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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Interne Weisungen & Dokumente zum Umgang mit Rassismus

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Interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung Baden-Württemberg Auswertung einer Qualifizierungsmaßnahme zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz in der Landesverwaltung Ingrid Espinoza Helena Kunz Andreas Wüst
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Impressum Herausgeber Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg Else-Josenhans-Straße 6 70173 Stuttgart Tel.: 0711 123-0 Internet: www.sozialministerium-bw.de Evaluation Konzept: Judith Halisch, Dr. Andreas Wüst, Dr. Max Bernlochner Umsetzung der Befragung: Kristina Faden-Kuhne, FamilienForschung des Statistischen Landesamts Analysen und Bericht: Ingrid Espinoza de Sämann, Helena Kunz, Dr. Andreas Wüst Ministerium für Soziales und Integration Abteilung 4 „Integration“, Referat 45 (Monitoring und Analysen) 2
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Inhaltsverzeichnis 1.   Einführung ........................................................................................................................ 5 1.1 Baden-Württemberg: Land der Vielfalt ............................................................................ 5 1.2 Interkulturelle Öffnung .................................................................................................... 5 1.3 Interkulturelle Kompetenz in der öffentlichen Verwaltung ............................................. 6 2.   Operationalisierung .......................................................................................................... 9 3.   Ausgangslage und subjektive Evaluation ....................................................................... 10 3.1 Profil der Teilnehmenden............................................................................................... 10 3.2 Wahrgenommenes Konfliktpotenzial von Kulturunterschieden.................................... 11 3.3 Bewertung der Fortbildung ............................................................................................ 13 3.3.1      Erwartung von Veränderung durch die Fortbildung............................................... 15 4.   Dimensionen der interkulturellen Öffnung .................................................................... 18 4.1 Kognitive Dimension....................................................................................................... 18 4.1.1      Wissen .................................................................................................................... 18 4.2 Affektive Dimension ....................................................................................................... 20 4.2.1      Personale und soziale Kompetenzen ...................................................................... 20 4.2.1.1    Eigene Haltung zu anderen Überzeugungen .......................................................... 20 4.2.1.2    Offenheit und Ambiguitätstoleranz ........................................................................ 22 4.2.2      Erwartungen kultureller Assimilation ..................................................................... 23 4.2.3      Diskriminierung ...................................................................................................... 26 4.2.4      Interkulturelle Öffnung ........................................................................................... 27 4.3 Konative Dimension: Kommunikationsverhalten........................................................... 30 5.   Fazit ................................................................................................................................ 33 Literaturverzeichnis ................................................................................................................ 35 Anhang 1: Fragebögen ........................................................................................................... 38 A.   Welle 1 – vor der Schulung............................................................................................. 38 B.   Welle 2 – unmittelbar nach der Schulung ...................................................................... 44 3
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C.  Welle 3 – bis 6 Monate nach der Schulung .................................................................... 48 Anhang 2: Wichtigkeit interkultureller Kompetenz im beruflichen Alltag ............................. 52 Anhang 3: Einschätzung Kommunikationskompetenz ........................................................... 53 4
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1.       Einführung 1.1      Baden-Württemberg: Land der Vielfalt Baden-Württemberg hat nach Bremen und Hessen mit derzeit 33,4 % den dritthöchsten Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund unter allen Bun- desländern (Statistisches Bundesamt 2019). In diesem vergleichsweise hohen Anteil spiegelt sich eine sehr heterogene Zusammensetzung der Bevölkerung des Landes wider. Die meisten der in Baden-Württemberg lebende Menschen mit Migrationshintergrund haben Wurzeln in ehemaligen Anwerbeländern für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, in Aussiedlerländern auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, zunehmend aber auch in Ländern der EU und des Nahen und Mittleren Ostens. Folglich ist ethnische und kultu- relle Vielfalt für Baden-Württemberg kennzeichnend. 1.2      Interkulturelle Öffnung Mit der Unterzeichnung der Charta der Vielfalt im Jahr 2012 hat sich Baden- Württemberg zum Ziel gesetzt, die „vorhandene Vielfalt [zu] erkennen und zu nutzen“ (Ministerium für Soziales und Integration 2019). Ein Mittel hierfür ist interkulturelle Öffnung (ebd., S. 23-25). Mit interkultureller Öffnung ist die insti- tutionelle Ausrichtung an die Anforderungen einer kulturell diversen Gesell- schaft gemeint. Vielfalt fungiert dabei als Ressource und Potential (Ministerium für Soziales und Integration 2019). Die interkulturelle Öffnung dient in der öf- fentlichen Verwaltung der Förderung gesellschaftlicher Teilhabe und Demo- kratie. Auch aufgrund ihrer Dienstleistungen für die gesamte Bevölkerung kommt der Verwaltung eine Vorbildfunktion zu. In ihr sollte sich die Gesell- schaftsstruktur widerspiegeln. Und nicht nur in der Verwaltung ermöglicht kul- turelle Vielfalt Chancen, kreative Lösungsansätze zu entwickeln und dadurch Verbesserungen von Abläufen zu erreichen. Das Land Baden-Württemberg will ein Arbeitsumfeld schaffen, das frei von Vorurteilen ist. Alle Mitarbeitenden sollen Wertschätzung erfahren. Kernaus- sage der Charta der Vielfalt ist: Wir alle sind mit unseren individuellen Voraus- setzungen gleichberechtigte Akteur_innen in unserem Land,“… unabhängig 5
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von Geschlecht und geschlechtlicher Identität, Nationalität, ethnischer Her- kunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientie- rung und Identität“. (Charta der Vielfalt 2020). 1.3      Interkulturelle Kompetenz in der öffentlichen Verwaltung Die interkulturelle Kompetenz ist eine Voraussetzung der interkulturellen Öff- nung von Organisationen und eine Schlüsselkompetenz der öffentlichen Ver- waltung und ihrer Beschäftigten. Sie fördert die Fähigkeit, konstruktiv mit Vielfalt umzugehen sowie die Bereitstellung eines bürgernahen und individu- ellen Serviceangebots. Zentrale Bestandteile der interkulturellen Kompetenz sind das Verstehen anderer Weltanschauungen sowie eine allgemeine Offen- heit. Auch die Anpassungsfähigkeit an neue kulturelle Umfelder und das Ver- stehen von Rolle und Wirkung der Kultur in situativen, sozialen und historischen Kontexten sind wichtige Bausteine der interkulturellen Kompe- tenz. Der Prozess der Aneignung interkultureller Kompetenz ist komplex, denn verschiedenen Ebenen stehen in Wechselwirkung zu einander (bspw. Hand- lungskompetenz, Reflexionskompetenz, Haltungen und Einstellungen u. a.). Es handelt sich nicht nur um ein Dazulernen, sondern auch um ein Umlernen. In Baden-Württemberg gibt es seit 2014 die Initiative „Land der Vielfalt – Land der Chancen“, die als Richtschnur für die Vorhaben des Landes zum Thema interkultureller Öffnung gilt. Ziel ist es, eine Organisationskultur zu etablieren, die der kulturellen Vielfalt des Landes entspricht. Zusätzlich zur Erhöhung des Anteils an Beschäftigten mit Migrationshintergrund, ist die Förderung der inter- kulturellen Kompetenz aller Beschäftigten eine wichtige Komponente der In- tegrationsinitiative (Ministerium für Integration 2014). Im Gesetz zur Verbesserung von Chancengerechtigkeit und Teilhabe (PartIntG Baden-Würt- temberg), das Ende 2015 in Kraft getreten ist, wurden weitere Festlegungen zur interkulturellen Öffnung der öffentlichen Verwaltung konkretisiert. Hierzu gehören die Erhöhung des Anteils von Beschäftigten mit Migrationshinter- grund (§ 6 Abs. 1 PartInG BW) und die Steigerung der interkulturellen Kompe- tenz der Mitarbeitenden (§ 6 Abs. 2 PartInG BW). 6
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Um den Erwerb interkultureller Kompetenz zu fördern, entwickelte das Minis- terium für Soziales und Integration Baden-Württemberg Qualifizierungsmaß- nahmen (Q-Maßnahmen) für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Mithilfe von Fortbildungen werden die Teilnehmenden sowohl auf beruflicher als auch persönlicher Ebene für das Thema interkulturelle Öffnung sensibilisiert. Zwischen Oktober 2017 und März 2018 fanden               261 Inhouse-Schulungen zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz in der Landesverwaltung statt. Die Fortbildungsmaßnahme wurde von unterschiedlichen Trainings- und Bera- tungsorganisationen durchgeführt. Die Kurse hatten zwar die gleichen Ziele, die vermittelten Inhalte und dazu angewandten Methoden variierten jedoch je nach Kursleitung. Die zentralen Ziele waren:     Die Vermittlung von Kommunikationsformen in interkulturellen Kontex- ten.     Die Förderung und Weiterentwicklung der Kommunikations- und Inter- aktionsfähigkeit durch geeignete Analyse- und Handlungsinstrumente.     Die Stärkung der Empathiefähigkeit und Ambiguitätstoleranz (Fähig- keit, mit Mehrdeutigkeit umzugehen) beispielsweise durch die Sensibi- lisierung im Umgang mit Personen unterschiedlicher kultureller Hintergründe. Die Fortbildungsmaßnahme wurde durch Befragungen begleitet, um belast- bare Erkenntnisse über Lerneffekte und Nachhaltigkeit dieser Qualifizierungs- maßnahme zu erhalten. Es gibt bisher wenige organisationssoziologische Analysen zum Thema inter- kulturelle           2 Öffnung , die spezifische Problemstellungen im Verwaltungshandeln erarbeitet und – darauf aufbauend – Ziele entwickelt haben, die durch Aus- und Fortbildung sowie durch veränderte Einstellungskriterien erreicht werden 1 Da zu den Teilnehmenden dreier Schulungen keine Kontaktinformationen zur Verfügung gestellt wurden, konnten lediglich Teilnehmende von 23 Schulungen (N=316)eingeladen werden. 2 Für allgemeine Hinweise siehe Griese/Marburger (2012). 7
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sollen. Mit der Absicht, diese Lücke zu schließen, wurde ein Forschungspro- jekt durch die Universität Duisburg-Essen in Kooperation mit dem Bundesmi- nisterium für Arbeit und Soziales, dem Europäischen Sozialfonds für Deutschland und der Europäischen Union realisiert. Das Projekt „Qualitäts- merkmal „Interkulturelle Kompetenz“? Eine empirische Analyse zur Effektivi- tätssteigerung des Verwaltungshandelns in heterogenen Kontexten“, hat Prozesse der interkulturellen Öffnung in der Verwaltung und deren Bedeutung für das Verwaltungshandeln in einem Zeitraum von zwei Jahren (2012 – 2014) systematisch untersucht. Empirische Grundlage war das Projekt „IKoDO: In- terkulturelle Kompetenz in der Kommunalverwaltung Duisburg-Oberhausen, in dessen Rahmen Führungskräfte, Personalräte und zwei Pilotämter aus beiden Kommunalverwaltungen zum Thema Interkulturelle Kompetenz zu qualifiziert wurden (Universität Duisburg-Essen 2020). Insbesondere Teile der Befragungsinstrumente flossen in die Entwicklung der Fragebögen des Ministeriums für Soziales und Integration ein. Nachfolgend hat die FamilienForschung des Statistischen Landesamtes Baden-Württem- berg die Inhalte in Form von drei Online-Befragungen umgesetzt. Den Kern des Evaluationsdesigns bilden Wiederholungsbefragungen der Teilnehmerin- nen und Teilnehmer der Q-Maßnahmen, deren Auswertung dem vorliegenden Bericht zugrunde liegt (Kapitel 2). Ziel dieser Auswertung ist, herauszufinden, ob die angebotenen Qualifizie- rungsmaßnahmen in der Lage waren interkulturelles Wissen, interkulturelle Kompetenz und interkulturelle Einstellungen der Teilnehmenden erhöht bzw. verbessert haben. Ebenfalls interessiert, ob Effekte der Fortbildungsmaßnah- men in der praktischen Umsetzung des zuvor Erlernten beobachtet werden können. Dabei wird davon ausgegangen, dass unmittelbar nach jeder Veran- staltung ein (positiver) Effekt gemessen werden sollte, der sich mit zeitlichem Abstand zur Q-Maßnahme jedoch voraussichtlich abschwächt. Es wird folglich erwartet, dass sechs Monate nach der Fortbildung Effekte in geringerem Maße nachweisbar sein müssten. Es stellt sich also vor allem die Frage, ob die Qua- lifizierungsmaßnahmen neben anzunehmenden kurzfristigen auch langfristige Lerneffekte haben (vgl. Abbildung 1). 8
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Abbildung 1:     Erwartete Wirkung der Qualifikationsmaßnahme 2.      Operationalisierung Die Auswertung basiert auf die Aussagen von 249 Befragten, die an 16 Schu- lungen zur Förderung von interkulturellen Kompetenzen teilgenommen haben. Die Kurse wurden von acht verschiedenen Personen geleitet und hatten je- weils zwischen 8 und 21 Teilnehmende. Zum Zweck der Evaluation erfolgte eine Online-Befragung zu drei Zeitpunkten (Fragebögen im Anhang zu diesem Bericht). In Welle 1 wurde die Ausgangslage bis zu zehn Tage vor der Fortbil- dung (t) gemessen (t-1). Welle 2 (t1) fand unmittelbar nach den Schulungen statt und die Daten der dritten Welle (t2) wurden jeweils sechs Monate nach der Fortbildung erhoben. Die gestellten Fragen beziehen sich auf interkulturelle Fähigkeiten der Teil- nehmenden (aufgeteilt in affektive, kognitive und konative Eigenschaften) so- wie zu ihrer Motivation und ihrem Interesse an der Q-Maßnahme. Darüber hinaus wurden Informationen über den (wahrgenommenen) Nutzen bzw. Mehrwert der Fortbildung gesammelt. Die Teilnehmerzahl unterscheidet sich zwischen den 3 Wellen. Insgesamt ha- ben an der Befragung vor der Schulung 202 Personen teilgenommen (t-1). 9
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Nach der Schulung (t1) verringerte sich die Anzahl der Teilnehmenden auf 165, wobei auch Personen antworteten, die nicht an der ersten Welle teilgenommen hatten. Bei der letzten Befragung (t2) betrug die Teilnehmerzahl 121 - inklusive jenen, die zuvor weder in Welle 1, noch in Welle 2 teilgenommen hatten. Auf- grund der Panelmortalität verblieben insgesamt 84 Personen, die an allen drei Wellen der Befragung teilgenommen haben; nur wenige von ihnen haben auf die ein oder andere Frage in eine der Befragungswellen nicht geantwortet. Die demografische Zusammensetzung unterscheidet sich über die Wellen hinweg nur gering, weshalb zunächst auf die Ergebnisse der ersten Welle (N=202) eingegangen     wird. 3 Wenn nachfolgend über Entwicklungen im Zeitverlauf be- richtet wird, werden jeweils nur Veränderungen zwischen denselben Personen berichtet (Nmax=84). 3.       Ausgangslage und subjektive Evaluation 3.1      Profil der Teilnehmenden Die Fortbildungsteilnehmenden waren Beschäftigte des öffentlichen Dienstes (Ministerien, Landratsämter, Schulen und andere nachgeordnete Behörden). Unter den Teilnehmenden sind Frauen stark überrepräsentiert (Tabelle 1, t-1, N=202). Nur ein Fünftel der Teilnehmenden hatten eine Leitungsposition inne. Die Anteile der Personen in Leitungsposition unterscheiden sich nur gering nach Geschlecht (56 % Frauen vs. 44 % Männer). Die meisten Teilnehmenden waren zum Zeitpunkt der Befragung im gehobe- nen Dienst tätig (44 %). Die Altersgruppe der 45 bis 60-Jährigen ist am stärks- ten vertreten (44 %), gefolgt von den 30 bis 45-Jährigen (33 %). Die meisten Teilnehmenden besuchen im Durchschnitt 0 bis 3 Fortbildungen pro Jahr (71 %). Vor allem die Mitarbeitenden in Landratsämtern (68 % der Teilneh- menden) und Schulen (16 % der Teilnehmenden) gaben an, häufiger als drei Mal im Jahr an Fortbildungen teilzunehmen. 3 Die Abweichung einer Kategorie zwischen den Wellen liegt bei allen bis auf einer Variablen (Anzahl der Mitarbeitenden) unter 6 Prozentpunkten. 10
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