Lagebericht Afghanistan 2020

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der Verfassung, tradierten Moralvorstellungen und ratifizierten internationalen Abkommen,
deren Umsetzung ebenfalls in der Verfassung festgeschrieben ist. Laut EASO kommt es ins-
besondere in paschtunischer Siedlungsräumen weiter auch zu traditionellen Formen privater
Strafjustiz, bis hin zu Blutfehden.

 

Darüber hinaus sind Fälle von Sippenhaft durch die Taliban bekannt. Zur Verhängung von

Sippenhaft durch andere regierungsfeindliche Organisationen legen keine Erkennfnisse vor.
Sie sollen im Rahmen

einer derzeit noch auszugestaltenden Reform der neu geschaffenen zivilen Gefängnisverwal-
tung (Office of ihe Prisons Administration — OPA) unterstellt werden. Dies soll auch zur Be-
hebung der Missstände beitragen. Um eine Ausbreitung von Covid-I9 ın Gefängnissen zu
verhindern hat Präsident Ghani in unterschiedlichem Umfang Amnestien, Haftentlassungen
und Haftaussetzungen angeordnet. Im Vorfeld der angestrebten Frredensverhandlungen
kommt es als Teil eines Gefangenenaustausches zudem zur Freilassung inhaftierter Taliban.

 

1.6. Militär- und Polizeidienst

Es gibt keins Wehrpflicht. Die Tätigkeit als Soldat oder Pohzist stellt für einen großen Teil
der jungen männlichen Bevölkenmg eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten dar, sodass
grundsätzlich kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften besteht.
Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Rekrutierung beträgt 18 Jahre.

Fahnenflucht und umerlaubtes Wegbleiben vom Arbeitsplatz im Militär- und Polizeibereich
kommen häufig vor und können mit bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen mit
bis zu 15 Jabren Haft bestraft werden.

Aufgrund der sehr hohen Schwundgquote (sog. „attrition rate ”) werden etwaige „Deserteu-
re“ nach Rückkehr wieder von den ANDSF aufgenommen. In einigen Fällen wurden Angehö-
rige der ANDSF, die im Rahmen von Kampfhandlungen durch die Taliban gefangen genom-
men wurden, unter der Voraussetzung wieder freigelassen, nicht zu den ANDSF zurückzu-
kehren.

1.7. Handlungen gegen Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden
mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Von den ca. acht Millionen Schulkin-
dern sind rand drei Millionen Mädchen, Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschrei-
tender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Süd-
westen des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika).

UNAMA zählte 2019 874 getötete und 2.275 verletzte Kinder (3%-Anstieg im Vergleich zu
2018), dies entspricht 30% aller zivilen Opfer.

Für Parlaments- wie Präsidentschaftswahlen werden in Afghanistan u. a. Schulen für Wähler-
registrierung und Stimmabgabe genutzt. Als Wahleinsichtungen sind auch diese einem beson-
deren Anschlagsrisiko ausgesetzt.

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Die Volljährigkeit beginnt in Afghanistan mit dem 18. Geburtstag. Einzelne politische Kräfte,
lehnen dies unter Verweis auf die Scharia ab. Dies hatte z. B. zur Folge, dass die parlamenta-
rische Bestätigung des Kinderschutzgesetzes im Dezember 2019 im Unterhaus (Wolesi Jirga)
scheiterte. Die Zwangsverheiratung auch von Kindern unter dem gesetzlichen Mindestalter
der Ehefähigkeit — 18 Jahre für Männer, 16 für Frauen {mit Zustimmung des Vaters 15 Jahre)
— jst weit verbreitet.

Das Problem der Rekrutierung von Kindern, einschließlich Zwangsrekrutierung sowie Ent-
führungen und sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch regierungsfeindliche Gruppen,
Milizen besteht nach Erkenntnissen der VN weiter fort.

2019 konnte UNAMA die Rekrutierung von insgesamt 64 Jungen. vor allem im Norden des
Landes belegen; davon wurden 58 durch die Taliban BEE
ekrutiert. Der VN liegen Berichte vor, wonach die Taliban Kinder u. a für
Selbstmordattentate, den Transport von Sprengstoff und Informationsgewinnung einsetzen,

 

 
 

 

ie afghanische Regierung bemüht sich,
diese Art von Rekrutierung zu unterbinden und hat die Rekrutierımg Minderjähriger unter
Strafe gestellt. Laut UNAMA zeigen die sog. „Child Protection Units“ der ANP Rekrutie-
rungszenfren erste Erfolge und haben dazu geführt, dass 2019 bei über 400 Minderjährigen
der Rekrutierungsprozess rechtzeitig unterbunden wurde,

In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen
ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem
Deckmante] kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Es wird von einer
hohen Dunkelziffer ausgegangen, da aufgrund der mit dem Thema verbundenen gesellschaft-
lichen Befindlichkeiten die Mehrheit der Vorfälle nicht angezeigt wird. UNAMA konnte 2019
acht Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein

Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen
ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, EEE
EEE Missbrauchte Kinder werden oft von armen Familien
verkauft, von den Käufern sexuell missbraucht, weiter gehandelt oder auch getötet. Für Auf-
sehen sorgten die Enthüllungen von zwei Bürgerrechtlern im November 2019, die auf über
Hundert Fälle von Missbrauch in Schulen in der Provinz Logar in Afghanistan aufmerksam
machten. Nach einem Aufschrei der internationalen Gemeinschaft wurde eine Untersu-
chungskommission bei der Generalstaatsanwaltschaft eingesetzt. Erst nach vielen Monaten
verkündete der Generalstaatsanwalt im Mai 2020 mehrere Verhaftungen und die Einleitung
von Strafverfahren.

Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi (sog. „Tanzjun-
gen“ auch „Knabenspiel“), was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht
als homosexueller Akt erachtet und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird. Mit
einer Ergänzung zum Strafgesetz wurde 2018 die Bacho Bazi-Praxis erstmalig explizit unter
Strafe gestellt.

     
 
 

   

Missbrauchte Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer

sozialen Umzebung ausgeschlossen und stigmatisıert;

  
 

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Der Verkauf von Kindern oder frühe Verheiratung von Mädchen gilt als sozial akzeptierte
Bewältigungsstrategie in einer wirtschaftlichen Notlage.

Afghanistan hat die VN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Das Arbeitsgesetz legt das Min-
destafter für die Beschäftigung auf 15 Jahre fest, als Lehrling ist eine Tätigkeit ab 14 Jahren
möglich. Kinderarbeit unter 14 Jahren ist verboten. Laut einem UNICEF-Bericht vom De-
zember 2019 müssen weiterhin jedoch 30% der Kinder zwischen fünf und 16 Jahren Arbeit
leisten („Preserving Hope in Afghanistan — Protecting children in the world’s most lethal con-
flict). Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Da-
her ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwieri

    
   

Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und
sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt.

1.8. Geschlechtsspeziftsche Verfolgung

Frauen können ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stäm-
mestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Af-
ghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung, durch die Ratifizierung internationaler Kon-
ventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu
achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser
Rechte.

Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vor-
gegebenen Rechte nieht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist aufgrund der gesell-
schaftlichen Gegebenheiten und einer überwiegend männlichen Richterschaft nur in einge-

    

Das Personenstandsgeseiz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in
Bezug auf Heirat, Sorgerecht, Erbschaft und Bewegungsfreiheit.

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert. So sieht die afghanische Ver-
fassung Frauenquoter für das Zweikammerparlament vor- Ein Drittel der 102 Sitze im Ober-
haus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Ober-
hauses sind gemäß; Verfassung 50 % (17 Sitze) für Frauen bestimmt, diese Vorgabe wird der-
zeit aber nicht eingehalten. Im Unterhaus (Holesi Jirga) sind 68 der 249 Sitze für Parlamenta-
rierinnen verfassungsmäßig garantiert; derzeit wird die Quote mit 69 Frauen leicht übertroffen.

Die Gouverneursposition wird derzeit in allen 34 Provinzen von Männern besetzt. Auch auf
Distriktebene bleibt es die absolute Ausnahme, dass Frauen diese Führungsposition innehaben.
Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht allerdings eine Frauenquote von mind. 25 %
in den Provinzräten vor. Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen
Wahlkommission (Independent Election Commission, TEC) für Frauen vorgesehen, die mit
Hawa Alam Nooristani erstmals eine Frau als Vorsitzende hat. Im Prozess der laufenden Re-
gierungsbildung hat Präsident Ghani bereits eine Ministerin vorgeschlagen und gegenüber der
internationalen Gemeinschaft versprochen, das Niveau der Vorgängerregierung von vier Mi-
nisterinnen bei 25 Ministerien zu halten. Die Independent Administrative Reform and Civil
Service Commission (LARCSC) hat sich die Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen
Dienst von 22 % auf 24 % für das Jahr 2019 und 26 % im Jahr 2020 zum Ziel gesstzt.

Im Justiz- und Polizeisektor bleiben Frauen weiterhin unterrepräsentiert. So stellen Richterin-
nen nur etwa 15 % der Richterschaft. Aktuell sind etwas mehr als 3.600 Polizistinnen in der

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Afghan National Police (ANP) tätig — knapp 3 % aller Polizeibeschäftigten. Das Innenminis-
terium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen. Diese sind aber oft mit Man-
gel an Respekt und Anerkennung sowohl im Kollegenkreis als äuch bei der männlichen Be-
völkerung konfrontiert. Es gibt zahlreiche Berichte über den sexuellen Missbrauch von Frau-
en in der afghanischen Polizei, durch Kollegen und durch Vorgesetzte.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist unabhängig von der Ethnie weit ver-
breitet und kaura dokumentiert. EASO geht laut Bericht von Dezember 2017 davon aus, dass
87 % der Frauen Gewalt erfahren; 62 % mehrfach. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen
finden zu über 90 % innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Kör-
perverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und
Mord. In der Zeit von August 2015 bis Dezember 2017 dokumentierte UNAMA 280 Fälle
von (Ehren-}Morden an Frauen, in 50 Fällen (18 %) davon wurde ein Täter verurteilt und in-
haftiert. Das Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, das Eliminatinz Violence
Against Women (EVAW) Gesetz sowie Ergänzungen im Strafgesetzbuch, bilden eine wichti-
ge Grundlage, Gewalt gegen Frauen — inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt und
konfliktbedingter sexueller Gewalt gegen Frauen — unter Strafe zu stellen, werden jedoch nur
unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten
wie Kabul, Herat oder Mazar-e Scharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffent-
lichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in
der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht vor sexueller Belästigung schützt.

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan 2015 - 2022 für die
Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1325 zum Schutz der Frauenrechte auf den Weg
gebracht. Dieser befindet sich inzwischen in der Phase II (2019 - 2022), die Umsetzung ver-
läuft aber weiterhin schieppend.

UNAMA dokumentierte 2019 vier Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilistinnen
durch, denen die Taliban Ehebruch oder eine „unmoralische Beziehung“ vorwarfen. In einem
Fall wurde die Frau im November 2019 in der Provinz Faryab hingerichtet, drei Fälle führten
zu Auspeitschungen.

Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw.
Stammeszugehörigkeit und liegt den Umfrageergebnissen der Asia Foundation 26519 im Lan-
desdurchschnitt bei 76%, Am geringsten ist die Zustimmung in den südwestlichen Provinzen
des Landes. In der zentralen Hochlandregion tragen laut der Umfrageergebnisse 45,4 % der
Frauen durch Erwerbsarbeit zum Haushaltseinkommen bei; am geringsten ist der Anteil in
den zentralen Regionen mit knapp 12 %.

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis
auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle
Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivil-
rechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nıcht gesetzeskonform zugesprochen werden. Bei-
spielsweise werden viele Frauen in Fällen häuslicher Gewalt darauf verwiesen, zu ihrem
Ehemann zurückzukehren, um Ehre und Frieden in der Familie zu erhalten.

Häufig werden Frauen, die eine Straftat zur Anzeige bringen oder von der Familie aus Grün-
den der „Ehrenrettung‘“ angezeigt werden, unter dern Vorwurf sog. Sittenverbrechen (wie z. B.
„zina“ — außerehelicher Geschlechtsverkehr — im Fall einer Vergewaltigung) oder „Vön-zu-
Hause-Weglaufens“ (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der „zina” gewertet) verhaftet.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren die ım Zusammenhang mit „zinad”-Anklagen oft
einhergehenden, gesetzlich abgeschafften, aber in der Praxis weiterhin durchgeführten, er-
zwungenen „Jungfräulichkeitstests“.

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Auch Männer können wegen „zina“-Anschuldigungen strafrechtlich verfolgt werden. Aller-
dings kommen diese Fälle selten vor Gericht, sondem werden aufgrund des hohen Stigmas
und Ehrverlusts innerhalb der Familien gelöst. Auch fallen dıe Strafen geringer aus. Zum Teil
ergehen in diesen Fällen Morddrohungen der beiden Familien gegen beide Partner.

Traditionelle diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in länd-
lichen und abgelegenen Regionen weiter. Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter
15 Jahren sind noch weit verbreitet. Das afghanische Zivilrecht erlaubt eine Eheschließung für
Mädchen ab 16 Jahre, mit Einverständnis des Vaters oder eines Gerichts ab 15 Jahre. Die Da-
tenlage hierzu ist sehr schlecht. Einem UNICEF-Bericht zu Situation der Kinder in Afghanis-
tan zufolge ist eines von drei Mädchen unter 18 Jahren verheiratet, in 42% der Familien
kommt es zu Kinderehen. Auch gibt es z.B. die so g. „Bacha Push“. Dies sind junge Mädchen,
die sich als Jungen ausgeben, um eine bestimmte Bildung genießen zu können, alleine außer
Haus zu gehen oder Geld für die sohn- oder vateriose Familie zu verdienen. Dies ist in der
Regel keine transsexuelle, sondern eine indirekt aufgrund gesellschaftlicher Zwänge bedingte
Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da
ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt
habe.

Das Recht auf Familienplanung wird nur von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit
überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, so
nutzen jedoch nur etwa 22 % (überwiegend in den Siädten und gebildetere Schichten) die
entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter.

In der Tradition des Paschtunwali (paschtunischer Ehrenkodex) werden Frauen als Objekt
der Streitbeilegung („baaa“ und „ba’adaf“) missbraucht. Die Familie des Schädigers bietet
der Familie des Geschädigten ein Mädchen oder eine Frau zur Begleichung der Schuld an.
Diese Art der Streitbeilegung ist nach afghanischem Recht verboten und wird zum Teil auch
strafrechtlich verfolgt, wird jedoch insbesondere in traditionell paschtunischen Gebieten im
Süden und Osten Afghanistans, aber auch in den Provinzen Kabul, Parwan und Panjshir wei-
terhin praktiziert.

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf
Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-Jursächlich
für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot
sehr oft in Anspruch genommen wird, Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere
wiederum verbringen dort vıele Jahre. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch aller-
dings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus zu erreichen. Zudem sind die Frauen-
häuser in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut
werden, diese Häuser seien Orte für „unmoralischs Handlungen“ und die Frauen Prostituierte.

Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern
zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Generell ist in Afghanistan das Prinzip
eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in
der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Fami-
lienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt
beschrieben. ri

1.8.1. Situation für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Inter-
sexuelle (LGBTI)

Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orien-
tierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review-Verfahrens

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(UPR) des VN-Menschenrechtsrats in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und
nicht zu diskriminieren, wies die afghanısche Vertretung (als eine der wenigen nicht akzep-
tierten Forderungen) im Januar 2014 zurück.

Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der brei-
ten Gesellschaft abgelehut und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden.

Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechts-
verkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in
Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen
Achtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und
Auslegung des islamischen Rechts mit Androhungen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf
die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen,
arbeiten im Untergrund.

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe ist nicht nachweisbar, was allerdings
an der vollkommenen Tabuisierung des Thernas liegt. Über die Durchführung von Strafver-
fahren gegen LGBTTI biegen dem Auswärtigen Amt deshalb keine Erkenntnisse vo

   

Die Betroffenen haben keinen Zugang zum Gesund-
heitssystem und müssen bei „Entdeckung“ den Verlust ihres Arbeitsplatzes und soziale Aus-
grenzung fürchten, können aber auch Opfer von weiterer Gewalt werden.

Aufgrund des Scharia-Vorbehalts ım afghanischen Recht gibt es keine dem deutschen Trans-
sexuellengesetz vergleichbare Regelung. Unter der Scharia ist bereits dıe Annäherung des
äußeren Erscheinungsbilds an das andere Geschlecht, etwa durch Kleidung, verboten. Die
Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit:
transsexueller Personen.

1.9. Exilpolitische Aktivitäten
Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rück-
kehr aus dem Ausland ist nicht bekannt. Staatspräsident Ghani selbst verbrachte die Zeit der

Bürgerkriege und der Talıban-Herrschaft im den 19%er Jahren weitgehend im pakistanischen
und US-amerikanischen Exil.

2. Repressionen Dritter
2.1. Bedrohungslage für ANDSF, Amtsträger und lokale Mitarbeiter

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehe-
nen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regie-
rung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Seit dem Abkommen zwischen den USA und
den Taliban vom 29. Februar 2020 sind keine signifikanten Angriffe mehr durch Taliban auf
internationale Kräfte erfolgt, dafür umso mehr auf ANDSF. Die Frühjahrsoffensive wurde im
Jahr 2020 bisher nicht offiziell erklärt, das Gewaltniveau der Taliban bewegt sich aber bereits
auf dem Niveau der Ofiensiven vergangener Jahre

ISKP ist weiterhin in Afghanistan aktiv, wenn auch geschwächt. Nach den Anschlägen vom
März 2020 hat es im Mai mehrere erfolgreiche Operationen der ANDSF gegen ISKP in Kabut
gegeben.

Im Umfeld der Präsidentschaftswahlen am 28. September 2019 kam es landesweit zu zahlrei-
chen Sicherheitsvorfällen — vielfach gegen die Wahlinfrastruktur — aber zu keinen großen
Anschlägen. Dies scheirit auch auf die Taktik der Taliban zurückzuführen zu sein, sich in ers-
ter Linie auf eine Einschüchterungskampagme zu konzentrieren ohne in großem Umfange Zi-

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vilisten gezielt anzugreifen. Der Änschlag auf das von Internationalen, auch Deutschen, als
Unterkunft genutzte Green Village in Kabul Anfang September sowie einzelne Anschläge
Ende November und Anfang Dezember 2019 sowie im März und Mai 2020 zeigen aber, dass
die Handlungsfähigkeit terroristischer Gruppierungen, vomehmlich der Taliban, aber auch
ISKP, unverändert fortbestehen. Derzeitige Zurückhaltung der Taliban, größere Anschläge
gegen internationale Kräfte durchzuführen, wird auf Einigung mit den USA zurückgeführt,
kann sich aber jederzeit wieder ändern.

Gegen Polizei- und Militärfahrzeuge werden insbesondere in Kabul Anschläge mit sog. mag-
netischen improvisierten Sprengvorrichtungen (magnetic improvised explosive device, MIED)
verübt. Zudem werden besonders medienwirksame, größere Ziele der Sicherheitskräfte ange-
griffen. Landesweit sind insbesondere Einrichtungen der Sicherheitskräfte sowie polizeiliche
Kontrolipunkte Ziele von Angriffen. Afghanische Regierungsmitarbeiter und sonstige Amts-
träger stehen ebenfalls im Fokus der Aufständischen und sonstiger krimineller Organisationen.
Disse gezielten Tötungen haben im Laufe des Jahres 2019 und seit Beginn des Jahres 2020
stetig zugenommen. Dabei kommt es den Angreifern micht darauf an, ausschließlich hochran-
gige Regierungsmitarbeiter zu treffen. Afghanische Mitarbeiter von nationalen und internati-
onalen Hilfsorganisationen sind ebenfalls Ziel von Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppen.

2.2. Bedrohungslage für afghanische Zivilisten

Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen
zwischen den Konfliktparteien, improvisierten Sprengkörpern, Blindgängern und Munitions-
rückständen, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen! auf staatliche Einrichtungen
aus, 2019 gab es in Afghanistan nach UNAMA-Angaben 10.392 zivile Opfer (-5 % im Ver-
gleich zu 2018). Die VN zählten 6.989: Verletzte und 3.403 Tote bei einer konservativ ge-
schätzten Einwohnerzahl Afghanistans von etwa 27 Millionen {andere Schätzungen gehen
von 32 Millionen Einwohnem aus). Insgesamt verzeichnete 2019 die geringsten Öpferzahlen
seit 2013. 2019 waren etwa 12 % der zivilen Opfer Frauen und 30 % Kinder.

Der Rückgang in den Gesamtzahlen wird von den VN auf einen Rückgang der Anschläge von
ISKP zurückgeführt, während gleichzeitig Operationen der Taliban und der ANDSF oder die
ANDSF unterstützenden internationalen Kräften mehr Zivilisten zum Opfer fielen.

Während die Regierungsgegner laut UNAMA 2019 weiterhin mit 62 % für die meisten zivi-
len Öpfer verantwortlich waren (47 % zu Lasten der Taliban; 12 % zu Lasten des ISKP, 3 %
zu Lasten anderer regierungsfeindiicher Gruppen), wurden 16 % den ANDSF, 8 % internatio-
nalen Kräften, sowie 5 % weiteren regierungsfreundlichen Gruppen zugeordnet. 10 % fielen
. nicht zuzuordnendem Kreuzfeuer zwischen den verschiedenen Gruppen zum Opfer.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Taliban zivile Opfer zwar in Stellungnahmen ableh-
nen, sie aber offenkundig billigend in Kauf nehmen. Anschläge des ISKP richten sich immer
wieder auch direkt gegen Zivilisten. Einer erhöhten Gefährdung sind zudem diejenigen ausg®-
setzt, die öffentlich gegen die Taliban Position beziehen, wie zum Beispiel Journalisten und
Menschenrechtsverteidiger, oder die in ihrer Lebensweise erkennbar von ihrer islamistischen
Ideologie abweichen, wie zum Beispiel Konvertiten, Angehörige sexueller Minderheiten oder
berufstätige Frauen.

' Als komplexe Angriffe werden Anschläge bezeichnet, die von einer Gruppe von Tätern mit mindestens zwei
verschiedenen Waffentypen (z.B. improvisierte Sprengkörper und Schusswaffen) verübt werden.

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In der (nicht rechtlich bindenden) Erklärung zum Intra-Afghanischen Dialog in Doha (8. Juli
2019) bekannten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter auch ranghohe Miiglie-
der der Taliban und Vertreter der Regierung, dazu, dass die Konfliktparteien „die folgenden
Schritte unternehmen soliten, um die Parteien von den Folgen des Krieges zu schützen (...}:
die Garantie der Sicherheit aller öffentlicher Einrichtungen, wie religiöser Einrichtungen,
Krankenhäuser, Schulen und Ausbildungszentren, Marktplätze, Wasserdätume und Arbeits-
plätze im ganzen Land.“

Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen,
improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind,
stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Angrifte,
gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar.

3. Ausweichmöglichkeiten

Die größeren Städte koramen als Ausweichorte grundsätzlich ın Betracht. Die Ausweichmög-
lichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen allerdings maßgeblich
vorm Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Eihnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozia-
len Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den
Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung
seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung
den jeweiligen Heimatort dominiert.

Mit Hilfe der Afghanischen Menschenrechtskommission konnien zweı Bürgerrechtler, die im
November 2019 den weit verbreiteten Missbrauch in Schulen öffentlich machten und darauf-
hin in Afghanistan bedroht wurden, mit ihren Familien nach Usbekistan ausweichen.

Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen.
Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, in den Städten kaum
Anonymität zu erwarten. Auch in größeren Städten erfolgt ın der Regel eine Ansiedlung in-
nerhalb van ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken.

Die Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größe-
rer Städte, ist bereits durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus
dem Iran und Pakistan stark in Anspruch genommen, Dies schlägt sich sowohl in einem An-
stieg der Lebenshaltungskosten als auch in einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nie-
der. Während Afghanen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen dürfen, werden
Sicherheitsbedenken als zentrale Hürde genannt. Besonders betroffen ıst das Reisen auf dem
Landweg. Dazu beigetragen bat ein Anstieg von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf
Überlandstraßen.

Die überwiegende Mehrheit der in den vergangenen Jahrzehnten aus ihrer Heimatland geflo-
henen Afghanen fand in den Nachbarländern Ican und Pakistan Aufnahme. Iran und Pakistan
beherbergen aktuell drei bis vier bzw. etwa zweieinhalb Millionen Afghanen. Trotz Besire-
bungen beider Länder, die Rückkehr der Afghanen zu erwirken, wurden im Berichtszeitraum
insbesondere in Pakistan Maßnahmen ergriffen, um die nicht dokumentierten Afghanen im
Land zu registrieren und deren Lebensbedingungen zu verbessern. Daneben gibt es wieder-
kehrend Hinweise auf systematische, zwangsweise Rückführungen durch iranische Behörden
nach Afghanistan; auch Meldungen und Vorwürfe über Misshandiungen afghanischer Mig-
ranten durch iranische Sicherheitskräfte liegen vor, mitunter mit Todesfolge. Die sich ver-
schlechternde Wirtschaftslage des Irans, zumal im Zuge der Covid-19-Krise, bewegt aber
auch viele Afghanen zur Rückkehr in ihr Heimatland (It. IOM bis 30.04.2020 etwa 271.000
Rückkehrer).

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4. Militärische Lage

Seit Jahreswechsel 2014/15 tragen die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) die Verant-
wortung für die Sicherheit in Afghanistan. Die aktuelle Sollstärke beträgt ca. 370,000 Solda-
ten (ANA) und Polizisten (ANP und ALP). Die Stellen sind vermutlich zu etwas über 80 %
besetzt, die internationale Gemeinschaft unterstützt weiterhin beim Aufbau verlässlicher Per-
sonalmanagementsysteme. Aufgrund von Führıngsmängeln, unzureichender Ausbildung und
des ständigen Einsatzes ihrer Spezialkräfte ohne ausreichende Ruhephasen stehen die afgha-
nischen Sicherheitskräfte unter äußerster Anspannung.

Seit dem Abzug des Großteils der internationalen Truppen mit Beendigung der ISAF-Mission
agieren die Taliban und andere bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen mit größerer Bewe-
gungsfreiheit. Seit dem US-Taliban-Abkommen unterstitzen internationale Kräfte die
ANDSF in erster Linie defensiv gegen Angriffe der Taliban und nicht mehr bei offensiven
Maßnahmen. Wie sich dieser Trend fortsetzt und welche Auswirkungen ein weiterer Abzug
internationaler Kräfte haben wird, ist derzeit nicht vorhersehbar.

Die stärkste Kraft der regierungsfeindlichen Gruppen bilden weiterhin die Taliban. Sıe versu-
chen den Einfluss in ihren Kemräumen -— paschtunisch geprägten ländlichen Gebieten, vor-
nehmlich in den Provinzen Helmand, Kandahar, Uruzgan und zunehmend auch Farah im
Westen und Süden sowie Kunduz, Balkh und Faryab im Norden - zu konsöhdieren und über
ihre Kemräume hinaus auszuweiten. Es ist davon auszugehen, dass die Taliban in zahlreichen
Distrikten die alleinige Kontrolle oder trotz fortdauernder Präsenz von staatlichen Sicher-
heitskräften und Verwaltungsstrukturen zumindest zeitweilig Einfluss ausüben — aktuelle be-
lastbare Zahlen zur genauen Anzahl der Distrikte liegen nicht vor.

Nach Einschätzung der NATO lässt sich die gegenwärtige militärische Lage als strategisches
Patt beschreiben. Die Initiative ergreifen bisher noch, wie in einem asymmetrischen Konflikt
nicht unüblich, primär die Aufständischen. Allerdings hat auch die Fähigkeit der ANDSF zur
Durchführung eigenständiger offensiver Operationen zugenommen. Es gelingt den Taliban
immer wieder, teils auch für längere Zeiträume, wichtige Überlandstraßen zu blockieren,

IL Menschenrechtslage
1. Schutz der Menschenrechte in der Verfassung

Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verab-
schiedete Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog. Die Regierung ıst je-
doch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten.
Afghanistan hat die folgenden Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder emiedrigen-
de Behandlung oder Strafe (01.04.1987)

-  Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (17.04.2018)
- Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (24.01.1983)

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
(05.03.2003)

- Intemationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Rassendiskriminierung (06.07.1983)

- Internationaler Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte
(24.01.1983)

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- Übereinkommen über die Rechte des Kindes (28.03.1994)

-  Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die
Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (24.09.2003)

-  Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den
Verkauf von Kindem, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie
(19.09.2002)

= Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (18.09.2012)

- Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen (13.09.2012)

Bisher hat Afehanistan folgende Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

-  Fakultativprötokoll zum Internationaien Pakt über bürgerliche und politische Rechte

- Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische
Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe

- Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen

-  Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskrimi-
nierung der Frau

-  Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kultu-
relle Rechte

.-  Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes

Im UPR-Verfahren des VN-Menschenrechtsrates im Januar 2019 akzeptierte Afghanistan 235
der 258 Empfehlungen und nahm die übrigen zur Kenntnis - diese bezogen sich v. a. auf ein
Moratorium zur Todesstrafe, die Abschaffung der Todesstrafe, Umwandlung der Todesstrafe
für Personen unter 18 Jahre und den Beitritt zu den relevanten internationalen Menschen-
rechtsabkommen.

Nach Art. 3 der Verfassung darf kein Gesetz des Landes gegen die Lehren und Vorschriften
der „Religion des Islams“ verstoßen. Die von Afghanistan ratifizierten intemmationalen Verträ-
ge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze stehen damit unter Islam-Vorbehalt.
Ungeklärt ist bislang die Normenhierarchie.

  
 
 

 

2. Folter und Todesstrafe

Aufgrund der afghanischen Verfassung und verschiedenen Gesetzen ist Folter verboten. Ob-
wohl es Fortschritte gab,

Die Regie-
rung arbeitet nichtsdestotrotz weiter konstruktiv mit UNAMA zusammen.

Mit dem Anti-Folter Gesetz wurde eine hochrangige Anti-Folter-Kommission etabliert, die
durch die staatliche AFYRC geleitet wird.

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