Unsere Klage gegen das BMI
fehlt es völlig. Auch die Struktur des Vermerks ist vollständig von den Ge- pflogenheiten und sachlichen Zwängen vorgegeben, so dass sich auch dar- aus kein urheberrechtlicher Schutz ergeben kann (vgl. Schri- cker/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, 8 2 UrhG, Rn. 117 m.w.N.). Zudem ist auch bei juristischen Schriftsätzen, Gutachten und Vermerken nur dasjenige urheberrechtlich schutzfähig, was über das rein alltägliche und routinemäßi- ge Schaffen hinausgeht (Schricker/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, 8 2 UrhG, Rn. 92). Die Frage nach der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit bemisst sich, so der Bundesgerichtshof, „nach dem geistig-schöpferischen Gesamteindruck der konkreten Ge- staltung, und zwar im Gesamtvergleich gegenüber vorbestehenden Ge- staltungen.“ (BGH GRUR 1986, 739, 741 - „Anwaltsschriftsatz‘). Der BGH fordert für die Schutzfähigkeit eines Anwaltsschriftsatzes beispiels- weise ein „deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials” (BGH GRUR 1986, 739, 741 - „Anwaltsschriftsatz”). Diese Anforderungen dürften auch auf rechtswissenschaftliche Vermerke übertragbar sein, auch diese sind allenfalls als Sprachwerke einzustufen und unterliegen im Wesentlichen vergleichbaren Anforderungen. Die demnach erforderlichen, über das Routinemäßige hinausgehenden Qualitäten weist der hier gegenständliche Vermerk allerdings nicht auf. Er besteht in der rei- nen Wiedergabe des Bundesverfassungsgerichtsurteils und einer sehr knap- pen Prognose dahingehend, dass die Erwägungen aus dem Urteil wohl auch auf andere - niedrigere - als 5-Prozent-Hürden anwendbar sein dürften. Seite 11
b) Keine Aktivlegitimation der Beklagten Darüber hinaus fehlt es der Beklagten auch an der erforderlichen Aktivlegi- timation, um urheberrechtliche Unterlassungsansprüche geltend machen zu können. Die Beklagte ist eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts und kann naturgemäß nicht Urheberin eines Werkes sein. Urheber können bestenfalls die Autoren des Vermerks sein. Dass die Beklagte die zur Gel- tendmachung von Unterlassungsansprüchen erforderlichen Nutzungsrechte von den Autoren erworben hätte, hat sie zumindest vorgerichtlich nicht be- hauptet. c) Keine Begehungsgefahr hinsichtlich $ 17 UrhG Selbst wenn man aber sowohl die urheberrechtliche Schutzfähigkeit des Vermerks, als auch die Aktivlegitimation der Beklagten unterstellt, besteht der Unterlassungsanspruch nicht. Denn zunächst einmal fehlt es im Hinblick auf die von der Beklagten behaup- tete Verbreitung des Vermerks an der erforderlichen Begehungsgefahr. Eine Wiederholungsgefahr (8 97 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. BGB) ist schon deshalb nicht gegeben, weil es an einer Erstbegehung fehlt. Der Vermerk wurde auf der Homepage des Klägers veröffentlicht. Darin liegt eine rein unkörperliche Veröffentlichung. Voraussetzung einer Verletzung von $ 17 UrhG ist aber stets ein körperliches Werkstück (Schricker/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, 8 17 UrhG, Rn. 5). Auch eine Erstbegehungsgefahr besteht nicht. Der Kläger beabsichtigt nicht, den Vermerk in körperlicher Form zu verbreiten. Dafür bestehen auch keiner- lei Anhaltspunkte. d) Keine Verletzung des Rechts aus $ 19a UrhG Darüber hinaus hat der Kläger auch das Recht der Beklagten auf öffentliche Zugänglichmachung aus 8 19a UrhG nicht verletzt. Denn jedenfalls ist die Seite 12
Veröffentlichung des Vermerks durch die Schranken des Urheberrechts ge- deckt. aa) Berichterstattung über Tagesereignisse Die angegriffene Veröffentlichung ist von 8 50 UrhG gedeckt. Hiernach ist zur Berichterstattung über Tagesereignisse die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahr- nehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig. In diesem Sinn sind Tagesereignisse „(...) tatsächliche Begebenheiten, unabhängig ob sie den Bereichen Poli- tik, Wirtschaft, Sport, Kunst oder Kultur zugehören. Das Ereignis muss ak- tuell sein und die Allgemeinheit, mindestens aber eine größere Gruppe, interessieren (...). Die Aktualität ist so lange gegeben, wie der Verkehr die Berichterstattung als ‚Gegenwartsberichterstattung' versteht (...).“ (Lüft, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 3. Aufl. 2009, 8 51 UrhG, Rn. 4 m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen ist auch die Debatte über die Zulässigkeit einer Sperrklausel für die Europawahl ein Tagesereignis, denn es interessiert aktu- ell eine größere Gruppe, nämlich praktisch alle halbwegs politisch interes- sierten Menschen in Deutschland. In diesem Zusammenhang ist auch die interne Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern von Interesse für die Öffentlichkeit. Die öffentliche Wiedergabe des gesamten Vermerks war hier notwendig, um dem Zweck der Veröffentlichung, nämlich der Darstel- lung des Widerspruchs zwischen der internen Expertise des Bundesministe- riums des Innern und des Verhaltens der Bundesregierung nach Außen, ge- recht zu werden. bb) Meinungs- und Pressefreiheit als Schranke Daneben steht dem Kläger auch die Meinungs- und Pressefreiheit zur Seite, die im hier gegebenen Fall eine Schranke des Urheberrechts bildet und be- Seite 13
wirkt, dass die Veröffentlichung der Texte nicht „widerrechtlich” im Sinne von 8 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG gewesen ist. Im Zusammenhang mit der „Ashby Donald“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist die schon zuvor ab und an ge- stellte Frage, wie es um das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Urheber- recht bestellt ist, wieder in den Fokus des rechtswissenschaftlichen Interes- ses gerückt. Gerade in dem hier vorliegenden Fall stellt sie sich in besonders zugespitzter Art und Weise. Die „Ashby Donald“-Entscheidung bildet dabei den vorläufigen Schlusspunkt einer Entwicklung in der Rechtsprechung, die das früher geltende Dogma von den vermeintlich abschließenden Schrankenbestimmungen des Urhe- berrechts zu Gunsten einer einzelfallbezogenen Abwägung in solchen Sach- verhalten, die einen deutlichen Bezug zur Meinungs- und Pressefreiheit auf- weisen, aufgebrochen hat. Diese Entwicklung soll im Folgenden zunächst skizziert werden: a) Landgericht Berlin und Kammerzgericht: „Botho Strauß” Bereits im Jahr 1995 hat die 16. Zivilkammer des Landgerichts Berlin im Fall „Botho Strauß” entschieden, dass die von 8 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG vorausge- setzte „Widerrechtlichkeit“ einer Urheberrechtsverletzung entfallen kann, wenn sich mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und dem Urheberrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) zwei verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter gegen- überstehen und die zu deren Ausgleich erforderliche Abwägung ergibt, dass die Meinungsfreiheit gegenüber dem Urheberrecht im konkreten Fall höher wiegt (LG Berlin, Urt. v. 10. Januar 1995, Az. 16 O 788/94, NJW 1995, 881). Die Kollision der beiden verfassungsrechtlich geschützten Güter „Meinungsfrei- heit“ und „Urheberrecht“ sei über eine Güter- und Interessenabwägung aus- zugleichen (LG Berlin NJW 1995, 881, 882). Im zugrundeliegenden Fall sah das Landgericht die einwilligungslose Veröf- fentlichung von (ganzen!) Briefen des Antragstellers als rechtmäßig an, weil Seite 14
ein „ungewöhnlich dringendes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit” diese rechtfertige. Das Landgericht Berlin bezog sich damals wesentlich auf die „Lili Marleen”- Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1985, 2134), in welcher der BGH andeutete, dass ein Eingriff in urheberrechtlich geschützte Positionen seiner Meinung nach in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein könne, sofern ein ungewöhnlich dringendes Informationsbedürfnis dies erfordert (BGH NJW 1985, 2134, 2135). Dem folgte das Landgericht Berlin, indem es im Fall „Botho Strauß“ ausführ- te, dass auch die vollständige und wortlautgetreue Wiedergabe von Briefen gerechtfertigt sein könne, selbst wenn sie nicht von den positivierten Schranken des Urheberrechts gedeckt sei: „Denn gerade im Interesse der Vermeidung von falschen oder missver- ständlichen Verkürzungen ist die vollständige Wiedergabe kleinerer Sprachwerke nicht zu beanstanden (...). Insoweit ermöglicht gerade die ungekürzte Fassung beider Briefe dem Leser eher eine selbständige Mei- nungsbildung, als dies bei einer verkürzten (Presse-) Mitteilung der Fall wäre.” (LG Berlin NJW 1995, 881, 882). In dem konkreten Fall sah das Landgericht Berlin auch die Verletzung des Erstveröffentlichungsrechts des dortigen Klägers ($ 12 UrhG) als gerechtfer- tigt an. Diese Entscheidung des Landgerichts Berlin hob das Kammergericht (Urt. v. 21. April 1995, Az. 5 U 1007/95, NJW 1995, 3392) kurz darauf wieder auf und bejahte eine rechtswidrige Verletzung des Erstveröffentlichungsrechts. Al- lerdings negierte das Kammergericht dabei keineswegs die Prämisse des Landgerichts, wonach eine Urheberrechtsverletzung grundsätzlich unter Seite 15
Rückgriff auf die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes zu rechtfertigen sei. Diese Prämisse bestätigte das Kammergericht vielmehr ausdrücklich: „Kollidieren, wie hier, zwei Grundrechte, nämlich das zum Eigentums- recht des Ast. zählende Urheberrecht und die Pressefreiheit, dann ist die Lösung im Einzelfall grundsätzlich über eine Güter- und Interessenab- wägung zu suchen, wobei der Meinungs- und Informationsfreiheit für die freiheitlich demokratische Ordnung anerkanntermaßen besondere Bedeutung zukommt (...) Im Rahmen dieser am Einzelfall orientierten Abwägung wird man schon unter dem vorgenannten Gesichtspunkt nicht schematisch den Interessen des Urhebers den Vorrang zuerkennen können. Vielmehr verlangt der Grundsatz der Einheit der Verfassung, dass möglichst alle beteiligten Rechte größtmögliche Wirkung entfalten können (...). Es kommt immer im Einzelfall darauf an, wie schwer der Eingriff in die Rechte des Urhebers wiegt und welches Informations- oder Presseinteresse zur Rechtfertigung des Eingriffs herangezogen werden kann. Dabei spricht einiges dafür, es zuzulassen, dass z.B. vollständige vor Jahrzehnten veröffentlichte Gedichte einer Person der Zeitgeschichte ohne deren Einwilligung als Belege seiner früheren Gesinnung wiederge- geben werden (...).” (KG NJW 1995, 3392, 3394, Unterstreichungen nur hier). Letztlich sah das Kammergericht damals allerdings in der nach diesen Grundsätzen durchgeführten Güterabwägung das Urheberrecht als gegen- über der Meinungsfreiheit überwiegend an, was seinen Grund in den kon- kreten Umständen des damaligen Einzelfalls hatte. Jedenfalls aber ging auch das Kammergericht zu Recht davon aus, dass eine urheberrechtlich relevante Nutzungshandlung im Rahmen eines redaktionel- len Zusammenhangs nicht deshalb automatisch rechtswidrig ist, weil sie nicht von einer der urheberrechtlichen Schranken gedeckt ist. Vielmehr ist eine Einzelfallabwägung der betroffenen Rechtsgüter unter Berücksichti- gung des besonderen Stellenwerts, den die Meinungsfreiheit in der grund- Seite 16
gesetzlichen Verfassungsordnung einnimmt, nach Auffassung auch des Kammergerichts in jedem Fall geboten. ß) OLG Hamburg und BVerfG: „Anwaltsschriftsatz” Dieser Auffassung schloss sich wenige Jahre später auch das Oberlandesge- richt Hamburg (Urt. v. 29. Juli 1999, Az. 3 U 34/99, NJW 1999, 3343) an, das über die Veröffentlichung von Schriftsätzen Gregor Gysis zu befinden hatte, die dieser im in der DDR geführten Strafverfahren gegen den Regimekritiker Havemann gefertigt hatte. Gysi wollte seinen Schriftsatz, den der Bundesbe- auftragte für die Stasi-Unterlagen in einem von ihm herausgegebenen Buch abdruckte, nicht veröffentlicht sehen und wandte sich an das Landgericht Hamburg, das eine zunächst erlassene einstweilige Verfügung auf den Wi- derspruch des Antragsgegners hin wieder aufhob. Das mit der hiergegen eingelegten Berufung befasste OLG Hamburg bestä- tigte das landgerichtliche Urteil und verneinte einen Unterlassungsanspruch Gregor Gysis. Es führte aus: „Der Senat teilt jedenfalls die Auffassung, dass das Urheberrecht, auch soweit es eine Ausformung grundgesetzlicher Positionen darstellt, in sei- ner Wechselwirkung mit anderen Grundrechten gesehen werden muss (...). Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 | GG) gehen vor, wenn eine Abwägung ergibt, dass schützenswerte Belange des Urheberrechts- inhabers nicht gefährdet sind und überragende Interessen der Allge- meinheit eine Veröffentlichung verlangen (...).” (OLG Hamburg NJW 1999, 3343, 3344). Das OLG Hamburg, das unter Anwendung dieser Grundsätze einen Unterlas- sungsanspruch des Urheberrechtsinhabers verneinte, sah sich insofern in einer Linie mit der Entscheidung des Kammergerichts (so ausdrücklich OLG Hamburg NJW 1999, 3343, 3345). Seite 17
Diese Entscheidung griff Gregor Gysi mit der Verfassungsbeschwerde an, auf die das Bundesverfassungsgericht das Urteil des OLG Hamburg ausdrücklich billigte (Beschl. v. 17. Dezember 1999, Az. 1 BvR 1611/99, NJW 2000, 2416) und die dort zugrunde gelegte Prämisse, in derartigen Fällen sei zwischen der Meinungsfreiheit und dem Urheberrecht ein Ausgleich durch Abwägung zu suchen, bestätigte (BVerfG NJW 2000, 2416, 2417). y) BVerfG zur Kunstfreiheit: „Brecht-Zitate” Die nächste Gelegenheit, sich mit diesem Themenkomplex zu befassen, hat- te das Bundesverfassungsgericht bereits ein Jahr später im Fall „Brecht- Zitate” (Beschl. v. 29. Juni 2000, Az. 1 BvR 825/98). Diesem lag zugrunde, dass in einem in Buchform erschienenen Theaterstück längere Textpassagen aus Werken Bertolt Brechts wiedergegeben wurden, dessen Erben hiergegen auf Unterlassung klagten und - nachdem ihrem Begehren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem OLG Brandenburg der Erfolg versagt blieb - in Mün- chen auch zum gewünschten Ziel gelangten (eine Darstellung der Prozess- geschichte findet sich bei Lindhorst, MMR 2000, 688, 688). Auf die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hin hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil des OLG München auf und äußerte sich näher zum Verhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht. Dabei führte es aus, dass die Kunstfreiheit zwar mit Blick auf Art. 14 GG zu Gunsten des Urheberrechts eingeschränkt werden könne, eine Kollision die- ser beiden Rechtsgüter allerdings durch Abwägung aufzulösen sei: „Treffen mehrere grundrechtlich geschützte Positionen aufeinander, so ist es zunächst Aufgabe des Richters, im Rahmen der Anwendung der einschlägigen einfachrechtlichen Regelungen die Schranken des Grund- rechtsbereichs der einen Partei gegenüber demjenigen der anderen Par- tei zu konkretisieren (...)” (BVerfG NJW 2001, 598, 599). Und weiter: Seite 18
„Steht - wie vorliegend - ein geringfügiger Eingriff in die Urheberrechte ohne die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile (z. B. Absatzrück- gänge [...]) der künstlerischen Entfaltungsfreiheit gegenüber, so haben die Verwertungsinteressen der Urheberrechtsinhaber im Vergleich zu den Nutzungsinteressen für eine künstlerische Auseinandersetzung zu- rückzutreten.” (BVerfG NJW 2001, 598, 599). Das Bundesverfassungsgericht stellt also maßgeblich auf die Funktion des Urheberrechts ab, dem Urheber die wirtschaftliche Nutzung seines Werks zu ermöglichen und setzt dem das grundrechtlich geschützte Interesse eines Dritten, sich mit dem Werk inhaltlich auseinanderzusetzen, entgegen. Dass es in diesem Zusammenhang nicht um die Meinungs- sondern um die Kunst- freiheit ging, macht den Fall nicht weniger vergleichbar, zumal auch die Kunstfreiheit - ebenso wie die Meinungsfreiheit - im Kern eine Kommunika- tionsfreiheit ist. Beide sind in Art. 5 GG garantiert. Die Entscheidung hat Bernhard von Becker richtigerweise dahingehend zu- sammengefasst, dass ein Zitat es nicht stets erfordert, als Beleg für eine ei- gene Stellungnahme zu dienen, sondern ebenso auch dann gerechtfertigt sein kann, wenn es eigenes künstlerisches Gestaltungsmittel ist (von Becker, ZUM 2000, 864, 864). Diese Überlegung lässt sich verallgemeinern. Nicht die verfassungsmäßigen Rechte Dritter sind anhand der engen Grenzen des Zitatrechts nach $ 51 UrhG (oder anderer urheberrechtlicher Schranken) auszulegen. Vielmehr sind diese Schranken extensiv zu interpretieren, wenn diese anderen Verfassungsgüter (das heißt: vor allem die Kunst- oder Mei- nungsfreiheit) es erfordern. ö) OLG Stuttgart: „Filmvorführung in der Pressekonferenz” In die gute Gesellschaft von Bundesverfassungsgericht („Brecht-Zitate“ und „Anwaltsschriftsatz”), Bundesgerichtshof („Lili Marleen“), Kammergericht („Botho Strauß-Briefe*) und OLG Hamburg („Anwaltsschriftsatz”) hat sich Seite 19
zuletzt auch das OLG Stuttgart begeben, das einen auf das Urheberrecht gestützten Unterlassungsanspruch des Herstellers eines Videofilms vernein- te, der sich dagegen wandte, dass dieser Videofilm von einer politischen Partei auf einer Pressekonferenz gezeigt wurde (OLG Stuttgart, Beschl. v. 22. Juli 2003, Az. 4 W 32/03 - Juris). Auch das OLG Stuttgart stellte sich auf den Standpunkt, dass die urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen keines- wegs abschließend seien, sondern im Fall einer Kollision von Urheberrecht und Meinungsfreiheit dieser Konflikt durch eine Abwägung zu lösen sei (Rn. 28 der Entscheidung nach Juris). Diese ergab im dortigen Fall, dass die Veröffentlichung nach Auffassung des dortigen Senats nicht als rechtswidrig im urheberrechtlichen Sinne anzusehen war. €) EGMR: „Ashby Donald” Vorläufiger Höhepunkt dieser Reihe von Entscheidungen, die die grundsätz- liche Möglichkeit einer Rechtfertigung von Eingriffen in das Urheberrecht zu Gunsten der und durch die Meinungsfreiheit angenommen haben, dürfte die schon oben erwähnte „Ashby Donald“-Entscheidung des EGMR sein (EGMR, Urt. v. 10. Januar 2013, Az. 36769/08, NJW 2013, 2735). Im Rahmen einer Beschwerde eines Fotografen wegen einer strafrechtlichen Verurteilung aufgrund einer Urheberrechtsverletzung im Zusammenhang mit Modefotografie hat der EGMR ausgeführt, dass eine solche Verurteilung einen Eingriff in die von Art. 10 EMRK geschützte Meinungsfreiheit des Foto- grafen darstellt, die nach Art. 10 Abs. 2 EMRK nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie „gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist „zum Schutz (...) der Rechte anderer”. In diesem Zusammen- hang betonte der Gerichtshof zunächst die überragende Bedeutung der Meinungsfreiheit, die „eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft und eine der wichtigsten Voraussetzungen für ihren Fortschritt und die Entfaltung einer jeden Person“ Seite 20