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ID: LOND_2020-02-04_58333

FR | m Diplomatische Korrespondenz
i 04.02.2020

Botschaft London
DKOR_506
Ohne Leitungsbeteiligung

Betreff: Haftbedingungen von Julian Assange vor dem Hintergrund der "Prison
Crisis” in England und Wales

Zweck: Zur Unterrichtung

Verf.; (RER RE OA
Geschäftszeichen: RK-12-531.00

 

I. Zusammenfassung und Wertung

Medienberichte über die schlechten Haftbedingungen im Fall des WikiLeaks-Gründers Julian
Assange haben die Aufmerksamkeit auf das Justizvollzugssystem im Vereinigten Königreich
gelenkt. Nach dem am 31.10.2019 veröffentlichten Prison Governance-Bericht des
Rechtsausschusses des Unterhauses (House of Commons Justice Committee) befindet sich das
Justizvollzugssystem in England und Wales in einer „crisis of safety and decency“. Die
Gefängnisse sind massiv überbelegt und der Großteil ist dringend sanierungsbedürftig (ıp

(EB Die im Fall Assange geschilderten schlechten Haftbedingungen entsprechen
den veröffentlichten Berichten über das britische Gefängnissystem insgesamt und dem jüngsten
Inspektions-Bericht über das Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Besonderen.

Als Reaktion auf die kritische Bestandsaufnahme hat die brit. Regierung erst kürzlich
Investitionen in Höhe von 2,5 Mrd. GBP für die Schaffung von zusätzlich 10.000
Gefängnisplätzen, 156 Mio. GBP für die Instandhaltung und 100 Mio. GBP für die Verbesserung
der Sicherheit und die Bewältigung von Drogenproblemen angekündigt. Der Rechtsausschuss
des Unterhauses schätzt in seinem o.a. Bericht allerdings allein die Kosten der
Sanierungsmaßnahmen derzeit auf 900 Mio. GBP. Fachleute wie der ehemalige
Generalinspekteur des Gefängniswesens Hardwick halten es für unrealistisch, bis zum Jahr 2023
mehr als 3.600 Gefängnisplätze fertig stellen zu können. Medien wie der "Guardian" werfen der
Regierung vor, eine „policy by press notice“ ohne eine langfristige Strategie zu betreiben.
Insbesondere sei die Finanzierung der Gefängnisse nicht dauerhaft sichergestellt. Ebenso seien
Investitionen in Resozialisierungsmaßnahmen erforderlich, um der wachsenden Gewalt
entgegenzuwirken. Als Ursache für eine fehlende Reformstruktur wird auch der stetige Wechsel
der politischen Entscheidungsträger der letzten Jahre ausgemacht. Reformvorschläge und
Investitionsversprechen seien in der Vergangenheit nicht umgesetzt worden.

Die Zahl der Gefangenen in England und Wales hat sich seit 1993 fast verdoppelt. Dazu trägt die
Verhängung von immer längeren Haftstrafen auch für weniger gravierende Straftaten durch die
sog. Magistrate Courts bei, die auf Abschreckung setzen. Auch die langjährige Austeritätspolitik
mit Einsparungen im sozialen Sektor, insbesondere auch bei der Infrastruktur für Jugendliche,
wird für den Anstieg von Straftaten verantwortlich gemacht. Die Situation in den Gefängnissen
erscheint wenig dazu geeignet, die Insassen zu deradikalisieren. Die Mutter des 20 Jahre alten

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04.02.2020

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terroristischen Straftäters vom 2.2.2020, erhebt in den Medien den Vorwurf, dass ihr Sohn im
Londoner Belmarsh-Gefängnis erst richtig radikalisiert worden sei.

Im jüngsten Wahlkampf 2019 warb die Konservative Partei, welche nunmehr die Mehrheit im
Parlament hat, zur Bekämpfung der Kriminalität strengere Strafen einzuführen und die
automatische Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe bei schweren Verbrechen
aufheben zu wollen. Konkret beabsichtigt sie nunmehr, dass Straftäter mit ideologischem
Hintergrund, die damit als Terroristen eingestuft werden, mindestens 14 Jahre Haft erhalten
müssen, die auch in voller Länge abzusitzen seien.

Die im Wahlkampf geäußerte Absicht, einen Bildungsdienst für Häftlinge zu schaffen sowie
Beschäftigungsmöglichkeiten für ehemalige Straftäter zu verbessern, um Rückfälle zu
reduzieren, muss noch konkretisiert werden.

I. ImEinzelnen

. Bei einer gerichtlichen Anhörung Assanges am 21.10.2019 habe sich dieser laut
Pressemeldungen über die schlechten Haftbedingungen und seinen schlechten
Gesundheitszustand beklagt, was in Deutschland nachhaltig auf große Aufmerksamkeit gestoßen
ist. Insbesondere sei es für ihn schwierig, den Prozess angemessen aus dem Gefängnis
vorzubereiten. Zudem verbringe er bis zu 23 Stunden täglich in seiner Einzelzelle.

. Die dargestellten Haftbedingungen von Herrn Assange entsprechen dem Gesamtbild der
Situation des Gefängnisses Belmarsh, in dem dieser derzeit untergebracht ist, und der "Prison
Crisis" insgesamt. Einerseits scheinen die dargestellten Haftbedingungen von Herrn Assange vor
dem Hintergrund des Prison Governance-Bericht und dem Inspektionsbericht des Gefängnisses
Belmarsh durchaus denkbar, andererseits vermögen die Medienberichte nicht zu belegen, dass
Assange im Vergleich zu sonstigen Gefangenen in den grundlegenden Aspekten eine besonders

' positive oder eine besonders negative Behandlung zu Teil wird.

. Dem Inspektionsbericht der britischen Aufsichtsbehörde für Gefängnisse vom Juni 2018
zufolge befindet sich das Gefängnis Belmarsh in einem eher schlechten Gesamtzustand. Das
Gefängnis ist eines von drei Hochsicherheitsgefängnissen in England und Wales. Lediglich etwa
40 % der Gefangenen sind in Einzelzellen untergebracht, wohingegen der Rest als Zellen für
mehrere Personen vorgesehen ist. Allerdings ist das Gefängnis nach dem Belmarsh-Bericht
derart überfüllt, dass eine Vielzahl von Zellen, welche für zwei Gefangene vorgesehen ist, von
drei Personen belegt wird. Es wurden insgesamt 125 betroffene Zellen vorgefunden, in denen die
Bedingungen durch Überbelegung bedingt sehr beengt waren. Die betroffenen Häftlinge
beklagen, dass sie es als erniedrigend empfinden, auf engsten Raum die Toiletten zu benutzen
und ihre Mahlzeiten gemeinsam einzunehmen. Darüber hinaus werden etwa 60 % der
Gefangenen für weniger als 3 Stunden täglich aus ihren Zellen gelassen. Zudem ergab der
Bericht, dass nur 17 % der Häftlinge jeden Tag duschen können.

Demgegenüber wird die Gesundheitsversorgung in der Haftanstalt in dem Bericht als
durchschnittlich eingestuft. So ist die medizinische Betreuung durch medizinisches Personal
grundsätzlich lückenlos und eine psychologische Betreuung an 5 Tagen pro Woche
gewährleistet. Dennoch geben 30 % der Inhaftierten an, dass es sehr schwer für sie sei, einen Arzt

 

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oder Personal zur psychologischen Betreuung zu konsultieren.

Darüber hinaus gaben 50 % der befragten Gefangenen an, dass eine Kommunikation zwischen
ihnen und ihrem Rechtsbeistand schwierig sei, wohingegen der Empfang von limitierten
Besuchen von Rechtsberatern nach Aussage von 48 % der befragten Häftlinge einfach sei.

® Die Haftbedingungen in dem Gefängnis Belmarsh sind Ausdruck einer umfassenderen
„Prison Crisis“. Seit 2012/13 ist sowohl hinsichtlich der öffentlichen (104) als auch der privaten
(13) Gefängnisse insgesamt eine Verschlechterung der Haftbedingungen zu erkennen. Als
Hauptursache des negativen Trends kann die Schließung von Gefängnissen seit 2010 im Rahmen
eines umfassenden Programms zum Abbau öffentlicher Stellen ausgemacht werden. So wurde
die Zahl von Gefängnissen in England und Wales von 137 auf 117 reduziert. Zudem lag die Zahl
des Personals in Gefängnissen im September 2018 um 10 % niedriger als 2010, obwohl seit 2016
wieder zusätzlich 4.400 Beamten eingestellt worden waren.

. Ende 2019 lag die Zahl der Gefangenen in England und Wales bei insgesamt 83.023. Damit
hat sich die Gefängnispopulation seit 1993 fast verdoppelt. Wesentlicher Mitverursacher für die
stetig wachsende Gefangenenpopulation ist dabei die Verhängung immer längerer Haftstrafen.
Von 2006 bis 2016 ist das durchschnittliche Strafmaß für männliche Straftäter bei Sexualdelikten
von 42 Monaten auf 62 Monate, für Raub von 33 Monaten auf 45 Monate und für
Sachbeschädigung und Brandstiftung sogar von 12 Monaten auf 27 Monate gestiegen.

. In dem Auswertungsjahr bis März 2019, welches dem Prison Governance-Bericht
zugrunde liegt, waren insgesamt 22,5 % der Gefangenen in überfüllten Gefängnissen
untergebracht. Nach dem Bericht gibt es zudem einen klaren Zusammenhang zwischen der
massiven Überbelegung einerseits und der wachsenden Gewaltbereitschaft der Gefangenen
sowie den erhöhten Sterberaten andererseits.

So ist die Zahl von Todesfällen jeglicher Art in Haft von 2013 auf 2019 um 75 % gestiegen. Auch
Gewaltverbrechen in Haft befinden sich auf einem Rekordhoch. Seit 2013 wurde eine Steigerung
von Körperverletzungen um 136 % verzeichnet, darunter allein in dem erfassten
Zwölfmonatszeitraum bis März 2019 um 11 % im Vergleich zum vorherigen Auswertungsjahr.
Schließlich sind die Selbstverletzungsraten in Haft so hoch wie nie. Hier ist eine Steigerung um
138 % im Vergleich zum Jahr 2013 und allein um 24 % im Vergleich zum vorherigen
Auswertungsjahr zu verzeichnen. Einzelne deutsche Gefangene berichteten der Botschaft, dass
sie zu ihrer Sicherheit wegen des Ausbruchs von Gefangenenrevolten in andere Haftanstalten
evakuiert worden seien.

. Auch die Gebäude selbst befinden sich in einem sehr schlechten Zustand. Dies sei laut
dem Bericht nicht nur sicherheitsbeeinträchtigend, die Zustände seien teilweise sogar
menschenunwürdig. So wird der Unterkunftsstandard des Her Majesty's Prison (HMP)
Winchester beispielsweise als „unakzeptabel“ beschrieben. Auch im HMP Lincoln seien die
Lebens- und Arbeitsbedingungen „unakzeptabel“. Im HMP Exeter seien defekte Sanitäranlagen
trotz der Bereitstellung entsprechender Finanzmittel auch nach sieben Monaten noch nicht
repariert worden. Allgemein bemängelt werden zudem unzureichende Heizungsanlagen und
verwahrloste Zellen. Die Probleme werden dabei zum einen auf die veralteten Strukturen noch
aus viktorianischer Zeit, zum Großteil aber auf fehlende Investitionen und auch auf neue
Wartungsverträge zurückgeführt, welche keine präventiven Arbeiten mehr zuließen.

 

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Die Kosten der dringend notwendigen Sanierungsmaßnahmen werden in dem erwähnten
Bericht des Unterhauses von 2019 auf 900 Mio. GBP geschätzt - zzgl. der regulär anfallenden

Instandhaltungskosten. Die brit. Regierung kündigtean, 156 Mio. GBP für die Sanierung
bereitzustellen

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