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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Kirchliches Arbeitsrecht: Teilnehmerkreis und Stellungnahmen von BundesverfassungsrichterInnen bei den „Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche“

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70 Jahre Inkorporation. Die Stationen der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur vom Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zur Gegenwart BVR Prof. Dr. Peter M. Huber, Karlsruhe / München Nirgends ist die Kontinuität zwischen der vor 100 Jahren in Kraft getretenen Weimarer Reichsverfassung und der Ordnung des Grundgesetzes offenkundiger als in dem maßgeblich durch die Verfassung selbst „geordnete[n] Verhältnis des Staates zu den 1 Kirchen und bestimmten, den Kirchen gleichgestellten Religionsgesellschaften“. Nach Art. 140 GG sind die Bestimmungen der Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 Bestandteil des Grundgesetzes. Was diese zur negativen und positiven, der individuellen und kollektiven Religionsfreiheit bestimmte, zum Diskriminierungsverbot aus religiösen Gründen (Art. 136, 137 Abs. 2 WRV) und dem Verbot der Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WRV), zur Autonomie, Rechtsfähigkeit (Art. 137 Abs. 3 und 4 WRV) und dem Körperschaftsstatus der Religionsgesellschaften (Art. 137 Abs. 5 WRV), zu ihrer Steuerhoheit (Art. 137 Abs. 6 WRV) und der Garantie ihres für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Eigentums (Art. 138 Abs. 2 WRV), zur Gleichstellung weltanschaulicher Gemeinschaften (Art. 137 Abs. 7 WRV) gilt grundsätzlich noch heute. Ebenso verhält es sich mit der Garantie des Sonntags und der staatlich anerkannten Feiertage (Art. 139 WRV) sowie der Militär- und Anstaltsseelsorge (Art. 141 WRV). Allein das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit – ehemals in Art. 135 WRV verankert  ist 1949 in Art. 4 GG neu – und schrankenlos  verbürgt worden, während die Garantie des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach – zunächst in Art. 149 WRV verankert – in Art. 7 Abs. 3 GG eine Bestätigung erfahren hat. I. Bestandsaufnahme 1. Ausgangslage Die vollständige Übernahme der Weimarer Kirchenartikel hatte vor allem zwei Gründe: Zum einen konnten die Mütter und Väter des Grundgesetzes über die Neuregelung 2 des Verhältnisses von Staat und Kirche keine Einigung erzielen. Der Grundsatzausschuss 1 P. Badura, Staatsrecht, 7. Aufl. 2018, L 42. 2 JÖR 1 (1951), 899 ff.; D. Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 140 Rn. 1.
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2 des Parlamentarischen Rates stimmte in seiner 24. Sitzung lediglich der Aufnahme der religiösen Koalitionsfreiheit in Art. 4 GG zu, lehnte weitergehende Bestimmungen jedoch ab. Ein Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, des Zentrums und der DP vom 29. November 1948, der auf eine umfassende Neuregelung zielte, wurde zwar behandelt, 3 aber keiner Abstimmung unterworfen; der Hauptausschuss lehnte den Antrag ab. Zum anderen erleichterte der 1948/49 relativ kurze Zeitabstand von nur 30 Jahren die Erinnerung daran, dass die Weimarer Kirchenartikel selbst erst nach harten Auseinandersetzungen im 4 Wege gegenseitigen Nachgebens verabschiedet werden konnten. So entschied sich der Parlamentarische Rat für die Kontinuität und eine Übernahme dieses Kompromisses. So gesehen entspringt das aktuelle Staatskirchenrecht einem „doppelten 5 Verfassungskompromiss“. 2. Die inkorporierten Artikel als vollgültiges Verfassungsrecht Das in toto in die Übergangs- und Schlussbestimmungen des Grundgesetzes 6 übernommene Regelwerk der Art. 136 ff. WRV mag zwar ein merkwürdiges Bild abgeben. Rechtliche Konsequenzen sind damit jedoch nicht verbunden. Weder ihr Kompromisscharakter noch ihre Inkorporation oder ihre Ansiedelung in dem den Übergangs- und Schlussbestimmungen gewidmeten XI. Abschnitt des Grundgesetzes stellen in Frage, dass es sich bei den Weimarer Kirchenartikeln um eine endgültige und auf Dauer angelegte Regelung handelt, so endgültig und dauerhaft Verfassungsvorschriften nun einmal sein können. Ihre bewusste Absetzung vom Grundrechtsteil beruhte vor allem auf der Überlegung, dass sie nicht in erster Linie subjektive öffentliche Rechte verbürgen, sondern institutionelle Garantien und objektive Festlegungen enthalten, die – anders als die Grundrechte der Art. 1 bis 19 GG – jedenfalls nicht nur auf individuelle Selbstbestimmung, Unhinterfragbarkeit und Einklagbarkeit zielen. Schon 1965 hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Sinne hervorgehoben, dass die inkorporierten Kirchenartikel „vollgültiges Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland geworden (seien) und ... gegenüber den anderen Artikeln des Grundgesetzes nicht etwa auf einer Stufe 7 minderen Ranges“ stehen. 3 Wiedergegeben in BVerfGE 19, 206/218. 4 C. Israel, Geschichte des Reichskirchenrechts, dargestellt auf Grund der stenographischen Berichte über die Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung in Weimar, 1922. 5 BVerfGE 19, 206 <218>; A. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), 57 <59>; D. Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 140 Rn. 1. 6 P. Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, 7. Aufl. 2018, Art. 138 WRV Rn. 7. 7 BVerfGE 19, 206 <219>; 111, 10 <50> – Ladenschluss.
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3 3. Akzentverschiebung zur Religionsfreiheit Sind Art. 140 GG i. v. m. Art. 136 ff. WRV auch vollgültiges Verfassungsrecht, so bedeutet dies doch nicht, dass sie durch die Inkorporation nicht modifiziert worden wären. 8 Schon im Parlamentarischen Rat hatte der Abgeordnete v. Brentano insoweit ausgeführt: „Die rechtliche Bedeutung und Tragweite der zu Bestandteilen dieses Grundgesetzes erklärten Artikel der Weimarer Verfassung ist nicht richtig zu ermessen, wenn ihre Auslegung primär aus dem Blickpunkt der früheren Reichsverfassung erfolgen oder ihre Betrachtung isoliert vorgenommen würde. Sinn und Zweck, wie sie den Bestimmungen heute richtigerweise zukommt, ergibt sich vielmehr nur aus der Tatsache ihrer Einbettung in das gesamte Wertsystem des Grundgesetzes, ihres Einbezogenseins in den Rahmen der Gesamtentscheidung, dessen Ausdruck das Grundgesetz ist. ... Zu beachten ist weiter, daß, soweit das Grundgesetz selbst durch eine an anderer Stelle – sei es im Grundrechtsteil oder anderwärts – vorgenommene Formulierung den rechtlichen Gehalt eines Rechtsgedankens der Art. 136 ff. der Weimarer Verfassung in erkennbarer Weise verstärken will, die entsprechenden Vorschriften der früheren Reichsverfassung durch die einschlägige anderweitige Regelung ergänzt und damit erweitert (‚überhöht‘) werden. Soweit die Weimarer Verfassungsartikel zu anderen Bestimmungen des Grundgesetzes in Widerspruch 9 stehen, gehen letztere vor, und erstere sind nicht mehr anwendbar.“ Das Bundesverfassungsgericht hat sich diese Sicht ausdrücklich zu eigen gemacht und mit dem Vorrang der systematisch-teleologischen Interpretationsmethode begründet: Vornehmstes Interpretationsprinzip sei die Einheit der Verfassung als ein logisch- teleologisches Sinngebilde, weil das Wesen der Verfassung darin besteht, eine einheitliche 10 Ordnung des politischen und gesellschaftlichen Lebens zu sein. Die Weimarer Kirchenartikel sind daher, so heißt es im Beschluss Zeugen Jehovas II, „untrennbarer Bestandteil des Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes, welches das für eine freiheitliche Demokratie wesentliche Grundrecht der Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt in den Katalog der Grundrechte übernommen und es so gegenüber der 11 Weimarer Reichsverfassung erheblich gestärkt hat“. Diese Modifikation wird vor allem an der Subjektivierung ursprünglich objektiv- 12 rechtlich verstandener Garantien der Art. 136 ff. WRV greifbar, 8 die auch die korporative Grundlegend R. Smend, Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, ZevKR 1 (1951), 4 ff.; D. Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 140 Rn. 2; P. Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 138 WRV Rn. 9 ff., der diese Frage zu Recht in die allgemeine Entwicklung der Verfassungsinterpretation einbettet. 9 Schriftlicher Bericht zum XI. Abschnitt des Grundgesetzes, S. 73 f. 10 BVerfGE 19, 206 <220>; 33, 23 <30 f.>; 102, 370/387 – Zeugen Jehovas I. 11 BVerfGE 139, 321 <349 Rn. 89> – Zeugen Jehovas II. 12 Vgl. insoweit BVerfGE 24, 236 <246> – Aktion Rumpelkammer; 42, 312 <322>; St. Korioth, Vom institutionellen Staatskirchenrecht zum grundrechtlichen Religionsverfassungsrecht?, Chancen und Gefahren eines Bedeutungswandels des Art. 140 GG, in: FS Badura, 2004, S. 727 <728>.
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4 13 Religionsfreiheit erfasst. So sind die Freiheit der Religionsausübung wie auch die religiöse Vereinigungsfreiheit durch die stärkere Gewährleistung des Art. 4 GG überlagert worden. Während nach Art. 137 Abs. 2 und 4 WRV Religionsgesellschaften die Rechtsfähigkeit „nach 14 den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts“ erwarben , gebietet er nach Aufnahme in das Grundgesetz und im Zusammenklang mit Art. 4 GG, dass das Selbstverständnis der Religionsgesellschaft bei der Anwendung des Bürgerlichen Rechts besonders berücksichtigt wird. 15 Konkret bedeutet dies nicht nur, dass die Religionsgesellschaft Gestaltungsspielräume, die das dispositive Recht eröffnet, voll ausschöpfen darf. Auch bei der Handhabung zwingender Vorschriften sind 16 Auslegungsspielräume, soweit erforderlich, zugunsten der Religionsgesellschaft zu nutzen. Die Glaubensgemeinschaft der Bahá’í in Tübingen konnte daher die Eintragung ihrer örtlichen Geistigen Räte in das Vereinsregister durchsetzen, obwohl ihre Satzung mit den Regelungen über die Vereinsauflösung wegen der vorgesehenen Mitwirkung höherer Ebenen eigentlich gegen den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der 17 Vereinsautonomie verstieß. 4. Selbststand der Weimarer Kirchenartikel Gleichwohl betont das Bundesverfassungsgericht – gegen nivellierende Tendenzen in Teilen des Schrifttums  bis heute den Selbststand des Staatskirchenrechts. In jüngerer 18 Zeit hat es dies sowohl im sog. Chefarzt-Beschluss vom 22. Oktober 2014 Entscheidung Zeugen Jehovas II vom 30. Juni 2015 20 19 als auch in der noch einmal zu operationalisieren versucht. So heißt es in letzterer wörtlich: „Die durch Art. 140 GG inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung sind vollgültiges Verfassungsrecht und von gleicher Normqualität wie die sonstigen Verfassungsbestimmungen. Sie sind – mit Selbststand gegenüber der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG [Hervorheb. d. Verf.] – untrennbarer Bestandteil des Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes, welches das für eine freiheitliche Demokratie wesentliche Grundrecht der Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt in den Katalog der Grundrechte 13 In BVerfGE 24, 236 <244 ff.> – Aktion Rumpelkammer wurde Art. 137 Abs. 3 WRV gar nicht bemüht. 14 Für die Religionsfreiheit der WRV bestand ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt; G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1933 (Nachdruck 1968), Art. 135, S. 621: „die Religionsfreiheit findet, in allen ihren einzelnen Betätigungsmöglichkeiten, ihre Schranke in den Staatsgesetzen. Staatsgesetz geht vor Religionsgebot.“ 15 BVerfGE 24, 236 <247 f.> – Aktion Rumpelkammer 53, 366 <401 m.w.N.>; 83, 341 <356> – Bahá’í. 16 BVerfGE 83, 341 <356> – Bahá’í. 17 BVerfGE 83, 341 <360 ff.> – Bahá’í. 18 Vgl. etwa den Sammelband Heinig/Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007; krit. zur vollständigen Nivellierung St. Korioth, in: FS Badura, 2004, S. 727 <746>. 19 BVerfGE 137, 273 ff. – Chefarzt. 20 BVerfGE 139, 321 ff. – Zeugen Jehovas II.
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5 übernommen und es so gegenüber der Weimarer Reichsverfassung erheblich gestärkt hat. Beide Gewährleistungen bilden ein organisches Ganzes, wobei Art. 4 Abs. 1 und 2 GG den leitenden Bezugspunkt des deutschen staatskirchenrechtlichen Systems [Hervorheb. d. Verf.] darstellt …. Zwischen der Glaubensfreiheit und den inkorporierten Normen der Weimarer Reichsverfassung besteht eine interpretatorische Wechselwirkung [Hervorheb. d. Verf.]. Die Weimarer Kirchenartikel sind einerseits funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt …, und andererseits wird der Gewährleistungsgehalt des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG in Verbindung mit den inkorporierten Artikeln der Weimarer 21 Reichsverfassung institutionell konkretisiert und ergänzt [Hervorheb. d. Verf.].“ Die grundrechtliche Aufladung der Weimarer Kirchenartikel durch Art. 4 Abs. 1 GG kennt allerdings auch Grenzen. So heißt es im Chefarzt-Beschluss etwa, dass – soweit sich die Schutzbereiche der Glaubensfreiheit und der inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung überlagern – Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellere Norm der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit vorgeht, als er das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwirft (sog. Schrankenspezialität). Dabei ist der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck Rechnung zu tragen und der Umstand zu beachten, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist. Selbstverständnis der 22 5. Wiedervereinigung Das Staatskirchenrecht hat auch die Wiedervereinigung und die Verfassungsreform 23 des Jahres 1994 unbeschadet überstanden, ja es stand – anders als die nominatio dei 24 der Präambel – zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Frage. in Das hat – mit einigen Ausnahmen im Bereich des Religionsunterrichts – die weitgehende Übernahme der westdeutschen staatskirchenrechtlichen Gegebenheiten auch in den neuen Ländern erleichtert. Sie alle haben Konkordate mit dem Heiligen Stuhl und Staatsverträge mit den evangelischen 21 BVerfGE 139, 321 <349 Rn. 89 f.> – Zeugen Jehovas II; vgl. ferner BVerfGE 33, 23 <30 f.>; 42, 312 <322> – Bremer Mandatsklausel; 83, 341 <354 f.>; 99, 100 <119>; 125, 39 <77 f.>; 137, 273 <303 Rn. 84, 309 ff. Rn. 98 ff.> – Chefarzt. 22 BVerfGE 137, 273 <304 Rn. 87> – Chefarzt. 23 Dazu GemVerfKomm – Dr. 37, 72, Bericht GemVerfKomm, BR-Drucks. 800/93, S. 217 ff.; O. Bachof, AöR 115 (1990), 514/516; P. M. Huber, in: Sachs (Hrsg.), GG, Präambel, Rn. 35 ff.; zur Begriffsverwendung; H. Dreier in: ders. (Hrsg.), GG, I, 3. Aufl. 2013, Präambel, Rn. 25 ff. 24 Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat hat sich – über den Auftrag des Art. 5 EV hinaus – zwar mit dem „geltenden Staatskirchenrecht im Umfeld zu Art. 140 GG“ befasst, von einer Empfehlung jedoch Abstand genommen, BT-Drucks. 12/6000, S. 106 ff.
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6 25 Landeskirchen 26 und jüdischen Gemeinden geschlossen, den Religionsunterricht, mit und Berlins, als ordentliches Lehrfach in den Schulen etabliert 29 und eine Reihe von theologischen Fakultäten an den ostdeutschen Universitäten errichtet. 30 Ausnahme Brandenburgs 28 27 Auch in Ostdeutschland zahlen die – zahlenmäßig freilich überschaubaren – Gläubigen Kirchensteuer. 6. Staatskirchenrecht und Neutralitätsgebot des Staates Der Weimarer Kirchenkompromiss bestand darin, die überkommenen Landes- (Staats)Kirchen zwar abzuschaffen, eine radikale Trennung von Kirche und Staat aber zu 31 vermeiden. Das Schrifttum spricht daher auch von einer freundlichen oder hinkenden 32 Neutralität des Staates gegenüber den Religionsgemeinschaften. 25 BRANDENBURG: Gesetz zu dem Vertrag zwischen dem Land Brandenburg und den evangelischen Landeskirchen in Brandenburg vom 10. März 1997, GVBl. 1997, 4, 13; Vertrag zwischen dem Land Brandenburg und den evangelischen Landeskirchen in Brandenburg vom 10. März 1997, GVBl. 1997, 4, 13; MECKLENBURG-VORPOMMERN: Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche vom 20. Januar 1994, GVBl. 1994, 560; SACHSEN: Vertrag des Freistaates Sachsen mit den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen vom 24. März 1994, GVBl. 1994, 1253 ff.; SACHSEN-ANHALT: Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit den Evangelischen Landeskirchen in Sachsen-Anhalt vom 15. September 1993, GVBl. LSA 1994, 173 ff.; THÜRINGEN: Gesetz zu dem Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Thüringen und den Evangelischen Kirchen in Thüringen vom 17. Mai 1994, GVBl. 1994, 509; Vertrag des Freistaats Thüringen mit den Evangelischen Kirchen in Thüringen, GVBl. 1994, 509 ff. 26 BERLIN: Gesetz zum Staatsvertrag über die Beziehungen des Landes Berlin zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin vom 8. Februar 1994, GVBl. 1994, 67; Staatsvertrag über die Beziehungen des Landes Berlin zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin vom 8. Februar 1994, GVBl. 1994, 67 ff.; BRANDENBURG: Gesetz zu dem Vertrag vom 11. Januar 2005 zwischen dem Land Brandenburg und der Jüdischen Gemeinde – Land Brandenburg vom 26. April 2005, GVBl. 2005, 158; Vertrag vom 11. Januar 2005 zwischen dem Land Brandenburg und der Jüdischen Gemeinde – Land Brandenburg, GVBl. 2005, 158 ff.; SACHSEN: Gesetz zum Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden vom 8. Juli 1994, Vertrag des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinde, GVBl 1994, 1346 f.; SACHSEN-ANHALT: Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt vom 23. März 1994, GVBl. LSA 1994, 795 ff.; THÜRINGEN: Gesetz zu dem Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Thüringen und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen vom 7. Dezember 1993, GVBl. 1993, 758; Vertrag zwischen dem Freistaat Thüringen und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, GVBl. 1993, 758 f. 27 Vgl. dazu B. Vogel, Zum Beispiel Thüringen: Das Verhältnis von Kirchen und Staat nach der Wiedervereinigung, AfkKR 177 (2008), 447 ff. 28 Zum Fach LER in Brandenburg und der Diskussion um die Reichweite der sog. Bremer Klausel in Art. 141 GG vgl. BVerfGE 104, 305 ff.; 105 235 ff.; 106, 210 ff.; P. M. Huber, Das Staatskirchenrecht – Übergangsordnung oder Zukunftskonzept?, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung - Was ist geblieben?, 1999, S. 117 <132 ff.>; G. Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG I, Art. 7 Rn. 138. 29 Überblick über die landesverfassungsrechtlichen Grundlagen bei St. Mückl, Staatskirchenrechtliche Regelungen zum Religionsunterricht, AöR 122 (1997), 514 <536>. 30 Krit. zur Zulässigkeit L. Renck, Verfassungsprobleme der theologischen Fakultäten, NVwZ 1996, 333 ff. 31 G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 137, S. 631: „Was mit Abs. 1 gemeint ist, erhellt aus seiner Entstehungsgeschichte. Der Satz ‚spricht das Trennungsprinzip scharf aus gegenüber einer bestimmten, engen Verbindung zwischen Staat und Kirche, wie sie bei den evangelischen Landeskirchen bislang vorhanden war‘ (so der Berichterstatter Dr. Mausbach, Pl. S. 1644 C). Diese ‚bestimmte enge Verbindung‘ bestand in der Einrichtung des landesherrlichen Kirchenregiments (‚Summepiskopate‘) derzufolge der Landesherr (in den Hansestädten der Senat)
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7 Die Inkorporation des Weimarer Kirchenkompromisses in das Grundgesetz schreibt daher ein Verhältnis zwischen Staat und Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften fort, das 33 durch wechselseitige Zugewandtheit und Kooperation gekennzeichnet ist. Trotz des Verbots der Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WRV) zeichnet sich dieses weniger durch eine strikte Trennung aus, denn durch eine Zuordnung und Zusammenarbeit von Staat und Kirchen auf der Basis grundrechtlicher 34 Freiheit. Geradezu lehrbuchmäßig zusammengefasst findet sich dies in einer Passage des Beschlusses des Zweiten Senats zur sog. Bremer Mandatsregelung vom 21. September 1976, wo es heißt: „Art. 140 GG steht in einer geschichtlichen Kontinuität, die zum Verständnis der Vorschrift herangezogen werden muß. Nach einer jahrhundertelangen Periode enger Verbindung von Staat und Kirche beginnt in Deutschland im 19. Jahrhundert ein Prozeß zunehmender Lockerung dieses Verhältnisses, – trotz mancher heftiger Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche nicht in der Tendenz feindschaftlicher Trennung, sondern wechselseitiger Zugewandtheit und Kooperation. ‚Das sog Trennungsprinzip wird in Deutschland nicht als Kampfbegriff entwickelt, sondern als Baustein des Ausgleichs‘ (…). Der Staat wird ‚säkularisierter Staat‘, später ‚weltanschaulich neutraler Staat‘, die Kirche besinnt sich verstärkt, insbesondere nach 1945, auf ihre Eigenständigkeit. Der Staat beschränkt sich auf die Ordnung des ‚Weltlichen‘, nimmt keine Kompetenz mehr in Anspruch zur Entscheidung in Angelegenheiten der Religion und der Seelen, entläßt am Ende die Kirchen prinzipiell aus seiner Aufsicht und anerkennt zugleich die besondere Bedeutung der Kirchen für das Leben in Staat und Gesellschaft. Die Kirchen andererseits verstehen die Lösung vom Staat als Befreiung von Abhängigkeit, erkennen die Unentbehrlichkeit der staatlichen Ordnung und Autorität für die Gesellschaft an, beanspruchen ihre Unabhängigkeit bei der Erfüllung ihres geistlich- religiösen Auftrags, der nach ihrem Verständnis nicht nur das Jenseits betrifft, sondern auch ein Auftrag in dieser Welt ist. Für Staat und Kirche, die sich für dieselben Menschen, für dieselbe Gesellschaft verantwortlich fühlen, entsteht damit die Notwendigkeit verständiger Kooperation …. Im Grunde ist das auch gemeint, wenn das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland als Verhältnis einer ‚hinkenden Trennung‘, als wechselseitige Selbständigkeit innerhalb eines Koordinationssystems oder als Partnerschaft 35 zwischen Kirche und Staat charakterisiert wird.“ Der der Inkorporation zugrunde liegende Kompromiss und die Verankerung der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit in Art. 4 GG als schrankenlos gewährleistetem Grundrecht haben allerdings ein Spannungsverhältnis geschaffen, das die einschlägig Träger der Regierungsgewalt in der evangelischen Landeskirche war. Gegen die Institution des landesherrlichen Kirchenregiments ist Abs. 1 in erster Linie gerichtet; außerdem und weiterhin gegen jegliche Verwaltung innerkirchlicher Angelegenheiten durch Staatsorgane oder staatlich bestellte bzw. besetzte Kirchenorgane ‚gegen jede institutionelle Verbindung zwischen Staat und Kirche.‘“; E. Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, 1931, S. 112. 32 Die Urheberschaft gebührt insoweit Ulrich Stutz, vgl. P. Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 140 GG Rn. 16. 33 BVerfGE 42, 312 <330> – Bremer Mandatsregelung; 139, 321 <351 Rn. 93> – Zeugen Jehovas II. 34 BVerfGE 137, 273 <304 f. Rn. 87> – Chefarzt. 35 BVerfGE 42, 312 <330 f.> – Bremer Mandatsklausel.
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8 befassten Wissenschaftler und Praktiker unter den (Kampf-)Begriffen „Staatskirchenrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ seit nunmehr bald 30 Jahren in Atem hält 36 und bis in die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts hinein ausstrahlt. Nach dieser ist der Erste Senat für Streitigkeiten aus dem Bereich der Zivilgerichtsbarkeit zuständig, soweit sie Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) betreffen, während das 37 Staatskirchenrecht beim Zweiten Senat ressortiert. Unstreitig folgt aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV sowie Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 2 GG jedenfalls eine Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität. In einem Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, können friedliches Zusammenleben und gesellschaftliche Integration nur gelingen, wenn der Staat selbst in Glaubens- und Weltanschauungsfragen Neutralität bewahrt. Über ihre Funktion als 38 Beeinflussungsverbot 39 und als Identifikationsverbot hinaus verwehrt die Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität es dem Staat auch, Glauben und Lehre einer Kirche oder Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten. Die individuelle und korporative Freiheit, das eigene Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und innerer Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, würde entleert, wenn der Staat bei hoheitlichen Maßnahmen seine eigene Wertung zu Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes an die Stelle derjenigen der Kirchen und Religionsgemeinschaften setzen und seine 40 Entscheidungen auf dieser Grundlage treffen könnte. „Jede Auseinandersetzung staatlicher Stellen mit Zielen und Aktivitäten einer Religionsgemeinschaft muss daher das Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität wahren. Eine Regelung genuin religiöser oder weltanschaulicher Fragen, die parteiergreifende Einmischung in die Überzeugungen, Handlungen und die Darstellung Einzelner oder religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften sind dem Staat mangels Einsicht und geeigneter Kriterien untersagt. Fragen der Lehre, der Religion und des kirchlichen Selbstverständnisses gehen ihn grundsätzlich nichts an. Er ist vielmehr verpflichtet, auf die Grundsätze der Kirchen und Religionsgemeinschaften Rücksicht zu nehmen und keinen eigenen Standpunkt in 36 Heinig/Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007; St. Korioth, in: FS Badura, 2004, S. 727; P. Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 140 GG Rn. 12 ff.; Chr. Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht – Völker– und verfassungsrechtliche Perspektiven, 2001, S. 215 ff. 37 § 14 Abs. 1 bis 4 BVerfGG, Beschluss des Plenums des Bundesverfassungsgerichts vom 20. November 2018 zur Änderung des Beschlusses vom 24. November 2015 gemäß § 14 Absatz 4 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes in der Fassung vom 21. November 2017 A.III.2. 38 BVerfGE 93, 1 <16 f.> – Kruzifix; 108, 282 <300>; 137, 273 <305 Rn. 88> – Chefarzt. 39 BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246> – Aktion Rumpelkammer; 30, 415 <422>; 33, 23 <28>; 93, 1 <16 f.> – Kruzifix; 108, 282 <299 f.>; 123, 148 <178>; 137, 273 <305 Rn. 88> – Chefarzt. 40 Vgl. BVerfGE 137, 273 <305 Rn. 88> – Chefarzt.
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9 der Sache des Glaubens zu formulieren. Die Eigenständigkeit der kirchlichen 41 Rechtsordnung hat er zu respektieren.“ II. Staatskirchenrechtliche Schwerpunkte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Blickt man auf die zentralen Bereiche des Staatskirchenrechts, so ergibt sich das Bild einer in ruhigen Bahnen verlaufenden Entwicklung und eines Rechtsgebietes, dem in den vergangenen 70 Jahren größere Umbrüche erspart geblieben sind. Nicht zuletzt wegen dieser Stabilität hat sich das Staatskirchenrecht jedoch zu einem Referenzgebiet für das Staatsorganisationsrecht entwickelt, dessen Einsichten über die eigentlichen Belange von Kirchen und Religionsgemeinschaften hinausreichen und Grundfragen der durch das Grundgesetz verfassten Ordnung berühren. Exemplarisch gilt dies für die Kirchenverträge (1.), die Autonomie der Religionsgemeinschaften (2.), den Zugang zum Körperschaftsstatus (3.), das Kirchensteuerrecht (4.) und den Schutz des Sonntags (5.). 1. Kirchenverträge Die erste große Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Bereich war das Urteil vom 26. März 1957 zum Reichskonkordat 1933. Es ging dort um die Frage, wie weit die Länder bei der Ausgestaltung des Religionsunterrichts an die Vorgaben des Konkordats gebunden sind. 42 Der Zweite Senat hat dies unter Rückgriff auf die bundesstaatliche Kompetenzverteilung seinerzeit verneint, weil die Länder ausschließliche Träger der Kulturhoheit seien und mit Blick auf die bekenntnismäßige Gestaltung des Schulwesens lediglich durch Vorgaben der Art. 7 und Art. 141 GG begrenzt würden. Auch 43 wenn das Urteil für das Staatskirchenrecht im engeren Sinne nicht viel hergibt, war es für die bundesstaatliche Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt und für den innerstaatlichen Umgang mit auf der Grundlage von Art. 59 Abs. 2 GG geschlossenen völkerrechtlichen Verträgen von grundlegender und bleibender Bedeutung. So nimmt etwa der Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 zum sog. Treaty Override zehn 41 BVerfGE 137, 273 <305 f. Rn. 89> – Chefarzt. 42 BVerfGE 6, 109 ff. – Reichskonkordat. 43 Zu den spezifischen Fragen der Konkordate und Kirchenverträge W. Becker, Das Reichskonkordat von 1933 und die Entpolitisierung der deutschen Katholiken. Verhandlungen, Motive, Interpretationen, AfkKR 177 (2008), 353 ff.; St. Korioth, Konkordate und Kirchenverträge im System des deutschen Staatskirchenrechts, AfkKR 177 (2008), 394 ff.; P. M. Huber, Konkordate und Kirchenverträge unter Europäisierungsdruck, AfkKR 177 (2008), 411 ff.
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10 Mal auf die Entscheidung zum Reichskonkordat Bezug und schreibt sie lediglich behutsam 44 fort. 2. Selbstverwaltung von Religionsgemeinschaften (Art. 137 Abs. 3 WRV) Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der „Religionsausübung“ nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden. Zwar hat der Staat verfassungsrechtliche Begriffe grundsätzlich nach neutralen, allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten zu interpretieren. Wo aber die Rechtsordnung gerade das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis des Grundrechtsträgers voraussetzt, wie dies bei der Religionsfreiheit der Fall ist, würde der Staat die Eigenständigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften und ihre nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich verankerte Selbständigkeit verletzen, wenn er das Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde. 45 Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt so allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit 46 verfassungsrechtlich geschützt. durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Der Sache nach umfasst dies alles, was zur Sicherstellung der religiösen Dimension des kirchlichen Wirkens und zur Erfüllung des kirchlichen 47 Grundauftrags im Sinne des eigenen Selbstverständnisses erforderlich ist. Das umfasst sogar das Recht, Klerikern die Annahme parlamentarischer Mandate zu verbieten. Der Zweite Senat hat hierin keinen Verstoß gegen Art. 48 Abs. 2 GG gesehen, 48 sondern einen adäquaten Ausdruck kirchlicher Selbstbestimmung. Auch über die Voraussetzungen, Dauer und Ende der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft entscheiden wegen Art. 4 Abs. 1 GG allein die Religionsgemeinschaft und ihre (einzelnen) Mitglieder. a) Das wirft insbesondere mit Blick auf die Kirchensteuerpflicht immer wieder Probleme auf. Nach einem Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Dezember 2015 verletzt es das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften (Art. 4 44 BVerfGE 141, 1 ff. – Treaty Override. 45 BVerfGE 18, 385 <386 f.>; 24, 236 <248>; 108, 282 <298 f.>; 137, 273 <309 f. Rn. 100 f.> – Chefarzt. 46 BVerfGE 137, 273 <309 Rn. 101> – Chefarzt. 47 P. M. Huber, Die korporative Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 Abs. 3 WRV einschließlich ihrer Schranken, in: Heinig/Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007, S. 155 <173, 175>. 48 BVerfGE 42, 312 <330 ff.> – Bremer Mandatsklausel.
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