Microsoft Word - 12-S-0025-19 - 200306 - Beschluss - Anonymisiert.docx

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- 11 - nung (EU) 2017/625 hindert die Verschwiegenheitspflicht die Behörden nicht, Infor- mationen über das Ergebnis amtlicher Kontrollen, die einzelne Unternehmer betref- fen, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sofern der betreffende Unternehmer zuvor Gelegenheit erhält, sich zu den Informationen zu äußern, und sofern die der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Informationen die Bemerkungen des betroffe- nen Unternehmers berücksichtigen oder mit diesen zusammen veröffentlicht oder freigegeben werden. Soweit die Antragstellerin meint, aus der Verpflichtung zur Be- rücksichtigung ihrer Stellungnahme folge hier, dass der Kontrollbericht nicht her- ausgegeben werden dürfe, geht dies über den Regelungsgehalt des Art. 8 Abs. 5 lit b (EU) 2017/625 hinaus. Dieser sieht seinem Wortlaut entsprechend vor, dass die Information dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, wenn die von dem betroffenen Unternehmen abgegebene Stellungnahme zuvor berücksich- tigt worden ist. Der Unternehmer soll danach nicht vor jeder Zugänglichmachung der Information geschützt werden. Berücksichtigungsfähig dürften entsprechend keine Bemerkungen sein, die nicht die sachliche Information als solche, sondern den Anspruch Dritter auf Zugänglichmachung der Information betreffen. Vor diesem Hintergrund vermag auch der Einwand der Antragstellerin nicht zu überzeugen, der Antragsgegner müsse nach Art. 8 Abs. 5 lit b (EU) 2017/625 ihre Stellungnahme zusammen mit dem Kontrollbericht veröffentlichen, da er den Informationszugang nicht, wie mit der Stellungnahme gefordert, abgelehnt habe. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass die Berücksichtigung von Bemer- kungen, die nach Art. 8 Abs. 5 lit b (EU) 2017/625 zudem an erster Stelle genannt ist, mithin vorrangig zu sein scheint, zu einer Verpflichtung der Behörde führen soll, den Einwendungen eines Unternehmers zu folgen. Dies ließe sich mit der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz auch dann schwer vereinbaren, wenn ihr die (nachrangige) Möglichkeit gewährt wird, die Bemerkungen des Unternehmers zu veröffentlichen. Vielmehr ist von einer Berücksichtigung auch dann auszugehen, wenn die Behörde die Bemerkungen des Unternehmers zur Kenntnis genommen und bei ihrer Entscheidung über den Informationszugang einbezogen hat (vgl. OVG Münster, a.a.O. Rn. 77). Diesen Anforderungen hat der Antragsgegner mit seinem die Informationsgewährung regelnden Bescheid vom 9. April 2019 genügt. Es kann vor dem geschilderten Hintergrund offen bleiben, ob der Antragsgegner die Bemer- kungen der Antragstellerin nach Art. 8 Abs. 5 lit b (EU) 2017/625 auch freigegeben - 12 -
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- 12 - hat, indem er in dem die Informationsgewährung bewilligenden Bescheid den Kern der Stellungnahme der Antragstellerin zusammengefasst hat. 2. Die Interessenabwägung führt auch im Übrigen nicht zu einem überwiegenden Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Zu beachten ist insoweit, dass der Gesetzgeber in § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG für die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG genannten Fälle den Sofortvollzug angeordnet hat, so dass Widerspruch und Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschie- bende Wirkung haben. Gegen § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG bestehen keine aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 13. Dezem- ber 2019 - 10 S 1891/19 -, juris Rn. 9 m.w.N.; OVG Münster, a.a.O. Rn. 100; Hei- nike, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: Juli 2019, § 5 VIG Rn. 16, Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1500). Der Gesetzgeber kann im öffentlichen Interesse die ge- setzliche Suspensionsautomatik des § 80 Abs. 1 VwGO durchbrechen (BVerfG, Be- schluss vom 10. Oktober 2003 - 1 BvR 2025.03 - juris Rn. 19). Zu dem durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten effektiven Rechtsschutz gegen Akte öffentlicher Gewalt zählt auch das gerichtliche Verfahren auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs. Dass der Gesetzgeber es als sach- gerecht angesehen hat, bei Informationen über Rechtsverstöße die sofortige Voll- ziehbarkeit der Verwaltungsentscheidung mit Blick auf ein regelmäßig überragen- des Interesse an einer schnellen Information (BT-Drs. 17/7374, S. 18) anzuordnen, führt vor diesem Hintergrund nicht zu verfassungsrechtlichen Zweifeln, zumal der Gesetzgeber mit § 5 Abs. 4 Satz 2 und 3 VIG verfahrensrechtliche Sicherungen zugunsten betroffener Dritter eingeführt hat, die in diesem Zusammenhang zu be- achten sind (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 13. Dezember 2019 - 10 S 1891/19 -, juris Rn. 9 m.w.N.). Soweit die Antragstellerin verfassungsrechtliche Bedenken daraus abgeleitet, dass in § 5 Abs. 4 Satz 2 und 3 VIG die Freigabe der Information vorgesehen sei, ohne dass die Behörde - wie in § 8 Abs. 2 Satz 2 IFG - die besondere Eilbedürftigkeit geprüft habe, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil bereits der Gesetzgeber in - 13 -
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- 13 - § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG den Sofortvollzug angeordnet hat. Der Hinweis auf die gere- gelte Äußerungsfrist, die nach § 5 Abs. 4 Satz 3 VIG 14 Tage nicht überschreiten soll, übersieht, dass die Behörde eine Ermessensentscheidung zu treffen hat und damit verfassungskonform agieren kann (vgl. Schoch, NvwZ 2012, 1497, 1500). Die danach zu berücksichtigende Entscheidung des Gesetzgebers in § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG für den Sofortvollzug führt dazu, dass - neben der Prüfung der Erfolgs- aussichten in der Hauptsache - eine Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hin- blick auf solche Umstände zu erfolgen hat, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der ge- setzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist. Der Antrag- steller muss die Wertung des Gesetzgebers mit Besonderheiten seiner Situation entkräften. Sind in diesem Sinn qualifizierte Argumente nicht vorgetragen, sind die Abwägungsanforderungen, die nach Art. 19 Abs. 4 GG im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu erfüllen sind, regelmäßig gering (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2003, a.a.O. Rn. 22). Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt die Interessenabwägung es nicht, von der gesetzgeberischen Grundentscheidung des Sofortvollzugs abzuweichen. Der Fall weist keine dafür genügenden Besonderheiten auf. Die von der Antragstellerin an- geführte nicht reversible Zugänglichmachung der Information und die damit verbun- dene Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren ist der vom Gesetzgeber vor- gesehene Regelfall und keine die Situation der Antragstellerin betreffende Beson- derheit (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 13. Dezember 2019 - 10 S 2614/19 -, juris Rn. 42; OVG Münster, a.a.O. Rn. 107). Der von der Antragstellerin geltend gemachten Veröffentlichung der Information im Internet mag zwar eine – potentiell zeitlich unbegrenzte – Multiplikationswirkung für ihren Geschäftsbetrieb zukommen. Gegen eine solche Verbreitung wäre mit Blick auf § 2a IWG im Grundsatz jedoch nichts einzuwenden; es stünde vielmehr mit dem Gesetzeszweck in Einklang, wenn ein Verbraucher die erhaltenen Informationen mit anderen teilt und der Öffentlichkeit zugänglich macht. Auch verfassungsrecht- lich wäre eine solche Veröffentlichung hinzunehmen, solange sie wahrheitsgemäß und auch sonst rechtmäßig erfolgt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. August 2019, a.a.O. Rn. 22; VGH Mannheim, Beschluss vom 13. Dezember 2019 - 10 S 2614/19 - 14 -
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- 14 - - juris Rn. 43). Dass mit einer solchen Veröffentlichung eine „Prangerwirkung“ ein- hergeht, ist ebenfalls nicht anzunehmen. Ein insoweit erforderliches schwerwiegen- des Unwerturteil des Durchschnittspublikums oder wesentlicher Teile desselben (vgl. VGH Mannheim, a.a.O. Rn. 44) ist bereits deshalb nicht zu erwarten, weil die festgestellten Mängel mit Blick auf die Daten des Kontrollberichts schon längere Zeit zurückliegen (vgl. OVG Münster, a.a.O. Rn. 107). Mit einer erheblichen ge- schäftsschädigenden Wirkung für die Antragstellerin ist danach ebenfalls nicht zu rechnen. Dies gilt entsprechend den bereits erfolgten Ausführungen auch unter Be- rücksichtigung der längerfristigen Verfügbarkeit von Informationen auf privaten In- ternetseiten. Da die Informationen über den Kontrollbericht mit zunehmender Zeit ihr Potential verlieren, die Marktstellung der Antragstellerin nachteilig zu beeinflussen, vermag auch der Umstand, dass auch das Informationsinteresse wegen des Alters des Kon- trollberichts abgenommen haben dürfte, ein überwiegendes Geheimhaltungsinte- resse nicht zu begründen, zumal er nicht so alt ist, dass ihm jeder Informationswert von vornherein abgesprochen werden kann (vgl. OVG Münster, a.a.O. Rn. 109). Letzteres verkennt die Antragstellerin mit ihrem Einwand, dass die mit einer weite- ren Verzögerung der Herausgabe des Kontrollberichts verbundenen Nachteile ob- jektiv gering seien. Der Einwand der Antragstellerin, dass mit dem Alter der Infor- mation die Tiefe des Grundrechtseingriffs nicht in entsprechendem Maße zu ihren Gunsten sinke, überzeugt in diesem Zusammenhang nicht, da entsprechend dem bereits Ausgeführten zu erwarten ist, dass alte oder sich auf ältere Vorfälle bezie- hende Einträge auf privaten Internetplattformen als weniger oder nicht mehr rele- vant wahrgenommen werden. II. Der Hilfsantrag der Antragstellerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Die beantragte Feststellung der aufschiebenden Wirkung des von ihr eingelegten Rechtsbehelfs scheidet aus, da nach den obigen Ausführungen davon auszugehen ist, dass die streitgegenständliche Information dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG unterfällt und daher der von der Antragstellerin erhobene Widerspruch gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG keine aufschiebende Wirkung hat. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwert- festsetzung beruht auf § 45 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, - 15 -
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- 15 - § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Senat mit Blick darauf, dass die Entscheidung einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkommt, den vollen Auffangwert ansetzt. Der Hilfsantrag betrifft denselben Gegenstand. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Plückelmann Böcker Dr. Raabe
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