Rechtsgutachten zu "Topf Secret" von Geulen & Klinger

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11 cherinformationsgesetzes und zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetz- buches (LFGB) und des Weingesetzes ist ein zentraler Baustein zur Vorbeugung und raschen Eindämmung von Lebensmittelskandalen. Derjenige, der den Anspruch geltend macht, wird also als Sachwalter der Allgemeinheit tätig. Nach alldem ist der Antrag des Beigeladenen nicht rechtsmissbräuchlich.“ (VGH München, Beschluss vom 06. Juli 2015 – 20 ZB 14.977, juris Rn. 8 – 11) Auch in der Rechtsprechung zur Missbräuchlichkeit von Informationsanträgen nach dem UIG und IFG werden Fälle des Missbrauchs „auf Extremfälle“ beschränkt: „Danach ist das Vorliegen missbräuchlicher Rechtsausübung nicht allein dadurch aus- geschlossen, dass ein Antrag seinem äußeren Bild und sachlichen Gehalt nach auf den Zugang bei der Behörde vorhandener Informationen zielt. Es muss sich aber für einen objektiven Betrachter aus weiteren Umständen die sichere Erkenntnis gewinnen lassen, dass es dem Antragsteller nicht um den – womöglich noch so geringen – Erkenntnisgewinn durch Offenlegung der Informationen geht, sondern er tatsäch- lich andere, von der Rechtsordnung missbilligte Ziele verfolgt und den Informati- onsanspruch lediglich als Vorwand hierzu verwendet. Dieser Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben im vorliegenden Anwendungszusammenhang ent- spricht es, das gesamte Verhalten des Antragstellers, namentlich in der Interaktion mit der Behörde, die den Informationszugang gewähren soll, einer Würdigung zu unterzie- hen. Allerdings ist im Lichte der konstituierenden Grundentscheidung des demo- kratischen Rechtsstaats für die freie Meinungsbildung und -äußerung sowie die ungehinderte Information aus frei zugänglichen Quellen (Art. 5 Abs. 1 GG) zu be- rücksichtigen, dass ein von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten nur jen- seits der Grenzen dieses Grundrechts angenommen werden und der Staat eine Überschreitung erst bei einer seinen Bestand gefährdenden Funktionsbeeinträch- tigung seiner Einrichtungen annehmen kann, wenn er selbst einen gesetzlich vo- raussetzungslosen Anspruch auf Informationszugang einräumt und damit eine all- gemein zugängliche Informationsquelle eröffnet (vgl. zu Bedeutung und Reichweite des Grundrechts: BVerwG, Urteil vom 22. März 2018 – 7 C 30.15 – juris Rn. 33). Die Ablehnung von Informationszugangsanträgen wegen missbräuchlicher Rechts- ausübung muss sich deshalb auf Extremfälle beschränken. Allein eine Vielzahl von Anträgen, die Beharrlichkeit ihrer Verfolgung und das erkennbare Ziel einer vollständi- gen Durchdringung eines bestimmten Tätigkeitsfeldes oder Aufgabenbereichs einer Be- hörde und der damit verbundene Aufwand für die in Anspruch genommene Behörde rechtfertigen die Annahme eines Rechtsmissbrauchs noch nicht. Hinzutreten müssen weitere Umstände, die überwiegend auf die Verfolgung nicht dem Transparenzinteresse dienender Absichten schließen lassen, etwa das Ziel, die Behörde durch ein solches Verhalten zu bestimmten Sachentscheidungen zugunsten des Antragstellers zu veran- lassen, auf die er keinen Anspruch hat. Denkbar ist aber auch, dass mit einer Vielzahl von unnötigen Informationszugangsanträgen andere rechtlich missbilligte Zwecke wie etwa die Generierung von Honoraransprüchen eines Bevollmächtigten verfolgt werden (vgl. Senatsurteile vom 22. Februar 2018 – OVG 12 B 16.17 u.a. – juris Rn. 76 unter
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12 Bezugnahme auf die erstinstanzlichen Urteile des VG Berlin vom 27. April 2017 – VG 2 K 630.15 u.a. – Urteilsabdruck S. 9 f.). (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juli 2018 – OVG 12 B 8.17, juris Rn. 30 f.) 2. Anwendung auf über „Topf Secret“ gestellte Informationsanfragen Im Lichte dieser Feststellungen können die über „Topf Secret“ gestellten Informations- anfragen nicht als rechtsmissbräuchlich betrachtet werden. Sie sind weder querulato- risch und auf die Erschwerung der Arbeit der Verwaltung gerichtet, noch überflüssig, sondern vielmehr von dem individuellen Interesse der Verbraucher getragen, Auskunft über die Zustände in dem bezeichneten Betrieb zu erlangen. Da dies gerade dem Sinn und Zweck des VIG entspricht, kann dies nicht zur Begründung der Missbräuchlichkeit einer Informationsanfrage herangezogen werden. Ein „Extremfall“, der die Verneinung des voraussetzungslos gewährleisteten Informationsanspruch rechtfertigt, liegt hier nicht vor. a. Vorformulierung der Informationsanträge Das individuelle Informationsinteresse entfällt insbesondere nicht dadurch, weil die Stel- lung von Informationsanfragen durch die Plattform „Topf Secret“ erleichtert wird. Durch dieses Anliegen von „Topf Secret“ werden die Ziele des VIG, den Markt für Lebens- und Futtermittel und Verbraucherprodukte transparenter zu gestalten und Verbrauchern eine allgemeine Kontroll- und Überwachungsmöglichkeit an die Hand zu geben, um Lebens- mittelskandalen vorzubeugen und diese zu bekämpfen, gefördert. Die vereinfachte Antragstellung entspricht somit gerade dem Sinn und Zweck des VIG und lässt das individuelle Informationsinteresse der Antragsteller nicht entfallen. Auch bei Nutzung der auf „Topf Secret“ zur Verfügung gestellten Formulare sind es allein die jeweiligen Antragsteller, die bestimmen, ob sie eine Informationsanfrage stellen und wenn ja, zu welchem Betrieb. Eine Beauftragung oder Vorauswahl von Betrieben durch „Topf Secret“ erfolgt nicht. Die Verwendung eines vorformulierten Musterschreibens kann dem Informationsantrag auch deshalb nicht entgegengehalten werden, weil in § 4 VIG bewusst keine gehobenen Anforderungen an die Form von Informationsanträgen gestellt werden. So bedarf es kei-
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13 ner eigenhändigen Erklärung wie etwa bei einem Testament, nicht einmal eine eigen- händige Unterschrift wird verlangt. Durch die somit äußerst niedrigen Anforderungen an die Form von Informationsanfragen hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass den Antragstellern die Informationsanfrage möglichst leicht gemacht werden soll. Gerade dieses Ziel verfolgt „Topf Secret“. Führt dies dazu, dass insgesamt mehr VIG-Anträge gestellt werden, ist dies gerade im Sinne des Gesetzes. Dementsprechend wurde auch in der Rechtsprechung festgestellt, dass der bloße Um- stand, dass eine gleichlautende Anfrage bei mehreren Behörden oder mehrere Anfragen hintereinander gestellt wird, nicht zur Annahme einer Missbräuchlichkeit genügt (VG Re- gensburg, Urteil vom 09. Juli 2015 – RN 5 K 14.1110, juris Rn. 67; OVG Berlin-Branden- burg, Urteil vom 12. Juli 2018 – OVG 12 B 8.17, juris Rn. 31). b. Potentielle Veröffentlichung der herausgegebenen Informationen Auch eine etwaige Veröffentlichung der herausgegebenen Informationen durch die je- weiligen Antragsteller führt nicht zur Missbräuchlichkeit einer Informationsanfrage. Für dieses Ergebnis spricht bereits der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung unklar ist, ob, wo und wie der jeweilige Antragsteller Informationen veröffentlichen will. Denn Antragstellern, die ihre Anfrage über „Topf Secret“ stellen, kann eine Veröffentli- chungsabsicht nicht einfach unterstellt werden, zumal keine automatisierte Veröffentli- chung auf „Topf Secret“ erfolgt (siehe hierzu näher unten). Den Informationsanspruch wegen einer somit bloß hypothetischen Veröffentlichung zu verweigern, erscheint mit den Zielen des VIG unvereinbar. Abgesehen davon steht das VIG einer Veröffentlichung der herausgegebenen Informa- tionen durch die privaten Antragsteller nicht entgegen, insbesondere ist eine Veröffentli- chung im Internet nicht rechtsmissbräuchlich. Dass die Möglichkeit der anschließenden Veröffentlichung von Informationen durch die Antragsteller nicht zum Ausschluss eines Anspruchs nach dem VIG führt, hat das Bun- desverwaltungsgericht bereits explizit festgestellt (BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2015 – 7 B 22-14, juris Rn. 12).
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14 Das VIG verbietet die Veröffentlichung von Informationen im Internet durch die jeweiligen Antragsteller nicht. Dass es sich hierbei um eine nicht intendierte Regelungslücke han- delt, erscheint deshalb unwahrscheinlich, weil das VIG in seiner ersten Fassung im Jahr 2007 und somit in Zeiten des Internets erlassen wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber bei Erlass des VIG die Möglichkeit der einfachen Verbreitung von Informationen über das Internet bewusst war. Gleichwohl hat er die Weiterverwen- dung der erhaltenen Daten nicht beschränkt. Im Gegenteil. Das Gesetz verleiht in der Absicht, die Transparenz des Lebensmittelmarktes zu erhöhen, sogar „jedem“ einen An- kunftsanspruch. Wenn aber ohnehin jedermann ohne Nachweis eines besonderen Inte- resses Anspruch auf die Informationserteilung hat, erschließt sich nicht, warum der ein- zelne Anspruchsteller die ihm erteilten Informationen zur Förderung der gesetzlich ge- wollten Transparenz nicht an Dritte weitergeben darf. Vielmehr entspricht es gerade dem in § 1 VIG benannten Sinn und Zweck des Gesetzes, den Markt von Erzeugnissen und Verbraucherprodukten transparenter zu gestalten und bei den Behörden vorhandenes Wissen über die Erzeugung von Lebensmitteln der Öf- fentlichkeit zugänglich zu machen, um gesellschaftliche Diskussionsprozesse anzusto- ßen und zu unterstützen (so auch das OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – 10 LA 90/16 –, Rn. 47, juris). Da eine Publizierung von Informationen im Internet gerade zu diesen Zielen beiträgt, kann sie nicht für die Missbräuchlichkeit einer Anfrage herangezogen werden. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in Bezug auf § 8 Abs. 2 Nr. 1 UIG fest- gestellt: „Ein verwendungsbezogener Missbrauch des Umweltinformationsrechts liegt ebenfalls nicht vor. Der Hinweis der Klägerin auf die Verfolgung „lobbyistischer Zwecke“ seitens der Beigeladenen verfängt nicht. Ein verwendungsbezogener Missbrauch könnte nur be- jaht werden, wenn die begehrten Informationen ausschließlich für Zwecke genutzt wer- den sollen, die nicht der Förderung des Umweltschutzes dienen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.01.2014 a. a. O.). Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Den Zwe- cken des Umweltinformationsrechts wird bereits dadurch entsprochen, dass - unabhän- gig von der Verfolgung weiterer Ziele - bestimmte Umweltinformationen in die öffentliche Diskussion gelangen (Reidt/Schiller a. a. O. § 8 Rn. 54). Das ist hier der Fall. Dabei ist eine eventuelle Verbreitung der legal erworbenen Informationen im Internet nicht zu kri- tisieren. Im Gegenteil, die Verbreitung der durch den Informationszugang erlangten In- formationen ist als (zweiter) Zweck des Umweltinformationsrechts ausdrücklich positi- viert (§ 1 Abs. 1 UIG [§ 22 Abs. 1 UVwG], Art. 1 Buchst. b RL 2003/4/EG). Auch mit der
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15 von der Klägerin der Beigeladenen unterstellten Weiterverwendung der verlangten Infor- mationen würden keine (durchgängig) umweltfremden Zwecke verfolgt. Dass die Ze- mentindustrie unter kritischer Beobachtung der Öffentlichkeit stehen mag, ist in diesem Zusammenhang rechtlich unbeachtlich. Denn aus einer kritischen Haltung gegenüber (der Behörde oder) dem betroffenen Unternehmen kann nicht auf eine missbräuchliche Antragstellung geschlossen werden, weil es gerade die Funktion des Umweltinformati- onsrechts ist, mögliche Defizite von (Behörden oder) Unternehmen aufzudecken und damit zu einer Verbesserung des Umweltschutzes beizutragen (treffend OVG Rhein- land-Pfalz, Urteil vom 30.01.2014 a. a. O.: „Eine kritische Einstellung wird daher vom Umweltinformationsrecht gerade vorausgesetzt.“. (VGH Mannheim, Urteil vom 21. März 2017 – 10 S 413/15, juris Rn. 65) Zu berücksichtigen ist auch, dass die Rechtsordnung allgemein eine Verbreitung von Informationen im Internet durch Private, die sich innerhalb der etwa durch das Urheber- recht und sonstige Zivilrecht gezogene Grenzen hält, nicht untersagt. So können Ver- braucher z.B. auf Bewertungsportalen wie Google, Yelp, Tripadvisor oder Foursquare völlig ungehindert und in Ausübung ihrer durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungs- äußerungsfreiheit Bewertungen gastronomischer Betriebe abgegeben und verbreiten. Warum Private dann, wenn sie Informationen über einen VIG-Anspruch erlangen, diese nicht im Rahmen der durch das Zivil- und Datenschutzrecht gesetzten Grenzen veröf- fentlichen dürfen, leuchtet nicht ein. Schließlich führt auch der Umstand, dass durch die Veröffentlichung Konkurrenten der jeweiligen Betriebe Kenntnis von den Informationen erlangen könnten, nicht zur Miss- bräuchlichkeit einer Informationsanfrage (VGH Mannheim, Urteil vom 21. März 2017 – 10 S 413/15, juris Rn. 66). Zu berücksichtigen ist dabei, dass diese ohnehin einen eige- nen Informationsantrag stellen könnten und die Lebensmittelbetriebe durch den im VIG vorgesehenen Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen hinreichend geschützt werden. IV. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Die Gefahr der Veröffentlichung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen steht dem Informationsanspruch nicht entgegen, da dieser Ausschlussgrund in Bezug auf die hier zur Offenlage beantragten Ergebnisse von Betriebskontrollen gemäß § 3 S. 5 Nr. 1 VIG ausgeschlossen ist.
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16 E. Verhältnis zu den Anforderungen an die aktive staatliche Information Fraglich ist, ob die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2018 (Az. 1 BvF 1/13) gestellten Anforderungen an die Vereinbarkeit der in § 40 Abs. 1a LFGB geregelten aktiven staatlichen Information der gesamtem „Öffentlichkeit“ mit Art. 12 Abs. 1 GG auf die hier in Rede stehende passive behördliche Information der einzelnen An- tragsteller nach dem VIG übertragbar sind. Dies ist zu verneinen, wie auch der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. in einem Rundschreiben vom 29. Januar 2019 feststellt. Auch das Verwaltungsgericht Mainz hat entschieden, dass etwaige Veröffentlichung der Informationen durch die privaten Antragsteller auf „Topf Secret“ kein der Behörde zure- chenbares staatliches Informationshandeln darstellt und die zum amtlichen Informations- handeln nach § 40 Abs. 1a LFGB aufgestellten Maßgaben auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind (VG Mainz, Beschluss vom 5. April 2019 – 1 L 103/19.MZ). Die Informationsherausgabe darf daher nicht im Wege einer einschränkenden Ausle- gung des VIG verweigert oder davon abhängig gemacht werden, dass die durch das BVerfG herausgearbeiteten Anforderungen an die staatliche Information nach § 40 Abs. 1a VIG gegeben sind. Dieses Ergebnis beruht auf folgenden Erwägungen: Bei der antragsgebundenen Information nach dem VIG einerseits und der aktiven staat- lichen Information der Öffentlichkeit andererseits nach § 40 Abs. 1a LFGB geht es um zwei grundlegend verschiedene Rechtsmaterien, die gesondert betrachtet werden müs- sen. Eine „Umgehung“ der verfassungsrechtlichen Anforderungen an § 40 Abs.1a LFGB ist wegen der fehlenden Vergleichbarkeit der beiden Konstellationen nicht zu befürchten. Während die Behörde bei der Beantwortung von Verbraucheranfragen nach dem VIG lediglich die einzelne Anfrage „bedient“, informiert die Behörde beim aktiven Informa- tionshandeln auf der Grundlage des § 40 LFGB die Öffentlichkeit selbständig aus eige- ner Initiative, wobei sie nicht nur über das „Ob“ der Informationsgewährung entscheidet,
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17 sondern auch hinsichtlich der Auswahl der Information schöpferisch gestaltend tätig wird (Grube/Immel/Wallau, VIG, 2013, § 6 Rn. 2). Dass streng zwischen der aktiven staatlichen Information aller Marktteilnehmer nach § 40 LFGB einerseits und der antragsakzessorische Information Einzelner nach dem VIG andererseits zu differenzieren ist, ist auch in der Rechtsprechung anerkannt. So wurden die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht im Glykolwein-Be- schluss an die Richtigkeit der vom Staat aktiv veröffentlichten Informationen stellt (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91, BVerfGE 105, 252), für nicht gleichermaßen auf die antragsbezogene Informationsgewährung nach dem VIG anwendbar erklärt. Denn die aktive staatliche Information auf der Grundlage von § 40 LFGB wirke sich auf die Wettbewerbsposition eines am Markt tätigen Unter- nehmens deutlich stärker aus als die Informationsgewährung durch einen einzelnen An- tragsteller (BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2015 – 7 B 22-14, juris Rn. 12; OVG Müns- ter, Urteil vom 01. April 2014 – 8 A 654/12, juris Rn. 202; BayVGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – 20 BV 15.2208, juris Rn. 54). Das Bundesverwaltungsgericht stellt hierzu fest: „Das Verfassungsrecht steht einer Freistellung der informationspflichtigen Stelle von ei- ner Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der begehrten Informationen nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar entschieden, dass die Verbreitung unzutreffen- der Informationen durch einen Träger der Staatsgewalt einen rechtswidrigen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG darstellen kann. Die inhaltliche Richtigkeit einer Information sei grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am Markt und dessen Funktionsfähigkeit fördere. Allerdings könne der Träger der Staatsgewalt zur Verbreitung von Informationen unter besonderen Voraussetzungen auch dann berech- tigt sein, wenn ihre Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt sei. In solchen Fällen hänge die Rechtmäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon ab, ob der Sach- verhalt vor der Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung ver- fügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärt worden sei (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 588, 1428/91 [E- CLI:DE:BVerfG:2002:rs20020626.1bvr055891] - BVerfGE 105, 252 <272>). Diese Rechtsprechung betrifft aber Akte aktiver staatlicher Verbraucherinformation, wie sie § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG 2008/§ 6 Abs. 1 Satz 3 VIG 2012 zulässt, nicht hingegen den Re- gelfall antragsgebundener Informationsgewährung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VIG 2008/§ 4 Abs. 1 Satz 1 VIG 2012), um die es hier geht. Zwischen beiden Arten der Informationsge-
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18 währung bestehen gravierende Unterschiede, die es ausschließen, die darge- stellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die antragsgebun- dene Informationsgewährung zu übertragen. Mit aktivem Informationshandeln wen- det sich der Staat nicht an einen einzelnen zuvor selbst initiativ gewordenen Anspruch- steller, sondern an alle Marktteilnehmer und wirkt so unter Inanspruchnahme amtlicher Autorität direkt auf den öffentlichen Kommunikationsprozess ein. Das verschafft den übermittelten Informationen breite Beachtung und gesteigerte Wirkkraft auf das wettbe- werbliche Verhalten der Marktteilnehmer. Die Auswirkungen einer antragsgebunde- nen Informationsgewährung auf das Wettbewerbsgeschehen bleiben dahinter qualitativ und quantitativ weit zurück. Eine Breitenwirkung vermögen sie nur vermit- telt durch Veröffentlichungen Privater zu erzielen, denen nicht die Autorität staatlicher Publikation eigen ist und gegen die sich die betroffenen Unternehmen bei sorgfaltswid- riger Verbreitung, namentlich im Falle sachlicher Unrichtigkeit, zivilrechtlich zur Wehr setzen können. Aufgrund dieser Unterschiede stellen die Schutzvorkehrungen in § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 3 Satz 2 VIG 2008 sowie § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 VIG 2012 jedenfalls für die antragsgebundene Informationsgewährung einen angemesse- nen, den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG gerecht werdenden Ausgleich zwischen dem Informationsinteresse des Antragstellers und dem Schutzbedürfnis des von der In- formationsgewährung betroffenen Unternehmens dar (so auch Schoch, NJW 2010, 2241 <2245 und 2246 f.>; derselbe, NJW 2012, 2844 <2848>; vgl. auch Wollenschläger, Ver- wArch 2011, 20 <47>).“ (BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2015 – 7 B 22-14, juris Rn. 12, Hervorhebungen nicht im Original) Aufgrund dieser Unterschiede in qualitativer und quantitativer Hinsicht verneinte das Bundesverwaltungsgericht eine Verpflichtung der auskunftspflichtigen Stelle, nicht per- sonenbezogene Daten im Sinne des VIG vor ihrer Herausgabe auf ihre inhaltliche Rich- tigkeit zu überprüfen. Aus denselben Gründen schränken auch die durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 21. März 2018 entwickelten Anforderungen unter anderem an die zeitliche Befristung von auf § 40 Abs. 1a LFGB gestützten behördlichen Veröffentlichun- gen Informationssprüche nach dem VIG nicht ein. Hiervon scheint auch der Bundesgesetzgeber auszugehen, der in seiner Begründung zum neu eingeführten § 40 Abs. 4a LFGB hervorhebt, dass etwaige Ansprüche auf Zu- gang zu den betreffenden Informationen auf Antrag von der Regelung unberührt bleiben (BT-Drs. 19/4726, S. 8). Auch die Beantwortung der über „Topf Secret“ gestellten Informationsanträge bleibt hin- sichtlich ihrer Wirkungen auf das Wettbewerbsgeschehen sowohl quantitativ als auch
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19 qualitativ weit hinter einer aktiven staatlichen Information auf der Grundlage von § 40 LFGB zurück. Hierzu im Einzelnen: I. Fehlende Vergleichbarkeit in quantitativer Hinsicht Bei auf § 40 LFGB gestützten staatlichen Informationstätigkeiten wird die gesamte „Öf- fentlichkeit“ gezielt informiert. Die durch einen Anspruch nach § 2 Abs. 1 VIG zur Aus- kunft verpflichtete Stelle informiert lediglich den einzelnen Antragsteller. Die Ausstrah- lungswirkung der jeweiligen behördlichen Informationsfreigabe auf das Wettbewerbsge- schehen ist daher nicht annähernd vergleichbar. Hieran ändert nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch der Umstand, dass der einzelne Antragsteller die an ihn übermittelten Informatio- nen seinerseits veröffentlichen kann, nichts. Vielmehr blieben auch in diesem Falle die Auswirkungen auf das Wettbewerbsgeschehen schon in quantitativer Hinsicht hinter ei- ner staatlichen Information der gesamten Öffentlichkeit zurück. Dem kann im vorliegenden Fall auch nicht entgegengehalten werden, dass bei über „Topf Secret“ gestellten Anfragen mit einer Veröffentlichung zu rechnen sei. Denn eine automatisierte Veröffentlichung der Antworten der Behörde auf der Plattform „Topf Se- cret“ erfolgt nicht. Vielmehr bleibt es auch bei Nutzung des auf der Website zur Verfü- gung gestellten Antragformulars die Entscheidung des jeweiligen Antragstellers, ob und wo er die erhaltenen Informationen später veröffentlicht. Insbesondere werden die An- tragsteller mit der Nutzung des vereinfachten Verfahrens der Antragstellung über „Topf Secret“ nicht zur anschließenden Veröffentlichung verpflichtet. „Topf Secret“ stellt ledig- lich eine bürgerfreundliche Möglichkeit dar, auf einfache Weise den entsprechenden In- formationsantrag zu stellen. Es bleibt aber allein die Entscheidung des einzelnen An- tragstellers, ob er die erhaltenen Kontrollberichte veröffentlicht oder nicht. Diesen kann eine Veröffentlichungsabsicht nicht einfach unterstellt werden. Auch kann die Antragstel- lung über „Topf Secret“ nicht als Indiz für eine Veröffentlichungsabsicht gewertet werden.
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20 Zur Verdeutlichung der Funktionsweise des Portals „Topf Secret“ wird im Folgenden be- schrieben, was ein Antragsteller tun muss, um einen Informationsantrag zu stellen und die von der Behörde erhaltenen Informationen zu veröffentlichen. Um eine Anfrage einzureichen, sucht der Antragsteller den Betrieb, über den er Informa- tionen begehrt über eine auf der Startseite von „Topf Secret“ sichtbare Straßenkarte oder eine Suchfunktion heraus. Im nächsten Schritt gibt er seinen Namen, seine E-Mail- und Postadresse ein. Die vorformulierte Anfrage wird dann automatisch per E-Mail an die zuständige Behörde geschickt. Bekommen die Antragsteller die Antwort der Behörde per Post – was derzeit der Regel- fall ist – müssen die Antragsteller für eine anschließende Publikation auf der Home Page von „Topf Secret“ aktiv tätig werden. Hierfür müssen sie in ihrem Nutzer Account bei „Topf Secret“ auf „Post erhalten“ klicken und die per Post erhaltenen Dokumente ein- scannen und anschließend hochladen. Die Funktion, mit der Scans hochgeladen werden können, stellt folgende Abbildung dar:
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