1977-07-04
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes zu den Themen Studium und Volksbegehren“
ABGEORDNETENHAUS VON BERLIN 1 BERLIN 62 (SCHÖNEBERG), ven Lk, Juli 1977 - WISSENSCHAFTLICHER PARLAMENTSDIENST - JOBN-F.-KENNEDY-PLATZ, RATHAUS x DIREKTWAHL: 783 N (ZENTRALE: 783 U) Gutachtliche Stellungnahme zu der Frage, ob Bedenken - gegebenenfalls welche - gegen die Einführung einer verfaßten Studentenschaft mit allgemeinem politischem Mandat bestehen (er nenn
Die Fraktion der SPD hat den Präsidenten des Abgeordnetenhauses gebeten, den Wissenschaftlichen Parlamentsdienst mit der Prüfung der Frage zu beauftragen, ob Bedenken - gegebenenfalls welche - gegen die Einführung einer verfaßten Studentenschaft mit all- gemeinem politischem Mandat bestehen. II Zum Begrifflichen ist vorab festzustellen, daß es bei der Frage nach dem politischem Mandat ausschließlich darum geht, ob den Studentenschaften als öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaften die Befugnis zusteht, im Namen der Studenten zu allgemein-politischen Fragen Stellung zu nehmen. Das Recht der einzelnen Studenten oder der freigebildeten Gruppen ohne Zwangsmitgliedschaft auf politische Betätigung steht außer Zweifel. III Nach dem zur Zeit geltenden Berliner Hochschulrecht gibt es an den Berliner Hochschulen keine Studentenschaften. Gemäß $ 41 Abs. 1 Hochschulrahmengesetz (HRG) vom 26. Januar 1976 (BGBL. I S. 185) kann das Landesrecht jedoch vorsehen, daß an den Hochschulen zur Wahrnehmung hochschulpolitischer, sozialer und kultureller Belange der Studenten sowie zur Pflege der über- regionalen und internationalen Studentenbeziehungen Studentenschaften gebildet werden. -2-
Wegen der inhaltlichen Spannweite des Begriffs des Politischen, der als "politische Betätigung" schon jedes auf die Änderung oder Bewahrung wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Belange gerichtete Verhalten erscheinen läßt, liegt es auf der Hand, daß mit der im Gesetzeswortlaut ausdrücklich genannten Wahrnehmung hochschulpolitischer Belange nur politische Aktivitäten gemeint sein können, die unmittelbaren Bezug zur Hochschule und ihren Aufgaben haben. Nur so läßt sich überhaupt eine Abgrenzung von allgemein-politischer Betätigung durchführen. Diese vom Bundesgesetzgeber bewußt vorgenommene Einschränkung der Aufgaben der Studentenschaften auf die Wahrnehmung hoch- schulpolitischer Belange wird damit begründet, daß das Verfassungs- recht ein allgemein-politisches Mandat bei einer Zwangskörper- schaft verbiete. In der Begründung des Gesetzentwurfs (BT Drs. 7/1328) heißt es dazu (S. 66): "Absatz 1 zählt die Aufgaben auf, die die Bildung einer Studentenschaft mit Zwangsmitgliedschaft - die Studenten werden mit der Einschreibung Mitglieder der Studentenschaft - rechtfertigen. Dazu gehört auch das sogenannte hochschulpolitische Mandat. Ein allgemein-politisches Mandat der Studentenschaft besteht ebensowenig wie ein allgemein-politisches Mandat der Hochschule und kann es schon aus verfassungsrechtlichen Gründen bei einer Zwangskörperschaft nicht geben. Andererseits folgt aus der Einbindung der Hochschulen in die Gesellschaft - wie sie insbesondere in $ 3 Abs. 1, $8$ 8 und 23 verdeutlicht wird - daß zwischen hochschul- politischen und gesellschaftspolitischen Frage- stellungen fließende Übergänge bestehen; die Grenze wird mit Sicherheit dort überschritten, wo ein sachlicher Bezug zur Hochschulpolitik weder erkennbar noch beabsichtigt ist."
Die vom Bundesgesetzgeber getroffene Regelung entspricht der einheitlichen Auffassung in der Rechtsprechung (1) und vielen Stimmen in der Literatur (2) die - bezogen auf die Rechtslage vor Erlaß des Hochschulrahmengesetzes - die Frage, ob den Studentenschaften oder ihren Organen ein politisches Mandat nach geltendem Recht zusteht oder wenigstens für die Zukunft zuerkannt werden kann, im allgemeinen sowohl de lege lata als auch de lege ferenda verneinen. Das wichtigste Argument für die Verfassungswidrigkeit ist dabei, daß durch die Inanspruchnahme eines politischen Mandats die negative Koalitionsfreiheit und die Meinungsfreiheit dissentierender Zwangskorporierter verletzt würde (3). Für den Landesgesetzgeber sind die Rahmenrechtsvor- schriften des Bundes bindend (Art. 31 GG). Nach $ 72 Abs. 1 HRG sind innerhalb von drei Jahren nach In- krafttreten (also bis zum 30. Januar 1979) entsprechende Landes- gesetze zu erlassen. Sollte man bei der Anpassung des Berliner Universitätengesetzes (oder auch später, insofern ist der Gesetzgeber frei) an die (Wieder-)Einführung von Studentenschaften denken, sind deren Aufgaben durch das Rahmenrecht zwingend vorgeschrieben, so daß die Einführung einer verfaßten Studentenschaft mit allgemeinem politischen Mandat nicht zulässig ist. Das allgemein-politische Mandat dürfte nunmehr nach der klaren Entscheidung des Bundesgesetzgebers auch keine politische Forderung der Studentenschaften selbst mehr darstellen. Wie nämlich einer Meldung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. Juni 1977 zu entnehmen war, hat der Allgemeine Studentenausschuß der Philipps-Universität in Marburg seine beim Staatsgerichtshof eingereichte Klage wegen der Verweigerung des allgemein-politischen Mandats zurückgenommen. „un
Abschließend sei darauf hingewiesen, daß das Bundesverfassungs- gericht sich auf Grund eines Vorlagebeschlusses des Verwaltungs- gerichts Sigmaringen (4) mit der Frage auseinandersetzen muß, ob ein Zwangsverband "Studentenschaft" verfassungskonform ist. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, daß ein derartiger Zwangsverband verfassungswidrig sei, weil dem Aufgabenkreis der Studentenschaft der spezifisch öffentliche Bezug fehle. Zwar bezient sich dieses Verfahren auf das Hochschulgesetz von Baden-Württemberg. Sollte das Bundesverfassungsgericht sich Jedoch der Auffassung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen an- schließen, hätte eine derartige Entscheidung auch Bedeutung für die nahezu gleichlautende Regelung über die Studentenschaften im Hochschulrahmengesetz. Zusammenfassend ist also festzustellen: 1. Nach $ 41 HRG kann das Landesrecht die Bildung von Studenten- schaften zur Wahrnehmung hochschulpolitischer Belange vorsehen. 2. Der Bundesgesetzgeber hält in Übereinstimmung mit der Recht- sprechung und gewichtigen Stimmen der Lehre die Zuerkennung eines allgemein-politischen Mandats für verfassungswidrig, weil dadurch die negative Koalitionsfreiheit und die Meinungs- freiheit dissentierender Zwangskorporierter verletzt würde. 3. Der Landesgesetzgeber ist somit durch die Rahmenvorschriften des Bundes (und von Verfassungs wegen) an der Einführung von Studentenschaften mit aligemein-politischem Mandat gehindert. Stefan
(1) (2) - I- Anmerkungen Vgl. z.B. VGH Mannheim, Urteil vom 21.4.1975 - IX 1200/73, NW 1976 S. 5905 OVG Hamburg, Urteil vom 7.7.1971 - OVG B£ III 9/70, NIW 1972 S. 715 BVerwG, Urteil vom 26.9.1969 - VII C 65/68 (VGH Mannheim), JZ 1970 S. 576; OVG Münster, Urteil vom 19.8.1968 - V A 608/68, NJW 1969 S. 1044; OVG Münster, Beschluß vom 31.5.1968 - V B 296/68 , NIW 1968 S. 1901 - VG Köln Beschluß vom 6.5.1967 1 D 124/67, JZ 1968 S. 260; VG Berlin, Urteil vom 17.10.1967 - II A 17.67, JZ 1968 S. 260; VG Sigmaringen, Urteil vom 2.2.1968 - III A 364/67, JZ 1968 S. 262. Vgl. z.B. Thieme, Anmerkung zu dem Urteil des BVerwG vom 26.9.1969, J2 1970 S. 578; ders., Rechtsgutachten über das politische Mandat der Studentschaft und die Disziplinar- gerichtsbarkeit über die Studenten an der Freien Universität Berlin, Drucksachen des Abgeordnetenhauses von Berlin V/h42 vom 5.7.1968 S. 31-42; Bettermann, Die Universität in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in: Universitäts- tage 1963 S. 60 ff.; ders., unveröffentlichtes Schreiben mit mehreren Anlagen vom 27. Juni 1967 an den damaligen Senator für Wissenschaft und Kunst, Prof. Dr. Werner Stein; Berner, Die Problematik des politischen Mandats der Studentenschaft, JZ2 1967 S. 242; Reinhardt, Die Studentenschaft als Glied- körperschaft der wissenschaftlichen Hochschule, JZ 1965 S. 385; mit Einschränkungen auch Rinken, Verfassungsrechtliche Aspekte zum Status des Studenten, JuS 1968 S. 263; ein politisches Mandat bejahend dagegen Mützelburg DUZ 12/1967 S. 3 ff.; Preuß, Das politische Mandat der Studentenschaft, 1969; sowie Sonderheft Nr. 8/9 1968 DUZ mit verschiedenen Beiträgen; Knoke, Das "politische Mandat" der Studentenschaft, DÖV 1967 Ss. 542. - II -
- II - (3) Vgl. z.B. Thieme, Rechtsgutachten 2.2.0. S, 375 Berner, a.a.0., S. 24h, (4) VG Sigmaringen, Vorlagebeschluß vom 24. Juni 1975 - III 1033/74, DVBl. 77, 465.