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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Demokratie leben - Überprüfung durch den Verfassungsschutz

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Beglaubigte Abschrift




             OBERVERWALTUNGSGERICHT
               BERLIN-BRANDENBURG

                                 BESCHLUSS
OVG 12 N 15/21
VG 2 K 126.18 Berlin

In der Verwaltungsstreitsache
des Herrn Arne Semsrott,
c/o Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.,
Singerstraße 109, 10179 Berlin,
                                                            Klägers und Antragstellers,
bevollmächtigt:
Rechtsanwälte Thomas,
Oranienburger Straße 23, 10178 Berlin,


                                   gegen


die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch
das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Glinkastraße 24, 10117 Berlin,
                                                         Beklagte und Antragsgegnerin,
bevollmächtigt:
Rechtsanwälte Redeker, Sellner, Dahs,
Leipziger Platz 3, 10117 Berlin,


hat der 12. Senat durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht
Plückelmann, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Raabe und die Richterin
am Verwaltungsgericht Kästle am 9. Februar 2023 beschlossen:



                                                                                   -2-
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       Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das
       Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Dezember 2020 wird
       abgelehnt.


       Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.


       Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 EUR
       festgesetzt.




                                      Gründe


Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend
gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht den Anforderungen
des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargetan.


1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstin-
stanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Solche Zweifel liegen
nur dann vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsa-
chenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2019 - 1 BvR 587/17 - BVerfGE 151, 173, juris
Rn. 32 m.w.N.). Das ist vorliegend nicht der Fall.


Ohne Erfolg rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe bei der Prüfung des Aus-
schlussgrundes des § 3 Nr. 2 IFG den anzulegenden Prüfungsmaßstab verkannt.
Die Rüge greift schon deshalb nicht durch, weil sie erstmals nach Ablauf der Frist
zur Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) mit nachge-
reichtem Schriftsatz vom 5. Mai 2021 erhoben worden ist. Im Übrigen vermag sie
auch in der Sache nicht zu überzeugen. Von einem Beurteilungsspielraum der in-
formationspflichtigen Stelle ist das Verwaltungsgericht entgegen dem Vorbringen
des Klägers nicht ausgegangen.


Die gegen die einzelfallbezogene Würdigung des Verwaltungsgerichts erhobenen
Einwände greifen gleichfalls nicht durch. Soweit die freie Sachverhalts- und Be-
weiswürdigung zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung gehört (§ 108 Abs. 1




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Satz 1 VwGO), liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung nach
§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann vor, wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür dar-
getan sind, dass das Verwaltungsgericht hinsichtlich entscheidungserheblicher Tat-
sachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder seine Würdi-
gung etwa auf gedanklichen Lücken oder Ungereimtheiten beruht, die ernstliche
Richtigkeitszweifel begründen (st. Rspr. des Senats, vgl. u.a. Beschluss vom
25. März 2022 - OVG 12 N 240/20 - Beschlussabdruck S. 2, 3 m.w.N.). Derartige
Anhaltspunkte zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.


In nicht zu beanstandender Weise ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen,
dass die begehrte Bekanntgabe der Namen der 51 Projektträger, die in den Jahren
2015 bis 2018 auf verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse überprüft worden sind,
die effektive Aufgabenwahrnehmung des Bundesfamilienministeriums stören
könne. Soweit es dabei unter Bezugnahme auf Presseveröffentlichungen auf die
Gefahr einer Stigmatisierung der Projektträger und die Störung der vertrauensvol-
len Zusammenarbeit verwiesen hat, bietet das Zulassungsvorbringen keinen Anlass
für eine abweichende Würdigung. Insbesondere kann sich der Kläger nicht mit Er-
folg darauf berufen, dass das Verwaltungsgericht aus der angeführten Presseerklä-
rung von Dachverbänden vom 17. Mai 2018 fehlerhafte Schlüsse gezogen habe.
Der Hinweis, dass Aussagen von Projektträgern als Beleg für einen drohenden Ver-
trauensverlust durch die Bekanntgabe der begehrten Informationen angeführt wor-
den seien, obwohl diese Projektträger gerade das intransparente Vorgehen der Be-
klagten als Grund für den Vertrauensverlust genannt und die Offenlegung der In-
formationen gefordert hätten, gibt dafür nichts her. Er geht an dem maßgeblichen
Inhalt der Presseerklärung vorbei. Zwar wird darin - neben der generellen Forde-
rung nach einem Verzicht auf geheimdienstliche Überprüfung - auch das intranspa-
rente Vorgehen des Ministeriums kritisiert; dass dies gerade als Grund für den Ver-
trauensverlust genannt und die Offenlegung der vorliegend streitbefangenen Infor-
mationen gefordert wird, trifft indes nicht zu.


Ebenso wenig kann sich der Kläger mit Erfolg darauf berufen, dass die Gefahr einer
Stigmatisierung schon deshalb nicht bestehe, weil die Überprüfungen bei sämt-li-
chen betroffenen Projektträgern abgeschlossen seien und sich der Verdacht der
verfassungsfeindlichen Bestrebungen jeweils als unbegründet erwiesen habe. Der
Einwand vermag bereits im Ansatz nicht zu überzeugen. Das Verwaltungsgericht




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hat darauf abgestellt, dass eine Stigmatisierung der überprüften Projektträger dazu
führen könne, dass diesen in dem wichtigen Bereich der Extremismusprävention
der Zugang zu den Sozialisierungsräumen und Kontakten verschlossen werde oder
bleibe. Ein ganz wesentlicher Teil der Arbeit basiere auf den Zugängen zu Milieus,
die die staatliche Ordnung nicht nur in Frage stellten, sondern gefährdeten; durch
die Veröffentlichung der Namen der Projektträger könne der Verlust dieser Zugänge
drohen. Diese Gefahr besteht, wie die Beklagte zu Recht geltend macht, schon
dann, wenn Außenstehende Kenntnis davon erhalten, dass und welche Empfänger
staatlicher Mittel zur Extremismusprävention vom Bundesamt für Verfassungs-
schutz überprüft worden sind. Einer weiteren Sachaufklärung in jedem konkreten
Einzelfall bzw. für jeden einzelnen Projektträger bedurfte es danach nicht. Abgese-
hen davon, dass der Kläger nicht dargelegt hat, im erstinstanzlichen Verfahren auf
die nunmehr für erforderlich erachtete weitere Aufklärung hingewirkt zu haben,
musste sich diese dem Verwaltungsgericht auch nicht von Amts wegen aufdrängen.
Für die Annahme, die erstinstanzliche Entscheidung beruhe auf einer unzureichen-
den Ermittlung und Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, ist
danach kein Raum.


Die Ausführungen, mit denen der Kläger die Durchführung eines Drittbeteiligungs-
verfahrens für erforderlich erachtet, begründen schließlich gleichfalls keine ernstli-
chen Richtigkeitszweifel. Dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, ein Drittbe-
teiligungsverfahren nach § 8 Abs. 1 IFG durchzuführen, ist damit nicht dargetan.
§ 8 Abs. 1 IFG setzt voraus, dass ein Antrag auf Informationszugang Belange Dritter
berührt und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Dritte ein schutzwürdiges In-
teresse am Ausschluss des Informationszugangs haben kann. Auf eine derartige
Fallkonstellation beruft sich der Kläger im Ergebnis selbst nicht. Vielmehr zielt sein
gesamter Vortrag darauf ab, dass die überprüften Projektträger ein - mit seinen
eigenen Interessen übereinstimmendes - Interesse an der Offenlegung der begehr-
ten Informationen haben. Unabhängig davon käme ein Drittbeteiligungsverfahren
nach § 8 Abs. 1 IFG nur dann in Betracht, wenn der Dritte aufgrund seiner Disposi-
tionsbefugnis über die ihn betreffenden Belange die behördliche Entscheidung über
den Informationszugang beeinflussen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni
2017 - 7 C 24.15 - BVerwGE 159, 194, juris Rn. 34; Schoch, IFG, 2. Aufl., § 8
Rn. 27). Das ist bezüglich des hier in Rede stehenden Ausschlussgrundes nach
§ 3 Nr. 2 IFG, der dem Schutz besonderer öffentlicher Belange dient, nicht der Fall.




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In Bezug auf das Schutzgut des § 3 Nr. 2 IFG haben Dritte keine Dispositionsbe-
fugnis; sie können auch im Wege einer Einwilligung, auf die der Kläger abstellt,
nicht über die öffentlichen Belange disponieren. Kann der Versagungsgrund nicht
durch Einwilligung überwunden werden, kommt danach auch die Durchführung ei-
nes vom Kläger reklamierten Drittbeteiligungsverfahrens ohne ausdrückliche ge-
setzliche Grundlage nicht in Betracht.


2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten besonderen rechtli-
chen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
Soweit sich der Kläger auch insoweit auf sein Vorbringen zum Zulassungsgrund
ernstlicher Richtigkeitszweifel bezieht, sind derartige besondere Schwierigkeiten
nicht dargetan. Namentlich sind die Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens
aus den vorstehend zu Ziffer 1 dargelegten Gründen nicht als offen anzusehen.


3. Die erhobene Grundsatzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greift gleichfalls nicht
durch.


Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn für die Entscheidung
des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder
Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung
im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Recht-
sprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Beschluss des Se-
nats vom 16. April 2020 - OVG 12 N 135.19 - Beschlussabdruck S. 2; st. Rspr.).
Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der vom Kläger aufgeworfenen Frage,


         ob eine informationspflichtige Stelle sich ohne Durchführung eines Drittbe-
         teiligungsverfahrens auf eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Staates
         als Teil der öffentlichen Sicherheit nach § 3 Nr. 2 IFG berufen kann, wenn
         das Bekanntwerden der Informationen unmittelbar die Interessen Dritter und
         nur mittelbar die Zusammenarbeit dieser Dritten mit der informationspflichti-
         gen Stelle berührt,

nicht erfüllt. Dem Zulassungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass die Frage für
die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich
gewesen ist. Dass sich das Verwaltungsgericht die Frage gestellt und in den Grün-
den seiner Entscheidung beantwortet hätte, behauptet der Kläger selbst nicht. Viel-
mehr       verweist     er    darauf,     dass     das     Verwaltungsgericht     ein




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Drittbeteiligungsverfahren nicht in Betracht gezogen habe. Das vermag die Grund-
satzrüge nicht zu tragen; es ist nicht Aufgabe des Senats, im Rahmen der Grund-
satzrüge die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu überprüfen. Die Zu-
lassung der Berufung setzt voraus, dass die Frage nach der maßgeblichen Rechts-
auffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen ist.


4. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Ver-
fahrensfehlers zuzulassen. Aus den bereits vorstehend zu Ziffer 1 dargelegten
Gründen kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine Verletzung der gerichtlichen
Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) berufen.


Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.


Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m.
§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Plückelmann                           Kästle                             Dr. Raabe
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