Drucksache 19/17075

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Interne Weisungen & Dokumente zum Umgang mit Rassismus

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Deutscher Bundestag                                                                    Drucksache 19/17075 19. Wahlperiode                                                                                        07.02.2020 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/16706 – Kapazitäten der Bundeswehr zur Bekämpfung rechtsextremer Aktivitäten Vorbemerkung der Fragesteller Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages berichtet jedes Jahr über Dutzende von Vorkommnissen innerhalb der Truppe mit rechtsextremem Hin- tergrund. Die Fragestellerinnen und Fragesteller erkundigen sich regelmäßig nach den genaueren Begleitumständen dieser Vorfälle sowie danach, wie die Bundeswehr dienst- bzw. strafrechtlich mit den entsprechenden Soldaten um- geht. Dabei stoßen sie immer wieder auf Fälle, bei denen Soldaten trotz des Zeigens des „Hitlergrußes“ oder rechtsextremer Sprüche nicht nur im Dienst verbleiben, sondern sogar noch weiter an der Waffe ausgebildet werden (vgl. zuletzt Bundestagsdrucksache 19/10338). Nach den Hintergründen hierzu befragt, betont die Bundesregierung, es handle sich um „Einzelfallentscheidungen“ durch Disziplinarvorgesetzte. Die Fragestellerinnen und Fragesteller sind besorgt, dass diese Disziplinarvor- gesetzten nicht in allen Fällen fachlich kompetent – oder gewillt – sind, ein rechtsextremes Verhalten eines Soldaten als solches zu erkennen (z. B. wenn typische Codes der rechtsextremen Szene verwendet werden). Selbst wenn sie es als solches erkennen, stellt sich die Frage, ob sie es nicht womöglich mit dem Hinweis auf den „bedauerlichen Einzelfall“ entschuldigen (vgl. Bericht des Wehrbeauftragten auf Bundestagsdrucksache 19/7200). Darüber hinaus stellt sich die Frage nach den Kapazitäten der Bundeswehr, rechtsextreme Umtriebe bekämpfen zu können. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat bereits in seinem Bericht 2017 ausgeführt (Bundestagsdrucksache 19/700), dass die „seit Jahren kriti- sierte personelle Unterbesetzung in der Rechtspflege“ fortbestehe. Die Wehr- disziplinaranwaltschaften seien teilweise „Arbeitsbelastungen ausgesetzt, die mit den vorhandenen Kapazitäten nicht ordnungsgemäß bewältigt werden können“. Im Jahresbericht 2018 hieß es ebenfalls, es gebe „nach wie vor zu wenig Wehrdisziplinaranwälte“. Im Oktober 2018 seien lediglich 216 von 262 Dienstposten besetzt gewesen. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller erhöht die angespannte Per- sonalsituation bei den Wehrdisziplinaranwaltschaften die Gefahr, dass Ver- dachtsfällen auf rechtsextreme Umtriebe nicht (hinreichend) nachgegangen wird bzw. bundeswehrinterne Ermittlungen vorzeitig eingestellt werden, oder Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vom 6. Februar 2020 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
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Drucksache 19/17075                                       –2–                 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode gar nicht erst hinsichtlich einer möglicherweise politischen Motivation für einen Disziplinarverstoß ermittelt wird. Nach ihrer Kenntnis gibt es – abge- sehen vom Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) – inner- halb der Bundeswehr, jedenfalls im Bereich des Disziplinarwesens, bei Truppendienstgerichten u. Ä., keine besonderen Kapazitäten zum Umgang mit Delikten der Politisch motivierten Kriminalität (wie sie beispielsweise in den Staatsschutzabteilungen der Landeskriminalämter vorhanden sind). Ein Unteroffizier, der die Dienststellen der Bundeswehr über einen längeren Zeitraum hinweg mit zahlreichen Informationen über von ihm recherchierte Zusammenhänge mutmaßlich rechtsextremer Soldaten informiert hat, wurde im Sommer 2019 aus dem Dienst entlassen (https://taz.de/Rechtsextreme-bei- der-Bundeswehr/!5630894/). Presseberichte gehen davon aus, dass der Soldat aufgrund seiner beharrlichen Recherche als „Störenfried“ angesehen wurde und die Entlassung einen politischen Hintergrund hat. Die den Fragestellern vorliegenden Rechercheergebnisse dieses Soldaten bestätigen die Vermutung, dass das Phänomen des Rechtsextremismus innerhalb der Bundeswehr weit umfangreicher ist, als aus den Meldungen an den Wehrbeauftragten hervor- geht. Auch der MAD hält mittlerweile einen anderen Zugang zu diesem Thema für erforderlich. MAD-Präsident Dr. Christof Gramm teilte in einer Rede vom 29. Oktober 2019 mit, der MAD konzentriere sich nicht mehr „allzu stark auf Personen“, sondern habe die „Sensorik für Verbindungen von Verdachtsperso- nen untereinander, für Kennverhältnisse und für Beziehungsgeflechte verfei- nert“ (https://augengeradeaus.net/2019/10/dokumentation-mad-will-fehlende- verfassungstreue-staerker-in-den-blick-nehmen/). Da Soldaten verpflichtet seien, aktiv für die Verfassung einzutreten, wolle der MAD „bei Personen mit fehlender Verfassungstreue unterhalb der Schwelle zum klar erkannten Extre- misten noch genauer hinschauen. Nicht nur Extremisten, sondern auch Bun- deswehrangehörige mit fehlender Verfassungstreue haben in der Bundeswehr nichts verloren. Ins Visier rücken damit verstärkt auch Mitarbeiter, die verfas- sungsfeindliche Inhalte in sozialen Netzwerken tauschen, ohne deswegen gleich Extremisten im Sinne des Gesetzes zu sein“. Die Fragestellerinnen und Fragesteller wollen zwar ebenfalls keine rechts- offenen Personen in der Bundeswehr, zweifeln aber daran, dass der MAD der- zeit eine Rechtsgrundlage für die Beobachtung von (bzw. das „Hinschauen“ auf) Personen hat, die keine Extremisten sind, da § 1 des MAD-Gesetzes dem MAD Befugnisse gegen „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokrati- sche Grundordnung“ gerichtet sind, verleiht, aber nicht gegen Personen, die „unterhalb“ dieser Schwelle liegen. Die Aufklärung und Bekämpfung rechtsextremer Umtriebe in der Bundeswehr erfordern die personelle Aufstockung und ggf. Kompetenzerweiterung bei Wehrdisziplinaranwaltschaften und Disziplinarvorgesetzten. Dies umfasst auch eine Sensibilisierung für den Phänomenbereich Rechtsextremismus so- wie die raschere Bearbeitung solcher Fälle. 1. Ist aus Sicht der Bundesregierung jedes Verhalten eines Soldaten, das sich an einschlägige rechtsextreme Verhaltensweisen anlehnt (wie „Hit- lergruß“, Hakenkreuzschmierereien, Sieg-Heil-Rufe usw.) ein Dienstver- gehen, auch wenn es im konkreten Fall nicht ausreichend Belege dafür gibt, den betreffenden Soldaten als Rechtsextremisten im Sinne des Bun- desverfassungsschutzgesetzes einzustufen, und wenn nein, warum nicht? Inwiefern werden solche Vorfälle in der Bundeswehr überhaupt erfasst, und welche Kriterien, Vorschriften u. ä. gibt es dazu in der Bundeswehr (bitte möglichst der Antwort in vollem Wortlaut beilegen, hilfsweise zu- sammenfassen)? Zur Verwirklichung eines Dienstvergehens bedarf es der schuldhaften Verlet- zung soldatischer Pflichten. Eine solche Dienstpflichtverletzung kann auch vor-
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                     –3–                             Drucksache 19/17075 liegen, wenn eine Einstufung als Rechtsextremist (noch) nicht erfolgt. Ob ein Verhalten eine Dienstpflichtverletzung darstellt, richtet sich immer nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Die Bundeswehr erfasst einfache und gerichtliche Disziplinarmaßnahmen in Form einer Datenbank. Darüber hinaus werden einschlägige Vorkommnisse im Rahmen der Meldungen zur Inneren und Sozialen Lage der Bundeswehr er- fasst, demnach sind alle Ereignisse zu melden, die den Verdacht auf Extremis- mus oder eines Verstoßes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung begründen. 2. Wie gestaltet sich die Verfolgung von Disziplinarvergehen, die einen politisch rechts-motivierten Hintergrund haben (auch solche, die nicht als rechtsextrem im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetzes eingestuft werden), innerhalb der Bundeswehr (bitte die unterschiedlichen Akteure, ggf. in Abhängigkeit von der Schwere des Disziplinarverstoßes, mit ih- ren unterschiedlichen Kompetenzen angeben)? Die Verfolgung von Dienstvergehen richtet sich nach den einschlägigen Para- graphen der Wehrdisziplinarordnung (WDO). Hierbei sind die Schwere des Dienstvergehens und die zu erwartende Disziplinarmaßnahme zu berücksichti- gen. Es gibt keine unterschiedliche disziplinare Bearbeitung von politisch moti- vierten und anderen Dienstvergehen. Zuständig für die Bearbeitung von Dienst- vergehen sind bei einfachen Disziplinarverfahren die Disziplinarvorgesetzten und bei gerichtlichen Disziplinarverfahren die Einleitungsbehörden mit ihren Wehrdisziplinaranwaltschaften bzw. die Truppendienstgerichte. 3. Wie viele Dienstposten für Wehrdisziplinaranwälte gibt es derzeit in der Bundeswehr, und wie viele von ihnen sind gegenwärtig besetzt? Worauf führt die Bundesregierung die schon seit Längerem vom Wehr- beauftragten beklagte Unterbesetzung zurück? Im Januar 2020 weist die Rechtspflege der Bundeswehr ein Dienstpostensoll an Rechtsberaterinnen und Rechtsberatern, die im Nebenamt die Funktion Wehr- disziplinaranwalt/-anwältin wahrnehmen, von insgesamt 152 Dienstposten auf. Hiervon sind 132 Dienstposten besetzt. Dieser Besetzungsgrad ist dem Umstand geschuldet, dass derzeit die Dienst- postenbesetzung in der Rechtspflege nicht Schritt halten kann mit dem perso- nellen Abgang infolge von Wegversetzungen in andere Bereiche, auch inner- halb der Bundeswehr, sowie von planmäßigen Vakanzen infolge von Zurruhe- setzungen. 4. Inwiefern trifft es zu, dass der Rechtsunterricht in der Bundeswehr an massiver personeller Unterdeckung leidet und sich der Unterricht auf we- nige Wochen bei vergrößerten Unterrichtsklassen konzentriert (vgl. Bun- destagsdrucksache 19/700, Bericht des Wehrbeauftragten für 2017), und welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung zur Behebung der möglichen Unterdeckung, und bis wann ist nach ihrer Einschätzung die Unterdeckung beendet? Von den 55 Dienstposten (Rechtslehrer/Rechtsdozenten) in den Ausbildungs- einrichtungen der Streitkräfte sind zurzeit 45 Dienstposten besetzt. Die Vakan- zenlage in der Rechtslehre wird sich absehbar entspannen, da das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr entsprechendes Personal ver- stärkt einstellt, das nach der Erstverwendung als Rechtsberater/Rechtsberaterin
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Drucksache 19/17075                                      –4–                Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode bzw. Wehrdisziplinaranwältin/Wehrdisziplinaranwalt mit dem entsprechenden Erfahrungsaufbau in der Zweitverwendung für die Lehre demnächst zur Ver- fügung steht. 5. Welche Auswirkungen haben die personellen Lücken bei Wehrdiszipli- naranwälten und im Rechtsunterricht nach Auffassung der Bundesregie- rung für die Erkennung und Verfolgung rechtsextrem motivierter Diszip- linarvergehen? Inwiefern befürchtet die Bundesregierung, dass die angespannte Perso- nalsituation dazu führen kann, dass möglichen politischen Hintergründen für Disziplinarverstöße nicht nachgegangen wird bzw. die Ermittlungen vorzeitig eingestellt werden, weil dies für zu zeitaufwändig gehalten wird? Die personellen Lücken führen zu keinen Qualifikationseinbußen in Erfüllung des disziplinaren Ermittlungsauftrages. Die Dienststellen der Wehrdisziplinar- anwaltschaften verfügen über eine ausreichende Personaldecke, um die be- stehenden Vakanzen abzufedern. In Einzelfällen mag es zu zeitlichen Verzöge- rungen kommen. Es ist hierbei auch nicht zu besorgen, dass dem Legalitätsprinzip, d. h. der zwingenden Aufklärung derartiger Sachverhalte, nicht Folge geleistet wird. 6. Welche fachlichen Kompetenzen haben die Disziplinarvorgesetzten von Soldaten, Dienstvergehen mit rechtsextremem Hintergrund als solche zu erkennen? a) Wie werden diese Kompetenzen während der Ausbildung vermittelt? Die Fragen 6 und 6a werden im Zusammenhang beantwortet. Disziplinarvorgesetzte werden umfangreich und mehrjährig auf ihre Aufgabe vorbereitet. Im Rahmen der Offiziersausbildung werden den angehenden Offi- zieren umfängliche Rechtskenntnisse vermittelt. Dazu werden auch in Fallbei- spielen die Vorgesetzten geschult, Extremismus zu erkennen und rechtlich zu würdigen bzw. disziplinar zu ahnden. Die Rechtsausbildung wird ergänzt um Unterrichtungen zum Extremismus, in welchen Kenntnisse zu Ausprägungsfor- men, Erkennungszeichen und rechtlichen Folgen vermittelt werden. Daneben werden im Bereich der politischen Bildung Kenntnisse u. a. zur Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung vermittelt sowie die Kompetenz erworben, als Einheitsführer politische Bildung durchzuführen und so extremistischen Tendenzen entgegen- zuwirken. In der unmittelbaren Vorbereitung auf die Verwendung als Diszipli- narvorgesetzte werden die vorgenannten Kenntnisse aufgefrischt sowie die ent- sprechenden Kompetenzen vertieft und verfeinert. b) Wie werden diese Kompetenzen im Dienst verfeinert? Die Kompetenzen werden in der Verwendung durch Unterrichtungen durch den Militärischen Abschirmdienst, Rechtsunterrichtungen durch die Rechtsberate- rinnen und Rechtsberater sowie durch entsprechendes Informationsmaterial aktuell gehalten und vertieft.
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                        –5–                       Drucksache 19/17075 c) Inwiefern erkennt die Bundesregierung ein Defizit hinsichtlich dieser Kompetenzen, und wie begegnet sie diesem? Ein Defizit bezüglich dieser Kompetenzen besteht aus Sicht der Bundesregie- rung nicht. 7. Welche Anstrengungen wurden seit 2010 unternommen, um die einschlä- gigen fachlichen Kompetenzen der Disziplinarvorgesetzten, Wehrdiszi- plinaranwälte, Truppendienstgerichte zu erhöhen? Sowohl Disziplinarvorsetzte als auch die Angehörigen der Rechtspflege der Bundeswehr werden kontinuierlich fachlich aus- und weitergebildet. So ist das Thema Extremismus Gegenstand von Einweisungslehrgängen für Rechtsbera- terinnen/Rechtsberater und Rechtslehrerinnen/Rechtslehrer und entsprechender Einweisungslehrgänge für Wehrdisziplinaranwältinnen/Wehrdisziplinaranwälte. Weiterhin wurde die Rechtsausbildung in den Streitkräften harmonisiert. Darü- ber hinaus wurde die Zentrale Ausbildungsrichtung für die Rechtspflege der Bundeswehr am Zentrum Innere Führung etabliert und bietet seitdem entspre- chende Lehrgänge für Personal der Rechtspflege und für Disziplinarvorgesetzte an. Die Truppendienstrichterinnen und Truppendienstrichter werden im Rah- men von regelmäßigen Tagungen u. a. auch zu Fragen des Extremismus weiter- gebildet und tauschen sich in entsprechenden Formaten zu diesen Fragen aus. 8. Wie viele Disziplinarvergehen wurden in den Jahren 2014, 2015, 2016, 2017, 2018 und 2019 in der Bundeswehr jeweils erfasst? Eine Statistik, die im bezeichneten Zeitraum die Gesamtzahl aller festgestellten Dienstvergehen erfasst, wird nicht geführt. Im erfragten Zeitraum wurden verhängte Disziplinarmaßnahmen (gerichtlich und einfach) wie folgt erfasst: 2014: 2926, 2015: 2620, 2016: 2661, 2017: 2954, 2018: 3379, 2019: 2757. 9. Wie viele dieser Disziplinarvergehen hatten einen rechtsextremen Hinter- grund bzw. einen rechtsmotivierten politischen Hintergrund, bei dem sich kein „Extremismus“ im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetzes feststellen ließ (bitte ebenfalls pro Jahr angeben)? Wie häufig wurden solche Disziplinarvergehen a) als Fälle von geringer Bedeutung eingeschätzt, b) zur weiteren Bearbeitung einem Offizier übertragen, c) vor einem Truppendienstgericht verhandelt, d) mittels Arrest sanktioniert, e) (ggf. zusätzlich) an zivile Strafverfolgungsbehörden übergeben, f) mit vorzeitiger Entlassung sanktioniert,
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Drucksache 19/17075                                      –6–                 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode g) mit dem Ausschluss vom Dienst an der Waffe sanktioniert und/oder h) mit Beförderungsverbot oder Degradierung sanktioniert? Wie häufig hatten solche Disziplinarvergehen zur Folge, dass vom be- treffenden Soldaten beantragte Verlängerungen der Dienstzeit abgelehnt wurden? Die Fragen 9 und 9a bis 9h werden im Zusammenhang beantwortet. Eine Einstufung „geringe Bedeutung“ gibt es im Disziplinarrecht nicht. Die Verwirklichung eines Dienstvergehens vorausgesetzt, wird zwischen einfachem und gerichtlichem Disziplinarverfahren unterschieden. Alle einfachen Diszipli- narmaßnahmen werden von Offizieren verhängt, diese Offiziere führen auch die entsprechende Bearbeitung durch. Eine Sanktion „Ausschluss vom Dienst an der Waffe“ sieht das Disziplinarrecht nicht vor, dies kann jedoch im Einzelfall befohlen werden und wird statistisch nicht erfasst. Während der Dauer der disziplinaren Ermittlungen werden Soldatinnen und Soldaten grundsätzlich weder gefördert noch befördert. Die verhängten gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen i. S. der Fragen 9d, 9e und 9h können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden. Jahr        eingeleitete      entschiedene     davon Beförde- davon verbun- Verfahren          Verfahren       rungsverbot/      den mit einem Dienstgrad-      Strafverfahren herabsetzung 2014             24                 23               19                 22 2015             11                 7                 5                  7 2016             12                 5                 3                  8 2017             23                 8                 5                 17 2018             53                 5                 5                 40 2019             72                 2                 2                 47 Die verhängten einfachen Disziplinarmaßnahmen i. S. der Frage 9 d) (ein Dis- ziplinararrest wurde nicht verhängt) können der nachfolgenden Tabelle entnom- men werden. Jahr      Verweis/Stren- Disziplinarbuße ger Verweis 2014              1                  4 2015              2                  3 2016              2                 12 2017              2                 16 2018              4                 10 2019              0                 12 10. Wie viele jener Disziplinarvergehen, die zur weiteren Bearbeitung einem Offizier übertragen wurden, hatten Maßnahmen im Sinne der vorgenann- ten Frage (c) bis h) sowie Ablehnungen beantragter Verlängerungen der Dienstzeit) zur Folge? Diese Vorgänge werden statistisch nicht erfasst.
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                      –7–                            Drucksache 19/17075 11. Falls entsprechende Auswertungen nicht möglich sind: Sieht die Bundes- regierung in der fehlenden statistischen Erfassung ein Defizit, dem sie in Zukunft abhelfen will, und wenn ja, inwiefern, wenn nein, warum nicht? Aus Sicht der Bundesregierung ist kein „Defizit“ erkennbar. 12. Nach welchen Kriterien können Disziplinarvorgesetzte entscheiden, ob sie ein Disziplinarvergehen mit (möglichem) rechtsextremem Hinter- grund als Fall von geringer Bedeutung einschätzen oder an vorgesetzte Dienststellen oder Truppendienstgerichte zur weiteren Bearbeitung abge- ben? Inwiefern gibt es hierzu verschriftlichte, verbindliche Handreichungen, Dienstanweisungen oder Ähnliches (bitte diese, wenn möglich, der Ant- wort im Wortlaut beifügen, hilfsweise deren Inhalt zusammenfassen)? Die gesetzliche Pflicht zur Herbeiführung einer Entscheidung über die Über- nahme bzw. Abgabe eines Dienstvergehens an die Einleitungsbehörde (als vor- gesetzte Dienststelle) richtet sich nach § 41 WDO. Hierbei werden Disziplinar- vorgesetzte von den zuständigen Rechtsberaterinnen und Rechtsberatern unter- stützt. Zur Einstufung von Dienstvergehen mit (möglicherweise) extremistischem Hintergrund wurde im September 2019 eine Arbeitshilfe (Arbeitshilfe für Rechtsberaterinnen und Rechtsberater sowie Wehrdisziplinaranwältinnen und Wehrdisziplinaranwälte: Verstoß gegen die Pflicht zum Eintreten für die frei- heitliche demokratische Grundordnung) herausgegeben. 13. Wie viele Wehrdisziplinaranwälte hat es 2014, 2015, 2016, 2017, 2018 und 2019 gegeben (bitte Soll und besetzte Dienstposten nennen)? Die Ist- im Vergleich zur Sollbesetzung der Wehrdisziplinaranwälte/-anwältin- nen verteilt sich auf die erfragten Jahre wie folgt: 2014: Soll: 120, Ist: 101, 2015: Soll: 125, Ist: 111, 2016: Soll: 126, Ist: 113, 2017: Soll: 130, Ist: 113, 2018: Soll: 147, Ist: 122, 2019: Soll: 148, Ist: 131. 14. Wie lange dauerte im Durchschnitt die Einleitung eines Disziplinarver- fahrens (vom Tag der Kenntnisnahme des mutmaßlichen Disziplinarvers- toßes an), und wie lange bis zum Abschluss (bitte für den Zeitraum ab 2014 angeben)? Eine entsprechende Statistik zu einfachen Disziplinarverfahren wird nicht ge- führt. Grundsätzlich sind Disziplinarverfahren gemäß § 17 WDO beschleunigt zu behandeln.
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Drucksache 19/17075                                     –8–               Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die durchschnittliche Verfahrensdauer gerichtlicher Disziplinarverfahren (ge- rechnet in Monaten) kann der nachfolgenden Tabelle entnommen werden. Jahr       von der Aufnahme der Vor-            von der Einleitung bis zur ermittlungen bis zur Einleitung     Anschuldigung oder Einstellung 2014                      8,5                                 8,8 2015                      8,7                                 9,6 2016                      8,1                                10,2 2017                      8,4                                11,4 2018                      8,8                                11,3 2019                      9,7                                10,6 15. Wie lange dauern durchschnittlich gerichtliche Disziplinarverfahren (bitte für den Zeitraum ab 2014 angeben)? Die durchschnittliche Dauer von der Einleitung bis zum rechtskräftig abge- schlossenen gerichtlichen Disziplinarverfahren in Monaten beträgt: 2014: 16,3, 2015: 16,5, 2016: 17,8, 2017: 21,4, 2018: 20,4, 2019: 19,2. 16. Auf welchem Wege kommen bisherige rechtextremistische Verdachts- fälle dem MAD vor allem zur Kenntnis (bitte nach anonymer Anzeige, Meldungen durch namentlich bekannte Soldaten, Meldung durch Vorge- setzte, eigene Ermittlungen des MAD quantifizieren)? Dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) gelangen rechtsextremistische Verdachtsfälle vornehmlich aus dem Bereich der Sicher- heits- und Verfassungsschutzbehörden, dem unmittelbaren militärischen/ behördlichen Umfeld der Verdachtsperson (Soldaten/Vorgesetzte/Mitarbeiter), durch eigene Ermittlungen sowie durch anonyme Meldungen zur Kenntnis. Eine gesonderte Statistik zur Herkunft von Meldungen führt das BAMAD nicht. 17. Welche Möglichkeiten zur Erteilung von anonymen Hinweisen gibt es bisher bei der Bundeswehr bzw. beim MAD, und sieht der MAD die Not- wendigkeit, im Rahmen der in der Vorbemerkung genannten Arbeitsum- stellung auch die Meldung von rechtextremistischen Verdachtsfällen auf anonymem Wege zu vereinfachen? Jede Person hat die Möglichkeit, sich vertrauensvoll mit entsprechenden Hin- weisen – auch anonym – an das BAMAD zu wenden. Dies ist in einfacher Form postalisch, telefonisch, persönlich und/oder per E-Mail möglich. Die be- nannten Möglichkeiten, tatsächliche Anhaltspunkte, extremistische Verdachts- momente sowie Sachverhalte jedweder Art an das BAMAD zu melden, werden als hinreichend niederschwellig und somit nicht änderungsbedürftig bewertet.
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                    –9–                           Drucksache 19/17075 18. Erhält die meldende Person eine Rückmeldung über den Zugang der Meldung unter Benennung des Aktenzeichens (ähnlich wie es nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller beim Bundesamt für Ver- fassungsschutz üblich ist), eines Sachbearbeiters bzw. einer zuständigen Abteilung, um ggf. zu einem späteren Zeitpunkt weitere Informationen nachreichen zu können? Grundsätzlich erhält der/die Meldende eine Bestätigung über den Eingang sei- ner/ihrer Meldung. Auf Grund des besonderen Schutzbedürfnisses der zuständi- gen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie des Ermittlungszwecks erfolgt kei- ne darüberhinausgehende Weitergabe von Informationen oder personenbezoge- nen Daten. Die Nachreichung möglicher weiterer Informationen kann auf den bereits dargestellten Wegen erfolgen und wird im BAMAD vorgangsbezogen zusammengefasst. 19. Wie will der MAD dem von seinem Präsidenten angekündigten An- liegen, gegen Soldaten vorzugehen, die im Sinne des Gesetzes keine Extremisten sind, konkret nachgehen? Inwiefern ist hierzu auch der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel be- absichtigt? Die Sammlung und Auswertung von Informationen erfolgt auf der Grundlage von § 1 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über den militärischen Abschirmdienst (MADG). Voraussetzung für das Tätigwerden des BAMAD ist demnach das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. In diesem Fall nimmt das BAMAD zu dem be- troffenen Angehörigen des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Ver- teidigung die Verdachtsfallbearbeitung auf. Diese kann zu dem Ergebnis füh- ren, dass die Person als Extremist in der Bundeswehr zu bewerten ist. Im Rah- men seiner diesbezüglichen Ermittlungen ist das BAMAD auch zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel befugt. Die Bewertung der Informationen im Hinblick auf soldaten- oder dienstrecht- liche Konsequenzen obliegt nicht dem BAMAD, sondern den zuständigen per- sonalbearbeitenden Stellen, Wehrdisziplinaranwaltschaften und Vorgesetzten, die das BAMAD mittels Datenübermittlungen über seine gewonnenen Erkennt- nisse mit Extremismusbezug in Kenntnis setzt. 20. Auf welche Rechtsgrundlage stützt sich der MAD, um Personen zu be- obachten, die „unterhalb der Schwelle zum klar erkannten Extremisten“ liegen? Welche in die Freiheitsrechte der Betroffenen hineinreichenden Befug- nisse hat der MAD in dieser Hinsicht (bitte jeweils konkrete Rechts- grundlage nennen)? In Bezug auf die Bearbeitung von Personen, die in der Bewertung unterhalb der Schwelle zum erkannten Extremisten liegen, gilt die gleiche Rechtsgrundlage wie für erkannte Extremisten: § 1 Absatz 1 MADG. Zur Erfüllung seiner Auf- gabe darf das BAMAD gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1 MADG die hierfür erforder- lichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten, so- weit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes oder besonderer Reglungen im MADG entgegenstehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel beurteilt sich einzelfallbezogen nach den gesetzlichen Vorgaben, insbesondere nach §§ 4 ff. MADG i. V. m. §§ 8 ff.
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Drucksache 19/17075                                     – 10 –             Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) und erfolgt ausschließlich unter strenger Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. 21. Inwiefern sieht die Bundesregierung einen Bedarf zur Änderung des MAD-Gesetzes oder des Bundesverfassungsschutzgesetzes, um eine Rechtsgrundlage für die angekündigte veränderte Tätigkeit des MAD zu erhalten? Eine Änderung des MADG oder des BVerfSchG wird im Sinne der Fragestel- lung nicht für erforderlich erachtet. 22. Welche Anstrengungen werden unternommen, um Disziplinarvorgesetz- ten den Unterschied zwischen „kräftiger Meinung“ und fehlender Verfas- sungstreue zu vermitteln (vgl. Aussage des MAD-Präsidenten, https://au gengeradeaus.net/2019/10/dokumentation-mad-will-fehlende-verfassung streue-staerker-in-den-blick-nehmen/)? Durch das im BAMAD befindliche Referat „Extremismusprävention“ werden Weiterbildungen innerhalb der Bundeswehr zu dieser Thematik durchgeführt sowie Dienststellenleiterinnen, Dienststellenleiter und vergleichbare Vorgesetz- te als Multiplikatoren persönlich beraten. Dies beinhaltet im Einzelfall auch die Bearbeitung von telefonischen oder elektronischen Anfragen zu Sachverhalten mit möglichem Extremismusbezug. Im Jahre 2019 wurden so die zuständigen Vertreter von über 400 Dienststellen erreicht und rund 6.000 Personen geschult. Darüber hinaus wurden in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Innere Führung Sonderinformationen zu den einschlägigen Erscheinungsformen des Extremis- mus erstellt und bundeswehrintern sowohl digital als auch als Printmedium be- reitgestellt. 23. Wie viele Ermittlungsverfahren (auch nachrichtendienstlich) und Diszi- plinarverfahren bzw. Strafverfahren (abgeschlossen und laufend) resul- tieren nach aktuellem Stand aus den Meldungen des in der Vorbemer- kung genannten Unteroffiziers? Wurden dessen bisherige Meldungen vor dem Hintergrund der Neu- ausrichtung des MAD einer erneuten Prüfung unterzogen, oder soll dies noch geschehen? Welche sonstigen Maßnahmen wurden bezüglich dieser Meldungen durchgeführt? Durch die Bundeswehr wurden aufgrund der Meldungen zwei sowohl straf- als auch disziplinarrechtliche Verfahren eingeleitet. Die strafrechtlichen Ermittlun- gen werden hierbei durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden geführt. Beide Verfahren wurden inzwischen jeweils eingestellt. Die Neuausrichtung des BAMAD und insbesondere die Einführung der sog. Farbenlehre hatte keinen Einfluss auf die Qualität der Überprüfung der gemel- deten Fälle. Auf die Antworten der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen 72 und 73 auf Bundestagsdrucksache 19/6423 wird verwiesen.
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