bayern-Schuberl-Celina-2018 J

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- 21 - Schreiben wird der Verurteilte ausdrücklich auf die Möglichkeit der Ratenzahlung sowie der Zahlungsstundung und der Ableistung der Geldstrafe durch gemeinnüt- zige Arbeit hingewiesen. Das Erfordernis der Übersendung einer letztmaligen Zah- lungsaufforderung ist dabei gesetzlich nicht vorgeschrieben. Gleichwohl ist es in Bayern gängige Praxis aller Vollstreckungsbehörden, eine solche letztmalige Zah- lungsaufforderung mit den entsprechenden Hinweisen an den Verurteilten zu ver- senden. Nach fruchtlosem Ablauf der Zahlungsaufforderung und ausbleibender Reaktion des Verurteilten werden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zur Beitreibung der Geldstrafe veranlasst. Die Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe setzt grundsätzlich einen Vollstreckungs- versuch in das Vermögen des Verurteilten voraus, § 459e Abs. 2 StPO. Liegen noch keine Anhaltspunkte über pfändbare Konten oder anderweitige Ver- mögenswerte des Verurteilten vor, erfolgt in der Regel eine Beauftragung des Ge- richtsvollziehers zur Erholung einer Vermögensauskunft des Verurteilten, §§ 459 StPO, 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, 802c ZPO, sowie von Auskünften Dritter über das Vermögen des Schuldners, §§ 459 StPO, 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, 802l ZPO. Das Vermögensverzeichnis liefert Anhaltspunkte dazu, ob pfändbare Vermögens- werte beim Verurteilten vorhanden sind. Weiterhin können zusätzlich bei der Ren- tenversicherung Informationen über den Arbeitgeber erholt und ggfs. im Anschluss eine Pfändung des Arbeitseinkommens versucht werden. Bleiben die Vollstreckungsversuche unter den genannten Voraussetzungen erfolg- los, kann die Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet werden; der Verurteilte ist anschlie- ßend zu laden, § 459e Abs. 1 und 2 StPO. Vor Anordnung der Ersatzfreiheits- strafe schaltet die Staatsanwaltschaft, sofern dies aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles erforderlich erscheint, zusätzlich die Gerichtshilfe ein, um die per- sönlichen Lebensverhältnisse der verurteilten Person zu eruieren. Der Verurteilte ist bei der Ladung zum Strafantritt auf die Möglichkeit der Tilgung der Geldstrafe durch gemeinnützige Arbeit hinzuweisen, § 32 Abs. 1 Satz 1 Baye- rische Gnadenordnung (BayGnO). Die Ladungsfrist ist in diesem Fall auf drei Wo- chen festzusetzen, § 32 Abs. 2 Satz 2 BayGnO.
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- 22 - Nach erfolglosem Verstreichen der Ladungsfrist ist ein Vollstreckungshaftbefehl zu erlassen, § 457 StPO, § 33 StVollstrO. Unabhängig hiervon kann der Verurteilte die Vollziehung des Vollstreckungshaftbefehls mittels Begleichung der ausstehen- den Geldstrafe abwenden, § 459e Abs. 4 Satz 1 StPO. Vor Erlass des Vollstreckungshaftbefehls hat der Verurteilte grundsätzlich in je- dem Stadium des Vollstreckungsverfahrens die Möglichkeit, gemeinnützige Arbeit oder Ratenzahlung zu beantragen. Bei der Bewilligung der Ratenzahlung ist der Grundsatz der nachdrücklichen Voll- streckung zu beachten, § 2 Abs. 1 StVollstrO. Dies bedeutet, dass die Vollstre- ckung der Geldstrafe in der Regel nicht länger als ein Jahr bzw. maximal zwei Jahre dauern soll. Welche Ratenhöhe in einem Vollstreckungsverfahren als adä- quat angesehen werden kann, richtet sich immer nach dem Grundsatz der nach- drücklichen Vollstreckung. Insbesondere bei Sozialhilfeempfängern wird die Voll- streckungsdauer in der Regel auf die maximale Länge von zwei Jahren ausge- dehnt. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die verhängte Geldstrafe nicht durch eine einmalige Zahlung in voller Höhe getilgt werden muss. Vielmehr besteht die Möglichkeit der Ratenzahlung bzw. -Stundung, sodass die Vollstre- ckungsbehörde stets auf die individuellen finanziellen Verhältnisse der verurteilten Person eingeht. Darüber hinaus kann in besonderen Härtefallen, beispielsweise wenn die gesund- heitliche Situation des Verurteilten dies gebietet, ein Unterbleiben der Vollstre- ckung der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 459f StPO durch das Gericht angeordnet werden, was einen Strafaufschub bewirkt. Die Entscheidung wird dabei in richterli- cher Unabhängigkeit getroffen. Soweit die Fragen 6.1. und 6.2. Maßnahmen zur Abwendung der Ersatzfreiheits- strafe während der Haft ansprechen, wird auf die Ausführungen unter 6.3. Bezug genommen.
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- 23 - Frage 6.3.: Wie bewertet die Staatsregierung die Möglichkeit, einen entsprechenden Informa- tions- und Beratungsanspruch im BayStVollzG gesetzlich zu verankern, wie es z. B. in Nordrhein-Westfalen oder Berlin geschehen ist (siehe § 4 V des StVollzG NRW und § 3 VIII des Berliner StrafVollzG)? Antwort: Auch die Justizvollzugsanstalten haben ein Interesse daran, dass der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen nach Möglichkeit vermieden wird. Gefangene, gegen die eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen ist, werden bereits im Aufnahmeverfahren (Art. 7 Abs. 2 BayStVollzG) von den zuständigen Bediensteten der Justizvollzugs- anstalten auf die Möglichkeit der vollständigen oder teilweisen Abwendung der Er- satzfreiheitsstrafe hingewiesen. Sofern die Bereitschaft der betroffenen Gefange- nen hierzu besteht, wird ihnen im Rahmen der Gewährung von sozialen Hilfen durch die Fachdienste beispielsweise Gelegenheit gegeben, mit Angehörigen oder Kreditinstituten zu telefonieren. Auch weitergehende Maßnahmen, wie Ausführun- gen zu Kreditinstituten mit dem Ziel der Tilgung der der Ersatzfreiheitsstrafe zu- grunde liegenden Geldstrafe, sind denkbar. Da es bereits jetzt Praxis ist, dass die Justizvollzugsanstalten die Gefangenen auf Grundlage der bestehenden Regelungen des BayStVollzG eigeninitiativ über die bestehende Möglichkeit der Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe während der Haft informieren, ist eine entsprechende gesetzliche Änderung nicht notwendig. Es spricht aber auch nichts gegen eine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Das Staatsministerium der Justiz wird daher anlässlich einer Überarbeitung des BayStVollzG eine Regelung aufnehmen, wonach mit Gefangenen, gegen die eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen ist, frühzeitig die Möglichkeiten einer Haftverkür- zung zu erörtern sind. Bis zum Inkrafttreten einer solchen gesetzlichen Regelung wird dies in einer Verwaltungsvorschrift zu Art. 77 BayStVollzG entsprechend ge- regelt werden. Frage 7.1.:
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- 24 - Wie groß Ist der Stau an Haftantritten in Bezug auf den Vollzug von Ersatzfrei- heitsstrafen durch die Aussetzung dieser im Frühjahr 2020 aufgrund der Corona- Pandemie? Frage 7.2.: Wie plant die Staatsregierung die angesammelten Ersatzfreiheitsstrafen abzu- bauen? Frage 7.3.: Welche Erfahrungen hat die Staatsregierung durch das Aussetzen der Ersatzfrei- heitsstrafe gesammelt? Antwort: Die Fragen 7.1., 7.2. und 7.3. werden aufgrund Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Im Zeitraum vom 16. März 2020 bis 12. August 2020 wurde zur Entlastung der bayerischen Justizvollzugsanstalten im Rahmen der Corona-Pandemie die Voll- streckung von Ersatzfreiheitsstrafen vollständig ausgesetzt, um die Justizvollzugs- anstalten zu entlasten und notwendigen Raum für Quarantänemaßnahmen zu schaffen. Die von der Aussetzung betroffenen Verfahren wurden zur Ermöglichung einer statistischen Erfassung markiert. Im Anschluss erfolgte eine sukzessive Wiederaufnahme der Ersatzfreiheitsstrafen- vollstreckung, aufgrund derer eine Überlastung der Justizvollzugsanstalten ver- mieden und zugleich die Zahl der zur Vollstreckung anstehenden Verfahren sub- stantiell abgebaut wurden: •    Auf Grundlage des justizministeriellen Schreibens (JMS) vom 12. August 2020 wurde die beschränkte Wiederaufnahme der Vollstreckung von Er- satzfreiheitsstrafen ermöglicht, wobei der Erlass neuer Vollstreckungshaft- befehle bei Ersatzfreiheitsstrafen weiterhin zurückgestellt wurde. Auch
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- 25 - insoweit wurde allerdings bei drohender Vollstreckungsverjährung oder wenn dies im Einzelfall aus spezialpräventiven Gründen geboten ist, der Erlass von Vollstreckungshaftbefehlen ermöglicht. •   Auf Grundlage des JMS vom 10. Februar 2021 wurde darüber hinaus der Erlass von Vollstreckungshaftbefehlen bei angeordneter Ersatzfreiheits- strafe wieder vorgesehen, wenn ein Geldstrafenschuldner zu insgesamt mindestens 90 Tagessätzen verurteilt wurde oder - unabhängig von der Tagessatzanzahl - über einen Wohnsitz im Ausland verfügt. •   Gemäß JMS vom 21. Juli 2021 wurde zusätzlich - nach Maßgabe einer monatlichen Staffelung bis Mai 2022 - bei den anstehenden Vollstre- ckungsverfahren aus dem Zurückstellungszeitraum März 2020 bis Juni 2021 unabhängig von der Tagessatzhöhe der Erlass von Vollstreckungs- haftbefehlen ermöglicht. Darüber hinaus konnten ab diesem Zeitpunkt in allen anstehenden Vollstreckungsverfahren Vollstreckungshaftbefehle un- abhängig von der Tagessatzanzahl erlassen werden, wenn die verurteilte Person unbekannten Aufenthalts ist. Nachdem zunächst vor Beginn des Abbaus der pandemiebedingt zurückgestellten Vollstreckungsverfahren bayernweit mit Stand 24. Juni 2021 12.960 solcher mar- kierter Fälle aufgelaufen waren, konnte in der Folge des JMS vom 21. Juli 2021 die Zahl der noch zur Wiederaufnahme der Vollstreckung anstehenden Verfahren auf 11.959 (Erhebung am 29. November 2021) verringert werden. Die Gesamtzahl konnte also in rund vier Monaten bereits um über 1.000 Verfahren reduziert wer- den. Betont sei in diesem Zusammenhang, dass die letztgenannte Zahl nicht einer ent- sprechenden Zahl vollstreckter Ersatzfreiheitsstrafen entspricht, da erfahrungsge- mäß eine hohe Zahl von Verfahren noch vor Antritt einer Ersatzfreiheitsstrafe durch Zahlung oder im Rahmen der Haftvermeidungsprogramme durch gemein- nützige Arbeit erledigt wird. Die Reduzierung der zurückgestellten Verfahren geht also - selbst nach Ausstellung eines Vollstreckungshaftbefehls - nur in einem Bruchteil der Fälle mit einem tatsächlichen Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafe ein- her.
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- 26 - Aufgrund des sich wieder verschärfenden Pandemiegeschehens wurde mit JMS vom 30. November 2021 angeordnet, dass die im JMS vom 21. Juli 2021 für den Zeitraum ab Dezember 2021 vorgesehene Ausschreibung von Vollstreckungshaft- befehlen in den markierten Verfahren, die aus dem Zeitraum ab Oktober 2020 stammen, ausgesetzt werden muss. Um der zu erwartenden, kurz- und mittelfristig hochdynamischen Pandemieent- wicklung aufgrund der „Omikron-Variante“ entgegenzuwirken, wurde mit JMS vom 22. Dezember 2021 - ähnlich wie schon im März 2020 - die Vollstreckung von Er- satzfreiheitsstrafen abermals aufgeschoben. Infolge dieser aktuellen Maßnahmen sind zum Stichtag 1. Februar 2022 13.638 markierte Verfahren erfasst. Sobald das Infektionsgeschehen abflacht, ist erneut eine stufenweise Wiederauf- nahme der Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung - ähnlich dem oben dargestellten Schema - vorgesehen. Die Maßnahme, Personen, die einen Jugendarrest, eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen, vorübergehend nicht zum Strafantritt zu laden, hat ihr Ziel erreicht. Es stand hierdurch stets eine ausreichende Anzahl an freien Haftplätzen, z. B. zur Einrichtung von Quarantäne- abteilungen, zur Verfügung. So lag die Gefangenenzahl am 31. Januar 2022 bei 9.071. Die Gesamtbelegungskapazität der 36 bayerischen Justizvollzugsanstalten lag am gleichen Tag bei 12.035 Haftplätzen. Somit verfügten die bayerischen Jus- tizvollzugsanstalten über knapp 25 Prozent freie Kapazitäten. Frage 8.1.: Welche Kenntnisse hat die Staatsregierung über die soziale Lage, in der sich die von Ersatzfreiheitsstrafe Betroffenen befinden (familiäre Struktur, fester Wohnsitz, gesundheitliche Situation, Berufstätigkeit, Bezug von Sozialleistungen, finanzielle Probleme etc.)?
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- 27 - Frage 8.2.: Hat die Staatsregierung Erkenntnisse darüber, ob und welche Auswirkungen der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe auf das Berufs- und Familienleben der von Er- satzfreiheitsstrafe Betroffenen hat? Frage 8.3.: Falls keine Kenntnisse über die Fragen 8.1. und 8.2. vorliegen, wie bewertet die Staatsregierung die Möglichkeit einer Studie zu diesen Themen wie etwa die em- pirische Aktenanalyse ”Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfa- len” vom Kriminologischen Dienst des Landes NRW im Jahr 2018? Antwort: Die Fragen 8.1., 8.2. und 8.3. werden aufgrund Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Für den Freistaat Bayern liegen keine Erkenntnisse/Daten zu den Lebenslagen der von einer Ersatzfreiheitsstrafe Betroffenen vor. Im Zuge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Prüfung alternativer Sanktionsmöglich- keiten - Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 43 StGB“ fand allerdings eine umfassende Evaluation der Ersatzfreiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen statt, in deren Rahmen auch die soziale Situation der von einer Ersatzfreiheitsstrafe Be- troffenen sowie die Auswirkungen einer Ersatzfreiheitsstrafe auf deren Lebensfüh- rung untersucht worden sind. Die Ergebnisse sind in den Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2019 eingeflossen. Vor diesem Hinter- grund bestehen derzeit keine Überlegungen, eine gesonderte empirische Analyse der Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung in Bayern durchzuführen, zumal die Bund- Länder-Arbeitsgruppe abgeschlossen wurde. Mit vorzüglicher Hochachtung gez. Georg Eisenreich, MdL Staatsminister
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