WD 2 - 005/15 UNESCO-Kulturkonvention und TTIP

Auswärtiges, Völkerrecht, Verteidigung, Menschenrechte

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Wissenschaftliche Dienste Sachstand UNESCO-Kulturkonvention und TTIP Roman Schmidt-Radefeldt © 2015 Deutscher Bundestag       WD 2 - 3000 - 005/15
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Wissenschaftliche Dienste                Sachstand                                                          Seite 2 WD 2 - 3000 - 005/15 UNESCO-Kulturkonvention und TTIP Verfasser:                         Regierungsdirektor Priv.-Doz. Dr. Roman Schmidt-Radefeldt Aktenzeichen:                      WD 2 - 3000 - 005/15 Abschluss der Arbeit:              20. Januar 2015 Fachbereich:                       WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon:                           +49 (30) 227-38622 Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin.
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Wissenschaftliche Dienste           Sachstand                          Seite 3 WD 2 - 3000 - 005/15 Inhaltsverzeichnis 1.          Das EU-Verhandlungsmandat für TTIP und die kulturelle Ausnahme                                                 4 2.          Schutz der kulturellen Vielfalt durch die UNESCO- Kulturkonvention von 2005                                5 3.          Potentielle Streitigkeiten auf der Grundlage der UNESCO- Kulturkonvention                                         6 4.          Ausblick                                                 8 5.          Literaturhinweis                                         8
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Wissenschaftliche Dienste               Sachstand                                                             Seite 4 WD 2 - 3000 - 005/15 1.    Das EU-Verhandlungsmandat für TTIP und die kulturelle Ausnahme Im Zuge der Verhandlungen über das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP sind u.a. von Vertretern deutscher Kulturorganisationen (z.B. vom Deutschen Kulturrat) Befürch- tungen über einen „Ausverkauf“ der kulturellen Vielfalt Europas durch TTIP laut geworden. Das bestehende hohe Schutzniveau für den Kultur- und Medienbereich der EU, so die Forderung, dürfe nicht zugunsten der USA aufgeweicht werden. Gefordert wird in diesem Zusammenhang 1 vor allem eine Nichteinbeziehung des Bereichs der kulturellen Bildung, der Kultur und der Me- dien in das EU-Verhandlungsmandat (sog. „kulturelle Ausnahme“), so wie dies zum Teil im Rahmen der WTO, der NAFTA und einiger Freihandelsabkommen der EU realisiert ist.                         2 Die Europäische Union hat sich des Schutzes der Kultur im Rahmen von TTIP angenommen.                          3 Am 23. Mai 2013 verabschiedete das Europäische Parlament eine Entschließung zum Verhand- lungsmandat der EU-Kommission über das Handels- und Investitionsabkommen. Darin heißt es: „Das Europäische Parlament hält es für unerlässlich, dass die EU und ihre Mitgliedstaa- ten die Möglichkeit wahren, ihre Politik im kulturellen und audiovisuellen Bereich zu er- halten und weiterzuentwickeln, und zwar im Rahmen ihres Besitzstandes an Rechtsvor- schriften, Normen und Übereinkommen; fordert daher, dass die Ausklammerung von Diensten mit kulturellen oder audiovisuellen Inhalten, auch online, im Verhandlungs- mandat eindeutig festgehalten wird“           4 Am 14. Juni 2013 verabschiedete der EU-Kultusministerrat eine Absichtserklärung zugunsten einer „kulturellen Ausnahme“ bei TTIP. Für den audiovisuellen Bereich hat die EU- 5 Kommission eine (Teil-)Ausnahme vom Verhandlungsmandat konzediert: 1     http://www.kulturrat.de/detail.php?detail=2865. Aufschlussreich insoweit die Materialiensammlung des Deut- schen Kulturrates zu TTIP mit zahlreichen, zum Teil kontroversen Beiträgen zum Thema unter: www.kulturrat.de/dokumente/ttip-dossier-sep-2014.pdf. 2     Vgl. dazu näher Bartsch, Marlen, The Return of the Cultural Exception and its Impact on International Agree- ments, in: Global Media Journal 2014, S. 4 f. - Anlage 2. 3     Vgl. EU-Kommission, TTIP and Culture (2014), Anlage 1. Informationen, Analysen und Statements zum Thema „TTIP and the cultural exception“ finden sich auf der Homepage des European Parliament Research Service http://epthinktank.eu/2014/08/29/ttip-and-the-cultural-exception/. 4     Dok. P7_TA(2013)0227, Rdnr. 11, auf Deutsch verfügbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2013- 0227+0+DOC+XML+V0//DE. 5     http://www.produzentenallianz.de/presseschau/einzelansicht/article/ttip-ministerrat-beschliesst-kulturelle- ausnahme.html.
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Wissenschaftliche Dienste               Sachstand                                                                Seite 5 WD 2 - 3000 - 005/15 “The TTIP negotiating mandate the EU Member States gave the European Commission expressly excluded the opening of the European audiovisual sector to competition from US firms. This means the Commission is not allowed to negotiate commitments in the sec- tor and that TTIP will clearly exclude audiovisual services from any provisions granting access to EU markets.”    6 Der Deutsche Kulturrat hält diese Teilausnahme wegen der wachsenden Bedeutung digitaler Plattformen für die Wertschöpfung im Kultur-, Bildungs- und Mediensektor in Deutschland und in Europa nicht für ausreichend. Es bleibt insoweit abzuwarten, ob weitergehende Forderungen im Verhandlungsergebnis von TTIP Niederschlag finden werden. 2.     Schutz der kulturellen Vielfalt durch die UNESCO-Kulturkonvention von 2005 In der Diskussion über den Schutz der Kultur im Rahmen von TTIP wird immer wieder auf die Bedeutung des Übereinkommens über Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Aus- drucksformen (sog. UNESCO-Kulturkonvention) hingewiesen. Dieses völkerrechtliche Abkom- 7 men wurde von der EU und ihren Mitgliedstaaten – nicht dagegen von den USA – ratifiziert und ist folglich für die Vertragsparteien völkerrechtlich verbindlich. Die Kulturkonvention verpflichtet und berechtigt die Vertragsparteien, „Maßnahmen zu be- schließen, um die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu schützen und zu fördern sowie die internationale Zusammenarbeit zu verstärken, damit die Ziele dieses Übereinkommens erreicht werden“ (Art. 5). Im Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Übereinkünften sieht die UNESCO-Kulturkonvention ein sog. „Unterordnungsverbot“ vor. In Art. 20 Abs. 1 heißt es dazu: Die Vertragsparteien erkennen an, dass sie ihre Verpflichtungen aus diesem Überein- kommen und allen anderen Verträgen, deren Vertragsparteien sie sind, nach Treu und Glauben zu erfüllen haben. Ohne dieses Übereinkommen anderen Verträgen unterzuordnen, (…) berücksichtigen die Vertragsparteien bei der Auslegung und Anwendung anderer Verträge, deren Vertragspar- teien sie sind, oder bei Eingehen anderer internationaler Verpflichtungen die einschlä- gigen Bestimmungen dieses Übereinkommens. 6      EU-Commission, TTIP and Culture, 2014 (Anlage 1), S. 3. 7      Convention on the Protection and Promotion of the Diversity of Cultural Expressions v. 20.10.2005, ratifiziert von Deutschland 2007, BGBl. II 2007, Nr. 6 v. 6.3.2007, S. 234 ff., dt. Übersetzung unter: http://www.unesco.de/konvention_kulturelle_vielfalt.html.
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Wissenschaftliche Dienste                  Sachstand                                                            Seite 7 WD 2 - 3000 - 005/15 Der EU-Mitgliedstaat könnte dem US-Investor nicht entgegenhalten, dass der Marktzugang des US-Unternehmens möglicherweise Bestimmungen der UNESCO-Kulturkonvention verletzt. Insoweit müsste politisch bereits im Vorfeld darauf hingewirkt werden, dass die EU- Kommission im Rahmen der TTIP-Verhandlungen den kulturellen Belangen der EU hinreichend Rechnung trägt – sei es durch eine entsprechende „kulturelle Ausnahmeregelung“ oder einen Vorbehalt im TTIP-Vertrag zugunsten der UNESCO-Kulturkonvention. Entsprechende politische Forderungen sind etwa seitens des Deutschen Kulturrates erhoben worden. Inwieweit sich diese in den Verhandlungen durchsetzen lassen, bleibt abzuwarten. Eine Verletzung rechtlicher Ver- pflichtung durch die EU ist – wie bereits festgestellt – derzeit nicht zu erkennen. Sollte Deutschland (oder das kulturell „sensible“ Frankreich) gleichwohl zu der Auffassung ge- langen, dass die EU-Kommission im Rahmen der TTIP-Verhandlungen ihrer Verpflichtung zur Wahrung der kulturellen Vielfalt (Art. 20 Abs. 1 der UNESCO-Kulturkonvention, „Unterord- nungsverbot“) nicht hinreichend nachkommt, wäre die Inanspruchnahme des Streitbeilegungs- mechanismus der UNESCO-Kulturkonvention zwischen Deutschland und EU theoretisch denk- bar. 9 In der Praxis erscheint dies aber eher unwahrscheinlich, da Deutschland andere, europarechtli- che Möglichkeiten in Erwägung ziehen könnte, um den Abschluss des Freihandelsabkommens TTIP zu verhindern. Gem. Art. 207 Abs. 4a AEUV beschließt der Rat nämlich einstimmig über den Abschluss von Handelsabkommen der EU mit Drittstaaten im Bereich des „Handels mit kul- turellen und audiovisuellen Dienstleistungen, wenn diese Abkommen die kulturelle und sprach- liche Vielfalt in der Union beeinträchtigen könnten“. Mit der Unterwerfung des Handels mit kulturellen Dienstleistungen unter ein Sonderregime schafft der AEUV also eine „exception culturelle“, welche die Außenkompetenz der Union an den politischen Willen jedes einzelnen Mitgliedstaates bindet. Die EU-Mitgliedstaaten haben 10 im Rat ein Veto, wenn es um Freihandelsabkommen geht, die eine „Beeinträchtigung der kultu- rellen Vielfalt“ befürchten lassen. Ob dies der Fall ist oder nicht, ist wiederum vom Rat zu ent- scheiden. Angesichts der weitgehenden Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale wird man den zuständigen Organen einen weiten Beurteilungsspielraum zugestehen müssen.                      11 9      Die Konvention sieht in Art. 25 einen vertragsinternen Streitbeilegungsmechanismus mit abgestuften Maßnah- men vor – beginnend bei der Verhandlungslösung (Abs. 1), über „gute Dienste einer dritten Partei“ (Abs. 2) bis hin zu einem förmlichen „Vergleichsverfahren“ (Abs. 3). 10     Hahn, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV Kommentar, München: Beck, 4. Aufl. 2011, Art. 207, Rdnr. 107. 11     Hahn, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV Kommentar, München: Beck, 4. Aufl. 2011, Art. 207, Rdnr. 115.
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