Prüfbericht Oury Jalloh

Dies ist der Prüfbericht der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg zum Tod von Oury Jalloh aus dem November 2018.

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11 körperlicher Gewalt zum Streifenwagen zu verbringen, begann Ouri Jallow mit heftigen Drehbewegungen sich zu wehren. POM Sch. rief PM M. zur Hilfe und gemeinsam gelang es ihnen, Ouri Jallow mit einer Handfessel die Hände auf dem Rücken zu fixieren, wobei sie ihn möglicherweise mit körperlicher Gewalt zunächst zu Boden brachten. Anschließend zogen und schoben die Polizeibeamten ihn zur Hintertür der Beifahrerseite des Streifenwagens. Dann ging PM M. auf die Fahrerseite und gemeinsam gelang es ihnen, Ouri Jallow gegen dessen Widerstand liegend auf die Rücksitzbank zu verbringen, wobei PM M. von der Fahrerseite zog und POM Sch. von der Beifahrerseite ihn in den Streifenwagen drückte. Als Ouri Jallow auf der Rücksitzbank des Streifenwagens lag, versuchte er weiter sich zu wehren und trat nach POM Sch.. Letztlich gelang es PM M. und POM Sch., ihn auf der Rücksitzbank zum Sitzen zu bringen. POM Sch. setzte sich neben ihn auf die Rücksitzbank und PM M. fuhr den Streifenwagen zum Polizeirevier in Dessau. Auch während der Fahrt zum Polizeirevier war Ouri Jallow stark erregt, strampelte mit den Beinen, wandt seinen Körper hin und her und schlug mit dem Kopf um sich, unter anderem auch gegen die Sch. des Streifenwagens. POM Sch. hielt ihn schließlich im sog. „Schwitzkasten“ am Kopf fest, um ihn an Selbstverletzungen zu hindern. Durch die Tritte und sonstigen Bewegungen Ouri Jallows wurde beim Verbringen in den Streifenwagen oder während der Fahrt zum Polizeirevier ein Plastikteil im Bereich der hinteren Tür beschädigt. Noch während der Fahrt forderte PM M. über Funk im Polizeirevier an, dass der Schlüssel für den im Kellergeschoss befindlichen Gewahrsamstrakt heruntergebracht werde. III. Durchsuchung und ärztliche Untersuchung Nach Eintreffen auf dem Parkplatz im Hof des Polizeireviers Dessau um ca. 08.30 Uhr brachten PM M. und POM Sch. Ouri Jallow, der sich jetzt ohne größeren Widerstand aus dem Streifenwagen ziehen ließ, durch die Nebeneingangstür zum im Kellergeschoss befindlichen Gewahrsamsbereich. Dort trafen sie auf PM W. T., der die Schlüssel für den Gewahrsamsbereich vom Bereich des Dienstgruppenleiters im 1. Obergeschoss heruntergebracht hatte. Die Polizeibeamten führten Ouri Jallow im
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12 Gewahrsamsbereich in das sog. Arztzimmer, einen für ärztliche Untersuchungen und Blutprobenentnahmen mit einem Tisch, zwei Stühlen und einer Liege besonders ausgestatteten Raum, und setzten ihn zunächst dort auf einen Stuhl, der zwischen einem Tisch und einer Wand stand. Auf dem Stuhl sitzend verhielt sich Ouri Jallow erneut sehr erregt und begann mit dem Kopf gegen die Wand und auf den Tisch zu schlagen. Die Polizeibeamten zogen deshalb den Stuhl, auf welchem er saß, von der Wand weg und POM Sch. fixierte ihn auf dem Stuhl, indem er ihm die Hände auf die Schultern legte und ihn auf dem Stuhl herunterdrückte. PM M. zog dem so fixierten Ouri Jallow die Geldbörse aus der linken Gesäßtasche seiner Hose, wobei dieser wieder nach den Polizeibeamten trat. In der Geldbörse fand PM M. neben einer kleinen Menge Bargeld, einem Notizbuch und dem Lichtbild einer Frau auch eine ausländerrechtliche Duldung, die jedoch geknickt, teilweise abgeschabt und deshalb nicht ganz eindeutig lesbar war. PM M. nahm telefonisch Verbindung mit Streifeneinsatzführerin POMin H. auf, um eine Überprüfung der Personaldaten Ouri Jallows zu veranlassen. Außerdem teilte er in diesem Gespräch POMin H. mit, dass ein Arzt für eine Blutproben-entnahme benötigt werde, welches diese mündlich an PHK Sch. weitergab, der daraufhin noch nachfragen ließ, aus welchem Grund eine Blutprobe entnommen werden solle. Auch die Bitte um Überprüfung der Personalien gab POMin H. an den mit ihr im selben Raum sitzenden Dienstgruppenleiter PHK Andreas Sch. weiter, welcher um 08.44 Uhr beim Einwohnermeldeamt telefonisch versuchte, ergänzende Informationen zu den Personaldaten zu erhalten. Da dies wegen technischer Probleme beim Einwohnermeldeamt nicht möglich war, rief PHK Sch. anschließend bei der Ausländerbehörde an, die ihm ebenfalls keinen vollständigen Personaldatensatz bekanntgeben konnte. Letztlich forderte er daher um 08.47 Uhr über das polizeiliche Informationssystem „INPOL-LAND“ eine Auskunft über die Personaldaten Ouri Jallows an, die er zur Akte nahm. Außerdem telefonierte er nach einem vorausgegangenen vergeblichen Versuch gegen 09.00 Uhr mit dem Arzt Dipl.-Med. Andreas Bl., den er anforderte, um Ouri Jallow eine Blutprobe zu entnehmen. Zwischenzeitlich füllten die Polizeibeamten PM M. und POM Sch. die erforderlichen Formulare aus und brachten Ouri Jallow, der sich weiterhin mit heftigen Körperbewegungen zu wehren versuchte, auf der im sog. Arztzimmer befindlichen Liege bäuchlings zu liegen. Außerdem forderten sie PM T., der den
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13 Gewahrsamsbereich zwischendurch wieder verlassen hatte, erneut als Unterstützung an. Auf der Liege zogen die Polizeibeamten Ouri Jallow zunächst die Schuhe aus, entfernten ihm den Gürtel aus seiner Hose und legten ihm eine von PM T. mitgebrachte Fußfessel an. Dann lösten sie ihm die Handfessel, zogen ihm die Jacke und den Pullover aus und fesselten ihm anschließend die Hände wieder hinter dem Rücken. Dann durchsuchten die Polizeibeamten die Kleidung Ouri Jallows, wobei dieser sich wieder durch heftige Körperbewegungen und -drehungen dagegen zu wehren versuchte. POM Sch. schob hierzu dessen Hemd hoch und tastete ihn im Oberkörperbereich ab, während PM M. ihm in die Hosentaschen fasste, diese leerte und das Tascheninnere nach außen zog, wobei er ein Handy und ein Papiertaschentuch auffand, und den Unterkörperbereich abtastete. Während der Durchsuchung der Kleidung Ouri Jallows kam kurz der Polizeibeamte Torsten B. dazu, wobei nicht klar ist, aus welchem Grund und wie lange er sich im Gewahrsamsbereich aufhielt. Möglicherweise übersahen die Polizeibeamten bei dieser Durchsuchung aufgrund der Abwehrbewegungen ein von Ouri Jallow in seiner Kleidung mitgeführtes Einwegfeuerzeug aus rotem Kunststoff. Gegen 09.10 Uhr traf Dipl.-Med. Bl. mit seinem Pkw beim Polizeirevier Dessau ein und ging dort direkt zu dem ihm aufgrund vorheriger Einsätze genau bekannten Gewahrsamsbereich. Dort untersuchte er - soweit ihm möglich - den bäuchlings auf der Liege befindlichen Ouri Jallow, der jetzt noch mit einem kurzärmeligen Oberteil, einer langen Hose sowie Socken bekleidet und mit Fußfessel und Handfessel hinter dem Rücken gefesselt war. Außerdem entnahm er ihm um 09.15 Uhr aus der rechten Ellenbeuge eine Blutprobe, in welcher später die o. g. Blutalkoholkonzentration von 2,98 ‰ sowie Betäubungsmittel und Betäubungsmittelabbauprodukte festgestellt wurden. Während der Untersuchung schimpfte Ouri Jallow ständig und wandt seinen Körper hin und her. Außer Abschürfungen durch die Handfesseln stellte Dipl.-Med. Bl. keine äußeren Verletzungen bei Ouri Jallow fest. Er beurteilte ihn als wach und distanzlos, mit mittelweit geöffneten lichtstarren Pupillen und als zunehmend aggressiv und unruhig. Unter der Voraussetzung einer fortgesetzten Fixierung bescheinigte er Ouri Jallow Gewahrsamsfähigkeit.
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14 IV. Ingewahrsamnahme und Gewahrsamsverlauf Nach Abschluss der Untersuchung verließ Dipl.-Med. Bl. den Gewahrsams-bereich und Ouri Jallow wurde durch PM M., POM Sch. und PM T. noch gefesselt in die Gewahrsamszelle 5, die sog. Ausnüchterungszelle, getragen. Diese Zelle wies eine Größe von 240 cm Breite, 450 cm Länge und 260 cm Höhe auf. Von der Tür aus an der linken Wand befand sich ein 85 cm breites, 200 cm langes und 7 cm hohes Podest, wobei zwischen der Tür und dem Podest an der linken Wand noch eine Stehtoilette aus Edelstahl im Zellenboden eingebaut war. An der der Tür zugewandten Seite des Podestes waren zwei ca. 20 cm langer Metallbügel angebracht, ein weiterer derartiger Bügel befand sich an der raumzugewandten Seite etwa in der Mitte der Podestlängsseite und ein vierter Bügel hochkant an der Wand ebenfalls etwa in der Mitte der Podestlängsseite direkt über dem Podest. Auf dem Podest befand sich eine 100 cm breite, 200 cm lange und 9 cm hohe Matratze aus Polyestergewebe Polyurethan, und die mit auflaminiertem, einem feuerhemmenden geschäumten Bezug Polyvinylchlorid aus (PVC) ummantelt war. Aufgrund der unterschiedlichen Größe von Podest und Matratze ragte die Matratze an der wandabgewandten Seite des Podestes etwa 15 cm über dieses hinaus. Außerdem war die Zelle mit einem mitten in der Decke angebrachten Feuermelder, der mit einer Verkleidung aus Lochblech vor Beschädigungen geschützt war, und einem je links und rechts neben der Tür unter der Decke befindlichen Luftzufuhr- und Luftabfuhrschacht ausgestattet, welche jedoch nur eine unzureichende Belüftung der
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15 Zelle gewährleisteten. Die Gewahrsamszelle war zudem durch eine Gegensprech- anlage mit der Möglichkeit einer akustischen, nicht aber der Möglichkeit einer visuellen Überwachung ausgestattet. Kameras zur visuellen Überwachung befanden sich lediglich beidseitig im Flur des Gewahrsamsbereichs, so dass der Flur und die Eingangstüren zu den Gewahrsamsräumen visuell überwacht werden konnten. Die Polizeibeamten PM M., POM Sch. und PM T. legten Ouri Jallow mit dem Rücken auf die Matratze in der Gewahrsamszelle 5 und fixierten seine Arme jeweils mit einer Handfessel an den mittig des Podestes befindlichen Metallbügeln und seine Beine jeweils mit einer Fußfessel an den am Fußende des Podestes befindlichen Metallbügeln. Aufgrund der Länge der Hand- und Fußfesseln und des Umstandes, dass diese jeweils auf den Metallbügeln 20 cm verschoben werden konnten, bestand für Ouri Jallow trotz der Fixierung ein nicht unerheblicher Bewegungsspielraum. So konnte er seinen Körper auf der Matratze nach links und rechts bis an deren Rand bewegen, seinen Oberkörper in eine sitzende Position aufrichten und auch mit seinen Händen größere Ausschnitte der Matratze sowie die Taschen seiner Bekleidung erreichen. Möglicherweise gelang es Ouri Jallow - sofern er (s.o.) nicht bereits bei der Festnahme selbst im Besitz eines roten Feuerzeuges gewesen ist, das bei seiner Durchsuchung übersehen wurde - beim Verbringen in die Gewahrsamszelle oder beim Fixieren auf der Matratze aber auch in den Besitz des Feuerzeuges des PM M. zu kommen, ohne dass die Polizeibeamten dies bemerkten, indem er ihm dieses unbemerkt wegnahm oder indem diesem das Feuerzeug unbemerkt beim Fixieren aus der Tasche fiel und Ouri Jallow es zu fassen bekam und verbergen konnte. Möglicherweise hatte PM M. dieses Feuerzeug auch bereits im Verlauf der Durchsuchung Ouri Jallows verloren und diesem war es gelungen, das Feuerzeug zu ergreifen und im Weiteren vor den Polizeibeamten verborgen zu halten. Möglicherweise hatte er es auch geschafft, PM M. im Verlauf des Gesamtgeschehens der Durchsuchung, des Transports in die Gewahrsamszelle und des Fixierens auf der Matratze das Feuerzeug unbemerkt wegzunehmen und zu verbergen.
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16 Jedenfalls steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass Ouri Jallow nach seiner Fixierung auf der Matratze unentdeckt ein Feuerzeug aus rotem Kunststoff bei sich führte. Nach der Fixierung Ouri Jallows verließen die Polizeibeamten die Gewahrsamszelle, verschlossen diese von außen und sicherten sie zusätzlich durch zwei Riegel. Nach Verlassen des Gewahrsamsbereichs verschlossen sie auch diesen, so dass Ouri Jallow dort allein zurückblieb. Die beiden Polizeibeamten hinterlegten wie üblich die Schlüssel für den Gewahrsamsbereich im Dienstraum des Dienstgruppenleiters im 1. OG. Bei diesen Schlüsseln für den Gewahrsamsbereich handelt es sich um mehrere bis zu etwa acht Zentimeter langen Bart- und Sicherheitsschlüssel, welche auf einen im Durchmesser etwa fünf Zentimeter messenden Metallring aufgefädelt sind. Das Gesamtschlüsselbund ist derart umfangreich, dass es nicht in eine Hosentasche einer Polizeiuniform passt und deshalb nicht eingesteckt werden kann, sondern in der Hand getragen werden muss. Weder die mit der Ingewahrsamsnahme des Ouri Jallow befassten Polizeibeamten, noch der die Gewahrsamsfähigkeit bescheinigende Arzt Dipl.-Med. Andreas Bl. erkannten die Notwendigkeit einer permanenten visuellen Überwachung, um Ouri Jallow von irrationalen selbstverletzenden oder gar lebensgefährdenden Verhaltens- weisen abzuhalten. Vielmehr gingen sie ohne weitere Überlegungen davon aus, mit der Durchsuchung Ouri Jallows, mit seiner Fixierung auf der Matratze und mit der Anordnung halbstündiger Kontrollen der Gewahrsamszelle alles Notwendige getan zu haben, um dessen körperliche Unversehrtheit und Sicherheit zu gewährleisten.
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17 Die ersten beiden Kontrollen des Gewahrsamsraumes erfolgten ausweislich der Eintragungen im Gewahrsamsbuch um 10.03 und 10.37 Uhr durch PHM T., der sich aufgrund einer vorherigen Krankheit in einer sog. Wiedereingliederungsmaßnahme mit reduzierter Arbeitszeit befand und dessen Dienst daher an diesem Tag bereits um 11.00 Uhr endete. Die nächste Kontrolle erfolgte sodann um 11.05 Uhr durch die Polizeibeamten POM Jürgen S. und POM Bernd M., die eigentlich Streifentätigkeit zu verrichten hatten, sich aber zu dieser Zeit gerade im Reviergebäude befanden. Den kontrollierenden Polizeibeamten fielen in der Zelle keine Unregelmäßigkeiten auf. Das Verhalten Ouri Jallows bei den Kontrollen war dadurch gekennzeichnet, dass er auf die Polizeibeamten teilweise wirkte, als ob er sich schlafend stelle, dann aber wieder abrupt aggressiv aufbrauste, nach dem Grund fragte, warum er sich dort befinde und gefesselt sei, und verlangte, ihn los zu machen und gehen zu lassen. Zuletzt erfolgte eine Kontrolle der Gewahrsamszelle um 11.45 Uhr. Da POMin H. als Streifeneinsatzführerin über die akustische Überwachung der Gewahrsamszelle hörte, dass Ouri Jallow ständig rief und schimpfte und immer wieder verlangte, losgebunden zu werden, entschloss sie sich, die Gewahrsamszelle selbst zu kontrollieren. Sie nahm den in ihrem Arbeitsbereich auf der sog. Flachstrecke (Sideboard) liegenden Schlüssel des Gewahrsamsbereichs und ging in Richtung Keller. Im Erdgeschoss im Bereich der Hauswache traf sie auf POM Hartmut Schu., dessen Schicht gerade endete und der seine Ausrüstung ablegen und sich auf den Heimweg machen wollte. Sie bat ihn, mit in den Keller zum Gewahrsamsbereich zu kommen und sie bei der Zellenkontrolle zu unterstützen. In diesem Bereich wurde sie von Annette F., die dort im Eingangsbereich die Eingangskontrollen durchführte, die sog. „Hauswache“, darüber informiert, dass diese kurz vorher von der über der Gewahrsamszelle gelegenen Toilette aus gehört habe, dass in der Gewahrsamszelle „gebummert“ werde. Im Keller öffneten die Polizeibeamten zunächst den Gewahrsamsbereich und dann die Zelle, in welcher sich Ouri Jallow befand. POMin H. machte von der Tür des Gewahrsamsbereichs einen Schritt in Richtung des Zelleninneren, da sie sonst wegen der ungewöhnlichen Mauerdicke Ouri Jallow nicht hätte sehen können, ging jedoch nicht weiter in die Zelle hinein. Auch bei dieser Kontrolle erweckte Ouri Jallow im ersten Moment den Eindruck, sich schlafend zu stellen, brauste dann jedoch auf und verlangte zu erfahren, warum er sich in der Zelle befinde, und losgemacht zu
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18 werden. POMin H. entgegnete lediglich, er wisse schon, warum er dort sei, und beendete die Kontrolle nach kurzer Zeit, ohne die Zelle genauer zu inspizieren. Nach der Zellenkontrolle schloss POMin H. die Zelle ab, verriegelte diese zusätzlich mit zwei Schubriegeln sowie einer Kette und verschloss auch den Gewahrsamstrakt. (Foto von der Tür zur Gewahrsamszelle 5 mit Verschlussmöglichkeiten) Nachdem sie sich von POM Sch. verabschiedet hatte, ging sie wieder in den ersten Stock in den DGL Raum, nahm den Eintrag in das Gewahrsamsbuch vor, legte die Schlüssel des Gewahrsamtrakts zurück auf die Flachstrecke und meldete sich dann bei PHK Sch. ab, da sie auf Toilette wollte. Anschließend setzte sie ihren Dienst im DGL Raum fort. In der folgenden Zeit hörte POMin H. über die akustische Überwachung Ouri Jallow in der Gewahrsamszelle rufen und brüllen, ohne aber konkrete Inhalte verstehen zu können. Außerdem vernahm sie kurz darauf ein „plätscherndes“ Geräusch, ohne die Ursache hierfür bestimmen zu können.
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19 V. Brandgeschehen Entweder schon zwischen den Zellenkontrollen um 11.05 Uhr und 11.45 Uhr oder direkt nach der Zellenkontrolle um 11.45 Uhr ging Ouri Jallow davon aus, dass er von den Polizeibeamten keine Antwort erhalten werde, warum er in der Zelle fixiert sei, und auch nicht in naher Zukunft von der Fesselung befreit werde. Er entschloss sich deshalb, drastischere Maßnahmen zu ergreifen, um das Lösen der Fesseln und möglicherweise seine Freilassung zu erzwingen. Er begann deshalb auch wegen seiner alkohol- und betäubungsmittelbedingten Beeinträchtigung mit dem in seinen Besitz gelangten Feuerzeug zu versuchen, die Matratze, auf welcher er fixiert war, anzubrennen, um dann Alarm zu schlagen bzw. auszulösen, um so letztlich losgebunden zu werden. Möglicherweise hatte er auch den an der Zellendecke angebrachten Rauchmelder als solchen erkannt. Er vertraute jedenfalls darauf, bei einem Brandausbruch in kürzester Zeit gerettet zu werden. Die mit seinem Verhalten verbundene Lebensgefahr für sich selbst erkannte er dabei aufgrund seiner alkohol- und betäubungsmittelbedingten Beeinträchtigung nicht oder unterschätzte sie völlig und nahm sie deshalb in Kauf. Aufgrund des feuerhemmenden Bezuges der Matratze gelang es Ouri Jallow zunächst nicht, diese zu entflammen. Er bemerkte hierbei jedoch, dass die auflaminierte Polyvinylchloridschicht nach dem Erhitzen mit dem Feuerzeug zwar nicht selbständig zu brennen begann, das Polyvinylchlorid sich jedoch aufweichte und jetzt mit den Fingern von dem Untergewebe abgelöst und abgerissen werden konnte. Auf diese Weise gelang es ihm, innerhalb weniger Minuten ein größeres Loch in der auflaminierten Polyvinylchloridschicht des Matratzenbezuges zu verursachen, so dass die Flamme des Feuerzeugs durch die verbleibende grobe Gewebeschicht nun in Kontakt zu dem leicht entflammbaren Polyurethankern der Matratze kommen konnte. Kurze Zeit nach der letzten Kontrolle der Gewahrsamszelle durch POMin H. und POM Sch. setzte Ouri Jallow mit dem bei den Kontrollen unentdeckt gebliebenen Feuerzeug den inneren Kern der Matratze in dem Bereich in Brand, wo er vor der letzten Kontrolle, bei dieser unentdeckt oder direkt nach der letzten Kontrolle die auflaminierte Polyvinylchloridschicht des Matratzenbezuges erhitzt und mit den Fingern dann entfernt hatte. Dieser Bereich befand sich am wandseitigen Bereich der Matratze, den Ouri Jallow mit seiner rechten Hand erreichen konnte. Er wollte
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20 dadurch einen Brandalarm auslösen, um die Beendigung der Fesselung zu erzwingen. Nach dem Anbrennen des Matratzenkerns verbarg Ouri Jallow das Feuerzeug in seiner Kleidung oder unter seinem Körper, um seine Verantwortung für den Brandausbruch zu verschleiern zu versuchen. Der Kern der Matratze begann sofort unter Entwicklung schwarzen Qualms zu brennen, welcher senkrecht zur Zellendecke aufstieg und sich dort zu sammeln begann. Ouri Jallow lag auf der Matratze, so dass er den Qualm nicht einatmete, und rutschte auf der Matratze möglichst weit von der Wand weg, um seinen Körper nicht der Hitze der Flamme auszusetzen. Die Bewegungen Ouri Jallows auf der Matratze und die brennende Matratze selbst erzeugten Geräusche, die - wie nahezu alle Geräusche aus der Zelle - über die zur akustischen Überwachung der Zelle eingesetzten Wechselsprechanlage als plätscherartige Geräusche wahrgenommen wurden. Daneben wurden durch POMin H. an ihrem Arbeitsplatz im DGL-Raum Geräusche als unverständliches „Krakelen und Brüllen“ wahrgenommen, ohne dass sie diese Geräusche zuordnen konnte. Da die „plätschernden“ Geräusche in ihrer Wahrnehmung intensiver wurden und sie einen Wasserschaden oder vergleichbares befürchtete, konzentrierte sie sich auf dieses Geräusch und versuchte es einer Ursache zuzuordnen. In einer nicht näher feststellbaren Zeitspanne zwischen 1 Minute 15 Sek. und 2 Minuten 50 Sek. (je nach Größe des inbrandgesetzten Matratzenstückes) nach dem Anbrennen des Matratzenkerns wurde über die Rauchmeldeanlage im Arbeitsbereich des Dienstgruppenleiters gegen 12:04 Uhr oder 12:05 Uhr erstmals der Feueralarm ausgelöst. Da es im Verlauf des Jahres 2004, etwa bis in den Spätsommer hinein, mehrfach Fehlalarme der Rauchmeldeanlage gegeben hatte, ging PHK Sch. davon aus, dass es sich auch bei diesem Alarm um einen Fehlalarm handele, und schaltete mit den sinngemäßen Worten „nicht das Ding wieder“ am Bedienelement der Feuermeldeanlage im DGL-Bereich den Alarm über die Resettaste aus. Etwa 10 Sekunden später löste über die Rauchmeldeanlage zumindest ein weiteres Mal der Feueralarm aus, der erneut entweder durch PHK Sch. oder POMin H. ausgeschaltet wurde, wobei möglicherweise die Feuermeldeanlage auch insgesamt ausgeschaltet wurde. Diese von PHK Sch. als Fehlalarm eingeschätzte Alarmauslösung über den Rauchmelder teilte POMin H. telefonisch Melanie T. von der Verwaltung des Polizeireviers mit.
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