elbtower-anmeldeverfahrenkommissionfbd25-04-2022-geschwrzt

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Gutachten zur EU-Beihilfeprüfung im Zusammenhang mit dem Elbtower

/ 9
PDF herunterladen
Freshfields Bruckhaus Deringer

Datum Unser Zeichen
25. Aprıl 2022 EUROPE-LEGAL-254357003/1

Elbtower — Beihilferechtliche Bewertung
Hier: Anmeldung bei der Europäischen Kommission

A. Zusammenfassung

Das EU-Beihilferecht reguliert die direkte oder indirekte Gewährung staatlicher Vorteile an
Wirtschaftszweige oder einzelne Unternehmen. Staatliche oder aus staatlichen Mitteln ge-
währte Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Wirtschafts-
zweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, sind mit dem Binnenmarkt
unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 107 Abs.
1 AEUV). Beihilfen sind regelmäßig nur im Rahmen der im AEUV benannten Ausnahmen
zulässig (Art. 107 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV).

Von der beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen ist die Europäische
Kommission (Kommission) vorab zu unterrichten (Anmeldung) (Art. 108 Abs. 3 AEUV).

Im Zusammenhang mit der beihilferechtlichen Bewertung des Bauherrenauswahlverfahren für
den Elbtower stellt sich die Frage, ob eine Anmeldung des Vorgangs bei der Kommission
zulässig und zweckmäßig ist. Dazu sehen wir die folgenden tragenden Erwägungen:

1. Eine Pflicht zur Anmeldung besteht nur bei Beihilfen. Hier liegt eine Beihilfe aber
gerade nicht vor.

» Die Anmeldung einer beabsichtigten Maßnahme ist nur dann erforderlich, wenn ob-
jektiv eine Beihilfe vorliegt.

» Eine solche besteht hinsichtlich des Bauherrenauswahlverfahrens für den Elbtower
aber mit überzeugenden Argumenten gerade nicht.!

2. Bei Unsicherheiten kann eine Maßnahme dennoch angemeldet werden, um
Rechtssicherheit zu erlangen. Voraussetzung dafür wären aber zumindest ernsthafte
Zweifel des Mitgliedstaates.

» Bei Zweifeln hinsichtlich des Beihilfecharakters einer bestimmten Maßnahme können
Mitgliedsstaaten eine Anmeldung vornehmen.

! Neben dem ursprünglichen Bauherrenauswahlverfahren ist auch die nachträgliche Anpassung der Brutto-
grundflächen (BGF) aufgrund des fortgeschriebenen Bebauungs- und Nutzungskonzepts als beihilferecht-
lich unproblematisch zu bewerten, siehe hierzu unseren Vermerk „Elbtower - Beihilferechtliche Bewertung
des Bauherrenauswahlverfahrens‘ vom 9. Januar 2022.

Die Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (Freshfields Bruckhaus Deringer

Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB) hat ihren Sitz in Frankfurt am Main und ist im Partnerschaftsregister des Amtsgerichts Frankfurt am Main unter der

Registernummer PR 2677 eingetragen Weitere regulatorische Informationen finden Sie unter www freshfields com/support/legal-notice

Eine Liste aller Gesellschafter der Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB stellen wir auf Nachfrage gern zur Verfügung Die
Bezeichnung „Partner“ umfasst sowohl Gesellschafter der Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB als auch Consultants und

Mitarbeiter der Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB, die keine Gesellschafter sind, aber aufgrund vergleichbarer Position
1

MD Freshfields Bruckhaus Deringer
219

» Die Anmeldung ist dagegen nicht dafür vorgesehen, vorsorgliche „Negativ-Bescheini-
gungen“ für jegliche Arten von Verkaufsprozessen durch die öffentliche Hand einzu-
holen.

3. Die Anmeldung erfolgt nur durch den Mitgliedstaat, für Deutschland durch das
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

» Beihilfen müssen durch die Regierung eines Mitgliedstaates angemeldet werden. Zu-
ständig ist in Deutschland das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
(BMWK).

» Die Anmeldung wird durch das BMWK eingereicht, sofern es in der geplanten Maß-
nahme eine Beihilfe sieht.

4. Die Maßnahme muss vor Gewährung der Beihilfe angemeldet werden. Wenn
man hypothetisch eine Beihilfe unterstellt, sprechen gute Gründe dafür, dass die Gewäh-
rung einer solchen Beihilfe bereits im Abschluss des Grundstückskaufvertrags gelegen
hätte (andere Auffassung: Beihilfegewährung erst durch Übereignung).

» Mit Abschluss des Grundstückskaufvertrags hat Sıgna bereits einen Rechtsanspruch
auf Übereignung erworben. Daher spricht viel dafür, dass — falls man überhaupt von
einer Beihilfe ausgehen wollte — jedenfalls bereits der Kaufvertragsabschluss als Ge-
währung zu sehen wäre.

» Das Beihilferecht sieht vor, eine geplante Beihilfe der Kommission „rechtzeitig vor
Gewährung“ anzumelden. Damit könnte eine Anmeldung zum jetzigen Zeitpunkt
nichts mehr an der rechtswidrigen Beihilfegewährung ändern. Denn eine Genehmi-
gung der Maßnahme (ginge man davon aus, dass diese Beihilfen gewährte) als verein-
bar mit dem Binnenmarkt dürfte nicht in Betracht kommen.

>» Sieht man die Gewährung dagegen erst in der Übereignung, läge noch keine Ver-
spätung vor.

5. In jedem Fall wäre eine Anmeldung jetzt für die Freie und Hansestadt Hamburg
(FHH) mit erheblichen Nachteilen und Risiken verbunden.

» Trotz formal maximal zweimonatiger Prüfdauer für Anmeldungen im vorläufigen
Prüfverfahren benötigt die Kommission in der Praxis oft deutlich länger, um zum ab-
schließenden Beschluss zu kommen.

» Während der Prüfung durch die Kommission gilt das Durchführungsverbot („stand
still‘), das weitere Umsetzungsschritte bis zur Grundstücksübertragung betreffen
würde.

» Da somit bis auf Weiteres kein Vollzug des Grundstückkaufvertrages möglich wäre,
würde sich die FHH erheblichen Schadensersatzforderungen von Signa ausgesetzt se-
hen.

6. Auch die Kommission hat bisher keine Anhaltspunkte für eine Beihilferechtswid-
rigkeit gesehen.

» Die Kommission hat sich aufgrund einer Bürgeranfrage bereits mit dem Bauherren-
auswahlverfahren beschäftigt. Dabei hat die Kommission bereits ausführliche Infor-
mationen über das Bauherrenauswahlverfahren erhalten.

EUROPE-LEGAL-254357003/1
2

10

11

12

13

14

15

MD Freshfields Bruckhaus Deringer

3|9

» Die Kommission ist — soweit ersichtlich — ebenfalls nicht der Auffassung, dass der
Signa eine rechtswidrige Beihilfe gewährt worden ist.

» Vor diesem Hintergrund bestehen aus Sicht Deutschlands keine ernstlichen Zweifel an
dem Nicht-Beihilfecharakter der Maßnahme.

7. Daher halten wir eine Anmeldung zum jetzigen Zeitpunkt nicht für ratsam.

Im Folgenden werden weitere Hintergründe, insbesondere Anwendungsbereich und Verfah-
rensschritte der Anmeldung sowie praktische Erwägungen und Bewertungen, näher darge-
stellt.

B. Anmeldepflicht

Grundsätzlich besteht eine Anmeldepflicht nur für Beihilfen, nicht für bloße Verdachtsfälle.
Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von Art. 108 Abs. 3 AEUV und Art. 2 Abs. 1 der Verord-
nung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die An-
wendung von Artikel 108 AEUV? (Verfahrensverordnung). Art. 2 Abs. 1 S. 1 der Verfah-
rensverordnung stellt klar, dass eine Anmeldung durch den Mitgliedstaat nur dann erforderlich
ist, wenn nach Art. 107 Abs. 1 AEUV tatbestandlich eine Beihilfe vorliegt.

1. Veranlassung der Anmeldung

Dies bedeutet zwar nicht, dass die Anmeldung von Verdachtsfällen und damit auch von Nicht-
Beihilfen unzulässig wäre. Angesichts der Unschärfe des Beihilfenbegriffs und seiner Abhän-
gigkeit von wettbewerbspolitischen Erwägungen der Kommission ist die Anmeldung von sol-
chen Maßnahmen zulässig, die die Mitgliedstaaten nicht für Beihilfen halten, bei denen sie
aber die Gefahr einer abweichenden Beurteilung durch die Kommission sehen. Obgleich die
Anmeldepflicht nur besteht, wenn objektiv eine Beihilfe vorliegt, befreit die unzutreffende
Annahme, es liege keine Beihilfe vor, nicht von der Anmeldepflicht.°

Nach dem Prinzip der „Selbstveranlagung“ muss der Mitgliedstaat darüber befinden, ob er bei
Zweifeln hinsichtlich des Beihilfecharakters einer Maßnahme sicherheitshalber ein Genehmi-
gungsverfahren anstrengt oder umgekehrt das Risiko einer Durchführung der Maßnahme ohne
vorherige Anmeldung eingeht, die dann möglicherweise in ein repressives Verfahren nach
Kapitel III der Verfahrensverordnung mündet.*

Die Anmeldung ist aber nicht dafür vorgesehen, vorsorgliche „Negativ-Bescheinigungen“ für
jegliche Arten von Verkaufsprozessen durch die öffentliche Hand einzuholen. Zwar hatte die
Kommission ursprünglich eine weitreichende Anmeldepflicht von Verdachtsfällen vertreten,
dies hat die Unionsrechtsprechung jedoch nicht bestätigt.‘ Hauptargument gegen die Begrün-
dung einer Anmeldepflicht bei bloßem Zweifel an dem Vorliegen einer Beihilfe sind die er-
heblichen Gefahren, die in einem solchen Falle von der Möglichkeit einer Berufung auf das

ABI. 2015 L 248/9.

MüKoEuWettbR/Unger, 4. Aufl. 2022, Beihilfenverfahrens-VO Art. 2 Rn. 5.
Ebenda.

Kommission 11.6.1991, ABl. 1992 L 14, 35 -—P.M.U.

EuGH C-345/02, Sig. 2004, I-7139 Rn. 31 £. — Pearle.

a vu » wıM

EUROPE-LEGAL-254357003/1
3

16

17

18

19

20

21

22

MD Freshfields Bruckhaus Deringer

4l9

sog. Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV durch die Wettbewerber des Bei-
hilfeempfängers ausgingen.’ Trotzdem bleibt es dem Mitgliedstaat möglich, eine Maßnahme
anzumelden, obgleich es sich seiner Einschätzung nach nicht um eine Beihilfe handelt.°

Im Fall des Elbtower-Grundstücksverkaufs spricht zudem gegen eine Anmeldung, dass sich
die Kommission bereits mit der Thematik befasst und keine Beihilfe gesehen hat — auch wenn
diese Prüfung außerhalb einer regulären Anmeldung stattfand. Hintergrund waren Bürgerein-
gaben bzw. eine Anrufung der Europäischen Ombudsstelle (Fall 199/2020/JN).?

Mit Schreiben vom 30. April 2019 antwortete die Generaldirektion Wettbewerb (GD Wertbe-
werb) der Kommission dem Beschwerdeführer. Die GD Wettbewerb kam „nach sorgfältiger
Prüfung“ zu dem Schluss, dass die „Angelegenheit nach unserer vorläufigen Einschätzung
keine staatliche Beihilfe im Sinne des AEUV zu sein [scheint]“ und kein Grund für weitere
Untersuchungen gesehen werde.

Bezüglich des Kaufpreises der Signa und der höheren Preisangebote der anderen Bieter stellte
die Kommission fest, dass „Hamburger Behörden das Angebot auf der Grundlage einer Reihe
von gewichteten Kriterien aufgestellt haben, von denen der Preis nur eines war“..!?

Im Einklang mit ihrer eigenen Entscheidungspraxis und Aussagen der Europäischen Gerichte
teilte die Kommission dem Beschwerdeführer daher mit, dass bei einem Bieterverfahren nicht
automatisch derjenige Bieter, der den nominell höchsten Kaufpreis bietet, den Zuschlag erhal-
ten muss, wenn neben dem Kaufpreis noch weitere zulässige Bewertungskriterien existieren.

Im Rahmen dieser Bürgereingabe wurden der GD Wettbewerb umfangreiche Unterlagen, u.a.
die Vergabebekanntmachung sowie Presseartikel und Bürgerschaftsdrucksachen übermittelt.
Der GD Wettbewerb lagen demnach umfangreiche Sachverhaltsinformationen vor.

Wie aus der Antwort der GD Wettbewerb deutlich wird, hat sie keinen Anlass zur Einleitung
einer weitergehenden Prüfung oder gar eines förmlichen Verfahrens gesehen. Ansonsten hätte
die GD Wettbewerb Deutschland entsprechend informiert. Dies ist unserem Kenntnisstand
nach nicht geschehen. Dies unterstreicht, dass es keine Veranlassung für eine Anmeldung gibt.

2. Durchführung der Anmeldung

Die Anmeldungspflicht trifft ausschließlich den betreffenden Mitgliedstaat. Es gibt für unter-
geordnete staatliche Stellen, die Länder, Gebietskörperschaften oder drittbetroffene Beihilfe-
empfänger keine parallele Anmeldeberechtigung.'! In der praktischen Umsetzung muss eine

7 Bartosch, 3. Aufl. 2020, VO 2015/1589 Art. 2 Rn. 3.

8 MüKoEuWettbR/Wermer, 4. Aufl. 2022, AEUV Art. 108 Rn. 145.

?° Europäische Ombudsstelle, Entscheidung zu Fall 199/2020/JN, 29.07.2020, https://www.ombudsman.eu-
ropa.eu/de/decision/de/130804 (zuletzt abgerufen am 24.04.2022).

10 Schreiben der Europäischen Kommission, Generaldirektion Wettbewerb, vom 30.4.2019 in SA.53848 —
Deutschland, Verdacht einer Beihilfe für den Bau des Elbtowers in Hamburg, abrufbar via https://fragden-
staat.de/a/207966 (zuletzt abgerufen am 24.04.2022).

11 Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV/Nowak, 1. Aufl. 2017, AEUV Art. 108
Rn. 48; Immenga/Mestmäcker/Rusche, 5. Aufl. 2016, Beihilfenverfahrens-VO Art. 2 Rn. 1-2.

EUROPE-LEGAL-254357003/1
4

23

24

25

26

27

28

29

MD Freshfields Bruckhaus Deringer

5|9

Beihilfe durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK,) bei der Kom-
mission angemeldet werden.

Sollte also z.B. ein Bundesland die Gewährung einer Beihilfe planen, müsste es sich zunächst
mit dem BMWK abstimmen. Das BMWK - vorausgesetzt es stimmt der Einschätzung des
Bundeslandes zu, dass es sich bei der geplanten Maßnahme um eine Beihilfe handelt — nımmt
dann die Anmeldung bei der Kommission vor.

3. Zeitpunkt der Anmeldung

Gemäß Art. 2 Abs. 1 S. 1 der Verfahrensverordnung hat die Anmeldung „rechtzeitig“ zu er-
folgen. Die Beihilfe muss danach, wie sich aus Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV ergibt, zu einem
Zeitpunkt angemeldet werden, der es der Kommission ermöglicht, die Beihilfe vor ihrer ge-
planten Durchführung im dafür vorgesehenen Verfahren auf die Vereinbarkeit mit dem Bin-
nenmarkt hin zu überprüfen.!?

In Bezug auf Grundstücksverkäufe ist nicht abschließend geklärt, zu welchem Zeitpunkt die
Beihilfe als „gewährt“ oder „durchgeführt“ im Sinne des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV gilt.

In der Regel findet eine Einzelfallbetrachtung dahingehend statt, was als beihilferechtlich re-
levantes Rechtsgeschäft gilt.'? Aus unserer Sicht sprechen die besseren Gründe dafür, bereits
die Beurkundung des Kaufvertrags als das beihilferechtlich relevante Ereignis zu betrachten.
Denn mit der Beurkundung entsteht der Anspruch auf die spätere Übereignung zu den verein-
barten (möglicherweise nicht marktgerechten) Bedingungen. Die spätere Übergabe und Über-
eignung des Grundstücks folgt dem Abschluss des Grundstückskaufvertrags letztlich als Au-
tomatismus, da Übergabe und Übereignung nur noch von der (in den Händen des Käufers
liegenden) Erfüllung der Übergabevoraussetzungen einschließlich Kaufpreiszahlung abhän-
gen.

Als Orientierung in der deutschrechtlichen Umsetzung könnte herangezogenen werden, dass
bei Verstößen gegen das Durchführungsgebot (siehe Ziffer C) eher von einer Nichtigkeit nur
des Verpflichtungsgeschäfts ausgegangen wird, was der Rechtsfolge von $ 134 BGB ent-
spricht.

Dem entspricht auch die Meinung in der maßgeblichen Literatur, dass bei zivilrechtlichen
Austauschverhältnissen, die aufgrund einer fehlenden Wertgleichheit zwischen Leistung und
Gegenleistung ein Beihilfeelement enthalten, das Erfüllungsgeschäft beihilferechtlich neutral
sei. Die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück ist etwa nicht per se ein beihilfe-
rechtlich relevanter Vorteil, sondern lediglich dann, wenn im Verpflichtungsgeschäft ein zu
niedriger Kaufpreis vereinbart wurde.!*

Folgt man dieser Sichtweise, dass der Grundstückskaufvertrag das beihilferechtlich relevante
Rechtsgeschäft ist, so wäre der Zeitpunkt für die „rechtzeitige“ Anmeldung gem. der Verfah-
rensordnung bereits verstrichen. Art. 2 Abs. 1 S. 1 der Verfahrensverordnung schreibt nämlich

12 MüKoEuWettbR/Unger Beihilfenverfahrens-VO Art. 2 Rn. 7.
33 Kirchhoff/Kilger, Zivilrechtliche Wirkungen von Verstößen gegen das EU-Beihilferecht, NTW 2005, 106.
14 MüKoEuWettbR/Karpenstein/Dingemann, 4. Aufl. 2022, Teil 12, Rn. 50.

EUROPE-LEGAL-254357003/1
5

30

31

32

33

34

MD Freshfields Bruckhaus Deringer
619

vor, dass „die Mitgliedstaaten der Kommission ihre Vorhaben zur Gewährung neuer Beihilfen
rechtzeitig‘ mitteilen.

Die Verfahrensverordnung schließt jedoch eine verspätete Anmeldung nicht ausdrücklich aus.
Die Kommission prüft auch verspätete Anmeldungen. Eine solche verspätete Anmeldung
wäre jedoch in der vorliegenden Konstellation als krasser Ausnahmefall zu sehen. Sie dürfte
ım Prinzip nur dann in Frage kommen, wenn der Mitgliedstaat selbst zu einem hohen Maße
davon ausgeht, dass es sich um eine Beihilfe handelt, dass die von der Kommission für mit
dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden wird. Davon ist hier, unterstellt man, dass der
Grundstückskaufvertrag Beihilfen gewährt, nicht auszugehen.

C. Durchführungsverbot

Geht ein Mitgliedstaat davon aus, dass eine beabsichtigte Maßnahme eine Beihilfe im Sinne
des Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, darf der Mitgliedstaat gem. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV
diese Maßnahme erst durchführen, wenn die Kommission einen abschließenden Beschluss er-
lassen hat (Durchführungsverbot).'”

Es ließe sich zwar argumentieren, dass das Durchführungsverbot gem. des Wortlautes des Art.
108 Abs. 3 S. 3 nur für Anmeldung tatbestandlicher Beihilfen und nicht für die Anmeldung
von Nicht-Beihilfen gilt.'* Die Anwendung des Durchführungsverbotes auf angemeldete
Nicht-Beihilfen ist jedoch nicht formell geregelt. Aus Gründen der Rechts- und Transaktions-
sicherheit ist, auch wenn die FHH davon ausgeht, dass die geplante Transaktion marktkonform
und damit beihilfefrei ist, daher vor Vollzug der Transaktion die Entscheidung der Kommis-
sion abzuwarten.

Werden Beihilfen gewährt, obgleich diese nicht bei der Kommission angemeldet und von die-
ser genehmigt wurden, ergeben sich vielfältige Rechtsfolgen. Mitgliedstaatliche Gerichte kön-
nen in Fällen, in denen Beihilfen in zivilrechtlicher Form unter Verstoß gegen das ın Art. 108
Abs. 3 S. 3 AEUV niedergelegte Durchführungsverbot gewährt werden, die Nichtigkeit der
zugrundeliegenden Rechtsgeschäfte feststellen, auch wenn sich das Unionsrecht selbst in die-
sen Fällen mit der schwebenden Unwirksamkeit dieser Rechtsgeschäfte zufriedengibt.!’

Im Zusammenhang mit Grundstücksverkäufen nimmt der BGH in ständiger Rechtsprechung
an, dass bei zu niedrigen Kaufpreiszahlungen keine Gesamtnichtigkeit in Frage komme. Die
durch einen zu niedrigen Kaufpreis hervorgerufene Wettbewerbsverzerrung lasse sich außer
durch eine Rückabwicklung des Geschäfts auch durch eine Anpassung des Kaufpreises errei-
chen, wobei für die Kaufpreisdifferenz Zinsen ab dem tatsächlichen Vollzug des Kaufvertrags,
regelmäßig also ab der Übergabe der Kaufsache, zu leisten sind. Mehr als die Beseitigung der
Beihilfe in Form der mit ihr verbundenen Wettbewerbsverzerrung verlange das Beihilferecht
nicht. Es würde oft zu unangemessenen Härten führen, wenn solche Projekte dann noch zwin-
gend vollständig rückabgewickelt werden müssten. !®

15 MüKoEuWettbR/Werner, 4. Aufl. 2022, AEUV Art. 108 Rn. 136.

16 MüKoEuWettbR/Werner, 4. Aufl. 2022, AEUV Art. 108 Rn. 145.

17° Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV/Nowak, 1. Aufl. 2017, AEUV Art. 108
Rn. 50.

18 Reus/Mühlhausen/Stöhr, Haushalts- und Beihilferecht der EU, 1. Auflage 2017, Rn. 183-185.

EUROPE-LEGAL-254357003/1
6

35

36

37

38

39

40

MD Freshfields Bruckhaus Deringer
719

Eine Beihilfe ist in der Regel dann gewährt, wenn nach dem geltenden nationalen Recht ein
Rechtsanspruch erworben wurde. Wie unter Ziffer 0 erläutert, ist jedoch in Bezug auf die Be-
sonderheiten von Grundstücksverkäufe nicht abschließend geklärt, zu welchem Zeitpunkt die
Beihilfe als „gewährt“ bzw. „durchgeführt“ gilt. Im Falle eines bereits beurkundeten Kaufver-
trages aber einer noch ausstehenden Grundstücksübertragung würde das Durchführungsverbot
des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV jedoch dazu führen, dass die Durchführung in Form der Grund-
stücksübertragung auf den Erwerber nicht vollzogen werden darf, bis eine Genehmigung der
Maßnahme durch die Kommission vorliegt. Vorbereitende Handlungen, wie z.B. die in Kürze
stattfindenden Prüfungen der Kapitalnachweise für Bau und Planung des Elbtower, sind im
Zweifel ebenfalls vom Durchführungsverbot erfasst. Dies müsste jedoch durch die zuständi-
gen nationalen Gerichte bewertet werden.

Das Durchführungsverbot reicht zeitlich bis zu einem abschließenden Genehmigungsbe-
schluss der Kommission.'?

D. Prüfungsverfahren der Kommission

Das Verfahren, in dem die Kommission nach Anmeldung über die Vereinbarkeit von Beihilfen
mit dem Binnenmarkt oder das Vorliegen einer Nicht-Beihilfe entscheidet, ist in der Verfah-
rensordnung geregelt. Das Prüfungsverfahren gliedert sich dabei in zwei Phasen:

1. Vorläufige Prüfung

Das Verfahren beginnt mit einer vorläufigen Prüfung, die mit einem Beschluss über die Eröff-
nung des vorläufigen Prüfverfahrens enden kann. Im Rahmen der vorläufigen Prüfung erlässt
die Kommission nach Art. 4 Abs. 5 S. 1 der Verfahrensverordnung einen Beschluss innerhalb
von zwei Monaten.” Diese Frist beginnt am Tag nach dem Eingang der vollständigen Anmel-
dung.?! Dabei gilt eine Anmeldung als vollständig, wenn die Kommission innerhalb von zwei
Monaten nach Eingang der Anmeldung oder nach Eingang der von ihr — gegebenenfalls —
angeforderten zusätzlichen Informationen keine weiteren Informationen verlangt.”?

Grundsätzlich kann damit die Kommission durch stets neue Auskunftsersuchen (innerhalb von
zwei Monaten) die Frist immer weiter hinausschieben, obgleich diesem Recht Grenzen gesetzt
sind.

Hat die Kommission innerhalb der Zwei-Monatsfrist keine die Vorprüfung abschließende Ent-
scheidung getroffen, gilt die Maßnahme als genehmigt.”* Diese Genehmigungsfiktion tritt al-
lerdings nur ein, wenn der Mitgliedstaat die Kommission davon in Kenntnis setzt, die Maß-
nahme nun durchführen zu wollen und die Kommission innerhalb von weiteren 15 Arbeitsta-
gen keine Entscheidung erlässt.

19 MüKoEuWettbR/Werner, 4. Aufl. 2022, AEUV Art. 108 Rn. 151.

20 Sjehe auch Rs. 120/73 Lorenz / Deutschland, ECLI:EU:C:1973:152, Rn. 4.

2! Art.4 Abs. 5 S. 2 der Verfahrensverordnung.

?? Art.4 Abs. 5 S. 3 der Verfahrensverordnung. Nach S. 4 ist eine Verlängerung der Frist mit Zustimmung der
Kommission und des betreffenden Mitgliedstaates möglich: ebenso kann die Kommission bei Bedarf kür-
zere Fristen setzen (S. 5).

» Erörtert z.B. in Rs. 99/98 Österreich / Kommission, ECLI:EU:C:2001:94, Rn 53f. u. 61.

4 Art. 4 Abs. 6 der Verfahrensverordnung.

EUROPE-LEGAL-254357003/1
7

Aal

42

43

44

45

46

47

48

MD Freshfields Bruckhaus Deringer
s|9

In der Praxis ist eine Vielzahl von Fällen bekannt, in denen die Vorprüfung wesentlich länger
als zwei Monate gedauert hat. In Einzelfällen dauert die Vorprüfung teilweise mehr als fünf
Jahre. Auch wenn die Komplexität dieser Fälle mit der Elbtower-Grundstücksvergabe nicht
vergleichbar ist, erscheint es jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Kommis-
sıon tatsächlich binnen zwei Monaten zu einer Entscheidung kommt.

2. Förmliches Prüfverfahren

Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass eine neue Beihilfe Anlass zu
Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, leitet sie das förmliche
Prüfverfahren ein (Art. 108 Abs. 3 S.2 AEUV, Art. 4 Abs. 4 Verfahrensverordnung).

Das förmliche Prüfverfahren schließt wiederum ein Beschluss ab, in dem die staatliche Maß-
nahme einer abschließenden Würdigung durch die Kommission unterzogen wird. Der Be-
schluss soll innerhalb von 18 Monaten nach Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens erlassen
werden (Art. 9 Abs. 6 S. 2 Verfahrensverordnung). Nach Ablauf der Frist kann der Mitglied-
staat nunmehr verlangen, dass die Kommission innerhalb von zwei Monaten entscheidet (Art.
9 Abs. 7S. 1 Verfahrensverordnung).?°

Die Kommission kann feststellen, dass die angemeldete Maßnahme keine Beihilfe darstellt
(Art. 9 Abs. 2 Verfahrensverordnung). Soweit die Kommission das Vorhaben zwar als Bei-
hilfe, jedoch als vereinbar mit dem Binnenmarkt einstuft, erlässt sie einen Positivbeschluss
(Art. 9 Abs. 3, Abs. 4 Verfahrensverordnung). Mit dem Positivbeschluss der Kommission sınd
diese Beihilfen als bestehende Beihilfen einzuordnen, die der fortlaufenden Prüfung durch
Kommission und Mitgliedstaat nach dem diesbezüglichen Verfahren unterliegen. Gelangt die
Kommission zu dem Schluss, dass die Beihilfe nicht genehmigt werden kann, erlässt sie einen
Negativbeschluss (Art. 9 Abs. 5 Verfahrensverordnung). Die Beihilfe darf dann nicht durch-
geführt werden.?®

E. Handlungsempfehlung

Aus unserer Sicht wäre eine Anmeldung bei der Kommission — unabhängig davon, ob diese
noch „rechtzeitig“ oder aufgrund einer potenziell bereits gewährten Beihilfe bereits „‚verspä-
tet“ wäre — zum jetzigen Zeitpunkt weder geboten noch zweckmäßig.

Für eine Anmeldung würde einzig sprechen, dass sie aufgrund der verbindlichen Entscheidung
der Kommission allgemein Rechtssicherheit schaffen würde. Allerdings bestehen erhebliche
rechtliche und wirtschaftliche Bedenken gegen eine Anmeldung.

Gegenstand der Anmeldung kann nur eine Beihilfe sein. Eine solche besteht hier aber mit
überzeugenden Argumenten gerade nicht. Deutschland würde sich also in gewissem Maße
widersprüchlich verhalten, wenn nunmehr eine Anmeldung durchgeführt würde.

Die Anmeldung muss über das BMWK erfolgen. Eine anschließende Vorprüfung durch die
Kommission wird wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als die in der Verfahrensordnung
benannten zwei Monate. Die Prüfung wäre insofern mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vor

> Streinz/Kühling/Rüchardt, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 108 Rn. 20-21.
26 Ebenda.

EUROPE-LEGAL-254357003/1
8

49

50

Mm Freshfields Bruckhaus Deringer

9|9

der geplanten Grundstücksübergabe im Dezember 2022 abgeschlossen. Während der Prüfung
würde das Durchführungsverbot gelten und die Übergabe verhindern. In konsequenter An-
wendung des Durchführungsverbot müssten zudem alle vorbereitenden Maßnahmen, also z.B.
die anstehende Prüfung von Finanzierungsnachweisen, eingestellt werden. Darüber hinaus
dürfte sich die FHH gezwungen sehen, die weitere Durchführung/Abwicklung der Transaktion
aktıv zu verhindern, um einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot vorzubeugen. Die
Realisierung des Elbtowers wäre auf unbestimmte Zeit gestoppt.

Zuletzt bleibt anzumerken, dass bislang kein Wettbewerber von Signa eine formelle Be-
schwerde über eine vermeintliche Beihilfe bei der Kommission angezeigt hat. Sonstige Dritte,
z.B. einzelne Bürger, gelten nicht als Beteiligte und sind insoweit hierzu nicht berechtigt.

Daher halten wir eine Anmeldung bei der Kommission zum jetzigen Zeitpunkt nicht für rat-
sam.

Brüssel/Hamburg, den 24. Aprıl 2022

 

Freshfields Bruckhaus Deringer
Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB

EUROPE-LEGAL-254357003/1
9