Lagebericht Algerien 2019

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11 VS Nur für den Dieostgebrauc:b über die alle öffentlichen Unternehmen ihre Werbung platzieren. Ein Rückgang dieser Werbeeinahmen hat in den letzten Jahren zur Schließung mehrerer Zeitungen gefilhrt. Die Abhängigkeit von diesen Ressourcen kann in Einzelfällen zu Selbstzensur seitens der Herausgeber und Redakteure fUhren. In der Rangliste der Pressefreiheit des Jahres 2019 von "Reporter ohne Grenzen" (RSF) liegt Algerien aufPlatz 141 von 180 Staaten (Vorjahr: 136/180) -im Vergleich: Tunesien (72), Marokko (135), Libyen (162) und Ägypten (163). Im Bereich des Verlagswesens werden Publikationen teilweise durch den Ankauf von Pflichtexemplaren gefOrdert, teilweise aber auch untersagt, wenn sie sich kritisch zu innenpolitischen Themen äußern. Die Einfuhr· religiöser Schriften wird durch das Religionsministerium scharf kontrolliert. Im Gegensatz zur überwiegend privaten Schriftpresse waren die audiovisuellen Medien lange vollständig in staatlicher Hand, ebenso wie die zunehmende Zahl lokaler Radiostationen. Ein Gesetz über audiovisuelle Medien, das den audiovisuellen Mediensektor auch fUr private Sender öffnen soll, ist Ende März 2014 in Kraft·. getreten, enthält jedoch auch verschiedene Einschränkungen und staatliche Eingriffsmöglichkeiten und bleibt damit hinter den Erwartungen an eine echte Öffnung zurück. Die Regierung spricht von ungefähr 40 TV -Kanälen, eine offiZielle Lizenz dürften aber nur fünf oder sechs erhalten haben. Die übrigen senden ohne Genehmigung weiter, zum Teil aus dem Ausland. Der Import von Filmen ist, wie auch ihre öffentliche Vorfilhrung, eingeschränkt: Das im Februar 2011 verabschiedete Kinogesetz (Nr. 11-03) sieht filr jede öffentliche Filmauffilhrung eine vorherige Genehmigung durch das Kulturministerium vor (Artikel 11). Dies betrifft auch ausländische Botschaften und Kulnirinstitute, allerdings nur in den Fällen, in denen Filmvorfilhrungen außerhalb der eigenen Räumlichkeiten stattfinden sollen. Weiterhin schränkt das Gesetz die Produktion 1:1nd Verbreitung von Filmen ein und gibt thematisch rote Linien vor: Untersagt sind Filmproduktionen, die religiöse Werte, den nationalen Befreiungskampf öder Staatssymbole verunglimpfen bzw. die Geschichte des Kolonialismus verherrlichen. Die Bedeutung von Online-Nachrichtenportalen, sozialen Medien und Blogs nimmt weiter zu. Facebook hat v. a. durch die Verfilgbarkeit von schnellem mobilem Internet an Popularität gewonnen und hatte 2018 ca. 21 Mio. Benutzer in Algerien, was quasi der Hälfte der Bevölkerung entspricht. Für die Organisation der Proteste seit Februar 2019 spielen soziale Netzwerke eine zentrale Rolle. Im Internet findet ~ keine systematische Zensur oder Beschränkung statt; gleichwohl bauen die Sicherheitsbehörden ihre Fähigkeiten im Kampf gegen Cyber-Kriminalität und zur Verhinderung von Cyber-Terrorismus aus. Einzelhe Personen wurden bereits unter dem Vorwurf festgenommen, Beleidigungen staatlicher Institutionen oder des Islams auf Facebook oder auf Blogs veröffentlicht zu haben, und wurden zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Im Herbst 2018 kam es zu mehreren Festnahmen von (Online-) Journalisten wegen angeblicher Verbindungen zum regierungskritischen Online-Aktivisten ,,Amir.dz". Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden durch die algerische Verfassung garanti~rt. Jedoch wurden auch nach Aufhebung des Notstands in Algerien 2011 Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten. Die im Februar 2019 begonnenen ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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;., Ii·-~ ,,,"11.,,..,r..,~,,,~s""l"~er ~::~.~~~'lo.~J.~·!U~i,._.,C.. ~::ctJ.~-;tn·r~·~ 1~~ ~;~~t 12 VS Nar für tlen Dienstgehr auch als \fS &~:l~i··~=::~~!-.!f: Die Sicherheitskräfte haben Algier eingerichtet, - Oppositionelle Gruppierungen haben oft Schwierigkeitert, Genehmigungen ftir Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten. Vereine bzw. Organisationen, auch Kirchen, dürfen Veranstaltungen außerhalb ihres Sitzes nur nach vorheriger Zustimmung des örtlichen Wali ~ vornehmen. Diese bereits länger existierenden Vorschriftenwerden - v o n den algerischen Innenbehörden angewandt. . Projektgelder internationaler Geber an algerische Vereinigungen unterliegen einem strengen Genehmigungsvorbehalt auf der Grundlage des Anfang 2012 in Kraft getretenen, neu gefassten Vereinigungsgesetzes, gleichermaßen die Zulassung von ausländischen Ve!einen und Stiftungen. Algerische Hochschulprofessoren oder wissenschaftliche Mitarbeiter in staatlichen Positionen sind weisungsgebundene Beamte. Ihnen sind staatskritische Äußerungen untersagt. 1.3. Rassisch diskriminierende Gesetzgebung . Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung existiert nicht; es liegen auch keine belastbaren Erkenntnisse über tatsächlich erfolgte Diskriminierungen vor. Neben der mehrheitlich arabischen Bevölkerung leben in verschiedenen Regionen Berbervölker, unter denen sich besonders die Kabylen seit der Unabhängigkeit Algeriens ftlr die Anerkennung ihrer Sprache (Tamazight) und ihrer Kultur einsetzen. Durch die Verfassungsreform von 2016 wurde Tamazight, nach dem Arabischen, zur Amtssprache erklärt. 1.4. Religionsfreiheit Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion, verbietet aber Diskriminierung aus religiösen Gründen. Christen stellen eine sehr kleine, Juden eine praktisch nicht ~ichtbare Minderheit dar. Diese Gruppen genießen eingeschränkte Religionsfreiheit. Missionierungen sind verboten, die (versuchte) Konvertierung eines Muslims ist unter Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren gestellt. Die kollektive Religionsausübung muslimischer wie nichtmuslimischer Religionen ist einem Genehmigungsvorbehalt unterworfen. Religiöse Gemeinschaften müssen sich als "Vereine algerischen Rechts" beim Innenministerium akkreditieren lassen, Zulassungen bzw. Neubauten von Moscheen und Kirchen müssen vorab durch eine staatliche Kommission genehmigt werden, und Veranstaltungen religiöser Gemeinschaften ftinf Tage vor Veranstaltungsbeginn dem örtlichen Wali angezeigt werden. Diese dürfen nur in daftir vorgesehenen und genehmigungspflichtigen Räumlichkeiten stattfmden. Zuwiderhandlungen sind mit Strafe bedroht. Der vorherige Religionsminister Ai'ssa rief mehrfach zu religiöser Toleranz gegenüber Christen und Juden auf: In diesem Sinne wurde im Dezember 2018 die Seligsprechung von 19 in den 90er Jahren in Algerien getöteten katholischen Geistlichen zelebriert. Gleichzeitig setzte er sich jedoch gegen "sektäre Auswüchse" ein, was im Sommer 2016 zu Verhaftungen von Anhängern der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinschaft ftihrte. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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in ge~chwär.der Fasm.mg nicht als • v \;) emgestuft '1!.1~ 13 VS Nur für dea l>ieastgebraugb Verschiedene inoffizielle Schätzungen geben die Anzahl der Christen in Algerien zwischen 20.000 und 200.000 an. Durch den Zuzug von Studenten und Migranten aus Subsahara-Afrika ist die Anzahl der Christen in den letzten Jahren gestiegen. Mit dem Vatikan unterhält · seit 1972 ist vor Ort. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die christliche Minderheit ihren Glauben bewusst diskret praktiziert. 1.5. Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Dies betrifft bisher insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, die durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt wird. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerisclie Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992. Für die Diffamierung staatlicher Organe und Institutionen durch Presseorgane bzw. Journalisten werden in der Regel Geldstrafen verhängt (s. a. oben II. 1.2., 2. Abs.). Art. 90 des algerischen Strafgesetzbuchs stellt unter anderem die Komplizenschaft mit den AnfUhrern einer aufständischen Bewegung unter Todesstrafe. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus bzw. "subversiver" Bestrebungen wird bereits das Verteidigen derartiger Aktivitäten mit Freiheitsstrafe von fllnfbis zehn Jahren sanktioniert (Art. 87 a IV). Art. 95 sieht im Zusammenhang mit dem Bezug ausländischen Propagandamaterials einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. Das Verteilen, Verkaufen oder Ausstellen inländischen, dem ,,nationalen Interesse schadenden Propagandamaterials" wird nach Art. 96 des Strafgesetzes mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren bestraft. Das "Hervorrufen einer unbewaffneten Menschenan$ammlung" wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. Mangels veröffentlichter Urteilsgründe ist die genaue Definition des Tatbestandes nicht bekannt. Hinzu kommen weit gefasste Staatssicherheitsdelikte. Rechtsgrundlage ftlr die Verfolgung fundamentalistisch motivierter Straftaten ist seit 1992 zudem die Anti-Terrorismus-Verordnung (,,Decret legislatif relatif a Ia Iutte contre la subversion et le terrorisme", 30.1 0.1992). Danach wird die Gründung einer terroristischen oder subversiven Vereinigung mit lebenslanger Freiheitsstrafe und die Mitgliedschaft mit zehn bis zwanzig Jahren Freiheitsentzug bestraft. Im Strafgesetzbuch enthaltene Strafandrohungen (u. a. ftlr Tötungsdelikte) wurden verschärft, soweit die Taten subversiv oder terroristisch motiviert sind. Durch die Verordnung wurde die Notwendigkeit abgeschafft, ftlr eine polizeiliche Festnahme einen Haftbefehl vorzulegen. Nach der algerischen Rechtsprechung gelten als "terroristische und subversive Aktionen" unter Umständen bereits die Behinderung behördlicher Tätigkeit, verbotene Versammlungen in der Öffentlichkeit oder die Vervielfältigung und Verteilung von Dokumenten, wenn der entsprechende politische Zweck nachgewiesen wird. Durch die genannte, in der Praxis nicht vom Vorliegen strenger Voraussetzungen abhängige Verordnung ist den Sicherheitskräften zudem die Möglichkeit eingeräumt worden, verdächtige Personen bis zu zwölf Tage festzuhalten (nach den allgemeinen Strafgesetzen ist diese Frist auf 48 Stunden begrenzt), ohne sie einem Richter oder Staatsanwalt vorftlhren zu müssen. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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14 'lS Nar fiir den DienstgeiJrauell Menschenrechtsorganisationen haben seit 2015 nicht mehr über Fälle berichtet, in denen Übergriffe gegen Personen in Gewahrsam bis hin zu Folter durch die Sicherheitsdienste beklagt werden. Diese Einschätzung übernimmt auch der Europäische Gerichtshof ftlr Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 29.04.2019 (AM gegen Frankreich, Az: 12148/18). Die grundsätzlich geltende Höchstdauer von 48 Stunden bis zur Vorfiihrung scheint durch die Polizei beachtet zu werden, soweit es sich nicht um Fälle im Zusammenhang mit "terroristischen" oder "subversiven" Aktivitäten handelt. Jede Person, die sich in Gewahrsam von Polizei oder Sicherheitsdiensten befindet, hat das Recht, unverzüglich einen Verwandten zu kontaktieren und zu empfangen oder sich an einen Rechtsanwalt zu wenden. Die Ermittlungen der Strafverfolgungs- und Polizeibehörden erstrecken sich regetmäßig auch auf das familiäre Umfeld mutmaßlicher oder tatsächlicher Anhänger terroristischer Gruppen. · Homosexuelle Handlungen sind nach Art. 338 des Strafgesetzbuchs strafbar. Daneben sieht Art. · 333 eine qualifizierte Strafbarkeit für Erregung öffentlichen Ärgernisses mit Bezügen zur Homosexualität vor. In der Rechtspraxis finden beide Vorschriften regelmäßig Anwendung (Zahl anhängiger Verfahren nicht überprüfbar), insbesondere Art. 333 wird von den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden zur Verhinderung der Gründung von Schutzorganisationen homosexueller Personen herangezogen. Eine systematische Verfolgung homosexueller Personen (vercte:ck1te ............. ,.....J"...... etc fmdet nach Erkenntnissen des Amtes nicht 1.6. Militärdienst Nach dem Militärstrafgesetzbuch wird Wehrdienstentziehung (Art. 254 des Militärstrafgesetzbuches, ·Strafrahmen drei Monate bis ftlnf Jahre Haft) und Fahnenflucht (Art. 258 ff., Strafrahmen im Frieden je nach Fallgestaltung sechs Monate bis fünf Jahre, bei Offizieren bis zehn Jahre Haft) geahndet. Nach Algerien zurückgekehrte Wehrpflichtige, die keine Befreiung vom derzeit 18-monatigen Wehrdienst naehweisen können (z. B. wegen Studiums oder aus familiären Gründen), werden zu dessen Ableistung den Militärbehörden überstellt. Eine Bestrafung ist nicht vorgesehen. Deserteure müssen nach Verbüßung ihrer Haftstrafe den unterbrochenen Militärdienst bis zur Erftillung der regulären Dienstzeit (Haftzeit nicht eingerechnet) fortsetzen. Wehrdienstentziehung oder Fahnenflucht können zu weiteren Repressalien fUhren, falls besondere, als staatsgefährdend eingestufte Handlungen hinzutreten. Auf Antrag können Algerier älter als 27 Jahre vom Wehrdienst ausgenommen werden, und zwar aus "sozialen Gründen" (berufliche Tätigkeit oder Unterstützung der Familie). Strafbar ist hingegen die Entziehung nach Zustellung eines Einberufungsbescheides, der auf Grundlage der Registrierung bei den Meldebehörden (seit 1994 ftir alle männlichen Algerier bei Erreichen des 18. Lebensjahres verpflichtend) erstellt wird. Von der Maßnahme sind vor allem im Ausland lebende junge Algerier begünstigt, die der Registrierungspflicht so faktisch entkommen. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur VerlitTentHebung bestimmt- Nachdruck verboten
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15 VS NuF ftiF deR Diellitaebranch Polizisten, die keinen militärischen Status besitzen, können zwar ihre Entlassung aus dem Dienst beantragen, aber dem Gesu~h ~ird regelmäßig erst nach Ende der Polizeidienstpflicht Ge mich Anstellungsverhältnis) stattgegeben. Ein den Dienst verweigernder Polizist setzt sich Disziplinarmaßnahmen aus und kann nach mehrerer Rechtsanwälte auch mit Haft bestraft U/Prttl'•n 1.7. Handlungen gegen Kinder Trotz allgemeiner Schulpflicht ftlr Kinder und Jugendliche und obwohl Bildung bis zum Universitätsabschluss kostenlo& ist, gibt es vermehrt Schulabbrüche, die ihre Ursache in der prekären finanziellen Situation der Familien haben. Nach offiziellen Angaben werden zwar nahezu alle Kinder eingeschult, zeitweilige Kinderarbeit (speziell in den Schulferien) als Straßenverkäufer oder in der Landwirtschaft kommt jedoch vor. Jenseits dessen ist entsprechend einer von NROs noch als beschönigend eingestuften Äußerung von Arbeitsminister EI Ghazi vom Juni 2015 zumindest von mehreren zehntausend bei Arbeitsinspektionen angetroffenen Kindem unter 16 Jahren auszugehen. Algerien hat die internationalen Konventionen zum Schutz des Kindes im Jahr 1993 ratifiziert. Das Arbeitsgesetzbuch ("Code du Travail"; Loi 90/11, Art. 15) bestimmt, dass kein Arbeitsvertrag mit Personen unter 16 Jahren geschlossen werden darf (Ausnahme: A~) und bis zur Volljährigkeit die Erlaubnis des Sorgeberechtigten vorliegen mus~uerkennen ist das 2015 in Kraft getretene Gesetz. zum Schutz der Kindheit, das einen Rechtsrahmen verstärktet staatlicher Fürsorge vorgibt und in Folge d . . I B ftr - ftlr S h d Fö d d K' dh . . d - - . . . Strafgesetzbuchs stellen neben Kindesentftlhrungen u. a. die Vergewaltigung von Kindern, Inzest, Kindesprostitution und Kinderpornographie unter Strafe, mit teils drastischen Strafrahmen. 1.8. Geschlechtsspezifische Verfolgung , Trotz verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbots bewirkt das von islamischen Grundsätzen geprägte Familien- und Erbrecht eine rechtliche und faktische Diskriminierung von Frauen. Insbesondere in den unteren sozialen Schichten ftlhren Scheidungen, Scheidungsfolgen und das diskriminierende Erbrecht (der Pflichtteil weiblicher Abkömmlinge ist im Vergleich zu dem der männlichen Miterben halbiert) häufig zu Mittellosigkeit und gesellschaftlicher Marginalisierung von Frauen. In Algier und anderen großen Städten des Nordens spielen Frauen gleichwohl eine maßgebliche Rolle in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Der Regierung gehören aktuell ftlnf Ministerinnen an. Die Mehrheit der Frauen bleibt jedoch fest in patriarchalische Strukturen eingebunden. ) Eine Novelle des Familiengesetzbuchs ("Code €le Ia famille"), die die Situation vor allem geschiedener Frauen wurde am 14.03.2005 von ·der , ....·,v..,... verabschiedet. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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16 VS NuF fdF dea Dieas,ge~raugll Der Straftatbestand der Vergewaltigung bezieht sich auf Sachverhalte außerhalb der Ehe. Sieben Monate nach der Annahme durch die Nationalversammlung stimmte auch der Senat im Dezember 2015 einer Gesetzesvorlage ,,zum Schutz der Frauen" V()r häuslicher Gewalt zu. Zwar ·handelt es sich um eine abgemilderte Fassung - das Opfer kann durch Erklärung jederzeit das Strafverfahren beenden und riskiert daher, unter Druck gesetzt zu werden. Dennoch ist das neue Gesetz entsprechend den Äußerungen von ~Os und Zivilgesellschaft als bewusstseinsbildender Fortschritt zu der die Rechtswirklichkeit nicht lassen sollte. Appelle u. a. des ehemaligen Präsidenten Bouteflika zur Schaffung zusätzlicher Frauenhäuser harren noch der Umsetzung. Es gibt keine Erkenntnisse zu weiblicher Genitalverstümmelung. Homosexualität ist ein Tabu-Thema. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Homosexuelle aufgrund ihrer Lebensweise durch islamistische Gruppierungen gefährdet sind. In arabischen vereinzelt unter anderem in der strafrechtlichen Verfolgungs. 11.1.5. letzter Absatz. 1.9. Exilpolitische Aktivitäten Kritik an der Regierung oder auch ein Asylantrag ftihren ftir sich allein nicht zu staatlichen Repressionen bei Rückkehr. Dagegen ist mit strafrechtlichen Konsequenzen z. B. bei Unterstützung der in Algerien operierenden bewaffneten Gruppen, insbesondere durch Waffenbeschaffung, zu rechnen; Allerdings gibt es in der Praxis auch ftir die aus dem Ausland Zurückgekehrten die Möglichkeit der Abkehr vom Terrorismus und der Reintegration in die Gesellschaft bei weitgehender Straffreiheit. Im Gegenzug müssen die Betroffenen sich politischer Aktivitäten enthalten. Bei Überschreiten dieses "Politikverbots" kommt es verschiedentlich zu Vorladungen beziehungsweise zeitweiligen Festnahmen. 2. Repressionen Dritter Ein Fall ist bekannt: Ein salafistischer Imam, der Ende 2014 zum Mord am Schriftsteller Kamel Daoud aufgerufen hatte, wurde daftir später erstinstanzlieh zu einer Haft- und Geldstrafe verurteilt. Andere Fälle von Todesdrohungen, insbesondere gegen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten beziehungsweise Rechtsanwälte, wurden dem Auswärtigen Amt seit 2009 nicht bekannt. · 3. Ausweichmöglichkeiten Gegen terroristische Aktionen bieten die größeren Städte im Vergleich zu abgelegenen Landesteilen einen erhöhten, aber ~icht vollkommenen Schutz. In einzelnen Gebirgsregionen ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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in (~f~sc~1-'J,!·:~::rzter Fae·~~~n"J nicht 21IS vs""eii~lgestuft V~ 17 NaF fiiF dea DieastgeiJFaaeh (Kabylei/Aures-Gebirge etc.) kommt es immer wieder zu groß angelegten Militäroperationen. Eine Bürgerkriegssituation besteht nicht. .m. Menschenrechtslage 1. Schutz der Menschenrechte in der Verfassung Trotz eines hohen Grundrechtsschutzes in der algerischen V"......~.,.....,5 , ~von 2016 nochmals gestärkt wurde 1 - - - - Dies betrifft vor allem den Bereich der politischen Partizipation (Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit). Im Vergleich zu den neunziger Jahren sind deutliche Verbesserungen im Bereich ,,klassischer"· Menschenrechtsverletzungen wie z. B. Folter festzustellen. Die Sicherheitskräfte verftlgen aufgrund derweiterhin gultigen Anti-Terrorismus-Verordnung vom 30.10.1992 (s.o. I. 1.5.) über umfangreiche Befugnisse, durch die bürgerliche und politische Rechte eingeschränkt werden können. Die bisherige Regierung betonte jedoch verstärkt die Beachtung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte insgesamt (im Sinne der "nationalen Versöhnung" vom ehemaligen Präsidenten Bouteflika); so wurde im Juli 2017 eine Menschenrechtsstelle bei der algerischen Polizei DGSN ("Direction generate de Ia SO.rete nationale") eingerichtet. Bei Abschiebungs- und Auslieferungsfragen versichern algensehe Behörden stets dass internationale rechtliche Standards würden. Die "Charta filr Frieden und Nationale Aussöhnung" (s.o. 1.3.) verhindert die Strafverfolgung von ~.,.,.......... · des S · · islamistischen Gewalttätern. Algerien ist an die meisten internationalen Menschenrechtskonventionen gebunden: • • • • • • • • Konvention über die Verhütung und Be~trafung des Völkermordes vom 09.12.1948; Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951; Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.0 1.1967; Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung vom 07.03.1966; Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Zusatzprotokoll vom 19.12.1966 (nicht allerdings an das zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe voni 15.12.1989); Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19 .12.1966; Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18.12.1979 (nicht allerdings an das Fakultativprotokoll vom 06.1 0.1999); Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende .Behandlung. oder Strafe vom 10.12.1984; die Inkraftsetzung des Fakultativprotokolls zum ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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in ':~;~·';~;;:.:r0r Fa~::ur· j ni.:~[d 18 VS Nur f"ür de11 DieD11tgebraucb • • <..ils t-~3 c~~··r~~2stu·~t VN-Übereinkommen gegen Folter vom 18.12.2002 hat Algerien im November 2008 ausdrücklich abgelehnt; Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989; VN-Konvention fiir die Rechte behinderter Menschen vom 13.12.2006. . Die VN-Konvention gegen das Verschwindenlassen von Personen vom 20.12.2006 hat Algerien unterschrieben, aber nicht ratifiziert. Eine Ratifizierung des Römischen Statuts des IStGH hat Algerien im November 2008 offiziell abgelehnt. 2. Folter Die Verfassung verbietet Folter und unmenschliche Behandlung. Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird nicht angewendet. Im algerischen Strafgesetz· ist Folter seit 2004 ein Verbrechen. Über Fälle von Misshandlungen o.der Folter durch die Sicherheitsdienste an Personen in Gewahrsam wurde von Menschenrechtsorganisationen seit 2015 nicht mehr berichtet. Mittlerweile ist die Neustrukturierung dieser Dienste weiter vorangeschritten, wobei der in o. g. Fällen verantwortlich gemachte "DRS" (,,Departement du Renseignement et de la Securite") aufgelöst wurde. 3. Todesstrafe Das algerische Strafrecht sieht die Todesstrafe unter anderem fUr Straftaten gegen das Leben, für Sicherheitsdelikte, aber auch bei Wirtschaftsverbrechen (etwa Veruntreuung von Staatsgeldern) vor. Insgesamt sind über. 30 Delikte mit der Todesstrafe bedroht; sie wird auch nach Militärstrafrecht verhängt. Todesurteile, die in Abwesenheit der Angeklagten ergehen, sind wie auch sonstige in Abwesenheit ergangene Urteile - im Falle der Ergreifung oder des Erscheinens des Delinquenten einer automatischen Überprüfung unterworfen. In der Praxis werden sie aus prozessualen Gründen verhängt, um dem Eintritt der Verjährung vorzubeugen. Genaue Zahlen werden hierzu nicht veröffentlicht. In der Presse wird weiterhin von im Zusammenhang mit Terrorprozessen verhängten Todesurteilen berichtet; fast immer handelt es sich um Urteile in Abwesenheit. Im September 1993 wurde zum letzten Mal ein Todesurteil vollstreckt. Seit diesem Zeitpunkt gilt ein vom ehemaligen Staatspräsidenten Bouteflika wiederholt bekräftigtes Moratorium. 2018 zählte Amnesty International nur eine einzige Verhängung der Todesstrafe, 2017 war sie noch mindestens 27, 2016 mindestens 50 ·und 2015 mindestens 62 Mal verhängt worden. Der ehemalige Präsident hat mehrfach von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch gemacht und Todes- in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt. Für den Fall einer Auslieferung besteht die Möglichkeit, Nichtverhängung oder Nichtvollzug der Todesstrafe zu vereinbaren (siehe dazu IV.4.). 4. Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen Unmenschliche oder emiedrigend,e Strafen werden gesetzlich nicht angedroht. Die Verfassung verbietet unmenschli~he Behandlung. Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird in Algerien nicht angewendet. Rechtsgedanken der Scharia spielen im Wesentlichen im "allgemeinen Familienrecht" eine Rolle (s.o. 11.1.8.). ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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19 . VS Nur für deu Dieulltgebrau~b Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes Die Bemühungen der algerischen Strafvollzugsbehörden, die Haftbedingungen zu verbessern, konnten bei mehreren von ausländischen konstatiert werden Laut .Experte seien von den 144 Strafanstalten 80 5. Lage ausländischer Flüchtlinge Algerien ist in den letzten Jahren zunehmend Transit- wie auch Zielland von Migranten und Flüchtlingen v. a. aus Subsahara-Afrika geworden. Diese Personen besitzen keinen formalen aufenthaltsrechtlichen Status (lediglich De-facto-Duldung) und keine offizielle Arbeitserlaubnis. Laut Regierung halten sich 160.000 dieser illegalen Migranten im Land auf, man spricht von 500 illegalen Grenzübertritten pro Tag. Die Subsahara-Migranten kommen nach Algerien teils, um über Marokko, Tunesien oder Libyen oder in selteneren Fällen von Algerien direkt nach Buropa zu gelangen, teils zur Arbeitsaufnahme, oft in der Landwirtschaft oder auf dem Bau. Knotenpunkt der Migrationsrouten ist dabei Tamanrasset im Süden, wo zahlreiche Nationalitäten (u. a. Niger, Mali, Guinea, Elfenbeinküste) gezählt werden. · Mit Verweis auf ein algerisch-nigrisches Abkommen wurden zwischen November 2014 und Für November 2018 laut Innenministerium bereits 37.000 Personen nach 6"'0'"''.. "'"' dies - Der algerisphe Rote Halbmond als quasi staatliches Organ organisiert nicht nur die Rückftlhrungen, sondern gewährleistet auch an verschiedenen Stellen im Land medizinische und Lebensmittelversorgung ftlr Migranten. Für die mindestens 40.000 syrischen Flüchtlinge, die bis 01.01.2015 noch visumsfrei nach Algerien einreisen durften, bestehen Sonderregelungen, um ihnen den Zugang zu Gesundheit, Bildung, Wohnraum und Arbeitsmarkt zu erleichtern. Hinzu kommen etwa 4.000 Palästinenser, die nach 1948 bzw. 1967 nach Algerien kamen und die, als "Prima-facie"-Flüchtlingsgruppe, behandelt werden und Abschiebungsschutz, Zusicherung der grundlegenden Menschenrechte und Zugang zu Arbeit erhalten. Irakische Flüchtlinge werden geduldet. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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~n ~1C;~. ~t::tl."8=~~e~ F~<, ...r.!;;;J ni,:;i~~ ais 20 VS ving:;stun VS NuF fliF dea Dieastgeln·auell In Flüchtlingslagern um die algerische Stadt Tindouf (2.000 Kilometer südwestlich von Algier) herum lebende Sahraouis (Bewohner der früheren spanischen Westsahara) stellen das größte Kontingent ausländischer Flüchtlinge dar. Ihre Zahl betrug am 31.12.2017 laut UNHCR 173.600. Im Süden des Landes leben geschätzt rund 30.000 Touareg aus den südlichen Nachbarländern. Soweit sie sich als Flüchtlinge sehen (dies ist immer wieder dann der Fall, wenn es speziell im Nord-Niger zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt) und als solche erfasst sind, werden sie durch Algerien und UNHCR materiell unterstützt. IV. Rückkehrfragen 1. Situation für Rückkehrer 1.1 Grundversorgung Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speise-Öl gelten im Januar 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialftlrsorge kommt, neben geringftlgigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im SÜden des Landes auch der Stammesverband ftlr die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren "Selbsthilfegruppen" in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen. 1.2 Medizinische Versorgung Die medizinische ~ mit einem ftlr die Bürger weitgehend kostenlosen Gesundheitssystem - - - - sichergestellt. Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeftlhrt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es in den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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