Güterverkehrskonzept Hessen 2035

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18 | GÜTERVERKEHRSKONZEPT 2035 FÜR HESSEN 2.      ZUSAMMENFASSUNG HESSEN ALS DREH- UND ANGELKREUZ FÜR DEN GÜTERVERKEHR Seine zentrale Lage in Deutschland genauso wie in Europa macht Hessen zu einem herausragend wichtigen Dreh- und Angelkreuz für die gesamte Güterverkehrsbranche – und zwar für alle relevan- ten Verkehrsträger. STRASSENNETZ IN HESSEN* Autobahnen 1.000 Kilometer Bundesstraßen 3.000 Kilometer Kreisstraßen 5.000 Kilometer Landesstraßen 7.200 Kilometer Gesamt: 16.200 Kilometer SCHIENENNETZ IN HESSEN** Gesamt: 1.630 Schienenkilometer für Güter- und Personenverkehre Davon 11 besonders intensiv genutzte Strecken mit 200 oder mehr Zügen pro Tag – mehr als irgendwo sonst in der Bundesrepublik *Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (2016), S. 150 **Regierungspräsidium Darmstadt et al (2012), S. 28ff
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STATUS QUO UND PROGNOSTIZIERTE GÜTERVERKEHRSENTWICKLUNG | 19 LUFTFRACHT IN HESSEN*** Frankfurt – der größte Frachtflughafen Europas WICHTIGSTE WASSERSTRASSEN FÜR HESSEN Rhein:                                                                            Main: 330 Millionen Tonnen umgeschlagene Güter pro                                      Mehr als vier Millionen Tonnen umgeschlagene Jahr – zwei Drittel des europäischen Binnenschiff-                                Güter pro Jahr im Binnenhafen in Frankfurt/ fahrtvolumens****                                                                 Main – größter deutscher Binnenhafen abseits des Rheins***** ***Airports Council International (2019) ****Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (2016), S. 2 *****Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (2016) S. 70ff.
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20 | GÜTERVERKEHRSKONZEPT 2035 FÜR HESSEN 3.      GLOBALE UND LOKALE TRENDS IN GESELLSCHAFT UND LOGISTIK
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GLOBALE UND LOKALE TRENDS IN GESELLSCHAFT UND LOGISTIK | 21 Güterverkehr ist kein Selbstzweck, sondern das      die Logistik relevantesten Megatrends auf, definiert Rückgrat unserer Gesellschaft: Wir bewegen Güter,   diese und begründet ihren Einfluss auf den Güter- um das Prinzip der Arbeitsteilung als Grundlage     verkehr. Die Auswahl der Megatrends orientiert sich unseres Wirtschaftssystems zu ermöglichen und       hierbei an Ergebnissen der Studien zu Megatrends so unsere Gesellschaft mitzugestalten. Umgekehrt    des Frankfurter Zukunftsinstituts (siehe Abbildung 1). prägt auch die Gesellschaft durch ihre Bedürfnisse maßgeblich den Güterverkehr – immerhin soll der     Entwicklungen, die keinen gesamtgesellschaftli- Großteil der bewegten Waren schlussendlich, direkt  chen Einfluss haben, sondern vor allem auf Logistik oder indirekt, einen Konsumenten erreichen. Ferner  und Güterverkehr wirken, beschreibt der DHL Trend sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber selbst Teil der   Radar.26 Auch diese oft technischen Trends sollen in Gesellschaft und als solche von sozialen Entwick-   der Folge kurz behandelt werden. lungen betroffen. Zahlreiche Mega- und Logistiktrends wurden hin- Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, sogenann-    gegen explizit nicht betrachtet, da sie nur einen be- te Megatrends, sind dadurch definiert, dass sie auf grenzten Einfluss auf den Güterverkehr haben. So alle Bereiche einer Gesellschaft gleichermaßen      wirkt sich etwa der Megatrend Sicherheit – also das einwirken – und damit auch auf den Güterverkehr.    steigende Bedürfnis nach Sicherheit – nur indirekt Deshalb zeigt das folgende Kapitel zunächst die für auf das Themenfeld dieser Studie aus. Abbildung 1: Megatrends25 25 zukunftsInstitut (2018) 26 Deutsche Post DHL (2018)
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22 | GÜTERVERKEHRSKONZEPT 2035 FÜR HESSEN 3.           GLOBALE UND LOKALE TRENDS IN GESELLSCHAFT UND LOGISTIK 3.1 KONSUM UND KONSUMENTEN 2035                           NEARSHORING MULTI-CHANNEL                                                      „Verlagerung in nahe gelegene Länder wird „Multi-Channel beschreibt die Möglichkeit,            auch als ‚Nearshoring‘ bezeichnet, Verlage- den Handel (B2B und B2C) auf mehreren                 rung in ferngelegene Länder als ‚Farshoring‘ Vertriebskanälen gleichzeitig anzubieten.“27          und räumliche Verlagerung innerhalb von Landesgrenzen in eine andere Region als Multi-Channel ist traditionell ein Handelsansatz,                  ‚Onshoring‘.“ 29 der die parallele Nutzung mehrerer Absatzkanäle, Für Hessen und Deutschland ist Nearshoring unter zum Beispiel in Stores und Online, beinhaltet. Multi- anderem dank der Europäischen Zollunion und der Channel-Logistik beschreibt folglich die Koordinati- Arbeitnehmerfreizügigkeit sehr attraktiv. Eine Verla- on der logistischen Aktivitäten eines Unternehmens, gerung der Geschäftsaktivitäten ins nahe Ausland die Waren über unterschiedliche Wege zu Kunden birgt nahezu keine Restriktionen, um auch in Hes- zu bringen. Die wesentliche Herausforderung ist es sen und Deutschland weiterhin zu operieren. Sich hierbei, die Belieferung von Geschäften durch eine zuspitzende Handelskonflikte und -restriktionen mit wiederkehrende Lieferung mit hohen Volumina so- Partnern in Übersee auf der einen Seite und ein zu- wie die Direktbelieferung von Kunden mit kleinen nehmender Bedarf nach extrem kurzfristigen Liefe- Volumina gleichermaßen zu steuern. Aufgrund des rungen auf der anderen Seite machen Nearshoring Wandels des Konsumentenverhaltens wird letztere zur geeigneten Strategie, um die Bedürfnisse der in Zukunft zunehmen. Kunden der Zukunft zu befriedigen. Dies führt in letz- ter Konsequenz zu steigenden Verkehren, vor allem URBANISIERUNG                                             auf Schiene und Straße. Urbanisierung ist „die Vermehrung, Aus- dehnung oder Vergrößerung von Städten      FRESH LOGISTICS nach Zahl, Fläche oder Einwohnern, so- „Fresh Logistics beschreibt den Transport wohl absolut als auch im Verhältnis zur von frischen und teilverarbeiteten Lebens- ländlichen Bevölkerung beziehungswei- mitteln.“ 30 se zu den nicht-städtischen Siedlungen. Urbanisierung bedeutet die Ausbreitung     Traditionell ist Fresh Logistics vor allem für B2B- und Verstärkung städtischer Lebens-, Wirt- Transporte relevant. Durch den zunehmenden schafts- und Verhaltensweisen.“28          Wunsch des Endkunden, auch frische Produkte in- nerhalb kürzester Zeit nach Hause geliefert zu be- Die Urbanisierung hat einen unmittelbaren Einfluss kommen, wandelt sich diese Maxime jedoch. Der auf den Güterverkehr, da potenzielle Kunden ge- Güterverkehr muss künftig zunehmend Lösungen nauso wie Arbeitnehmer zunehmend in städtischen finden, um den Endkunden effizient und kurzfristig Strukturen beheimatet sind. Eine solche Zentralisie- mit frischen Produkten zu versorgen. rung von Humankapital und Absatzmärkten führt unweigerlich zu neuen Strategien für Logistiker. Schließlich müssen sie eben diese Absatzmärkte            NEO-ÖKOLOGIE erreichen und sind dabei auf qualifizierte Mitarbei-               „Die Neo-Ökologie steht für das Bewusst- ter angewiesen. Der zunehmende Konflikt zwischen                   sein der Menschen für das Zusammenspiel Wohn- und Gewerbeimmobilien dürfte sich abseh-                     zwischen Umwelt und menschlichen Akti- bar gerade im städtischen Raum weiter verschärfen                  vitäten, das durchaus zu einem guten Teil und die Erschließung neuer logistischer Flächen                    opportunistisch geprägt ist. Der Konsum nahe am Kunden erschweren. 27 Logistics Knowhow (2016) 28 Bähr (2011), S. 1 29 Bottel et al (2016), S. 11 30 Frei übersetzt von Swinnen (2007), S. 233
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GLOBALE UND LOKALE TRENDS IN GESELLSCHAFT UND LOGISTIK | 23 unterliegt jedoch vermehrt moralischen                            konkretisiert.34 Hessen hat diese im integrierten und sozial-ökologischen Maßstäben.“                 31 Klimaschutzplan Hessen 2025 bekräftigt und wei- ter ausgearbeitet.35 Für das Güterverkehrskonzept Mehr als je zuvor hinterfragen Endkunden heute die Hessen 2035 lassen sich Zielwerte aus dem Klima- ökologische Nachhaltigkeit ihres Konsums. Hier- schutzplan 2050 für das Jahr 2030 nutzen: So sol- durch entsteht ein wahrnehmbarer und steigender len die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Druck auf die Wirtschaft und damit auch auf den Gü- Jahr 1990 um mindestens 55 Prozent reduziert und terverkehr, Produkte entlang der gesamten Supply der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendver- Chain möglichst ökologisch zu bewegen. brauch auf 30 Prozent gesteigert werden.36 Damit sind Rahmenbedingungen gesetzt, die auch den Gü- FAIR & RESPONSIBLE LOGISTICS                                                   terverkehrssektor betreffen. Das bedeutet, dass sich „Fair & Responsible Logistics beschreibt die                      Logistikunternehmen zunehmend der Frage stellen Erarbeitung neuer Management-Strategien                           müssen, wie sie mit diesen Anforderungen umgehen in der Logistik, deren Ziel es ist, sowohl                        und beispielsweise grüne Energien effizient nutzen Gewinn für den Logistikbetreiber zu erwirt-                       können, um elektrisierte Flotten oder Lager zu be- schaften als auch einen volkswirtschaftlichen                     treiben. und ökologischen Nutzen zu schaffen.“32 Neben einem ökologischen Bewusstsein steigt beim                               INDIVIDUALISIERUNG Endverbraucher auch ein Bewusstsein dafür, dass                                          Individualisierung ist die „Veränderung der der Konsum von Produkten und deren Preis oft auf                                         Lebensweise von Gesellschaftsmitgliedern einer Ausbeutung Dritter fußt. Bereits in den vergan-                                    in Richtung erweiterter Wahl- und Ent- genen Jahren sind Handelsketten und Produzenten                                          scheidungsmöglichkeiten in sämtlichen wiederholt unter Druck geraten, weil vorgelagerte                                        Fragen der Lebensführung und schwinden- Stufen der Supply Chain für den Einsatz von Kinder-                                      der Bindungen an bestimmte Werte und arbeit oder Niedrigstlohnarbeit öffentlich verurteilt                                    Gemeinschaften. [Individualisierung] zeigt wurden. Künftig werden Handel, Produktion und                                            sich nicht notwendigerweise in individuell Logistik zunehmend in den Bereich Beschaffungslo-                                        unterschiedlichen Lebensweisen. Vielmehr gistik investieren müssen, um vorgelagerte Lieferan-                                     gleichen die Einzelnen ihre Lebensweisen ten entsprechend kontrollieren zu können.                                                häufig einander an, um Halt angesichts vie- ler Möglichkeiten zu finden“.37 GREEN ENERGY                                                                   Die Individualisierung der Gesellschaft führt zwangs- Green Energy ist die Erzeugung von Elek-                          läufig zu einem individualisierten Konsumbedarf. trizität oder Wärme aus erneuerbaren oder                         Dieser kann absehbar nur von einer zunehmend in- emissionsarmen Quellen.33                                         dividualisierten Produktion befriedigt werden. Für den Güterverkehr bedeutet das, dass Sendungsgrö- Die Energiewende ist in Deutschland längst politi- ßen erheblich kleiner werden und direkt zum End- scher Konsens und entsprechend verabschiedet. verbraucher gebracht werden müssen. Durch den von der Bundesregierung beschlossenen Klimaschutzplan 2050 sind sowohl kurz- als auch mittelfristige Ziele definiert und durch Zielwerte 31 Bandi Tanner et al (2018), S. 10 f 32 Vgl. Gilmore (2008) 33 Frei übersetzt von Green Energy (Definition and Promotion) Act (2009), S. 19 34 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2019) 35 Vgl. Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2017) 36 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2018), S. 243 37 Bundeszentrale für politische Bildung (2012)
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24 | GÜTERVERKEHRSKONZEPT 2035 FÜR HESSEN 3.          GLOBALE UND LOKALE TRENDS IN GESELLSCHAFT UND LOGISTIK BATCH SIZE ONE                                                   sion wird folglich zu einer großen Herausforderung für die gesamte Branche. „Batch Size One meint die Produktion oder Beschaffung einer einzelnen Einheit für ei- nen Auftrag.“       38                              GLOBALISIERUNG „Batch-Size-One-Produktion“ ist die logische Fol-                         Globalisierung meint die „die zunehmende ge einer individualisierten Produktion. Fordert der                       Entstehung weltweiter Märkte für Waren, Konsument absolut individuell auf seine Wünsche                           Kapital und Dienstleistungen sowie die da- zugeschnittene Produkte, können größere Lose die                          mit verbundene internationale Verflechtung Nachfrage nicht oder nicht ausreichend schnell be-                        der Volkswirtschaften“.41 friedigen. Dem Kundenwunsch folgend muss jedes                   Internationalisieren sich Märkte zunehmend, so einzelne Produkt separat aufgelegt werden. Der                   bedeutet dies implizit immer, dass es mehr Waren Güterverkehr ist folglich gezwungen, sich auf den                physisch international zu bewegen gilt. Für den Gü- Transport einzelner Produkte einzustellen – die Zei-             terverkehr heißt das insbesondere, dass geschlos- ten, in denen es ausschließlich große Mengen ge-                 sene regionale Lieferketten zur Ausnahme werden bündelt und planbar zu bewegen galt, sind vorbei.                und ein Unternehmen ohne Kompetenzen im inter- nationalen Gütertransport zunehmend unter Druck SERVITIZATION                                                    geraten wird. „Besonders durch die fortschreitende Digi- talisierung kaufen Kunden in vielen Fällen          SUPER GRID LOGISTICS nicht mehr allein das Produkt, sondern                       „Super Grid Logistics werden eine neue auch die damit verbundenen, meist auf Da-                    Generation von Logistikunternehmen her- ten basierenden Services. Durch diese Kom-                   vorbringen, deren primärer Fokus auf der bination von Produkten und Dienstleistun-                    Orchestrierung globaler Liefernetzwerke gen, die sogenannte ‚Servitization‘, können                  liegt, die Schwärme von Produktionsstätten Unternehmen ihre Umsatzchancen verbes-                       und Logistikanbietern integrieren. Kernauf- sern, eine höhere Kundenbindung erzielen                     gabe des Super Grid Anbieters ist die effek- und sich gegenüber der Konkurrenz durch                      tive und effiziente Planung und Steuerung individuelle Lösungsangebote abheben.“           39 hochkomplexer, sich wandelnder und welt- Güterverkehr beschränkt sich heute hauptsäch-                             weit verteilter Netzwerke, um ‚on demand‘ lich auf den physischen Transport von Gütern von                          kundenspezifizierte Teilnetzwerke zu erzeu- A nach B. Bieten Produzenten den Endkunden                                gen.“ 42 jedoch zusätzlich einen Service zum gelieferten                  Die Globalisierung bedingt komplexe internationale Produkt an, wird zwangsläufig auch der Logistiker                Supply Chains: Zwischen Rohstoff und Endprodukt an diesem Prozess beteiligt, etwa durch die Über-                stehen künftig unzählige Produktionsstufen in einer mittlung entsprechender Daten. Auch Logistiker                   Vielzahl von Ländern. Die Güterverkehrsbranche ist selbst nutzen Servitization-Angebote, wie etwa die               somit gefordert, internationale und komplexe Struk- deutsche Spedition Hoyer, deren Standort in Leeds                turen zu betreiben, zu planen und zu steuern, damit Tanklastwagen der Firma MAN auf einer „Kosten pro                Rohstoffe, Zwischen- und Endprodukte stets zur Meile“-Basis leaste, um die Wartung und Pflege der               rechten Zeit am rechten Ort sind. Laster auszulagern.40 Diese vollständig neue Dimen- 38 Hamrock et al (2012), S. 217; Übersetzung der Verfasser 39 Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services (o.J. a) 40 Vgl. Baines & Shi (2015), S. 7 41 Bundeszentrale für politische Bildung (2016)13 42 vgl. Wischmann & Hartmann (2018), S. 216
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GLOBALE UND LOKALE TRENDS IN GESELLSCHAFT UND LOGISTIK | 25 MULTIMODAL                                                        ßiger Scans ihrer Barcodes schon heute mit, wo sie sich gerade befinden und errechnen (und aktuali- Multimodalität bedeutet „die grundsätzli- sieren) Prognosen, wann sie an unserer Haustüre che Option für den Nutzer, verschiedene ankommen. Künftig werden nicht nur Pakete oder Verkehrsmittel zu verwenden“.              43 Container ihren Standort mitteilen, sondern eine Güterverkehr-Akteure sind zunehmend gefragt, den                  Vielzahl von Dingen via Internet Informationen über Kunden flexibel eine Vielzahl verschiedener Trans-                ihren Standort, Zustand, Wartungsbedarf und vieles portlösungen anzubieten. Hierzu zählt insbesonde-                 mehr übermitteln. Das Internet der Dinge bietet dem re die Nutzung verschiedener Verkehrsträger, ent-                 Güterverkehr zahlreiche Anwendungspotenziale, weder als Alternative zueinander (Multimodalität im               um Transporte bei völliger Transparenz zunehmend engeren Sinne) oder unmittelbar hintereinander für                autonom navigieren zu lassen. denselben Transport (Intermodalität). Akteure, die bis dato ausschließlich einen Verkehrsträger nutzen, SMARTE CONTAINER sollten entweder Allianzen mit Logistikern anderer Modi anstreben oder strategisch selbst auch andere                         „Smarte Container identifizieren ihre eigene Modi nutzen.                                                               Entleerungshäufigkeit, ermitteln ihren Füll- stand und teilen sie dem Besitzer mit, über- mitteln ihre Position, erlauben dem Eigen- 3.2 TECHNOLOGISCHER WANDEL tümer eine Überwachung ihres Inhalts und AUTONOMES FAHREN kontrollieren, wer Zugriff zu ihnen hat.“47 „Automatisierte Systeme können die Fahr- Streng genommen sind smarte Container eine lo- zeugführung in speziellen Situationen, für gistische Nutzung des Internets der Dinge. Sie steu- einen begrenzten Zeitraum komplett über- ern sich selbst und geben dem Eigentümer jeder- nehmen.”44 zeit Auskunft über die Ladung und deren Zustand. Autonomes Fahren ist eines der Trendthemen der                    Diese Informationen können Logistikunternehmen Mobilität weltweit. Der Einsatz vollständig autono-               wiederum mit dem Kunden teilen und so den Trans- mer Fahrsysteme wird bereits intensiv in Feldstudien              portprozess noch transparenter steuern. Smarte getestet und vom Gesetzgeber, auch in Deutschland,                Container finden bereits in verschiedensten Berei- gefördert. Für den Güterverkehr sind autonome                     chen Anwendung und dürften künftig, vor allem bei Fahrzeuge vor allem eine mögliche Antwort auf den                 hochpreisigen Transporten, eher die Regel als die angespannten Personalmarkt.45                                     Ausnahme darstellen. INTERNET OF THINGS (IOT)                                          CLOUD LOGISTICS „In Zukunft soll es in Materialflusssystemen,                  „Das Konzept Cloud Logistics adoptiert die ebenso wie im Internet, keine Zentrale mehr                    Prinzipien des Cloud Computing auf das geben. Behälter und Pakete werden eigen-                       Anwendungsfeld der Logistik, um ein effek- ständig und kennen ihr Ziel selbst.“46                         tives und effizientes Management verteilter Das Internet der Dinge beschreibt ganz allgemein                           logistischer Ressourcen zu ermöglichen, vor ein digitales Ökosystem, in dem Gegenstände                                allem in unbeständigen, unsicheren und selbstständig kommunizieren und agieren. In der                            komplexen Umgebungen.“      48 KEP-Logistik etwa teilen uns Pakete dank regelmä- 43 von der Ruhren & Beckmann (2005), S. 5 44 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (o.J.) 45 International Transport Forum (2017), S. 34ff. 46 Günthner et al (2010), S. 1 47 Vogel (2018), S. 59 48 Frei übersetzt von Delfmann (2012), S. 1
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26 | GÜTERVERKEHRSKONZEPT 2035 FÜR HESSEN 3.          GLOBALE UND LOKALE TRENDS IN GESELLSCHAFT UND LOGISTIK In zunehmend komplexen Lieferströmen sind Da-               Die 3D-Druck-Technologie ist unaufhaltsam auf ten und Managementaufgaben dezentral verteilt.              dem Vormarsch und wird bereits heute in nahezu Viele Akteure steuern jeweils kleine Teile einer Ge-        60 Prozent der produzierenden Unternehmen51 ge- samt-Supply-Chain. Informationen müssen folglich,           testet oder zur Erstellung von Prototypen bereits ähnlich der Waren, entlang der Supply Chain trans-          genutzt. Der Druck von Gegenständen ist eine der portiert werden. Cloud Computing, also die Zentrali-        marktdurchdringendsten, disruptiven technologi- sierung von (IT-)Operationen in einer gemeinsamen           schen Innovationen der letzten Dekade. Auch die Cloud, hat bewiesen, dass auch vollständig ausge-           Güterverkehrsbranche ist unmittelbar von dieser lagert operierende Systeme zuverlässige Ergebnisse          Innovation betroffen: Wo immer 3D-Druck die klassi- liefern können. Cloud Logistics wird künftig solche         sche Produktion ersetzt, gilt es nicht mehr, Vor- oder Systeme zunehmend nachahmen und so Kapazitä-                Zwischenprodukte anzuliefern, sondern stattdessen ten innerhalb eines dezentralen Netzwerkes kun-             3D-Drucker-Kartuschen. denspezifisch bereitstellen. BIONICS KÜNSTLICHE INTELLIGENZ „Unter Bionik werden Forschungs- und Ent- Künstliche Intelligenz (KI) ist wahlweise „der         wicklungsansätze verstanden, die ein tech- Versuch, mit Computern das menschliche                 nisches Anwendungsinteresse verfolgen Gehirn zu simulieren, um seine Funktio-                und auf der Suche nach Problemlösungen, nen besser zu verstehen“ oder der Versuch,             Erfindungen und Innovationen Wissen aus „Computerprogramme durch die Nachbil-                  der Analyse lebender Systeme heranziehen dung menschlicher Problemlösefähigkeiten               und dieses Wissen auf technische Systeme ‚intelligenter‘ zu machen“.49                          übertragen. Der Gedanke der Übertragung von der Biologie zur Technik ist dabei das Computer schreiten bis dato hauptsächlich klar defi- zentrale Element der Bionik.“52 nierte Lösungswege (Algorithmen) ab. Insbesondere haben Computer, zumindest bisher, kein Verständnis          Bionik beschreibt die technische Nachahmung der für die Probleme, die sie lösen und können deshalb          Natur. Dem Güterverkehr bietet die Bionik viele Ein- nicht selbst zur Lösung neuer Probleme beitragen.           satzmöglichkeiten – von der Planung von Verkehrs- Künftig soll sich das grundlegend ändern. Computer          strömungen bis hin zur Entwicklung bionischer sollen „intelligent“ werden: Sie sollen selbststän-         Technologie. Die Anwendungen in der Logistik rei- dig aus ihren eigenen Taten „lernen“ und auf dieser         chen von bionischen Exo-Skeletten, die das Heben Basis Strategien zur Lösung neuer Probleme ent-             von Gütern erleichtern, bis hin zur logistischen Netz- wickeln können. Eine solche Künstliche Intelligenz          werkplanung, die sich an Ameisenstaaten orientiert. ist im Güterverkehr potenziell von großem Nutzen,           Diese Vielfalt alleine birgt das Potenzial, den Güter- kann sie doch etwa dazu beitragen, logistische Pro-         verkehr schon bis zum Jahr 2035 prägend zu verän- zesse unter völlig neuen Voraussetzungen effizient          dern. und fehlervermeidend zu planen. ROBOTICS 3D DRUCKER „Industrieroboter sind universell einsetz- „Der Begriff ‚3D-Drucken‘ […] beinhaltet je-           bare Bewegungsautomaten mit mehreren den denkbaren Prozess der Anordnung von                Achsen, deren Bewegungen hinsichtlich Material zur Herstellung eines dreidimen-              Bewegungsfolge und Wegen bzw. Winkeln sionalen physischen Bauteils […].“   50 frei (d.h. ohne mechanischen Eingriff) 49 Dorn & Gottlob (1997), S. 975 50 Gebhardt et al (2016), S. 3ff. 51 Huth et al (2019), S. 31 52 Verein Deutscher Ingenieure (2012), S. 2
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GLOBALE UND LOKALE TRENDS IN GESELLSCHAFT UND LOGISTIK | 27 programmierbar und gegebenenfalls sen-                 WISSENSKULTUR sorgeführt sind. Sie sind mit Greifern, Werk- „Unter Wissenskultur verstehen wir die in zeugen oder anderen Fertigungsmitteln einem Unternehmen vorhandenen kollek- ausrüstbar und können Handhabungs- und/ tiven Einstellungen, Befähigungen und Ver- oder Fertigungsaufgaben ausführen.“53 haltensweisen, mit denen Wissen identifi- Robotik, also die Lehre der Roboter und deren An-                           ziert, erworben, entwickelt, verteilt, genutzt wendung, fungiert heute als Sammelgebiet für die                            und bewahrt wird.“  56 Forschung, aber auch die Anwendung von Roboter- Vor allem der relevante Arbeitsmarkt der Güterver- systemen im industriellen und zivilen Bereich und kehrsbranche, aber auch das Nutzerverhalten insge- beschreibt entsprechend weite Felder auch in der samt werden zunehmend durch eine ausgeprägte- Logistik. Sowohl autonomes Fahren als auch Bionik re Wissenskultur beeinflusst. So findet erworbenes sind Teildisziplinen der Robotik, die vermehrt im Lo- Know-how zunehmend nicht nur innerhalb eines gistikumfeld zur Anwendung kommen. Insbesonde- Unternehmens, sondern mindestens entlang der re teil- oder vollautonome Intralogistikroboter sind gesamten Supply Chain Verbreitung. Das bedeutet, auf dem Vormarsch und werden von Logistik- und dass Wissen zentral verwaltet und seine Verbreitung Industrieunternehmen gleichermaßen getestet und entlang der eigenen Supply Chain aktiv gesteuert weiterentwickelt, um künftig Waren und Güter unge- werden muss. steuert zu bewegen. Umgekehrt steigt die Einstiegshürde für neues Per- DROHNEN                                                             sonal im Güterverkehr durch die hochspezialisier- ten, stark ausgeprägten Wissensbasen der Unter- „Unter einer ‚Drohne‘ versteht man ein un-             nehmen beziehungsweise Supply-Chain-Partner.        57 bemanntes Fluggerät. Das Luftrecht un-                 Jeder neue Mitarbeiter hat zwar heute effektiv Zu- terscheidet zwischen unbemannten Luft-                 gang zu einer wohlgepflegten Wissensbasis, muss fahrtsystemen und Flugmodellen. Gemäß                  jedoch umgekehrt dieses Wissen oft aktiv abrufen § 1 Luftverkehrsgesetz handelt es sich bei             und sich selbst aneignen. Somit wachsen die Anfor- unbemannten Luftfahrtsystemen um aus-                  derungen an den Arbeitsmarkt gleichsam mit dem schließlich gewerblich genutzte Geräte.“54             Wissensangebot an neue Mitarbeiter.58 Diese zusätz- Unbemannte Luftfahrtsysteme im Sinne obiger De-                     lichen Anforderungen an Mitarbeiter erschweren es finition sollen in Zukunft zunehmend logistische                    Unternehmen im Güterverkehr, neue und ausrei- Leistungen übernehmen können. Die chinesische                       chend qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Luftwaffe hat jüngst Cargo-Drohnen entwickelt und testet diese derzeit.55 Zahlreiche Handels- und Lo- gistikunternehmen, von Amazon und Google über DHL bis UPS, testen den Einsatz von Drohnen für die Paketzustellung direkt zum Kunden. Umgekehrt wird der Drohnenverkehr dank zunehmender ziviler, privater und auch krimineller Nutzung heute we- sentlich stärker reguliert als noch vor wenigen Jah- ren. Es bleibt abzuwarten, wie sich Luftraumsicher- heit auf der einen und Innovationen in der Logistik auf der anderen Seite auf eine vermehrte Nutzung des Niedrigflugluftraumes einigen können. 53 Verein Deutscher Ingenieure (1990), S. 14 54 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (o.J. b) 55 Internationales Verkehrswesen (2017) 56 Bohinc (2003), S. 374 57 Vgl. Kübler et al (2015), S. 7 58 Vgl. Hüppe (2015) S. 24
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