Urteil-Gerichtsbescheid_14_10_22

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- 11 - oder sonst gerade nicht gebundenen) Ausübung des Begnadigungsrechts „die Wahl, dem Recht seinen Lauf zu lassen oder ihm Einhalt zu gebieten“ (Schätzler, a.a.O., S. 121). Diese Besonderheiten gehen auf eine verfassungsrechtliche Ermächtigung zurück, die es in den Willen bzw. persönliche Entscheidungsfreiheit des Ermächtig- ten stellt, von ihr Gebrauch zu machen, und gebieten es, die Gnadengewalt als eine Gestaltungsmacht besonderer Art zu qualifizieren, wovon auch die ständige verfas- sungs- und höchstgerichtliche Rechtsprechung ausgeht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1969 - 2 BvR 552/63 - juris Rn. 33 f. und - hieran festhaltend - Beschluss vom 12. Januar 1971 - 2 BvR 520/70 - juris Rn. 6; Urteil vom 21. Juni 1977 - 1 BvL 14/76 - juris Rn. 186 f.; Beschlüsse vom 4. April 1984 - 1 BvR 1287/83 - juris Rn. 63, vom 3. Juli 2001 - 2 BvR 1039/01 - juris Rn. 2 und vom 26. Oktober 2006 - 2 BvR 1587/06 - juris Rn. 2; BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1982 - 2 C 50/80 - juris Rn. 25; vgl. weiter Böllhoff, Begnadigung und Delegation, 2012, S. 47 f., 57, 130; Schätzler, a.a.O., S. 122; Reimer, a.a.O., Art. 60 Rn. 69, 82; s.a. Nettesheim, in: Isen- see/Kirchhof, Hdb. des Staatsrechts Bd. III, 3 Aufl. 2005, § 62 Rn. 51). Gnadenent- scheidungen haben politischen Charakter und sind nicht Aufgabe der Verwaltung, sondern Teil der Staatsleitung (vgl. Pflieger, ZRP 2008, 84, 85; Butzer, a.a.O., Art. 60 Rn. 51; Knauff, a.a.O., § 35 VwVfG, Rn. 72; einschränkend Klein, Gnade - ein Fremdkörper im Rechtsstaat, 2001, S. 63 und Mickisch, a.a.O., S. 39; vgl. zur a.A. nur Blaser, Rechtsakt und Gnadenakt im modernen Rechtsstaat, 1962, S. 73 ff.; Birkhoff/Lemke, Hdb. Gnadenrecht, 2012, S. 43 f.; Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 184; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 1 Rn. 196; Eh- lers/Schneider, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 42. EL 2022, § 40 Rn. 121). Sie in den Anwendungsbereich des presserechtlichen Auskunftsanspruchs einzubeziehen, würde faktisch einer Bindung und Beschränkung zumindest nahekommen, deren Schaffung das Grundgesetz selbst dem Gesetzgeber nicht ermöglicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1969 - 2 BvR 552/63 - juris Rn. 33). Aus dem Wortlaut von Art. 60 Abs. 3 GG, der im Zusammenhang mit der Delegati- onsbefugnis „andere Behörden“ erwähnt, sowie aus der Delegierbarkeit der Begna- digungsbefugnis an sich, von der der Bundespräsident auch Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 2 der Anordnung des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadi- gungsrechts des Bundes vom 5. Oktober 1965 [BGBl. I, 1573], zuletzt geändert durch die Anordnung vom 3. November 1970 [BGBl. I, 1513] - GnadenAnO -), folgt nichts anderes (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23. April 1969 - 2 BvR 552/63 - juris Rn. 36). Denn der Wortlaut des Art. 60 Abs. 3 GG verhält sich allenfalls zu der staatsrechtlichen Rolle des Bundespräsidenten (vgl. Reimer, a.a.O., Art. 60 Rn. 54). - 12 -
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- 12 - Ob er Behörde im Sinne des presserechtlichen Auskunftsanspruchs ist, kann diese Vorschrift nicht generell-abstrakt festlegen, da dies eine im konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage ist, deren Antwort, wie eingangs dargestellt, maßgeblich davon abhängt, ob der Bundespräsident eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung wahr- nimmt. Auch aus dem Umstand der Delegierbarkeit selbst lässt sich nicht herleiten, dass von einer Verwaltungsaufgabe auszugehen sei. Delegation und Subdelegation unterhalb der Regierungsebene (vgl. hierzu Art. 3 GnadenAnO) mögen der Gna- denentscheidung die Qualität des Präsidial- bzw. Regierungsaktes nehmen (vgl. Bla- ser, a.a.O., S. 77), indes verliert der Gnadenakt seinen Verfassungsrang hierdurch nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1969 - 2 BvR 552/63 - juris Rn. 36; Schätzler, a.a.O., S. 122). Die - gegebenenfalls in Folge von Delegation - das Be- gnadigungsrecht ausübende Person kann aus diesem Grund für die Qualifikation der Begnadigung als Verwaltungshandeln nicht entscheidend sein. Dies zeigt sich auch darin, dass - wie oben dargelegt - weder dem Bundespräsidenten noch etwaigen Delegataren das Begnadigungsrecht im Sinne einer Rechtsinhaberschaft zusteht, sondern dem Bund. Das Begnadigungsrecht des Grundgesetzes spiegelt insoweit gerade die Abkehr von der Vorstellung eines persönlichen (Vergebungs-)Rechts des Monarchen wider (vgl. Klein, a.a.O., S. 61; Schätzler, a.a.O., S. 18; s.a. v. Arnauld, in: von Münch/Kunig, GG Kommentar, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 60 Rn. 13), mag es sich im Übrigen auch um ein Kontinuum der Verfassungsgeschichte handeln (vgl. hierzu Böllhoff, a.a.O., S. 28, 31). Die Delegation des Begnadigungsrechts ist ledig- lich eine unechte, konservierende Übertragung, wodurch die Verantwortung beim verfassungsrechtlichen Gnadenorgan verbleibt (vgl. Nierhaus/Brinktrine, a.a.O., Art. 60 Rn. 16; Böllhoff, a.a.O., S. 114 ff.). Diejenigen Behörden, an die die Aus- übung der Begnadigungsbefugnis delegiert wird, sind nach dem funktionalen Behör- denbegriff insoweit keine Behörden (vgl. Reimer, a.a.O., Art. 60 Rn. 82). Vor diesem Hintergrund geht auch der klägerische Vortrag, Bundesminister, denen nach Art. 2 GnadenAnO die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes übertragen wurde, seien als Bundesbehörden ohne Weiteres dem presserechtlichen Auskunftsanspruch ausgesetzt, fehl. Wenngleich oberste Bundesbehörden grundsätzlich zu den Aus- kunftsverpflichteten gehören können, wäre im Fall eines Auskunftsbegehrens mit Bezug zur delegierten Ausübung der Begnadigungsbefugnis ebenfalls zu prüfen, ob im konkreten Fall die fragliche Stelle eine materielle Verwaltungstätigkeit ausübt. Damit trifft auch der klägerische Einwand nicht zu, der Bundespräsident könne durch Delegation die Reichweite des presserechtlichen Auskunftsanspruchs bestimmen. - 13 -
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- 13 - Dagegen kommt eine Übertragung von Bereichsausnahmen und Beschränkungen aus anderen Gesetzen - einschließlich der von der Beklagten unter Berufung auf die Gesetzesbegründung zum Informationsfreiheitsgesetz (vgl. BT-Drucks. 15/4493, S. 8) geltend gemachten - auf den verfassungsrechtlich geprägten presserechtlichen Auskunftsanspruch nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2019 - 6 A 7/18 - juris Rn. 15 m.w.N.). Ein anderes Ergebnis ergäbe sich auch nicht für einen (allein) gegen das Bundes- präsidialamt gerichteten Auskunftsanspruch. Zwar ist dieses eine oberste Bundes- behörde (vgl. Butzer, VerwArch 82 (1991), 497, 512 f.). Allerdings dient es (hier) al- lein der Unterstützung des Bundespräsidenten bei dessen Aufgabenerledigung, die - wie oben dargelegt - vorliegend nicht zur materiellen Verwaltungstätigkeit gehört, weshalb auch das Bundespräsidialamt (insoweit) keine Verwaltungstätigkeit ausübt (vgl. VG Berlin, Beschlüsse vom 24. November 2015 - VG 27 L 179.15 - amtl. Abdr., S. 8 f., 13 und 22. September 2020 - VG 27 L 243/20 - amtl. Abdr., S. 4 sowie - zum IFG - OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. August 2022 - OVG 12 B 25/20 - juris Rn. 20; VG Berlin, Urteil vom 15. Oktober 2020 - VG 2 K 181.19 - juris Rn. 17). Vor diesem Hintergrund kommt es auf die von dem Kläger vorgetragene vermeintliche Verwaltungstätigkeit des Bundespräsidialamtes im Nachgang zu den Begnadigungs- entscheidungen und die von ihm bemühte Analogie zu der Veröffentlichung von Ge- richtsentscheidungen nicht an. Nach alledem kann insbesondere dahinstehen, ob der Kläger zu den auskunftsbe- rechtigten Personen gehört (vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2022 - OVG 6 S 37/22 - amtl. Abdr., S. 3 f.), die begehrte Information vorhanden ist oder berechtigte schutzwürdige Interessen Privater entgegenstehen. 2.      § 5 i.V.m. § 18 Abs. 2 und 4 Medienstaatsvertrag ergeben nichts anderes. Die Vorschriften sind schon aufgrund der entgegenstehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes vorliegend nicht anwendbar. Die obigen Ausführungen zum landespres- segesetzlichen Auskunftsanspruch geltend entsprechend (vgl. OVG Berlin-Branden- burg, Beschluss vom 8. September 2017 - OVG 11 S 49.17 - juris Rn. 15; VG Berlin, Beschluss vom 21. Juni 2022 - VG 27 L 68/22 - juris Rn. 23 ff. und Urteil vom 30. September 2015 - VG 27 K 317.13 - amtl. Abdr., S. 16). III.    Soweit über die Klage in der Sache zu entscheiden war, beruht die Kosten- entscheidung auf § 154 Abs. 1 VwGO. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit über- einstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, beruht die Kostenent- - 14 -
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- 14 - scheidung auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Billigem Ermessen entspricht es, insoweit der Beklagten die Kosten aufzuerlegen, die den - nach bisherigem Sach- und Streit- stand mangels Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes als rechtswidrig zu be- urteilenden (vgl. VG Berlin, Urteile vom 3. September 2019 - VG 27 K 447.18 - amtl. Abdr., S. 4 und vom 30. September 2015 - VG 27 K 317.13 - amtl. Abdr. S. 16 [zum PresseG BE]) - Bescheid vom 11. Mai 2021 in dem Termin zur mündlichen Verhand- lung aufgehoben und sich so freiwillig in die Rolle der Unterlegenen begeben hat. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung. Die Berufung war gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulas- sen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsge- richt Berlin-Brandenburg zu. Die Berufung ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, in- nerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Sie muss das ange- fochtene Urteil bezeichnen. Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zu- stellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin- Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevoll- mächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtsleh- rer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Euro- päischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelas- sen. Darüber hinaus können auch die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO be- zeichneten Personen und Organisationen auftreten. Ein als Bevollmächtigter zuge- lassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befä- higung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu - 15 -
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- 15 - einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen nicht vor dem Gericht, eh- renamtliche Richter nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Amelsberg                           Hofmann               Dr. Hagemeyer-Witzleb
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