgrenzt – und das ist in manchen Ländern die Bevölkerungsmehr- heit –, die daran nicht teilhaben können, weil ihnen die Gesundheit, die Erziehung oder der Arbeitsplatz fehlt. Einen Ausweg sehen viele Lateinamerikaner darin, Arbeit und Auskommen, vor allem aber Zukunftschancen außerhalb ihrer eigenen Gesellschaften zu finden“. (Grabendorff 2003). Auch das Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beschreibt die wichtigsten Entwicklungstrends und –probleme der 1990er
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-8- Jahre in Lateinamerika auf ähnliche Weise: „Die begonnenen marktwirtschaftlichen Reformen haben zu einer Verbesserung einiger makroökonomischer Indikatoren (ins- besondere: Wachstum des Bruttosozialproduktes, Rückgang der Inflation) geführt. Dennoch fällt die Gesamtbeurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung aufgrund be- grenzter inländischer Nachfrage, niedriger Spar- und Investitionsquoten, wachsender Auslandsverschuldung, unzureichender institutioneller Rahmenbedingungen (Banken- aufsicht, Rechnungshöfe), hoher Arbeitslosigkeit und Anzeichen beginnender Rezession weniger positiv aus, als es durch diese Zahlen zum Ausdruck kommt. Lateinamerika bleibt, wie die letzten Jahre gezeigt haben, anfällig für internationale Finanzkrisen. - Lateinamerika ist weltweit die am meisten von sozialen Ungleichheiten geprägte Regi- on. In den 1990er Jahren hat sich die Armutsschere noch weiter geöffnet. Einkommen und Besitz konzentrieren sich zunehmend in den Händen weniger. Durch die steigende Arbeitslosigkeit werden immer mehr Menschen längerfristig vom Wirtschaftsprozess ausgeschlossen. Opfer der Ungleichheiten sind in besonderer Weise die sozial Schwa- chen (Frauen, Kinder, Alte, Jugendliche) und diskriminierte Ethnien (Afroamerikaner, Indigene). Armut ist zunehmend auch städtisch. Obgleich Umweltpolitik an Bedeutung gewinnt, schreitet die Umweltzerstörung weiter fort. Das wirtschaftliche Wachstum war nicht auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet. Die Wertverluste und Folgekosten werden negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung zurückwirken. Armut ist sowohl Ursache als auch Folge der Umweltzerstörungen. Naturkatastrophen wurden durch verantwortungslosen Umgang mit der Umwelt verstärkt und zum Teil sogar ausgelöst. Die städtisch-industrielle Umweltverschmutzung nimmt vor allem in Ballungsräumen beängstigende Ausmaße an. Die Gesellschaften Lateinamerikas sind demokratischer geworden. Ein neues Ver- ständnis von der Rollenverteilung zwischen Staat und Privatsektor entwickelt sich. Die Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft nehmen zu. Der Rückzug des Staates hin- terlässt aber oft ein Vakuum, das durch die Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft nicht ausgefüllt wird. Die Demokratien sind zwar formal eingerichtet, doch noch immer bestehen Defizite wie korrupte Bürokratien, schwach ausgeprägte Gewaltenteilung, ab- hängige Justiz und fehlende Rechtssicherheit. Vor allem durch den fehlenden sozialen Fortschritt gerät die Demokratie in Misskredit. … Minderheitenrechte sind formal stärker verankert worden, erstrecken sich aber nicht immer auf alle betroffenen Gruppen und werden häufig nicht in ausreichendem Maße umgesetzt. Die Interessen indigener Völker – insbesondere ihre Rechte auf kulturelle und sozioökonomische Eigenständig- keit – sind nicht ausreichend gewahrt. … Städtische Armut und Perspektivlosigkeit Jugendlicher sind nach wie vor die Hauptursache von organisierter Kriminalität, ins- besondere im Drogenbereich und von Kinderprostitution.“ (Konzept für die entwick- lungspolitische Zusammenarbeit mit den Ländern Lateinamerikas 2000: 3ff.).
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-9- Die Ursachen sowie die Ansätze zur Überwindung der Entwicklungsprobleme in La- teinamerika werden in der wissenschaftlichen und entwicklungstheoretischen Literatur 9                      10 in Deutschland und international ausführlich diskutiert. Sie haben ihren Niederschlag auch in den Grundsatzpapieren der Bundesregierung, die sich auf die Zusammenarbeit mit Lateinamerika beziehen, gefunden. 3.            Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit Deutschlands mit Latein- amerika Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat seinen Beitrag zur Bewältigung der Entwicklungsprobleme der Region in seinen Lateinamerika-Konzepten bzw. seinem Strategiepapier zur Entwicklungszusammenar- beit mit Zentralamerika sowie in einem Konzept zur Zusammenarbeit mit den indigenen Bevölkerungsgruppen Lateinamerikas dargelegt. Diese Papiere datieren aus Anfang und 11 Mitte der 90er Jahre sowie aus 2000 bzw. 2002. : Für den Zeitraum vor 1995 haben 12 sich keine Grundsatzpapiere ermitteln lassen. 3.1.          Lateinamerika 13 Insgesamt gibt es für den Zeitraum von 1985 bis 1990 nur wenige offizielle Angaben: So heißt es in den entsprechenden Passagen des 8. Entwicklungspolitischen Berichtes: der Bundesregierung (BT-Drs. 11/7313)lediglich knapp, dass die Bundesregierung der Zusammenarbeit mit Lateinamerika nunmehr verstärkte Aufmerksamkeit zukommen lasse. Auch in Äußerungen von 1988 wird diese Aussage wiederholt, was sich auch in 14 der Zunahme der BMZ-Mittel für die Region äußert. 15 Für den Zeitraum ab 1995 stellt das eher knapp gehaltene Lateinamerikakonzept der Bundesregierung, das sämtliche Aspekte der Zusammenarbeit (Politik, Wirtschaft, Kul- tur, Wissenschaft, Forschung, Entwicklung u. a. m.) mit Lateinamerika beschreibt, fest, dass die Schwerpunkte der Zusammenarbeit in den Bereichen Armutsbekämpfung, 9    Siehe dazu vor allem Messner (1998) und Sangmeister (1999-2006). 10   Siehe dazu die Hinweise unter Punkt 8. 11   Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung (BT-Drs. 13/1479 vom 23.06.1995); Konzept für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit den Ländern Lateinamerikas (2000) [Anlage 4]. Kon- zept zur Entwicklungszusammenarbeit mit indianischen Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika (1996, Aktualisierung 2006); Konzept für überregionale Vorhaben der EZ in Lateinamerika und der Karibik; Entwicklungszusammenarbeit mit Zentralamerika (BMZ Spezial 060, Oktober 2002) [An- lage 5]. 12   Eine entsprechende Anfrage beim BMZ hat ebenfalls keine weiteren Informationen ergeben. Infor- mationen finden sich im 6. und 7. entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung, auf die hier zurückgegriffen wird. 13   Die Entwicklungszusammenarbeit der DDR mit Lateinamerika bleibt hier unberücksichtigt. 14   Ausführlich dazu und zu den Kriterien der Vergabe der Mittel an die einzelnen lateinamerikanischen Staaten im Zeitraum 1985-1995 siehe Sangmeister 1996 (6). 15   Insgesamt nur 14 Seiten.
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